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January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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VOLKSOPER WIEN

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Traumreise eines genialen Narren CLAUS PEYMANN. Der Regiemeister inszeniert am Burgtheater die Uraufführung von Peter Handkes Schauspiel in vier Jahreszeiten „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“.

FOTO: IAN EHM/NEWS

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in außergewöhnlicheres Stück für ein Comeback mit einer Uraufführung am Burgtheater kann man sich kaum vorstellen“, sagt ein vor Begeisterung strahlender Claus Peymann. „Peter Handkes neues Schauspiel ist ein großer poetischer Traum, und ich wünsche mir, dass etwas von dieser Neugier überspringt, die man in Wien im Theater vorfinden kann. Eine Neugier, die nicht nur auf Sensation und Kick-off reagiert, sondern auch auf Zauber, auf Musik, auf Träume.“ Handkes Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße ist tatsächlich nicht nur in seiner Struktur verblüffend, sondern auch eine sensationelle Herausforderung. „Ein ‚Ich‘ im Wechsel mit einem ‚Ich, Erzähler‘ und einem ‚Ich, der Dramatische‘ – (nicht immer unterschieden; zeitweise beide in einem)“, verheißt Handkes Personenliste des Stückes. Dazu kursiv geschriebene, durchaus spannende, seitenlange Anmerkungen, die auch gespielt werden können. „Ich halte das für ein richtig großes, unerhörtes Drama“, erklärt der Regisseur. „Hoffentlich gelingt es uns, diese seltsame Traumreise eines Dichters, eines Narren, eines Genialen, der in einen Krieg mit seiner Umwelt gerät, auch entsprechend umzusetzen.“ Das Aufregende, so meint Peymann, sei vor allem, dass der Dichter nicht ohne Ironie „die Hauptfigur des Ich in zwei Teile spaltet: den epischen und den dramatischen Peter Handke. Diese beiden Figuren machen die Komplexität dieses Ich aus. Das heißt, den epischen, betrachtenden, ruhigen Prosaschriftsteller und

den explosiven, manchmal auch neurotischen, wüsten Dramatiker: Zwei Seelen wohnen in meiner Brust.“ Handke selbst bezeichnet das Ich als „eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer“. So autobiografisch die Figur auch angelegt sein mag, sei doch, wie Peymann betont, vor der Erwartung zu warnen, es handle sich um ein „Schlüsselstück, das alles über den Autor erzählt“. „Es wäre völlig falsch, die Lüsternheit des Publikums auf Enthüllungen zu wecken“, sagt er. „Natürlich geht dieses Ich sehr stark von dem Schriftsteller namens Peter Handke aus, aber der Sprung in die poetische Qualität ist so groß, dass das irrelevant erscheint. Die Verschlüsselung ist extrem, es gibt keine SchlüssellochPerspektive. Es bleibt Phantasie, Fiktion, ein poetischer Traum, eine autonome Theatererfindung. Aber ist es nicht auch ein großer romantisch-ironischer Jux, die Hauptfigur ‚Ich‘ zu nennen? Bis hin zur köstlichen Ironie des Endes, wo der Dramatische gesteht, es sei ihm noch nie ein richtiger Theaterschluss geglückt. Der leidenschaftliche Wettstreit zwischen dem dramatischen und dem epischen Ich, wer von den beiden den besseren Schluss findet, wird hoffentlich eine wunderbare Szene.“ Peymann erzählt, dass er das Stück schon lange kennt. „Ich hab’ Handke über die Jahre hinweg immer wieder gebeten, schreib doch wieder etwas fürs Theater. Als ich einmal bei ihm in Chaville bei Paris war, hat er mir dieses noch unfertige Stück gegeben und gesagt: ‚Ich

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BURGTHEATER

DAS SPIEL VOM FRAGEN. Claus Peymanns erste große Handke-Uraufführung am Burgtheater 1992.

geh’ jetzt in den Wald spazieren und du kannst das Manuskript lesen.‘ Er ist weggegangen und ich bin beim Lesen kurz eingeschlafen, weil ich so erschrocken war. Dann hab’ ich sofort weitergelesen und vor Aufregung überhaupt nichts verstanden. Ich hab’ ihm gegenüber nur gefaselt. So hat er es mir auch trotz meiner Bitte nicht mitgegeben. Als ich später wieder einmal bei ihm war, hab’ ich gefragt: ‚Wie weit bist du denn inzwischen mit dem Stück?‘ Da hat er es mir wieder zum Lesen gegeben und ist wieder weggegangen. Und ich hab’ wieder geschlafen. Zugleich hab’ ich allerdings natürlich auch gespürt, dass es wirklich etwas ganz Großes ist. Aber ich war zu einem richtigen Gespräch darüber einfach noch nicht fähig.“ Nach diesem erstaunlichen Geständnis bekennt er grundsätzlich: „Ich wirke vielleicht schnell und gescheit, bin es aber nicht wirklich! Meine Suada, meine scheinbare Geschwindigkeit sind nur Überlebensstrategien. Letztlich bin ich ein langsamer, mühsamer Mensch. Es ist wohl meiner Begeisterung für die Literatur zu verdanken, dass ich das Glück hatte, so viele Autoren gut zu kennen. Möglicherweise verbindet uns auch, dass ich wahnsinnig gern Schriftsteller geworden wäre. Aber ich habe erkannt, dass ich den erforderlichen Preis für die Konsequenz, diese Art der Isoliertheit und Konzentration auf das Schreiben, nicht zu zahlen bereit war. Ich arbeite eben gern aus der Gruppe, aus der Familie heraus. Ich bin ungern einsam. Aber die Einsamkeit ist der Preis für die unheimlichen

DIE STUNDE DA WIR NICHTS VONEINANDER WUSSTEN. Peymanns zweite Handke-Uraufführung in Wien 1992.

Exerzitien, die Schriftsteller wie Bernhard, Handke, Turrini und natürlich auch Elfriede Jelinek auf sich nehmen. Diese Isolation war ich nicht bereit zu tragen.“ Ob sich Peter Handke seinen langjährigen Weggefährten, der bisher immerhin zehn seiner Stücke uraufgeführt hat, nach den Erlebnissen in Chaville auch als Regisseur seines jüngsten Stückes gewünscht hat, kann Peymann nicht sagen. „Wir sind so unterschiedlich“, meint er, „hier der katholische Mystiker und großartige Dramatiker, dieser stille und zugleich aggressive Aufklärer aus Österreich, und auf der anderen Seite dieser protestantische Dickkopf aus Bremen, größere Kontraste gibt es kaum. Aber ich glaube, darin liegt auch der Reiz. Ich habe im Grunde weder mit der Jelinek noch mit Turrini, Bernhard oder Handke etwas gemein – außer, dass ich sie liebe. Fremd sind wir uns immer geblieben.“ Immerhin überdauerte ja die Beziehung zwischen dem Autor und dem langjährigen Burgtheater-Direktor und Regisseur nun schon mehrere Jahrzehnte. „Da hat es viele ganz unterschiedliche Gespräche und Diskussionen über das jeweils neue Stück gegeben“, erzählt Peymann. „In den ersten Jahren war das immer sehr offen und bereitwillig. Später, in meiner Wiener Direktionszeit, in die ja vier Handke-Uraufführungen gefallen sind, habe ich manchmal eine Woche lang bei ihm in Chaville gewohnt und ihn gelöchert mit Fragen. Da war er ständig auf der Flucht vor mir, das hat ihn, glaube ich, wahnsinnig gemacht. Aber später bei den zwei Uraufführun-

ZURÜSTUNGEN FÜR DIE UNSTERBLICHKEIT.  Peymanns dritter Streich 1997

gen im Berliner Ensemble gab es wieder freundschaftliche Treffen bei ihm zu Hause. Das hat er nun bei seinem neuen Stück allerdings rigoros verweigert, mir praktisch nichts dazu gesagt. Wir haben nur über den einen oder anderen Schauspieler gesprochen, aber kaum über das Stück selber. So gilt es jetzt für uns, den eigenen Weg zu suchen und zu finden. Leicht war das nie bei seinen Stücken.“ Dennoch ist Peymann nach wie vor hundertprozentig überzeugt von Handkes Begabung als Dramatiker: „Er selbst äußert da ja gewisse Zweifel, aber ich habe seine dramatische Kraft in all den Jahren immer wieder voll Begeisterung erkannt. Seine Stücke greifen auch oft weit voraus und sind auf eine ganz besondere Art mit der politischen Situation der Zeit verbunden. Darüber hinaus hat er nahezu mit jedem seiner Stücke das Theater neu erfunden. Die Publikumsbeschimpfung ist nichts anderes als die Theater gewordene Revolte der 68erJahre, Kaspar nichts anderes als das ungehörige Objekt, das domestiziert werden sollte, Das Mündel will Vormund sein, das wir in der Zeit der großen Schlachten in Frankfurt uraufgeführt haben, ist nichts anderes als das, was damals die Studenten wollten: das Mündel Student wollte Vormund sein, wollte die Macht. Das lässt sich bei den meisten seiner Stücke entsprechend weiterführen.“ So erregten Autor und Regisseur bereits vor 50 Jahren mit der heiß diskutierten Publikumsbeschimpfung das erste große Aufsehen. „Handke kam mit langen Haaren und den neuesten Platten

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FOTOS: BÜHNE-ARCHIV (2), MONIKA RITTERSHAUS, RUTH WALZ (2)

IMMER NOCH STURM. Die vierte HandkeUraufführung 2011 am Burgtheater, diesmal inszeniert von Dimiter Gotscheff.

der Rolling Stones nach Frankfurt und fuhr von dort zu seinem spektakulären Auftritt vor der Gruppe 47 nach Princeton weiter. Vorher hat er mir auch Briefe über seine Vorstellungen zur Inszenierung geschrieben, unter anderem mit dem Satz ‚Rolling Stones anhören und die Speichen eines Fahrrades beobachten‘, und zum ersten dramaturgischen Gespräch trafen wir uns auf einem Tretboot auf dem Main. Nach der Uraufführung standen wir inmitten des Gebrülls der Begeisterung auf der Bühne und er flüsterte mir zu: ‚Quatsch inszeniert.‘ Das war unsere einzige Begegnung auf der Bühne. Im Prinzip ist es bis heute so geblieben.“ Von dieser frühen, aufregenden und sensationell erfolgreichen Zeit gelingt es Peymann auch immer wieder den Bogen ins Heute zu schlagen und Glücksmomente zu erleben. „Ich liebe es, mich zusammen mit meinen Schauspielern auf die Expedition in Handkes neuestes Werk zu begeben. Etwas von dem Konflikt, dass dieses ‚Ich‘ gegen die Massengesellschaft, die ‚Unschuldigen‘, einen Kampf beginnt, erinnert mich auch an den vor unzähligen Jahren von mir uraufgeführten Kaspar Handkes, diesen seltsamen Parsifal, der in eine Welt hineingerät, die ihn nicht aufnimmt. Es ist der klassische Konflikt des kreativen, träumenden, glaubenden Individuums gegen eine Massengesellschaft, nun die ‚Unschuldigen‘, die sich gegen das ‚Ich‘, den seltsamen Narren, verbünden, ihn nicht ernst nehmen, ihn lächerlich machen, verspotten. Wesentlich ist dabei die Straße, eine abgelegene Straße, wie eine

Insel des Prospero, auf der sich das Ich eingenistet hat. Da wohnt er, das ist seine Welt, und die verteidigt er gegen den Anspruch der Unschuldigen. Es geht um einen letzten Zufluchtsort des Ich.“ Wenn Handke, wie Peymann erzählt, selbst sagt, dass das Ich auch eine Figur von Raimund sein könnte, so ist die „Unbekannte“, die große Liebe, die ihn mehrfach zu retten versucht, „eine erlösende Zauberfee, ein Luftgeist, ein Ariel“. „Es gibt eine Szene, wo diese Zauberfee wie aus einer musikalischen Traumwelt von Raimund entsprungen die ganze Unschuldigen-Gesellschaft verzaubert, dass sie alle zu Kindern werden. Ich vergleiche die Straße deshalb mit der Insel des Prospero, weil eben auch die Welt der Kindheit, der Träume, der Märchen wieder zum Vorschein kommt, diese Zauberwelt, die wahrscheinlich in jedem Schriftsteller in einer bestimmten Weise lebt. Dieses letzte Refugium, das dem Ich genommen werden soll, ist eben das große Thema dieses Stückes. Da sind wir gar nicht mehr so weit weg vom Heute – dieser Auseinandersetzung des kreativen, besonderen, seine Kindheit noch lebendig erhaltenden Individuums gegen eine Massengesellschaft.“ Zugleich sei aber auch etwas von einer Farce dabei. „Handke hat mich einmal am Telefon gefragt: ‚Habt ihr bei der Leseprobe auch viel gelacht?‘ Und ich konnte sagen: ‚Ja! Wir waren eingeschüchtert, aber haben uns zugleich auch amüsiert.‘ Ich hoffe, dass uns das über die Schauspieler, insbesondere über dieses wunderbare Quartett der

DIE SCHÖNEN TAGE VON ARANJUEZ. Luc Bondy besorgt die fünfte Handke-Uraufführung 2012 im Akademietheater.

Hauptfiguren, nämlich Christopher Nell, Regina Fritsch, Maria Happel und Martin Schwab auch alles zu vermitteln gelingt. Es ist ja wirklich sehr schön, dass ich mit alten Weggefährten wieder Theater machen kann, aber auch, dass ich, da es eine Koproduktion mit dem Berliner Ensemble ist, einige Schauspieler aus Berlin mitbringen konnte. Da möchte ich als Allerersten Christopher Nell nennen, unser episches wie dramatisches Ich, sowie der Berliner Hamlet, Peter Pan und Mephisto, der dort Triumphe feiert. Es ist eine sehr schöne Begegnung von Berliner und Wiener Schauspielern. Ich bin Karin Bergmann, die den Mut hatte, mich ans Burgtheater einzuladen, dankbar dafür und hoffe, ich kann ihr etwas von meiner Dankbarkeit in der Inszenierung zurückgeben.“ Und wie wird’s, wenn der Berliner Vertrag Peymanns in eineinhalb Jahren ausläuft? „Ich bin dann 80 Jahre alt, mit 80 muss Schluss sein! Ich empfinde mich ja selber schon als anachronistische Figur. Vielleicht kann ich noch da oder dort das eine oder andere Stück inszenieren, noch fühl’ ich mich frisch und neugierig. Und Wien baut mich jetzt auf, weil man mir hier so häufig eine offenkundig starke und leidenschaftliche Erinnerung zeigt. Es heißt ja, man muss gestorben sein, um in Österreich geliebt zu werden. Ich hab’ es jetzt vielleicht im letzten Moment noch ohne Todesfall geschafft, dass ich, überspitzt gesagt, zur Legende werde. Hoffentlich auch noch nach der PremiB ere.“ KARIN KATHREIN

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