Das Warschauer Ghetto 1939-43

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Geschichte, Geschichte Europas, Dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945)
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Hausarbeit Seminar aus Politischer Theorie/Ideengeschichte „Modernität und Holocaust“ Lektor Dr. W. Manoschek

Das Warschauer Ghetto 1939-43 Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung

Draschtak Raphael ( 9305005 )

Sommersemester 1996 Institut für Staats- und Politikwissenschaft Universität Wien

„Modernität und Holocaust“ Das Warschauer Ghetto 1939-43 Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung

INHALT

I.

Einleitung

II.

NS-Besatzungspolitik im Generalgovernement im Abriß

• Die großdeutsche Verwaltung • „Heimholung der Volksdeutschen“ - Konzentration der Juden • Die Errichtung des Ghettos

III.

Ökonomische Aspekte - Die Nutzung der Juden als Produktivfaktor

• Die wirtschaftlichen Dispositive Großdeutschlands 1939-43 im Abriß • Die Ausbeutung der Warschauer Juden

• Exkurs - „Ökonomie der Endlösung“ oder „Nationales Projekt“ ?

IV.

Aufstand und Liquidation des Ghettos

• „Umsiedlung“ 1942 und Kampfvorbereitung • „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr...“ (April-Mai 1943)

V.

Die Ermordung der Warschauer Juden im Lager Treblinka

VI.

Schlußbetrachtung

VII. Bibliographie 2

„Modernität und Holocaust“ Das Warschauer Ghetto 1939-43 Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung

VIII. Anhang

I. Einleitung „In the years 1939 to 1945, between five and six million human beings, one million of them children, were rounded up, herded into camps, and put to death in a variety of ways, simply because they were Jews. In the earlier stages they were lined up and moved down by machine gun fire, to fall neatly into the ditches which they had just been forced to dig. Later, a new technology of murder was devised by which far greater numbers could be tidily and eypeditiously put to death, while their salvageable remains - hair, teeth, and animal fats were preserved and stored by their frugal murderers for future use“.1 Die Frage, wie die systematische und die willkürliche Ermordung von Millionen von Menschen durch Hundertttausende von - in Ihrer Gesamtzahl vielleicht bis heute, rund 50 Jahre danach, nicht abzusehende - vermittelnden und unmittelbaren Tätern und Täterinnen in einer zivilisierten Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts möglich sein konnte, stößt, wie wohl nicht nur Welzer konstatiert, an „eine prinzipielle Grenze der Verständlichkeit“. 2 Gerade aber die technisch-industrielle Facette des Holocaust, der Aspekt der Moderne und damit die spezifische Ausprägungsform dieses wohl einmaligen Verbrechens der Menschheitsgeschichte, des „Verwaltungsmassenmordes“3, macht das Charakteristikum des nationalsozialistischen Vernichtungsapparats aus. Von diesem waren nicht nur, jedoch primär Juden betroffen. „Geraume Zeit, bevor sie die Gaskammern bauten, betrieben die Nazis auf Geheiß Hitlers die Vernichtung ihrer geistig und körperlich behinderten Landsleute...“ 4 Die Idee, ein ganzes Volk zu vernichten, war von einer ganz anderen Dimension. Bauman stellt in diesem Zusammenhang den Konnex zwischen „geplanter Vernichtung und verschiedenen, zu Recht mit moderner Zivilisation gleichgesetzten Entwicklungen“ fest5 und schließt:“...wir leben in einer Gesellschaftsform, die den Holocaust ermöglicht hat...“6 , damit gleichsam den Kulminationspunkt jahrhundertealten Antisemitismus erreicht hat. „Tiefsitzende Auflösungs- und Verschlingungsängste“ 7 bezüglich der Juden wurden zum Motiv einer zunehmenden Ideologisierung der Problematik; die zuvor als „Brunnenvergifter, Hostienschänder, 1

Bernard Lewis , Semites and Anti-Semites. An inqiury into conflict and prejudice ( New York - London 1986 ) 25 2 Harald Welzer (Hg.), Nationalsozialismus und Moderne ( Tübingen 1993 ) 105 3 Ebenda. S. 105 4 Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Deutsche Ausgabe. 2. Auflage ( Hamburg 1994 ) 87 5 Ebenda. S. 87 6 Ebenda. S. 102 7 Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert ( Rheda Wiedenbrück 1988 ) 42 3

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Ritualmörder“ bezeichneten8 wurden nun vollends entrechtet, als „Parasiten“, „Volksschädlinge“ und „Untermenschen“ der Ghettoisierung und schließlich der physischen Vernichtung zugeführt. Eine auf die inhumane und administrativ-technokratische, systematische Entrechtung der jüdischen Bevölkerung in Großdeutschland konzentrierte Betrachtung sollte sich - nach meinem Dafürhalten - angesichts der begleitenden Umstände des Holocaust kurz auf die eingangs umrissene essentielle Frage „Wie war es, administrativ-perfektionierte Ghettoisierung und industrielle physische Ausrottung, möglich - und warum in

Großdeutschland ( und damit in Österreich)?“ beschäftigen. Für die wissenschaftliche Ergründung ist eine Einbeziehung der gesellschaftlichen Aspekte unerläßlich. Antisemitismus war nicht nur in den dreißiger und vierziger Jahren unseres Jahrhunderts, nicht nur im Großdeutschen Reich eine weitverbreitete gesellschaftliche Erscheinungsform.Simon Wiesenthal etwa schildert sein Leiden unter dem „Antisemitismus der Ukrainer“9. Aus anderen Zeitzeugenberichten wird die Haltung der polnischen Bevölkerung zu ihren jüdischen Mitbürgern aus der Zwischenkriegszeit offenbar: „Der Judenhaß der Polen war direkt, intensiv und ungehemmt.“10 Doch werden Unterschiede in der Ausprägungsform konstatiert: „Aber das [die Polen] sind nicht solche kalten Mörder, wie die Deutschen sein können“. 11 Da Antisemitismus somit nicht als spezifisch und singulär großdeutsches Phänomen betrachtet werden kann ( zieht man etwa auch die bereitwillige Mithilfe von Ukrainern bei der Liquidierung des Warschauer Ghettos in Betracht ), fällt das Argument einer gleichsam originär großdeutschen Tendenz zur Judenvernichtung aus meiner Sicht weitestgehend aus dem Diskursrahmen. Einen anderen Zugang freilich wählt Daniel Jonah Goldhagen, welcher die Judenvernichtung als „nationales Projekt“ und „Common sense“12 der „Germans“ versteht. Auch steht er damit in diametralem Gegensatz zu Götz Aly und Susanne Heim, welche die „Endlösung“ als ökonomisch-rationell bestimmtes Vorhaben interpretieren.13 ( Sebastian Haffner etwa kann diser These nichts abgewinnen: „ ...die täglichen Massentransporte quer durch ganz Europa in die Vernichtungslager raubten der kämpfenden Truppe einen erheblichen Teil des knappen rollenden Materials“ )14 Bauman widerum sieht als Ursache für die „Beseitigung des Gegners“ ein Mittel zum Zweck: „Dieses Ziel ist die Vision einer besseren, von Grund auf gewandelten Gesellschaft. Der moderne Genozid ist ein Element des ‘Social engineering’...“15 Auf diesen und wirtschaftliche Aspekte wird am konkreten Beispiel Warschaus im Rahmen der Arbeit einzugehen sein. 8

Leo Prijs , Die Welt des Judentums . Religion, Geschichte, Lebensweise. 2., durchgesehene Auflage ( München 1984 ) 153 9 Simon Wiesenthal, Recht, nicht Rache. Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin 1992 ) 258 10 Naftali Fuss, Als ein anderer leben. Erinnerungen an die Nazizeit in Polen ( Frankfurt/Main 1994 ) 39 11 Susann Heenen-Wolff, Im Land der Täter. Gespräche mit überlebenden Juden ( Frankfurt/Main 1994 ) 29 12 Daniel Jonah Goldhagen, Hitler’s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust ( New York 1996 ) 80 13 Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung ( Frankfurt/Main 1993 ) 14 Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler ( Frankfurt/Main 1981) 122 15 Bauman, Dialektik der Ordnung. S. 106 4

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Warum ist also dem Nazismus und dem Antisemitismus „ein historischer Durchbruch in Deutschland“16 gelungen? Für diese Frage gibt es, wie man sieht, verschiedenste Erklärungsansätze, zugangs- und interpretationsabhängig. Detlev Peukert etwa sieht die Wurzeln für Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung in der „tiefen sozialen, politischen und geistigen Orientierungskrise der deutschen Gesellschaft Anfang der dreißiger Jahre“.17 Was ist die Besonderheit des Holocaust und des „modernen“18 Antisemitismus? Sicher keine Frage der Quantität (Revisionistische Stimmen versuchen seit Jahrzehnten über diesen Zugang, gewissermaßen eines „Bodycountings“, die NS-Verbrechen gegenüber jenen Stalins zu relativieren), sei es der Zahl der Menschen, die ermordet worden sind, noch das Ausmaß ihres Leidens. Die Problematik ist zweifellos von anderer Qualität. Aufrechnungsmentalität und „Tu quoque“ ist angesichts der immensen Dimension der Problematik eindeutig entgegenzuwirken. Charakteristisch für den Holocaust war der verhältnismäßig geringe Anteil an Emotion und unmittelbarem Haß ( im Gegensatz zur oben angeführten Aussage zu Polen etwa): „Der Holocaust hatte keine funktionelle Bedeutung. Die Ausrottung der Juden war kein Mittel zu einem anderen Zweck“.19 Weder ging es um sicherheits- oder militärpolitische Aspekte, auch nicht um die Auslöschung potentieller Widerstandkämpfer, sondern „Ausrottung um der Ausrottung willen“.20 Auch für Bauman weist der Holocaust „moderne“ Merkmale auf, die ihn von anderen historischen Genoziden unterscheiden.21 Der moderne Antisemitismus, der nicht mit dem täglichen antijüdischen Vorurteil verwechselt werden darf, ist eine Ideologie, eine Denkform, die in Europa im späten 19.Jahrhundert aufttrat. Sein Auftreten setzt Jahrhunderte früherer Formen des Antisemitismus voraus. Allen Formen des Antisemitismus ist eine Vorstellung von jüdischer Macht gemeinsam22: Im konkreten Fall des Nationalsozialismus äußert diese sich - propagandistisch-modern aufbereitet wie nie zuvor - als „internationales Finanzjudentum“ oder „jüdischer Bolschewismus“ “Die Juden stehen für eine ungeheuer machtvolle, unfaßbare internationale Verschwörung“.23 Die bereits oben erwähnte Beseitigung der letzten Hemmschwellen, die vollkommene Entmenschlichung der Juden sollte unter dem Hitlerregime pseudowissenschaftlich belegt, ideologisch gerechtfertigt und propagandistisch aufbereitet werden. Hitler hatte die notwendige publizistische Vorarbeit schon in den zwanziger Jahren geleistet.24 Wenngleich an dieser Stelle vor einer Fokusierung auf die Person Hitlers gewarnt werden soll, ist seine Person als einer der zahlreichen maßgeblichen Initiatoren und Gestalter der NS-Judenpolitik zweifellos nicht von der Hand zu weisen.

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Michael Werz (Hg.), Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und Gewalt ( Frankfurt/Main 1995 ) 29 17 Detlev Peukert, Alltag und Barbarei. In: Dan Diner (Hg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit ( Frankfurt/Main 1987 ) 58 18 Werz, Antisemitismus und Gesellschaft. S. 29 19 Ebenda. S. 29 20 Ebenda. S. 30 21 Bauman, Dialektik der Ordnung. S. 103 22 Werz, Antisemitismus und Gesellschaft. S. 30 23 Ebenda. S. 31 24 Adolf Hitler, Mein Kampf. 763. - 767. Auflage ( Wien 1942 ) 5

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Goebbels’ Propaganda tat das Ihrige: Nunmehr (1939) gehe es darum, die Juden „loszuwerden“. 25

Der traditionelle Antisemitismus hatte es erlaubt, Juden furchtbarer Verfolgung auszusetzen, auch waren sie vielfach gezeichnet und ghettoisiert worden, eine vollständige und systematische Auslöschung wurde erst durch die nationalsozialistische Vermischung von Antisemitismus mit dem rassebiologischen Denken in Verbindung mit der die Judenbehandlung radikalisierenden bürokratischen Kompetenzproblematik in diesem Bereich herbeigeführt.26 Vor dieser letzten und endgültigen Stufe, den Todeslagern des Ostens, stand noch eine solche, „die Demütigung der annulierten Emanzipation“, die Zurückweisung dieser „hochassimilierten Träger deutscher Kultur“ ins Ghetto.27 Warschau kann als eines der furchtbarsten Beispiele nationalsozialistischer Judenpolitik im besetzten Polen gelten und muß als Mahnmal für alle Zeiten historisches Gut bleiben - nicht nur für „die Deutschen“ ( und damit überdurchschnittlich viele Österreicher ) als Täter der Verbrechen. Die traditionelle Täterforschung ist bislang von der These ausgegangen, daß Opfer, Täter und Unbeteiligte „schon unterschiedlich disponierte Persönlichkeiten gewesen sein müßten, bevor sie dann in der Vernichtungsmaschinerie in diesen unterschiedlichen Rollen in Erscheinung traten“.28 Insbesondere die Täter müßten demzufolge gleichsam durchgehend pathologische Charakteristika, Merkmale und Züge des Mörders zeigen, etwa strikt obrigkeitshörig, gewaltbereit, emotionslos, kurz: Typ Adolf Eichmann mit seiner „reibungslos und ordentlich“ laufenden Wiener (Auswanderungs-)Dienststelle.29 Die realen Täterprofile ergeben sich gemäß heutigen soziostrukurellen Analysen der nationalsozialistischen Gesellschaft anders: Nicht eine gleichsam entfesselnd wütende, aber oligarchisch-kleine Nazi-Elite plante, organisierte und vollendete Ghettos, „Endlösung“ und Vernichtungskrieg ohne Wissen und Zutun des Großteils der Bevölkerung. Das Bild vom millionenfachen „Täter neben Hitler“ fügt sich zu einem in Dimension in der Tat bislang nicht erfaßten Bild von der Täterstruktur des Dritten Reichs. Die - wie Welzer sie nennt - „Unauffälligkeit der Täter“ 30, Görings, von Schirachs, Heß’ setzte sich auf allen Ebenen des NS-Staats fort. „Normale“ Leute, Familienväter und biedere Arbeiter, die sich aus „Erfüllung des Treueids“31, „Pflichtbewußtsein“ („Ich war mein ganzes Leben an Gehrosam gewöhnt gewesen, (...) bis zum 8.Mai 1945 - ein Gehorsam, der sich in den Jahren der Zugehörigkeit zur SS zu Kadavergehrosam, zum bedingungslosen Gehorsam entwickelte“, erklärte Eichmann 196132 persönlichem Vergnügen oder dienstfreizeitlicher Gruppenbelustigung. „Wie die Geschichte des Reserve-Polizeibataillons 101 zeigt, wurden Massenmord und Alltagsroutine schließlich eins. Die Normalität selbst wurde immer 25

Helmut Heiber (Hg.), Goebbels Reden 1932-1945. 2 Bände ( Bindlach 1991 ) 319 Peukert, Alltag und Barbarei. In: Diner, Ist der Nationalsozialismus Geschichte? S. 59 27 Wolfgang Benz, Theresienstadt und der Untergang der deutschen Juden. Versuch einer Ortsbestimmung. In: Wolfgang Benz, Hans Buchheim, Hans Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft ( Frankfurt/Main 1993 ) 179 - 181 28 Welzer, Nationalsozialismus und Moderne. S. 106 29 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen ( München 1986 ) 96 30 Welzer, Nationalsozialismus und Moderne. S. 107 31 Johannes Mario Simmel, Wir haben nur unsere Pflicht getan. Vorwort. In: Walter Manoschek (Hg.), Die Wehrmacht im Rassenkrieg. Der Vernichtungskrieg hinter der Front ( Wien 1996 ) 17 32 Jochen von Lang, Das Eichmann-Protokoll. Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre ( Wien 1991 ) 262 26

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abnormaler.(...) Die Geschichtsschreibung muß in einem solchen Fall ganz eindeutig jegliche Dämonisierung ablehnen.“33 Daß dieses in gleicher Form selbstverständlich auch für die Initiatoren, Bewacher, Liquidatoren und „Bystanders“ des Warschauer Ghettos zu gelten hat, wird von mir an dieser Stelle mit Nachdruck betont.

Bei einer eingehenden Befassung mit der Thematik des ( nationalsozialistisch-großdeutschen ) Antisemitismus als unbedingt notwendiger Background des hier zu behandelnden konkreten Themas „Das Warschauer Ghetto 1939-43“ läßt sich somit - falls der Versuch einer Annäherung meinerseits geglückt ist - ein gewaltiger ideengeschichtlicher und historischer Bogen hin zur soziologischen Facette der NS-Ghettoisierungs- und späteren Vernichtungspolitik spannen. Die vorliegende Arbeit soll sich im Rahmen einer kurzen gesamtkontextualen Betrachtung der Entstehung und vor allem ökonomischen Entwicklung des Ghettos Warschau in erster Linie der Liquidation und der Vernichtung der jüdischen Bewohner widmen. Eine weitergehende Behandlung, d.h. eine weitergehende Einbeziehung anderer Aspekte wird im relativ engen Rahmen einer Seminararbeit nur bedingt möglich sein.

Ziel und Intention ist es, nach dem vorliegenden Versuch einer unabdingbaren polit-historischen theoretischen Komponente, die spezifische Ausformung nationalsozialistischen Antisemitismus am Beispiel der wirtschaftlichen Ausbeutung, des Leidens und Sterbens der Warschauer Juden zu behandeln.

Mein Dank gilt an dieser Stelle Dr. Betrand Perz für wertvolle Literaturtips sowie dem zuvorkommenden Personal der Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte in Wien und allen meinen privaten Literaturleihern.

II. NS-Besatzungspolitik im Generalgovernement in Grundzügen „Vernichtung Polens im Vordergrund. (...) Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg. Herz verschließen gegen Mitleid. Brutales Vorgehen. 80 Millionen Menschen müssen ihr Recht bekommen. Ihre Existenz muß gesichert werden. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte. (...) Neue deutsche Grenzführung nach gesunden Gesichtspunkten...“ Adolf Hitler vor Militärs, 22.August 193934 33

Christopher R. Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen ( Reinbek bei Hamburg 1996 ) 16 34 Ernst Klee, Willi Dreßen (Hg.), „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945 ( Frankfurt/Main 1989 ) 11 7

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• Die großdeutsche Verwaltung Die Frage nach dem „schwachen oder starken Diktator“ Hitler belebt den wissenschaftlichen Diskurs bereits seit geraumer Zeit. Diese Frage wirkt zweifellos auch in die Problematik der deutschen Verwaltungsstruktur und deren Administrations- und Entscheidungsprozeß hinein. Ein wesentliches Merkmal der großdeutschen Administration im besetzten Ostgebiet war zweifellos der im Kompetenzbereich eklatante „Mangel an System und Struktur“35. Auch Aly kommt zu einem ähnlichen Schluß, wenngleich er im Gegensatz zu Kershaw die Person Hitlers als unmittelbaren und permanenten Akteur des Verwaltungsprozesses ( und damit der vor Ort betriebenen Ghettoisierungspolitik ) stark relativiert.36 Gemäß Erlaß Hitlers vom 8.Oktober 1939 waren die westlichen und nördlichen Teile Polens nach dessen Niederlage gegen das „vollkommmene Beispiel des modernen Blitzkrieges“37 annektiert worden. 38 Sie wurden im Großdeutschen Reich amtlich nunmehr als „eingegliederte Ostgebiete“ bezeichnet. Madajczyk und Broszat schließen, durch die Teilung in eine Zone der „Neuordnung“ und das Gebiet des Generalgovernements solle eine möglichst schnelle Realisierung der Ausbeutungspolitik ermöglicht werden. ( „Grundsätzlich kommt es darauf, den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können“)39 an. Auch war die Festlegung der Grenze erforderlich, um mit der angepeilten Aussiedlung der Juden ( Polen stellt 1939 den „größten Konzentrationspunkt der Juden in Europa“ dar )40 und Polen in das Generalgovernement und der Voldsdeutschen aus demselben beginnen zu können, wenngleich kleinere Grenzfragen - Eingliederung der Kreise Petrikau und Tomaschow in das Reich - weiterhin offenbleiben.41 ( Auch die territoriale Regelung der Litauenfrage und damit jene der Woiwodschaften Warschau und Lublin wurde erst am 28. September in Moskau zwischen Ribbentrop und Stalin/Molotow ausgehandelt)42 Im okkupierten Gebiet etablierten sich nunmehr ( siehe oben ) einander überlappende, vielfach ergänzende und häufig konkurrierende Organisationen und Institutionen des NS-Staates. „Mit Leichtigkeit bemächtigte sich die SS neuer Betätigungsfelder. Dies zeigte sich (...) im Generalgovernement hinsichtlich der Polizeigerichtsbarkeit.“43 Himmler, seit Oktober 1939 35

Ian Kershaw, Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft. Deutsche Erstausgabe ( München 1992 ) 242 Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden ( Frankfurt/Main 1995 ) 37 Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Deutsche Sonderausgabe ( Rheda - Wiedenbrück - Wien 1995 ) 200 38 Czeslaw Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945. Deutsche Ausgabe ( Köln 1988 ) 31 39 Ralph Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg ( Hamburg 1989 ) 153 40 Wladyslaw Bartoszewski, Das Warschauer Ghetto - Wie es wirklich war. Zeugenbericht eines Christen. Erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1986 ) 15 41 Madajczyk, Die Okkupationspolitk Nazideutschlands . S. 31-33 42 William Lawrence Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Deutsche Sonderausgabe ( Bindlach 1990 ) 577 43 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 44 36

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„Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ und seine Führungselite interpretierten ihren Tätigkeitsbereich als „politische Verwaltung“ und erlangten im Zuge dessen ihre erstrangige Stellung in der Okkupationsadministration.44 Eine Völkerverschiebungspolitik enormen Ausmaßes sollte die Folge sein. Auch im weiteren bleibt der Führungsanspruch der SS unumstritten, tiefgreifende Konflikte vor allem mit den Wirtschaftsbehörden bestimmten das Bild.45 Diese sogennnten „Umsiedlungen“ des jüdischen Bevölkerungsteils waren in Wirklichkeit Deportationen ungeheuren Ausmaßes. Man depoertierte die Juden ( die sich für Hitler eindeutig als „Asiaten“, nicht als Europäer darstellten)46 in Ghettos, in Zwangsarbeitslager und unmittelbar in Vernichtungslager. Der größte Teil der jüdischen Bevölkerung mußte sich über eine längere Zeitspanne hinweg in den Ghettos aufhalten. Ausgenommen die Lager, gibt es wohl kaum einen tragischeren Gegenstand der Betrachtung als die Ghettos. In erster Linie gingen natürlich alte Menschen und Kinder an den dortigen Lebensbedingungen zugrunde oder wurden direkt liquidiert ( Ende 1942 betrug der Prozentsatz der Einwohner im arbeitsfähigen Alter im Warschauer Ghetto 91 Prozent, das MännerFrauen-Verhältnis 100:79)47 Die Ghettos boten zugleich die Möglichkeit, das Vermögen der Juden zu konfiszieren und deren Besitzstand zu kontrollieren; „in ihren Mauern konzerntrierte sich ein großes Arbeiterheer, das für jegliche Sklavenarbeit Verwendung finden konnte“.48 Somit war die Zeit von Oktober 1939 bis Oktober 1940 jene, in welcher die jüdische Bevölkerung des Generalgovernements welche übrigens entgegen weitverbreiteter Meinung nicht primär im Handel beschäftigt war49 - ( und die nicht in den Massakern von 1939 vernichteten Teile der polnischen Intelligenz )50 ihre Wirtschaftskraft einbüßte und verarmte. Vermögensverfügungsrecht, Partizipation im öffentlichen Dienst, Pensionen, Kranken- und Schuldienste und vieles mehr wurde stark eingeschränkt oder ganz gestrichen und schon im November 1939 wurde im Generalgovernement ( Ostrow Mazowiecka ) eine Massenexekution durchgeführt.51 Die nächste Phase der großdeutschen Verwaltungsplanung wurde bereits von den Ghettos un den darin ungestraft ausgeübten Gewalttätigkeiten charakterisiert.52 Im Generalgovernement wurde selbst „angeheiratete“ Juden, Nichtjuden also, eingesperrt ( im Juli 1940 wurden die Nürnberger Gesetze - siehe Anhang - per Verordnung im Generalgovernement eingeführt).53 Ein Zeitzeuge : „Im Ghetto sind die Juden so zusammengedrängt, daß bis zu dreizehn Personen in einem Zimmer wohnen müssen. 128 000 Menschen pro Quadratkilometer.“54 „Ein Teil der 44

Ebenda. S. 45 Rolf-Dieter Müller, Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik ( Frankfurt/Main 1991 ) 83 46 Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier ( Frankfurt/Main - Berlin 1993 ) 340 47 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 258 48 Ebenda. S. 258 49 Adam Czerniakow, Im Warschauer Ghetto: Das Tagebuch des Adam Czerniakow 1939-1942. Deutsche Ausgabe ( München 1986 ) VII 50 George L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa. Vom Autor durchgesehene und erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1990 ) 255 51 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 365 52 Ebenda. S. 366 53 Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Durchgesehene und erweiterte Ausgabe in 3 Bänden ( Frankfurt/Main 1990 ) 1.Band 226 54 Günther Schwarberg, Das Ghetto. Spaziergang in die Hölle ( Frankfurt/Main 1991 ) 12 45

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jüdischen Bevölkerung hegte beim Umzug ins Ghetto sogar die Hoffnung, dieses würde Schutz vor deutscher Brutalität bieten und das Leben unter ihresgleichen erleichtern...“55

• „Heimholung“ der Volksdeutschen - Konzentration der Juden Im Frühjahr 1940 beschränkten sich die bevölkerungspolitischen Pläne der großdeutschen Technokraten noch auf den von der Wehrmacht 1939 eroberten und besetzten Teil Polens. Sie bestätigen, wie intensiv die SS-Führung sich um das Ineninandergreifen von Massendeportationen, Germanisierung und Entwicklungsplanung bemühte.56 Die These vom Konnex zwischen „Heimholung“ der vor allem Wolhynien-, Bessarabien-, und Baltendeutschen und der Konzentration der Juden zur Platzschaffung wird von Aly vertreten. Er konstatiert einen Zusammenhang zwischen Umsiedlungspolitik und Lösung der „Judenfrage“ und sieht die Akten zur Umsiedlungspolitik als „komplemetäre Überlieferung zur Entscheidungsgeschichte des Holocaust“.57 Auch werden an anderer Stelle die ersten Massenermordungen Geisteskranker ( Oktober 1939 - Frühjahr 1940 mittels Gaswagen als „Modell für die spätere Ermordung der Juden“ 58 gesehen. „Die praktische Erfahrung des Mordens muß rückblickend als Zwischenstufe auf dem Weg zum Holocuast gesehen werden“59 Bei der Betrachtung der großdeutschen „Heimholung“ muß insgesamt ein Scheitern des NS-Technokraten im Zuge der praktischen Durchführung angemerkt werden. Die - durchaus verschieden motivierten - Um- und Rückwandererpläne blockierten einander nicht selten in ihrer jeweiligen Prioritätensetzung. „...In der Siedlungspolitik bleib die Umsetzung

seiner [Himmlers] Ambitionen letzlich Stückwerk...“60 Mangels Deportationsmöglichkeiten blieb für die Juden und Polen des Generalgovernements das Zusammenpferchen in Lagern und für die NSFührung damit die Möglichkeit der propagandistischen Aufbereitung des Images vom verdreckten, herumlungernden Schleichhändler. Exemplarisch für die Nicherfüllung des selbstgesteckten „Solls“ der nationalsozialistischen Bevölkerungsplaner kann der „vollständig gescheiterte“ 3. „Nahplan“ gelten61, im Zuge dessen trotz massivem Druck der Wehrmacht ( diese forderte Aussiedlungen für Truppenübungsplätze und seit Anfang 1941 eine Transportsperre und verstärkte Judenghettoisierung wegen des Aufmarsches für „Unternehmen Barbarossa“) nur 3,5 Prozent des Plansolls umgesetzt werden. 62 In der Folge ergibt sich dennoch beträchtlicher Raum- und Hofmangel für die durch bisweilen entbehrungsreiches Lagerleben frustrierten deutschen „Heimkehrer“; die Vertreibung der Juden, um für von

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Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367 Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. S. 155 57 Aly, „Endlösung“. S.24 58 Ebenda. S. 194 59 Ebenda. S. 194 60 Müller, Hitlers Ostkrieg. S. 83 61 Aly, „Endlösung“. S. 239 62 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259 und Aly, „Endlösung“. S. 239 56

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Volksdeutschen vertriebene Detailproblemen“.63

Polen

Platz

zu

schaffen,

versinkt

in

teils

„grotesken

„Das Schicksal hat entschieden, daß wir hier die Herren, die Polen aber die uns anvertrauten Schutzunterworfenen sind...Es muß ein Unterschied zwischen dem Lebensstandard des Herrenvolkes und dem der Unterworfenen sein (...) Was die Behandlung der Juden anbelangt, so habe ich genhmigt, daß in Warschau das Ghetto geschlossen wird, vor allem weil festgestellt ist, daß die Gefahr von den 500 000 Juden os groß ist, daß die Möglichkeit des Herumtreibens dieser Juden unterbunden werden muß...“ Hans Frank, 12. September 194064 Die Konzentration der polnischen Juden sah Heydrich in zwei Phasen vor. Im Verlauf der ersten Phase sollten annähernd 600 000 Juden aus den eingegliederten Gebieten in das Generalgovernement abgeschoben werden; die jüdische Bevölkerung des Generalgovernements wäre auf diese Weise von 1,4 auf rund 2 Millionen angewachsen. Der zweite Teil seines Konzepts sah vor, diese 2 Millionen Juden in geschlossenen Bezirken, den Ghettos, zusammenzufassen.65 „Mit geringer Verzögerung wurden die Züge ab 1.Dezember in Richtung Generalgovernement in Bewegung gesetzt“.66 Sofort nach Beginn der Aktion erfuhr das Programm eine Erweiterung - Alle Juden und Zigeuner aus dem Reich sollten in das Generalgovernement abgeschoben werden, die entvölkerten Gebiete mit Volksdeutschen aufgefüllt werden. Nur: „Es gab weder Millionen siedlungswilliger Bauern in Deutschland noch Tausende von einsatzbereiten ‘Wehrbauern’“,67 die „Eindeutschung“ der Gebiete gestaltete sich weitaus schwieriger als erwartet.68 Für Generalgoverneur Frank ( der später, in Nürnberg, seine Rolle und Person im Handlungsprozeß des Generalgovernements auf

bemerkenswerte Art herunterzuspielen versuchte )69 freilich war die Deportation ins ehemalige Polen vor dem Hintergrund des greifbar nahe scheinenden „Endsiegs“ nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Aussiedlung der Juden aus Europa.70 ( Die Aussiedlungspläne der Jahre 1939/40 bezogen sich zunächst auf das „Judenreservat Lublin“, dann auf den „Madagaskarplan“. Beide Projekte scheiterten bis zum Herbst 1940 aus unterschiedlichen Gründen )71 Im Zuge dessen sollte es in Zukunft noch zu weiteren Disputen vor allem zwischen ihm und dem Wiener Gauleiter Baldur von Schirach über „dessen“ Judendeportationen in Franks Einflußbereich kommen.72

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Aly, „Endlösung“. S. 247 Helge Grabitz, Wolfgang Scheffler, Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager Trawniki, Aktion Erntefest. Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im Spiegel der historischen Ereignisse. 1. Auflage ( Berlin 1988 ) 290 65 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 215 66 Ebenda. S. 215 67 Müller, Hitlers Ostkrieg. S. 87 68 Gerhard Eitel, Versklavung und Vernichtung. Deutsche Unterdrückungspolitik in Polen 1939-1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1989 ) 44 - 45 69 Werner Maser, Nürnberg. Tribunal der Sieger ( Düsseldorf 1988 ) 492 70 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 215 - 216 71 Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 213 72 Aly, „Endlösung“. S. 183 und Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 221 64

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In den ersten beiden Monaten des Aussiedlerprogramms wurden etwa 200 000 Polen und Juden, vor allem aus Wien, Prag, Mährisch-Ostrau und Stettin deportiert.73 Häufig wurden Ghettos in unbekannter, fremder Gegend errichtet, wo sich viele Bewohner kaum heimisch fühlen konnten. Auch die gesellschaftliche Spannungen zwischen den umgesiedelten jüdischen Menschen im Ghetto war beträchtlich: „Die den Menschen in den Ghettos auferlegten Bedingungen förderten sogar die Entstehung von Konflikten zwischen Einheimischen und Fremden. Das alles beeinflußte naturgemäß die Fähigkeit der Ghettobevölkerung zum Widerstand und erschwerte zwangsläufig die Hilfeleistung“.74

• Die Errichtung des Ghettos „Die Juden werden jetzt alle in ein Viertel zusammengepfercht und mit einer Mauer eingeschlossen. Da können sie dann wurschteln wie sie wollen...“ Uffz. K.G., 1.November 1940, Warschau75 Während der ersten sechs Monate gab es beim Ghettoisierungsprozeß „wenig Planung und viel Konfusion“.76 So war ursprünglich aufgrund der Größe auch geplant, in Warschau zwei Ghettos anzulegen, eines in Wola, das andere in Grochow, was jedoch wegen technischer Undurchführbarkeit im zeitlichen Rahmen scheiterte.77 Die administrativen Vorbereitungen wurden zwar zügig abgewickelt, doch die eigentliche Bildung der Ghettos kam nur schleppend voran. So wurden die Mauern um das gewaltige Warschauer Ghetto, das hier behandelt werden soll, „angeblich wegen Typhusgefahr“78 im Herbst 1940 geschlossen, jene des Ghettos Lublin im April 1941.79 ( Die Entscheidung zur Errichtung einer drei Meter hohen Mauer um das für mehrere hunderttausend Menschen konzipierte Warschauer Ghetto fiel übrigens in Berlin, ohne daß Einwände Warschauer Dienststellen berücksichtigt wurden )80

Die den unmittelbaren Ghettoisierungsprozeß einleitenden Vorbereitungsschritte bestanden aus Kennzeichnungsmaßnahmen ( weiße Armbinde mit blauem Davidstern ab 23. November 1939 )81, Bewegungsbeschränkungen ( Ausgangssperren ) und der Bildung jüdischer Kontrollorgane. Die Bildung von Judenräten war die bedeutendste Konzentrationsmaßnahme vor Errichtung der Ghettos. Aufgrund einer Generalgovernements-Verordnung vom 28.November 1939 hatten alle jüdischen Gemeinden bis zu 10 000 Mitgliedern einen 12köpfigen, alle größeren Gemeinden einen 24köpfigen Judenrat zu wählen. Wer waren die Mitglieder der Judenräte und worin bestand ihre 73

Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 216 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367 75 Walter Manoschek (Hg.), „Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung“. Das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen 1939- 1944 ( Hamburg 1995 ) 18 76 Hilberg, Die Vernichtung. 1.Band. S. 225 77 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259 78 Ebenda. S. 259 79 Hilberg, Die Vernichtung. 1.Band. S. 225 80 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367 81 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 227 74

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Aufgabe? Wie im Reich setzten sich die Judenräte auch in Polen aus jüdischen Führern der Vorkriegszeit zusammen, Gemeinderäten, Parteifunktionären und Mitarbeitern in 82 Wohlfahrtsverbänden. Die Situation angesichts der nunmehrigen Verantwortung über das Warschauer Ghetto schildert Hilberg: „Ein altgedienter jüdischer Politker [Hartglas], der in den Warschauer Judenrat berufen worden war, erinnerte sich später an den Tag, als Czerniakow ( ein gelernter Chemiker ) eine Reihe neuernannter Ratsmitglieder in sein Büro rief, um ihnen mitzuteilen, wo er den Schlüssel zu seiner Schreibtischschublade aufbewahrte, in der er ein Fläschchen mit 24 Zyankalikapseln deponiert hatte.“83 Die Ghettobildung war aufgrund ihrer Dimension auch für die NS-Bürokratie keine unbeträchtliche logistische Aufgabe. Im Falle Warschaus, wo der Vorgang insgesamt ein Jahr beanspruchte, kam es im November 1939 zum ersten Schritt - das Betreten des „Seuchensperrgebiets“, des hauptsächlich von Juden bewohnten Teils der Altstadt wurde großdeutschen Soldaten untersagt. Am 7.November schlug der Gouverneur des Distrikts Warschau, Fischer, vor, alle Juden (rund 300 000 ) in ein Ghetto zusammenzufassen.84 „Frank stimmte dem Vorschlag umgehend zu“.85 Für die Aufsicht über das Ghetto und dessen Verwaltung waren im übrigen zwischen 1939 und 1943 verschiedene deutsche Behörden zuständig. In den ersten Monaten der Besetzung waren die Einsatzgruppe IV und die Militärverwaltung verantwortlich für die jüdische Gemeinde. Als die Ziviladministration unter Frank und Fischer eingeführt wurde, ging die Verwaltung de jüdischen Wohnbezirks in die Hände von Zivilbeamten über. Zwischen diesen und den Polizeibehörden ( SD und SS ) gab es „ständig Spannungen und Eifersüchteleien“.86 Ebenfalls im November schrieb der junge deutsche Stabsoffizier Major Hellmuth Stieff an seine Frau: „Warschau selbst macht einen trostlosen Anblick.[...] Man bewegt sich dort nicht als Sieger, sondern als Schuldbewußter! [...] Die blühendste Phantasie einer Greuelpropaganda ist arm gegen die Dinge, die eine organisierte Mörder-, Räuber- und Plündererbande unter angeblich höchster Duldung dort verbricht.[...] Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein!“ 87 Die Ausschreitungen der durch „lange vor dem Krieg und ihrem Wehrdienst“ gemachten Erfahrungen88 indoktrinierten Truppe waren in Warschau eklatant („Kein Wunder nach der jahrelangen Erziehung!“ wie Oberstleutnant Groscurth im Oktober 1939 bemerkte)89 , was vor allem den Oberbefehlshaber der 8. Armee, Blaskowitz, zu scharfen Protesten veranlaßte.90 Nichtsdestrotrotz mahlten die Mühlen der NS-Bürokratie ungebremst weiter. Im folgenden Winter rief Fischer eine Abteilung Umsiedlung ins Leben. Nunmehr drängte auch die Wehrmacht 82

Ebenda. S. 227 Ebenda. S. 228 84 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9 85 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 235 86 Czerniakow, Tagebuch. XV 87 Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. Deutsche Ausgabe ( München 1995 ) 38 und Helmut Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938 - 1942. Durchgesehene Ausgabe ( Franfurt/Main 1985 ) 288 88 Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges ( Reinbek bei Hamburg 1995 ) 166 89 Krausnick, Einsatzgruppen. S. 277 90 Ebenda. S. 277 83

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aufgund erhöhter Truppenkonzentration im Gebiet im Sommer 1940 auf eine beschleunigte Ghettoisierung im Distrikt Warschau.91 Am 25.September des Jahres waren auch bei Czerniakow die letzten Zweifel an den Absichten der Besatzer gefallen - An jenem Tag gebrauchte er das Wort „Ghetto“, ohne sich über dessen Bedeutung Illusionen zu machen.92 Am 2.Oktober 1940 wurde die auf jüdischer Seite seit langem befürchtete Verordnung Fischers zur Errichtung des Warschauer Ghettos, im großdeutschen Sprachgebrauch nur als „jüdischer Wohnbezirk“ bezeichnet, erlassen93 und somit ein Drittel der Warschauer Bevölkerung auf 2,4 Prozent der Stadtfläche zusammengepfercht.94 Ursprünglich bis zum 31.Oktober 1940, dann verlängert bis zum 15.November, mußten die im künftigen jüdischen Wohngebiet lebenden Polen ihre Wohnúngen verlassen haben und die außerhalb des jüdischen Wohnbzirkes wohnenden Juden hatten ihren Wohnsitz ins Ghetto-Gebiet zu verlegen, das sich westlich der Weichsel im Zentrum Warschaus befand. Das Ghetto wurde nach und nach durch hohe Mauern - auf Kosten des Judenrates und durch jüdische Zwangsarbeit - vom übrigen Teil der Stadt abgeriegelt. Bewacht wurde das Ghetto von deutscher und polnischer Polizei beziehungsweise 2000 Mann jüdischem Ordnungsdienst ( innerhalb des Ghettos )95 Für die Bewachung war eine Kompanie des 304., später des 60. Bataillons des Warschauer Polizeiregiments ( Oberstleutnant Jarke ) zuständig.96 Seit der nunmehr auch legistisch erledigten Ghettobildung durften Juden wie „Arier“, auch wenn die Großdeutschen der SS, Polizei oder sonstigen Formationen angehörten, das Ghetto nur mit einem Passierschein betreten und verlassen.97 „Das Warschauer Ghettos war niemals frei zugänglich gewesen, doch anfangs gab es 28 Zugänge [diese wurden später auf 15 reduziert], die von etwa 53 000 Passierscheininhabern benutzt wurden“.98 Sollten Waren ein- oder ausgeführt weren, bedurfte es eines Waren-Passierscheins. ( Eine Hochblüte erlebten in dieser und ähnlicher Notsituation natürlich Schmuggler- und Schiebertum beziehungsweise die Korruption. Bis zur „Umsiedlung“ konnten vermögendere Ghettoinsassen, noch nahezu alles - wenngleich zu horrenden Preisen - erwerben. „Ohne illegale Gewinne und Schmuggel hätte das Ghetto niemals existieren können“ )99

„Natürlich gab es auch Amtsmißbrauch auf jüdischer Seite. Es wär sonderbar, hätte es ihn in einer solchen Lage nicht gegeben. Natürlich genossen die jüdischen Beamten gewisse Privilegien. Es wäre seltsam, hätten sie solche Privilegien nicht gehabt, - sie waren ja dem Aufseher der SS und dem Wachtposten für alles verantwortlich. Aber heute steht eines

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Aly, „Endlösung“. S. 236 und Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 236 Czerniakow, Tagebuch. S. 201 93 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9 94 Sarah Gordon, Hitler, Germans and the „Jewish question“ ( Princeton 1984 ) 126 95 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9 96 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 237-238 97 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9-10 98 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 237 99 Marion Badurek, Judenverfolgungen und nationalsozialistische Konzentrationslager im Zeitraum von 1933 - 1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1986 ) 60 92

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unerschüttelich fest und außer Frage: Verantwortlich für die Leiden der Juden waren ausschließlich die Deutschen, die Ghettoverwaltung, die Gestapo, die Kripo...“100 Am 1.Oktober 1940 wohnten in Warschau etwa 410 000 Juden ( zuzüglich rund 20 000 „Illegaler“ ), dies in 61 000 Wohnungen mit 140 000 Räumen. 101 Am 1.Mai 1941 - vorher hatten die rund 72 000 westlich der Weichsel lebenden Juden ihren Wohnsitz ins Ghetto verlegen müssen - hausten in der mittlerweile unerträglichen Enge des Ghettos ( 403 Hektar ) etwa 500 000 Menschen. Dies bedeutete eine Bevölkerungsdichte von 110 800 Menschen pro Quadratkilometer gegenüber rund 38 000 im Rest der Stadt. Weitere 110 000 Juden wohnten östlich der Weichsel. Im Lauf der folgenden Monate nahm aus diesem Gebiet, aber auch aus anderen Teilen des Generalgovernements aus Sicherheitserwägungen seitens der Juden immer mehr zu, sodaß im Sommer 1942, Beginn der großen „Umsiedlung“ in das Vernichtungslager Treblinka ( dazu unten ), weit mehr als 500 000 Juden im Ghetto gelebt haben dürften. 102

III. Ökonomische Aspekte - Die Nutzung der Juden als Produktivfaktor • Die wirtschaftlichen Dispositive Großdeutschlands 1939-1943 im Abriß Die ökonomische Situation Großdeutschlands war vor und während des Krieges von zwei in Kombination direkt in die militärische Expansion mündenden Fakoren beeinflußt: Hitlers wirtschaftliches Autarkiestreben103 und dem permanenten Rohstoffmangel im Reich selbst, welcher Rüstung und Wirtschaftsteuerung über kurz oder lang massiv beeinträchtigen mußte und dies auch tat.104 ( Freilich stand das Dritte Reich mit seiner autonomen, abschirmenden Außenhandelspolitik die auf agrarischem Sektor letztlich scheiterte105 - nicht nur in der Tradition Weimars, sondern auch im internationalen Entwicklungstrend der dreißiger Jahre, welcher nahezu direkt in die Weltwirtschaftskrise führte )106 Hitler hat diese Faktoren - offenbar unter dem Eindruck der Blockadeerfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg - schon in „Mein Kampf“ erkannt und seine Conclusio in einer programmatischen Feststellung getroffen: „Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und

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Dawid Sierakowiak, Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak. Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen 1941/42 ( Leipzig 1993 ) 11 101 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259 102 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 12 103 Charles Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus. Deutsche Ausgabe ( München 1974 ) 223 104 Hartmut Schustereit, Vabanque. Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 als Versuch, durch den Sieg im Osten den Westen zu bezwingen ( Herford - Bonn 1988 ) 15 105 Rolf-Dieter Müller, Die Konsequenzen der „Volksgemeinschaft“: Ernährung, Ausbeutung und Vernichtung. In: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz. 2. Auflage ( München 1990 ) 242 106 Ludolf Herbst, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im internationalen Vergleich. In: Benz, Buchheim, Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus. S. 159 15

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weisen unseren Blick nach dem Land des Ostens. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zu einer Bodenpolitik der Zukunft.“107 Der Überfall auf Polen konfrontierte die NS-Wirtschaftsplaner mit sozialen Problemen, die sie in diesem Ausmaß nicht kannten.108 Polen galt den nationalsozialistischen Raum- und Wirtschaftskonzeptoren als überbevölkert und wirtschaftlich desorganisiert. Wurden die Verhältnisse also schon vor dem Krieg als untragbar angesehen, so verschlimmerte sich die Situation mit der Eingliederung Westpolens in das Reich. Das Hauptproblem der Wirtschaftsordnung im Generalgovernement, einem laut Planer Meinhold „wenig hoffnungsvollen Gebilde“ war aus großdeutscher Sicht die ständig wachsende Überbevölkerung. „Überbevölkerung“ wurde hier als mangelende Produktivität, Unterbeschäftigung beziehungsweise unzureichende Nutzung der Arbeitskraftressourcen definiert. Ohne einen Eingriff von außen würden sich laut Meinhold die Bevölkerungsverhältnisse im Generalgovernement ständig verschlechtern, was nicht positiv im Hinblick auf die Arbeitsproduktivität bewertet wurde.109 Somit läßt sich ab Mitte angesichts differenter Ambitionen und Ausbeutungswünsche beziehungsweise Interpretationen eine „hektische Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Machtgruppen des Dritten Reiches um die langfristig beste Wirtschaftsstrategie innerhalb der ‘Neuen Ordnung’ “ konstatieren. 110 Dies spielt sich zwischen den Großkonzernen der Reichsgruppe Industrie, anderen Kartell- und Wirtschaftsverbänden, dem Reichswirtschaftsministerium, der „Deutschen Arbeitsfront“ und den Vierjahresplan-Behörden unter Görings Leitung ab. Nicht zu vernachlässigen sind natürlich auch kriegsbedingte Veränderungstendenzen. Während des Kriges erreichte die staatliche Reglementierung ein solches Ausmaß, daß sich bei machen Betrachtern ein Vergleich mit dem sowjetischen Kommandosystem aufzudrängen scheint.111 Der Angriff auf Polen muß somit auch als versuchter Zugriff auf die Ressourcen des Landes gesehen werden. Nach dem militärischen Sieg beschränkten sich die nationalsozialistischen Okkupationsbehörden nicht auf eine völkerrechtlich gesatzte Militärverwaltung, sondern begannen sofort und technokratisch-administriert, die Volkswirtschaften der besetzten Länder nach ihren Intentionen umzugestalten und auszubeuten.112 Die Umsetzung dessen erfolgte über den Vierjahresplan unter Görings Befehl. Der Plan sollt die Voraussetzungen für eine „Ausdehnung des deutschen Einflußbereichs“ schaffen, „um die eigenen Wirtschaftskräfte im notwendig bleibenden Umfang von außen her zu ergänzen“.113 Im Falle des Generalgovernments bedeutete dies die Entindustrialisierung und „Lieferung von Arbeitssklaven und Rohstoffen“114, für die Warschauer Juden im 107

Hitler, Mein Kampf. S. 742 Götz Aly, Susanne Heim, Die Ökonomie der „Endlösung“. Menschenvernichtung und wirtschaftliche Neuordnung. In: Götz Aly, Susanne Heim, Miroslav Karny, Petra Kirchberger, Alfred Konieczny, Sozialpolitik und Judenvernichtung. Gibt es eine Ökonomie der Endlösung? ( Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik: 5 ( Berlin 1987 ) 30 109 Ebenda. S. 31 110 Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. S. 234 111 Herbst, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik. In: Benz, Buchheim, Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus. S. 166 112 Müller, Die Konsequenzen der „Volksgemeinschaft“. In: Michalka, Der Zweite Weltkrieg. S. 243 113 Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 51 114 Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. S. 234 108

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Sinne einer „Rationalisierung der Wirtschaft im Generalgovernement“ den „kolonnenweisen Einsatz“ und „100 prozentige Ausnutzung dieser Arbeitskräfte“.115

• Die Aus beutung der Warschauer Juden Die wirtschaftliche Bedeutung der polnischen - und damit auch der 500 000 Warschauer Juden lag für die Nationalsozialisten in deren Zahl: „Zweieinhalb Millionen Menschen sind ein bedeutender produktiver Faktor.“116 Das galt besonders in Polen, wo die Juden einen besonders hohen Anteil an qualifiziertem Facharbeiterpersonal stellten. Nach dem Einmarsch der Großdeutschen lag die polnische Wirtschaft darnieder. Bereits in den ersten Wochen der NS-Besatzung wurden alsdann Juden von militärischen und zivilen Stellen aufgegriffen und zur zwangsweisen Beseitigung der Kriegsspuren herangezogen. Am 26. Oktober 1939 erhob die Administration des Generalgovernements diese Art der Zwangsarbeit der „Judenkolonnen“ ( siehe oben ) zum allgemeinen Prinzip.117 Der Warschauer Judenrat handelte rasch und stellte ein Arbeitsbataillon auf, das den Okkupationsbehörden bei Bedarf zur Verfügung stehen sollte. Am 2.Dezember wurde seitens der Besatzer eine entsprechende Verordnung zur diesbezüglichen Kompetenz der Judenräte erlassen. Die durchschnittliche Stärke des Warschauer Arbeitsbataillons betrug 8 - 9000 Mann. Die „Entlohnung“ dieser Arbeitskräfte war durchaus unterschiedlich. In Krakau etwa kam die Stadtverwaltung mit einer bescheidenen Entschädigugn dafür auf, in Warschau zahlte Schu, einer der größten Arbeitgeber an Czerniakow zwei Zloty pro Tag und Kopf. Er, Schu, wolle kein „Sklaventum“. Dei Hauptlast der Entlohnung fiel somit den Judenräten zu.118 Generell bestand das System der Arbeitsausbeutung im besetzten Polen aus drei Komponenten: 1. Den Zwangsarbeiterkolonnen, anfänglich als Behelfslösung konzipiert und sehr kostengünstig 2. Den Arbeitslagern, die ein Nebenprodukt der Arbeitskolonnen waren, in der Bedeutung diese aber sehr bald übertrafen 3. Dem Ghettoarbeitssystem119 Auch Privatbetriebe, die sich der Arbeitskräfte eines der Ghettos bedienen wollten, konnten von einer beträchtlichen Verringerung ihrer Lohnkosten ausgehen. ( Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang zweifellos der Unternehmer Oskar Schindler, der sich - wie vermutlich viele - hart an der schwer zu definierenden Grenze zwischen ausbeuterischem Kriegsgewinnlertum und Mitgefühl für die notleidenden Arbeiter bewegt haben dürfte )120 Dennoch war die Resonanz seitens der 115

Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 313 - 314 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 261 117 Ebenda. S. 261 118 Ebenda. S. 263 119 Ebenda. S. 268 120 Thomas Keneally, Schindlers Liste. Deutsche Ausgabe ( München 1994 ) 116

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großdeutschen Unternehmen nicht ausgesprochen groß. Insofern schritt auch die Industrialisierung und der Produktionsausstoß in Verbindung mit anderen Faktoren, „ganz zu schweigen vom Hunger der Arbeiter“ 121 langsam voran. Mit der Drosselung und Einstellung der Lebensmittelzufuhr hatten die Großdeutschen ohnehin das wichtigste wirtschaftspolitische Steuerungsinstrument, das Leben der Ghettobewohner, selbst in der Hand. Die Lebensbedingungen derjenigen Ghettobewohner, welche in einem der sogenannten Rüstungsbetriebe Arbeit und Unterkunft gefunden hatten, „waren wesentlich günstiger als die der übrigen Ghetto-Insassen“.122 Auch waren sie weitgehend geschützt vor willkürlichen Übergriffen von SS und GESTAPO. Von den 16 Rüstungsbetrieben im Ghetto waren die bedeutendsten die Firmen W.C. Többens und Schultz und Co. GmbH. Die Firma Schultz hatte vor Kriegsbeginn einen Pelzwarenhandelsbetrieb umfaßt und war nunmehr als Rüstungsbetrieb deklariert worden.123 Wie zumeist bestimmte auch hier die Wehrmacht als bedeutendster Abnehmer der Ghettowaren die Produktion. 124 Herrschte etwa bei Schultz ( zumindest bis Juli 1942 beziehungsweise der Deportation von 15 000 Warschauer Juden ins SSArbeitslager Trawniki im Februar/Mai 1943)125 nunmehr „relative Sicherheit“126 der jüdischen Belegschaft, so war die Situation in den sogenannten ghettoeigenen Betrieben weiteaus strenger.127 Die Absicht der Warschauer Politiker, 200 000 Menschen im Ghetto mit Zwangsarbeit zu beschäftigen128, wurde nicht erreicht. Im Juli 1942, als mit der systematischen Deportation begonnen wurde, betrug laut Czerniakow die Zahl der Beschäftigten 95 000 Personen, von denen 4500 außerhalb des Ghettos arbeiteten. 129 Nicht vergessen darf bei der Betrachtung der Produktivität des Ghettos ( dieses stellte in erster Linie arbeitsintensive Produkte wie Uniformen, Munitionskisten für die Wehrmacht oder Behältnisse her )130 natürlich auch die vor der Besatzung vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur des nunmehrigen Ghettogebiets. Dieses war zuvor ein ArmeLeute-Wohnviertel mit wenigen Fabriken und Werkstätten. Betriebsverlagerungen von außen hatten die großdeutschen Behörden ebenso wie Rohstoffzuteilung für den Eigengebrauch verboten. Dies alles lief nun über die Transferstelle.131 Die besonderen Umstände der Lage der Ghettobewohner bilden einen weiteren wichtigen Faktor bei der Betrachtung der ( potentiellen ) Produktivität der dortigen Bevölkerung. Der permanente Terror und die Oppression seitens der NS-Behörden leisteten ganze Arbeit. „Darüberhinaus konnten sich die Juden, familienweise kaserniert und je nach der Art oder

121

Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 269 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 23 123 Ebenda. S. 23 124 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 271 125 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 143 126 Ebenda. S. 23 127 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 270 128 Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 314 129 Czerniakow, Tagebuch. S. 278 130 Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 271 131 Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 315 122

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dem Ort ihrer Beschäftigung durch die Ausgabe der verschiedensten Bescheinigungen permanent bedroht, zu keiner Zeit sicher fühlen.“132

• Exkurs: „Ökonomie der Endlösung“ oder „Nationales Projekt“ ? In diesem Abschnitt sollen numehr kurz zwei einander absolut diametral gegenüberstehende Ansätze der Holocaust-Erforschung dargestellt werden. Im folgenden werden das Erklärungsmodell Götz Alys und Susanne Heims , welches von einer klaren und technokratisch administrierten Rationalität, einer „Ökonomie der Endlösung“ ausgehen und jenes des amerikanischen Politologen Daniel Jonah Goldhagen, welcher die „Germans“ als „Hitler’s willing executioners“ und die Judenvernichtung als „nationales Projekt“ sieht, gegenübergestellt. Ich betone, daß es sich hier um eine Gegenüberstellung, nicht um einen Vergleich oder gar eine Bewertung handeln soll. Laut Aly und Heim wurde das Konzept einer „Ökonomie der Endlösung“ von deutschen Akademikern entwickelt „allen voran Ökonomen, Agrarwissenschaftler, Bevölkerungsexperten, Arbeiteinsatzspezialisten, Raumplaner und Statistiker.“ 133 Diese Menschen saßen in den Planungsgremien der Reichsstelle für die Festigung deutschen Volkstums, der Vierjahresbehörde. Sie entwarfen und diskutierten die Lösung der anstehenden „Bevölkerungsfragen“ und berechneten die Entlastung durch die Eliminierung der Juden aus dem wirtschaftlichen Prozeß. Sie machten Vorschläge zur Nutzung der Ukraine als Kornkammer des Reichs und implizierten damit den Hungertod von „zig Millionen“ von Menschen. Sie berechneten auch die Defizite der Ghettowirtschaften - und lieferten so die Begründung für die Ermordung der Ghettobewohner.134 Im weiteren konstatieren die beiden Autoren, daß mit Hilfe staatlicher Geburtenförderung und -kontrolle, Umsiedlung und Vernichtung die Zahl und „Qualität“ der Menschen fortlaufend gesteuert werden sollte. Dieser Schluß wird zweifellos auch von anderen Experten anerkannt.135 Die „Planer“ werden im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit der Problematik noch weiter ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Für diese „Planer“ war „Bevölkerung“ bald der einzige „Faktor“, den sie wirklich noch verändern konnten. Aus ihrer Sicht gab es 1941 im Großdeutschen Reich zwar ein bis zwei Millionen Arbeitskräfte zuwenig, gleichzeitig aber 30 bis 50 Millionen „unnütze Esser“ in Europa, Menschen, deren Arbeitskraft von der NS-Wirtschaft ( noch ) nicht ausgenutzt wurde. Rekurrierten einige von ihnen etwa gar noch auf „Mein Kampf“, wo Hitler schon lang zuvor die 132

Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367 Götz Aly, Susanne Heim, Sozialplanung und Völkermord. Thesen zur Herrschaftsrationalität der nationalsozialialistischen Vernichtungspolitik. In: Wolfgang Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. Eine Debatte über den Zusammenhang von Sozialpolitik und Genozid im nationalsozialistischen Deutschland ( Hamburg 1991 ) 12 134 Ebenda. S. 12 135 Heidrun Kaupen-Haas, Die Bevölkerunsplaner im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik. In: Heidrun Kaupen-Haas (Hg.), Der Griff nach der Bevölkerung. Aktualität und Kontinuität nazistischer Bevölkerungspolitik ( Hamburg 1986 ) 133

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Forderung „Den Boden in Einklang zu bringen mit der Volkszahl“ erhoben hatte136 ? Diese „Überbevölkerung“ stand den Wirtschaftsplanern im Weg - so wurden „Umsiedlung“, „Arbeitseinsatz“ und „Evakuierung“ zu den zentralen Instrumenten deutscher Neuordnung137, die jedoch - wie Aly schließt - an „teils grotesken Detailproblemen“ scheitert.138

Im groben verstehen Aly und Heim die „Ökonomie der Endlösung“ in drei Stufen: 1. Pogrom und Rationalisierung - Vertreibung der Juden aus der Wirtschaft ( die entsprechenden legistischen Grundlagen wurden von Göring, Funk und Frick im November und Dezember 1938 erlassen139, nach dem 12.November des Jahres finden die „Zwangsarisierungen“ statt140 2. Entwicklungspolitik und Bevölkerungsfrage - Im Falle Polens Zurückdrängen der stark agrarischen Bevölkerungsstruktur 3. Ausbeutung der Sowjetunion und Dezimierung der hiesigen Einwohner141 Im Bereich des Generalgovernements kommen die Autoren zu dem Schluß, daß die physische Auslöschung der Juden eine Entlastung des Arbeitsmarktes mit sich brachte und deren Vernichtung der „erste Schritt auf dem Weg zur wirtschaftlichen Neuordnung“ war.142 Im konkreten Fall Warschaus werden die überstürzten Umsiedlungs- und Absperrungsmaßnahmen „überwiegend als nachteilig“ für die städtische und wirtschaftliche Struktur gesehen. 143 Aus großdeutscher Optik wurden in den Ghettos Kapital und Ressourcen gebunden, welche bei besserer Arbeitsorganisation erheblich höheren Produktionsausstoß zugelassen hätten. „In dieser Beurteilung waren sich Speer und Himmler durchaus einig“.144 Die niedrigen Löhne für die Juden blockierten überdies die Rationalisierung in den Firmen - die Vorteile, die billige Arbeitskraft für den einzelnen Unternehmer mit sich brachte, erwiesen sich somit gesamtökonomisch als unerwünscht. „Nach diesen Maßstäben war es ökonomisch rationeller, die Juden umzubringen, als sie arbeiten zu lassen“. 145 Warum es aber im Laufe des Kriegs zu den angesichts der Krisen an der Ostfront militärisch und ökonomisch vollkommen sinnlosen Einsätzen von Eliteeinheiten wie etwa von Teilen der

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Hitler, Mein Kampf. S. 204 Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 15 138 Aly, „Endlösung“. S. 247 139 Klaus Drobisch, Rudi Goguel, Werner Müller, Horst Dohle, Juden unterm Hakenkreuz. Verfolgung und Ausrottung der deutschen Juden 1933-1945 ( Frankfurt/Main 1973 ) 206 - 207 140 Ernst Rauch, Ökonomische Aspekte der Judenpolitik des Dritten Reiches. Diplomarbeit an der Grundund Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1985 ) 52 141 Aly, Heim, Sozialplanung und Völkermord. In: Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. S. 13 - 19 142 Aly, Heim, Die Ökonomie der „Endlösung“. In: Aly, Heim, Karny, Kirchberger, Konieczny, Sozialpolitik und Judenvernichtung. S. 36 143 Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 312 144 Aly, Heim, Sozialplanung und Völkermord. In: Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. S. 21 145 Ebenda. S. 21 137

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1.Gebirgsdivision in Griechenland 1943146 zur Judenvernichtung kam, können Aly und Heim mit dieser ihrer These aus meiner Sicht freilich nicht befriedigend beantworten. Auf WissenschaftlerEbene fanden die Thesen beträchtliche ( anfangs primär negative ) Resonanz und initiierten einen umfassenden Diskurs zur Rationalität der großdeutschen „Endlösungspolitik“.147

Einen völlig konträren Ansatz zum eben skizzierten vertritt der Harvard-Assistent Daniel J. Goldhagen. Die massenhaften Deportationen, Ghettoisierungen und schließlich der industrielle Massenmord seien nicht von „Akademikern“, sondern von „ordinary Germans“ durchgeführt worde, denn alle „Deutschen“ ( Goldhagen differenziert nicht zwischen Tätern aus dem „Altreich“ und solchen „Großdeutschlands“, also auch Österreichern! ) seien, so der Titel seiner Studie „Hitlers willige Vollstrecker“ gewesen. In einer tatsächlich bemerkenswerten Revision dessen, was bisher geschrieben wurde, interpretiert Goldhagen den Judenmord als nationales politisches Ziel der Deutschen für das 20.Jahrhundert, gleichsam eine gesellschaftliche Norm und Konstante. Weiters meint er, keine signifikanten Teile oder identifizierbaren Minderheiten bei den Deutschen hätten eine abweichende Meinung bekundet - gegen andere Verbrechen der Nazis schon ( wie vor allem das 1941 auf öffentlich-kirchlichen Druck eingestellte „Euthanasie-Programm“ )148, nicht aber gegen den Judenmord. Für ihn hätte die Bevölkerung die Auswüchse des Judenhasses weder für unmoralisch gehalten noch das Regime als kriminell erkannt, „the need to eliminate Jewish influence from Germany“ 149 war gewissermaßen Common sense. „All of these charaterized not just the Nazi leadership but the vast majority of the German people, who were aware of what their government and their countrymen werde doing to the Jews, assented to the measures, and, when the opportunity presented itself, lent their active support to them.“ 150 Zu konkreten hier zu behandelnden Thematik des Warschauer Ghettos schreibt der Autor, die Besatzer hätten 1940 und 41 die jüdische Produktionskapazität „geopfert“, während andererseits Fremdarbeiter infolge Arbeitskräftemangel importiert wurden.151 Auch hier wird der „Eliminationist antisemitism“ der Nationalsozialisten als Triebkraft der politischen Handlungen 146

Mark Mazower, Militärische Gewalt und nationalsozialistische Werte. Die Wehrmacht in Griechenland 1941 bis 1944. In: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944. 2. Auflage ( Hamburg 1995 ) 157 147 Karl Heinz Roth, Europäische Neuordnung durch Völkermord. Bemerkungen zu Götz Alys und Susanne Heims Studie über die „Vordenker der Vernichtung“. In: Schneider (Hg.), „Vernichtungskrieg“. S. 181 148 Werner Maser, Adolf Hitler. Legende, Mythos, Wirklichkeit ( München 1993 ) 433 - 434 und Andreas Hillgruber, Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums ( Köln 1986 ) 92 149 Goldhagen, Hitler’s willing executioners. S. 51 150 Ebenda. S. 90 151 Ebenda. S. 289 21

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angelegt, an einer Ausnutzung der jüdischen Arbeitskraft sei man gar nicht interessiert gewesen: „ The Germans’ policies for the Jews of Warsaw, which charakterized how they treated Polish Jews generelly, were calculated to destroy the Jews, not to use their labor power.“ 152 Zur Zerstörung des Ghettos 1943 läßt Goldhagen einen deutschen Luftwaffensoldaten, Herbert Habermalz, zu Wort kommen: „We flew several circles above the city. And with great satisfaction we could recognize the complete extermination of the Jewish Ghetto. There our folks did really a fantastic job.(...)“153 ( In Augenzeugenberichten lassen sich demgegenüber ohne eine Quantifizierung vornehmen zu wollen - auch Berichte von Hilfeleistungen einzelner Großdeutscher, Soldaten, Polizisten, an der Warschauer Zivilbevölkerung finden )154

Das wissenschaftliche und mediale Echo auf Goldhagens Thesen im Frühjahr 1996 war gewaltig: Die Schlüsse wurden von seinem US-Kollgen Christopher R. Browning weitgehend zurückgewiesen: Zu den Killern des Reserve-Polizeibataillons 101 gehörte auch ein Dutzend eingezogener Luxemburger, die nicht durch acht Jahre NS-Indoktrination gegangen waren und sich auch nicht seit Jahrhunderten auf den bereits erwähnten „eliminierenden Antisemitismus“ hatten einschwören lassen.155 Walter Manoschek gibt Goldhagen zwar „im Prinzip Recht“, doch argumentiere dieser „eindimensional“.156 Mit der monokausalen These vom tief verankerten Wunsch der Großdeutschen werde man der Judenvernichtung nicht gerecht. „Der jahrhundertelange Antisemitismus als integraler Teil der politischen Kultur war eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Holocaust. Antisemitismus in allen seinen religiösen, ökonomischen und rassischen Schattierungen, Autoritätshörigkeit, Gruppendruck, Angst, mangelnde Zivilcourage, Karrieremotive, Bereicherung, schrankenloses Machtgefühl der ‘Herrenrasse’ oder einfach Desinteresse am Schicksal der Juden verschmolzen zu einem Amalgam, das die systematische Umsetzung des Vernichtungsprozesses erst ermöglichte“.157 Sadismus und enthemmte Inhumanität, erkannte schon Hannah Arendt, sind keine (groß-) deutsche Spezialität. Sie können in allen Fomen moderner totalitärer Herrschaft auftreten, wenn eine aggressive Ideologie es dem einzelnen erlaubt, ohne Rücksicht auf „Gesinnung, Ehre und menschliche Würde“ zu handeln.158 Eine offensichtlich vollkommen brutalisierte und entsensibilisierte Gesellschaft war die Konsequenz im Großdeutschen Reich:

152

Ebenda. S. 289 Ebenda. S. 451 154 Jan Turnau. Zehn Gerechte. Erinnerungen aus Polen an die deutsche Besatzungszeit 1939 - 1945. Deutsche Ausgabe ( Mainz - München 1989 ) 172 - 173 155 Ein Volk von Dämonen? In: DER SPIEGEL 21/1996 51 und Christopher R. Browning, Dämonisierung erklärt nichts. In: DIE ZEIT 17/1996 o.S. 156 Walter Manoschek, Der Judenmord als Gemeinschaftsunternehmen. In: PROFIL 18/1996 100 157 Ebenda. S. 101 158 Ein Volk von Dämonen? In: DER SPIEGEL 21/1996 51 153

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„Wir standen ja im Krieg, da wurde gemordet, ne wahr, links und rechts, ne wahr, und wir hatten Pech, daß wir den Krieg verloren haben.(...) Sehen sie doch heute, ne wahr, was ist ein Menschenleben heute wert, ne wahr. So wie gar nichts, sagen wir mal, ne wahr.“ 159 Hannes Heers Forschungsergebnisse zu dieser Problematik der Motive für den Judenmord sind durchaus ambivalent. Einerseits habe die Truppe „nicht nur Befehle ausgeführt oder gar unter Zwang gehandelt, sie war eigeninitiativ und sehr kreativ in der Erfindung von Quälereien, Foltern, Todesarten“160, zum anderen ist in Geständnissen von Ostfront-Landsern bisweilen Beschämung und Ohnmacht wegen der Untaten der Wehrmacht ( „deutsche Soldatenbestien“) zu finden.161 Der vorauseilende Gehorsam von Wehrmachtsangehörigen bei der Judenliquidation wird jedoch auch von SonderkommandoMitgliedern bestätigt: „Es ist auch vorgekommen, daß uns Wehrmachtsangehörige die Karabiner aus den Händen genommen haben und selbst an unserer Stelle im Exekutionskommando mitschossen.“ 162 Der Diskurs über die Thesen Daniel Goldhagens dauert an...

IV. Aufstand und Liquidation des Ghettos • „Umsiedlung“ 1942 und Kampfvorbereitung „Wir verfaulen in diesem Ghetto wie nichts. Gestern sind im Ghetto weit über neunhundert Menschen aus Kowl Kujawski eingetroffen. Das ist nun der letzte Transport aus dem Warthegau. Jetzt sollen sie aus dem Inneren Deutschlands kommen. Das Wohnungsamt arbeitet bereits Tag und Nacht.“ Dawid Sierakowiak, 10. Oktober 1941163 Ab Sommer 1941 hatte sich die Situation für die jüdische Bevölkerung innerhalb des Warschauer Ghettos dramatisch verschlechtert. Seit diesem Zeitpunkt hatte ein zusätzlicher systematischer Terror eingesetzt. Wahllose Erschießungen durch Patrouillen auf den Straßen wurden abgelöst durch Erschießungen in den Gefängnissen. Die meisten davon erfolgten aufgrund von Standgerichtsurteilen wegen Schmuggels aus dem „arischen“ Stadtteil. Diese Maßnahme traf in erster Linie natürlich Kinder und junge Menschen, die wegen ihrer Gewandtheit oder Körpergröße die Ghettomauern leichter überwinden konnten. Entweder wurde man bei der Rückkehr ins Ghetto von NS-Organen überrascht oder schon außerhalb von der polnischen Polizei erkannt und kurzerhand erschossen. 164

159

Ebbo Demant, Auschwitz - „Direkt von der Rampe weg...“ Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll ( Reinbek bei Hamburg 1979) 83 160 Hannes Heer, „Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen“. Geständnisse deutscher Gefangener über ihren Einsatz an der Ostfront ( Hamburg 1995 ) 7 161 Ebenda. S. 34 162 Ernst Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß (Hg.), „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer ( Frankfurt/Main 1988 ) 115 163 Sierakowiak, Ghettotagebuch. S. 105 164 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 13 23

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Zusätzlich wurden die Lebensbedingungen und hygienischen Verhältnisse im Laufe der Zeit immer schlimmer und gestalteten sich bald „katastrophal“.165 Die Müllabfuhr funktionierte überhaupt nicht, Schäden an der Kanalisation gehörten zum Alltäglichen. Für die Juden gab es auch kein ordentliches Krankenhaus, lediglich ein provisorisches Infektionskrankenhaus ohne Wasser und Gas. Überall herrschten Hunger und Brennstoffmangel. Dies alles führte zu „unvorstellbaren Verhältnissen“. 166 Das Hinsterben ganzer Familien war keine Einzelerscheinung, ganze Familien erfroren auch... Auch durch die erhebliche Veränderung der Ghettogrenzen am 23. Oktober 1941 waren große Teile der jüdischen Bevölkerung massiv betroffen. 75 000 mußten zwangsweise umsiedeln. Später wies man 72 000 Juden aus den westlichen Kreisen und bald darauf die jüdische Bevölkerung aus den östlichen Kreisen des Distrikts Warschau in das Ghetto ein.167 Überdies wurde die hungernde und frierende Bevölkerung am 24.Dezember 1941 noch zusätzlich mit der für das gesamte Generalgovernement angeordneten „Pelzaktion“ überfallen. Die infolge des gescheiterten „Blitzkriegs“ gegen die Sowjetunion im harten russischen Winter in Sommeruniformen steckende Wehrmacht mußte nachträglich und möglichst schnell mit Winterkleidung versorgt werden. Somit wurden auch die Warschauer Juden unter den bereits üblichen Strafandrohungen zur Ablieferung ihrer gesamten Pelze gezwungen (siehe Anhang).168

„Dieser Terror und die Lebensbedingungen, die bis zum Sommer 1942 rapide unter die Grenzen dessen absanken, was Menschen zugemutet werden kann, bildeten jedoch lediglich den Auftakt zu dem, was der jüdischen Bevölkerung im Ghetto Warschau in den folgenden Monaten noch bevorstand.“169 Nachdem die ersten in der Provinz gelgenen Ghettos im Warthegau liquidiert worden waren, kam es im Januar 1942 auch zu Großdeportationen aus dem Lodzer/Litzmannstädter Ghetto. Anfangs hatte die jüdische Bevölkerung in den betroffenen Ghettos keine Vorstellung davon, was mit der ausgesiedelten Bevölkerung geschah, da die Deportationen in die Vernichtungslager unter dem bewußt irreführenden Titel „Umsiedlung“ firmierten. Zwar drangen bisweilen Nachrichten und Gerüchte von Ermordungen und Todeslagern durch. „Man wollte dem jedoch zunächst keinen Glauben schenken, aber im September 1942 wußte man dann bereits, daß die Ausgesonderten ins Todeslager fuhren“.170 In Warschau war die Situation fast ident mit jener in Lodz: „Angesichts fehlenden unmittelbaren Kontaktes mit der Provinz nimmt das Warschauer Ghetto diese Nachrichten mit Mißtrauen auf, führt tausende Argumente an, die selbst das kleinste Quentchen Wahrscheinlichkeit dieser Berichte zerstören, es verbietet sich den Gedanken daran, daß sich 165

Ebenda. S. 13 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367 167 Ebenda. S. 259 168 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 13 169 Ebenda. S. 14 170 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 372 166

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ein ähnliches Verbrechen in der Hauptstadt Polens wiederholen kann, wo mehr als 300 000 Juden wohnen“, berichtete Marek Edelman 1945.171 Der Ablauf der Liquidierungen der Ghettos im Zuge der „Aktion Reinhard“ ( Tarnbezeichnung für die gesamte „Endlösung“ im Generalgovernement, benannt nach Heydrichs Vornamen, geleitet vom Österreicher Odilo Globocnik 172, welcher durch die Aktion eine beträchtliche Mehrung seines Einflusses erhoffte )173 hatte nahezu überall idente Systematik und Ordnung. Die polnische Bevölkerung erhielt mitunter durch kurz zuvor angeschlagene Bekanntmachungen Kenntnis von den Abholungen. Wer die Aktion behindere oder Juden Unterschlupf gewähre, werde mit dem Tod bestraft.174 Innerhalb der Ghettos hatten es die Aushebungskommandos mit ganz anderen Problemen zu tun: Dreck, Abwässer und Ungeziefer. Für die großdeutschen „Herrenmenschen“ stellt diese Form von Arbeit natürlich „Ekelerregung“ dar. Die Arbeit war jedoch mit dem Abtransport der Juden nicht erledigt. Nachdem ein Ghetto „entjudet“ war, kehrten Polizei und örtliche Beamte zurück, um das Judenviertel zu säubern - zu den schlimmsten Dreckarbeiten wurden Polen und Juden herangezogen...175 Doch die Verwahrlosung der Ghettos war eine vergleichsweise geringe Störung des Gesamtbildes, der die Bürokraten wenig Beachtung schenkten. Ihre Hauptsorge galt dem Fortgang der Deportationen. Am 18. Juni 1942 fragte Staatssekretär Bühler den Höheren SS- und Polizeiführer des Generalgovernements SS-Generalleutnant Krüger, wann er mit der Ghettoauflösung fertig sein werde. Krüger antwortete, er werde erst im August einen diesbezüglichen „Überblick“ haben ( Krügers Zurückhaltung resultierte aus der damals herrschenden vorübergehenden Einstellung des Deportationsverkehrs ).176

In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß die gesamte Deportation der jüdischen Bevölkerung aus den Ghettos nur in enger Kooperation mit der Reichsbahn reibungslos funktionieren konnte Diese wollte „so wirtschaftlich wie möglich funktionieren“177 - Daher sollten ihr die Transportanforderungen bei den Deportationen gemeldet werden, was eine vorherige Zentralsammlung im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) erforderlich machte. Im Judenreferat des RSHA, das Eichmann unterstand, gab es einen Mann, der ausschließlich für die Transporte zuständig war: SS-Obersturmführer Franz Novak.178 Da die Reichsbahn ( vor allem wegen des Transportbedarfs der Wehrmacht!) ihre Züge so schnell wie möglich wieder zurückhaben wollte und in den Vernichtungslagern Wert darauf gelegt wurde, die Juden am Tag ihrer Ankunft zu ermorden, „waren die Fahrpläne zwischen SS und Bahn auf Minuten genau aufeinander abgestimmt. So sah sich der Kommandant von Treblinka, Franz Paul Stangl, nur in der Lage, zweitausend Menschen zu vergasen und in 171

Bartoszewksi, Im Warschauer Ghetto. S. 25 Christian Zentner, Friedemann Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches ( Augsburg 1993 ) 218 173 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 318 174 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 513 - 514 175 Ebenda. S. 514 176 Ebenda. S. 515 177 Heiner Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941 - 1945 ( Köln 1985 ) 60 178 Ebenda. S. 63 172

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den Krematorien zu verbrennen, wenn die Züge spätestens mittag in Treblinka ankamen.“179 Ursprünglich war die Deportation der Warschauer Juden ins Vernichtungslager Sobibor geplant gewesen, wegen eines Streckenschadens am Bug wurden diese 300 000 Menschen jedoch Mitte Juli nach Treblinka „umgeleitet“. 180 Während die Warschauer Bevölkerung auch in der ersten Jahreshälfte 1942 noch fast nichts über die bevorstehende Räumung wußte ( selbst Czerniakow spricht noch am 11.Juli lediglich von „Gerüchten“ - „Umsiedlung“ sei „im Gespräch“, erhielt er von den Behörden als Antwort )181 , liefen hinter den Kulissen bereits die Vorbereitungen. Die Konsequenzen für die betroffenen Ghettobewohner waren fast immer tödlich. Nach dem Eintreffen von 600 Radzyminer ( Kreis Warschau ) Juden im Ghetto tötete die großdeutsche Polizei nachts Dutzende Ghettobewohner aus unbekannten Gründen. In derselben Nacht holte man aus dem Ghetto fast 1000 Männer ( darunter 150 Jugendliche ) und führte sie in unbekannter Richtung fort. Am 10./11. Juni ermordete die NSPolizei nachts einige -zig Leute, die den Behörden für ihre Schmuggeltätigkeit bekannt waren und am 2.Juli 1942 wurden 110 Personen aus dem Arrest im Ghetto zur Hinrichtung abgeführt.182 Mitte Juli 1942 „verdichtet sich die schwarze Wolke“ erinnert sich Marek Edelmann. Dennoch konnte man das Bevorstehende nach wie vor nicht glauben: „...es kursieren nur ‘wenig wahrscheinliche’ Gerüchte über die Ankunft eines Umsiedlungskommandos, darüber, daß aus dem Ghetto 20, 40 oder 60 tausend Einwohner ausgesiedelt werden sollen, darüber, daß man alle Arbeitslosen zur Arbeit an Befestigungsanlagen abtransportieren wird, daß in Warschau nur Arbeitende zurückbleiben werden...“183 Auch Czerniakow spricht am 16. Juli noch von „Gerüchten über eine Aussiedlung der Juden aus Warschau, wobei 120 000 zurückbleiben sollen.“ 184 Zwei Tage später, „im Wohnbezirk unterdessen Panik“ 185, informierte Czerniakow den Judenrat und die jüdische Polizei ( trotz Augenzeugenberichten über eine angebliche Güterwagen-Konzentration am Nordrad des Ghettos), „that the Germans had given him assurances that they had no intention of resettling the population of the ghetto.“186 Bis zuletzt wurden somit selbst die jüdischen Behörden offensichtlich vollkommen im unklaren gelassen.187 In Berlin waren indessen die Würfel schon gefallen. Am 19. Juli hatte Himmler eine Geheimdirektive an Krüger, Chef der großdeutschen Polizei im Generalgovernement („Es gibt keine undankbarere Aufgabe als die, die ich als Polizeichef des Generalgovernments zu erfüllen habe“)188, geschickt: Die „Umsiedlung“ der gesamten jüdischen Bevölkerung des Generalgovernments müsse bis 31.Dezember 1942 durchgeführt und beendet werden. Er, Himmler, begründete dies mit der „notwendigen Trennung von Rassen und und Völker im 179

Ebenda. S. 67 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 515 - 516 181 Czerniakow, Tagebuch. S. 278 182 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 28 - 29 183 Ebenda. S. 29 184 Czerniakow, Tagebuch. S. 280 185 Ebenda. S. 281 186 Martin Gilbert, The Holocaust. The Jewish tragedy ( Suffolk 1986 ) 387 187 Czerniakow, Tagebuch. S. 282 188 Werner Präg, Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Das Diensttagebuch des deutschen Generalgoverneurs in Polen 1939-1945 ( Stuttgart 1975 ) 602 180

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Rahmen der Neuordnung“ und dem „Sicherheitsinteresse des Reiches“ 189 Auch hatte Himmler bereits die schrittweise Überleitung der im Zuge der „Aktion Reinhard“ verbleibenden Arbeitskräfte in die Regie der SS eingeleitet. Auch dies sollte mit Jahresende vollstreckt sein.190 In Warschau wurde kurz darauf eine Reihe von Gemeinderäten verhaftet und ( vorübergehend ) als Geiseln genommen, um die Panik anzuheizen.191 Am 22.Juli erhielt die Bahnstation des Vernichtungslagers Treblinka die Order, wie sich ein polnischer Angestellter erinnert, „of the running of a shuttle service from Warsaw to Treblinka with settlers.“192 Jeder Zug solle aus 60 Güterwaggons bestehen und permanent im Einsatz sein. Wo die deportierten in Treblinka „siedeln“ sollten, konnte er sich freilich nicht erklären.193 Am Vormittag des 22. wurde schließlich auch Czerniakow von SS-Sturmbannführer Hoefle ( starb durch Freitod in Wiener U-Haft 1962 )194 informiert: „Man eröffnete uns, daß - mit gewissen Ausnahmen - die Juden ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters in den Osten ausgesiedelt werden sollen. Bis heute n.m. um 4 Uhr müssen 6000 Menschen bereitgestellt werden. Und so (mindestens) wird es jeden Tag sein.“ Verlaufe die Aussiedlung nicht nach Wunsch werde seine, Czerniakows, Frau als erste Geisel erschossen. 195 Die Deportation wurde nunmehr durch öffentliche Bekanntmachung des Judenrates publik: „Auf Befehl der deutschen Behörden werden alle jüdischen Personen, gleichgültig welchen Alters und Geschlechts, welche in Warschau wohnen, nach dem Osten umgesiedelt.“ 196 Der zweite Punkt umfaßte die ( vorläufigen ) Ausnahmen von dieser Maßnahme, primär unentbehrliche Arbeits- und Ordnungskräfte und Mitglieder des Judenrates und deren Angehörigen. An dritter Stelle war das „Reisegepäck“ behandelt, „Beginn der Umsiedlung am 22.7.1942 um 11 Uhr“. An letzter Stelle standen die Strafen, deren Konsequenz immer die Erschießung war.197

„That same day, July 22, the ghetto walls were surrounded by Ukrainian and Latvian guards, in SS uniforms, armed and at twenty-five-yard intervals. The round-up and deportation of Jews from Warsaw now began...“ 198 Da der Großteil der Ghettoeinwohner berufstätig war, hatte Czerniakow, welcher den NS-Behörden durch die Erstellung der Deportationslisten „assistieren“ sollte, bis zu diesem Tag noch immer geglaubt, nur eine geringe Anzahl an Personen würden somit der „Umsiedlung“ zugeführt. Die Erkenntnis war furchtbar, wie seine letzte Tagebucheintragung vom 23. Juli 1942 zeigt: „Auf die Frage, wieviel Tage in der Woche die Aktion betrieben wird, antwortete man: 7 Tage in der Woche. In der Stadt drängt alles, Werkstätten zu eröffnen. Eine Nähmaschine kann Leben retten.

189

Gilbert, The Holocaust. S. 387 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 318 191 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 31 192 Gilbert, The Holocaust. S. 388 193 Ebenda. S. 388 194 Zentner, Bedürftig, Lexikon des Dritten Reiches. S. 20 195 Czerniakow, Tagebuch. S. 284 196 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 33 197 Ebenda. S. 33 - 34 198 Gilbert, The Holocaust. S. 388 190

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3 Uhr. Bis jetzt sind 4000 zum Transport. Bis 4 Uhr haben es laut Befehl 9000 zu sein. (...)“199 Eine knappe Stunde später vergiftete sich der Vorsitzende des Warschauer Judenrates in seinem Büro mit Zyankali. „Sie verlangen von mir, mit eigenen Händen die Kinder meines Volkes umzubringen. Es bleibt mir nichts anderes übrig als zu sterben, “ stand in dem Abschiedsbrief an seine Frau. 200 Sein Nachfolger wurde Marek Lichtenbaum. 201 Vom 22.Juli an verließ täglich ein Zug mit 5000 Juden Warschau in Richtung Treblinka, während zweimal wöchentlich ein weiterer Zug mit 5000 Juden von Przemysl nach Belzec fuhr.202 Als SS-Obergruppenführer Wolff, Chef des Persönlichen Stabes Himmlers, von Staatssekretär Ganzenmüller diese Mitteilung erhielt, richtete er ein Dankschreiben an den Staatssekretär: „... Mit besonderer Freude habe ich von ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß nun schon seit 14 Tagen täglich ein Zug mit je 5000 Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt und wir doch auf diese Weise in die Lage versetzt sind, diese Bevölkerungsbewegung in einem beschleunigten Tempo durchzuführen...“ 203 „Als ich aus dem Warschauer Ghetto deportiert wurde, war meine Familie noch zu Hause. Ich habe aber keine Spuren mehr von ihr gefunden, habe nie wieder etwas gehört...“ Isak Wasserstein, Wars chau204 Die Deportationen aus Warschau liefen, mit einigen bereits erwähnten Unterbrechungen, durchgehend bis 12.September 1942. Zuerst wurden die Kinder vom Stationsdepot an der Stawki, welches die Nationalsozialisten zu einem „Umschlageplatz“ ausgebaut hatten205, abtransportiert. Insgesamt wurden in diesen sieben Wochen 265 000 Menschen in die drei Gaskammern von Treblinka gebracht. „It was the largest slaughter of a single community, Jewish or non-Jewish, in the Second World War“.206 Nunmehr drangen auch immer öfter Nachrichten von den wenigen Entkommenen und der nachforschenden

Heimatarmee über Gaskammern statt Arbeitsbaracken ins Ghetto durch. 207 „Am Ende kannten selbst Kinder den Zweck der Deportationen.“ 208 Die jüdische Führung in den Ghettos hatte bei der „Umsiedlung“ mit den NS-Behörden zu kooperieren. Stets lieferten sie einige Juden, zumeist die „unproduktiven“, aus, um die anderen zu 199

Czerniakow, Tagebuch. S. 285 Ebenda. S. 285 201 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 533 202 Ebenda. S. 515 203 Ebenda. S. 516 204 Susann Heenen-Wolff, Im Land der Täter. Gespräche mit überlebenden Juden ( Frankfurt/Main 1994 ) 182 205 Janina Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. Ein Überlebensbericht. Deutsche Ausgabe ( München 1986 ) 105 206 Gilbert, The Holocaust. S. 388 - 389 207 J. Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. S. 117 208 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 518 200

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retten. War die Situation derart „stabilisiert“, teilte man die verbliebene Gemeinde wiederum in zwei Teile, und so weiter. Moses Merin, Präsident des Zentralen Ältestenrates für OstOberschlesien traf am Vorabend der ersten Deportationen seine erste Entscheidung: „Ich scheue mich nicht, 50 000 von unserer Gemeinde zu opfern, um die übrigen 50 000 zu retten.“209 In Warschau sollte „der vorletzte Akt der Tragödie“210, die „Registrierung“ für die letzte Deportationswelle der übrigen 120-130 000211 nicht-arbeitenden Personen, hauptsächlich nach Treblinka II212, vom 6. bis zum 12.September stattfinden. 54 000 Menschen wurden unter der Aufsicht von nur 50 SS-Männern und je 200 Ukrainern und Letten213 deportiert, mehr als 2600 erschossen oder nahmen sich das Leben. 214 Nach der „Aktion“ war die Ghettobevölkerung von 380 000 auf 70 000 gesunken; insgesamt 310 322 Bewohner waren deportiert worden. 215 Nach den Deportationen war das Ghettogebiet erneut drastisch verkleinert, einige Fabriken und Gebäude blieben außerhalb der Mauern und wurden mit Stacheldraht umgeben, die NS-Behörden beschränkten die Zahl der noch geduldeten Personen auf 35 000 (zuzüglich 20 000 bis 30 000 Illegaler)216 Angesichts dieser Situation mußten die Ghettoinsassen handeln. „In dieser Zeit wurden die Vorbereitungen für einen bewaffneten Aufstand verstärkt.“ 217 Angesichts der für Imformierte mittlerweile erkennbaren Deportation aller Ghettobewohner in absehbarer Zeit schlossen sich im Warschauer Ghetto einige der Überlebenden wie Hilberg schreibt „in letzter Minute zum Widerstand“218 zusammen. Schon am 23.Juli, dem Tag von Czerniakows Selbstmord, hatte man im Judenrat über unverzüglichen und bedingungslosen Widerstand beraten. Angesichts der damals noch nicht vollständig klaren zeitlichen Absicht der Großdeutschen wurden die Anhänger des Widerstands niedergestimmt. Durch offenen Widerstand würde die Liquiderung des Ghettos zweifellos beschleunigt, fürchtete man.219 Mit dem Abzeichnen des Endes des Ghettos wurden im September in den Ghettozeitungen und Blättern die Aufrufe zum Widerstand und die Aufklärung über die unfaßbaren NS-Verbrechen durch die Leitung des Zivilkampfes deutlich verstärkt.220 Im Herbst 1942 stand die jüdische Untergrundbewegung entschieden auf dem Standpunkt, im Falle neuer Anschläge des Okkupanten auf das jüdische Zentrum in Warschau mit der Waffe zu antworten. Die Jüdische Kampforganisation war sich dabei über die Kräfteverteilung im Falle einer solchen Konfrontation vollkommen im klaren, ebenso wie über die Konsequenzen, „...ihre Mitglieder aber waren zum ehrenvollen Tod entschlossen.“221 Nunmehr entfiel der Großteil der

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Ebenda. S. 519 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 57 211 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 530 212 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 58 213 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 531 214 J. Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. S. 131 215 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 531 216 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 58 217 J. Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. S. 130 218 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 520 219 Ebenda. S. 528 220 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 56 221 Wladyslaw Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in der Zeit der „Endlösung“ . Deutsche Ausgabe ( Frankfurt/Main 1987 ) 132 - 133 210

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registrierten Ghettobevölkerung auf das „kampffähige“ Alter von 20-39 Jahren. 222 In einem von der am 2.Dezember offiziell gegründeten ZOB223, der Jüdischen Kampforganisation in Warschau, herausgegebenen Aufruf vom 4.Dezember 1942 heißt es: „... Es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich der Nazismus zum Ziel gesetzt hat, alle Juden auszurotten.(...) Wir wollen angesichts des Untergangs kein Haufen Dreck, kein Gewürm sein!(...) Bereitet euch auf die Verteidigung des eigenen Lebens vor!(...)“224 „Wir wollen nicht unser Leben retten. Wir wissen, daß keiner von uns hier lebendig herauskommt, aber wir wollen die menschliche Würde retten.“ Arie Wilner, Jüdische Kampforganisation, Herbst 1942 225 Mitte Januar wird in eine neurerlichen Aufruf von der ZOB entschlossen festgestellt: „Jüdische Volksmassen! Die Stunde rückt näher! Ihr müßt bereit sein, Widerstand zu leisten! Kein Jude geht zum Waggon!“ 226 Die Organisation des Widerstands war komplex und wurde von unten nach oben aufgebaut. Zuerst wurde ein Jüdisches Nationalkomitee (ZKN) gegründet, um die zionistischen Gruppen und die Kommunistische Partei zusammenzuschließen. Sodann schuf man ein Koordinationskomitee (KK), um die Bundisten mit den bereits vereinigten Zionisten und Kommunisten unter ein Dach zu bringen. „Diese politische Verschmelzung war am 20.Oktober 1942 vollzogen“.227 Auch wurden am selben Tag die 22 parteigebundenen Kampfgruppen unter das Kommando des ZOB, des militärischen Arms des KK gestellt. Zwei Parteien, die nationalistischen Juden der Revisionistischen Partei mit ihren drei Irgun Zwai Leumi-Kampfgruppen und die orthodoxen Juden der Agudah ( ohne Kampfeinheiten ) blieben der neuen Widerstandsfront fern.228 Überdies hatte sich im Dezember auch der „Hilfsrat für Juden“ konstituiert, welcher Juden sowohl in- als auch außerhalb der Ghettos betreute und damit vor allem in Warschau auch bei der Erstellung gefälschter Dokumente erfolgreich tätig war.229 (Auch die politischen Parteien führten in den Jahren des Dahinvegetierens des Ghettos zahlreiche karitative Tätigkeiten aus)230 Nunmehr ging man daran, Verteidigungsanlagen zu bauen. Unter dem Vorwand des Baus von Luftschutzbunkern errichtete man einige hundert Erdbunker, die mit dem Kanalisationssystem verbunden waren. Gleichzeitg verhandelte man mit Volksgarde und Heimatarmee um Waffen. Die Volksgarde lieferte 25 Gewehre, die Heimatarmee Revolver, Gewehre, einige Maschinengewehre und etwa 1000 Handgranaten sowie Sprengstoff zur Herstellung von Minen. „Derart gerüstet, erwarteten die Juden den entscheidenden Schlag“.231 Von beachtlicher Bedeutung war auch die eigene Waffenproduktion, vor allem von Granaten und Zündflaschen.232 Bemerkenswerterweise dürften die Großdeutschen nahezu nichts von 222

Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 531 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 71 224 Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 133 - 134 225 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 71 - 72 226 Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 134 227 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 532 228 Ebenda. S. 532 229 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 64 230 Yisrael Gutman, The Jews of Warsaw, 1939 - 1943. Ghetto, underground, revolt ( Bloomington 1982 ) 123 231 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 533 - 534 223

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den Vorbereitungen gemerkt haben: „In retrospect we can see that because of their shortseightedness, the Germans failed to discern the secret organizational activities in the ghetto, preparations for the uprising, and the crystallization of the resistance forces“. 233 An dieser Stelle erscheint mir die Betonung eines Elements der Tragödie von Warschau besonders wichtig. Die wichtigsten Führer und Organisatoren des Ghettoaufstandes waren Menschen, welche die Möglichkeit hatten, ihr eigenes Leben zu retten, die zumeist über sichere Kontakte mit der polnischen Untergrundbewegung verfügten und die Aussicht hattn, unter der polnischen Bevölkerung den Krieg und damit den Nazi-Terror zu überleben. Die Führer der damaligen jüdischen Widerstandsbewegung in Warschau faßten den Entschluß zum bewaffneten Kampf - wie sich aus den angeführten Aufrufen und Aussagen erkennen läßt - vor allem aus ideellen Gründen und bereiteten sich selbst in moralischer Hinsicht darauf vor.

• „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr...“ ( April-Mai 1943 ) 234 Nach Himmlers Warschau-Besuch ( vor welchem im „arischen“ Stadtteil brutale Razzien durchgeführt worden waren )235 im Januar 1943 ordnete dieser an, weitere 8000 Ghettoinsassen zu deportieren. Von den restlichen Juden wollte er etwa 16 000 für seine Zwangsarbeitslager zurückbehalten.236 Diese „Januar-Aktion“ begann ohne Vorwarnung und überraschte die Verteidiger völlig. 6500 Juden wurden deportiert, über 1100 erschossen, ein großdeutscher Polizeihauptmann erlitt schwere Verletzungen. Zwar war die Menge der Waffen auf jüdischer Seite noch nicht sehr groß, dennoch entbrannte an manchen Stellen des Ghettos bereits ein erbitterter Kampf. 237 Ende Januar bildete das Ghetto schließlich schon keine territoriale Einheit mehr ( siehe Anhang ). Es war in vier gesonderte und voneinander getrennte Teile aufgespalten.238 Dieser Ghettowiderstand des Januar 1943 hatte eine ungeheure moralische und materielle Auswirkung auf die weitere Entwicklung der Situation ( überdies fiel er zeitlich mit der Vernichtung der 6.Armee in Stalingrad zusammen ); sie machte Mut, forderte zum Widerstand auf und die Polnische Heimatarmee überließ dem Ghetto daraufhin eine Vielzahl an Waffen.239 Der Zusammenstoß veranlaßte Himmler zum völligen Räumung des Judenviertels. Dieses solle „vollständig niedergerissen werden“.240( Die Durchführung von Himmlerschen Befehlen führte übrigens Ende Januar zu energischen Interventionen Franks, der offenbar seine Eingriffskomptenzen als Generalgoverneur schwinden sah)241 Nachdem sich auch die

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Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 142 Gutman, The Jews of Warsaw. S. 131 234 So lautete der Titel des Abschlußberichts über die Räumung des Ghettos von SS-Brigadeführer Jürgen Stroop ( „Stroop-Bericht“ ) 235 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 89 236 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 534 237 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 90 238 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259 239 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 91 - 92 240 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 535 241 Präg, Jacobmeyer (Hg.), Diensttagebuch. S. 601 233

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geplante Verlagerung der jüdischen Arbeitskräfte aus Warschau in den Distrikt Lublin trotz Direktive zur „scharfen Rationalisierung und Konzentration der Betriebe in den besetzten Räumen“242 ( die noch benötigten jüdischen Kräfte sollten dort und in Auschwitz/ I.G. Farben konzentriert werden) 243 verzögerte, begann die Aktion zur vollständigen Räumung des Warschauer Ghettos. „Am Palmsonntag, dem 18. April 1943, verbreiteten sich in Warschau Gerüchte, daß in den nächsten Stunden irgendeine große Polizeiaktion im Ghetto erfolgen sollte, worauf u.a. eine bedeutende Konzentrierung von kollaborierenden ukrainisch-lettischen Hilfsabteilungen [ diese waren im Zuge des Abzugs großdeutscher Polizeieinheiten aus dem Generalgovernement auf Anordnung Krügers Anfang 1943 verstärkt worden ]244 in der Stadt hindeutet. Am Abend (...) ging ich in die Nähe der Ghettomauer und bemerkte dort eine verstärkte Bewegung von Polizeipatrouillen.“245 Die Vorbereitungen der Großdeutschen, die „essentially nothing“246 über die Vorgänge im Ghetto ahnten, wurden auch von den Spähern der Jüdischen Kampforganisation wahrgenommen. Die alarmierten Kampfgruppen, Männer und Frauen247, ( siehe Anhang ) bezogen noch in der Nacht ihre vorbereiteten Stellungen im Ghetto, die Zivilbevölkerung begab sich in die Schutzräume.248 Die Räumungskommandos hatten ihre Kräfte für die Räumung des Ghettos konzentriert und sich auch des Beistands der Wehrmachts-Oberfeldkommandantur Warschau versichert. Am ersten Tag der Aktion übernahm SS-Brigadeführer Jürgen Stroop den Oberbefehl über die bereitstehenden Einheiten am Ghettorand.249 Im folgenden werden Passagen aus dem in menschenverachtendem und rassistischem Ton verfaßten Bericht Stroops nach der Räumungsaktion wörtlich zitiert und entsprechend hervorgehoben: „Ich selbst traf am 17. April 1943 in Warschau ein und übernahm die Führung der Großaktion am 19.4.1943 um 8.00 Uhr, nachdem die Aktion selbst schon um 6.00 Uhr an diesem Tage begonnen hatte.“250 ( Die Perspektive Stroops erscheint aufgrund ihrer verzerrten Sicht der Ereignisse bemerkenswert: So sprach er etwa später in Haft von einem „freiwilligen Verlassen des Ghettos [ durch die Juden ] im Juli 1942“)251 Am 19. April 1943 um 3 Uhr morgens wurde der jüdische Wohnbezirk umstellt, drei Stunden später drang die Waffen-SS mit insgesamt 16 Offizieren und 850 Mannschaften252 über die Zamenhofa-Straße ein. Die Gesamtstärke der regulären SS-, Polizei, Wehrmachts- und ausländischen Unterstützungseinheiten umfaßte 2054 Soldaten und 36 Offiziere. „The Panzer Grenadier included armored vehicles and some light French tanks, and the arms issued to the

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Ebenda. S. 612 Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 318 244 Präg, Jacobmeyer (Hg.), Diensttagebuch. S. 605 245 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 97 246 Gutman, The Jews of Warsaw. S. 371 247 Kazimierz Moczarski, Gespräche mit dem Henker. Des Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau. Deutsche Ausgabe ( Düsseldorf 1978 ) 206 248 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 97 - 98 249 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 535 250 Stroop-Bericht: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr“ ( Darmstadt - Neuwied 1976 ) 4 251 Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 203 252 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 98 243

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German troops - above and beyond standard personal weapons - included cannons, flamethrowers, anti-aircraft weapons and heavy machine guns“.253 Die vorrückenden Trupps wurden von den 220 Verteidigern254 mit konzentriertem Feuer empfangen, Brandflaschen neutralisierten den ersten Panzer. Unter Verlusten mußten sich die Angreifer zurückziehen, „ohne einen einzigen Menschen auf den Umschlageplatz gebracht zu haben“. 255 Stroop: „Beim ersten Eindringen in das Ghetto gelang es den Juden und den polnischen Banditen, durch einen vorbereiteten Feuerüberfall die angesetzten Kräfte, einschließlich Panzer- und Schützenpanzerwagen zurückzuschlagen.“256 Am Vormittag startete man einen neuerlichen Vorstoß, in Gruppen zu 36 Mann, dazu je ein Offizier oder Unteroffizier257, diesmal systematisch, Haus um Haus. Die jüdischen Verteidiger hielten den Angriff mit Maschinengewehren nieder, die SS-Einheiten mußten sich in der Nacht erneut zurückziehen ( die SS-Panzergrenadiere und Kavalleristen hatten vorher eine lediglich 3 - 4 wöchige Grundausbildung erfahren258, die gutausgebildeten Kräfte waren kurz zuvor abgezogen worden) 259 Die jüdischen Verteidiger hatten den Vorteil, aus ausgebauten und weitgehend uneinsehbaren Stellungen operieren zu könne, die Angreifer mußten sich demgegenüber beim Vorgehen exponieren.260 „Sie kämpften verbissen.“ Jürgen Stroop über die Warschauer Juden261 Am 20. Und 21. April wurden trotz Artillerieunterstützung durch die Wehrmacht262 wiederum nur geringe Fortschritte erzielt. Stroop war, wie er später erzählte, „hochgradig nervös“ und „voll Sorge um den Ausgang eines weiteren Angriffs“.263 Nunmehr griff überdies auch eine etwa zwanzigköpfige Kampfgruppe der Polnischen Heimatarmee in die Kämpfe ein, versuchte die Ghettomauer zu sprengen, wurde jedoch zurückgeschlagen. „Die erste polnische Kampfhandlung hatte also eher moralische als militärische Bedeutung.“264 Drei SS-Offiziere schlugen einen Waffenstillstand und Abtransport der Verwundeten vor, „die Aufständischen [für Stroop „Banditen“] schießen auf die Offiziere, treffen aber nicht.“265 Der bewaffnete Widerstand der Juden hatte die Menschenmassen des Ghettos auf die Straße gebracht. Vor allem in der Bonifraterska Straße, von wo man die beiden Fahnen, jene der 253

Gutman, The Jews of Warsaw. S. 366 Hannah Krall, Schneller als der liebe Gott. Deutsche Erstausgabe ( Frankfurt/Main 1980 ) 111 255 Ebenda. S. 112 256 Stroop-Bericht. S. 4 257 Moczarski, Henker. S. 203 258 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 535 - 536 259 Präg, Jacobmeyer, Diensttagebuch. S. 681 260 Gutman, The Jews of Warsaw. S. 372 261 Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 205 262 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 99 263 Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 202 - 203 264 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 100 265 Krall, Schneller als der liebe Gott. S. 112 254

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Polen und die der Juden, nebeneinander am umkämpften Muranowski Platz sehen konnte. Am 20. wurden die beiden Fahnen durch die SS unter Verlusten heruntergerissen. Inzwischen waren Informationen über den Kampf der Juden gegen die Besatzer auch nach außen gedrungen und die übrige Bevölkerung Warschaus hatte Anteil am Schicksal der hart bedrängten jüdischen Kämpfer.266

„Die haben vielleicht geschrien, als sie geröstet und gebraten wurden! Und wie gern sie sich gefangennehmen ließen! Ein Teil verübte allerdings Selbstmord, aber den Rest haben wir umgehend in die Waggons getrieben, und ab nach Treblinka!“, erklärte Stroop noch Jahre später in seiner Warschauer Haft.267 Am 22. April standen mehrere Teile des Ghettos in Flammen, viel Menschen versuchten sich durch einen Sprung aus dem Fenster zu retten. Nachdem sich zahlreiche Kämpfer in die Kanalisation zurückgezogen hatten, versuchte die SS, diese unter Wasser zu setzen, was nur teilweise gelang. 268 Nach dem 22. April erhöhte sich die Zahl der gefangenen und getöteten Juden beträchtlich. Systematisch wurden nun Abwasserkanäle und Erdbunker von den Großdeutschen in die Luft gesprengt, Gefangene zur Preisgabe von Geheimverstecken gezwungen; auch verfügten die Räumkommandos über Horchgeräte und fanden die Menschen in den Kellern.269 Der jüdische Befehlshaber, Mordechai Anielewicz, versuchte vergeblich, zu schweren Waffen und Sprengstoff zu kommen.270 Stroop: „Es gab besondere Bunker für arme und reiche Juden. Das Auffinden der einzelnen Bunker durch die Einsatzkräfte war infolge der Tarnung außerordentlich schwierig und in vielen Fällen nur durch Verrat seitens der Juden möglich.“271 Angesichts der immer bedrohlicher werdenden Entwicklung versuchten nun viele Juden, über die Kanalisation aus dem Ghetto zu entkommen, worauf Wehrmachtspioniere mit der Sprengung der Einstiegslöcher antworteten. Stroop: „Zahlreiche Juden, die nicht gezählt werden konnten, wurden in Kanälen und Bunkern durch Sprengungen erledigt.“272 Im Mai war das Ghetto ein einziges Flammenmeer, „die Reihen der Juden lichteten sich rapide“.273 Am Ende der ersten Mai-Woche gab es noch einen Brennpunkt jüdischen Widerstands in der Mila-Straße 18, wo sich 120 Kämpfer unter dem Kommando von Anielewicz verschanzt hatten, bis die Großdeutschen mit Gas anrückten...274

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Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 101 - 102 Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 208 268 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 537 - 538 269 Krall, Schneller als der liebe Gott. S. 116 270 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538 271 Stroop-Bericht. S. 7 272 Ebenda. S. 9 273 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538 274 Gutman, The Jews of Warsaw. S. 564 - 565 267

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„Unsere letzten Tage sind nahe, aber solange wir noch Waffen in den Händen haben, werden wir kämpfen und Widerstand leisten“. Mordechai Anielewicz, Warschau, 26.April 1943 275 Stroop: „Der von den Juden und Banditen geleistete Widerstand konnte nur durch energischen unermüdlichen Tag- und Nachteinsatz der Stoßtrupps gebrochen werden.“276

Am 8. Mai beging Anielewicz und sein Stab, von der SS umstellt, Selbstmord277, er sollte die Kapitulation des Großdeutschen Reiches genau zwei Jahre später nicht mehr erleben. In Nachtpatrouillen wurden nun die restlichen jüdischen Erbunker systematisch zerstört, Mitte Mai gab es nur noch vereinzelte Schießereien. Die Juden waren überwältigt. „Am 16. Mai um 20.15 ließ (...) Stroop, als Zeichen dafür, daß der Warschauer Ghettokampf beendet war, die im ‘arischen’ Teil gelegene Tlomacki-Synagoge in die Luft sprengen.“ 278 Die Beute der Eroberer enthielt neuen Gewehre, 59 Pistolen, mehrere hundert Granaten, Sprengstoff und Minen. Der Rest der jüdischen Ausrüstung war zerstört worden. Die Verluste bei SS und Wehrmacht betrugen 16 Tote ( 15 Großdeutsche, ein Pole)279 und 85 Verwundete.280 ( Im ganzen Jahr 1942 hatten die gesamten NS-Polizeikräfte des Generalgovernements insgesamt 86 Tote und 139 Verwundete zu verzeichnen ! )281 Stroop: „Je länger der Widerstand andauerte, desto härter wurden die Männer der Waffen-SS, der Polizei und der Wehrmacht, die auch hier in treuer Waffenbrüderschaft unermüdlich an die Erfüllung ihrer Aufgaben herangingen und stets beispielhaft und vorbildlich ihren Mann standen. (...) Die Großaktion wurde am 16.5.1943 mit der Sprengung der Warschauer Synagoge um 20.15 Uhr beendet“282 Wie indoktriniert von der NS-Propaganda ein Mann wie Jürgen Stroop gewesen sein muß, zeigt seine in der Haft getätigte Aussage: „Wer damals ein wahrer, das heißt ein starker Mensch sein wollte, der mußte so handeln wie ich. Gelobt sei, was hart macht!“ (HENKER 210) Nach der endgültigen Niederschlagung jeglichen Widerstands standen für die Nationalsozialisten noch zwei Dinge an: Die von Himmler im Januar befohlene „Niederreißung“ und die anschließende Verwandlung des ehemaligen Ghettoareals in einen Park. Die Arbeit sollten Polen und KZ-Häftling erledigen.283 Die endgültige Zerstörung des Warschauer Ghettos ging mit einer gleichzeitigen Verschärfung des Terrors gegen die polnische Intelligenz in Warschau und dem 275

Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 105 Stroop-Bericht. S. 9 277 Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 106 278 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538 279 Stroop-Bericht. I 280 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 539 281 Präg, Jacobmeyer (Hg.), Diensttagebuch. S. 605 282 Stroop-Bericht. S. 10 283 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 539 276

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restlichen Generalgovernement einher. Das ehemalige Ghettogelände fungierte hier als Hinrichtungsstätte. „Diese terroristischen Maßnahmen bewirkten gerade das Gegenteil dessen, was sie bezweckten. Nach dem Warschauer Vorbild ging im Juni die jüdische Jugend zum Widerstand gegen die Deutschen in Lemberg und Tschenstochau über und am 3. August in Bedzin; am 16. September brach ein größerer jüdischer Aufstand in Bialystok aus (...)! Auch die unglücklichen, am Leben verbliebenen Insassen der Lager Treblinka und Sobibor rafften sich zu einer Tat auf, in diesen beiden Vernichtungslagern fanden am 2. August und am 14. Oktober 1943 bewaffnete Aufstände statt.“ 284 Ungeachtet der Vorbildwirkung war die Bilanz für die Warschauer Juden furchtbar. Viele Tausend waren in den Trümmen umgekommen, 56 065 hatten sich ergeben. 7000 der gefangengenommenen Juden wurden erschossen, weitere 7000 wurden ins Todeslager

Treblinka gebracht; 15 000 traten den Weg ins Konzentrationslager und Tötungszentrum Majdanek/Lublin an, der Rest verschwand in Arbeitslagern...285 Als der Aufstand im Warschauer Judenghetto sich seinem tragischen Ende genähert hatte, hatte man zwei Flaggen nebeneinenader am Dach eines Warschauer Gebäudes gehißt. Die eine war weiß und blau, die andere weiß und rot. Den jüdischen Kämpfern verblieben nur noch ein paar Stunden ihres Überlebens, als sie dem polnischen Volk ihre Botschaft brachten: „Wir senden euch unsere brüderlichen Grüße mitten aus den Flammen und dem Blut des ermordeten Warschauer Ghettos...Der Kampf, der hier geführt wird, ist ein Kampf um eure Freiheit und die unsrige. Um unser aller menschliche, gesellschaftliche und nationale Ehre und Würde...Lang lebe die Bruderschaft der Waffen und des Bluts eines kämpfenden Polens...“286

V. Die Ermordung der Warschauer Juden im Lager Treblinka „...Wir - die in den Gaskammern Erstickten und die in Seife verwandelten, Seife, die weder die Spuren unseres Blutes noch das Schandmahl der an uns begangenen Sünden abwäscht. Wir, deren Gehirne an die Wände unserer elenden Wohnlöcher gespritzt sind und an die Mauern, an denen man uns in Massen erschoß, nur weil wir Juden waren...“ Julian Tuwim, „Wir - die polnischen Juden“ 287 In der Geschichte der großdeutschen Konzentrationslager (KZ) können etwa drei große Entwicklungsabschnitte unterschieden werden: 284

Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 107 - 108 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538 - 539 286 Wiesenthal, Recht, nicht Rache. S. 267 287 Karin Wolff (Hg.), Hiob 1943. Ein Requiem für das Warschauer Ghetto ( Neukirchen 1983 ) 288 285

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1. 1933 bis Kriegsausbruch mit etwa 3 großen ( je 20 000 Häftlinge ) und 25 kleinen KZ ( je 1000 ) mit insgesamt 85 000 Inhaftierten 2. Herbst 1939 bis 1942 mit etwa 16 großen ( je 20 000 ) und 50 kleineren ( je 1000 ), insgesamt also fast 400 000 Häftlingen 3. 1943 bis Frühjahr 1945 mit etwa 20 großen ( je 25 000 ) und 65 kleineren ( je 1500 ), insgesamt somit rund 600 000 Häftlingen288 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist insbesondere eine Betrachtung der Lager des Generalgovernements, und hier wiederum jener Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“ ( der genaue Zeitpunkt der Entstehung des Tarnnamens ist auch heute noch nicht vollständig geklärt )289 vonnöten. Im Rahmen der Deportation der Warschauer Juden ist natürlich eine gesonderte Analyse des Vernichtungslagers Treblinka erforderlich. Die beiden vielleicht bekanntesten weil räumlich wie auch ihrer personellen Ausstattung nach großen Lagerkomplexe Auschwitz-Birkenau und Majdanek/Lublin hatten eine Doppelfunktion. Sie waren sowohl Konzentrationslager wie Vernichtungsanstalten. Im Vergleich dazu handelte es sich bei Belzec, Sobibor, Chelmno und auch Treblinka um kleine Anlagen, die „mit einem relativ geringen Personalaufwand eingerichtet und in Betrieb gehalten wurden und die ausschließlich zur Tötung einer Vielzahl jüdischer Menschen mittels Giftgas dienten“.290 „Die Vernichtungszentren arbeiteten rasch und wirkungsvoll: Ein Mensch stieg am Morgen aus dem Zug, am Abend war sein Leichnam verbrannt, seine Kleidung für den Transport nach Deutschland verpackt. (...) Oberflächlich betrachtet wirkt dieser reibungslos funktionierende Apparat täuschend einfach, doch bei näherer Untersuchung gleichen die Operationen des Vernichtungszentrums in mehrerer Hinsicht den komplexen Massenproduktionsmethoden einer modernen Fabrik“. 291 Die Konzentrations- und Vernichtungslager lagen organisatorisch in differenten Kompetenzbereichen. Während Auschwitz und Majdanek dem SSWirtschaftsverwaltungshauptamt unterstanden, fielen die Lager der „Aktion Reinhard“ in den Verantwortungsbereich des SS- und Polizeiführers in Lublin, SS-Brigadeführer Globocnik ( und dessen übernommenen T4-Vernichtungsapparat)292, und der Kanzlei des „Führers“. Globocnik ging an die Erfüllung seines Mordauftrags generalstabsmäßig heran. „Seine Mission umfaßte den Bau der Vernichtungslager, die Planung und Koordination der Deportationen in die Todesfabriken, den Raub und die Sicherstellung von Hab und Gut der Opfer und schließlich die physische Vernichtung“.293 Die Verantwortung für den Betrieb des Vernichtungslagers Chelmno teilten sich der Höhere SS- und Polizeiführer und der Gauleiter im damaligen Reichsgau Wartheland. Die enge personelle und organisatorische Verflechtung der drei Lager der „Aktion Reinhard“ und die zwischen ihnen und dem Lager Chelmno sichtbaren Parallelen einerseits,

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Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. 18. Auflage ( München 1988 ) 176 289 Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno ( München 1977 ) 37 290 Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 28 - 29 291 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 927 292 Zentner, Bedürftig, Lexikon des Dritten Reiches. S. 20 293 Peter Przybylski, Täter neben Hitler. Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge ( Berlin 1990 ) 423 37

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andererseits die zu Auschwitz und Majdanek feststellbaren Unterschiede werden von Experten betont, sind aber nicht Gegenstand dieser Arbeit.294

Die Koordinierung der der beschlossenen Maßnahmen der Judenliquidierung, also auch die Räumung des Warschauer Ghettos, dürfte von der Hauptabteilung „Aktion Reinhard“ nach Inbetriebnahme der ersten Vernichtungslager Anfang 1942 offenbar nicht zur vollen Zufriedenheit erledigt worden sein. Im Juli/August des Jahres erfolgte ein umfangreiches Revirement - alle Lagerkommandanten wurden ausgewechselt, Wirth zum Inspekteur der Sonderkommandos.295 „Aus dem Generalgovernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die Juden nach dem Osten abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig...“ Goebbels-Tagebuchnotiz, 27. März 1942296 Mit der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in den Ghettos war die vollständige materielle Entblößung der Juden noch nicht beendet. Die riesigen Mengen der von den in Massen getöteten Juden hinterlassenen Kleidungsstücke wurden gesammelt und verwertet: • Barbeträge wurde auf ein spezielles Konto der Reichsbank in Berlin eingezahlt • Devisen, Schmuck, Zahngold waren an das Wirtschaftverwaltungshauptamt abzuliefern • Uhren, Wecker, Taschenmesser und -lampen, bis hin zu Geldbörsen wurden instandgesetzt und der Fronttruppe zugeführt • Männerkleidung kam an KZ-Insassen und die kämpfende Truppe297 An dieser Stelle sollten nur einige Beispiele exemplarisch herausgegriffen werden, die Liste wäre noch lange fortzuführen. Nicht vergessen werden dürfen überdies die von den Juden in Warschau als größtem Ghetto zurückgelassenen Mengen an immobilen Wertgegenständen, primär Möbel. Diese wurden in der Wildstraße 51 in SS-Magazinen gesammelt, „SS-Mitglieder der Aussiedlungskommission wurden reich dadurch“.298 Zynisch erscheint die abschließende Direktive Franks bezüglich der Wiederverwendung der Habe der getöteten Juden: „ Es ist streng darauf zu achten, daß bei allen zur Abgabe kommenden Kleidern und Überkleidern der Judenstern entfernt wird.“299 Dieser Zynismus, gepaart mit dem administrierten industriellen Massenmord, ist tatsächlich einmalig in der Menschheitsgeschichte. „Nie zuvor waren Menschen wie ‘am Fließband’ umgebracht worden.“300 Die Geschichte der Vernichtungstätte Treblinka, Distrikt Warschau, in seiner hier behandelten Form begann Anfang 1942. Die Zentralbauleitung des Distrikts arbeitete zusammen mit zwei Bauunternehmen, Schönbrunn aus Liegnitz und Schmidt und Münstermann ( Erbauer der Ghettomauer ) aus Warschau selbst an der Fertigstellung des Lagers, welches Götz Aly als 294

Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 29 Ebenda. S. 73 296 Ebenda. S. 104 297 Ebenda. S. 109 - 110 298 Kogon, SS-Staat. S. 248 299 Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 111 300 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 927 295

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„Filiale“ von Belzec bezeichnet.301 Arbeitskräfte für den Bau von Treblinka wurden aus dem Warschauer Ghetto herangezogen. Wiederum wird ein fast unfaßbarer Zynismus sichtbar - Juden bauen ihre eigene Vernichtungsstätte.( Zu untersuchen wäre hier auch die Rolle der Reichsbahn, welche vor Beginn der Massentötungen die Gleisanschlüsse ins Lager errichtet hatte )302 Auch griff man auf die Materialbestände des größten Ghettos zurück, darunter Schalter, Nägel, Kabel und Tapeten. Am 11.Juli 1942 (die Deportationen aus Warschau begannen am 22. dieses Monats ) war das Vernichtungslager Treblinka, das primär der Vernichtung der Warschauer Juden dienen sollte303, fertiggestellt304, der „Betrieb“ wurde vom Euthanasiepersonal Wirths gewährleistet.305 Dieses Lagerpersonal bestand aus 35 bis 40 großdeutschen SS-Männern und 90 bis 120 Ukrainern, die primär für Wachdienste eingesetzt wurden. Das gesamte Lagerpersonal unterstand dem Lagerkommandant.306 In Bezug auf die Geheimhaltung der Deportationen in des „neue“ Lager hielt es die SS im besetzten Polen für überflüssig, die Bevölkerung von den Zügen fernzuhalten.“Auch deutsche Soldaten begegneten auf der Fahrt zur Front oder in die Heimat Deportationszügen“.307

Das Gelände des Lagers Treblinka war relativ klein - etwa 600 Meter lang und rund 400 Meter breit, mit etwa 4 Meter hohem Stacheldraht mit Reisigtarnung umgeben. Dahinter lag ein cirka 3 Meter breiter Graben, dann 50 Meter freies Gelände, dann wiederum Stacheldraht und „Spanische Reiter“. An allen vier Ecken des Areals standen 8 Meter hohe Wachtürme.308 Die Anlage war ähnlich wie in den anderen Lagerkomplexen dieses Typus: Baracken für das Wachpersonal, ein Gelände, auf dem die Juden abgeladen wurden, eine Auskleidestation und ein Sförmiger Durchgang, umzäunt mit fast zwei Meter hohem Stacheldraht.309 Die Gaskammern, als Duschen getarnt, waren nicht größer als mittelgroße Räume, aber während der Vergasungen waren sie bis an den Rand ihrer Kapazität gefüllt ( Die Opfer sollten in der Tat bis zum Ende getäuscht werden und an eine echte „Umsiedlung“ glauben - In Treblinka war zu diesem Zweck sogar eine Bahnhofskulisse mit Blumenkistchen errichtet worden )310 Anfangs hatte kein Lager mehr als drei solcher Kammern. In Treblinka soll sich von Anfang an ein Dieselmotor als Vergasungsmaschine befunden haben, so Hilberg.311 Zur Aufnahme der Getöteten diente riesige Gruben, erst später ( Frühjahr 1943 ) ging man zu Verbrennungen über.312 Im Zuge der Deportationen aus dem Warschauer Ghetto trafen in Treblinka ab Sommer 1942 soviele Transporte ein, daß völlige Überfüllung eintrat und sich die neuangekommenen Deportierten Bergen von unverbrannten Leichen gegenübersahen. Zwischen Juli und September wurden Treblinka, Sobibor und Belzec erweitert. „Massive Bauten, in Belzec aus Stein und in 301

Aly, „Endlösung“. S. 359 Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. S. 92 303 Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 200 304 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 940 -941 305 Ebenda. S. 957 306 Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 206 - 207 307 Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. S. 139 308 Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Konzentrationslager. S. 200 309 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 941 310 Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. S. 93 311 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 941 312 Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 204 - 205 302

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Treblinka aus Ziegeln, die in jedem Lager mindestens sechs Gaskammern enthielten, traten an die Stelle der alten Anlagen.“ 313, auch diese mit der Aufschrift „Zur Badeanstalt“ versehen.314 Die Vorderwand des Gasbaus von Treblinka war mit einem Davidstern „verziert“, auf dem in hebräischer Schrift geschrieben stand: „Dies ist das Tor, durch das die Gerechten schreiten.“315 Für die Deportation der Warschauer Juden ist auch das Konzentrationslager Majdanek/Lublin kurz betrachtenswert. Ende 1942 wurden in diesem Lager des Wirtschaftsverwaltungshauptamts wöchentlich mehrere hundert Menschen in zwei Gaskammern getötet. Nach dem Warschauer Ghettoaufstand im Mai 1943 erfuhr das Lager einen beträchtlichen Zustrom von Warschauer Juden, mehrere Tausend von ihnen wurden vergast. Nachdem Majdanek/Lublin die Verwaltung der SS-Arbeitslager Trawniki und Poniatow übernommen hatte, wurden an allen drei Orten im November 1943 Massenerschießungen durchgeführt.316 Für Warschau ist an dieser Stelle bemerkenswert, daß die Lagerwachen aus Globocniks SS-Ausbildungslager Trawniki oft dem gleichen Reservoir entstammten, „das die Ghettowachleute und 1943 einen Teil der Soldaten stellte, die den Warschauer Ghettoaufstand niederschlugen“.317 ( Als Folge des Kampfes in Warschau hatten die Großdeutschen übrigens ihre Taktik bei den Räumungen geändert und nunmehr immer ein großes Potential an bewaffneten Einheiten, „für alle Fälle“ sozusagen, zur Verfügung )318

Die Brutalität des Warschauer Aufstandskampfes ist bislang hinlänglich geschildert worden, nicht vergessen werden darf aber auch die nicht weniger inhumane Behandlung der Ghettoinsassen bei Abtransport, Fahrt ins Lager und Ankunft. Menschenjagd mit Hunden gehörte dazu, das Herausschleppen Schwerkranker, die Mißhandlung von Kindern, die willkürliche Tötung Wehrloser. Um die Juden willfährig zu machen, wurde brutaler Terror institutionalisiert, die Wasserzufuhr für das Ghetto gekappt, die Lebensmittelrationen im Ghetto gedrosselt, jene für Deportationswillige jedoch erhöht.319 „Die Fahrt war grauenhaft. Dichtgedrängt kauerten wir in den Waggons, Kinder weinten, Frauen wurden irrsinnig. Wir kamen am nächsten Tag gegen drei Uhr nachmittags an. Die Bahnstation trug eine große Aufschrift ‘Arbeitslager Treblinka’. Von dort wurde der Zug auf einem Sondergleis in den Wald gefahren; (...) An dieser Endstelle bot sich uns ein schauerliches Bild: Hunderte von Leichen lagen umher. (...) Wir wurden aus den Waggons getrieben, deutsche und ukrainische SS-Männer stiegen auf die Dächer und schossen wahllos in die Menge.“320 Auch nach den großen Massenselektionen und -deportationen des August 1942 konnten die Warschauer Juden die Dimension der Ereignisse noch nicht vollständig abschätzen. „Von denen, die uns verlassen hatten, kamen keine Nachrichten mehr. Wir ahnten das Schlimmste. Indessen trafen vereinzelt Flüchtlinge ein, denen es gelungen war, aus Treblinka zu 313

Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 942 Kogon, SS-Staat. S. 238 315 Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 942 316 Ebenda. S. 941 - 942 317 Ebenda. S. 961 - 962 318 Gutman, The Jews of Warsaw. S. 426 - 427 319 Kogon, SS-Staat. S. 248 320 Ebenda. S. 237 314

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entkommen. Unter ihnen befand sich ein junger jüdischer Journalist, Jakob Rabinowicz (...) In einer Versammlung jüdischer Jugend berichtete er genau, was er als Mitglied des Bergungskommandos in Treblinka gesehen und erlebt hatte, und über die Massenmorde, die Erschießungen und Vergasungen. Er fand keinen Glauben, wir konnten es nicht fassen...“321

Gemäß Stroop-Bericht sind in der Zeit vom 22. Juli 1942 bis zum 3. Oktober des Jahres rund 310 000 und in der Zeit von Januar bis Mitte Mai 1943 rund 19 000 Juden aus dem Warschauer Ghetto in Güterzügen nach Treblinka gebracht worden. Abgesehen von den Warschauer Juden sind rund 271 000 Menschen ins Lager deportiert worden. Die Zahl der in Treblinka getöteten Personen, überwiegend Juden, in geringerem Maße auch Zigeuner, kann insgesamt auf mindestens 700 000 Menschen geschätzt werden. 322 Der großdeutschen Okkupation und der Ausrottungspolitik des Dritten Reiches sind 2,4 Millionen Polen zum Opfer gefallen - ohne die an den Fronten erlittenen Verluste zu berücksichtigen. 3 Millionen polnischer Juden 323 ( davon rund 500 000 in den Ghettos wie Warschau )324 waren jedoch Opfer einer in der Geschichte der Menschheit beispiellosen Aktion der planmäßigen Ausrottung eines ganzen Volkes. Ihr Martyrium ist ein untrennbarer Teil der Geschichte des heutigen Österreich, wo sie lebten, so wie es Teil der jüdischen und der Weltgeschichte ist. Von den heute lebenden Generationen wird es abhängen, inwieweit man das Geschehene nutzbringend verarbeitet um den Kräften des Trennenden egal auf welcher gesellschaftlichen und nationalen Ebene mit jenen des konstruktiven Dialogs zu begegnen.

VI. Schlußbetrachtung „Die Endlösung in der Judenfrage war etwas Neues und noch nie Dagewesenes“325 Die Ghettoisierung und Vernichtung der europäischen Juden sollte im Rahmen der vorliegenden Seminararbeit am Beispiel Warschaus in begrenztem Rahmen dargestellt werden. Doch was bleibt? Die vielzitierte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ist in Österreich bis heute weitestgehend nicht gelungen. Woran mag es liegen, möchte man fragen. Liegt es an der eingangs behandelten Täterstruktur der Großdeutschen - und damit der österreichischen Gesellschaft, die es „Hitler’s willing executioners“, „ordinary Germans“, wie Goldhagen sie nennt, ermöglichte, 1945 fast vollständig nahezu unerkannt wieder in diese unsere heutige Gesellschaft einzutauchen? War die jahrhundertealte strikt obrigkeitsstaatliche Tradition verantwortlich, um aus Menschen „kalte Mörder“ und „solch gehorsame Untertanen wie die Deutschen [ und damit auch die Österreicher!]“326 zu machen? Was kann Menschen dazu 321

Ebenda. S. 249 Rückerl, Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 198 - 199 323 Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 261 324 Przybylski, Täter neben Hitler. S. 427 325 Mosse, Geschichte des Rassismus in Europa. S. 256 326 Heenen-Wolff, Im Land der Täter. S. 29 322

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bewegen, die 10 000. Leiche in Euthanasie-Vergasungsanstalten „mit Blasmusik, Umzug und zusätzlichem Alkoholgenuß“327 zu feiern? Liegt das historische Selbstverständnis an einer bisweilen durch reflexionslose 328 Autobiographien oder solche mit „schönfärberischen Zügen“ von ehemaligen NS329 Spitzenrepräsentanten entstellte Geschichtsschreibung? Auch die Rolle der Wehrmacht muß im Sinne einer gesamten Korrektur des bisherigen Selbstbildes vor allem wegen ihrer Verbrechen, von denen viele nicht nur wußten, „sondern auch halfen“330, im Gedächtnis aller verankert werden. Wollen sich die Täter von gestern angesichts der Schwere der NS-Verbechen auch heute nicht mit ihrer Verantwortung für morgen auseinandersetzen? Selbst der Vorwurf des „Geschehenlassens“ 331 wiegt aus meiner Sicht schwer genug... Welche Dispositive aber hatten und haben die Opfer ( 1946 wurden in Polen 225- 240 000 überlebende polnische Juden von ehemals über drei Millionen registriert) ? 332 Auch sie haben Verantwortung zu tragen. Jeder dieser Menschen hatte eine individuelle Leidensgeschichte hinter sich, hatte jahrelange Demütigungen erlebt. Hinzu kam, im Unterschied zu den meisten nichtjüdischen Ghettoinsassen und Häftlingen, der Verlust von Angehörigen, des gesamten Hab und Gutes und der Heimat. „Keineswegs waren mit der Befreiung die Leiden und Qualen beendet“.333 Mit dieser Vergangenheit zu leben, erwies sich in der Folgezeit oft als überaus schwierig, in manchen Fällen als unmöglich. Viele „Befreite“ verfielen in Depressionen, hatten Alpträume und Selbstmordgedanken. Auch sie hatten überdies nunmehr neben der Bürde des Erlebten jene der Verantwortung nach Aufklärung über ihr Schicksal zu tragen, um ähnliches für alle Zukunft zu verhüten. Von einer kontextualen Gleichstellung des Verantwortungsbegriffs von Opfern und Tätern kann aber hier selbstverständlich nicht die Rede sein. „Die sich des Vergangenen nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es nocheinmal zu erleben“ Santayana 334 Die eingangs gestellte Frage nach dem „Morgen“ erscheint mir aus folgendem Grund relevant: Auschwitz, die Vernichtung der europäischen Juden ( für mich ist Warschau als integraler Bestandteil dieses Prozesses zu sehen ) signalisiert etwas einmaliges. Zwei komplementäre Arten der 327

Ernst Klee, Willi Dreßen, Nationalsozialistische Gesundheits- und Rassenpolitik. „Lebensunwertes Leben“, Sterilisation und „Euthanasie“ In: Ute und Wolfgang Benz, Sozialisation und Traumatisierung. Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus ( Frankfurt/Main 1992 ) 110 328 Paul Kohl, Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941 - 1944. Sowjetische Überlebende berichten ( Frankfurt/Main 1995 ) 327 329 Heinz Guderian, Erinnerungen eines Soldaten. 13. Auflage ( Stuttgart 1994 ), Erich von Manstein, Verlorene Siege. Erinnerungen 1939 - 1944. 12. Auflage ( Bonn 1991 ), Albert Speer, Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin - Wien 1969 ) 330

Kohl, Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941 - 1944. S. 327 Haffner, Anmerkungen zu Hitler. S. 138 332 Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 376 333 Angelika Königseder, Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DP’s ( Displaced Persons ) im Nachkriegsdeutschland ( Frankfurt/Main 1994 ) 16 334 William Lawrence Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Deutsche Sonderausgabe ( Bindlach 1990 ) XI 331

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Wahrnehmung lassen sich nunmehr beobachten. Die Betonung historischer Einmaligkeit und Unbegreifbarkeit einerseits, die Parallelisierung ( und damit Relativierung ) andererseits. „In beiden Momenten ist Wahrheit enthalten (...) Gleichwohl gibt es erkennbar besondere gesellschaftliche Bedingungen, die Auschwitz ermöglichten - und diese Bedingungen existieren über Auschwitz hinaus fort.“335 („Auschwitz“ wird von mir in diesem Zusammenhang als Synonym für die NS-Gewaltverbrechen an den Juden aber auch den Sinti und Roma gesehen ) Brauchen wir uns also angesichts dieser Feststellung nicht über die Genozid-Ausschreitungen in Bosnien oder Ruanda unserer Tage zu wundern? Vor allem in Bosnien wurden erstmals nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wieder offene Analogien zur ethnisch-konfessionellen Paranoia ( Slobodan Milosevic: „Die Serben sollten in Bosnien zu zweitklassigen Bürgern irgendeines islamischen Gottesstaates gemacht werden“ ) 336 und zum nationalsozialistischen völkischen Massenmord offenbar: Vier große Konzentrationslager ( die nicht mit den NSVernichtungslagern, sondern eher mit etwa britischen Detention camps aus dem Burenkrieg zu vergleichen sind ) wurden in Nordbosnien eingerichtet, „in denen die Insassen unter schrecklichen Bedingungen vegetierten und den sadistischen Launen ihrer Bewacher ausgeliefert waren“.337 Massenexekutionen - denkt man etwa an Srebrenica - in Stil und Dimension ( 6000 Tote ) durchaus mit jenen der großdeutschen Einsatzgruppen vergleichbar finden wieder statt. Sollen die nationalistischen, fremdenfeindlichen Ausschreitungen, Hoyerswerda, Rostock, Oberwart nach den Ereignissen des Holocaust als gleichsam naturgegeben hingenommen werden? Werden „Mangel an Produktivität und degenerierte äußere Erscheinung“338 wieder zu allgemeingültigen Parametern in der Bewertung der Staatsbürger? Kurz: Haben wir die Lektion von Warschau, „diesem Gipfelpunkt innerhalb der größten Tragödie in der Geschichte der Menschheit“339 tatsächlich gelernt?

Die Antwort fällt aus meiner Sicht leider eindeutig aus: Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus sind keine Dämonen von gestern. Diese drei Faktoren greifen zumeist stark ineinander und beinhalten somit jeder für sich heute ein beträchtliches Gefahrenpotential. Vor allem vor dem Hintergrund einer bisweilen gehörten und mit dem zeitlichen Abstand zum Holocaust immer lauter und indifferenzierter werdenden Losung „Ein neuer Hitler muß her!“ darf eine Wiederholung des Geschehenen nicht zugelassen werden. An dieser Stelle soll an die Feststellung Golo Manns erinnert werden, die Nazis hätten sich gar nicht auf das jüdische Volk, sondern auf Millionen einzelner Menschen gestürzt.340 Auch wurden nicht - wie revisionistische Stimmen bisweilen behaupten - in Nürnberg Taten bestraft, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung nicht strafbar gewesen seien. Die nationalsozialistischen Massenermordungen sind von jeher als Morde Verbrechen gegen 335

Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Überarbeitete Neuausgabe ( Frankfurt/Main 1994 ) 35 336 Slobodan Milosevic - Interview, „Der Schlüssel zum Frieden“. In: DER SPIEGEL 24/1996 140 - 145 337 Laura Silber, Allan Little, Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. Deutsche Bearbeitung: Walter Erdelitsch ( Graz - Wien - Köln 1995 ) 298 338 Mosse, Geschichte des Rassismus in Europa. S. 253 339 Wiesenthal, Recht, nicht Rache. S. 267 340 Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ( Frankfurt/Main 1992 ) 899 43

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das Leben gewesen...341 Eine humanistische, offene und ( im Sinne von unbarbarisch ) zivilisiertmoderne Gesellschaft sollte Freiheit, Toleranz und Demokratie als wohl kostbarste Güter des Gemeinwesens verstehen und nicht als ob der auch moralischen Verpflichtungen lästige Entbehrlichkeiten. Der Mensch hat, frei und gleich, im Mittelpunkt zu stehen... An dieser Stelle, angesichts des Themas des Seminartitels, „Modernität und Holocaust“, ein Wort zur Rolle der Moderne und der Technologie. Hier sollten uns Simon Wiesenthals Schlüsse in der Tat zu denken geben. Dieser konstatiert, die moderne Technologie und Bürokratie habe die praktischen Voraussetzungen für den Massenmord geschaffen, „von der partiell gelungenen ‘Endlösung der Judenfrage’ zur einer partiell gelingenden ‘Endlösung der Menschenfrage’.“342 Einzelne Menschen konnten numehr leicht, mit relativ primitiven technischen Mittel, zum Tod befördert werden. „Der millionenfache Mord der Nazizeit war aber erst auf der Grundlage moderner technischer Mittel möglich“343, die „Entdeckung der Anwendbarkeit des Zyklon-B gaben den ‘Endlösern’ die Mrdrmittel in die Hand“.344 Abschließend soll an dieser Stelle, in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der Situation der Warschauer Ghetto-Juden, Alexander Solschenizyn bei seiner Analyse des „Archipels GULAG“ zitiert werden: „Wenn diese Millionen hilfloser Kreaturen dennoch ihren Leben kein Ende gemacht haben, so heißt das, daß in ihnen iregendein unbesiegbares Gefühl, irgendeine starke Überzeugung lebte. Es ist die Überzeugung von der allgemeinen Schuldlosigkeit. Es war das Gefühl einer nationalen Heimsuchung...“345

VII. Bibliographie • Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden ( Frankfurt/Main 1995 ) • Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung ( Frankfurt/Main 1993 )

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Maser, Nürnberg. S. 537 Simon Wiesenthal, Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens ( Gerlingen 1988 ) 19 343 Ebenda. S. 19 344 Gerald Fleming, Hitler und die Endlösung. „Es ist des Führers Wunsch...“ ( Gütersloh 1982 ) 7 345 Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG. Deutsche Ausgabe ( Reinbek bei Hamburg 1988 ) 331 342

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• Götz Aly, Susanne Heim, Miroslav Karny, Petra Kirchberger, Alfred Konieczny, Sozialpolitik und Judenvernichtung. Gibt es eine Ökonomie der Endlösung? ( Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik:5 ) ( Berlin 1987 ) • Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. 8. Auflage ( München 1986 ) • Marion Badurek, Judenverfolgungen und nationalsozialistische Konzentrationslager im Zeitraum von 1933-1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1986 ) • Wladyslaw Bartoszewski, Das Warschauer Ghetto - wie es wirklich war. Zeugenbericht eines Christen. Erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1986 ) • Derselbe, Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in der Zeit der „Endlösung“ ( Frankfurt/Main 1987 ) • Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges ( Reinbek bei Hamburg 1995 ) • Janina Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. Ein Überlebensbericht. Deutsche Ausgabe ( München 1986 ) • Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Deutsche Ausgabe. 2. Auflage ( Hamburg 1994 ) • Ute und Wolfgang Benz (Hg.), Sozialisation und Traumatisierung. Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus ( Frankfurt/Main 1992 ) • Wolfgang Benz, Hans Buchheim, Hans Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus . Studien zur Ideologie und Herrschaft ( Frankfurt/Main 1993 ) • Charles Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus . Deutsche Ausgabe ( München 1974 ) • Christopher R. Browning, Dämonisierung erklärt nichts. In: DIE ZEIT 17/1996 o.S. • Derselbe, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen ( Reinbek bei Hamburg 1996 ) • Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Deutsche Sonderausgabe ( Rheda-Wiedenbrück - Wien 1995 ) • Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Überarbeitete Neuausgabe ( Frankfurt/Main 1994 ) • Adam Czerniakow, Im Warschauer Ghetto: Das Tagebuch des Adam Czerniakow 19391942. Deutsche Ausgabe ( München 1986 ) • Ebbo Demant (Hg.), Auschwitz - „Direkt von der Rampe weg...“ Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll ( Reinbek bei Hamburg 1979 ) • Dan Diner (Hg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit ( Frankfurt/Main 1987 ) • Klaus Drobisch, Rudi Goguel, Werner Müller, Horst Dohle, Juden unterm Hakenkreuz. Verfolgung und Ausrottung der deutschen Juden 1933-1945 ( Frankfurt/Main 1973 ) • Ein Volk von Dämonen? In: DER SPIEGEL 21/1996 48-77 • Gerhard Eitel, Versklavung und Vernichtung. Deutsche Unterdrückungspolitik in Polen 1939-1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1989 ) 45

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• Gerald Fleming, Hitler und die Endlösung. „Es ist des Führers Wunsch...“ ( Gütersloh 1982 ) • Naftali Fuss, Als ein anderer leben. Erinnerungen an die Nazizeit in Polen ( Frankfurt/Main 1994 ) • Martin Gilbert, The Holocaust. The Jewish tragedy ( Suffolk 1986 ) • Ralph Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg ( Hamburg 1989 ) • Daniel Jonah Goldhagen, Hitler`s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust ( New York 1996 ) • Sarah Gordon, Hitler, Germans and the „Jewish Question“ ( Princeton 1984 ) • Helge Grabitz, Wolfgang Scheffler, Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager Trawniki, Aktion Ernstfest. Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im Spiegel der historischen Ereignisse. 1. Auflage ( Berlin 1988 ) • Heinz Guderian, Erinnerungen eines Soldaten. 13. Auflage ( Stuttgart 1994 ) • Yisrael Gutman, The Jews of Warsaw, 1939-1943. Ghetto, underground, revolt ( Bloomington 1982 ) • Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler ( Frankfurt/Main 1981 ) • Susann Heenen-Wolff, Im Land der Täter. Gespräche mit überlebenden Juden ( Frankfurt/Main 1994 ) • Hannes Heer, „Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen“. Geständnisse deutscher Kriegsgefangener über ihren Einsatz an der Ostfront ( Hamburg 1995 ) • Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 19411944. 2. Auflage ( Hamburg 1995 ) • Helmut Heiber (Hg.), Goebbels Reden 1932-1945. 2 Bände ( Bindlach 1991 ) • Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Durchgesehene und erweiterte Ausgabe in 3 Bänden ( Frankfurt/Main 1990 ) • Andreas Hillgruber, Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums ( Köln 1986 ) • Adolf Hitler, Mein Kampf. 763. -767. Auflage ( Wien 1942 ) • Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS ( Augsburg 1992 ) • Heidrun Kaupen- Haas, Die Bevölkerungsplaner im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik. In: Heidrun Kaupen-Haas (Hg.), Der Griff nach der Bevölkerung. Aktualität und Kontinuität nazistischer Bevölkerungspolitik ( Hamburg 1986 ) • Thomas Keneally, Schindlers Liste. Deutsche Ausgabe ( München 1994 ) • Ian Kershaw, Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft. Deutsche Erstausgabe ( München 1992 ) • Ernst Klee, Willi Dreßen (Hg.), „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945 ( Frankfurt/Main 1989 ) • Ernst Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß (Hg.), „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer ( Frankfurt/Main 1988 ) 46

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• Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. 18. Auflage ( München 1988 ) • Eugen Kogon, Hermann Langbein, Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation. Von den Autoren durchgesehene Ausgabe ( Frankfurt/Main 1986 ) • Paul Kohl, Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941-1944. Sowjetische Überlebende berichten ( Frankfurt/Main 1995 ) • Angelika Königseder, Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DP’s (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland ( Frankfurt/Main 1994 ) • Hannah Krall, Schneller als der liebe Gott. Deutsche Erstausgabe ( Frankfurt/Main 1980 ) • Helmut Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 19381942. Durchgesehene Ausgabe ( Frankfurt/Main 1985 ) • Reinhard Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten. 2., erweiterte Auflage ( Köln 1977 ) • Jochen von Lang, Das Eichmann-Protokoll. Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre ( Wien 1991 ) • Bernard Lewis, Semites and Anti-Semites. An Inquiry into conflict and prejudice ( New York - London 1986 ) • Heiner Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941 bis 1945 ( Köln 1985 ) • Czeslaw Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945. Deutsche Ausgabe ( Köln 1988 ) • Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ( Frankfurt/Main 1992 ) • Walter Manoschek (Hg.), Die Wehrmacht im Rassenkrieg. Der Vernichtungskrieg hinter der Front ( Wien 1996 ) • Derselbe, „Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung“. Das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen 1939-1944 ( Hamburg 1995 ) • Derselbe, Der Judenmord als Gemeinschaftsunternehmen. In: PROFIL 18/1996 100101 • Erich von Manstein, Verlorene Siege. Erinnerungen 1939-1944. 12. Auflage ( Bonn 1991 ) • Werner Maser, Adolf Hitler. Legende - Mythos - Wirklichkeit. 14. Auflage ( München 1993 ) • Derselbe, Nürnberg. Tribunal der Sieger ( Düsseldorf 1988 ) • Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert ( Rheda - Wiedenbrück 1988 ) • Wolfgang Michalka (Hg.), Der Zweite Weltkrieg. Analysen - Grundzüge Forschungsbilanz. 2. Auflage ( München 1990 ) • Slobodan Milosevic - Interview, „Der Schlüssel zum Frieden“. In: DER SPIEGEL 24/1996 140-145 • Kazimierz Moczarski, Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau. Deutsche Ausgabe ( Düsseldorf 1978 ) 47

„Modernität und Holocaust“ Das Warschauer Ghetto 1939-43 Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung

• George L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa. Vom Autor durchgesehene und • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1990 ) Rolf- Dieter Müller, Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik ( Frankfurt/Main 1991 ) Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier ( Frankfurt/Main - Berlin 1993 ) Werner Präg, Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Das Diensttagebuch des deutschen Generalgoverneurs in Polen 1939-1945 ( Stuttgart 1975 ) Peter Przybylski, Täter neben Hitler. Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge ( Berlin 1990) Leo Prijs, Die Welt des Judentums. Religion, Geschichte, Lebensweise. 2., durchgesehene Auflage ( München 1984 ) Ernst Rauch, Ökonomische Aspekte der Judenpolitik des Dritten Reiches. Diplomarbeit an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1985 ) Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno ( München 1977 ) Wolfgang Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. Eine Debatte über den Zusammenhang von Sozialpolitik und Genozid im nationalsozialistischen Deutschland ( Hamburg 1991 ) Hartmut Schustereit, Vabanque. Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 als Versuch, durch den Sieg im Osten den Westen zu bezwingen ( Herford - Bonn 1988 ) Günther Schwarberg, Das Ghetto. Spaziergang in die Hölle ( Frankfurt/Main 1991 ) William Lawrence Shirer, Austieg und Fall des Dritten Reiches. Deutsche Sonderausgabe ( Bindlach 1990 ) Dawid Sierakowiak, Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak. Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen 1941/42 ( Leipzig 1993 ) Laura Silber, Allan Little, Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. Deutsche Bearbeitung: Walter Erdelitsch ( Graz - Wien - Köln 1995 ) Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG. Deutsche Ausgabe ( Reinbek bei Hamburg 1988 ) Albert Speer, Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin - Wien 1969 ) Stroop-Bericht: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr“ ( Darmstadt Neuwied 1976 ) Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. Deutsche Ausgabe ( München 1995 ) Jan Turnau (Hg.), Zehn Gerechte. Erinnerungen aus Polen an die deutsche Besatzungszeit 1939-1945. Deutsche Ausgabe ( Mainz - München 1989 ) Harald Welzer (Hg.), Nationalsozialismus und Moderne ( Tübingen 1993 ) Michael Werz (Hg.), Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und Gewalt ( Frankfurt/Main 1995 ) Simon Wiesenthal, Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens ( Gerlingen 1988 ) Derselbe, Recht, nicht Rache . Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin 1992 ) Karin Wolff (Hg.), Hiob 1943. Ein Requiem für das Warschauer Ghetto ( Neukirchen 1983) Christian Zentner, Friedemann Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches ( Augsburg 1993 ) 48

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