Altes bewahren, Neues bauen

February 2, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Architektur
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Altes bewahren, Neues bauen 25 Jahre Stadtentwicklung

Inhalt

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Gesichter einer Stadt Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft

24 Ist Parchim noch zu retten? Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende

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Moderne Stadt mit grünem Herz Parchim heute

76 Neues bauen Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen

90 Das historische Erbe bewahren Baugeschichte und Denkmalschutz

98 Pläne, Projekte, Potenziale Was bleibt zu tun?

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Parchimer Schmuckstücke Die schönsten Sanierungsobjekte auf einen Blick

VORWORT // Altes erhalten und Wichtiges erneuern // Zwischen Geschichte und Zeitgeist ........... 4 VORWORT // Ein enormer Erneuerungsprozess // Die Schönheiten von »Pütt« ............................... 6 Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft ......................................... 8 INTERVIEW // Wolfgang Westphal »Ein hartes Ringen« ................................................................. 16 Moderne Stadt mit grünem Herz // Parchim heute ...................................................................... 18 INTERVIEW // Bernd Rolly »Das war großartig« ............................................................................. 22 Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende ......................... 24 INTERVIEW // Günther Wrede »Wir haben Glück gehabt« ............................................................. 34 INTERVIEW // Robert Erdmann »Die Städtebauförderung ist ein Glücksfall« ................................. 36 Parchimer Schmuckstücke // Die schönsten Sanierungsobjekte auf einen Blick ......................... 40 INTERVIEW // Gabriele und Hans-Dieter Mathews »Wir würden es wieder tun« .......................... 52 INTERVIEW // Ulf Harm »Wir alle haben gelernt« ........................................................................... 74 Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen ................................................................ 76 INTERVIEW // Norbert Kreft »Parchim darf kein Museum sein« .................................................... 82 Raum für Spiel und Abenteuer // Die Spielplätze ......................................................................... 84 Tiefgreifende Erneuerung // Die Sanierung der Infrastruktur ....................................................... 86 Das historische Erbe bewahren // Baugeschichte und Denkmalschutz ....................................... 90 Neue Rahmenplanung // Richtschnur für die Zukunft ................................................................... 94 Pläne, Projekte, Potenziale // Was bleibt zu tun? .......................................................................... 98

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VORWORT

Altes erhalten und Wichtiges erneuern Zwischen Geschichte und Zeitgeist Liebe Parchimerinnen und Parchimer, werte Gäste, unsere Stadt hat in den vergangenen 25 Jahren mithilfe der Städtebauförderung Vieles geleistet und kann mit Freude auf die Ergebnisse verweisen. Gelungene Beispiele in der Altstadt oder der Weststadt belegen die Vielfalt und Vitalität von Parchim. Die ganze Palette an Ergebnissen einer konstruktiven Städtebauförderung zeigt, in welch großer Form dieses Programm nachhaltig in den Kommunen wirkt. Gelungene Städtebauförderung ist Stadt­ entwicklung im höchsten Maße. Hier werden Altes erhalten und für die Kommunen Wichtiges neu gestaltet. Damit gelingt auch ein Stück Kulturwandel und man ist in der Lage, Zentren zu stabilisieren. Parchim hat davon in den letzten Jahren ungemein profitiert. Vielfältige Projekte sind damit auf den Weg gebracht und umgesetzt worden.

Dirk Flörke // Bürgermeister der Stadt Parchim

Gerade der historische Stadtkern hat hier ungemein partizipiert und ist in den zurückliegenden Jahren zu einem wahren Schmuckstück geworden. Ohne die Unterstützung von Bund und Land wären zum Beispiel das »Zinnhaus« oder die gelungene Symbiose von Alt und Neu beim Stadthaus nicht mit diesem Erfolg möglich gewesen. Alle Bürger und Besucher Parchims sehen an vielen Beispielen, wie eine fast 800 Jahre alte Stadt sich ihre Geschichte bewahrt und dabei den Zeitgeist von heute trifft. Ich finde, all das kann sich sehen lassen und wir haben allen Grund, darauf stolz zu sein. Wir werden diesen Weg weitergehen und unsere Stadt damit auch in Zukunft lebenswerter und attraktiver gestalten.

Ihr Bürgermeister Dirk Flörke

Altes erhalten und Wichtiges erneuern // Bürgermeister Dirk Flörke // 5

»Parchims Stadtkern ist zum wahren Schmuckstück geworden.«

Blick über den Wockersee // Wer sich Parchim nähert, entdeckt hinter dem Wockersee die beiden großen Kirchtürme.

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VORWORT

Ein enormer Erneuerungsprozess Die Schönheiten von »Pütt«

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as Bild der historischen, denkmalgeschützten Altstadt von Parchim ist beeindruckend. Straßen und Plätze wurden hochwertig gestaltet. Liebevoll sanierte Gebäude zeugen vom Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner bei der Erneuerung ihrer Häuser. Von 1991 an sind rund 160 private Gebäude, rund 30 Erschließungsmaßnahmen und neun Gemeindebedarfseinrichtungen saniert und modernisiert worden. Beispielsweise im Sanierungsgebiet »Östliche Altstadt« die Erweiterung des Präsidentenhauses zum Stadthaus, die Modernisierung des Rathauses und die Umgestaltung des Schuhmarktes, ein zentraler Platz für viele Veranstaltungen in der Stadt Parchim.

Die Altstadtsanierung in Parchim ist vor allem auch dank der Unterstützung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, des Bundes und engagierter Bürgerinnen und Bürger vor Ort eine Erfolgsgeschichte. Knapp 28 Millionen Euro Finanzhilfen haben zur Revitalisierung des historischen Stadtkerns beigetragen. Doch Altstadt­sanierung ist ein fortwährender Prozess. Das Wirtschafts- und Bauministerium wird die Stadt weiterhin bei ihren Aufgaben unterstützen. Die vorliegende Broschüre fasst den enormen Erneuerungsprozess der Stadt eindrucksvoll zusammen und zeigt die Schönheiten von »Pütt«, wie die Parchimer ihre Stadt liebevoll nennen.

Harry Glawe Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern

Harry Glawe // Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern

Ein enormer Erneuerungsprozess // Minister Harry Glawe // 7

»Altstadt­sanierung ist ein fortwährender Prozess.«

Schuhmarkt // Dank Stadterneuerung sprudelt hier nicht nur ein Brunnen, sondern auch das Leben.

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Gesichter einer Stadt

Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft

»Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen«, meinte der Schriftsteller William Faulkner. Dass der Satz stimmt, zeigt sich in Parchim auf Schritt und Tritt. Die in den letzten 25 Jahren aufwändig und liebevoll sanierte Stadt an der Elde verbindet heute Vergangenheit und Gegenwart.

Blick von der St. Georgenkirche // Die Jahrhunderte währende Geschichte der Stadt ist in Parchim an vielen Stellen noch sicht- und erlebbar.

3 ////Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft 10

St. Marienkirche // Die Hallenkirche ist ein schönes Beispiel der norddeutschen Backsteingotik. Sie überragt mit ihrem Turm die Altstadt.

Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft // 11

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ein, das Vergangene ist nicht vergangen. Seine Spuren beleben unsere Gegenwart. Nirgends wird das so deutlich wie bei einem Bummel durch die Parchimer Altstadt. Wer heute durch die Blutstraße, über den Schuhmarkt, durch die Lindenstraße bis zu den historischen Wallanlagen schlendert, der fühlt sich ein wenig aus der Zeit gefallen. Die imposanten Backsteinbauten mit ihren markanten Giebeln, die charmanten Fachwerkhäuser mit ihren bunten Fenstern und Toren und die Reste der einst so soliden Stadtmauer erzählen von einer versunkenen Zeit. Einer Zeit, in der in Parchim, wie in vielen norddeutschen Kleinstädten, Glück und Unglück, Blüte und Niedergang, Zerfall und Aufschwung nah beieinander lagen. Bewegte Vorzeit Das Vergangene ist nicht vergangen. Wer heute im Nordwesten Parchims den Burgwall am Bleicherberg besucht, kann direkt in Parchims früheste Vergangenheit reisen. Hier lag der Zugang zur Burganlage, die vermutlich schon seit der Besiedlung des Landes durch slawische Stämme im 7. oder 8. Jahrhundert existierte. Damals war die mächtige Burg rundum von Wasser geschützt: Die Elde, der Burgteich (heute Kleine Wiese) und der Burggraben (heute Wocker- oder Papiermachergraben) sollten schwer bewaffnete Feinde aufhalten.

nannten. Zentren dieser Siedlung waren ein lebendiger Straßenmarkt und eine romanische Basilika. Schon 1225/1226 erhielt die Siedlung das Stadtrecht. Ihre Struktur ist noch heute in Teilen des Schuhmarktes und rund um die St. Georgenkirche zu entdecken. Übrigens: Von St. Georgen aus wurde Ende des 12. Jahrhunderts die Gegend missioniert. 1246 kamen Franziskaner-Brüder nach Parchim und bauten ihren Konvent am Rand der Neustadt.

Wie viele norddeutsche Burgen bestand die imposante Anlage aus einem mit Holzbalken verstärkten Erdwall mit einem Wehrgang auf der Wallkrone. Im Inneren standen die Wohn- und Wirtschaftsgebäude, die vermutlich schon aus Backsteinen gemauert waren. Die mittelalterliche Burg, die 1170 immerhin von Kaiser Friedrich I. Barbarossa in einer Urkunde erwähnt wurde, war die Keimzelle der späteren Stadt Parchim. Schon zu Barbarossas Zeiten gab es östlich der Burg eine ständig wachsende landwirtschaftliche Siedlung und Handelsniederlassung, die die Einheimischen »Vorburg«

Erste Blüte, früher Aufschwung Der Aufschwung begann, als Parchim 1237 für knapp 80 Jahre Residenzstadt wurde. Fürst Pribislaw von Parchim-Richtenberg residierte nicht nur auf der Burg. Er gründete um 1240 am linken Eldeufer, westlich des bisherigen Ortes, eine neue Siedlung. Sie wurde planmäßig angelegt und bekam nicht nur einen rechteckigen Marktplatz, sondern auch eine Kirche, die 1278 geweihte St. Marienkirche. Beide Siedlungen, Alt- und Neustadt, hatten zunächst wenig miteinander zu tun. Die Elde, die heute ganz Parchim verbindet, war damals Stadtgrenze und trennte die beiden Siedlungen.

St. Georgenkirche // Die gotische Backsteinkirche entstand ab 1289. Der ursprünglich höhere Turm wurde 1612 durch ein Feuer zerstört.

Wer heute durch die Altstadt schlendert, fühlt sich ein wenig aus der Zeit gefallen.

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Parchim hatte beste Voraussetzungen für einen lebhaften Handel: Das Wasser der Elde und die Ostsee.

Doch 1282 vereinigten sich beide Städte. Etwa zur selben Zeit, als die beschädigte St. Georgenkirche neu aufgebaut und geweiht wurde (1307) errichteten die Parchimer (zwischen 1289 und 1310) ihre 2,7 Kilo­meter lange, 90 Zentimer dicke und 5,5 Meter hohe Stadtmauer. Auch hier gilt: Das Vergangene ist nicht vergangen, denn noch heute sind Teile dieser Stadtmauer zu besichtigen. Jahrhundertelang blieb die Mauer Parchims Grenze, erst 1863 wurde mit dem Wallhotel (heute Sparkasse am Moltkeplatz) ein Gebäude außerhalb der alten Stadtmauer gebaut. Durch die drei Stadttore (Neues Tor, Kreuztor, Wockertor), kamen nicht nur die Parchimer in ihre Stadt, sondern auch immer mehr Händler und Kaufleute – und mit ihnen ein erster Aufschwung für die Stadt. Schließlich hatte Parchim die besten Voraussetzungen für einen lebhaften Handel: Das Wasser der Elde floss direkt vor der Haustür, die Ostsee war nicht weit, erste Straßen entstanden. Bis zum 16. Jahrhundert mauserte sich Parchim zum wichtigen Binnenhandelsplatz. Rund 3000 Menschen lebten damals in der Stadt, sie handelten mit Tuchen und landwirtschaftlichen Produkten oder arbeiteten als Woll- und Leineweber, Schuhmacher,

// STADTWISSEN // Sonnengott oder Pfütze – wie Parchim zu seinem Namen kam Eines ist sicher: Das Wort Parchim stammt aus dem Slawischen. Über die Bedeutung des Begriffes sind Historiker uneins. Die nette Variante: »Parchim« könnte vom Namen des Sonnengottes »Parchom« abgeleitet sein. Die weniger freundliche Version: Der ursprüngliche Name »Parchom« könnte vom polnisch/niedersorbischen Wort »parch« abstammen, was übersetzt etwa »Räude« bedeutet und einen räudig-wüsten Ort in der Feldmark bezeichnet. Im 12. Jahrhundert wurden »Parchim« und »Parchem« noch gleichzeitig benutzt, bevor sich der heutige Ortsname endgültig durchsetzte. Weniger umstritten ist der Spitzname Parchims, »Pütt«. Er kommt aus dem Plattdeutschen und setzte sich – meist liebevoll gebraucht – in den 1920-er Jahren unter den Parchimern durch. Das plattdeutsche »Pütt« (Pfütze) spielte wahrscheinlich ursprünglich auf die Größe des Parchimer Wockersees an, wird aber inzwischen für die gesamte Stadt gebraucht. Wasser gibt es schließlich auch heute in und um Parchim reichlich.

Schmiede, Knochenhauer, Schneider und Fischer. Auch sie haben in der Stadt Spuren hinterlassen. Etliche der alten Parchimer Fachwerkhäuser zeugen von der Tüchtigkeit und dem Wohlstand der heimischen Handwerker. Einfuhrsteuern, die am Kreuztor, Wockerntor und Neuem Tor entrichtet werden mussten, brachten zusätzlich Geld in die Stadtkasse. Parchim wurde zum Zentrum der Reformation im Land und zum größten Landbesitzer Mecklenburgs nach Rostock. Es gab ein Schulzentrum, ein Gericht und reichlich Militär. Rückschläge und neue Bauten Die nächsten Jahrhunderte machten der Blüte Parchims vorerst ein Ende. 1582 und 1612 wüteten Brände und verwüsteten große Teile der Altstadt. Die gefürchtete Pest (unter anderem 1583 und 1626) und die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) zogen über das Land und ließen auch Parchim nicht verschont. Während 1620 noch rund 5000 Menschen in der Stadt lebten, waren es knapp 30 Jahre später lediglich 1300. Doch die Stadt an der Elde rappelte sich wieder auf. Parchim wurde Sitz des Hofund Landgerichtes (1667-1708), wenig später (1733-1788) war Parchim unter preußischer Pfandbesetzung. Die Einwohnerzahl stieg in dieser Zeit wieder auf rund 4000. Auch Juden siedelten sich damals im Ort an; am Voigtsdorfer Weg, westlich des Wockersees, errichteten sie ihren Jüdischen Friedhof. Dort fanden noch bis 1938 Begräbnisse statt. 1813 kämpfte der Landsturm gegen Napoleons Truppen, fünf Jahre später wurde Parchim Sitz des Oberappellationsgerichtes. Um dem Gericht eine würdige Bleibe zu bieten, bauten die Parchimer ihr Rathausgebäude 1818 um. Auch in den kommenden Jahrzehnten wurde viel gebaut, etwa das Friedrich-Franz-Gymnasium (1827), die Gewerbeschule (1838), Real- (1841) und Volksschule (1848), ein größeres Gymnasialgebäude (die heutige

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Goethe-Schule, 1890) und ein Jahr später das neue Volksschulhaus (heute FritzReuter-Schule). Schwung für Industrie und Verkehr Im 19. Jahrhundert war es in Parchim wie in vielen Städten mit der noch mittelalterlichen Beschaulichkeit im Handwerk vorbei. Erste Fabriken entstanden, so schon 1819 eine Tuchfabrik, in den nächsten Jahrzehnten gaben unter anderem eine Papiermühle, die Maschinenfabrik Bauer, eine Back­ofenfabrik und die Victoriamühle den Parchimern Arbeit. Kein Wunder, dass die alten Stadtmauern dem aufstrebenden Ort zu eng wurden. Ab 1863 wurde auch außerhalb der Mauern gebaut. Auch sonst wurde die Stadt moderner: 1820 montierten die Parchimer ihren Galgen ab, 1832 wurde eine demokratischere Stadtverfassung eingeführt, sechs Jahre später eine neue Gesindeordnung. 1841 kam mit dem Bau der Ludwigsluster Chaussee Schwung in den Verkehr, 1862 bekam Parchim ein Telegrafenamt und

eine Gasanstalt und schließlich 1880 Bahnanschluss (Strecke Parchim-Ludwigslust). 1885 folgte der Anschluss an das Netz der Mecklenburgischen Südbahn Parchim-Neubrandenburg. Schon seit 1845 gab es eine »Kleinkinderbewahranstalt«, trotz des abstoßend wirkenden Namens ein großer Fortschritt, und seit 1867 war Parchim Standort des 2. Mecklenburgischen Dragonerregiments Nr. 18. Licht und Schatten Das Vergangene ist nicht vergangen. Noch heute erinnert am Dammer Weg ein Denkmal, das seit 1922 von der Stadt gepflegt wird, an eines der größten Kriegsgefangenenlager Deutschlands. Es wurde mit Beginn des 1. Weltkrieges auf dem ehemaligen Kavallerieexerzierplatz am Stadtrand gebaut und konnte bis zu 25.000 Gefangene aufnehmen. Viele von ihnen starben hier.

Alter Markt // Der Platz findet schon ab 1282 Erwähnung. Das Backstein­ giebelhaus entstand im 17. Jahrhundert im Stil der flandrischen Renaissance.

Auch wenn Parchim 1921 elektrischen Strom bekam, 1925 Amtssitz beziehungsweise Kreisstadt wurde und die Einwohnerzahlen weiter stiegen, bleiben die dunklen

Schuhmarkt // Der Platz im Zentrum Parchims ist heute einer der lebendigsten Orte der Altstadt. Woher der Name stammt, ist nicht geklärt.

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// STADTWISSEN // Klein aber fein – Die Entwicklung der Einwohnerzahlen Parchims 1500 1620 1648 1789 1830 1850 1910 1939 1974 1990 2000 2005

= = = = = = = = = = = =

3.000 5.000 1.300 4.000 5.800 6.270 12.804 16.000 23.000 23.800 20.048 19.348

Stadtdenkmal // Als Fachwerkstadt wurde Parchim bereits 1970 in die Liste der Stadtdenkmale aufgenommen. Viele historisch Häuser verfielen aber bis 1989 noch weiter.

Kapitel der Stadtgeschichte unvergessen. Dazu gehört auch der nationalsozialistische Terror. 1937 wurden 22 jüdische Familien misshandelt, sie wanderten anschließend aus oder wurden deportiert. Im November 1938 wurde der Parchimer Jüdische Friedhof geschändet und zerstört.

Neuanfang und Verfall Auch nach Kriegsende blieben Licht und Schatten. An die oft brutalen Verhöre der sowjetischen Geheimpolizei NKWD in der Schweriner Straße 3/4 erinnert seit 1993 eine Gedenktafel. Die Tuchfabrik wurde enteignet und zu Volkseigentum.

Heute erinnern, auch auf Initiative des Parchimer Heimatbundes, zehn Stolpersteine an die jüdischen Bürger der Stadt – unter anderem vor der stilvoll restaurierten Villa in der Pulitzer Straße 43 in Erinnerung an den Kaufmann Gustav Josephi. Gustav Josephi, 1857 geboren, gehörte als Stadtverordneter und Vorsitzender des Handelsvereins zu den angesehensten Parchimer Bürgern. 1935 musste er die Stadt verlassen. Er starb 1943 im KZ Theresienstadt.

Besonders seit den 1960-er Jahren wurde in der Stadt kräftig gebaut. Ein Gasbetonwerk (1961), ein Hydraulikwerk (1968) und eine Poliklinik (1973) entstanden. Ab 1963 wurde aus der Weststadt eine modern angelegte Großwohnsiedlung, größtenteils in Plattenbauweise.

Kein Zeichen des Gedenkens gibt es bislang für die Zwangsarbeiter, die zwischen 1939 und 1945 in einem Parchimer Lager schuften mussten. Den Krieg selbst überlebte Parchim ohne größere Zerstörungen. Am 3. Mai 1945 zog die Rote Armee in die Stadt ein.

1970 wurde Parchim in die Liste der regionalen Stadtdenkmale der DDR aufgenommen – ein eher symbolischer Akt, denn saniert wurde die Altstadt nicht. Im Gegenteil: Bis 1989 verfielen viele der historischen Gebäude immer mehr, Putze bröckelten, Dächer waren undicht, Mauern feucht. Die Vergangenheit schien über die Gegenwart zu siegen. Würde die Parchimer Altstadt überhaupt eine Zukunft haben?

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Putze bröckelten, Dächer waren undicht, Mauern feucht. // STADTWISSEN // Spur der Erbsen – wie dem Räuber Vieting das Handwerk gelegt wurde Das Vergangene ist nicht vergangen. Das beweist auch die Sage vom Räuber Vieting (oder Viting), der angeblich in grauer Vorzeit rund um den Sonnenberg bei Parchim sein Unwesen trieb. Dort gibt es eine Höhle, in der sich der Räuber einst versteckt haben soll. Noch heute heißt diese Höhle Vietingskeller. Die nicht ganz jugendfreie Sage – die erste schriftliche Fassung stammt aus dem Jahr 1670 – ist schnell erzählt: Räuber Vieting – offenbar ein norddeutscher Rübezahl mit rotem Bart und bösen Augen – machte jahrelang die Wälder um Parchim unsicher. Von regulärer Arbeit hielt der Räuber wenig. Lukrativer war es, allein oder mit seiner Bande, reichen Kaufleuten aufzulauern, ihnen ihr Hab und Gut abzuknöpfen und sie anschließend zu ermorden. Weil ein solcher Schurke nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern auch ein Imageschaden für Parchim war, versuchten die Stadtväter mit allen Mitteln, Vieting festzusetzen. Doch sie scheiterten an der Klugheit des Räubers. Hier tritt das Mädchen Isalbe auf, das sich von ihrem Dorf Slate aus zum Einkauf nach Stolpe auf den Weg machte. Ahnungslos marschierte es am Parchimer Sonnenberg vorbei und wurde prompt von Räuber Vieting gekidnappt.

In einigen Versionen der Sage musste Isalbe seine Haushälterin, in anderen Versionen seine Frau werden – man kann sich ja denken, dass der räuberische Junggeselle sie nicht nur zum Sockenstopfen brauchte. Isalbe musste schwören, dass sie Vieting nie verraten würde – und stürzte in einen heftigen Gewissenskonflikt: Einerseits wollte sie potentielle Opfer warnen, andererseits ihren Mann nicht verraten. Als Isalbe von den Räubern zum Einkauf nach Parchim geschickt wurde, streute sie auf dem Hinweg Erbsen aus und klagte auf dem Rückweg dem Schlagbaum am Parchimer Stadttor ihr Leid: »Wo ich die Erbsen hinstreue, da folgt mir. Wo die letzten Erbsen sind, da ist Vieting gewiss. Ich will meinen Mann nicht verraten, aber die Erbsen können ihn verraten.« Wie es der Zufall wollte, hörte ein Stadtsoldat Isalbes Klage und alarmierte seine Kollegen. Dank der Erbsen konnten sie Vieting finden und fangen – und Isalbe hatte ein reines Gewissen. Freilich hatten nicht alle Versionen der Sage dies Happy­ end. In manchen Überlieferungen hieß es, Vieting habe vor der Hinrichtung seine Frau noch einmal sehen wollen. Beim letzten Kuss biss er ihr – zur Strafe für ihren Verrat – die Zunge ab.

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INTERVIEW

»Kaum mehr als zehn Häuser wurden abgerissen. Um jedes ist es schade.«

»Ein hartes Ringen« Der Pädagoge Wolfgang Westphal kümmerte sich in den 1970-er und 80-er Jahren ehrenamtlich um Parchims historisches Erbe. Das war, trotz mancher Erfolge, keine leichte Aufgabe.

Herr Westphal, als Stadtführer bringen Sie Besuchern heute die schönsten Seiten Parchims nahe. Warum ist Parchim so schön? Parchim ist eine historisch gewachsene Stadt. Bis etwa 1863 durfte nur innerhalb der Stadtmauern gebaut werden. Wir haben zwei großartige mittelalterliche Hallenkirchen und eine Altstadt, deren Struktur vor Jahrhunderten von Kaufleuten und kleinen Handwerkern geprägt wurde. Der niederdeutsche Schriftsteller Rudolf Tarnow, 1867 in unserer Stadt geboren, schrieb, in Parchim sei „wie in der Spielzeugschachtel“ gebaut worden. Das stimmt. Wie kommt es, dass die Altstadtstrukturen so intakt sind? Das liegt nicht zuletzt daran, dass Parchim im Zweiten Weltkrieg kaum beschädigt und am 3. Mai 1945 kampflos an die Rote Armee übergeben wurde. Nur vier Häuser waren zerstört.

Wolfgang Westphal // Bereits seit den 1970-er Jahren bemüht sich der ehrenamtliche Stadtführer um das historische Erbe der Eldestadt.

Schaut man auf alte Fotos aus den 1980-er Jahren, scheint es, als sei der Zeit gelungen, was der Krieg nicht schaffte: Die Altstadt wirkte verfallen. In den 1950-er und 60-er Jahren hatte man sich im Wesentlichen darauf beschränkt, bei einzelnen Gebäuden die Fassaden zu malern. Ab 1968 lag der Schwerpunkt auf den Neubauten in der Weststadt. Man brauchte Platz für die Arbeiter der Hydraulikwerke. Die Schattenseite: In der Altstadt wurde lange Zeit wenig saniert. Trotzdem wurden zu DDR-Zeiten kaum mehr als zehn Häuser abgerissen. Um jedes ist es schade. Aber immerhin wurden nicht wie in anderen Städten – denken Sie an Greifswald – ganze Altstadt-Viertel platt gemacht. Woher kommt aber der Eindruck grauer Tristesse auf den alten Fotos? Eigentlich sollte sich die Abteilung Kultur beim Rat des Kreises um die Denkmalpflege – und damit um die historische Bausubstanz – kümmern. Aber das waren kleine Schritte, in der Altstadt blieb vieles ungelöst. Als Denkmalpfleger im Kulturbund haben wir auf Missstände aufmerksam gemacht und Initiativen gestartet, um Baudenkmäler zu erhalten. Das war ein hartes Ringen.

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// ZUR PERSON // WOLFGANG WESTPHAL

Ein Ringen, das die Denkmalpfleger verloren? Es ist auch manches gelungen: Anfang der 80-er Jahre wurden auf behutsame Weise in Gebäuden am Alten Markt und in der Langen Straße sogenannte Fließstrecken, also Bad und WC, eingebaut. In der Langen Straße 26 wurden Aus­ fachungen und Windbretter neu gesetzt, in der Mühlenstraße 38 Balken ersetzt, Jugendliche kümmerten sich um die historischen Wallanlagen und den Gefangenenfriedhof am Dammer Weg. Es gab die Denkmalliste, das Denkmalschutzgesetz und, seit 1983, den Tag des Denkmals. Aber zugegeben: Den Eindruck von Verfall an vielen Stellen konnte das nicht verhindern.

Wolfgang Westphal, 74, ist Ur-Parchimer. Er lernte zunächst Tischler, studierte dann Kunst und Deutsch am Pädagogischen Institut in Erfurt und schrieb seine Abschlussarbeit in der Kunstgeschichte über die Parchimer Georgenkirche. Viele Jahre arbeitete er als Lehrer und Direktor in Lancken (zwischen Parchim und Lübz), seit 1972 war er Leiter der Interessengemeinschaft Denkmalpflege im Kulturbund und kümmerte sich dort auch um den Erhalt der historischen Parchimer Bausubstanz. Heute ist er Leiter der Interes­sengemeinschaft der Stadtführer im Parchimer Heimatbund und führt Besucher zu den schönsten und interessantesten Plätzen Parchims.

Denkmalpflege // Seit den 1980-er Jahren gab es Bemühungen, das bau­ historische Erbe der Stadt Parchim behutsam zu erhalten. Mit bescheidenen Mitteln und Einzelmaßnahmen ließ sich der weitere Verfall aber nicht stoppen.

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Moderne Stadt mit grünem Herz Parchim heute

Parchim hat nicht nur interessante historische Spuren zu bieten. 25 Jahre nach Beginn der Stadterneuerung ist Parchim eine moderne, offene und liebenswerte Stadt. Ihr besonderes Flair begeistert nicht nur die Parchimer, sondern zieht auch viele Besucher an.

Stadthaus // Ein gelungenes Beispiel, wie sich in Innenstädten historisches Erbe mit moderner Architektur vereinen lässt.

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Eldestadt // Wasser prägt das Stadtbild Parchims. Wie ein blaues Band fließt die Elde, Mecklenburgs längster Fluss, durch die Altstadt. Ihre vielen Arme, die Stadtgräben und die reizvollen Brücken sorgen für eine besondere Atmosphäre.

Moderne Stadt mit grünem Herz // Parchim heute // 21

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ie Vergangenheit ist nicht zu übersehen. Besucher, die sich Parchim nähern, entdecken schon von weitem die altehrwürdigen Kirchtürme von St. Marien und St. Georgen. Wer durch das historische Zentrum bummelt, durch die Blutstraße, über den Schuhmarkt oder durch die Lindenstraße flaniert, stößt auf Schritt und Tritt auf Historie. Doch Parchim ist auch eine moderne Stadt mit grünem Herz. »Parchim – die grüne Stadt an See und Fluss« ist kein leeres Versprechen. Wie in kaum einem anderen norddeutschen Ort prägt Wasser das Stadtbild. Wie ein blaues Band fließt die Elde, Mecklenburgs längster Fluss, durch die Altstadt. Ihre vielen Arme, die Stadtgräben und die reizvollen Brücken sorgen für eine besondere Atmosphäre. Kein Wunder, dass die Müritz-Elde-Wasserstraße, der Bootshafen und die Schleusenanlage sowie die Wasserwander-Rastplätze »Hohe Brücke«, »Zentrum und Fischerdamm« und »Fährhaus Slate« viele Besucher anlocken. Wer Parchims grünes Herz finden will, muss nicht lange suchen: Am südlichen Stadtrand locken die Waldgebiete Sonnenberg und Buchholz mit dem Slater Moor, einem geschützten Feuchtgebiet. Hier stehen die schönsten Douglasien Mitteleuropas, vor über einem Jahrhundert gepflanzt. Der rund 62 Hektar große Wockersee grenzt im Norden an die Altstadt. Wer will, kann hier in idyllischer Umgebung segeln, paddeln oder Hechte, Schleie und Barsche an den Haken holen – dies alles mit traumhaftem Blick auf die Altstadt. Im Westen Parchims laden üppige Mischund Buchenwälder zu langen Spaziergängen ein. Etwas weiter entfernt, ca. acht Kilometer westlich der Stadt, lockt die Lewitz: Dieses einmalige, von Kanälen durchzogene Wald-Wiesen-Gebiet ist Brutrevier für viele seltene Vogelarten. Im Landschaftsschutzgebiet Ruhner Berge,

etwa 15 Kilometer südlich der Stadt, gibt es einen spannenden Naturlehrpfad. Der Ruhner Berg ist zwar mit 176 Metern Höhe kein gewaltiger Gipfel, aber immerhin der zweithöchste Berg Mecklenburgs. Etwas weiter südlich liegt die Mooster, ein scheinbar verwunschenes Gebiet mit kleinen, idyllischen Seen. Bei aller Idylle ist Parchim auch ein modernes Mittelzentrum und seit der Kreisgebietsreform 2011 Sitz des neuen Landkreises Ludwigslust-Parchim. Moderne Infrastruktur sorgt für eine optimale Anbindung an Region und weite Welt: Der Flughafen Schwerin-Parchim liegt in unmittelbarer Stadtnähe. Über die Bundesstraßen 191 und 321 ist Parchim mit den Städten Lübz, Sternberg, Plau am See, Crivitz und Schwerin verbunden, außerdem gibt es eine Direktanbindung zur A 24. Richtung Ludwigslust, Hagenow, Schwerin und Rehna verkehren Züge der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH (ODEG). Mit dem Rathaus am Alten Markt, dem Zinnhaus in der Langen Straße 24 (1612 gebaut), dem ehemaligen Kaiserlichen Postamt am Schuhmarkt, dem Moltkehaus und den beiden Kirchen hat Parchim imposante Gebäude, die sich harmonisch in das von Fachwerkhäusern geprägte Stadtbild einfügen. Ebenso beeindruckend ist das kulturelle Leben der Stadt: Parchim ist Sitz des Mecklenburgischen Landestheaters Parchim, hat eine Stadthalle, ein Museum, ein Multiplex-Kino und eine Stadtbibliothek. Traditionelle Veranstaltungen wie das Stadtfest im Mai, der Martinimarkt am ersten November-Wochenende oder auch Konzerte im Rahmen der Musikfestspiele Mecklenburg-Vorpommern locken nicht nur die Parchimer, sondern auch Gäste aus aller Welt in die Stadt an der Elde. Mit einem Wort: Trotz seiner beeindruckenden Historie, den vielen Baudenkmälern und einer liebevoll sanierten Altstadt ist Parchim nicht von Gestern.

Wer Parchims grünes Herz finden will, muss nicht lange suchen.

// STADTWISSEN // Die Stadtinformation Parchim organisiert spannende Stadtführungen, vermittelt Zimmer und bietet alle Informationen für Gäste und Touristen. Blutstraße 5 19370 Parchim Telefon (03871) 71-550 Fax (03871) 71-555 [email protected] www.parchim.de Öffnungszeiten (Oktober - April) Montag - Freitag 9.00 - 12.00 Uhr und 13.00 - 17.00 Uhr Öffnungszeiten (Mai - September) Montag, Dienstag 9.00 - 12.00 Uhr und 13.00 - 17.00 Uhr Mittwoch - Freitag 9.00 - 17.00 Uhr Samstag 9.00 - 11.30 Uhr

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INTERVIEW

»Eine kluge Stadtentwicklung hat immer die gesamte Stadt im Blick.«

»Das war großartig« Bernd Rolly, langjähriger Parchimer Bürgermeister, über den Zauber der Stadt, das Engagement der Bürger, das Ringen um Kompromisse und den Parchimer Straßenstrich – der nicht das ist, wonach er klingt.

Lassen Sie uns zunächst über den Parchimer Straßenstrich sprechen. Meinetwegen. Er ist aber nicht das, was Sie vermuten. Sondern? Es geht buchstäblich um Striche auf der Straße, sogenannte Kaltplastik-Schmalstriche. Sie sind zwölf Zentimeter breit, trennen Fahrbahn und Bürgersteig und schaffen so einen 1,60 Meter breiten Angebotsstreifen für Fahrradfahrer. Wir haben die Markierungen vom Moltkeplatz bis zum Fischerdamm vor der Diesterweg-Schule anbringen lassen und Parchim damit fahrradfreundlicher gemacht. Der Streifen könnte auch weitergeführt oder in anderen Straßen umgesetzt werden. Ein Passant nannte die neue Markierung spontan den Parchimer Straßenstrich.

Regimentsvorstadt // Im Rahmen der Stadtentwicklung wurde aus der Regimentsvorstadt ein modernes Wohnviertel.

Leicht haben es Rad-, aber auch Rollstuhlfahrer in Parchim nicht gerade: Es gibt viel historisches Pflaster. Bei jeder Stadtsanierung muss ja zwischen dem Erhalt des historischen Originals und den Ansprüchen des modernen Lebens abgewogen werden. Das gilt natürlich auch für die Infrastruktur wie Straßen und Wege. Dem einen ist es zu viel moderner Asphalt, dem anderen zu viel

nostalgisches Pflaster. Man muss da stets Kompromisse finden. Mir liegt eine sinnvolle Kombination am Herzen. Aber Parchim sollte kein Museum sein, sondern eine historisch geprägte Stadt, in der es sich gut leben lässt. Wie lebte es sich in Parchim, als Sie 1979 in die Stadt zogen? Parchim war eine klassische norddeutsche Kleinstadt, weder Dorf noch Industriestadt. Es gab viel alte Bausubstanz und auch Bemühungen, diese zu erhalten. Die Altstadt war lebendig, es gab Bäcker, Frisöre, Fleischer, ein Textilkaufhaus. Die medizinische Betreuung war dank Poliklinik und Krankenhaus vorbildlich. Aber es gab auch viel Verfall, das Leben im Altbau war wenig komfortabel. Unsere erste Wohnung lag in der Bleicherstraße, sie hatte immerhin ein Innen-WC auf halber Treppe. Wir haben die Wohnung selbst instandgesetzt, der VEB Gebäudewirtschaft gab das Material. 1981 zogen wir dann in eine Neubauwohnung in der Weststadt. 1994 wurden Sie Bürgermeister. Vor welchen Problemen stand Parchim damals? Das Hauptproblem war, dass wir mit der Erneuerung einer schrumpfenden Stadt beginnen mussten. Die Geburtenzahlen

Moderne Stadt mit grünem Herz // Parchim heute // 23

// ZUR PERSON // BERND ROLLY

knickten ein, viele Parchimer wurden arbeitslos. Hinzu kam der große Sanierungsstau. Da war es ein Glück, dass uns unsere Partnerstadt Neumünster auf die Städtebauförderung aufmerksam machte. Überhaupt hatten wir viel Glück: Mit der damaligen WOBAU-Schleswig-Holstein, der heutigen LGE, fanden wir einen erfahrenen und anerkannten Sanierungsträger. Mit Roland Kutzki, langjähriger Bereichsleiter für Städtebauförderung, Stadtentwicklung und Stadterneuerung im Innen- beziehungsweise Bauministerium, hatten wir einen uns unterstützenden Partner. Unsere Mitarbeiter in der Verwaltung, im Bauamt, in der Stadtplanung waren hochmotiviert. Die Zusammenarbeit zwischen Ministerien, Verwaltung und Bürgern funktionierte. Das alles war großartig. Was lag Ihnen besonders am Herzen? Eine kluge Stadtentwicklung hat immer die gesamte Stadt im Blick. Wir entschieden uns deshalb gegen punktuelle und für großflächige Sanierungen im kommunalen und privaten Bereich. Schwerpunkte im kommunalen Bereich waren die Kindergärten und Schulen, das Museum, Infrastruktur wie Straßen, Wasser, Abwässer, aber auch der Umbau der Regimentsvorstadt zum modernen Wohnviertel.

Bernd Rolly, 66, war von 1994 bis 2015 Bürgermeister von Parchim. Als Sohn eines Franzosen und einer Deutschen im früheren Schlesien geboren, studierte er nach dem Abitur von 1968 bis 1972 angewandte Mechanik an der technischen Fakultät der Uni Rostock. Als Spezialist für Entstaubungstechnik arbeitete er in verschiedenen Betrieben und Kombinaten. Nach Parchim kam Bernd Rolly 1979 gemeinsam mit seiner Frau, einer Medizinerin. Bis zur Wende war er Hauptenergetiker im VEB Kombinat Nordfrucht Elde. Im Herbst 1989 war Bernd Rolly – damals laut Pass noch französischer Staatsbürger – Mitbegründer der Parchimer SDP (ab 1990 SPD), nach den Kommunalwahlen 1990 wurde er stellvertretender Bürgermeister, 1994 dann Bürgermeister. Als Kommunalpolitiker hat er Parchims Stadtentwicklung seit 25 Jahren mit geprägt. »Manche Projekte, etwa die Sanierung des Gebäudes Schuhmarkt 6, haben mich die ganze Amtszeit begleitet. Vieles ist auf den Weg gebracht«, so Bernd Rolly.

Sie hatten also nicht nur das Altstadt-Sanierungsgebiet im Blick. Aber dort waren sicher die schwierigsten Entscheidungen zu treffen? Ja. Wichtig war mir das Bekenntnis zum Erhalt der Altstadtschulen ebenso wie ein schlüssiges Einzelhandelskonzept und die Beteiligung unserer Bürger. Eine Stadterneuerung ohne Unterstützung der Bürger funktioniert ja nicht. Ohne das Engagement der Parchimer, auch ohne den Mut der Parchimer Bauherren, wäre die Stadt heute nicht das, was sie ist. Ihnen allen möchte ich Dankeschön sagen.

Ist Parchim noch zu retten?

Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende 1990: Wie in vielen Orten Ostdeutschlands gibt es in Parchim einen großen Sanierungsstau. Um das ein­ malige Gesicht der Altstadt erhalten zu können, müssen die Planer nicht nur Neuland betreten, sondern auch unter enormem Zeitdruck arbeiten. Die ersten Rahmenpläne weisen den Weg zu künftigen Aufgaben.

Rückblick // Wie in ganz Ostdeutschland gab es auch in Parchim vor 1989 an vielen Häusern erheblichen Sanierungsstau.

3 ////Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft 26

Schlechte Aussichten? // Putz und Farbe blätterten überall. Für die Stadtplaner war der Umgang mit dem Verfall der Altstadt eine große Herausforderung.

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 27

A

ls Rahmenplanerin für die Altstadt Parchims hatte ich das Glück, 25 Jahre Stadtsanierung als eine von vielen Akteuren zu begleiten. Mir scheint, dass keine Phase der Stadtentwicklung der vergangenen 100 Jahre die Altstadt so sichtbar geprägt hat wie die letzten 25 Jahre. 1990, beim Gang durch Parchims Altstadt, deren mittelalterliche Struktur bis heute erhalten geblieben ist, stellten sich nicht nur Stadtplaner die besorgte Frage: Sind Teile der Altstadt wie die Alte Mauerstraße, Heidestraße und Wockerstraße oder Auf dem Brook überhaupt noch zu retten? Heute, 25 Jahre später, können wir diese Frage bejahen, auch wenn nicht alles gerettet werden konnte. Von Anfang an war es Ziel der Städtebauförderung, die historische Altstadt mit ihrem unverwechselbaren Gesicht, ihren historischen Gebäuden und Straßenzügen sowie den typischen klein- und mittelständigen Einzelhandels- und Gewerbestrukturen zu erhalten und wiederzubeleben. Das Baugesetzbuch und die Förderrichtlinien des Landes waren die Grundlagen für das Sanierungsverfahren und den Einsatz von Fördermitteln. In den alten Bundesländern stellen Bund und Länder schon seit 1971 in den Programmen der Städtebauförderung Finanzhilfen für Investitionen in die Erneuerung und Entwicklung der Städte und Gemeinden bereit. Nach der Wiedervereinigung, im Juni 1991, wurde mit der Verkündung des ersten Programmes zur Städtebauförderung durch das Land Mecklenburg-Vorpommern auch in Parchim der Startschuss für die Altstadtsanierung gegeben. Lernen durch Handeln Ziel der Sanierung war und ist die Behebung städtebaulicher Missstände in festgelegten Sanierungsgebieten. Vor 25 Jahren waren solche städtebaulichen Missstände in der Parchimer Altstadt nicht zu übersehen: immense Schäden an den

historischen Gebäuden, sanierungsbedürftige Straßen und Freiräume, fehlende Parkplätze für den ruhenden Verkehr, funktionelle Mängel und ein hoher Überbauungsgrad der Quartier-Innenräume. Weil die Vorbereitung der Sanierung Aufgabe der Stadt war (und ist), ging es 1990 heiß her: Kurzfristig mussten vorbereitende Untersuchungen begonnen und die Sanierungsgebiete förmlich festgelegt werden. Zudem mussten Ziel und Zweck der Sanierung bestimmt, ein externer Rahmenplaner vertraglich gebunden und Satzungen beschlossen werden. Die damit im Zusammenhang stehenden Aufgaben, besonders aber die Verfahrensabläufe waren für die Stadtverwaltung völliges Neuland. Vor dem Hintergrund des Neuaufbaus der städtischen Verwaltung und der rasanten Entwicklung am Stadtrand (sie hatte bereits Auswirkungen auf den Einzelhandel in der Altstadt) musste zügig gehandelt werden. Alle Beteiligten standen vor riesigen Herausforderungen. Einarbeitungsphasen gab es für niemanden, nur das Motto: Lernen durch Handeln. Die städtischen Gremien suchten sich externe Berater aus den alten Bundesländern, Partner für Mecklenburg-Vorpommern war das Bundesland Schleswig Holstein. Neuland für die Planer Wie für alle Bürger der neuen Bundesländer war 1989/1990 die Entwicklung auch für Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten, die vorwiegend in Stadtplanungsbüros der Bezirksstädte oder in Büros für Städtebau (Aufgaben außerhalb der Bezirksstädte) gearbeitet hatten, prinzipiell Neuland. Die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit hatten sich grundlegend geändert. Während die Mitarbeiter der Stadtplanungsbüros weitgehend in die städtische Verwaltung integriert wurden, versuchten die Mitarbeiter aus dem ehemaligen Büro für Städtebau Schwerin sich in der Marktwirtschaft zu etablieren. Das Büro für

Nicht nur Stadtplaner fragten sich besorgt: Sind Teile der Altstadt überhaupt noch zu retten?

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Der Rahmenplan ist ein gutes Mittel, die städtebaulichen Ziele darzustellen und öffentlich bekannt zu machen.

Fotodokumentationen // Parchimer Architekten begannen 1992 mit der Erstellung einer Grundstücksdatei mit Fotodokumentationen.

Städtebau Schwerin hatte bis 1990 fast die gesamte städtebauliche Planungsarbeit für die Dörfer, Klein- und Mittelstädte des damaligen Bezirkes Schwerin übernommen. Dazu gehörten Stadt-, Bebauungs- und Flächennutzungspläne, Verund Entsorgungspläne, aber auch Untersuchungen zur Rekonstruktion, Sanierung und Werterhaltung sowie die Teilnahme an städtebaulichen Wettbewerben. Im Ergebnis der Neuorientierung gründete sich 1990 die S&D STADT & DORF Planungs-Gesellschaft mbH mit Sitz in Schwerin. Auch sie suchte einen externen Berater. Einem glücklichen Zufall war damals die Begegnung mit Julius Ehlers aus dem Architekten Contor AC in Itzehoe zu verdanken. Das AC hatte sich 1974 als Zusammenschluss freischaffender Architekten und Stadtplaner gegründet und verfügte unter anderem über lang­jährige Erfahrungen in der Stadtsanierung in Schleswig-Holstein. An die Begeisterung, an der Neugestaltung in den neuen Bundesländern mit-

wirken zu dürfen, erinnere ich mich heute noch sehr gern. Auch an die vielen gemeinsamen Diskussionen in den Sanierungsberatungen, an das Ringen um Lösungen, die nach Möglichkeit die Fehler in der Altstadtsanierung der alten Bundesländer in Parchim nicht wiederholen sollten. Mit Julius Ehlers war besonders in der Phase des Rahmenplanes »Altstadt« das engagierte Auftreten für die städtebauliche Zielstellung der Altstadt-Sanierung verbunden. Den ersten Rahmenplan »Altstadt Parchim« haben die beiden Büros S&D STADT & DORF Planungs-Gesellschaft mbH und das Architekten Contor AC gemeinsam erarbeitet. Die weiteren Fortschreibungen und Präzisierungen des Rahmenplanes übernahm dann unser Büro S&D in Schwerin. Als Hilfestellung hatte das Land Mecklenburg-Vorpommern 1991 einen Rahmenplan­erlass herausgegeben, der die inhaltlichen Schwerpunkte eines städte­ baulichen Rahmenplanes vorgab.

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 29

Der »Rahmenplan Altstadt« Der Rahmenplan ist ein gutes Mittel, um ohne aufwändiges Verfahren die städtebaulichen Ziele darzustellen und öffentlich bekannt zu machen. Er ist in seinen Aussagen flexibel und bildet dadurch einen Rahmen, in dem auf Änderungen und Wünsche der Bürger und Investoren reagiert werden kann. Danach war ein Rahmenplaner zu beauftragen, der sich der komplexen Aufgabenstellung gemeinsam mit den städtischen Gremien zu stellen hatte. Das Rahmenplangebiet »Altstadt Parchim« ist etwa 61 Hektar groß und umfasst die historische Altstadt Parchims. Angrenzende Randbereiche, die strukturell mit der Altstadt verknüpft sind, wurden in die Untersuchungen mit einbezogen. In den Analysekarten wurden u.a. die Konflikte in den Bereichen Städtebau, Nutzung, Baugestaltung, Verkehr, Grünordnung, Denkmalschutz, Altlasten und Freiräume beschrieben. Der Maßnahmenplan zeigte Maßnahmen zur Lösung dieser Konflikte. Parallel zur Bearbeitung des Rahmenplanes beauftragte die Stadt Parchim

1992 ortsansässige Architekten mit der Erstellung einer Grundstücksdatei. Sie erfasste jedes Gebäude im festgesetzten Sanierungsgebiet »Östliche Altstadt« mit Haus- und Flurstücksnummern sowie Fotodokumentationen – ein einmaliges Dokument. Die Weichen werden gestellt In die Zeit des Rahmenplanes fiel auch die Schnellinventarisierung von Gebäuden für die Denkmalliste der Kreise im Auftrag der Landesbehörden. Das Ergebnis: In der Parchimer Altstadt (Rahmenplangebiet) standen mehr als 250 Einzeldenkmale unter Denkmalschutz. Das war ein knappes Drittel aller Gebäude. Auch wenn die schnelle Inventarisierung zu einigen wenigen fragwürdigen Entscheidungen führte, belegt die große Zahl der Einzeldenkmale die Bedeutung der historischen Altstadt. Gleichzeitig wurden die großen An- und Herausforderungen für die Sanierung deutlich. Der Fördermittelgeber trug dem mit der Einstufung der Altstadt in das zusätzliche Bund-Länder-Programm »Städtebaulicher Denkmalschutz« Rechnung.

// RAHMENPLAN ALTSTADT // Der städtebauliche »Rahmenplan Altstadt« wurde im Juni 1993 von den Stadtvertretern mit folgenden strategischen Zielen beschlossen:  ie Bausubstanz ist entspreD chend ihrem historischen Wert in quali­täts­voller Weise zu erhalten; gleichzeitig ist der Wohnungsstandard zu erhöhen.  er Objektsanierung ist der D Vorzug vor dem Abriss und dem anschließenden Neubau von Gebäuden zu geben.  ie Raumkanten des Stadtbildes D sind zu erhalten und ggf. wieder herzustellen.  er Wohnanteil in der Altstadt D insgesamt und in den Obergeschossen des Geschäftsbereiches ist zu sichern.  ie Baulücken sind zu schließen D (in größerem Umfang im Bereich nördlich der Lindenstraße und Auf dem Brook).

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In den letzten 25 Jahren gelang es, die Altstadt als Wohnstandort attraktiv zu gestalten. Denkmalkarte // Im Rahmenplangebiet gibt es mehr als 250 Einzeldenkmale. Diese sind in der Denkmalkarte farbig ausgwiesen.

1993 wurden weitere Beschlüsse zu Satzungen gefasst. Auch sie stellten die Weichen für Parchims Zukunft:  Satzung über die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart der Parchimer Innenstadt vom 03.02.1993. Wichtigstes Ziel: die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des historischen Stadtkerns. Abbruch, Änderung oder Nutzungsänderung sowie die Errichtung baulicher Anlagen müssen durch die Stadtverwaltung genehmigt werden.  Gestaltungssatzung (einschl. der Werbesatzung) der Stadt Parchim für den historischen Stadtkern vom 30.04.1993. Wichtigstes Ziel: die Sicherung und Förderung der geschichtlichen, architektonischen und städtebaulichen Eigenart und Schönheit des Stadtbildes durch Gestaltungsvorschriften für das äußere Erscheinungsbild von baulichen Anlagen oder Bauteilen bei Um-, Erweiterungs- oder Neubauten.

Ein harter Brocken Der erste harte Brocken des Maßnahmenplanes von 1993 war die Sanierung des östlichen Bereiches der Alten Mauerstraße. Der damals prekäre Zustand der meisten Wohngebäude, viele von ihnen zwischen 1870 und 1900 errichtet, war dramatisch. Der östliche Randbereich an der ehemaligen Stadtmauer drohte, gänzlich seine Stabilität zu verlieren. Teilweise bildeten sogar alte Reste der Stadtmauer die Rückwand der Gebäude. Die hier typische Mischung von Wohn- und Hofgebäuden war im Altstadtbereich einzigartig. Leider waren die Nebengebäude generell in einem noch schlechteren Zustand als die Hauptgebäude. Die wenigen Freiflächen waren stark überbaut, Straßen, Fußwege und technische Infrastruktur in katastrophalem Zustand. In der Alten Mauerstraße drohten großflächige Abrisse und große soziale Probleme.

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 31

Hier sind – als Beispiel für unser damaliges Herangehen – die rahmenplanerischen Ziele für das Teilgebiet östlicher Bereich der Alten Mauerstraße im Zug der Sanierungsmaßnahmen:  Sanierung der vorhandenen Bausubstanz, damit einhergehende Stabilisierung der Wohnfunktion, auch in den Obergeschossen der Gebäude.  Objektsanierung hat Vorzug vor Abriss.  Erhaltung der besonderen Gebäudeabfolge von Wohnen und Hofraum.  Erhaltung und Sanierung der Reste der Stadtmauer.  Aufwertung der wenigen Freiflächen und kleinen Hofräume.  dringende Erneuerungsbedürftigkeit des Straßenbelages mit historischen Materialien.  dringende Erneuerungsbedürftigkeit der Ver- und Entsorgungsleitungen. Die Sanierungsziele wurden mittlerweile umgesetzt. Die Gebäude sind heute in einem guten baulichen Zustand. Ihr langfristiger Erhalt ist sichergestellt. Die Bausubstanz entspricht den Anforderungen an gesunde Wohnbedingungen. Das Teilgebiet wurde zusammen mit dem zentralen Bereich des Sanierungsgebietes, dem Schuhmarkt/Alter Markt und dem nördlichen Randbereich der Neuen Mauerstraße mit Stiftstraße, aus der Sanierung entlassen. Fortschreibung des Rahmenplanes An der Fortschreibung des Rahmenplanes wurde im Lauf der Jahre immer wieder gearbeitet (siehe Kasten rechts). Der Bebauungsplan Nr. 20 »Altstadt I« ist bisher der einzige rechtsverbindliche Bebauungsplan im Rahmenplangebiet. Er berücksichtigt ausgewählte Bauvorhaben wie die Regelungen zum Bau einer rückwärtigen Andienstraße, der öffentlichen Verwaltung (das heutige Stadthaus), eines Kaufhauses, eines Parkhauses, zur Öffnung des Färbergrabens (mittlerer Abschnitt) und der Entwicklung eines öffentlichen Grünbereiches.

Impulse für den Sanierungsprozess Die Rahmenplanung gab wichtige Impulse für den Sanierungsprozess. Das Rahmenplangebiet wurde in seiner Komplexität und in seinen Verflechtungsbereichen dargestellt. Bis 2005 lag der Schwerpunkt der öffentlichen Maßnahmen in der Altstadt zwangsläufig im Sanierungsgebiet »Östliche Altstadt«. Auf Grundlage des in der Planung formulierten Willens, die historische Altstadt als Herzstück der Stadt Parchim zusammenhängend zu entwickeln, konnten anhand der Rahmenplandokumentation Strategien für eine koordinierte Arbeit zwischen Fachämtern, Eigentümern und betroffenen Bürgern entwickelt werden. Die Dokumentation hat sich als Rahmen für die weiterführende Planung und Realisierung bewährt. Aufbauend auf den Rahmenplan wurden vertiefende Quartier- und Straßengestaltungsplanungen erarbeitet und mit den betroffenen Bürgern abgestimmt. Wichtig für die Vertiefung des Rahmenplanes waren auch Wettbewerbe. Über Wettbewerbe bekamen zum Beispiel der Brunnen auf dem Schuhmarkt und das Quartier am Wasserberg Süd mit dem jetzigen Stadthaus ihr Gesicht. Mit der Sanierung des Rathauses setzten die Parchimer zudem ein Signal, dem historischen Zentrum seine Schönheit und Bedeutung zurückzugeben. Die Sanierung und Nutzung des Rathauses als Verwaltungssitz und die Umgestaltung der Straßen und Plätze gaben Entwicklungsimpulse für die gesamte östliche Altstadt. Die Altstadt – der jüngste Stadtteil In den vergangenen 25 Jahren gelang es, die Altstadt als Wohnstandort attraktiv zu gestalten und gleichzeitig das historische Orts- und Straßenbild zu erhalten. Die Chance, mit Fördermitteln zu sanieren, wurde genutzt. Städtebaulich wertvolle Bausubstanz und Wohnraum konnten somit erhalten werden. Die Förderung führte nicht zur Verdrängung von Wohnraum. Angebot und Nachfrage des Marktes waren und sind die einzigen Regularien.

// FORTSCHREIBUNGEN // Grundlagen für die Rahmenplanfortschreibungen waren u. a.:  er städtebauliche Rahmenplan, d Stand 1993  ie Aufnahme der westlichen d Altstadt in das Sanierungsgebiet  er Bebauungsplan Nr. 20 »Altd stadt I« das Einzelhandelskonzept 9/2010  ie Blockkonzepte »Heidestrad ße« und »Auf dem Brook«  ie Verkehrsentwicklungspläne d der Stadt Parchim  ie demographischen Veränded rungen in der Stadt  as Integrierte Stadtentwickd lungskonzept (ISEK) 2002  as Monitoring Stadtentwicklung d und dessen jährliche Fortschreibung  ie Kosten- und Finanzierungsd übersicht aller realisierten Maßnahmen und der noch zu realisierenden Maßnahmen

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Die Altstadt ist heute im Vergleich der »jüngste« Stadtteil Parchims.

Restaurierte Altstadt // Wer heute einen Blick auf die restaurierten Gebäude rund um das Rathaus wirft, ahnt allenfalls, dass diese Silhouette das Ergebnis einer 25 Jahre dauernden Anstrengung ist.

Sie ließen auch die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt in der Altstadt nicht unproportional steigen. Die Altstadt ist heute im Vergleich der »jüngste« Stadtteil Parchims.

tung und Warenpräsentation zu erreichen. Möglichkeiten zur Erhöhung der funktionalen Dichte gibt es durchaus (Leerstände, Baulücken, Nach- und Umnutzung von Flächen).

Zur Verjüngung trug auch die Beseitigung der schlechten Verkehrsverhältnisse in der Altstadt bei. Die Mehrzahl der Straßen wurde saniert, hochwertige Parkplätze entstanden am Rand der Altstadt. Die strukturellen Probleme des Einzelhandels in der Innenstadt, die bereits 1998 festgestellt wurden, konnten leider bislang nicht behoben werden. Noch immer ist der zentrale Versorgungsbereich in der Langen Straße überdehnt, nur in einigen Abschnitten gibt es einen höheren Einzelhandelsbesatz.

Unter dem Motto »Altstadt von Wasser und Grün umgeben« liegt ein Schwerpunkt auf dem Erhalt und der Aufwertung des Wasser- und Grüngürtels. Dieser ganzheitliche Ansatz wurde im Interesse der Klimaverbesserung aufgegriffen und weiterverfolgt. Sichtbare Ergebnisse sind die Verknüpfung der Altstadt mit umgebenden Grün- und Freiräumen wie den Bürgermeisterwiesen, den Eldearmen und dem Wockersee.

Aber: Der Kernbereich ist rund um die St. Georgenkirche, den Alten Markt und den Schuhmarkt bereits vernetzt. Hier finden sich wichtige Magnetbetriebe der Innenstadt. Ziel muss es sein, neben einem quantitativen Ausbau auch eine qualitative Verbesserung im öffentlichen Raum wie auch bei Fassaden, Schaufenstergestal-

Das öffentliche Echo Natürlich war der Sanierungsprozess in Parchim in aller Munde, die Beteiligung der Öffentlichkeit groß. Dazu gehörten unzählige Gespräche mit engagierten Grundstückseigentümern, mit der Stadtverwaltung, dem Sanierungsträger EGS/LGE, dem Rahmenplaner und mit den Vertretern der Denkmalschutzbehörde. Immer ging es dabei um gemeinsam vertretbare

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 33

Lösungen und das Ziel, das historische Stadtbild zu erhalten und jede Einzelmaßnahme im Kontext zur Entwicklung der gesamten Altstadt zu sehen. Letzteres war über die gesamte Sanierungszeit eines meiner vorrangigen Ziele als Rahmenplaner. Die Meinungen darüber, was erhaltenswert sei und wie sich Neubauten in den Bestand einfügen sollten, gingen manchmal trotz Gestaltungssatzung auseinander. Natürlich spielten da auch die materiellen Möglichkeiten einzelner Bauherren eine Rolle. Fast immer aber endeten diese Gespräche im gegenseitigen Einvernehmen. Die Erkenntnis setzte sich durch, dass der Abriss eines alten Gebäudes nur die letzte Option nach Prüfung aller anderen Möglichkeiten sein darf. So war auch die Auslobung des Bauherrnpreises im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiges Signal an die Bauherrn, dass ihr Bemühen für die Bewahrung historisch bedeutender Gebäude wertgeschätzt wurde.

Obwohl es Eingriffe in die Altstadtstruktur nicht nur in der frühen Sanierungsphase gab, haben sich Stadtbild und Image der Altstadt enorm verbessert. Wer heute bewundernd vor den restaurierten Gebäuden um das Rathaus, in der Alten Mauerstraße, auf den Parkplätzen am Fischerdamm oder am Burgdamm steht oder sich auf den Weg entlang des Färbergrabens und durch die vielen sanierten Straßenräume macht, wird allenfalls ahnen, dass diese Pracht das Ergebnis eines nur 25 Jahre dauernden Sanierungsverfahrens ist.

// ZUR PERSON // HELGA ROTHER Helga Rother (66) war von 1993 bis Ende 2014 als Rahmenplanerin für die Altstadt Parchim tätig. Sie studierte an der 1969 neu gegründeten Sektion Gebietsplanung und Städtebau der damaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar unter Prof. Dr.-Ing. Joachim Bach. Im Oktober 1972 begann sie als Diplomingenieur für Gebiets- und Stadtplanung im Büro für Städtebau des Rates des Bezirkes Schwerin ihre berufliche Tätigkeit. Von 1990 bis 2008 war sie unter anderem Mitarbeiterin, Prokuristin und Mitglied der Geschäftsleitung im Büro S&D Stadt- und Dorf Planungsgesellschaft mbH. Die letzten sechs Jahre ihrer beruflichen Tätigkeit von 2008 bis 2014 arbeitete sie als selbstständige Stadtplanerin in der Bürogemeinschaft S&L Stadt- und Landschaftsplanung Schwerin. Seit Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit war diese immer auch mit stadtplanerischen Aufgaben in Parchim verbunden, so an der Mitarbeit an Bebauungsplänen (unter anderem Am Rabensoll, Ludwigsluster Straße/Baumarkt, 3. BA Weststadt), an Gestaltungsvorschlägen (Bahnhofsvorplatz, Moltkeplatz) und Ende der 1970-er Jahre an Untersuchungen zu Rekonstruktion, Modernisierung und Werterhaltung in der Altstadt. Helga Rother war verantwortlich für die Erstellung des Flächennutzungsplanes für das Stadtgebiet Parchims von 1990 und 2006. Ab 1992 bestimmten neben dem Flächennutzungsplan mehr und mehr die vielfältigen Aufgaben des Rahmenplaners für die Altstadt ihr Tätigkeitsfeld. »Neben anderem bleibt die Arbeit am Rahmenplan der Altstadt Parchims die intensivste und prägendste Phase für mich. Nicht nur, weil sie mich mein halbes Berufsleben begleitet hat, sondern auch wegen der Vielfalt der Aufgaben und der vielen persönlichen Gespräche, insbesondere mit den Bauherren«, sagt Helga Rother.

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INTERVIEW

»Einer der wichtigsten Impulse war die Aufnahme in das Städtebauförderprogramm 1991.«

»Wir haben Glück gehabt« Günther Wrede, langjähriger Parchimer Bauamtsleiter, erinnert sich an die turbulenten Anfänge der Stadtsanierung nach 1990, an viel Engagement bei Verwaltung und Bürgern und an eine Portion Glück.

Herr Wrede, alle beklagen, dass Parchim wie viele ostdeutsche Städte vor der Wende grau und verfallen gewirkt habe. Lässt sich denn nichts Gutes über diese Zeit sagen? Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Es war ein Glück, dass es in der DDR – vor allem für private Bauherren – so wenig Material gab. So hielten sich Bausünden in Grenzen und die Grundstruktur der Altstadt blieb weitestgehend erhalten. Die Materialknappheit hatte manchmal auch kuriose Züge. Ich war knapp 20 Jahre bei der Zwischengenossenschaftlichen Bauorganisation, ZBO, heute Universal-Bau, habe unter anderem für Lagerhallen, Milchviehanlagen und Kindergärten Preise veranschlagt, diese projektiert und Standortgenehmigungen bearbeitet. Manchmal musste man Spargel, der auf einem betriebseigenen Grundstück angebaut wurde, einsetzen, um Zement zu bekommen.

Lindenstraße // Für viele Häuser war die Aufnahme in das Städte-­ bauförderprogramm lebensrettend.

Als Sie im August 1990 Leiter des Bauamts wurden, hatten Sie sicher ganz andere Probleme? Ja, alles war neu, Gesetzgebung, Stadtplanung und vieles mehr. Ein großes Problem war, die Strukturen in der Stadtverwaltung neu aufzubauen. 1990 hatte die Stadtbauabteilung, wenn ich mich

recht erinnere, 3,5 Stellen. 1994 waren wir über 20 Mitarbeiter. Allein an diesen Zahlen sehen Sie, welche Aufgabenverlagerungen zwischen Kreis, HAG (Hauptauftraggeber Wohnungsbau) und Stadtverwaltung stattfanden. Der Aufschwung kam sofort nach 1990? Einer der wichtigsten Impulse war sicher die Aufnahme in das Städtebauförderprogramm 1991. Roland Kutzki, damals Referatsleiter für Städtebauförderung im Bauministerium, und der Parchimer Stadtplaner Norbert Kreft hatten großen Anteil daran. Die damalige WOBAU Schleswig-Holstein, heutige LGE Mecklenburg-Vorpommern GmbH, hatte als Sanierungsträger große Erfahrungen. Das Engagement der Parchimer Bauherren kam Mitte der 1990-er Jahre richtig in Schwung, was maßgeblich an den Förderprogrammen, aber auch an dem Parchimer Architekten und Bauherren Ulf Harm lag. Wir hatten Glück, dass all diese Dinge zusammen kamen.

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 35

// ZUR PERSON // GÜNTHER WREDE

Gab es damals eine Art Goldgräberstimmung? Das wäre das falsche Wort. Aber vieles war im Aufbruch. Ein Rahmenplan musste geschaffen werden, über eine Gestaltungssatzung musste nachgedacht werden. Gleichzeitig gab es auch eine Unsicherheit, weil viele Alteigentümer ihr Eigentum zurück wollten. Viele hatten ja zu DDR-Zeiten ihre Häuser an die Kommunale Wohnungsverwaltung abgegeben, nicht zuletzt, weil Material und Handwerker rar waren oder von den niedrigen Mieten die Instandhaltung nicht finanziert werden konnte.

Günther Wrede, 67, lernte Maurer mit Abitur und studierte von 1967 bis 1970 an der FH Wismar Bauingenieurwesen. Knapp 20 Jahre arbeitete er bei der ZBO (Zwischengenossenschaftliche Bauorganisation) in verschiedenen Funktionen. Von 1990 bis zu seiner Pensionierung 2009 war er Leiter des Bauamtes der Stadt Parchim.

Kam man denn unbürokratisch an die neuen Fördermittel? Ja. Anträge und Förderbescheide wurden zügig bearbeitet. Allerdings war dies für uns alle natürlich auch neues Terrain. Wir hatten deshalb wöchentliche Sprechzeiten im Bauamt eingerichtet und zu allen Themen rund um die Sanierungen und Fördermöglichkeiten beraten. Die Nachfrage war groß.

Alt und neu // Weil es in der DDR wenig Material gab, blieb viel historische Bausubstanz erhalten. Darauf konnte nach der Wende aufgebaut werden.

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INTERVIEW

»Würde es die Städtebau­förderung nicht geben, müsste man sie erfinden«

»Die Städtebauförderung ist ein Glücksfall« Robert Erdmann, Geschäftsführer der LGE MecklenburgVorpommern GmbH, erklärt, wie Städtebauförderung funktioniert, welche Rolle die LGE dabei spielt und warum jede Sanierung eine Herausforderung ist.

Herr Erdmann, Sie kamen 1991 als frisch gebackener Architekt nach Mecklenburg-Vorpommern. Ihr erster Eindruck? Ich lernte ein wunderschönes Land mit einer desolaten Bausubstanz kennen. Das betraf die Städte wie die ländlichen Regionen. Gleichzeitig konnte man bei vielen Gebäuden historische Details wie barocke Türbeschläge oder originale Fenster entdecken, die mich zum Staunen brachten. Mir war klar: Der Reiz der Häuser, Orte und Regionen würde wiederentdeckt werden – vorausgesetzt, Stadtentwickler, Bauherren und Architekten würden die dafür notwendige Sensibilität an den Tag legen. Totalsanierungen oder Abbrüche, wie sie noch in den 1960-er und 1970-er Jahren in Westdeutschland üblich waren, kamen nicht infrage? Nein, bereits in den 1980-er Jahren setzte die Stadterneuerung längst auf andere Werte.

Rathaus // Dank der Städtebauförderung erstrahlt heute auch das Parchimer Rathaus im neuen Glanz.

Welche? Wer zum Beispiel ein Haus sinnvoll sanieren will, muss zunächst den Wert eines Gebäudes erkennen, seine Bauhistorie bewerten sowie die Einbindung in die Nachbarschaft und die Region beurteilen.

Letztlich geht es bei jeder Sanierung um zwei Dinge: den langfristigen Erhalt und die kluge Weiterentwicklung des baukulturellen Erbes. Wer saniert, braucht ein Auge dafür, wie die historische Substanz bewahrt und gleichzeitig sensibel an die Anforderungen des modernen Lebens angepasst werden kann. Wer saniert, braucht aber auch Geld. Richtig. Gerade darum ist die Städtebauförderung ein Glücksfall. Würde es sie nicht geben, müsste man sie erfinden. Die Städtebauförderung ist ein flexibles Instrument, mit dem Kommunen etwa bei der Sanierung von Schulen, Bibliotheken, Sporthallen und anderen öffentlichen Gebäuden, bei der Gestaltung von Straßen und Plätzen oder dem Stadtumbau der Plattenquartiere unterstützt werden können. Gleichzeitig erlaubt sie die Förderung privater Sanierungsvorhaben. Sie unterstützt also auch private Bauherren bei der Umsetzung ihrer Vorhaben und macht Mut zum qualitätsvollen Sanieren. Man braucht tatsächlich Mut, denn jede Sanierung ist ein kleines Abenteuer: Sie wissen nie, was hinter der nächsten Wand, dem nächsten Stein auf Sie wartet.

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 37

// ZUR PERSON // ROBERT ERDMANN

Wie funktioniert die Förderung? Ziel ist die Beseitigung städtebaulicher Missstände, Grundlage das besondere Städtebaurecht im Baugesetzbuch. Es erlaubt den Kommunen in Abstimmung mit dem zuständigen Ministerium des Bundeslandes, Sanierungsgebiete zu definieren. Die Kommune muss Sanierungsziele aufstellen und erklären, wie man die Beseitigung der baulichen Missstände im Sanierungsgebiet erreichen will und welche Kosten das verursacht. Bund, Land und Kommune teilen sich dann die Grundfinanzierung zu je einem Drittel. Das klingt simpel. In der Praxis ist es dann doch etwas aufwändiger. Allein in den Rahmenplänen der Kommunen, die quasi Fahrpläne für die künftigen Sanierungen sind, steckt ungeheuer viel Arbeit. Das muss wiederum verknüpft werden mit der Investitionsplanung. Die Kommunen müssen ihre Mittel jährlich beantragen. Die für das Jahr bewilligte Summe wird dann, über fünf Jahre verteilt, ausgezahlt.

Robert Erdmann, 48, absolvierte vor seinem Architekturstudium eine Ausbildung zum Bauzeichner. Schon während seines Studiums legte er Schwerpunkte beim »Bauen im Bestand« sowie in der Denkmalpflege. 1991 heuerte er als Projektleiter bei der WOBAU Schleswig-Holstein an, die damals Mitarbeiter für Mecklenburg-Vorpommern suchte. Robert Erdmann betreute unter anderem Projekte in der Schweriner Alt- und Schelfstadt. Nach einem kurzen Abstecher als Architekt in Schwerin kehrte er zur WOBAU zurück. Er war 2003 Gründungsgeschäftsführer der EGS. Heute ist er gemeinsam mit Volker Bruns Geschäftsführer der LGE, mit der die EGS 2015 fusionierte. Er ist Mitglied im Präsidium der Bundesvereinigung der Landes- und Stadtentwicklungsgesellschaften, Vorstand der Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied vieler anderer Vereine und Institutionen, die sich mit Architektur und Städtebau beschäftigen. Die Entwicklung der Städtebauförderung in Mecklenburg-Vorpommern hat er seit 25 Jahren hautnah erlebt und mitgestaltet.

Welche Rolle spielt die LGE dabei? Als Dienstleiter kümmern wir uns um die Projektsteuerung und das gesamte Finanzmanagement. Für die von uns betreuten Städte haben wir seit 1991 ein Treuhandvolumen von mehr als 660 Millionen Euro umgesetzt. Wir beraten unsere Partner, wie sie die Fördermittel effizient und sicher einsetzen können, so dass optimale wirtschaftliche Impulse für die Kommunen entstehen. Wir begleiten auch Einzelmaßnahmen, erstellen Konzepte für die nachhaltige Entwicklung in Städten oder Stadtteilen sowie Dokumentationen und notwendige Verwendungsnachweise. Mit einem Wort: Wir bringen unser vielfältiges Fachwissen in die Kommunen.

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Wer gehört zu Ihrem Team? Wir haben 31 Mitarbeiter an den Stand­ orten Schwerin und Rostock: Stadtplaner, Bauingenieure, Juristen, Geographen und Finanzsachbearbeiter – ein interdisziplinäres Team, das in ganz Mecklenburg-Vorpommern tätig ist. Die LGE betreut unter anderem Waren, Hagenow, Heringsdorf, Sternberg, Barth, Schwerin und Parchim.

Mönchhof 4 und 5 // Wer durch Parchim bummelt, entdeckt an jeder Ecke liebevoll sanierte Häuser.

Wie würde Parchim heute ohne Städtebauförderung aussehen? Das möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Parchim hat Anfang der 1990-er Jahre beschlossen: Wir fangen gleichzeitig mit der Sanierung kommunaler und privater Gebäude sowie der Infrastruktur an. Das war klug, da so vielfältige Impulse gleichzeitig gesetzt werden konnten.

Seither wurden rund 150 Gebäude kompetent und liebevoll saniert. Rund 35 Millionen Euro aus der Städtebauförderung flossen bisher nach Parchim. Dadurch konnte eine deutlich höhere Investitionssumme mobilisiert werden. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten – Kommunalpolitik, Verwaltung, Planer, Bauherren und Investoren – war und ist hervorragend. Auch wenn noch manches zu tun bleibt, heute strahlt Parchim wieder in altem, neuem Glanz.

Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 39

Gesamtmaßnahme Parchim – Altstadt Umsatzübersicht nach Kostengruppen bis Dezember 2015 Gesamtumsatz: 41,6 Mio. Euro

22 %

private Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen 9.221.590,94 Euro

3%

privat nutzbare Anlagen der Gemeinde 1.259.936,94 Euro

0%

sonstige Maßnahmen (Kreditzinsen, Abwicklung der Sanierung) 81.545,16 Euro 12 %

Maßnahmen der Vorbereitung 4.951.765,24 Euro 2%

Freilegen von Grundstücken 952.088,82 Euro

37 % 18 % 6%

Erschließungsmaßnahmen 15.217.311,57 Euro Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtung 7.558.098,00 Euro Ordnungsmaßnahmen 2.357.196,04 Euro

Erschließungsmaßnahmen (beispielweise Straßen, Wege, Plätze, Parkplätze) Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ....................... 34 Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 4 Maßnahmen in Vorbereitung ............................................................................. 8 Ordnungsmaßnahmen (beispielweise Grunderwerb, Freilegung von Grundstücken, Grenzregelungen) Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ......................... 9 Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 1 Maßnahmen in Vorbereitung ............................................................................. 2 Baumaßnahmen (private Gebäudemodernisierungen) Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ..................... 165 Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 6 Maßnahmen in Vorbereitung ........................................................................... 15 Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen (beispielsweise Rathaus, Stadthaus, Museum, Kita) Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ......................... 8 Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 0 Maßnahmen in Vorbereitung ............................................................................. 2

// Städtebaufördermittel // Städtebaufördermittel setzen sich aus Bundesmitteln, Landesmitteln, Eigenmitteln der Kommune sowie aus Einnahmen aus Grundstückserlösen, Ausgleichsbeträgen, Stellplatzablösegebühren, Mitteln Dritter für Einzelmaßnahmen zusammen.

40 //

Parchimer Schmuckstücke

Die schönsten Sanierungsobjekte auf einen Blick Dank der Städtebauförderung strahlen heute viele der privaten Gebäude Parchims in neuem Glanz. Hier sind einige der schönsten:

Alter Markt 3 // Sogar nüchtern betrachtet ist diese schmucke Fassade ein wahrer Hingucker.

42 //

Parchimer Schmuckstücke

// Alte Mauerstraße 1 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz, Teile des Gebäudes sind in die Stadtmauer eingebaut. Bauherr: Anne-Kathrin Zaske Architekt: Dirk Zaske, Architektenbüro Kröpelin & Spegel, Parchim Baujahr: nach 1829, vor 1870 Sanierung: Bestandssicherung 1993, 1. Teilsanierung 1997/1998, 2. Teilsanierung 2003/2004 Sanierungsziele: Beseitigung des Leerstandes durch Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung und -umbau, Verbesserung der Wärmedämmung Erstnutzung: Wohngebäude, Werkstatt Umbauten: Umbau des Werkstatt-Anbaus zum Wohnen Letzte Nutzung: Leerstand

44 //

Parchimer Schmuckstücke

// Lindenstraße 13 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz. Bauherr: Eckhard Josl, Spornitz Architekt: Architektenbüro Kröpelin & Spegel, Parchim Baujahr: 1696/1697 Sanierung: 2009 bis 2015 Sanierungsziele: Beseitigung des Leerstandes durch Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung und -umbau, Verbesserung der Wärmedämmung (Innendämmung), Verringerung der starken Überbauung des Grundstückes mit Nebengebäuden, Umnutzung des Ladens im Erdgeschoss zum Wohnen, Rückbau der Schaufenster im Erdgeschoss Bauhistorie: Slater Fährmann als erster Eigentümer, ab 1917 Tischlermeister Drenkhahn; davor Hofmalermeister Drefahl Umbauten: Ladeneinbau EG 20. Jahrhundert (Fa. Drenkhahn) Letzte Nutzung: Leerstand von Wohnungen und Laden

46 //

Parchimer Schmuckstücke

// Lindenstraße 42 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz und besitzt ein Speicherdach mit Aufzugsrad sowie einen Gewölbekeller. Bauherr: Peter und Ingrid Huth Architekt: R. de Veer/E. Huth/Büro Glänzer Baujahr: 1802 Sanierung: 2006 bis 2007 Sanierungsziele: Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung und -umbau, denkmalgerechte Wiederherstellung des Zustandes vor 1920, Rekonstruktion der ursprünglichen Fachwerkfassade, Verbesserung der Wärmedämmung, Umnutzung des Gewerbes im Erdgeschoss zum Wohnen Bauhistorie: Wohnhaus, ab 1878 Wohn- und Geschäftshaus Umbauten: 1920 Einbau von Schaufenstern durch Kaufmann Gumpert; 1927 Umbau für Kaufmann Hugo Jacobs (Putzanbau) Letzte Nutzung: Leerstand (EG: Laden)

48 //

Parchimer Schmuckstücke

// Mönchhof 4/5 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz. Wichtige städtische Raumkante zum Mönchhof mit Ansicht zum Färbergraben; Werkstatt­anbau 19./20. Jahrhundert, zum Teil auf städtischem Grund im Färbergraben errichtet, dadurch statische, rechtliche und gestalterische Probleme mit den Anbauten. Bauherr: Petra Krüger, Espelkamp Architekt: Dipl.-Ing. Rick de Veer, Architekturbüro R + R De Veer, Schwerin Baujahr: Anfang/Mitte des 18. Jahrhunderts, Stall 1876 Sanierung: 2011 bis 2012 Sanierungsziele: Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung der Wärmedämmung, Verringerung der hohen Überbauung, Öffnung des Hofes zum Färbergraben, Abbruch des Werkstattgebäudes und Auslagerung der Tischlerei Umbauten: großer Werkstatt­ anbau 1912 durch Tischler Adolf Krüger, Aufstockung und Erweiterung 1926, 19. Jahrhundert: vorgemauerte Fassaden, 1920-1930 dreigeschossiger Ziegelanbau Letzte Nutzung: Tischlerei

3 ////Gesichter 50 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Auf dem Sassenhagen 92 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz und war bis zur Sanierung in fast unverändertem Originalzustand erhalten. Historische Küchenausstattung, Speicherdach mit Aufzugsrad, Gewölbekeller. Bauherr: Hans-Dieter und Gabriele Mathews, Auf dem Sassenhagen 92, Parchim Architekt: Architekturbüro Ulf Harm, Parchim Baujahr: nach 1829, 1. Hälfte 19. Jahrhundert Sanierung: 2010 bis 2011 Sanierungsziele: denkmalgerechte Sanierung mit Balkonanbau, Schaffung einer modernen Wohnung, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassaden­ sanierung und -umbau, Verbesserung der Wärmedämmung, Gestaltung des Innenhofes und Einfriedung Bauhistorie: Wohngebäude, Dachboden als Speicher Umbauten: keine Letzte Nutzung: Leerstand

52 //

INTERVIEW

»Wenn man mit den Denkmalschützern redet, findet man gute Kompromisse.«

»Wir würden es wieder tun« Die Familie Mathews blättern in einem dicken Fotoalbum, das die Geschichte einer ungewöhnlichen Sanierung erzählt. Die ersten Bilder zeigen ein halb verfallenes Gebäude und harte Arbeit. Schließlich ist das Baudenkmal Auf dem Sassenhagen 92 in neuem Glanz zu sehen. Beim Blättern im Album erinnern sie sich an zwei Jahre Schufterei.

Sie hatten eine schöne Doppelhaushälfte im Parchimer Pestalozziweg. Warum wollten Sie unbedingt ein halb verfallenes, unter Denkmalschutz stehendes Haus kaufen und sanieren? Hans-Dieter Mathews: Man kann einem Mann keine Frau einreden. Mit einem Haus ist es ebenso: Man verliebt sich. Gabriele Mathews: Eigentlich ist unsere Tochter schuld. Sie war jung verheiratet und wohnte in einer engen Zwei-Zimmer-Wohnung. Gemeinsam suchten wir also eine Wohnung für sie – und fanden ein Haus: Auf dem Sassenhagen 2. Ein Schild im Fenster verkündete, dass das Haus zu verkaufen sei. Damit fing alles an. Hans-Dieter Mathews: Das Gebäude Auf dem Sassenhagen 2 steht auf Resten der alten Stadtmauer und hat einen einmaligen äußeren Laubengang. Das gefiel uns auf Anhieb. Wir kauften das Haus 2002. 2005 waren wir mit der Sanierung fertig…

Auf dem Sassenhagen 92 // Bei jeder Sanierung steckt der Teufel im Detail. Dieser kleine Kerl hat es sich im Flur von Familie Mathews gemütlich gemacht.

…für die Sie den Bauherrenpreis bekamen. Hans-Dieter Mathews: Erstmal kam die Arbeit. Das Haus im Pestalozziweg hatten wir in den 1970-er Jahren selbst gebaut. Damals war vorgegeben, wie die Häuser aussehen mussten und das Material war knapp, dafür war die Finanzierung einfach.

Jetzt war es umgekehrt: Wir konnten unsere Ideen umsetzen, mussten aber aufs Geld achten. Gabriele Mathews: Ohne die Mittel aus der Städtebauförderung hätten wir das nicht geschafft. Antrag und Bewilligung waren völlig unkompliziert, die Zusammenarbeit mit Bauamt, Denkmalschutz und unserem Architekten, Herrn Harm, hervorragend. Aber natürlich mussten wir aufs Geld achten, haben vieles selbst gemacht. Hans-Dieter Mathews: Wir haben in In­ ternet-Annoncen nach Restposten gesucht, mein Schwiegersohn und ich haben Steine geputzt, jeden Tag nach Feierabend bis in die Nacht geschuftet. Trotzdem geht es natürlich nicht ohne Fachleute. Mit dem Bauunternehmer Horst Dummert hatten wir einen großartigen Partner… …und nach der Schufterei Auf dem Sassenhagen 2 noch nicht die Nase voll? Hans-Dieter Mathews: Nein, das Gebäude Auf dem Sassenhagen 92 reizte uns. Nicht nur, weil das Haus unserer Tochter quasi gegenüberliegt. Dieses alte Haus mit dem Dachboden als Speicher gefiehl uns. Wir kauften es 2009. Gabriele Matthews: Aber uns war klar, wieviel Arbeit darin steckt…

Die schönsten Altes bewahren, HäuserNeues // Die Bauen schönsten // 25 Sanierungsobjekte Jahre Stadterneurung auf einen in Parchim Blick ////53 4

// ZUR PERSON // GABRIELE UND HANS-DIETER MATHEWS

…zumal das Haus – wie auch Sassenhagen 2 – unter Denkmalschutz steht. Gabriele Mathews: Das hat uns nicht geschreckt. Wenn man mit den Denkmalschützern redet, findet man gute Kompromisse. Einen großen Teil der Sanierungsarbeiten haben Sie selbst gemacht. Wie haben Sie das neben Ihrem Beruf geschafft? Gabriele Mathews: Wir waren jeden Tag nach 16 Uhr auf der Baustelle und haben bis 20 oder 21 Uhr gearbeitet. An den Wochenenden natürlich den ganzen Tag. Hans-Dieter Mathews: Wir haben erstmal entrümpelt. Das Haus stand rund 20 Jahre leer. Sie glauben nicht, wieviel Müll sich da angesammelt hatte. Wir haben die alten Dachsteine entfernt, den Schornstein abgebrochen, Schuppen abgerissen, das Haus entkernt, zum Teil die alten, morschen Balken ersetzt. Zum Glück hatten wir mit Herrn Harm und Herrn Dummert wieder verlässliche Partner an Bord.

Gabriele und Hans-Dieter Mathews (beide 64, beide echte Parchimer) schätzen an Parchim die kleinstädtische Atmosphäre, das viele Grün, das ländliche Umfeld und die Nähe zur Lewitz. Weg aus der Stadt wollten sie nie. Gabriele Mathews ist gelernte Erzieherin, arbeitete viele Jahre in verschiedenen Parchimer Kindereinrichtungen und später in der Kultur- und Jugendarbeit im »Haus der Jugend«. Hans-Dieter Mathews ist Meister für Abwasserentsorgung und arbeitete 47 Jahre bei den Parchimer Wasserwerken (früher VEB Wasser und Abwasser). Das Haus Auf dem Sassenhagen 92 kauften die Eheleute 2009. Schon zwei Jahre später waren sie mit den Sanierungs­ arbeiten fertig, im Oktober 2011 zogen sie ein.

Die Sanierung eines solchen Gebäudes hat ja auch Risiken, weil nicht alles vorhersehbar ist. Gab es Momente der Verzweiflung? Gabriele Mathews: Manchmal habe ich nachts wach gelegen, denn das meiste haben wir alleine geplant. Da fragte ich mich dann: Wie müssen eigentlich die Leitungen liegen, damit die Lampe genau über dem Tisch hängt? Dann bin ich aufgestanden, habe Steckdosen vermessen und Schablonen gezeichnet. Schlimm war, wenn wir ganz schnell Entscheidungen treffen mussten: Wo soll eigentlich der Herd stehen? Hans-Dieter Mathews: Die körperliche Arbeit hat uns nie gestört, nur bei der Planung haben wir uns manchmal den Kopf zerbrochen. Aber Verzweiflung? Nein, wir würden es immer wieder tun.

Gabriele Mathews // Wie viel Arbeit in der Sanierung steckt, ahnt man beim Blick auf alte Fotos.

54 //

Parchimer Schmuckstücke

// Lange Straße 24 // Nutzung: Restaurant und Vereine Besonderheiten: Als Baudenkmal weitgehend gut erhaltenes 400 Jahre altes Fachwerkhaus mit vier Etagen und Gewölbekeller, Brunnen im Haus, Speicherböden und gut erhaltenes Seilrad für Lastentransporte, repräsentative Schaufassade zur Straße mit Ziegelmustern Bauherr: WOBAU GmbH Parchim, Parchim Architekt: Mikolajczyk – Keßler – Kirsten, Arbeitsgemeinschaft freier Architekten, Schwerin Baujahr: 1612 Sanierung: 1999-2001 Sanierungsziele: denkmalgerechte Sanierung, Beseitigung des Leerstandes durch Umbau und Umnutzung für kulturelle Zwecke, Verbesserung der Wärmedämmung Bauhistorie: 1654-1747 Gewürzhändlerhaus, 1750-1914 Zinngießerhaus Zinngießerhaus (1804 gründete der Hausbesitzer und Zinngießermeister die Parchimer Zichorienfabrik auf dem Brook), 19141991 Mietshaus, Maschinenhandel und KFZ-Werkstatt Umbau: Verzierungen im Zopfstil an der Fassade (um 1800) Letzte Nutzung: Leerstand seit 1991

3 ////Gesichter 56 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Alte Mauerstraße 36 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz und war 1855 eines der ersten Krankenhäuser Parchims mit sieben Krankenzimmern und einer Badestube Bauherr: Dörte und Martin Ecks, Parchim Architekt: Bauplanung Albrecht, Architekt Hans-Dieter Albrecht, Reuterstadt Stavenhagen Baujahr: ca. 1855 Sanierung: 2006/2007 Sanierungsziele: Beseitigung des Leerstandes durch Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung, Sanierung des Fach- und Mauerwerkes, Dach, Fenster, Haustüren Bauhistorie: ca. 160 Jahre alt, Krankenhaus, später Mietwohnungen Letzte Nutzung: Leerstand 2004

3 ////Gesichter 58 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Auf dem Sassenhagen 2 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Denkmalschutz; Wohnhaus, das sich seit seiner Erbauung baulich nicht verändert hat. Es besteht aus zwei Gebäudeteilen, rechts Wohn-, links Wirtschaftsteil. Typisches Wirtschaftsgebäude in Parchim. Besonders sind der Laubengang im Obergeschoss und der mit einer Mauer eingefasste Innenhof zur Straßenseite. Träger des Bauherrenpreises 2005 der Stadt Parchim. Zur Sanierung wurden ausschließlich alte Mauersteine genutzt. Bauherr: Hans-Dieter und Gabriele Mathews, Parchim Architekt: Architekturbüro Ulf Harm, Parchim Baujahr: vor 1870 Sanierung: 2004 bis 2006 Sanierungsziele: Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch eine umfassende Sanierung des vorhandenen Gebäudes unter Einhaltung denkmalrechtlicher Auflagen und Anforderungen Letzte Nutzung: Leerstand

3 ////Gesichter 60 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Auf dem Sassenhagen 67 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Denkmal, Wohnhaus und Nebengebäude mit Laubengang – historisches Ensemble, starke Belastung des Gebäudes durch Holzschutzmittel aus DDR-Zeiten Bauherr: Familie Dietrich Faust, Ellerau Architekt: Bauplanungsbüro Lemke GmbH, Parchim Baujahr: Haupthaus 1796, rückwärtige Hofbebauung 1894/1895 Sanierung: 20072012 Sanierungsziele: umfassende Sanierung des Gebäudekomplexes unter denkmalrechtlichen Anforderungen, Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes und der Wärmedämmung (innen) Letzte Nutzung: Leerstand

3 ////Gesichter 62 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Auf dem Sassenhagen 88/89 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Der Neubau erstreckt sich über zwei Parzellen. Das Gebäude auf dem ehemaligen Grundstück Auf dem Sassenhagen 88 stellt sich als Neubau dar. Er orientiert sich an der Kubatur, der Firsthöhe, der Höhe und Gestaltung des Sockelbereiches sowie in der Aufnahme der unteren Fensterflucht im Erdgeschoss am Nachbargebäude Auf dem Sassenhagen 87. Das Dach wurde mit roten Tonziegeln eingedeckt. Der Neubau auf dem Grundstück Nr. 89 wurde zweigeschossig ausgeführt. Die Fassade dieses Gebäudeteiles wurde umlaufend mit Gesimsbändern gegliedert und die Attika farblich abgesetzt. Öffnungen in der Fassade wurden auf vertikalen Achsen übereinander angeordnet oder auf Achsen bezogen. Die Fenster im Obergeschoss sind nicht höher als im Erdgeschoss. Alle Fenster und die Haustür wurden in Holz ausgebildet. Im Gebäudeteil Nr. 88 sind die Fenster zweiflüglig mit Stulp gefertigt. Das Garagentor entspricht in seiner Formensprache dem eines Neubaus. Rankgerüste und Blumenkästen an der Fassade zum Sassenhagen sind wichtige Gliederungselemente. Der Balkon im Hofbereich wertet die Wohnqualität weiter auf. Bauherr: Thomas Wien, Parchim Architekt: Dipl.-Ing Rick de Veer, Architekturbüro R+R de Veer, Schwerin Baujahr: 2008 bis 2009

3 ////Gesichter 64 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Heidestraße 26 // Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Gebäude, ein freistehender, zweigeschossiger ehemaliger Speicher ist eines der letzten Zeugnisse einer früheren Speicherstadt und steht unter Denkmalschutz. Bauherr: Dr. Heiko Riekehr, Parchim Architekt: Architekturbüro Ulf Harm, Parchim Baujahr: 1789 Sanierung: 2001/2002 Sicherungsmaßnahmen am Speichergebäude, 2003 Bestandssanierung, 2012/2013 Sanierung des Speichers und Einbau einer Wohnung Sanierungsziele: Beseitigung des Leerstandes des Speichergebäudes, Umnutzung als Wohngebäude, Fertigstellung der Außenfassade, Einfriedung des Grundstückes mit einer Mauer aus Backsteinen. Bauhistorie: Der Speicher wurde in Fachwerkbauweise errichtet. Er besteht aus Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Alle drei Geschosse wurden als Lagerflächen genutzt. Speicherluken und Tore sind auf beiden Giebelseiten vorhanden. Im Giebel zur Heidestraße befinden sich im Ober- und Dachgeschoss Ladeluken mit einem Galgenaufzug. Das Gebäude befand sich noch im unmittelbaren Erbauungszustand. Über dem Einfahrtstor an der Heidestraße findet sich im Torsturzbalken eine Inschrift. Der Inhalt lässt auf das Erbauungsjahr 1789 schließen. Damit gehört der Speicher zu den ältesten erhaltenen Gebäuden Parchims Letzte Nutzung: Leerstand

3 ////Gesichter 66 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Lindenstraße 3 // Nutzung: Wohn- und Geschäftshaus (Wohnen/Restaurant) Besonderheiten: Das Gebäude steht unter Denkmalschutz; zweistöckiges Fachwerktraufenhaus mit einem zweistöckigen, hofseitigen Flügelbau. Das Haus besitzt eine Tordurchfahrt auf den Hof. Bauherr: Swarn Jit Singh, Parchim Architekt: Dipl.-Ing Rick de Veer, Architekturbüro R+R de Veer, Schwerin Baujahr: nach 1795 Sanierung: 2008 Sanierungsziele: denkmalgerechte Sanierung des Gebäudes. Wiederherstellung des ehemaligen mittigen Hauseinganges zur Lindenstraße, Erhalt der Tordurchfahrt, Wiederherstellung der Biberschwanzeindeckung des Daches. Bauhistorie: um 1795 Brauerei, im Jahr 1866 wird erstmals J. Hoffmann als Bierbrauereibesitzer erwähnt. Nach 1920 wurde die bis dahin eigenständige Brauerei aufgegeben und als Verlagsbrauerei der Lübzer Brauerei weitergeführt. Nach 1945 Enteignung der Familie Hoffmann, die Nutzung der Gebäude blieb bestehen. Das Erdgeschoss wurde gewerblich genutzt (Büro und Wirtschaftsräume), im Obergeschoss entstanden Wohnungen. 1903 wurde der mittlere Hauseingang zur Lindenstraße geschlossen und durch zwei Fenster ersetzt. Innerhalb der Tordurchfahrt wurde ein neuer Eingang geschaffen. In den 1970-er/1980-er Jahren gab es weitere Veränderungen. Das Biberschwanzdach (Einfachdeckung mit Spließen) wurde abgenommen und durch eine Dachdeckung aus Betondachsteinen ersetzt. Der Hauseingang in der Tordurchfahrt wurde wieder geschlossen und in den Hof verlegt. Das Tor an der Straße wurde durch ein einfaches Brettertor ersetzt. Letzte Nutzung: 15 Jahre Leerstand

3 ////Gesichter 68 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Mittelstraße 12 // Nutzung: Wohnen oder Gewerbe, voraussichtlich mit Ausnahmegenehmigungen Besonderheiten: Denkmalschutz; historisches Fachwerkhaus in Ständerbauweise, zweitältestes, noch existierendes Gebäude der Stadt, die Holzverbindung ist mit einem sogenannten Zapfenschloss verankert. Lediglich drei Häuser in Norddeutschland weisen heute noch dieses Zapfenschloss auf, das am Fachwerk erkennbar ist. Bauherr: Stadt Parchim Architekt: Dipl.-Ing. Günter Ehrhardt, Neu Lübstorf Bauzeit: nach 1588/1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Dendrologische Untersuchungen ergaben, dass das Bauholz erst 1588 gefällt wurde. Sanierung: Bestandssicherung der Außenhülle und des Hausbaumes 1998 Sanierungsziele: Sicherung und Erhalt des hochkarätigen Denkmalgebäudes für die Stadt Parchim, freie Entscheidungsmöglichkeit zur zukünftigen Nutzung für den zukünftigen Eigentümer (nur Außenhülle vorhanden mit dem Hausbaum), Verbesserung des Stadtbildes Bauhistorie: Das Gebäude wurde als Speicher gebaut. Der Umbau zum Wohnhaus könnte im 17./18. Jahrhundert, vielleicht im Zusammenhang mit der Aufteilung des Hauses, erfolgt sein. Dabei sind neue Decken eingezogen worden, die das Innere stark veränderten. Über der Tür im Giebel stand die Jahreszahl 1667. In einer Höhe von 4,50 m über dem Dielenfußboden sind die Deckenbalken als Ankerbalken eingezapft. Die »Ohren« dieser Balken, die verlängerten Zapfen, schauen vor die Ständer und sind dort mit Holznägeln gegen ein Verrutschen gesichert. Das über der ursprünglich hohen Diele befindliche Speicherstockwerk war zwei Meter hoch. Wagen konnten durch die in der Giebelwand erkenntliche Einfahrt ins Innere gebracht werden. Die Waren wurden mit Hilfe einer Winde in die Speicheretage gehievt. Verschiedene Merkmale (Lattung des Daches und »Wendenknüppel« im Giebel) weisen darauf hin, dass der Bau einst eine Stroheindeckung besaß. Letzte Nutzung: Leerstand

3 ////Gesichter 70 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Schuhmarkt 7 // Nutzung: Wohn- und Geschäftshaus Besonderheit: Das Haus steht unter Denkmalschutz. Bauherr: Ulf Harm, Parchim Architekt: Ulf Harm, Parchim Sanierung: Modernisierung und Instandsetzung des Gebäudes 1999/2000 Sanierungsziele: Bestandssicherung des Gebäudes, Modernisierung und Instandsetzung unter Einhaltung der denkmalrechtlichen Anforderungen an das Fachwerkhaus Bauhistorie: Das flachgeneigte Tonnengewölbe des Kellers dürfte aus der Frühgotik stammen. Die Steinformate stammen aus dem 14. oder frühen 15. Jahrhundert. Auch die Kapitelausbildung der Mauerwerkssäule im Keller lässt auf eine Errichtung im 14. Jahrhundert schließen.Nach dem Brand von 1612 wurde das Gebäude um 1620 neu aufgebaut (dendrochronologische Untersuchungen unterstützen das). Nutzung als Ackerbürgerhaus. Mit der Zunahme der Verstädterung und unter Einwirkung der Pest und des 30-jährigen Krieges gab es häufig Besitzerwechsel. Das Haus wurde in den Obergeschossen überwiegend zu Wohnzwecken, auch mit Mietern, genutzt; das Erdgeschoss bis zum Juni 1994 gewerblich. Letzte Nutzung: Leerstand

3 ////Gesichter 72 einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft Parchimer Schmuckstücke

// Wockerstraße 5 // Nutzung: Wohn- und Geschäftshaus, Erdgeschoss: Gaststätte, Obergeschoss: Wohnen Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz, der Gewölbekeller wurde als Bierkeller und Lager genutzt. Rad zum Heraufziehen von Lasten giebelseitig im Dachbodenbereich. Bauherr: Familie Reinhard Dahlke, Parchim Architekt: Ulf Harm, Parchim Baujahr: etwa 1700-1750 Sanierungsziele: Fassadensanierung 1994/1995, Verbesserung des Orts- und Straßenbildes und Verbesserungen der Nutzungsqualitäten, Erneuerung und Wiederherstellung des Fachwerkgebäudes sowie einheitliche Farbgebung des Hauses, Gestaltung der einsehbaren Hofansicht, Anpassung an das Haupthaus, Erneuerung bzw. Aufarbeitung der Fenster und Türen, Erneuerung des Daches, Wärmedämmung, Instandsetzung Dachstuhl. Alle Ziele sind unter Einhaltung der denkmalrechtlichen Anforderungen umzusetzen. Bauhistorie: Im 18. Jahrhundert befand sich im rechten Teil des Gebäudes ein Kolonialwarenhändler. Links war die Schankstube, im Obergeschoß wurde gewohnt. Das Haus war zur damaligen Zeit ein Halt im Postkutschenverkehr, bedingt durch seine günstige Lage zum Wockertor als Stadttor. (Die letzte Postkutsche nach Crivitz fuhr im Juli 1893.) Hofseitig befanden sich die Pferderemisen, das Fachwerkhaus auf der Seite zum Heiligen Geisthof. Das hofseitige Gebäude gibt es noch heute. Geht man weiter in der Geschichte Parchims zurück, findet man heraus, dass auf dem jetzigen Standort des Hauses Wockerstraße 5 im 17. Jahrhundert die Heiligegeisthof-Kapelle stand. Daher auch der Name der Nebenstraße: Heiligergeisthof. Zwei alte Stadtpläne von 1696 und 1828 zeigen die Heiligegeistkapelle und das jetzige Gebäude mit der hofseitigen Ausspannung. Letzte Nutzung: Wohnen: Leerstand, Gaststätte: bewirtschaftet

74 //

INTERVIEW

»Mir war die Chance klar, an diesem Stadtbild etwas zu ändern.«

»Wir alle haben gelernt« Der Parchimer Architekt Ulf Harm gehört zu den Pionieren des Altstadtumbaus. Seit 25 Jahren prägt er mit Entwürfen, Impulsen und Engagement das Gesicht der Stadt. Eines seiner vielen Projekte: Auf dem Sassenhagen 92. Für die Zukunft fordert er Mut zur Lücke und mehr Grün in der Innenstadt.

Herr Harm, was macht einen guten Architekten aus? Kreativität und fachliches Können sind selbstverständlich. Einfühlungsvermögen, Begeisterung, Überzeugungskraft und die Fähigkeit, zwischen Menschen zu vermitteln, unterscheiden einen guten von einem mittelmäßigen Architekten. Woher kommt Ihre Begeisterung für Parchim? Ich bin hier geboren und zur Schule gegangen, ich lebe hier. Für mich ist die Stadt mit ihrer Nähe zum Wasser und dem mecklenburgischen Charme, der nie durch Reichtum oder Protz geprägt war, Heimat.

Heidestraße 26 // Aus dem herunter­ gekommenen Speicher machte der Architekt Ulf Harm ein charmantes Wohnhaus mit historischem Flair.

Sie machten sich 1990 als Architekt selbstständig. Wie sah Ihre Heimatstadt damals aus? Verfallen wie die meisten Städte Ostdeutschlands, es bröckelte überall. Mir war damals die Chance klar, an diesem Stadtbild etwas zu ändern. Der geschlossene Stadtkern mit den wunderschönen alten Häusern war und ist ein großes Potential.

Die Möglichkeiten zur Veränderung lagen quasi auf der Straße? Ja, Anfang der 1990-er Jahre herrschte eine ungeheure Aufbruchsstimmung. Zu Beginn der Städtebauförderung gab es Förderquoten von bis zu 80 Prozent. Ohne diese Fördermittel wäre das Bauen nicht möglich gewesen. Mit der heutigen LGE, der Stadt Parchim mit dem Bauamt, dem Landesamt für Denkmalschutz und vielen Geschäftsleuten mit Visionen waren von Anfang an die richtigen Partner im Boot. Natürlich war damals für uns vieles neu. Aber wir haben schnell gelernt und die Chance für Parchim beim Schopf gepackt. Der Speicher in der Heidestraße, das alte Postgebäude, Schuhmarkt 7, Sassenhagen 92, die Lindenstraße – viele Ihrer Projekte haben das Gesicht der Stadt geprägt. Wie hat die Arbeit Sie verändert? Ich habe unendlich viele Erfahrungen gesammelt. Erfahrungen macht man nicht in der Schule oder während der Ausbildung, sondern im Umgang mit Menschen und Projekten. Dabei habe ich meinen Blick für das Wesentliche geschärft und Gespür für Details bekommen. Alte Häuser zu neuem Leben zu erwecken, ist das eine. Etwas anderes ist es, dabei

Die schönsten Häuser // Die schönsten Sanierungsobjekte auf einen Blick // 75

// ZUR PERSON // ULF HARM

mit allen Beteiligten – vom Bauherren bis zum Denkmalpfleger – um die besten Lösungen zu ringen. Da braucht man Überzeugungsraft und Spontanität. Routine hilft selten weiter.

Ulf Harm (60) ist Architekt und waschechter Parchimer. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Maurer mit Abitur, studierte Hochbau und arbeitete bis 1990 als Bauleiter und Planer in der Parchimer ZBO (Zwischen­ genossenschaftliche Bauorganisation). Seit 1990 ist er freier Architekt. Etliche Häuser in der Parchimer Altstadt, wie das Haus Schuhmarkt 7, hat er selbst gekauft und teils in historischer Lehmbauweise liebevoll restauriert.

25 Jahre nach Beginn der Altstadtsanierung – was bleibt zu tun? Vieles haben wir erreicht, Parchim kann sich heute sehen lassen. Die meisten der sanierungsfähigen Gebäude sind umfassend saniert. Häuser, die heute noch unsaniert sind, werden wohl größtenteils abgerissen. Daraus ergibt sich das Problem der Zukunft: Wie gehen wir mit den Baulücken um? Wir brauchen nicht nur Pläne für jede Baulücke, sondern müssen auch für das Bauen und Wohnen in der Altstadt werben. Man muss sein Eigenheim nicht auf die grüne Wiese bauen. Auch für Eigenheimbauer hat die Altstadt einen besonderen Charme: kurze Wege, eine geschlossene Bebauung mit gestalteter Architektur, Hofbereiche, die als grüne Oasen mit besonderem Flair punkten. Wir brauchen also Mut zur Lücke.

Schuhmarkt 7 // Das ehemalige Ackerbürgerhaus stand jahrelang leer. Dann rettete es Ulf Harm. Heute blüht es in altem, neuem Glanz.

76 //

Fritz-Reuter-Regionalschule // Durch den Neubau sollte der Charme des denkmalgeschützten Altbaus nicht zerstört werden.

Neues bauen Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen

Im Rahmen der Städtebauförderung wurde nicht nur Altes saniert, sondern auch Neues gebaut. Sabine Braun, Sachgebietsleiterin Hochbau, erklärt an zwei Beispielen, worauf die Stadt dabei Wert legte.

78 //

Der Erweiterungsbau der Fritz-Reuter-Regionalschule

D

er Schulkomplex Mönchhof ist einer der ältesten Schulstandorte Parchims. Die Backstein-Fassaden der Regionalschule Fritz Reuter, der Grundschule Adolf Diesterweg und der Städtischen Turnhalle geben dem Komplex sein Gesicht. Die Schulgebäude wurden Ende des 19. Jahrhunderts, die Sporthalle im Jahr 1930 errichtet. Seither gab es mehrere Teilsanierungen, Um- und Anbauten, um den ständig wachsenden Ansprüchen an den Schulbetrieb gerecht zu werden.

Erweiterungsbau // Transparenz, Licht und Farbe sorgen für eine lebendige Atmosphäre. Hier lernt man gerne.

Bevor es mit dem Neubau losging, befand sich in Hoflage, angrenzend an das Schulgelände, ein zweigeschossiger Bau. In ihm waren die Werkräume für die Fritz-Reuter-Schule untergebracht. Ebenso verband ein aus den 1960-er Jahren stammendes eingeschossiges Gebäude die Grund- und Regionalschule. Dort befanden sich die Sanitäranlagen für beide Schulen. Diese waren durch relativ breite Flure erschlos-

sen, die gleichzeitig zu den beiden Schulhöfen führten. Komfort und Platz für 300 Kinder Anfang 2010 wurden die Forderungen nach Modernisierung und vor allem Erweiterung der Regionalschulkapazität um einen Ganztagsbereich immer lauter und entsprechende Pläne gemacht. Der langfristige Bestand dieses Schulstandortes war und ist durch die Schulentwicklungsplanung gegeben. So galt es, neben der Schaffung von Räumlichkeiten für den Ganztagsunterricht für mehr als 300 Kinder auch die schulischen Bedingungen insgesamt zu verbessern. Außerdem war eine behindertengerechte Erschließung für beide Schulgebäude wichtig, so dass auch Kinder mit körperlichem Handicap hier zur Schule gehen können. Schnell wurde klar, dass der vorhandene eingeschossige Verbindungsbau durch einen zweigeschossigen Bau ersetzt wer-

Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen // 79

den musste. Die besondere Herausforderung für den Architekten bestand darin, mit dem neuen Gebäudeteil die Architektur der denkmalgeschützen Altgebäude nicht zu beeinträchtigen, aber dennoch eine funktionale Verbindung zu schaffen. Ergebnis war der Entwurf eines modernen Baukörpers, der mit architektonischen Gestaltungselementen wie Transparenz, Offenheit, Licht und Farbe nicht nur für die heutige Bauepoche steht, sondern auch den Charakter des modernen Schulbetriebes widerspiegelt. Eine detaillierte Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde war in allen Planungsphasen selbstverständlich. Bauen bei laufendem Betrieb Knifflig war, dass alle Baumaßnahmen bei laufendem Schulbetrieb realisiert werden mussten. Dies war besonders schwierig, da die haustechnischen Versorgungen von Schulgebäude und Verbinder jeweils eine Einheit bilden und in der Regionalschule auch überwiegend saniert wurden. Zudem wurden gleichzeitig in der Fritz-Reuter-Schule ein zusätzlicher behindertengerechter Aufzug eingebaut und umfangreiche nutzungsoptimierende Um-

bauten vorgenommen. Eine giebelseitige Anbindung erfolgte bei beiden Schulen im Erdgeschoss und in der Realschule zusätzlich im 1. Obergeschoss. Die lichte, farbige Fassadengestaltung des Neubaus setzt sich im Innern des Gebäudes fort. Die Räume mit unterschiedlicher Größe und Funktion spiegeln sowohl Lebendigkeit als auch die zum Lernen erforderliche Ruhe wider. Im Erdgeschoss befinden sich moderne WC-Anlagen, separat für jede Schule.

Der Neubau durfte das denkmalgeschützte Gebäude nicht beeinträchtigen.

In der Regionalschule ermöglichen zwei modern ausgestattete Werkräume anspruchs­ vollen Unterricht. Im Obergeschoss befindet sich ein großer Multifunktionsraum, der als Bibliothek, Veran­ staltungsraum und Schülercafé genutzt wird. An ihn grenzt eine Lehrküche. Außerdem findet man in dieser Ebene den neuen Musikraum, Kreativ-, Gruppenunterrichtsräume und das Büro des Schulsozialarbeiters. Mit einem Wort: Durch den Erweiterungsbau ist das Lernen moderner, der Unterricht facettenreicher geworden.

Moderne Gestaltung // Die Symbiose aus Alt und Neu ist auch im inneren des Verbindungsbaus nicht zu übersehen.

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Der Neubau des Horts an der Adolf-Diesterweg-Schule Das Grundstück Fischerdamm 6 grenzt unmittelbar an den Schulkomplex Mönchhof, im Westen an den Giebel der Grundschule Adolf Diesterweg, im Norden an den Schulhof der Regionalschule Fritz Reuter. Die Räume im Dachgeschoss der Adolf-Diesterweg-Schule wurden Anfang der 1990-er Jahre für den Hort hergerichtet. Jetzt entsprachen sie nicht mehr den Ansprüchen an eine zeitgemäße außerschulische Betreuung.

Moderner Hort // Der Hort passt sich an die benachbarten denkmalgeschützten Gebäude an. Vor Baubeginn stand hier ein altes Wohnhaus.

Nachdem 2013 der neue Verbindungsbau zwischen der Fritz-Reuter- und der Adolf-Diesterweg-Schule in Betrieb genommen wurde, sollten jetzt moderne Räume für den Hort geschaffen werden. Da die vorhandenen Schulgebäude dies nicht ermöglichten, erwarb die Stadt das leerstehende Wohnhaus Fischerdamm 6. Schnell war klar, dass Umnutzung und Sanierung einem modernen Hort nicht gerecht würden. Deshalb wurden Abbruch und Neubau geplant.

»Offenes Arbeiten« Ziel der Planung war die Errichtung eines separaten Hortgebäudes für ca. 130 Kinder mit barrierefreier Erschließung von der Straße Am Fischerdamm sowie einer direkten Verbindung zwischen Hortund bestehendem Grundschulgebäude in zwei Ebenen. Das neue Gebäude sollte eine »offene Arbeitsweise« ermöglichen. Ferner sollten Räumlichkeiten der Schule gegebenenfalls auch vom Hort genutzt werden können. Gleiches galt für den Schulhof und Spielplatz, zu dem die Hortkinder Zugang durch die Räumlichkeiten der Schule haben. Die nach dem Abbruch des Wohnhauses entstandene schmale, tiefe Baulücke in einer geschlossenen Straßenfront – gelegen zwischen zwei denkmalgeschützten Gebäuden, gegenüber dem ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden imposanten Mühlengebäude – war für die

Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen // 81

Architektin eine besondere Herausforderung. Es galt, einen Baukörper zu entwerfen, der sich architektonisch-stadtplanerisch in das Gesamtbild der Straße einfügt, sich dem in östlicher Richtung angrenzenden gewaltigen Giebel des Wohnhauses des ehemaligen Mühlenbesitzers nicht beugt und zudem modernes Bauen für Kinder auch in seiner Fassade spiegelt. Modern und harmonisch Entstanden ist ein dreigeschossiges, eben­erdig zugängiges Gebäude mit Flachdach, das sich in der Fassadengestaltung an dem neuen Verbindungsbau zwischen der Fritz-Reuter- und der Adolf-Diesterweg-Schule orientiert. Es greift in der Gebäudetiefe das Wohngebäude des ehemaligen Mühlenbesitzers auf. Der Schulhof der Fritz-Reuter-Schule wird auf diese Weise in südlicher Richtung harmonisch geschlossen. Auf der Straßenseite ist der Baukörper stark gegliedert. Dadurch passt er sich harmonisch in die Nachbarbebauung ein und setzt sich zugleich als modernes Element ab. Um die Innenräume ausrei-

chend zu belichten, gibt es viele Fenster. Oberlichter im zweiten Geschoss und ein Lichtschacht im zentralen Bereich sorgen zusätzlich für Helligkeit. Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich der Empfangsbereich mit angrenzender Garderobe. Im hinteren Gebäudeteil gibt es Räume zur Erledigung der Hausaufgaben, einen Informatikbereich und einen Entspannungsraum. Auch wird der administrative Bereich, für den ein angrenzender Raum der Schule umgebaut wurde, von hier aus erschlossen. Im zentralen Bereich liegen in allen Ebenen die Sanitäranlagen, das Treppenhaus und der Aufzug, der sowohl den Hort als auch die Schule erschließt.

Fenster, Oberlichter und ein Lichtschacht sorgen für viel Helligkeit.

Im ersten Obergeschoss gibt es eine Kinderküche mit Café sowie zwei Kreativ­ räume mit Abstellbereichen. Das zweite Obergeschoss ist mit mehreren Spiel-, Bau- und Bewegungsräumen der spannenden, individuellen Freizeitbeschäftigung vorbehalten. Somit bietet der neu gebaute Hort optimale Bedingungen für die Kinder und passt sich gleichzeitig hervorragend in seine Umgebung ein.

// ZUR PERSON // SABINE BRAUN Sabine Braun (58) ist Leiterin des Sachgebietes Hochbau bei der Stadt Parchim. Von 1975 bis 1979 studierte sie an der damaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen, der heutigen Bauhaus-Universität in Weimar. Als frisch gebackene Diplomingenieurin der Fachrichtung Ingenieurbau arbeitete sie zunächst im Bereich Statik in einem Berliner Bau- und Projektierungsbüro. Von 1981 bis 1982 war sie in der Projektierungsabteilung des Schweriner Stadtbetriebes tätig. Nach einem Abstecher in die technische Abteilung der damaligen Dresdner Hutfabrik kam sie 1985 nach Parchim. Ihr erster Eindruck von der Stadt: »Eine vielseitig geprägte Kleinstadt mit erheblichem Sanierungsstau in der Altstadt, aber umgeben von wunderbarer Natur.« Sabine Braun arbeitete zunächst in der Investitionsabteilung des VEB Nordfrucht »Elde« (hier wurden Obst- und Gemüsekonserven hergestellt), bevor sie 1991 Sachgebietsleiterin Hochbau bei der Stadt Parchim wurde. Auch nach 25 Jahren findet sie ihren Job spannend und meint, frei nach Rudolf Steingen: »Jedes Bauvorhaben gleicht einer Uraufführung ohne Generalprobe, bei dem das Orchester immer wieder neu zusammengestellt und das Publikum zunehmend sensibler wird.«

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INTERVIEW

»Wer in der Altstadt baut, muss sich auf die Altstadt einlassen.«

»Parchim darf kein Museum sein« Als Norbert Kreft 1991 aus Schleswig-Holstein nach Parchim kam, entdeckte er eine intakte, aber sanierungsbedürftige Stadt. Seither kümmert sich der Stadtplaner nicht nur um Sanierungen, sondern auch um Neubauten in der Altstadt. Diese sind naturgemäß heikel.

Herr Kreft, wie muss der optimale Neubau für eine Altstadt aussehen? Ein Neubau sollte sich als Neubau präsentieren. Historisierende Bauten, die ein Alter vorspiegeln, das sie nicht haben, finde ich weniger schön. In einer lebendigen Stadt wurde zu allen Zeiten gebaut. Deshalb sollte sich in gegenwärtigen Gebäuden die Gegenwart spiegeln. Das gilt auch für Parchim, schließlich darf die Stadt kein Museum sein. Trotzdem muss natürlich sensibel gebaut werden. Was bedeutet das? Ein Neubau sollte sich in seine Umgebung einfügen und nicht den Maßstab sprengen. Ein großer Klotz neben einem zierlichen Fachwerkhaus fällt aus dem Rahmen. Gestaltungselemente wie etwa die Traufständigkeit können bei neuen Bauten gut aufgenommen werden.

Moderne Verbindung // Ein Neubau sollte sich als neu präsentieren. Die Stadt Parchim ging bei der Erweiterung des Stadthauses mit gutem Beispiel voran.

Nun gibt es in der Parchimer Altstadt noch immer etliche Baulücken… Sie zu schließen, ist mir ein Anliegen, denn die geschlossene Bauweise ist typisch für Parchim. Wer Lücken bebaut, muss aber darauf achten, dass der Lückenschluss gelingt. Dabei ist die Gestaltung von Giebel und Fassade wichtig. Tote Fassaden strahlen nicht auf die Straße aus.

Woran muss man sich halten, wenn man in der Altstadt bauen will? Die Grundsätze stehen in unserer Gestaltungssatzung. Sie gibt Grundlagen und Orientierung, garantiert aber kein schönes Bauen. Wir bieten deshalb umfassende Beratungen an, versuchen, künftige Bauherren, Architekten, Denkmalpfleger, Rahmenplaner und Bauamt im Vorfeld eines Bauvorhabens an einen Tisch zu bringen. Uns liegt diese Abstimmung sehr am Herzen. Aber natürlich kann jeder auch ohne Abstimmung einen Bauantrag einreichen. Welche Vorzüge bietet das Bauen in der Altstadt gegenüber der sprichwörtlichen »grünen Wiese«? In der Altstadt ist alles gut zu Fuß zu erreichen, die Infrastruktur ist intakt. Inzwischen gibt es aus Mitteln der Städtebauförderung auch Geld für das Auffüllen von Baulücken – momentan sind das 225 Euro pro Quadratmeter. Das ist anders als in den frühen Jahren. Damals wurden Neubauten nicht gefördert, die Sanierung des Bestandes hatte Vorrang. Trotz dieser Vorzüge: Wer in der Altstadt baut, muss sich auf die Altstadt einlassen. Das Grundstück ist in der Regel nicht riesig, die Nachbarn sind nicht fern und Raum für einen PKW-Stellplatz ist oft nicht vorhanden.

Altes bewahren, Neues Neues bauen Bauen // Platz // 25 zum Jahre Lernen, Stadterneurung Spielen, Entspannen in Parchim////83 4

// ZUR PERSON // NORBERT KREFT

Und ein Bungalow passt vermutlich schlecht in die Altstadt? Zweigeschossig sollte der Bau schon sein. Es gibt viele gelungene Beispiele für neues Bauen in der Altstadt, etwa Auf dem Brook 21, Apothekenstraße 2/3 oder die Blutstraße. Dort gibt es etliche Neubauten. Alle fügen sich harmonisch in das Ensemble der alten Blutstraße ein. Trotzdem kann man erkennen, dass es Neubauten sind – zum Glück.

Norbert Kreft, 60, wuchs in Schleswig-Holstein auf und studierte nach dem Abitur an der TU Dortmund Raumplanung. Er arbeitete unter anderem in einem Dortmunder Planungsbüro, wo er alte Häfen und Kanäle zu neuem Leben erweckte. In Parchim machte er 1990 zunächst als Tourist Halt. Ihn faszinierte der ursprünglich erhaltene Stadtgrundriss, gleichzeitig fiel ihm der enorme Sanierungsbedarf ins Auge. »Ich dachte damals: Sanierungen von diesem Ausmaß dauern üblicherweise mehr als eine Generation«, sagt Kreft. Als Neumünster für die Partnerstadt Parchim einen Stadtplaner suchte, packte er seine Koffer und zog nach Parchim. Als langjähriger Leiter des Sachgebietes Stadtplanung hat Norbert Kreft großen Anteil daran, dass wesentliche Ziele der Parchimer Stadterneuerung schon nach 25 Jahren erreicht wurden – und nicht erst nach einer Generation.

Bauen in der Altstadt // Wer in der Altstadt baut, muss sich auf die Altstadt einlassen. Das hat manche Nach-, aber auch viele Vorteile. Um noch vorhandene Lücken zu schließen, bekommen Bauherren Geld aus der Städtebauförderung.

3 //// 84

Spielplätze

Raum für Spiel Die Spielplätze

// Spielplatz Bleicherberg // Nutzung: öffentlicher Spielplatz Besonderheiten: Bodendenkmal Burgwall Bauherr: Stadt Parchim Architekt: Landschaftsarchitektin Ellen Hausmann, Schwerin Fördermaßnahme: KIP-Mittel Bauzeit: August/September 2003, Pflanzung November, Übergabe am 8. September 2003 Sanierungsziele: Neugestaltung in Anlehnung an die Stadtgeschichte durch entsprechende Spielgeräte (Burg als Hinweis auf die slawische Burganlage, Fischerhütte als Anspielung auf die erste nachgewiesene Fischerzunft in Deutschland), Herstellung der Verkehrssicherheit Geschichte: Reste des slawischen Burgwalls, Ersterwähnung 1170. Der Burgwall wurde später auch zum Wäschebleichen durch Parchimer Bürger genutzt, daher auch der Name »Bleicherberg«. Seit ca. 1970 standen erste Spielgeräte auf dem heutigen Spielplatzstandort. Baujahr: genaues Baujahr nicht bekannt Besonderheit: An der Planung beteiligte sich eine Schulklasse der Goethe-Regionalschule.

Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen // 85

und Abenteuer Wer gut lernt, hat auch Zeit zum Spielen. Im Rahmen der Stadterneuerung bekamen deshalb auch altgediente Spielplätze neue Gesichter. Hier zwei Beispiele:

// Spielplatz Wallanlagen // Nutzung: öffentlicher Spielplatz Besonderheiten: Denkmalschutz seit 1930 Bauherr: Stadt Parchim Architekt: OLP Klisch & Schmidt, Schwerin Fördermaßnahme: Städtebauförderung Bauzeit: 20042005 Planung, 2005-2006 Bauausführung, Übergabe im April 2006 Sanierungsziele: denkmalgerechte Neugestaltung, Herstellung der Verkehrssicherheit Geschichte: An dieser Stelle gibt es seit 1933/1934 einen Spielplatz, davor befand sich unterhalb dieser Fläche seit den 1920-er Jahren zumindest ein Sandkasten. Baujahr: genaues Baujahr des ersten Spielplatzes ist nicht bekannt

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Tiefgreifende Erneuerung Die Sanierung der Infrastruktur

Städtebauliche Sanierungen sind immer Gesamtmaßnahmen. Auch Ausbau und Neuordnung der Infrastruktur von Straßen und Plätzen gehören dazu – und sind für alle Beteiligten eine Nagelprobe.

D

ie Straßen einer Stadt prägen das Stadtbild. Im Sanierungsgebiet Parchim, einschließlich der Erweiterung südliche Altstadt, befinden sich etwas mehr als neun Kilometer Straßen. In den zurückliegenden Jahren waren die Sanierungsbemühungen innerhalb der Altstadt durch die vielen Baustellen, auch in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt, unübersehbar. Sie waren Ausdruck für den großen Bedarf an Erhaltung, Erneuerung und Verbesserung der Oberflächen wie auch der darunterliegenden unterirdischen Anlagen. Innerstädtische Straßenflächen sind ja längst nicht nur Verkehrs- und Aufenthaltsflächen, sondern auch Bau- und Verfügungsraum für die unterirdisch verlegten Ver- und Entsorgungsleitungen. Unser Ziel war also nicht nur, die alten Straßenbeläge zu erneuern, für die Benutzer attraktiver zu machen und Trag- und Standfestigkeit des Straßenschichtenaufbaus den gestiegenen Verkehrsbelastungen anzupassen. Gleichermaßen galt es, die Neuordnung und Verlegung der technischen Infrastruktur zu berücksichtigen. Bevor also die eigentlichen Straßenbauarbeiten in Angriff genommen werden konnten, wurden sämtliche vorhandenen alten Leitungsbestände der verschiedenen Leitungsträger wie Telefon- und Elektrokabel, Gas- und Trinkwasserleitungen ausgebaut und neu verlegt. Unterirdische Technik Breitbandkabelanlagen wurden erstmals im unterirdischen Straßenraum eingeordnet. Auch die stark überalterten Abwasserrohrleitungen wurden im Zug der Straßensanierungsvorhaben durch Neuanlagen ersetzt. Bedingt durch die umwelttechnisch erforderliche Umstellung

von Mischkanalisation auf Trennkanalisation bedeutete dies, dass eine zusätzliche Rohrleitung unter der Straßendecke Platz finden musste. Aber die Zusammenarbeit mit den zuständigen Leitungsträgern und Institutionen klappte meist problemlos. Dabei half die extra für entsprechende Bauabstimmungen ins Leben gerufene Koordinierungskommission. Auf ihren regelmäßig stattfindenden Treffen konnten vorbereitende Absprachen getroffen werden, die eine reibungslose Abstimmung der Leitungsverlegearbeiten garantierte. Rücksicht und effektives Bauen Bei jedem Bauvorhaben sind Behinderungen und Beeinträchtigungen für Anwohner, Gewerbetreibende und Geschäftsinhaber unvermeidlich. Umso größer waren die Bemühungen aller Beteiligten, die oft als zu lang empfundene Bauzeit zu verkürzen. Das begann mit der sorgfältigen Auswahl eines leistungsstarken, zuverlässig erscheinenden Fachbauunternehmens für die Ausführung. Anfangs agierten für solche Gewerke wie das Pflastern mit Natursteinen noch ausländische Pflasterkolonnen als Subunternehmer. Mittlerweile ist die teilweise verloren geglaubte Handwerkskunst des Steinsetzers sogar in der Region wieder anzutreffen. In den engen, schmalen Straßen der Altstadt musste während des Bauens auf den Zustand der Häuser mit teils noch alter Feldsteingründung Rücksicht genommen werden, um Schäden an den Häusern zu vermeiden. Dicht an den Fassaden mussten in größerem Umfang Handschachtungen vorgenommen werden. Oft konnte nur leichtes Verdichtergerät eingesetzt werden, das aber mehr Übergänge

Behinderungen sind unvermeidlich. Umso größer waren die Bemühungen, die Bauzeit zu verkürzen.

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Stadtentwicklung setzt auf das Engagement, die Kreativität und die Kooperationsgemeinschaft der Menschen.

Rosenstraße // Die Kombination aus Asphaltbelag und Granitsteingroßpflaster ist ein kluger Kompromiss für alle Benutzer.

und damit mehr Zeitaufwand benötigte. Überhaupt bestimmte erschütterungsarmes Bauen den Ablauf. Hinzu kam das zeitaufwändige Setzen und Ziehen von sogenannten Verbaukästen zur Absteifung von tieferen Rohrleitungsgräben.

Öffentliches Echo und Kritik Die Erleichterung aller Beteiligten, insbesondere aber bei den betroffenen Anliegern, zeigte sich nach Fertigstellung größerer Baumaßnahmen vereinzelt durch spontane Straßenfeste.

Neue Erkenntnisse durch alte Funde Bei Aufgrabungen in größeren Tiefen war noch ein weiterer Aspekt zu beachten: Wegen zu erwartender archäologischer Funde aus dem Mittelalter und der Gründungsperiode der Stadt war stets ein Archäologe des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege zugegen. Er sicherte die archäologische Baubegleitung ab. Durch die gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Landesamtes, den Stadtwerken und den bauausführenden Tiefbaufirmen ist es aber gelungen, die dadurch anfallenden Behinderungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Es wurden tatsächlich viele bedeutsame, wenn auch nicht immer spektakuläre Funde freigelegt, geborgen, dokumentiert und kartographiert. Die Befunde brachten teilweise neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte mit Blick auf Siedlungsalter, Siedlungsstruktur und Begrenzung – ein kleiner, nicht unbedeutender Nebeneffekt der umfangreichen Straßensanierungsmaßnahmen im Altstadtbereich.

Allerdings gab es im öffentlichen Diskurs über die Benutzerfreundlichkeit des sanierten Straßenraumes auch kritische Stimmen. Aber eine Separierung der teilweise noch spätmittelalterlich geprägten schmalen Straßenräume zwischen Autound Fahrradverkehr (wie oft gewünscht) ist nicht machbar. Dass städtebauliche Sanierung auch Schutz und Erhalt von historischer Bausubstanz – im konkreten Fall auch die Widerverwendung des stadttypischen Natursteinpflasters – bedeutet, mag für Radfahrer und Fußgänger nicht immer komfortabel sein. Aus stadtplanerischem und stadtstrukturellem wie auch gestalterischem Ansatz wie aus den förderrechtlichen Vorgaben erschien die Herstellung der Fahrbahnoberflächen aus Natursteinpflaster aber geboten. In den vergangenen Jahren sind Kompromisse gemacht worden, um den heutigen Anforderungen an eine innerstädtische Straßenbenutzung gerechter zu werden. Das Beispiel der Gestaltung der Rosen-

Tiefgreifende Erneuerung // Die Sanierung der Infrastruktur // 89

straße, eine Mischbauweise aus Asphaltbelag und Granitsteingroßpflaster bietet mehreren Benutzergruppen Annehmlichkeiten: weniger Rollgeräusche, weniger Verkehrslärm für die Anwohner durch den KFZ-Verkehr, gute und komfortable Voraussetzungen für den Fahrradverkehr auf dem Asphaltfahrbahnstreifen und somit auch eine höhere Aufenthaltsqualität für die Fußgänger im Straßenraum. Daher wird diese Art der Straßenoberflächengestaltung nunmehr auch bei künftigen Straßensanierungsvorhaben, wie beispielsweise in der Wockerstraße, favorisiert.

// ZUR PERSON // HARTMUT GÖLLNITZ Hartmut Göllnitz, 67, wurde in Parchim geboren und studierte an der Uni Rostock Meliorationswesen. Von 1972 bis 1990 arbeitete der Diplom-Ingenieur in einem staatlichen Ingenieurbüro in Parchim, in dem er sich als Investitionsbauleiter um Meliorationsvorhaben (etwa den Bau von Be- und Entwässerungsanlagen, Wirtschaftswegebau und Flurmeliorationen) kümmerte. Von 1991 bis 2011 war er Sachgebietsleiter Tiefbau der Stadt Parchim. Die Sanierung der Straßen und Plätze im Rahmen der Stadterneuerung, aber auch der Bau von Brücken (etwa der Schwarzen Brücke oder der Brunnenbrücke) war für Hartmut Göllnitz nicht nur Beruf, sondern auch Berufung. »Ich bin in Parchim aufgewachsen und wollte hier, in meiner Heimatstadt, etwas zum Besseren verändern. Jede Straßenbaustelle war wie meine eigene Baustelle.«

Ein Fazit Mehr als zwei Drittel der Straßenräume im Sanierungsgebiet konnten in den zurückliegenden Jahren im Rahmen der Städtebauförderprogramme umfassend saniert werden. Damit war die Erhaltung der baulichen Struktur bei gleichzeitiger Verbesserung der Funktion und der generellen Nutzung des Erneuerungsgebietes garantiert. Neben dem, was in den nächsten Jahren zu tun bleibt, gilt es, das Geschaffene zu unterhalten und zu erhalten, damit diese enormen Vermögenswerte unserer Stadt, den Einwohnern und Besuchern lange für eine sichere Benutzung zur Verfügung stehen.

// ZUR PERSON // FRANK SCHMIDT Frank Schmidt, 50, ist Bauingenieur und Fachbereichsleiter Bau und Stadtentwicklung. Der geborene Parchimer lernte nach der Schule Maurer in der damaligen PGH Aufbau und qualifizierte sich von 1986 bis 1991 an der FH Neustrelitz zum Diplom-Ingenieur Hochbau. Von 1992 bis 2008 kümmerte er sich im Sachgebiet Tiefbau, dessen Leiter damals Hartmut Göllnitz war, um die Erneuerung der Parchimer Infrastruktur. Seit 2008 ist Frank Schmidt Fachbereichsleiter Bau und Stadtentwicklung. Bei der Gestaltung von Straßen, Wegen und Plätzen liegt ihm besonders die Verbindung von Ästhetik und Benutzerfreundlichkeit am Herzen. Spannend ist für ihn, wie auch für Hartmut Göllnitz, die archäologische Begleitung bei Tiefbauarbeiten: »Wir sind dabei auf manche Spuren gestoßen, die Parchimer Handwerker hinterlassen haben.«

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Das historische Erbe bewahren Baugeschichte und Denkmalschutz

In der Parchimer Innenstadt ist nicht nur der vollständige mittelalterliche Stadtgrundriss, sondern auch ein großer Teil des frühneuzeitlichen Gebäude­ bestandes erhalten. Das ist auch eine Herausforderung für den Denkmalschutz.

Mittelstraße 12 // Diese Balken sind über 400 Jahre alt. Sie gehören zum zweitältesten erhaltenen Gebäude Parchims und erzählen nicht nur Fachleuten viel über die Vergangenheit.

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K

eine Frage: In den zurückliegenden 25 Jahren konnte in Parchim in Sachen Stadtsanierung und Denkmal­ erhalt vieles bewirkt werden. Trotzdem wird das baukulturelle Erbe Parchims nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Fachwelt weitgehend unterschätzt. Neben den bekannten großen Backsteinbauten wie den beiden Kirchen oder dem Rathaus führen die vielen ebenso interessanten Fachwerk- und Bürgerhäuser ein kulturhistorisches Schattendasein. Auch wenn üppiger, geschnitzter Zierrat hier eher die Ausnahme ist, lässt sich Parchim angesichts seines umfangreichen Holzbaubestandes des 17. und 18. Jahrhunderts sowie einzelner vor 1600 datierter Gebäude mit Recht als Fachwerkstadt bezeichnen.

Lindenstraße 6 // Bau­historische Untersuchung sollen exakte Erkentnisse zur Baugeschichte liefern.

Baudetail // Was veraten solche kunstvollen Schnitzereien (hier am »Giebelhaus«, Lindenstraße 6) über die einstigen Bewohner.

Spezialität: die Ständerbauten Besonders die erhaltenen Ständerbauten verdienen eine besondere Erwähnung. Diese oft als »mittelalterlich« charakterisierte, ältere Fachwerkbauweise, bei der die Wände aus hohen, über mehrere Geschosse reichenden Ständern gebildet werden, war in Norddeutschland noch in der frühen Neuzeit verbreitet. Der Grund

dafür ist weniger in einer Innovationsfeindlichkeit der Handwerker, als in der funktionellen Gliederung des Hauses mit einer hohen Diele als zentralem Raum zu suchen. In Parchim sind mindestens 13 Häuser erhalten, die ganz oder teilweise als Ständerbauten errichtet wurden (Alter Markt 2, Hakenstraße 13, Lange Straße 24, Lindenstraße 3, Lindenstraße 6, Lindenstraße 13, Mittelstraße 12, Mühlenstraße 38, Rosenstraße 52, Rosenstraße 55, Schuhmarkt 7, Wockerstraße 1, Ziegenmarkt 13, ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Bei einigen dieser Bauten ist die ursprüngliche Ständerkonstruktion nur in Resten erhalten. Eine genauere Untersuchung und Datierung dieser Bauten würde wichtige Erkenntnisse zur regionalen und überregionalen Baugeschichte liefern. Auch die älteren Dachkonstruktionen verdienen eine größere Aufmerksamkeit durch die Bauforschung sowie eine Einordnung in die Baugeschichte der Region. Die in mehreren Dächern erhaltenen Aufzugsräder sind eine weitere Besonderheit des Parchimer Bauerbes.

Das historische Erbe bewahren // Baugeschichte und Denkmalschutz // 93

Erzählte Geschichte Denkmalschutz hat den Erhalt möglichst vieler das Denkmal charakterisierenden Werte und Eigenschaften zum Ziel. Er erschöpft sich daher nicht in der Bewahrung einer äußeren Erscheinung. Ein Baudenkmal besitzt auch einen – nicht immer von außen erkennbaren – historischen Quellenwert, der nicht selten in kleinen Detailbefunden verborgen ist. Häuser erzählen Geschichten über den Alltag ihrer Benutzer, über ihre Gewohnheiten und ihre soziale Stellung. Außerdem verraten sie viel über handwerkliche Techniken und Konventionen sowie den kulturellen Austausch mit anderen Regionen oder Städten. Sollen diese historischen Informationen bewahrt oder zumindest dokumentiert werden, ist es unverzichtbar, sie zunächst zu erkennen. Leider ist im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen nur selten die Chance genutzt worden, bauhistorische Untersuchungen durchzuführen. Es ist zu befürchten, dass dadurch wichtige Informationsträger unerkannt verloren gegangen oder – im günstigeren Fall – für die nächsten Jahrzehnte wieder verborgen worden sind.

Licht in die Bauhistorie bringen Bisher ist die Baugeschichte der Bürgerhäuser weitgehend unerforscht. Die wenigen Aufsätze zum Thema sind meist älteren Datums und die dargestellten Sachverhalte auf ältere Literatur gestützt. Eine objektbezogene Bauforschung fand bisher kaum statt. Ein großes identitätsstiftendes sowie touristisches Potenzial blieb so ungenutzt.

Denkmalschutz erschöpft sich nicht im Bewahren einer äußeren Erscheinung.

Dies hat die Stadt Parchim erkannt und für das sogenannte »Giebelhaus« in der Lindenstraße 6 eine umfassende bau­ historische Untersuchung im Rahmen einer nutzungsunabhängigen denkmalpflegerischen Zielstellung in Auftrag gegeben. Dabei konnten die Kenntnisse über das Gebäude erweitert, bisherige Fehlinterpretationen korrigiert sowie eine Grundlage für die Überlegungen zu einer denkmalgerechten Sanierung und Nutzung geschaffen werden. Ziel sollte es nun sein, die Ergebnisse dieser Untersuchung zu veröffentlichen und die Erforschung der Bürgerhäuser künftig stärker in den Blick zu nehmen.

// ZUR PERSON // JAKOB SCHARF Jakob Scharf (29) ist freier Bau- und Kunsthistoriker und Chef des Büros für Bauforschung und Kulturvermittlung »denkmalAnker« in Schwerin. Nach einem freiwilligen Jahr in der Denkmalpflege bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten M-V studierte er in Bamberg und auf Martinique (Frankreich) u.a. Kunstgeschichte, Bauforschung und Baugeschichte (M.A.). Nach dem Studium arbeitete er als Bau- und Kunsthistoriker in Baden-Württem­ berg, bevor er 2015 wieder in seine Heimatstadt Schwerin zog. Besonders am Herzen liegt Jakob Scharf die Vermittlung von Forschungsergebnissen, »denn Denkmalschutz und Denkmalpflege sind ein öffentliches Interesse und die Kenntnis von Werten ist die erste Voraussetzung für ihren Schutz«. Da ist Parchim keine Ausnahme: »In der Stadt gibt es noch viel Historisches zu entdecken, Manches muss aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden.«

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Neue Rahmenplanung Richtschnur für die Zukunft

Die Wiederbelebung von Baulücken, mehr Grün in der Stadt, mehr Platz für Dienstleistungen und Kultur – der Rahmenplan 2015 nimmt künftige Aufgaben ins Visier. Sicher ist: Auch die nächsten zehn Jahre werden spannend für Parchim.

Attraktives Stadtzentrum // In den nächsten zehn Jahren soll Parchim noch schöner werden. Dafür brauchen die Planer Überblick und Augenmaß.

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Altes und Neues soll weiterhin harmonisch miteinander verflochten werden.

Baulücken // Wer in der Altstadt statt auf der »grünen Wiese« baut, hat viele Vorteile. Der Lückenschluss ist eines der wichtigsten Ziele des nächsten Jahrzehnts.

A

lle Analysen und Diskussionen in Verwaltung, Bürgerforen und Expertenrunden beweisen: In Parchim wurde in den letzten 25 Jahren enorm viel geschafft. Trotzdem bleibt manches zu tun. In den nächsten zehn Jahren soll das Wohnen in der Altstadt noch attraktiver und die Versorgung weiter verbessert werden. Zudem gibt es noch immer städtebauliche Probleme, Verkehrsprobleme und ungenutzte Potentiale. So stören seit Jahren brachliegende Baulücken und leerstehende Gebäude das Altstadtbild. Grund dafür ist einerseits ein Mangel an Bauwilligen, andererseits ein Rückgang an Dienstleistungen und Versorgungseinrichtungen. Beides ist schade. Zudem belastet der Durchgangsverkehr in der Mühlenstraße/Fischerdamm und in der Langen Straße noch immer das Stadtzentrum. Hauptziel: attraktives Stadtzentrum Hauptziel in den nächsten zehn Jahren ist es, die historisch gewachsene Altstadt Parchims als Stadtzentrum für alle Parchimer, die Bewohner des Umlandes und die Touristen noch attraktiver zu gestalten und lebendig weiterzuentwickeln.

Wir wollen die Altstadt mit ihren Besonderheiten und Schönheiten lebenswert erhalten und neuen Ansprüchen anpassen. Die Bemühungen der Kommune und aller Akteure bei der Innenstadtentwicklung in den kommenden zehn Jahren haben folgende wichtige Ziele: d  ie Wiederbebauung von bestehenden Baulücken für Wohnzwecke und Dienstleistungen mit modernen Wohnformen sowie Sonderwohnformen für ältere und betreute Menschen d  en Erhalt und die Stärkung der Dienstleistungen, Versorgungseinrichtungen und der sozialen Einrichtungen d  en weiteren Ausbau des Kultur- und Freizeitangebotes und der Aufenthaltsqualität, insbesondere mit der Umnutzung der »Eldemühle« m  ehr Komfort und Sicherheit für Radfahrer, Rollstuhlfahrer, Kinderwagen im Straßenverkehr E  rweiterung des Stellplatzangebotes für Bewohner der Altstadt und großer Bedarfsträger K  omplettierung von gut befahrbaren Wegeverbindungen und Fahrspuren für Radfahrer

Neue Rahmenplanung // Richtschnur für die Zukunft // 97

Mehr Qualität für die Altstadt Bei den Themen Baulücken/Leerstand, Wohnen und Zentrumsfunktionen haben wir folgende Schwerpunkte:  Förderung von Wohnungsneubau und Sanierung alter Bausubstanz zur Schaffung moderner Wohnformen sowie Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen  verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Neustrukturierung bei der Vermarktung von Baulücken für Bauinteressenten und Investoren sowie ein zielgerichtetes Grundstücksmanagement  Pilotprojekte, Musterlösungen und Wettbewerbe für Lückenbebauungen oder kultivierte Umnutzungen unbebauter Grundstücke für private Gärten oder gemeinschaftlich genutzte Frei­ flächen und Stellplatzflächen Außerdem wollen wir das Freizeitangebot und die Aufenthaltsqualität in der Altstadt erhöhen und die größten Verkehrsprobleme lösen.

Zu den geplanten Maßnahmen gehören:  Sanierung der »Wallanlagen«  neue Spiel- und Verweilplätze in Baulücken sowie in den Umgestaltungsbereichen »Am Brook« und »Eldemühle«/Schulen  weitere grüne Uferbereiche sollen öffentlich zugänglich gemacht werden  Beruhigung des Durchfahrtverkehres in der Langen Straße und Mühlenstraße/ Fischerdamm  Schaffung zusätzlicher Besucherparkplätze vor allem im Zufahrtsbereich Schweriner Straße Mit einem Wort: Die nächsten zehn Jahre werden für Parchim nicht langweilig, es bleibt viel zu tun.

// ZUR PERSON // FRANK KIRSTEN Der Architekt und Stadtplaner Frank Kirsten (54) wohnt und arbeitet in Schwerin. Er ist Partner in der Arbeitsgemeinschaft freier Architekten Mikolajczyk – Kessler – Kirsten, die mit der Rahmenplanung 2015 für Parchim beauftragt ist. In diesem Rahmenplan stehen die wichtigsten Ziele und Aufgaben der Stadtentwicklung für die nächsten zehn Jahre. Frank Kirsten, der zunächst Maurer lernte, dann von 1983 bis 1988 in Weimar Architektur studierte und seit über 20 Jahren als freier Architekt arbeitet, hat ein Herz für Parchim. Er war unter anderem Architekt der Sanierung des 400 Jahre alten Zinnhauses in der Langen Straße 24. Für die Baulücken in der Stadt wünscht er sich »mehr Baukultur statt Carports«.

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Pläne,

Projekte, Potenziale Was bleibt zu tun? Heike Scharf, Leiterin des Sachgebietes Stadtplanung, über Lichtblicke, Leuchtturm-Projekte, städtische Freiräume und die wichtigsten Vorhaben der Zukunft.

Auf dem Brook // Solche hässlichen Ruinen sollen aus Parchims Stadtbild verschwinden.

3 // // 100 Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft

Mühlenquatier // Als Verbindung zwischen Altstadt und Regimentsvorstadt hat das Mühlenquartier einen besonderen Reiz. Ihn gilt es nutzen.

Pläne, Projekte, Potenziale // Was bleibt zu tun? // 101

»E

in Lichtblick für Deutschland«, so lautete das überraschende wie wohltuende Fazit eines von Parchim begeisterten Urlauberpaares. Es kam aus den alten Bundesländern zum Tag der Städtebauförderung im Juni 2015 nach Parchim. Mit dem Boot auf der Elde unterwegs, hatten sie in unserer Stadt Halt gemacht. Durch einen Stadtrundgang und den Besuch der Ausstellung bekamen sie Einblicke in Geschichte und Lebensart Parchims sowie das historische Stadtbild – und waren beeindruckt. Ja, es gibt Anlass, nach 25 Jahren Stadtentwicklung selbstbewusst und stolz auf das in der Altstadt Geleistete zu schauen. Als Stadtplanerin teile ich die Begeisterung vieler Parchimer und ihrer Gäste. Im Prozess der Stadtentwicklung sehe ich eine Erfolgsgeschichte für Parchim – die historische Altstadt ist heute die Visitenkarte der Stadt. Dennoch sind städtebauliche Missstände nicht zu übersehen. Sowohl der in Überarbeitung befindliche städtebauliche Rahmenplan »Altstadt« als auch das »Integrierte Stadtentwicklungskonzept« (ISEK 2015) zeigen, dass Stadtentwicklung eine Daueraufgabe für Stadtvertretung, Verwaltung und alle anderen Akteure ist – und zwar über jegliche Förderzeiträume hinaus. Die vielen für die Zukunft geplanten Maßnahmen lassen natürlich auch Fragen zu Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit aufkommen, die wir beantworten müssen.

Wegen der exponierten Lage in landschaftlich reizvoller Umgebung ist »Auf dem Brook« ein Schlüsselprojekt für attraktives, zeitgemäßes Wohnen in der historischen Altstadt. Damit stellt das Quartier die Stadt vor die Aufgabe, für die nachhaltige Entwicklung des Standortes und zur Deckung des Wohnbedarfs in der Innenstadt zu planen und diese Pläne zeitnah umzusetzen. In einer Informationsveranstaltung wurden die Bewohner 2011 aufgerufen, gemeinsam die enormen, ständig steigenden Herausforderungen an eine nachhaltige Stadtentwicklung anzunehmen.

»LeuchtturmProjekte« polieren das Image der Altstadt auf und strahlen auf andere Vorhaben ab.

Die sich anschließende öffentliche Entwurfswerkstatt sollte Anregungen zur Umgestaltung des Gebietes geben. Sie hat sich als erfolgreiches Instrument einer neuen Beteiligungs- und Planungskultur mit vielfältigen Dialogen und Diskussionen erwiesen. Alle waren sich einig: Die planerische Leitidee »Neues Wohnen am Wasser« in »grüner Umgebung« steht für Offenheit und Lebensqualität, die geplante und im Gebiet integrierte Bürgerbegegnungsstätte für einen Ort der Identifikation.

Trotzdem gibt es »Leuchtturm-Projekte«, die nicht nur das Image der Altstadt aufpolieren, sondern auch auf andere Vorhaben abstrahlen können. Einige solcher Projekte möchte ich Ihnen hier vorstellen.

In der Entwurfswerkstatt wurde überraschend der Vorschlag gemacht, die Maschinenhalle der ehemaligen Hoffmann‘schen Zichorienfabrik als Ort der Begegnung zu nutzen. Die Maschinenhalle steht für den Beginn der Industrialisierung in Parchim und ist – trotz erfolgter Eingriffe – in ihrer Grundsubstanz von 1922 erhalten. Sie bietet sich für die vorgesehene quartierverträgliche Umnutzung an.

Quartierentwicklung »Auf dem Brook« Das an der Elde gelegene Quartier »Auf dem Brook« gehört bis heute zu den städtebaulich ungeordneten Bereichen im Sanierungsgebiet »Altstadt«. Hier gibt es große städtebauliche und funktionale Missstände sowie gestalterische Defizite.

Die Ideen müssen nun, baulich und gestalterisch anspruchsvoll und der günstigen Lage entsprechend, umgesetzt werden. Im Maßnahmenprogramm des ISEK 2015 steht das Projekt Begegnungsstätte »Auf dem Brook« auf der Prioritätenliste für eine EU-Förderung in den nächsten Jahren.

Auf dem Brook // Auch wenn manches zu tun bleibt, punktet das Quartier an der Elde mit einmaliger Lage und speziellem Flair.

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Auch in den kommenden Jahren wird die Sanierung der Altstadt ein Schwerpunkt der Stadtentwicklungsplanung bleiben.

Historische Wallanlage // Neue Wege, Treppen und Bepflanzungen sollen die Wallanlagen noch schöner machen.

Ein weiterer Schwerpunkt war 2013 die energetische Quartiersentwicklung »Auf dem Brook« als Pilotprojekt und Impulsgeber für die Neuorientierung im Gebiet. Die Stadt Parchim bediente sich hier des KfW-Förderprogrammes 432, um Maßnahmen der energetischen Stadterneuerung mit Blick auf den Altbestand und realistische wirtschaftliche Umsetzung zu formulieren. Das bereits eingeleitete Bauleitplanverfahren Nr. 40.1 »Auf dem Brook« wird für alle genannten planerischen Prämissen die planungsrechtlichen Voraussetzungen schaffen und die eingeforderte städtebauliche Qualität der Bebauung umfassend sichern – eine ebenso anspruchsvolle wie verantwortungsvolle Aufgabe. Umstrukturierung des Mühlenquartiers Kornmühle, Wassermühle, Papierfabrik, Tuchfabrik – all diese Gebäude zeugten von der wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt Parchim am Wasser. Übrig geblieben ist neben dem Turbinenhaus der inzwischen abgerissenen Tuchfabrik die 1880 erbaute, noch bis 2008 als Getreide verarbeitender Betrieb genutzte Wassermühle. Dieses zum Teil denkmalgeschützte, mehrgeschossige, städtebaulich markante Gebäudeensemble am Fischerdamm steht seitdem leer. Einig ist

man sich über seine Bedeutung für das unverwechselbare Gesicht der Stadt in direkter Nachbarschaft zur Altstadt. Anlass genug, es als eine weitere Maßnahme in das ambitionierte Maßnahmenprogramm des ISEK 2015 für die nächsten Jahre aufzunehmen. Neben einer erforderlichen Machbarkeitsstudie, die sich mit der Nutzung der baulichen Hülle beschäftigen soll, ist ein städtebauliches Konzept zur funktionellen und gestalterischen Einbindung des Mühlenquartiers – aufgrund seiner bevorzugten Lage zwischen der Altstadt und der Regimentsvorstadt – erforderlich. Im Fokus der Überlegungen steht derzeit die Nachnutzung als Theaterstandort für das Mecklenburgische Landestheater Par­ chim. Aus Sicht der Stadt ist darüber hinaus eine Nutzung von weiteren Teilflächen der geplanten »Kulturmühle« für das konzeptionell neu auszurichtende Stadtmuseum vorgesehen. Kirchenumfeld Die Silhouette Parchims wird wesentlich durch die gewaltigen roten Backsteintürme der beiden Stadtkirchen bestimmt. St. Marien im westlichen und St. Georgen im östlichen Teil der Altstadt prägen mit dem historischen Rathaus das Gesicht der Stadt an der Route der Backsteingotik.

Pläne, Projekte, Potenziale // Was bleibt zu tun? // 103

Sie bestimmen neben den zahlreichen, historisch wertvollen Fachwerkhäusern wesentlich die Atmosphäre der Parchimer Innenstadt. Die sie umgebenden städtischen Freiräume lassen bisher eine adäquate Gestaltung und die gewünschte Aufenthaltsqualität vermissen. Dies zu ändern, ist ein wichtiges Anliegen des Rahmenplanes und des ISEK 2015: Zwischen den Eldearmen vom Brook über die Innenstadtbereiche einschließlich des Kirchenumfeldes bis zum Mühlenquartier am südlichen Altstadtrand soll ein zusammenhängendes Freiraumsystem entstehen. Historische Wallanlagen In diesen Kontext reihen sich auch die denkmalgeschützten Wallanlagen ein. Sie nehmen eine Fläche von ca. fünf Hektar im östlichen Teil der Altstadt ein. Die denkmalgerechte Sanierung der Wallanlagen bildet das Impulsprojekt aus dem Maßnahmenpaket des ISEK 2015 für die laufende Antragstellung im Rahmen der EU-Förderung. Auf Basis der 2013 erarbeiteten denkmalpflegerischen Zielstellung wurde ein Konzept erarbeitet, wie der his­ torisch nachweisbare Zustand annähernd wiederhergestellt werden soll. Das betrifft topografische und vegetative Strukturen wie auch die Erschließung und Wegefüh-

rungen einschließlich der erforderlichen Rampen- und Treppenanlagen. Das Zentrum der Parchimer Wallanlagen wird auch künftig durch ruhige, parkartig gestaltete Räume geprägt sein, die durch funktionelle Ausstattungselemente inklusive Beleuchtung und Orientierungs­ system ergänzt werden. Geschädigte oder alte Bäumen werden gefällt und durch Neupflanzungen ersetzt. Damit wird auch der Überalterung und der einhergehenden Einschichtigkeit ganzer Areale vorgebeugt. Die Aufgabe ist kompliziert, da auch die historische Entwässerungsanlage auf den neuesten technischen Stand gebracht werden muss. Die Beispiele verdeutlichen, dass auch in den kommenden Jahren die Sanierung der Altstadt ein Schwerpunkt der Stadtentwicklungsplanung bleiben wird. Diese setzt bewusst auf das Engagement, die Kreativität und die Kooperationsgemeinschaft der in Parchim lebenden und arbeitenden Menschen.

// ZUR PERSON // HEIKE SCHARF Heike Scharf (58) ist Leiterin des Sachgebietes Stadtplanung. Die studierte Stadtplanerin kam 1982 als Absolventin der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar nach Schwerin. Als Mitarbeiterin im Büro für Städtebau beim Rat des Bezirkes Schwerin und später für die Stadt & Dorf Planungsgesellschaft mbH erstellte sie viele Bauleitpläne und war am Rahmenplan zur Umgestaltung des Weststadt in Parchim maßgeblich beteiligt. Auch die Altstadt und die Regimentsvorstadt sind ihr aus dieser Zeit sehr vertraut. Seit 2008 arbeitet Heike Scharf in und für die Stadt Parchim, deren »Altstadtatmosphäre mit den gewachsenen Strukturen, den vielen Fachwerkgebäuden, dem Grün und der Nähe zum Wasser« sie bis heute fasziniert.

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