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UNFASSBAR UND MEISTERHAFT Marcel Meili, Markus Peter Architekten: Centro Helvetia, Mailand, 2004 – 2009 Die Vollendung des Bürogebäudes für den neuen Hauptsitz der Helvetia Versicherungen in Italien beendet die ungewöhnlich lange Stille um das ohnehin öffentlichkeitsscheue Büro von Marcel Meili und Markus Peter und zeigt unter dem Einfluss norditalienischer Gestaltungsliebe neue Wege jenseits der Reduktion und Vereinheitlichung auf.
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Text: Hannes Mayer
zeitungen Domus, Casabella und abitare den intellektuellen
Mailand gilt als Hauptstadt der Mode und des Designs. Die
Architekturdiskurs, dessen Protagonisten, wie Domus-Grün-
Bedeutung Mailands für die Architektur wird dabei häufig
der Gio Ponti oder Casabella-Chefredaktor Ernesto Nathan
übersehen, auch weil sich die Grenzen zwischen den einzel-
Rogers von BBPR, zumeist auch die signifikanten Bauten der
nen Bereichen bei den Mailänder Designern und Architekten
Stadt mitverantworteten. Letzterer entdeckte Aldo Rossi als
kaum definieren lassen und die letzten Jahre vergleichs-
talentierten Schreiber für Casabella, der später durch seine
weise arm an Impulsen waren. Dennoch, Mailand definiert
Tätigkeit als Professor an der ETH Zürich das Schweizer Ar-
und fördert mit den international bedeutenden Architektur-
chitekturgeschehen massgeblich beeinflussen sollte.
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1 Aussenansicht, Blick von Süden. Im Vordergrund die Leitplanken des Autobahnzubringers (Fotos: Gabriele Basilico)
2 Empfang In gerader Verlängerung schliesst sich das Restaurant an. Zur Linken führt eine Treppe nach oben zur Bar und nach unten in die Tiefgarage. Leuchten und
Tische nach Entwürfen der Architekten, nebst den Stühlen Lady von Marco Zanuso und Poltrona in schwarzem Leder von Ico Parisi
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3 Lageplan 4 Orthobild der Situation
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In umgekehrter Richtung muss Armin Meilis Centro Svizzero von 1952 genannt werden. An der Piazza Cavour zwischen historischem Stadtzentrum und dem Bahnhof Milano Centrale gelegen, markierte es mit seinem achtzig Meter hohen
Turm im kriegszerstörten Mailand den Beginn des Wiederaufbaus nach modernistischen Prinzipien. Bis auf seine Höhe unverkennbar ein Entwurf Schweizer Prägung, beherbergt es bis heute das Schweizer Konsulat sowie weitere Schweizer Vertretungen. 52 Jahre nach der Vollendung des Centro Svizzero, im Jahr 2004, setzten sich Meili, Peter Architekten in einem geladenen Wettbewerb für den Hauptsitz der Versicherungsgesellschaft Helvetia Italia gegen die Konkurrenten aus Italien und Österreich durch und erhielten die Möglichkeit, in Mailand erneut architektonisches Denken nördlich und südlich der Alpen in einem Werk zu vereinigen, die wechselvolle Beziehung um einen Meilenstein zu erweitern. Im Gegensatz zu der prominenten innerstädtischen Lage des Centro Svizzero liegt das Helvetia-Grundstück allerdings an dem mit Leitplanken abgetrennten vierspurigen Ringautobahnzubringer, der, vom Zentrum kommend, an die nahe Tangenziale anschliesst und weiter ins Dienstleistungsviertel San Donato im Osten der Stadt führt. Wenige hundert Meter stadteinwärts endet die vielgeschossige und dichte Wohnblockrandbebauung der inneren Zonen und geht in ein überwiegend kleinmassstäbliches Nebeneinander von Wohnund Büroblöcken, Autohäusern, Werkstätten und Firmengebäuden unterschiedlicher Entstehungszeiten über, welches das dreieckige Gebiet zwischen einem Güterbahnhof im Norden und dem Zubringer im Süden auffüllt. Auf der anderen Seite des Autobahnzubringers erstrecken sich bereits Naturflächen, künden von der Po-Ebene und unterstreichen den Charakter einer Transitzone, die den Übergang von der Stadt zur Metropolitanregion markiert.
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Von der Umgebung gerahmt, die Umgebung rahmend Auf dem trapezoiden Grundstück selbst galt es, den Bestand
Durch die Einpassung in den Bestand entzieht sich die Ge-
aus den Achtzigerjahren zu integrieren. Vollverspiegelt und
samtform und -erscheinung dem Betrachter. Ihre Kraft und
mit roten Fassadenakzenten, bilden ein Riegel parallel zum
multiple Erscheinung erzeugt die Setzung dabei durch das
Zubringer und zwei zusammengebaute, leicht versetzte
Knicken der Gebäudekubatur und der janusköpfigen Be-
quadratische Türme auf der nördlichen Grundstückshälfte
handlung von West- und Ostfassade: nach Westen eine Büro-
den bisherigen Hauptsitz der Helvetia Italia. Seine markante
hausfassade, die Verwandtschaft zum bisherigen Werk der
Wirkung erhält der Bestand durch die überhöhten, aussen
Architekten aufzeigt. Dunkle, horizontale Bänder aus grossen,
liegenden Betonrahmen, die den für damals typischen Aus-
annähernd quadratischen Fenstern sind vertikal getrennt
druck der Corporate Architecture US-amerikanischer Prä-
durch die subtil plastische Ausformung leicht konkaver, sand-
gung vervollständigen. Auf diese heterogene Umgebung
farbener Brüstungselemente und gegliedert durch wenige
antworten Meili, Peter Architekten mit einem Entwurf, der
feinjustierte Versprünge. Nach Osten eine Liebeserklärung
die vorgefundene Situation räumlich ordnet, ohne die leicht
an die Mailänder Architektur, Verbeugung vor Mailänder Bal-
zu verwerfende Alltäglichkeit der Umgebung zu diskreditie-
konen und Angelo Mangiarottis Condominio in der Via Quad-
ren. Ein lang gestrecker Körper orthogonal zum Zubringer
ronnno von 1960. Durchlaufende Balkone sind den Büros vor-
vereinigt die vielfältigen räumlichen Beziehungen und bildet,
gesetzt und werden geschützt durch eine Brüstung aus
indem er die beiden existierenden Gebäude als Seitenflügel
gebogenen Metallbändern, wie sie an vielen Mailänder Häu-
begreift, als deutlichste Raumsituation einen grossen Hof
sern zu finden ist. Markant sind die mehrere Geschosse über-
nach Westen hin aus. Die machtdemonstrierende Geste eines dort situierten
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Inszenierung des verstellten Blicks
spannenden Metallspiralen aus Edelstahl, die als Rankgitter das Begrünungssystem Mangiarottis referenzieren und auch
Haupteingangs wurde zugunsten der dem Autobahnzu-
bei Ausbleiben des dichten Bewuchses ihre ästhetische Be-
bringer und der kleinen Quartiersstrasse Via Gian Battista
rechtigung gewagt, doch gekonnt verteidigen. Zusammen-
Cassinis zugewandten Stirnseite vermieden. Diese schiebt
gehalten werden beide Seiten durch die gelben Sonnen-
sich am vorderen Riegel des Bestands vorbei und kragt über
storen und den Dachaufsatz, der ganz nach den Vorlieben
dem Haupteingang mit allen vier Bürogeschossen mehrere
Angelo Mangiarottis aus grauen Betonfertigelementen be-
Meter bis zur Bürgersteigkante und der Baulinie des stadt-
steht. In dichter Reihung eine Überlappung vortäuschend,
einwärts gelegenen Blocks aus. Auf diese Weise wurde eine
gleicht der Aufsatz zum Hof hin einem Reptil, bildet fast mit-
Zone geschaffen, welche, akzentuiert durch eine weinrote
tig den Hochpunkt, fällt nach Süden ab und ist nach Norden
Untersicht, Ankunft signalisiert und für den hinter Glas und
unter der maximalen Höhen- und Abstandslinie graduell von
schweren dunklen Messingtüren liegenden zweigeschossi-
der Vertikalen in die Schräge verdreht. Auf der anderen Seite
gen Empfang vorbereitet. Der Sockel schliesst das Gebäude
verjüngt sich das Dachgeschoss nach Süden hin und öffnet
an die platzabgewandte angrenzende Bebauung an, die in
den Raum für eine weitläufige polygonale Terrasse, die als
ihrer Höhe den Sockel nur unwesentlich überragt und die
Vorraum für die Konferenzräume im Dachgeschoss dient und
Parzelle füllt.
eine grandiose Sicht über die Po-Ebene erlaubt.
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5 Ansicht von Westen, Hoffassade 6 Bürogeschoss mit Teeküchenzone, Stühle und Tische nach Entwürfen der Architekten 7 Bar 8 Treppenhaus Nord im Erdgeschoss
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Gesamtkunstwerk In den vier Geschossen unter dem Dachgeschoss sind zweibündig die Büros angeordnet. Lediglich im zweiten Obergeschoss ist im rückwärtigen Teil noch ein Kinderhort unterge-
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bracht. Über zwei Treppenhäuser mit organisch gerundeten Glasbrüstungen und an Aalto erinnernden, durchgehenden Holzhandläufen wird der Mittelgang erschlossen, der sich mittig zu einer Teeküchenzone aufspannt. Begünstigt durch die geringe Tiefe des Gebäudes und ermöglicht durch die
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Glastrennwände, welche ohne Decken- und Bodenabschluss auskommen, löst sich der Schrecken eines mit dieser Bürotypologie verknüpften düsteren Korridors in einen Raum von geradezu wohnlichem Charakter auf. Die Holztüren geben dem Korridor seinen Rhythmus, der Boden ist von einem nadelfilzartigen, grauen Teppich bedeckt, die Betondecke hingegen – mit ihrem für die Schweiz typischen Brettschalungsmuster – roh belassen. Ungewöhnlich für das heutige Bauen und fast nur noch bei Hauptsitzen grosser Unternehmen und anderen Prestigebauten zu finden, zeichneten Meili, Peter auch für die gesamte Innenplanung einschliesslich der Möblierung verantwortlich. Eigene Entwürfe für Holzschreibtische mit verschränkten und gebogenen Beinen aus verchromten Metallrohren werden ergänzt durch Klassiker und unterstreichen die ruhige Gesamtatmosphäre. Wie schon bei der Fassadengestaltung ist das Gebäude auch im Inneren von dualem Charakter. Die Erschliessungszonen sowie der gesamte Sockelbereich mit Erdgeschoss und dem in den Empfangsbereich eingeschobenen Mezzanino sind der norditalienischen Spätmoderne stärker verpflichtet und von einem gesprenkelten Kunststeinboden mit Einschlüssen von Carraramarmor visuell und atmosphärisch zusammengehalten. In Sandgelb gehaltene Wände und die punktuelle Möblierung mit Sesseln von Marco Zanuso, Domenico Parisi und Osvaldo Borsani komplettieren die lokale Verortung.
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9 Ansicht von Osten. Die Liegen im Vordergrund gehören zu einem benachbarten Club 10 Restaurant
11 Querschnitt Mitte 12 Grundriss Dachgeschoss (alle Pläne Massstab 1:1000) 13 Grundriss Bürogeschoss im 3. und 4. Obergeschoss 14 Grundriss Erdgeschoss mit Restaurant (Mitte) und Haupteingang (rechts)
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Annäherung an barocke Spielfreuden Eine Sonderrolle spielen die Bar und das Firmenrestaurant. Letzteres schliesst an den Empfang an und öffnet sich grosszügig verglast und mit Schiebetüren zum von Vogt Landschaftsarchitekten gestalteten Hof mit seinen polygonalen Pflanzinseln. Obwohl der Funktionsweise nach eine Kantine mit angrenzender offener Küche und Selbstbedie-
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nungsbuffet, erzeugt die Gestaltung des Raumes mit dunkler, leicht gewellter Akustikdecke, den holzverkleideten dunkelweinroten Stirnseiten und den von den Architekten gestalteten Leuchten, die wie Festkränze von der Decke hängen, eine geradezu feierliche Stimmung. Mittels dreier Goldringe senken die wie im gesamten Haus schwarz eingefärbten Betonstützen die schwebende Inszenierung auf Augenhöhe und beziehen die Gäste mit ein.
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Schliesslich die Bar, welche zur Strasse hin auf Mezzaninebene neben dem Empfang angeordnet und von diesem über eine Treppe zu erreichen, als heimliches funktionales und ästhetisches Herzstück des Neubaus fungiert: Ein Tresen aus massivem roten Marmor ist mit einer wiederum schwarz eingefärbten bauchigen Säule sowie zwei aufmontierten P-förmigen Metallleuchten zu einem geradezu postmodern-barocken Ensemble vereinigt. Hier verdichtet sich, was sich bereits in der Fassadengestaltung, bei den leicht geschwungenen Fertigelementen, Abschlusssimsen und
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Rankspiralen abzeichnet: ein freierer Umgang mit Formen inspiriert vom Mailänder Gestaltungswillen. Meili, Peter Architekten verhalten sich dabei wie Reisende, die ihre Umgebung genauestens beobachten, studieren und somit ihrem bisherigen Werk zuführen. Weder leichtsinnig noch plakativ, stets intellektuell verdaut, wohltariert und sorgfältig bis ins Detail, ist das Centro Helvetia Ausdruck eines feinen Spiels der Baukulturen und als Resultat eine Befreiung, die es über die Alpen zu retten gilt.
Architektur: Wettbewerb: 2004; Projekt: 2004–2007; Ausführung: 2007–2009; Bauherr: Helvetia Assicurazioni, Mailand; Meili, Peter Architekten: Marcel Meili, Markus Peter; Bernd Habersang, Dan Schürch; Andreas Alber, Thaeba Ayubi, Nazario Branca, Dominik Fiederling, Alice Hucker, Gunter Klix, Ricarda Metelmann, Ilona Schneider; Ingenieure: Grignoli Muttoni Partner, Lugano; Fassadenplaner: Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein; Landschaftsarchitektur: Vogt Landschaftsarchitekten, Zürich; Lichtplaner: Licht Kunst Licht, Bonn
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