BACH - Münchner Philharmoniker

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Musik
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BACH

1. Brandenburgisches Konzert »Jauchzet Gott in allen Landen« »Weichet nur, betrübte Schatten«

HÄNDEL

»Music for the Royal Fireworks« KOOPMAN, Dirigent ESPADA, Sopran Donnerstag 07_01_2016  20 Uhr Freitag 08_01_2016 20 Uhr Samstag 09_01_2016 19 Uhr

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JOHANN SEBASTIAN BACH Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046 1. ohne Tempoangabe (alla breve) 2. Adagio 3. Allegro 4. Menuetto – Trio I – Menuetto – Polacca – Trio II – Menuetto

Kantate »Jauchzet Gott in allen Landen« BWV 51

Kantate »Weichet nur, betrübte Schatten« BWV 202

GEORG FRIEDRICH HÄNDEL »Music for the Royal Fireworks« HWV 351 (Feuerwerksmusik) 1. Ouverture 2. Bourrée 3. La Paix 4. La Réjouissance 5. Menuet I 6. Menuet II

TON KOOPMAN Dirigent MARÍA ESPADA Sopran

118. Spielzeit seit der Gründung 1893 VALERY GERGIEV, Chefdirigent PAUL MÜLLER, Intendant

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Musikalische Herrschaften WOLFGANG STÄHR

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685-1750) Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046 1. ohne Tempoangabe (alla breve) 2. Adagio 3. Allegro 4. Menuetto – Trio I – Menuetto – Polacca – Trio II – Menuetto

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 21. März 1685 in Eisenach; gestorben am 28. Juli 1750 in Leipzig.

ORIGINALTITEL Concerto 1mo. â 2 Corni di Caccia. 3 Hautb[ois]: è Baßono. Violino Piccolo concertato. 2 Violini, una Viola è Violoncello, col Baßo Continuo.

ENTSTEHUNG Vermutlich zum Geburtstag des Herzogs Christian von Sachsen-Weißenfels am 23. Februar 1713 komponierte Bach eine Sinfo­ nia in F-Dur BWV 1046a, die er um 1720, in seiner Zeit als Hofkapellmeister in Köthen, um zwei weitere Sätze und die solistische Partie eines Violino piccolo zum Konzert in F-Dur BWV 1046 ergänzte. Zusammen mit fünf anderen, abwechslungsreich besetzten Konzerten widmete er das Werk 1721 dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg – daher der im 19. Jahrhundert

Johann Sebastian Bach: 1. Brandenburgisches Konzert

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Johann Jakob Ihle: Johann Sebastian Bach als Kapellmeister in Köthen (1720)

Johann Sebastian Bach: 1. Brandenburgisches Konzert

4 etablierte Beiname dieser sechs »Brandenburgischen« Konzerte.

WIDMUNG »Six Concerts Avec plusieurs Instruments. Dediées A Son Altesse Royalle Monseigneur CRETIEN LOUIS. Marggraf de Brandenbourg &c: &c: &c: par Son tres-humble & tres obeissant Serviteur Jean Sebastien Bach, Maitre de Chapelle de S. A. S. Prince regnant d’Anhalt-Coethen.«

URAUFFÜHRUNG Die Urfassung, die Sinfonia, wurde wahrscheinlich um den 23. Februar 1713 als Introduktion zu Bachs »Jagdkantate« BWV 208 musiziert. Das spätere Brandenbur­ gische Konzert Nr. 1 dürfte erstmals am Hof zu Köthen erklungen sein, ganz sicher aber 1721 beim Widmungsträger im Berliner Stadtschloss.

MUSIKLIEBENDE HOHENZOLLERN Ihren Titel erhielten die »Brandenbur­ gischen Konzerte« im 19. Jahrhundert durch den Bach-Biographen Philipp Spitta. Denn alle Wege führen nach Preußen – der Ursprung allerdings liegt in anderen deutschen Landen. Bach selbst nannte die sechs Konzerte »Six Concerts Avec plusieurs I nstruments«. Den späteren Beinamen ­ ­verdanken sie der Widmung des Zyklus an Christian Ludwig von Brandenburg, Markgrafen von Schwedt, den jüngsten Sohn des Großen Kurfürsten und Onkel des a mtierenden Preußenkönigs Friedrich ­ Wilhelm I. Für ihn fertigte Bach 1721 eigenhändig eine Reinschrift der Konzerte an, vereinte sie zu einem Band und schickte diese Partitur an den adeligen Musikliebhaber nach Berlin, allwo Christian Ludwig im Stadtschloss, in seinen Privatgemächern, Opern und Oratorien, italienische Concerti und französische Ouvertüren zur Aufführung brachte. Und fortan auch Bachs »Six Concerts«.

BACH IN KÖTHEN Johann Sebastian Bach, seinerzeit Hof­kapell­ meister des Fürsten Leopold von Anhalt-­ Köthen, hatte diese Werke aber, zumindest einzelne von ihnen, zuvor bereits mit der Elite seiner »CammerMusici« erprobt. Dass er sie jedenfalls nicht erst und nicht exklusiv für den Markgrafen schuf, darüber ist sich die Forschung prinzipiell einig. Mit dem Fürsten Leopold diente Bach einem »gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden« Herrscher, wie er selbst im Rückblick auf diese Zeit, von 1717 bis 1723, erklärte. Die Wertschätzung beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit: Leopold wusste, welche Autorität in allen Fragen der Musik er mit dem »Ehrenvesten und

Johann Sebastian Bach: 1. Brandenburgisches Konzert

5 Wohlgelahrten Johan Sebastian Bachen« an seinen Hof gebunden hatte. Der Fürst, der selbst die Violine, die Gambe und das Cembalo spielte und, wie es heißt, mit schöner Stimme sang, hatte auf der standes­ üblichen Kavalierstour durch Holland, England und Frankreich und als erlauchter Gast in Prag, Wien und Dresden den höfischen Glanz barocker Prachtentfaltung schätzen gelernt. Nach seiner Rückkehr war es ihm gelungen, bedeutende Musiker der ehemaligen Berliner Hofkapelle – die der von anderen Prioritäten ausgehende »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. aufgelöst hatte – nach Köthen zu holen.

»MUSICALISCHE INCLINATION« Leopold war ein kunstsinniger, pracht- und prestigeliebender Regent, starken Launen und gesundheitlichen Schwankungen unterworfen. Auf seine Kuren in Karlsbad ließ er sich von einigen Musikern – auch von Bach – begleiten. Und obschon in späteren Jahren, nach Bachs Auskunft, »die musica­ lische Inclination [die Neigung] bey besagtem Fürsten in etwas laulicht werden wollte«, zumal nach der Heirat mit einer amusischen Cousine, so hat der früh verstorbene Leopold in seiner kurzen Regierungszeit doch eine leuchtende Spur in der deutschen ­Musikgeschichte hinterlassen. Bei der Zusammenstellung seiner Hofkapelle und der Verpflichtung Bachs als Kapellmeister bewies er eine glückliche Hand, und das Köthener Ensemble muss außerordentlich leistungsfähig gewesen sein, wenn es die Schwierigkeiten der Brandenburgischen Konzerte zu meistern wusste. Bach blieb im anhaltischen Köthen bis 1723, als er in das Amt des Leipziger Thomaskantors wechselte und sich in den »fünften Evange­ listen« verwandelte (jedenfalls nach dem Urteil der Nachwelt). Am Köthener Hof hin-

gegen gönnte die evangelisch-reformierte Konfession des Landesherrn der Musik in der Kirche keinen Entfaltungsspielraum, und so musizierte der Kapellmeister Bach ein reiches »weltliches« Repertoire mit ­seinen Instrumentalisten: Suiten, Partiten, Sonaten und vor allem Konzerte in wechselnden, erlesenen und symbolträchtigen Besetzungen.

LIEBLICHER HÖRNERSCHALL Das Instrumentarium des Ersten Brandenburgischen Konzerts BWV 1046 erscheint mit zwei Corni da caccia, drei Oboen, Fagott, Violino piccolo, Streichern und Basso continuo denkbar ausgefallen, aus der Luft gegriffen war es jedoch nicht: Im Konzertschaffen Antonio Vivaldis, das Bach über Jahre hinweg intensiv studierte, bearbeitete und schöpferisch reflektierte, findet sich ein ähnlicher Besetzungstypus mehr als einmal (RV 568, 569, 571 und 574), wie ohnehin der Werktitel »Concerts Avec plusieurs Instruments« gewiss nicht zufällig an Vivaldis »Concerti con molti Istromenti« gemahnt. Zu den »mehreren« Instrumenten gehören auch zwei Hörner: »Die lieblich-pompeusen Wald-Hörner«, so heißt es in zeitgenössischen Schriften, »sind bey jetziger Zeit sehr en vogue kommen, so wohl was Kirchen- als Theatral- und Cammer-Music anlanget, weil sie theils nicht so rude von Natur sind, als die Trompeten, theils auch, weil sie mit mehr Facilité können tractirt werden«. Aber mit dem Hörnerschall, mit den Jagdfanfaren, die das Konzert schmetternd eröffnen, hat es seine ganz eigene Bewandtnis.

»WAS MIR BEHAGT, IST NUR DIE MUNTRE JAGD« Von dem Ersten Brandenburgischen Konzert existiert eine Vor- und Frühfassung, eine

Johann Sebastian Bach: 1. Brandenburgisches Konzert

6 Sinfonia in F-Dur BWV 1046a, die, so lautet die Vermutung, als Einleitungssatz zu der Jagdkantate BWV 208 diente (»Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd«) und somit ursprünglich zum Geburtstag des Herzogs Christian von Sachsen-Weißenfels am 23. Februar 1713 komponiert und »nach gehaltenen Kampff-Jagen im Fürstlichen Jäger-­ Hofe bey einer Tafel-Music« dargeboten worden wäre. Diese Musik verherrlichte den adeligen Zeitvertreib der Parforcejagd, bei der das Wild von der Hundemeute gehetzt wurde; und sie huldigte einem Regenten, der sein Wiegenfest wochenlang zu feiern gewöhnt war, bis er schließlich sich und sein Herzogtum finanziell ruiniert hatte. Bach könnte diese Sinfonia überdies 1717 als Gast in Dresden mit der Hofkapelle musiziert haben, und eventuell war es deren flämischer Konzertmeister Jean Baptiste Volumier, für den oder auf dessen Anregung er das Werk um einen Solopart für Violino piccolo ergänzte, eine Geige, deren Saiten eine kleine Terz höher gestimmt sind. Die Sinfonia bestand nur aus dem

Kopfsatz, dem Adagio, dem Menuet und den beiden Trios. Diese Sätze überarbeitete Bach um 1720 in Köthen, fügte spätestens damals den Violino piccolo hinzu, schrieb einen neuen dritten Satz, der dem Solo­ geiger eine besonders prominente Rolle e inräumt, und außerdem die zwischen ­ Menuett und Trio II integrierte Polonaise.

WIR SIND DAS VOLK Für Herzöge, Fürsten und Prinzen schuf Bach seine Brandenburgischen Konzerte. Aber es blieb nicht bei dieser Exklusivität. »Ob die Brandenburgischen Konzerte in unsern Konzertsaal gehören ?«, fragte ­Albert Schweitzer vor hundert Jahren. Für ihn konnte die Antwort nicht zweifelhaft sein: »Diese Werke sind bestimmt, in demselben Sinne Volksgut zu werden, wie es die Beethovenschen Symphonien sind.« Und so wechselten die »Six Concerts« ein für alle Mal den Besitzer: vom alten zum neuen Souverän.

Johann Sebastian Bach: 1. Brandenburgisches Konzert

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Leipziger Lobgesang WOLFGANG STÄHR

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750) Kantate »Jauchzet Gott in allen Landen« BWV 51

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 21. März 1685 in Eisenach; gestorben am 28. Juli 1750 in Leipzig.

TEXTVORLAGE Rezitative und Arien dichtete ein unbekannter Verfasser; als Choral wird die fünfte Strophe des Kirchenliedes »Nun lob, mein Seel, den Herren« (1549) von Johann Gramann gesungen.

ENTSTEHUNG Diese Kirchenkantate war – zumindest auch – für den Leipziger Hauptgottesdienst am 15. Sonntag nach Trinitatis gedacht, wenngleich der Zusatz im Titel »et in ogni Tempo« eine andere und frühere Verwendung denkbar erscheinen lässt; der Thomaskantor Bach schrieb das Werk in den späten 1720er Jahren oder 1730. Sein Sohn Wilhelm Friedemann ergänzte nach 1746 das Instrumentarium um Stimmen für eine zweite Trompete und Pauken und führte die Kantate an der Hallenser Marktkirche auf.

URAUFFÜHRUNG Vermutlich am 17. September 1730 in Leipzig in der Nicolaikirche unter Leitung von Johann Sebastian Bach; die Vokalpartie sang ein Knabensopran, vielleicht der dreizehnjährige Thomasschüler Christoph N ichelmann; die Trompetensoli spielte ­ wahrscheinlich der Ratsmusiker Gottfried Reiche.

Johann Sebastian Bach: »Jauchzet Gott in allen Landen«

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Anonymes Portrait des Ratsmusikers Gottfried Reiche, für den Bach die Trompetensoli der Kantate schrieb

Johann Sebastian Bach: »Jauchzet Gott in allen Landen«

9 KANTOR UND KAPELLMEISTER »Deutschlands größter Kirchenkomponist«, der »Spielmann Gottes« und »fünfte Evangelist«. Aus der Perspektive der Nachwelt wurde Johann Sebastian Bach in allererster Linie mit seinem kirchlichen Wirkungskreis identifiziert: mit dem Amt des Leipziger Thomaskantors, das er am längsten innehatte. Aber nicht am liebsten. Seine musikalisch anspruchsvollste und gewiss auch dankbarste Aufgabe fand Bach als Hofkapell­ meister im anhaltischen Köthen, wo er eine Elite der exzellentesten Virtuosen und »CammerMusici« um sich versammeln konnte. Ein derart exquisiter Musikerkreis wie zuvor am Hof des Fürsten Leopold stand ihm nach seinem Wechsel in Leipzig nicht mehr zu Gebote. Bach musste sich zu helfen wissen mit einem höchst heterogenen Personal aus mehr oder minder begabten Internatszöglingen der Thomasschule, den Ratsmusikern der Stadt oder Studenten aus seinem Collegium musicum. Trotzdem gab Bach in seinen künstlerischen Ansprüchen nicht im geringsten nach: In dieser Hinsicht blieb der Kantor stets auch Kapellmeister. In einer Denkschrift für den Rat der Stadt Leipzig, die er 1730 aufsetzte (ohne je eine Antwort zu erhalten), äußerte sich Bach nicht gerade schmeichelhaft über seine Instrumentalisten, die Leipziger Stadtmusikanten: »Von deren qualitäten und musicalischen Wissenschafften aber etwas nach der Warheit zu erwehnen, verbietet mir die Bescheidenheit. Jedoch ist zu consideriren, dass Sie theils emiriti, theils auch in keinem solchen exercitio sind, wie es wohl seyn solte.«

ANSPRUCHSVOLLE ­TROMPETENSOLI An seinen ersten Trompeter Gottfried Reiche kann Bach bei diesen missmutigen Zeilen

gewiss nicht gedacht haben. Mit einundzwanzig Jahren war Reiche zur Leipziger Ratsmusik gekommen, hatte im Laufe der Zeit den Aufstieg vom Gesellen über den Kunstgeiger bis zum Stadtpfeifer genommen und stand ab 1719 als Senior der Vereinigung in hohem Ansehen. Bereits 1696 hatte er in Leipzig »Vier und zwantzig Neue Quatricinia Mit Einem Cornett und drey Trombonen« veröffentlicht, die einzigen von ihm erhaltenen Werke, vierstimmige Sätze, die uns ein schönes und eindrucksvolles Zeugnis der versunkenen Stadtpfeiferkunst bewahren. Gottfried Reiche muss auch im Alter noch ein glänzender Virtuose auf der Trompete gewesen sein, wenn er den überaus heiklen Solopart zu meistern wusste, den Bach für die Ecksätze seiner Kantate »Jauchzet Gott in allen Landen« BWV 51 schrieb.

GROSS- UND KLEINMEISTER Nicht weniger bravourös, reich an Koloraturen und technisch vertrackt bis zum ­E xtrem fiel die solistische Sopranpartie aus, die sich über zwei Oktaven bewegt und selbst das dreigestrichene c nicht ausspart. »Allen Bach beflissenen Sopranistinnen sei diese Kantate zur täglichen Übung empfohlen«, erklärte Albert Schweitzer. Im Leipziger Gottesdienst musste sie freilich von einem Knabensopran gesungen werden, zum ersten Mal vermutlich am 15. Sonntag nach Trinitatis im Jahr 1730 – doch könnte Bachs »Cantata« auch schon vorher und andernorts erklungen sein, mit einer Sängerin oder einem Soprankastraten als Solisten. Am 17. September 1730, dem Tag der mutmaßlichen »Uraufführung«, hätte womöglich der dreizehnjährige Christoph ­Nichelmann diese Kantate »kreiert«, ein lebenslanger guter Bekannter der Familie Bach. Bevor Nichelmann 1745 in die könig-

Johann Sebastian Bach: »Jauchzet Gott in allen Landen«

10 lich preußische Kapelle eintrat und in den nächsten zehn Jahren bei den musikalischen Abendunterhaltungen Friedrichs des Großen in Berlin, Charlottenburg und vor allem Potsdam seinen Dienst als Hofcembalist versah, hatte der 1717 in Treuenbrietzen geborene Musiker eine ebenso strenge wie elitäre Schule durchlaufen: Bach Vater und Sohn, Johann Sebastian und Wilhelm ­Friede­mann, hießen die Lehrer des Leipziger T homasschülers, der anschließend bei ­ ­G eorg Philipp Telemann in Hamburg und Johann Joachim Quantz in Berlin studierte. Aber im Unterschied zu seinen illustren und musikhistorisch prominenten Pädagogen blieb Christoph Nichelmann selbst nur eine Randerscheinung der Musikgeschichte, ­einer der vielen, freilich auch vielfach unter­ schätzten »Kleinmeister«, der als Komponist von Cembalokonzerten und Verfasser einer Schrift über »Die Melodie nach ihrem Wesen sowohl, als auch ihren Eigenschaften« ein eng umgrenztes Nachleben in Lexika und Enzyklopädien führt.

KOMPENDIUM FESTLICHER ­BAROCKMUSIK Der Text der Bachschen Kantate BWV 51, das Werk eines anonymen Verfassers, bezieht sich nur andeutungsweise auf die Lesung aus dem Evangelium dieses Sonntags, auf die Worte Jesu aus der Bergpredigt über Alltagssorgen, Kleingläubigkeit und Gottvertrauen (Matthäus 6, 24–34): »Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.« Ein Vermerk auf dem Umschlag des originalen Stimmensatzes – »et in ogni Tempo« – signalisiert, dass die Kantate auch zu anderen Zeiten des Kirchenjahres aufgeführt werden kann. In ihrem Formenreichtum – Konzert (Satz 1), Monodie (Satz 2), Variationen über einen ostinaten Bass (Satz 3), Triosonate

mit Choralbearbeitung (der fünften Strophe aus dem Lied »Nun lob, mein Seel, den ­Herren«, im 4. Satz) und schließlich Fuge (Alleluja) – nimmt sich die Kantate Nr. 51 wie ein Kompendium der Barockmusik aus, die sie von ihrer strahlenden, festlichen Seite zeigt.

IM NAMEN DES VATERS Wahrscheinlich noch zu Lebzeiten des Vaters lieh sich sein ältester Sohn, Wilhelm Friede­ mann Bach, den Leipziger Stimmensatz aus und ergänzte ihn um Partien für eine zweite Trompete und Pauken. Friedemann Bach amtierte ab 1746 in Halle als Organist und obendrein als Director Musices an der Marktkirche Unser Lieben Frauen. Dort kamen in den Festgottesdiensten aber nicht nur Kantaten des Vaters, sondern auch des Sohnes zur Aufführung. Anders als das Vorurteil es will, die Legende vom miss­ ratenen Genie, bewies Friedemann Bach durchaus ein starkes protestantisches Traditionsbewusstsein für das Wort, für Verkündigung und Bekenntnis: für die ­Musik als eine sprachmächtige und andächtige Kunst. Ob er gleichwohl eines Tages den Glauben verlor ? Ein Leben stand ihm bevor, aus dem die betrübten Schatten nicht mehr weichen wollten.

Johann Sebastian Bach: »Jauchzet Gott in allen Landen«

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Der Schrei des Gottvertrauens WOLFGANG STÄHR

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750) Kantate »Weichet nur, betrübte Schatten« BWV 202

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 21. März 1685 in Eisenach; gestorben am 28. Juli 1750 in Leipzig.

TEXTVORLAGE Auch bei dieser »weltlichen« Kantate ist der Name des Textdichters unbekannt.

ENTSTEHUNG Eine Abschrift ist uns erhalten als einzige Quelle der Bachschen Kantate »Weichet nur, betrübte Schatten« BWV 202, eine

Partitur von 1730. Doch scheint das Werk älter zu sein, vermutlich komponierte es Bach während seiner Zeit als Hofkapellmeister im anhaltischen Köthen. Diese Jahre, von Ende 1717 bis Mitte 1723, standen vorherrschend im Zeichen der Instrumental­ musik, denn die evangelisch-reformierte Konfession des Landesherrn wies der Musik im Gottesdienst nur eine eng begrenzte Rolle zu. Ein ausgeprägt konzertanter Zug zeichnet die Kantate aus: möglicherweise ein Indiz für ihren Köthener Ursprung und die einflussreiche Nähe zu Konzerten und Suiten aller Art. Wenigstens lässt uns das Stück über seinen Anlass nicht im Un­ gewissen, wenn im letzten Rezitativ ausdrücklich ein Brautpaar angesprochen und in der abschließenden Gavotte mit den besten Segenswünschen bedacht wird.

URAUFFÜHRUNG Eine Hochzeitsfeier bildete folglich den Rahmen für die Uraufführung der Kantate, ein bürgerliches Fest offenbar, wie der vertrauliche Ton und der mäßige Aufwand der Komposition verraten – aber wann und wo es stattfand, wissen wir nicht.

Johann Sebastian Bach: »Weichet nur, betrübte Schatten«

12 ENGELSZUNGEN, ÜBERIRDISCH Im Bach-Jahr 1985, dreihundert Jahre nach der Geburt des Komponisten, den die Nachwelt so salopp wie sakral nur »den Thomaskantor« nennt, besuchte der Schriftsteller Julien Green den Dom zu ­Hildesheim. Und hörte dort eine Stimme, die Stimme eines Engels, dessen Gesang vom Himmel herabkam oder zum Himmel aufstieg – wer wollte es unterscheiden ? »Die Wirkung war außerordentlich, weil derart überraschend und übernatürlich, als wäre plötzlich das Göttliche über eine düstere Welt hereingebrochen«, schrieb Julien Green in sein Tagebuch. »Die Stimme war so herrlich, dass sie mich mit allen ­großen menschlichen Stimmen versöhnte, vor denen ich immer geflohen bin. Wie ihre alles bezwingende Kraft beschreiben ? Sie verbreitete Glanz unter diesem großartigen, im 13. Jahrhundert ausgemalten Decken­ gewölbe. Sie schrie vor Gottvertrauen, vor Glauben und Liebe.«

ANRUFUNG RÖMISCHER ­FRÜHLINGSGÖTTER Überraschend, das kann man wohl sagen, auch für den Leser dieser Zeilen. Denn die Stimme des Engels gehörte einem Sopran, der Johann Sebastian Bachs Kantate »Weichet nur, betrübte Schatten« BWV 202 sang, eine ausgesprochen weltzu­ gewandte Musik und Frühlingsfeier, in der nicht Gott, sondern lauter heidnische ­Götter angerufen werden: Flora, die römische »Mutter der Blüten«; Phoibos Apollon, der strahlende Sonnengott; und Amor, mit dem die Liebe ins Spiel kommt. Offenbar hatte sich Julien Green im Glauben geirrt und vom christlich geweihten Ort zu falschen Schlüssen hinreißen lassen. Doch diese wohlmeinende Vermutung trifft nicht

zu: Der Pariser Romancier kannte und erkannte Bachs Komposition ganz genau und ignorierte bewusst die prinzipienfeste ­Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Kantaten. Die auch für Bach selbst niemals unerschütterliche Gültigkeit besaß. Dass strenggenommen alle ­Musik Gottesdienst sei, nicht nur die liturgisch definierte, schärfte Bach seinen Schülern ein. Im Unterricht »zum vierstimmigen Spielen des General-Baß« diktierte er ihnen als Vorschrift und Ermahnung diese drastischen Worte in die Feder: »Und soll wie aller Music also auch des General Basses Finis und End Uhrsache anders nicht als nur zu Gottes Ehre und ­Recreation des Gemüths seyn. Wo dieses nicht in acht genommen wird da ists keine eigentliche Music sondern ein Teuflisches Geplerr und Geleyer.« Soli Deo Gloria: Gott allein zu ­Ehren sollte die Musik sich hören lassen, in der Kirche wie in der Kammer, an hohen Festen wie im Alltag.

BACHS »ARABESKE« PHANTASIE Nein, Julien Green hatte sich ganz und gar nicht getäuscht, als er im Dom von Hildesheim begriff, wie das Göttliche über eine düstere Welt hereinbricht. »Weichet nur, betrübte Schatten !« Johann Sebastian Bach nahm diesen Leitgedanken des unbekannten Dichters beim Wort und behandelte die erste Arie seiner Kantate als eine Ombra-Szene: eine Geisterbeschwörung in der Art der Opera seria mit den aus der Tiefe aufsteigenden Dreiklangsbrechungen der Streicher und den hochexpressiven Soli der Oboe. Ihre frei schweifenden Melodien ignorieren Takt und Tempo, sie scheinen nur dem Ausdruck und dem Augenblick zu gehorchen. Claude Debussy sprach bewundernd von der »göttlichen Arabeske«, die er als eine Quelle der Musik schlechthin

Johann Sebastian Bach: »Weichet nur, betrübte Schatten«

13 verstand: »Bach nahm die Arabeske wieder auf und machte sie biegsamer, flüssiger. Die Schönheit kann sich trotz der strengen Ordnung, in die der große Meister sie stellte, mit dieser freien, unaufhörlich zu neuen Gestalten drängenden Phantasie bewegen, die uns noch heute in Erstaunen versetzt.«

IDYLL EINES SCHÄFERSPIELS Nicht anders erging es Julien Green, als er im Dom die Stimme des Engels vernahm, den Aufschrei des Soprans. Es ist wirklich ein »Schrei« des Gottvertrauens und der Liebe, sofern man ihn nicht an der Lautstärke bemisst, sondern (um es angemessen altmodisch zu sagen) an der Inbrunst. Doch mit einer jähen szenischen Verwandlung wechselt Bach aus der düsteren Unter­ welt der Schatten in das arkadische Idyll eines Schäferspiels. Der kontrastierende Andante-Mittelteil dieser Dacapo-Arie schildert das Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande: »Florens Lust will der Brust nichts als ­frohes Glück verstatten.« Vier Rezitative, die allesamt vom Secco bruchlos in ein Arioso übergehen, verbinden scharnier­ artig die Sopran-Arien der Bachschen Solo­ kantate: »Phoebus eilt mit schnellen Pferden«, in C-Dur, nur vom »trappelnden« Continuo untermalt, im sausenden 12/8Takt einer italienischen Giga; »Wenn die Frühlingslüfte streichen«, in e-Moll, mit obligater Violine, innig und sehnsüchtig im Ton, sacht und vorsichtig in der Bewegung (denn sie zeigt Amor, der die Liebenden umschleicht); und »Sich üben im Lieben, in Scherzen sich herzen«, mit konzertierender Oboe, in D-Dur und passenderweise als ein französischer Passepied gesetzt, der zu den »Galanterien« zählte, den modischen Tanzsätzen leichteren Charakters. Eine ausdrücklich so bezeichnete Gavotte in

G-Dur beschließt als Finale und Kehraus die Kantate. »Ihr Affect ist wircklich eine rechte jauchzende Freude«, bemerkte Bachs Hamburger Zeitgenosse Johann Mattheson über diesen aus Frankreich importierten Tanz.

WELTLICHE HOCHZEITSKANTATE Mit »betrübten Schatten« fing die Kantate an, mit jauchzendem Frohsinn und der Aussicht auf »tausend helle Wohlfahrtstage« klingt sie aus. Um der Bach-Forschung gleichwohl einiges Kopfzerbrechen zu bereiten, da man bei Licht besehen nur wenig bis gar nichts über dieses Werk weiß, das allem Anschein nach für ein Hochzeitsfest bestimmt war (nicht zu verwechseln mit den Kantaten für die kirchliche Trauung). Der Text der Rezitative und der Gavotte legt diese Vermutung nahe, aber wann und wo welches Brautpaar mit Bachs Musik ­gefeiert wurde, bleibt völlig unklar. Die ­Kantate ist lediglich in einer auf 1730 datierten Abschrift aus der thüringischen Provinz überliefert, sie muss folglich vorher entstanden sein – in Bachs ersten Jahren als Leipziger Thomaskantor oder in seiner Zeit als Hofkapellmeister im anhaltischen Köthen oder noch früher als Konzert­ meister in Weimar ? Darüber lässt sich nur spekulieren. Über die »außerordentliche Wirkung« hingegen keinesfalls: »als wäre plötzlich das Göttliche über eine düstere Welt hereingebrochen«.

Johann Sebastian Bach: »Weichet nur, betrübte Schatten«

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Zwei Kantaten JOHANN SEBASTIAN BACH

»JAUCHZET GOTT IN ALLEN LANDEN« BWV 51 1. ARIA

3. ARIA

Jauchzet Gott in allen Landen ! Was der Himmel und die Welt An Geschöpfen in sich hält, Müssen dessen Ruhm erhöhen, Und wir wollen unserm Gott Gleichfalls itzt ein Opfer bringen, Daß er uns in Kreuz und Not Allezeit hat beigestanden.

Höchster, mache deine Güte Ferner alle Morgen neu. So soll vor die Vatertreu Auch ein dankbares Gemüte Durch ein frommes Leben weisen, Daß wir deine Kinder heißen. 4. CHORAL

2. RECITATIVO Wir beten zu dem Tempel an, Da Gottes Ehre wohnet, Da dessen Treu, So täglich neu, Mit lauter Segen lohnet. Wir preisen, was er an uns hat getan. Muß gleich der schwache Mund von seinen Wundern lallen, So kann ein schlechtes Lob ihm dennoch wohlgefallen.

Sei Lob und Preis mit Ehren Gott Vater, Sohn, Heiligem Geist ! Der woll in uns vermehren, Was er uns aus Gnaden verheißt, Daß wir ihm fest vertrauen, Gänzlich uns lassn auf ihn, Von Herzen auf ihn bauen. Dass uns’r Herz, Mut und Sinn Ihm festiglich anhangen; Drauf singen wir zur Stund: Amen, wir werdn’s erlangen, Glaub’n wir zu aller Stund. 5. FINALE Alleluja !

Die Gesangstexte

15 »WEICHET NUR, BETRÜBTE SCHATTEN« BWV 202 1. ARIA

6. RECITATIVO

Weichet nur, betrübte Schatten, Frost und Winde, geht zur Ruh ! Florens Lust Will der Brust Nichts als frohes Glück verstatten, Denn sie träget Blumen zu.

Und dieses ist das Glücke, Dass durch ein hohes Gunstgeschicke Zwei Seelen einen Schmuck erlanget, An dem viel Heil und Segen pranget. 7. ARIA

2. RECITATIVO Die Welt wird wieder neu, Auf Bergen und in Gründen Will sich die Anmut doppelt schön verbinden, Der Tag ist von der Kälte frei.

Sich üben im Lieben, In Scherzen sich herzen Ist besser als Florens vergängliche Lust. Hier quellen die Wellen, Hier lachen und wachen Die siegenden Palmen auf Lippen und Brust.

3. ARIA 8. RECITATIVO

Phoebus eilt mit schnellen Pferden Durch die neugeborne Welt. Ja, weil sie ihm wohlgefällt, Will er selbst ein Buhler werden.

So sei das Band der keuschen Liebe, Verlobte Zwei, Vom Unbestand des Wechsels frei ! Kein jäher Fall Noch Donnerknall Erschrecke die verliebten Triebe !

4. RECITATIVO Drum sucht auch Amor sein Vergnügen, Wenn Purpur in den Wiesen lacht, Wenn Florens Pracht sich herrlich macht, Und wenn in seinem Reich, Den schönen Blumen gleich, Auch Herzen feurig siegen.

9. GAVOTTE Sehet in Zufriedenheit Tausend helle Wohlfahrtstage, Daß bald bei der Folgezeit Eure Liebe Blumen trage !

5. ARIA Wenn die Frühlingslüfte streichen Und durch bunte Felder wehn, Pflegt auch Amor auszuschleichen, Um nach seinem Schmuck zu sehn, Welcher, glaubt man, dieser ist, Daß ein Herz das andre küßt.

Die Gesangstexte

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Bach im Konzertsaal EGON VOSS

Bachs »Johannes-Passion« wurde für den lutherisch-protestantischen Vespergottes­ dienst am Karfreitag komponiert, von Amts wegen; denn der Leipziger Thomaskantor hatte die Aufgabe, alljährlich am Karfreitag eine Passionsmusik aufzuführen. Es handelte sich dabei jedoch nicht um ein Kirchenkonzert, die ausdrückliche Aufführung ­eines musikalischen Werkes in der Kirche, sondern um einen Gottesdienst. In dessen Mittelpunkt stand die Predigt. Daraus leitet sich ab, dass Bachs Passionen je aus zwei Teilen bestehen, einem, der der Predigt voranging, und einem, der ihr folgte. Bedenkt man, dass die Predigt nicht selten eine ganze Stunde dauerte, so wird deutlich, dass allein ästhetische Prinzipien hier nicht leitend sein konnten.

Druck kamen, lassen sich an zwei Händen abzählen. Es ist daher kein Wunder, dass die Pflege Bachscher Musik auf den unmittelbaren Umkreis des Komponisten beschränkt blieb. Im Gegensatz zu Georg Friedrich Händel, dessen Oratorien seit ihrer Entstehung eine kontinuierliche Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte haben, und zwar international, blieb Bachs Musik die Bildung einer Aufführungstradition verwehrt. Mit dem Tod des Komponisten verschwand auch seine Musik aus dem Bewusstsein der Zeitgenossen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Name Bachs durchaus geläufig blieb, die Thomaner seine Motetten sangen, und das »Wohltemperierte Klavier« als didaktisches Medium verbreitet war.

PASSIONSMUSIK FÜR LEIPZIG

Die Vergessenheit, in die Bachs Musik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geraten war, wurde im 19. Jahrhundert allmählich aufgehoben. Allerdings geschah das nicht, indem man Bachs Musik in jenen Rahmen gleichsam zurückstellte, für den sie entstanden und in dem sie aufgeführt worden war. Es war vielmehr die moderne Einrichtung des Konzertsaals, für die man Bachs Musik entdeckte, eine Einrichtung,

Die »Johannes-Passion« wurde in Leipzig vermutlich viermal aufgeführt, stets am Karfreitag und in dem beschriebenen Rahmen. Es gab keine Aufführungen andernorts. Wie die Mehrzahl von Bachs Werken wurde auch die »Johannes-Passion« weder in Abschriften noch in Druckausgaben verbreitet. Die Kompositionen Bachs, die zum

Zur Rezeptionsgeschichte

17 die Bach noch gar nicht gekannt hatte. Das »Zimmermann’sche Caffée-Haus«, in dem Bach mit dem Leipziger »Collegium musicum« seine Cembalokonzerte musiziert hatte, stand dem Konzertsaal des 19. Jahrhunderts und der damit verknüpften Ästhetik fern, ganz zu schweigen von den anderen Orten, für die Bach seine Musik komponiert hatte und an denen sie erklungen war.

VON DER KIRCHE IN DEN KONZERTSAAL Im Konzertsaal des 19. Jahrhunderts wurde Bachs Musik also schon rein äußerlich mit einer Aufführungssituation konfrontiert, die derjenigen ihrer Entstehung und ursprünglichen Zweckbestimmung entgegenstand. Das aber war nur das äußere Zeichen einer inhaltlichen Umwertung. Die Ent­deckung der Bachschen Musik für den Konzert­saal war nämlich die Entdeckung ihres Kunstcharakters. Repräsentativ in diesem Sinne war Felix Mendelssohn Bartholdys sogenannte Wiederentdeckung der »Matthäus-­ Passion« im Jahre 1829. Von »Wiederentdeckung« zu reden, ist allerdings falsch oder zumindest irreführend, da Mendelssohn die »Matthäus-Passion« ja nicht als jene Kirchenmusik auffasste und wieder präsentierte, als welche Bach sie komponiert und aufgeführt hatte. Was 1829 tatsächlich geschah, war die Entdeckung der »Matthäus-Passion« als musikalisches Kunstwerk: Die Komposition, ursprünglich einem klar definierten liturgischen Zweck dienend, wurde im Sinne der Ästhetik des 19. Jahrhunderts in den Raum der Kunst überführt, in dem die Werke ausschließlich Kunstobjekte sind und nichts sonst. Es ist bezeichnend, dass Richard Wagner 1882 äußerte, Bachs Passionen gehörten nicht in die Kirche.

Auch wenn man sich kaum vorstellen kann, dass es jemanden gibt, der all jenen gram ist, die Bachs Musik in dem beschriebenen Sinne »entdeckten«, so steht doch außer Frage, dass damit die Musik aus ihrem Ursprungszusammenhang gerissen wurde. Pointiert formuliert: Sie wurde zu etwas, das gar nicht intendiert gewesen war. Die Berufung auf Bach selbst erscheint vor diesem Hintergrund daher weder sinnvoll noch überhaupt legitim. Der Bach unseres Bewusstseins stammt aus dem 19. Jahrhundert.

GROSS UND MONUMENTAL Angesichts der geschilderten Sachlage verwundert es nicht, dass die Wiedergabe von Bachs Musik im Konzertsaal problematisch ist. Große Konzertsäle verlangen klangmächtige Instrumente. Daher wird beispielsweise das »Wohltemperierte Klavier« häufig auf dem modernen Konzertflügel gespielt, für den es aber nicht geschrieben wurde, ganz abgesehen davon, dass Bach an einigen Stellen mehrere Manuale verlangt, über die der Konzertflügel bekanntlich nicht verfügt. Um die Räume klanglich zu füllen, sind große Besetzungen von Chören und Orchestern nötig, jedenfalls solche, die weit über das hinausgehen, was Bach selbst zur Verfügung stand. Im 19. Jahrhundert beließ man es nicht einmal bei der quantitativen Änderung der Besetzung, sondern passte Bachs Instrumentarium an das der eigenen Zeit an. So bearbeitete Felix Mottl, von 1907 bis zu seinem Tode 1911 Hofkapellmeister in München, die »Brandenburgischen Konzerte« für das klassische Symphonieorchester. Ähnlich verfuhr Robert Franz, manchem noch als Liedkomponist bekannt, mit der »Matthäus-­ Passion«.

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18 Offensichtlich traute man den Original­ besetzungen nicht zu, die Hörer zu überzeugen. Insbesondere scheint man den Eindruck gehabt zu haben, das originale Instrumentarium werde dem außerordentlichen Rang der Musik nicht gerecht. Die Konsequenz war die Bearbeitung, wie wir sie von Arnold Schönberg, Anton von Webern oder Igor Strawinsky – um nur diese zu nennen – kennen. Schönbergs Orchestrierung von Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552 ist der Versuch, die gewaltige Dynamik der Bachschen Komposition, die sich auf der Barockorgel nicht annähernd realisieren lässt, zur angemessenen Erscheinung zu bringen. Zugleich monumentalisiert sie die Musik aber auch und ist damit ein Produkt der Bach-Auffassung des 19. Jahrhunderts. Die großen Besetzungen hatten nicht zuletzt den Sinn, Größe und Monumentalität von Bachs Musik zu Ausdruck und Darstellung zu bringen; denn man verstand Bachs Musik als groß und monumental. Jedoch nicht nur der Entfaltung der latent vorhandenen Dynamik in Bachs Musik galt das Interesse der Bearbeiter. Das Ziel war zugleich, die Struktur der Komposition zu verdeutlichen und damit die Essenz der Musik besser oder überhaupt erst hörbar werden zu lassen. In dieser Auffassung existiert die Komposition getrennt vom Instrumentarium, für das sie geschrieben wurde. Sie ist der Kern, das Wesentliche, während das Instrumentarium nur eine gleichsam beliebige Einkleidung oder Zutat darstellt. Ihr Austausch zugunsten der Komposition als solcher erscheint daher legitim, wenn nicht gar gefordert.

DEMONSTRATION DES KUNSTCHARAKTERS Diese Betrachtungsweise galt zwar vornehmlich, wie sich denken lässt, der Orgelund Cembalomusik Bachs, sie betraf jedoch auch andere Werke. Aber selbst dort, wo man von der konkreten Bearbeitung absah, betrachtete man die Musik Bachs mit den Augen des 19. Jahrhunderts. Die Passionen wie die h-Moll-Messe wurden dem Repertoire der Oratorienvereine und der großen Musikfeste einverleibt, und die »Brandenburgischen Konzerte« sowie die Orchestersuiten jenem der Symphonie­ konzerte. Wilhelm Furtwängler verstand das dritte »Brandenburgische Konzert« wie die dritte Orchestersuite, Werke, die er besonders gern dirigierte, dezidiert als symphonische Musik, als stünden sie zusammen mit den Symphonien von Haydn bis Bruckner in einer gemeinsamen Gattungstradition. Alle genannten Gesichtspunkte haben mit der Überführung von Bachs Musik in den Raum der Kunst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu tun. Inzwischen leben wir im Zeitalter der historischen Aufführungspraxis und ihrer akribischen Bemühungen um Werktreue. Äußerlich ist der Bruch mit der Aufführungstradition des 19. Jahrhunderts meist unüberhörbar, doch an der ästhetischen Situation hat sich dennoch nichts geändert. Auch die Aufführungen der »Johannes-Passion« haben den Raum der Kunst nicht wieder verlassen; sie stehen nach wie vor in der Nachfolge ­Mendelssohns und seiner demonstrativen Entdeckung des Kunstcharakters von Bachs Musik. Im Übrigen: Aller historischen Treue zum Trotz hat noch niemand versucht, die Predigt zwischen den zwei Teilen der Passionsmusik wiedereinzuführen.

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»Musick, composed by Mr. Handel for the Royal Fireworks« MARTIN DEMMLER

GEORG FRIEDRICH HÄNDEL (1685–1759) »Music for the Royal Fireworks« HWV 351 (Feuerwerksmusik) 1. Ouverture 2. Bourrée 3. La Paix 4. La Réjouissance 5. Menuet I 6. Menuet II

ENTSTEHUNG Das Werk entstand 1749 im Auftrag des englischen Königs Georg II. aus Anlass des Friedens von Aix-La-Chapelle, der das Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges besiegelte. Über die Besetzung kam es im Vorfeld zum Streit zwischen Händel und dem König, da letzterer ausschließlich ­Militärinstrumente verwendet wissen wollte, Händel hingegen auf Streichinstrumenten beharrte.

URAUFFÜHRUNG

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 23. Februar 1685 in Halle an der Saale; gestorben am 14. April 1759 in London.

Am 27. April 1749 in London im Londoner Green Park (ein 57 Musiker umfassendes Orchester, in dem 24 Oboen, 12 Fagotte, 9 Hörner, 9 Trompeten und drei Paar Kessel­ pauken spielten). Bereits sechs Tage zuvor hatte die öffentliche Generalprobe in den Vauxhall Gardens rund 12.000 Zuhörer angelockt, was in London ein regelrechtes Verkehrschaos auslöste, weil Neugierige die London Bridge verstopften.

Georg Friedrich Händel: »Feuerwerksmusik«

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Georg Friedrich Händel (1749)

Georg Friedrich Händel: »Feuerwerksmusik«

21 DIE LONDONER JAHRE DES GEORGE FRIDERIC HANDEL

ERSTE ERFOLGE ALS ­OPERNKOMPONIST IN ENGLAND

Als Georg Friedrich Händel im Herbst 1710 erstmals englischen Boden betrat, war er längst ein berühmter Komponist. In den Jahren zuvor hatte er mit seinen Opern und Oratorien in vielen italienischen Städten wahre Triumphe gefeiert. Im Sommer 1710 war er zum Kapellmeister des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover ernannt worden, doch in der Residenzstadt hielt es ihn nicht lange. Offenbar hatte er sich ausbedungen, nicht die ganze Zeit vor Ort sein zu müssen und so machte er sich schon wenige Monate später auf nach London, damals mit etwa 680.000 Einwohnern die größte Stadt Europas und das politische und künstlerische Zentrum des britischen Königreichs.

1711 inszenierte Händel mit »Rinaldo« ­seine erste Oper auf englischem Boden. Adel und Königshaus wurden auf ihn aufmerksam und bald verkehrte er in den besten Kreisen der Metropole. Aufgrund des großen Erfolges wurde er als »Composer of the Opera« engagiert, aber seine Anstellung im Dienst des Kurfürsten zwang ihn schließlich zurück nach Hannover. Doch bereits im darauf folgenden Jahr war Händel zurück in London, um sich nun dauerhaft dort niederzulassen. Fortan brachte er jedes Jahr ein bis zwei Opern heraus und mit dem Ruhm kam auch der Wohlstand. Händel, der 1720 zum Musikdirektor der »Royal Academy of Music« ernannt wurde und auch als Musik­ lehrer der Prinzessinnen wirkte, gehörte zu den am besten verdienenden Komponisten seiner Zeit.

DIE BRITISCHE METROPOLE ALS CHANCE Händel begriff bald, dass ihm das liberale Klima Londons größere künstlerische Spielräume eröffnen würde als die absolutis­ tischen Fürstentümer in seiner Heimat oder die italienischen Residenzen. Außerdem wirkte zu jener Zeit in London neben ihm kein anderer Komponist von Weltrang. Der Musikschriftsteller Charles Burney (1726–1814), der Händel auch persönlich kannte, berichtete in seiner »Geschichte der Musik«: »Der Ruf von den ausnehmenden Talenten und Fähigkeiten, welche Händel besaß, und von dem Beifall, den er sich durch beide in Italien und Deutschland erworben hatte, war in England schon vorläufig bekannt und verschaffte ihm eine leichte und günstige Aufnahme bei Hofe und in vielen von den ersten Familien.«

DER UNTERNEHMER ZWISCHEN ERFOLG UND PLEITE Händel arbeitete in London keineswegs nur als Komponist. In erster Linie war er Unternehmer, der ein Opernhaus leitete, Sänger engagierte und für den finanziellen Erfolg der Produktionen sorgen musste. Das wurde mit der Zeit jedoch immer schwieriger, denn die italienisch gesungene Opera seria, auf die Händel setzte, stieß auf immer weniger Interesse beim Publikum. 1728 hatte die englischsprachige »Beggar’s Opera« von John Christopher Pepusch und John Gay in London Premiere. Dieses Singspiel mit seinen gesprochenen Dialogen und popu­lären Gesängen war eine böse Satire auf die Lächerlichkeiten der Opera seria und ihren hohlen Pomp. Der ungeheure

Georg Friedrich Händel: »Feuerwerksmusik«

22 ­ rfolg dieser geistreichen Parodie brach E der Opernakademie Händels schließlich das Genick. Doch er gab nicht auf und inszenierte in den folgenden vier Jahren sieben weitere Opern am Haymarket Theatre. 1734 war jedoch auch dieses Unternehmen am Ende.

VON DER OPER ZUM ORATORIUM Den Niedergang der Opera seria vor Augen, wandte sich Händel der Gattung des von ihm selbst geschaffenen englischsprachigen Oratoriums zu. Von 1738 an komponierte er jedes Jahr ein bis zwei Oratorien. Die Aufführungen dieser Werke in verschiedenen Londoner Theatern rückten Händel erneut in den Mittelpunkt des städtischen Musiklebens. Trotz der geistlichen Sujets gestaltete Händel seine Oratorien als musikalische Dramen. Dass er mit diesen Werken so erfolgreich war, hing auch damit zusammen, dass Händel die Aufführungen seit 1735 mit seinem oft improvisierten Orgelspiel und seinen Orgelkonzerten bereicherte. Mit diesen Konzerten wurde er zum Wegbereiter des modernen Konzertwesens in England.

OPEN-AIR-EVENT Zwar stand in Händels Schaffen die Vokalmusik immer im Vordergrund, doch auch als Komponist von Instrumentalmusik wusste er Hervorragendes zu leisten. Als für die Feier des 1748 geschlossenen Aachener Friedens, der den Österreichischen Erbfolge­ krieg beendete, eine nationale Feier geplant war, bat man Händel, die Musik zu diesem prachtvollen öffentlichen Freudenfest zu komponieren. Die Ratifizierung des Friedensvertrags durch alle beteiligten

Regierungen zog sich jedoch so lange hin, dass der Friedensschluss in London erst am 2. Februar 1749 verkündet werden konnte. Die offiziellen Feierlichkeiten, darunter auch ein Feuerwerk, verschob man in der Hoffnung auf besseres Wetter auf das Frühjahr. Schließlich sollte das Feuerwerk am 27. April stattfinden und Händels Musik das Open-Air-Spektakel einleiten. Der Publikumsandrang bei der öffentlichen Generalprobe in Vauxhall Gardens war mit rund 12.000 Zuhörern so groß, dass sich auf der London Bridge der Verkehr staute, und beim eigentlichen Feuerwerk fand ­Händels Musik wohl mehr Zuhörer als bei jedem anderen Konzert zu seinen Lebzeiten.

FEUERWERK IM NIESELREGEN Die einzelnen Sätze der »Music for the ­Royal Fireworks« sind in Form einer Suite angeordnet und dem Ort der Aufführung in einem Park entsprechend, wählte Händel eine außerordentlich üppige Bläserbesetzung. Das Autograph nennt ausdrücklich neun Trompeten, drei Paar Kesselpauken, neun Hörner, 24 Oboen und zwölf Fagotte. Trotz dieser Riesenbesetzung war die Musik bei der Uraufführung offenbar nur zu vernehmen, wenn der Wind günstig stand und den Schall von den Musikern zum Publikum trug. Im Übrigen endeten die öffentlichen Feierlichkeiten mit einem Desaster. Vor der Überfülle der Raketen mussten sich die Zuschauer unter die Bäume des Green Park retten. Wenig später ging ein Teil der prachtvollen Illuminationsarchitektur in Flammen auf. Schließlich setzte auch noch starker Nieselregen ein, so dass das königliche Feuerwerk buchstäblich ins Wasser fiel.

Georg Friedrich Händel: »Feuerwerksmusik«

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Erste Seite der autographen Partitur zu »Music for the Royal Fireworks« HWV 351

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Ton Koopman DIRIGENT

Ton Koopman, 1944 im niederländischen Zwolle geboren, studierte Orgel, Cembalo und Musikwissenschaft in Amsterdam und schloss seine Ausbildung mit dem Prix d’Excellence ab. Von Beginn an standen historische Instrumente und die authentische Aufführungspraxis im Mittelpunkt seiner Arbeit. 1979 gründete Ton Koopman das Amsterdam Baroque Orchestra, 1992 dann den Amsterdam Baroque Choir. Im Verlauf seiner langjährigen Karriere war er an allen bedeutenden Konzerthäusern und Festivals der Welt zu Gast. Als Organist und Cembalist spielte er auf den wertvolls-

ten historischen Instrumenten Europas. Zwischen 1994 und 2004 erarbeitete Ton Koopman eine Gesamteinspielung aller Kantaten Johann Sebastian Bachs; das ehrgeizige Projekt wurde mit dem ECHO Klassik und dem Prix Hector Berlioz ausgezeichnet. Für seine Forschungstätigkeit über die Bachschen Kantaten und Passionen wurde er obendrein mit dem Ehrendoktortitel der Universität Utrecht sowie der Bach-Medaille der Stadt Leipzig gewürdigt. Um den Kompo­ nisten Dietrich Buxtehude machte sich Ton Koopman ebenfalls verdient: 2014 schloss er die Aufnahme des Gesamtwerks Buxte­ hudes ab, der er sich seit 2005 intensiv gewidmet hatte. Als Gastdirigent arbeitete Ton Koopman u. a. mit den Berliner und den New Yorker Philharmonikern, dem Royal Concertgebouworkest, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Tonhalle Orchester Zürich und dem Orchestre Philharmonique de Radio France zusammen. Von 2011 bis 2013 war er »artist-in-­residence« beim Cleveland Orchestra. Ton Koopman ist Professor an der Universität von Leiden, Ehrenmitglied der Londoner Royal Academy of Music und künstlerischer Leiter des französischen Festivals Itinéraire Baroque.

Die Künstler

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María Espada SOPRAN

­ ebastian Bachs und den Oratorien Georg S Friedrich Händels, war María Espada auch in den Requiemvertonungen von Gabriel Fauré und Johannes Brahms zu hören. Im Bereich der Oper sang sie u. a. »L’incorona­ zione di Poppea« (Virtù, Damigella, Amore) von Monteverdi, »La Bohème« (Musetta) von Puccini, »La Traviata« (Annina) von ­Verdi, »Die Zauberflöte« (Pamina) von Mozart und »L’elisir d’amore« (Giannetta) von Doni­ zetti.

Die spanische Sopranistin María Espada studierte in ihrer Heimatstadt Mérida bei Mariana You Chi und an der Musikhochschule Reina Sofía in Madrid bei Alfredo Kraus. Seit ihrem Debüt 1996 tritt sie nicht nur in den wichtigsten spanischen Opern- und Konzerthäusern wie dem Teatro Real in Madrid oder dem Liceo in Barcelona auf, sondern auch in Sälen wie dem Konzerthaus in Wien, der Berliner Philharmonie, dem Théâtre des Champs-Élysées in Paris, dem Concertgebouw in Amsterdam und dem ­Palais des Beaux Arts in Brüssel. Neben den großen konzertanten Werken des Barockzeitalters, wie den Passionen Johann

Von Orchestern wie dem Royal Concert­ gebouworkest, dem Venice Baroque Orches­ tra, dem Orchestra of the Eighteenth Century, dem L’Orfeo Barockorchester, dem Il Giardino Armonico, den I Barocchisti, dem Netherlands Radio Chamber Philharmonic, dem Al Ayre español, dem La Risonanza und den großen spanischen Symphonieorchestern wurde sie als Solistin eingeladen. Ihr Interesse für die Kammermusik zeigt María Espada in Programmen mit Werken vom Barock bis zum 20. Jahrhundert, wobei ihr Repertoire hier sowohl Werke mit Klavierbegleitung als auch mit kleinerer Kammerbesetzung umfasst. Aufnahmen mit María Espada entstanden für die Labels Harmonia Mundi, Glossa, Challenge und Naxos.

Die Künstler

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Die Philharmoniker als frühe Botschafter russischer Musik GABRIELE E. MEYER

Russische Musik in München ? Ein Streifzug durch die Programme der Münchner Philharmoniker von 1893 (dem Gründungsjahr des Orchesters) bis in die frühen 30er Jahre zeigt, dass neben den wiederkehrenden Beethoven-, Brahms- und Bruckner-­ Zyklen, die zahlreichen Richard Wagner-­ Abende nicht zu vergessen, auch nicht-­ deutsche Musik, vor allem aber russische Musik aufgeführt wurde. Mit diesem Beitrag soll an einen Dirigenten und Komponisten erinnert werden, dem die Münchner Musikfreunde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen äußerst spannenden Einblick in die damalige Musikentwicklung seines Landes verdankten, kannte man doch außerhalb Russlands bislang kaum mehr als die Musik des eher westeuropäisch orientierten Pjotr Iljitsch Tschaikowskij. Gefördert von Milij Balakirew studierte der am 5. Dezember 1869 in Tiraspol geborene Nikolaj Iwanowitsch von Kasanli (auch: Kazanli) neben seiner Offizierslaufbahn u. a. Komposition bei Nikolaj Rimskij-Korsakow,

bevor er ins Ausland ging. Wie schon vor ihm Jurij Nikolajewitsch Gallitzin sah es auch Kasanli als seine vornehmste Aufgabe an, einen Überblick über die verschiedenen musikalischen Stilrichtungen seiner Heimat zu geben. In seinem Münchner Debüt als Dirigent am 17. März 1897 – der ursprünglich angesetzte Termin wurde »wegen eingetretener Hindernisse« um zwei Tage verschoben – , stellte sich Kasanli sogleich mit eigenen Kompositionen vor. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« würdigten seine eingangs gespielte Symphonie in f-Moll als durchaus ernstzunehmende Talentprobe. »Sie zeigt nicht nur, daß der junge Mann vortreffliche Studien gemacht hat, sondern sowohl im Aufbau wie in der Ausgestaltung der fast durchweg edel empfundenen Themen und Melodien ein Beweis wahrer Begabung ist. […] Der seine Werke selbst dirigierende Komponist wurde nach jedem Satze der vom Kaim-Orchester vortrefflich gespielten Symphonie durch verdienten starken Beifall geehrt.« Die Vokalbeispiele hingegen fanden deutlich weniger Anklang. Daran konnten auch die »Hervor-

Russische Musik in München

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Programm des letzten »Russischen Symphonie-Concerts« unter Leitung von Nikolaj von Kasanli

Russische Musik in München

28 rufungen« am Ende des Abends nichts ändern. Zehn Monate später übernahm Kasanli die zweite Hälfte eines Konzerts mit der »Königlichen Hofopernsängerin Emilie Herzog aus Berlin«. Zunächst spielte das Orchester nochmals die f-Moll-Symphonie, danach Borodins »Steppenskizze aus Mittelasien« und Balakirews »Ouvertüre über ein spanisches Marschthema«. In dem am 30. Dezember 1898 geleiteten »Russischen Symphonie-Concert« machte Kasanli noch auf weitere Komponisten aus dem Umkreis des sogenannten »Mächtigen Häufleins« wie Sergej Ljapunow und Aleksandr Tanejew aufmerksam. Balakirew war diesmal mit der symphonischen Dichtung »Russia« vertreten, der Dirigent mit In­strumentationen von zwei Klavierstücken von Franz Liszt (»Sposalizio« und »Il Penseroso«) sowie von Schuberts »Erlkönig«. Das Echo war diesmal recht zwiespältig. »Es ist überhaupt mit der ganzen jung-russischen Schule eine eigene Sache. Ihre Vertreter bringen oft recht Interessantes, bei dem aber vielfach mehr Absonderlichkeit, als echte Originalität sich äußert.« Dank Kasanlis Engagement kam es ein gutes Jahr später gar zu einem »Concert Michael Glinka gewidmet«. Zum ersten Mal erklangen große Teile – »Fragmente« wie es damals hieß – aus der Oper »Ruslan und Ljudmila«, die trotz des Fehlens von Handlungsübersicht und der jeweiligen Szenentexte in der Konzerteinführung äußerst positiv aufgenommen wurden. So meinten die »Münchner Neuesten Nachrichten«, dass die Bruchstücke durchweg interessant und reich an charakteristischen Stellen seien, »deren Wirkung durch eine sehr farbenreiche Instrumentation gehoben wird«. Die sehr detaillierte Besprechung

würdigte zudem die Leistung aller Mitwirkenden. »Das Kaim-Orchester hielt sich sehr wacker, und Herr v. Kasanli, der mit viel Schwung und Lebendigkeit dirigierte, wußte das oft sehr komplizierte Ensemble gut zusammenzuhalten, wenn auch viele Momente […] zu stärkerer Wirkung hätten gelangen können.« Weitere Konzerte mit wiederum zum Teil noch nicht gehörten Werken von Aleksandr Dargomyschskij, César Cui und Nikolaj Rimskij-Korsakow sowie von Balakirew, Borodin und Tanejew folgten, dann verließ Kasanli die Residenzstadt München. Bis auf Mussorgskij hatte er alle wichtigen Komponisten vorgestellt, einen Bogen gespannt von Glinka und Dargomyschskij als den Vätern der russischen Tradition bis zu den Protagonisten und Sympathisanten des »Mächtigen Häufleins«, denen ja auch Kasanli angehörte. Doch riss die Vorliebe für das Russische nach seinem Weggang nicht ab. Nun gab es Komponisten zu entdecken wie beispielsweise Anton Rubinstein, Modest Mussorgskij, Sergej Bortkjewitsch, Wasilij Kalinnikow, Nikolaj Lopatnikow, Anatolij Ljadow, Aleksandr Glasunow, Sergej Prokofjew, Eduard Schütt, Aleksandr Skrjabin, Igor Strawinskij, Aleksandr Tscherepnin und Wladimir Vogel. Noch bis zum Beginn der 30er Jahre wurden »Russische Abende« angesetzt, aber keiner hatte sich so engagiert für die Musik seines Landes eingesetzt wie jener heute zu Unrecht vergessene Dirigent, Komponist und unermüdliche Organisator Nikolaj von Kasanli. Am 23. Juli 1916 ist er in St. Petersburg gestorben.

Russische Musik in München

29 Sonntag 10_01_2016 17 Uhr SONDERKAMMERKONZERT »Zucker zum Kaffee« – Tiefe Streicher auf hohem Niveau Ein Neujahrsempfang der Freunde und Förderer der Münchner Philharmoniker Mitglieder der Gruppen der Violoncelli und Kontrabässe LUDWIG W. MÜLLER Moderation

Dienstag 12_01_2016 20 Uhr f CLAUDE DEBUSSY »Prélude à ›L’après-midi d’un faune‹« DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 cis-Moll op. 129 HECTOR BERLIOZ »Symphonie fantastique« op. 14

Freitag 22_01_2016 10 Uhr Öffentliche Generalprobe Samstag 23_01_2016 19 Uhr d Sonntag 24_01_2016 11 Uhr m CÉSAR FRANCK »Le Chasseur maudit« (Der wilde Jäger) JOAQUÍN RODRIGO Concierto de Aranjuez LUCIANO BERIO »Quattro versioni originali della ›Ritirata Notturna di Madrid‹ di L. Boccherini« MANUEL DE FALLA »El amor brujo« (Der Liebeszauber) MAURICE RAVEL »La Valse« JAMES GAFFIGAN Dirigent MILOŠ KARADAGLIĆ Gitarre

VALERY GERGIEV Dirigent JANINE JANSEN Violine

Vorschau

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Die Münchner Philharmoniker 1. VIOLINEN Sreten Krstič, Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici, Konzertmeister Julian Shevlin, Konzertmeister Odette Couch, stv. Konzertmeisterin Lucja Madziar, stv. Konzertmeisterin Claudia Sutil Philip Middleman Nenad Daleore Peter Becher Regina Matthes Wolfram Lohschütz Martin Manz Céline Vaudé Yusi Chen Helena Madoka Berg Iason Keramidis Florentine Lenz

2. VIOLINEN Simon Fordham, Stimmführer Alexander Möck, Stimmführer IIona Cudek, stv. Stimmführerin Matthias Löhlein, Vorspieler Katharina Reichstaller Nils Schad Clara Bergius-Bühl Esther Merz Katharina Triendl Ana Vladanovic-Lebedinski Bernhard Metz Namiko Fuse

Qi Zhou Clément Courtin Traudel Reich

BRATSCHEN Jano Lisboa, Solo Burkhard Sigl, stv. Solo Julia Rebekka Adler, stv. Solo Max Spenger Herbert Stoiber Wolfgang Stingl Gunter Pretzel Wolfgang Berg Beate Springorum Konstantin Sellheim Julio López Valentin Eichler Yushan Li

VIOLONCELLI Michael Hell, Konzertmeister Floris Mijnders, Solo Stephan Haack, stv. Solo Thomas Ruge, stv. Solo Herbert Heim Veit Wenk-Wolff Sissy Schmidhuber Elke Funk-Hoever Manuel von der Nahmer Isolde Hayer Sven Faulian David Hausdorf Joachim Wohlgemuth

Das Orchester

31 KONTRABÄSSE Sławomir Grenda, Solo Fora Baltacigil, Solo Alexander Preuß, stv. Solo Holger Herrmann Stepan Kratochvil Shengni Guo Emilio Yepes Martinez Ulrich Zeller Thomas Hille

Alois Schlemer Hubert Pilstl Mia Aselmeyer

TROMPETEN Guido Segers, Solo Bernhard Peschl, stv. Solo Franz Unterrainer Markus Rainer Florian Klingler

FLÖTEN

POSAUNEN

Michael Martin Kofler, Solo Herman van Kogelenberg, Solo Burkhard Jäckle, stv. Solo Martin Belič Gabriele Krötz, Piccoloflöte

Dany Bonvin, Solo David Rejano Cantero, Solo Matthias Fischer, stv. Solo Quirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune

OBOEN

PAUKEN

Ulrich Becker, Solo Marie-Luise Modersohn, Solo Lisa Outred Bernhard Berwanger Kai Rapsch, Englischhorn

Stefan Gagelmann, Solo Guido Rückel, Solo Walter Schwarz, stv. Solo

KLARINETTEN Alexandra Gruber, Solo László Kuti, Solo Annette Maucher, stv. Solo Matthias Ambrosius Albert Osterhammer, Bassklarinette

FAGOTTE Lyndon Watts, Solo Sebastian Stevensson, Solo Jürgen Popp Jörg Urbach, Kontrafagott

HÖRNER Jörg Brückner, Solo ~eira, Solo Matias Pin Ulrich Haider, stv. Solo Maria Teiwes, stv. Solo Robert Ross

SCHLAGZEUG Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger Jörg Hannabach

HARFE Teresa Zimmermann

CHEFDIRIGENT Valery Gergiev

EHRENDIRIGENT Zubin Mehta

INTENDANT Paul Müller

ORCHESTERVORSTAND Stephan Haack Matthias Ambrosius Konstantin Sellheim

Das Orchester

32 IMPRESSUM

TEXTNACHWEISE

Herausgeber: Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: HEYE GmbH, München Graphik: dm druckmedien gmbh München Druck: Color Offset GmbH Geretsrieder Str. 10 81379 München

Wolfgang Stähr, Egon Voss, Martin Demmler und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler verfasste die lexikalischen Werkangaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken. Künstlerbiographien: nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig.

BILDNACHWEISE Abbildungen zu Johann Sebastian Bach: Werner Neumann, Bilddokumente zur Lebensgeschichte J. S. Bach (Supplement zu J. S. Bach, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. IV), Kassel 1979. Werner Fellix, Johann Sebastian Bach, Leipzig 1984. Abbildungen zu Georg Friedrich Händel: Siegbert Rampe, Georg Friedrich Händel und seine Zeit, Laaber 2009; Richard Frieden­ thal, Georg Friedrich Händel, Hamburg 1959; Privatbesitz Gabriele E. Meyer. Künstlerphotographien: Eddy Posthuma de

Impressum

Boer (Koopman); Agenturmaterial (Espada).

TITELGESTALTUNG »Das Horn ist ein tolles Instrument. Klar und schlicht in seiner Form, ist es in seiner Funktion als Kommunikationsinstrument für die Jagd sehr praktisch. Hier nun eingebettet in ein reich besetztes Orchester verleihen die Hörner dem 1. Brandenburgischen Konzert etwas Uriges, was mir äußerst gut gefällt. Ihre Rufe poltern anfänglich ins Konzert hinein und finden erst nach und nach zu einem harmonischen Zusammenspiel mit den anderen In­ strumenten. Auf Grund der zentralen Rolle in diesem Stück und meiner Sympathie dafür habe ich als Motiv für den Titelentwurf ein Horn gewählt.« (Julia Patschorke, 2015)

DIE KÜNSTLERIN Julia Patschorke, in München geboren und aufgewachsen, hat an der FH Augsburg Kommunikationsdesign studiert. Nach ihrem Abschluss 2005 kehrte sie nach München zurück und arbeitet dort seitdem freiberuflich als Grafikerin und Illustratorin.

SONDERKAMMERKONZERT ZUCKER ZUM KAFFEE

Tiefe Streicher mit hohem Unterhaltungswert Ein kabarettistisches Neujahrskonzert mit Ludwig W. Müller und Musikern der Münchner Philharmoniker: 4 Violoncelli, 4 Kontrabässe und 1 Solokabarettist Sonntag 10_01_2016 17 Uhr Münchner Künstlerhaus mphil.de 089 54 81 81 400 Karten: 30 €

Mit freundlicher Unterstützung der Münchner Künstlerhaus-Stiftung

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DAS ORCHESTER DER STADT

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