9.Inhalt des SchV VI

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Sozialwissenschaften, Recht, Vertrag
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Schuldrecht AT, 06.05.2014 PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)

IV. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte 1. Grundlagen • Privatautonomie verlangt, dass die Parteien den Inhalt ihres Vertrags grundsätzlich frei selbst vereinbaren können. • Daher stets Vorrang der Vertragsauslegung und des Parteiwillens! • Vertragsparteien müssen sich aber nicht zwingend über den Inhalt einigen: – Soweit die essentialia negotii geregelt sind, greift im Übrigen dispositives Gesetzesrecht ein (teilweise sogar bei essentialia, vgl. z.B. § 612 BGB). – Die Parteien können auch lediglich ein Verfahren zur Bestimmung des Vertragsinhalts vereinbaren.

2. Mögliche Verfahrensgestaltungen a. Die Parteien können hinsichtlich bestimmter Inhalte auf außervertragliche Quellen verweisen Beispiel: Für den Preis wird auf den Börsen- oder Marktpreis abgestellt; dynamische Verweisung auf bestimmte Musterverträge. • Der Verweis der Parteien bezieht sich auf (empirisch feststellbare) Tatsachen. • Der Vertragsinhalt ist zwar nicht bestimmt, aber bestimmbar • Grundsätzlich keine besondere Kontrolle notwendig (Ausnahme: AGB-Kontrolle bei Musterverträgen)

b. Die Parteien überlassen die Inhaltsbestimmung einer Partei § 315 BGB Bestimmung der Leistung durch eine Partei. (1) Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. (2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. (3) 1Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. 2Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

• Bei der Leistungsbestimmung durch eine Partei gibt es keine Einigung der Parteien hinsichtlich des konkreten Vertragsinhalts • Keine „Richtigkeitsgewähr“ des Vertragsinhalts durch prozeduralen Interessenausgleich • Nach § 315 I BGB daher grundsätzlich nur beschränktes Bestimmungsrecht nach „billigem Ermessen“. • Parteien können aber einer Partei auch die Bestimmung „nach freiem Belieben“ überlassen (vgl. § 319 Abs. 2 BGB), oder • den Ermessensspielraum, etwa durch Richtlinien, stärker einschränken • Ermessen „nach reiner Willkür“ ist nichtig nach § 138 BGB!

Beispiel: A ist Autosammler und auf Sportwagen der Marke Däumler-Bänz spezialisiert. Als ein neues Modell angekündigt wird, geht er sogleich zum Autohändler H und bestellt dort verbindlich ein Exemplar. Den genauen Kaufpreis kann H dem A noch nicht nennen, und sie tragen stattdessen im Vertragstext „Preis freibleibend“ ein. Da der neue Sportwagen ganz aus Kohlefasern und auch sonst aufwendigen Materialien hergestellt wird, steigen die Kosten der Herstellung stärker als erwartet. H sieht sich deshalb gezwungen, den Kaufpreis gegenüber A recht hoch anzusetzen, indem er die Herstellungskosten um einen gewissen Anteil erhöht, der auch ihm selbst noch einen geringen Gewinn belässt. A ist das indes immer noch viel zu teuer.

• Vereinbarung eines Bestimmungsrechts einer Partei prinzipiell auch in AGB möglich, aber – „nach freiem Belieben“ ist unwirksam nach § 307 II Nr. 1 BGB – Leistungs- und Preisbestimmungsrechte nur in den Grenzen der §§ 308 Nr. 4, 309 Nr. 1, 307 BGB • Voraussetzung eines Bestimmungsrechts ist, dass die Parteien vereinbart haben, dass eine Partei eine Leistung nach Ermessen bestimmen soll. • § 315 BGB ist daher nicht anwendbar, wenn die Bestimmungsgrundlage im Vertrag so gefasst ist, dass kein Ermessensspielraum mehr besteht.

Beispiel: B bezieht von der K Fernwärme unter einem langjährigen Liefervertrag. Dem Vertrag ist eine Anlage „Wärmepreis und Preisermittlung“ beigefügt, die die Formeln zur jährlichen Berechnung des Arbeitsund Grundpreises enthält und erläutert. K hat dem B nun eine Rechnung für den Zeitraum vom 1.4.2012 bis zum 31.3.2013 geschickt, die einen Nachzahlbetrag von 1000 Euro zugunsten der K ergibt und in der die verschiedenen von K zugrundegelegten Preise beziffert und erläutert werden. B hält die Preise für unbillig und die Preisbestimmung der K deshalb für unwirksam. Zurecht?

• Der Berechtigte muss sein Ermessen entsprechend den vertraglichen Vorgaben ausüben • Wenn keine Vorgaben, „billiges Ermessen“ (§ 315 Abs. 1 BGB) • „Billiges Ermessen“: Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und des in vergleichbaren Fällen Üblichen im Zeitpunkt der Ausübung des Bestimmungsrechts (BGHZ 41, 271) Beispiele: Wert der zu vergütenden Leistung bei Festsetzung des Entgelts; Aufwand und wirtschaftliche Bedeutung bei einem Gutachten; Verkehrswert einer Ware; gestiegene Bezugskosten bei Energielieferung

• Die Bestimmung wird durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der anderen Partei ausgeübt (§ 315 Abs. 2 BGB) • Eine einmal getroffene Bestimmung ist bindend und kann nicht mehr einseitig geändert werden. Beispiel: A hat beim Reiseveranstalter R eine Reise gebucht, bei der lediglich Mallorca als Reiseziel festgelegt war. Die Auswahl des Hotels sollte dagegen am Zielort durch R erfolgen. Als A auf Mallorca eintraf, quartierte R ihn zunächst in einem Fünfsternehotel ein, nach sechs Tagen will R den A aber in ein Einsternehotel umquartieren, da dies dem gezahlten Preis eher entspreche. Zurecht?

• Eine unbillige Bestimmung ist unverbindlich (§ 315 III 1 BGB) • Nach h.M. muss die Unbilligkeit gerichtlich geltend gemacht werden. Die Geltendmachung kann durch Einrede im Prozess oder durch Feststellungsklage erfolgen. • M.M.: h.M. mit dem Wortlaut des § 315 III 1 BGB nicht zu vereinbaren, Rechtsstellung der anderen Partei wird zu stark beschränkt • Wenn die Bestimmung für unverbindlich erklärt wird, bestimmt das Gericht den Inhalt des Vertrags selbst (§ 315 III 2 BGB). • § 315 III BGB gilt entsprechend bei anderen nicht ordnungsgemäß ausgeübten Bestimmungsrechten

c. Die Parteien überlassen das Bestimmungsrecht einem Dritten • Wenn die Parteien sich in der Sache nicht einigen können, werden sie u.U. einem vertrauenswürdigen oder besonders sachkundigen Dritten die Bestimmung überlassen. Beispiel: E ist Erbe des S, der über Jahre eine große Sammlung an indischen Götterstatuen aufgebaut hat. Nun kann E mit diesen Statuen aber nichts anfangen. Deshalb bietet er die ganze Sammlung zum Verkauf an. Bald meldet sich der Kenner K, der die Sammlung unbedingt haben will. E fürchtet indes, dass K ihn über den Tisch ziehen wird. Was ist E zu raten?

• Die Parteien können dem Dritten bei der Bestimmung grundsätzlich beliebige Vorgaben machen • Ohne besonderes vereinbarten Maßstab hat Dritter nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 317 I BGB) • Bestimmung erfolgt durch empfangsbedürftige WE gegenüber einem Vertragspartner (§ 318 I BGB) • Bei einem Willensmangel des Dritten kann der Vertrag nicht vom Dritten, sondern nur von den Vertragsparteien angefochten werden (§ 318 II BGB)

• Nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung des Dritten ist nur bei offenbarer Unbilligkeit unverbindlich (§ 319 I 1 BGB), das Gericht trifft dann eine eigene Entscheidung (§ 319 I 2 BGB). • Offenbare Unbilligkeit: Die Bestimmung verstößt in grober Weise gegen Treu und Glauben und dies drängt sich einem sachkundigen und unbefangenen Betrachter sofort auf (BGH, NJW 1991, 2761).

• Keine besondere Kontrolle (aber §§ 134, 138, 242 BGB!) einer Bestimmung nach freiem Belieben. Wenn Dritter Bestimmung nicht trifft, ist der Vertrag unwirksam (§ 319 II BGB).

Beispiel (Nach BGHZ 62, 314): M mietete 1956 ein Grundstück des V fest bis 1981. Auf diesem und einem weiteren von N gemieteten Grundstück wollte M eine Tankstelle betreiben. Bei einer unzumutbaren Veränderung des Wertverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sollte der Mietzins, den M an V entrichten musste, durch die örtliche IHK neu festgelegt werden. Die angerufene IHK setzte 1970 den Mietzins entsprechend der Wertsteigerung des Grundstücks von 450 auf 2000 DM herauf. Mit dem Vermieter N des vergleichbaren Nachbargrundstücks hatte sich M indes auf einen Zins von 700 DM geeinigt. M hält die Bestimmung der IHK für unwirksam. Zurecht?

Unterscheide: • §§ 317ff. BGB und Schiedsgutachten: Im Fall der §§ 317ff. BGB wird der Dritte rechtsgestaltend tätig. Bei einem Schiedsgutachten soll der Gutachter dagegen nur Tatsachen für die Parteien verbindlich feststellen. §§ 317ff. BGB geltend aber nach h.M. entsprechend.

Beispiel: Die TH Deggendorf hat einen regen Zulauf an Studenten und beauftragt deshalb die Firma F mit dem Bau eines Erweiterungsgebäudes. Nach der Abnahme des Gebäudes entdeckt die THD bald Risse im Estrich. Ein von ihr beauftragter Gutachter stellte an Musterproben fest, dass der Estrich teilweise porös und daher die Tragfähigkeit des Gebäudes gefährdet war. Die THD wendet sich nun an die Firma F und verlangt Nachbesserung. Die F soll den kompletten Estrich herausreißen und neu einbauen. F erkennt den Mangel des Estrich zwar grundsätzlich an, bestreitet aber, dass ein kompletter Austausch des Estrichs notwendig ist. Was können F und THD tun, um ein kostspieliges Gerichtsverfahren zu vermeiden?

Unterscheide: • §§ 317ff. BGB und Schiedsgutachten: Im Fall der §§ 317ff. BGB wird der Dritte rechtsgestaltend tätig. Bei einem Schiedsgutachten soll der Gutachter dagegen nur Tatsachen für die Parteien verbindlich feststellen. §§ 317ff. BGB geltend aber nach h.M. entsprechend. • §§ 317ff. BGB und Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO): Bei einer Schiedsvereinbarung soll ein Rechtsstreit unter den Parteien durch einen oder mehrere Schiedsrichter entschieden werden. Das Schiedsgericht übernimmt dabei die Aufgaben der ordentlichen Gerichte. Ein Urteilsspruch kann daher nur eingeschränkt überprüft werden.

Beispiel: Die Firma Sömens hat mit dem Unternehmen Baier einen Vertrag über die Errichtung eines Industriekomplexes abgeschlossen (Bausumme 1,5 Mrd €). Sömens sollte dabei ein neuartiges Gerät erstellen, in dem Baier eine wertvolle Chemikalie nach einem neuen Verfahren produzieren wollte. Nach einiger Zeit stehen die Gebäude, aber die Produktion der Chemikalie gelingt nicht. Baier sieht den Fehler in Mängeln des Baus, Sömens meint dagegen, dass das Verfahren Baiers als solches nicht funktioniere. Was können beide tun, um eine möglichst diskrete und schnelle Lösung ihres Streits herbeizuführen?

Literaturhinweise: • Kronke, Zur Funktion und Dogmatik der Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, AcP 183 (1983), 113-144 • Lembcke, Abgrenzung des Schiedsgutachtens von Schlichtung und Schiedsgerichtsverfahren, ZGS 2009, 548-553

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