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January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Geschichte, Weltgeschichte
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Russland – Sowjetunion

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Russland vor der Oktoberrevolution 1917 1815 sah sich Russland nach der Niederlage Napoleons als „Retter Europas“, und Zar Alexander I. war ein Vertreter der traditionellen Ordnung (vgl. Heilige Allianz). 1825 kam es zum Dekabristenaufstand (russ. für Dezember) junger Offiziere, die Ideen von Freiheit, Menschenrechten und Reformen vertraten. Zar Nikolaus I. kämpfte vehement gegen Demokratie und Revolution. Russland übernahm die Rolle eines „Polizisten“ gegenüber Polen und Österreich. Russland wollte auch immer weiter nach Westen vordringen ( Balkan, Türkei -> „Orientalische Frage“). Der Krimkrieg 1853 – 1856 zeigte aber deutlich, dass die andern Länder viel modernisierter als Russland waren. Nach der Niederlage Russlands wurde das Schwarze Meer entmilitarisiert und der Zugang Russlands zu den Meerengen versperrt. Im Inneren hatte Russland schwierige wirtschaftliche und soziale Probleme: Statistik zur Wohnbevölkerung von 1836, europäisches Russland Leibeigene Bauern (les serfs) auf Gütern des Staates und des Zaren Leibeigene Bauern auf Privatgütern von Adeligen Bürgerliche (Geistliche, Beamte, Kaufleute, Handwerker) Adelige Grundbesitzer

20.0 Mio 25.5 Mio 4.5 Mio 0.5 Mio

In: B. Krapp, Bauernnot in Russland und bolschewistische Revolution, Stuttgart 1973,S.2

Karikatur von Gustave Doré, 1854. Russische Gutsbesitzer beim Kartenspiel Die Gutsbesitzer besassen die Polizeigewalt und durften über ihre Bauern Recht sprechen. Zwischen 1825 und 1861 gab es fast 1200 Bauernaufstände. Allein 1835 bis 1854 wurden 144 Gutsherrn von ihren Leibeigenen erschlagen. Zar Alexander II. (1855 – 1881) eröffnete die liberalen Reformen in Russland: 1861 Aufhebung der Leibeigenschaft, 1864/70 ländliche und städtische Selbstverwaltung. Durch die Abschaffung der Leibeigenschaft wurden die bisher leibeigenen Bauern persönlich frei. Sie konnten nicht mehr verkauft oder getauscht werden, sie durften auch ohne besondere Erlaubnis heiraten, vor Gericht in eigenen Namen handeln, Eigentum besitzen sowie Handel und Gewerbe treiben. Aber für den eigenen Grund und Boden, der ihnen mit der Bauernbefreiung zugeteilt werden sollte, mussten sie den bisherigen Besitzern hohe Entschädigungen zahlen (49 Jahresraten). Die meisten Bauern konnten diese Summen nicht bezahlen und verarmten. Sie mussten als Landarbeiter auf den Feldern des Gutsherrn arbeiten. Dies war für wie eine Fortsetzungen der Verhältnisse vor 1861.

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1913 arbeiteten noch immer drei Viertel aller Russen in der Landwirtschaft. Die Kulaken, reichere Bauern, konnten nach der Bauernbefreiung Land der Adeligen und der Kleinbauern erwerben:

Aufteilung  des  Grundbesitzes  1913   Gruppe

Zahl der Besitzer Bodenfläche In Millionen in Mio ha Ärmste Bauern 10.5 75 Mittlere Bauern 1.0 15 Kulaken und kleinere Adlige 1.5 70 Grossgrundbesitzer, Zar 0.03 70 Kirche, Klöster 50 Nach: F. Sternberg, Kapitalismus und Sozialismus vor dem Weltgericht, Hamburg 1951, S. 221f

Die industrielle Entwicklung begann erst in den 1860er Jahren. Der Staat finanzierte vor allem die Eisenbahnlinien. Durch die Industrialisierung lösten sich langsam die alten Abhängigkeiten des Feudalismus. Es entstanden mit ausländischem Kapital finanzierte Grossunternehmen der Textil- und Schwerindustrie vor allem um St. Petersburg. Moskau und in der Ukraine sowie im Gebiet um Baku (Erdölindustrie). Die Zahl der Fabrikarbeiter stieg rasch an. Aber die sozialen Verhältnisse in den Industriestädten waren sehr schlecht (Arbeiterkasernen, Frauen- und Kinderarbeit, sehr tiefe Löhne, 13-Stundenarbeitstag, Verbot der Gewerkschaften). Dagegen wandten sich im Untergrund organisierte revolutionäre Arbeitergruppen. Um 1900 besassen Aktionäre aus dem Westen 70% der Bergwerke und 42% der Metallindustrie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Russland Grossmacht und Entwicklungsland in einem.

Autokratie  und  Opposition   Das russische Reich wurde von einem Zaren (Kaiser) regiert. Er besass die ganze Macht im Staat. Es gab keine Verfassung, die die Autokratie (Selbstherrschaft) des Zaren einschränkte. Russland hatte kein Parlament, das bei der Gesetzesgebung mitwirkte und die Exekutive kontrollierte. Die meisten Offiziere und hohen Staatsbeamten aus dem Adel waren überzeugte Vertreter dieser Zarenherrschaft. Sie waren an der Erhaltung der bestehenden Ordnung interessiert und sahen darin auch das beste Mittel gegen den „Landhunger“ der Bauern. Die Alleinherrschaft des Zaren hatte aber auch viele Gegner, zum Teil im Adel und vor allem im Bürgertum. Die Angehörigen der sogenannten Intelligentsia wollten einen liberalen Verfassungsstaat nach westeuropäischem Vorbild. Die Narodniki (russ. ins Volk Gehende) versuchten mit einem Zug ins Volk des Vertrauen der Bauern zu gewinnen, denn sie sahen in den Bauern die zukünftigen Träger einer besseren Gesellschaftsordung. Sie wollten die Bauern aufklären und zu einem Bauernaufstand bewegen. Als die Bauern nichts davon wissen wollten, gingen ein Teil der Narodniki zur Praxis des Terrors über. 1881 erschoss einer dieser Terroristen Zar Alexander II. . Nach dieser Tat wurden die Narodniki von der Polizei zerschlagen. Zar Alexander III. (1881 – 1894) verstärkte den Kampf gegen die Revolutionäre (z.B Ochrana = poliltische Polizei seit 1881). Pogrome gegen Juden sollten ausserdem von den inneren Problemen ablenken. Zu den führenden revolutionär-oppositionellen Gruppen gehörte seit Ende des 19. Jahrhunderts die sozialdemokratische Partei Russlands. Sie spaltete sich 1903 in die Flügel der gemässigten Menschewiki (russ. Minderheit) und der radikaleren Bolschwewiki (Mehrheit ). Deren Führer war der 1870 geborene Rechtsanwalt Wladimir Iljitsch Uljanow, der sich 1901 den revolutionären Decknamen Lenin gegeben hatte.

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Der Sieg des Bolschewismus Russland wird zur Sowjetunion Überblick • In dem autokratisch regierten, wirtschaftlich und sozial rückständigen Russland entsteht im 19. Jahrhundert eine vielschichtige Oppositionsbewegung, getragen von der Intelligentsia und beeinflusst von den westlichen Ideen des Liberalismus und Sozialismus. • Eine wichtige Rolle spielt die 1898 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), die sich 1903 in die Gruppe der Menschewisten und der Bolschewisten aufteilt. Lenin entwickelt (vor allem in der Schrift »Was tun?«, 1902) sein auf die russischen Verhältnisse angepasstes revolutionäres Programm (Marxismus-Leninismus). • Ausgelöst durch die Niederlage im russisch-japanischen Krieg (1904/05) kommt es zur ersten russischen Revolution (1905), in deren Verlauf erstmals Sowjets (Arbeiterräte) gebildet werden. Der Zar ist zu Zugeständnissen (Duma) gezwungen, die aber in der Praxis bald unterlaufen werden (Phase des Scheinkonstitutionalismus bis 1917). • Im Verlauf des Ersten Weltkrieges löst die militärisch und wirtschaftlich katastrophale Situation die Februarrevolution 1917 aus, die zum Sturz des Zaren führt. Die provisorische Regierung, die bürgerlich-liberal ausgerichtet ist, steht in Rivalität zu der sozialistischen Rätebewegung. • In dieser Phase der Doppelherrschaft wird das Eingreifen Lenins, der mit Hilfe der deutschen Regierung nach Russland gekommen ist, entscheidend. Seine

kompromisslosen, populären Forderungen (Aprilthesen: sofortiger Frieden, Landverteilung, »Alle Macht den Räten!«) und die Schwäche der provisorischen Regierung (Sept. 1917: Kornilow-Putsch) stärken den Einfluss der bolschewistischen Partei. • Mit der Oktoberrevolution 1917 - die kein Volksaufstand, sondern eine organisierte und konsequent durchgeführte Machtübernahme ist (Trotzki) – übernehmen die Bolschewisten die Regierung und führen ihr Programm durch (Enteignung des Großgrundbesitzes, Frieden von Brest-Litowsk mit Deutschland 1918). • Trotz des grossen Widerstandes der innenpolitischen Gegner (der »Weissen«), die von den westlichen Grossmächten unterstützt werden, kann sich die bolschewistische Regierung im russischen Bürgerkrieg (1918- 1920) durchsetzen. • Der Phase des Bürgerkrieges und des Kriegskommunismus folgt ab 1921 eine taktische -Liberalisierung der Wirtschaft, die Neue Ökonomische Politik (NEP). • Nach Lenins Tod (1924) setzt sich Stalin gegen Trotzki durch und errichtet praktisch eine Diktatur. • Der Stalinismus ist gekennzeichnet durch die verstärkte, »nachholende« Industrialisierung, die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Parteidiktatur und die Herrschaft des bürokratischen Apparats, die Ausschaltung jeder Opposition (Geheimpolizei, Säuberungswellen) sowie einen wachsenden Personenkult um den Diktator.

Die Oktoberrevolution von 1917 ist ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. Sie führt zur Gründung der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken), die sich unter der Diktatur Stalins zu einer Grossmacht, nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Weltmacht entwickelt. Die ideologischen Gegensätze zwischen dem kommunistischen System und den liberal-demokratischen Auffassungen der westlichen Mächte führen nach 1945 zum so genannten Ost-West-Konflikt (Kalter Krieg), der die Weltgeschichte der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts geprägt hat (Auflösung der UdSSR und Gründung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) am 21.12. 1991).

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Die Vorgeschichte Die Revolution von 1905 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts besass der grösste Teil des russischen Volkes immer noch keine politischen Rechte und lebte in grösster Armut. Das Land wurde autokratisch regiert. Die Bauern, die wenig oder kein Land besassen, waren sehr unzufrieden. Hunderttausende waren in die Städte abgewandert, um dort in der mit ausländischer Kapitalhilfe spät aufblühenden Industrie Arbeit zu suchen. Die soziale Lage dieser Proletarier war schlecht.

Die Ständepyramide: Plakat der russischen Sozialdemokraten von 1901. Die Aussagen lauten (von oben). „Wir herrschen über euch.“ „Wir regieren euch.“ „Wir machen uns über euch lustig.“ Wir schiessen auf euch.“ „Wir essen für euch.“ „Wir ernähren euch.“ „Wir arbeiten für euch.“

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Der russisch-japanische Krieg 1904/1905, den Russland verlor, vergrösserte die Not des Volkes. In den grossen Städten brach im Winter die Lebensmittelversorgung zusammen. Im Januar 1905 schossen in Petersburg Gardetruppen auf unbewaffnete Demonstranten, die zum Schlosses gezogen waren, um dem Zaren eine Bittschrift zu überreichen (Blutiger Sonntag (9.1. 1905): mehr als 1000 Tote).

Zug der Demonstranten am„Blutigen Sonntag" zum Schloss (9.1.1905) Die Vertreter der streikenden Arbeiter tragen Fahnen und Zarenbilder

Attentate und Streiks waren die Folgen. Die Besatzung des Panzerkreuzers „Potemkin", der in Odessa lag, meuterte. In den Fabriken wurden Sowjets, Arbeiterräte, gebildet. Während einer kurzen Zeit kontrollierte der Petersburger Sowjet sogar die Hauptstadt. Schließlich kam es zu einem Generalstreik (Oktober 1905) und der Zaren musste nachgeben. Aber es gelang ihm, die Opposition zu spalten, indem er bürgerlich-liberalen Forderungen erfüllte: Er versprach eine Verfassung und die Wahl eines Parlaments. Im Mai 1906 trat dann die erste Volksvertretung (Duma) zusammen, aber schon nach zwei Monaten wurde sie wieder aufgelöst. Die Regierung fühlte sich nach der Niederschlagung der Aufstände stark genug, um zum alten autokratischen Kurs zurückzukehren. Sie schränkte das Wahlrecht zur Volksvertretung ein und auch die Mitspracherechte der Duma. So konnte die Duma keinen wirklichen Einfluss gewinnen (Scheinkonstitutionalismus). Die Revolution von 1905 hatte gezeigt, wie gefährdet die Herrschaft des Zaren war. Obwohl der neue starke Mann, Ministerpräsident Stolypin (1906 – 11, ermordet), einerseits rigoros gegen die revolutionären Kräfte kämpfte (Militärtribunale), war er andererseits aber auch zu einer Agrarreform bereit. Diese Reform führte zu einer neuen sozialen Klasse, den so genannten Kulaken. Sie waren selbständige Bauern, die über einen gewissen Wohlstand verfügten.

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Der Marxismus-Leninismus 1870 18771891 1893

Überblick Lenin Lenin wird am 22. April als Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin in Simbirsk geboren. Studium der Rechtswissenschaften in Kasan und Samara.

Lenin arbeitet in Sankt Petersburg als Rechtsanwalt. Er engagiert sich in revolutionären Bewegungen und arbeitet mit führenden russischen Sozialdemokraten. 1895 Unter dem Einfluss Plechanows wendet sich Lenin dem Marxismus zu und gründet den 'Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse'. Er wird wegen politischer Agitation verhaftet und 1897 zu drei Jahren Verbannung nach Sibirien verurteilt. 1900 Lenin geht freiwillig ins Exil, zuerst nach München, wo er mit Plechanow die Zeitung Iskra gründet. Weitere Exilstationen sind Brüssel, Paris und London. 1902 In seiner Schrift Was tun? propagiert Lenin die straff organisierte Kaderpartei als diejenige Kraft, die allein den revolutionären Umsturz herbeiführen kann. 1903 Auf dem Parteitag der Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) in London setzt sich Lenin mit seinem Kaderparteikonzept durch und löst damit die Spaltung der Sozialdemokraten in Bolschewiki(um Lenin) und Menschewiki aus. 1905 Nach Ausbruch der Revolution kehrt Lenin für kurze Zeit nach Russland zurück; die Bolschewiki und Menschewiki spielen jedoch in der Revolution keine Rolle. 1906 Lenin geht erneut in die Emigration und lebt in den folgenden elf Jahren vor allem in Genf, Paris, Krakau und, ab 1914, wieder in der Schweiz. Er gibt verschiedene Schriften heraus und baut eine revolutionäre Kaderpartei auf. 1912 Endgültige Trennung von den Menschewiki => die Bolschewiki als eigenständige Partei. Lenin gibt er ab Mai die Prawda, die Parteizeitung der Bolschewiki, heraus. 1916 In Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus interpretiert er den Imperialismus als Vorstufe zur Selbstauflösung des Kapitalismus. 1917 März/April: Nach Ausbruch der Februarrevolution reisen Lenin und andere Revolutionäre mit offizieller deutscher Unterstützung nach Russland. April: Lenin formuliert die Aprilthesen Juli-Oktober: Lenin taucht in Finnland unter November: Nach der Übernahme der Macht durch die Bolschewiki in der Oktoberrevolution übernimmt Lenin als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare die Regierung und leitet unter allmählicher Ausschaltung aller anderen revolutionären Parteien die Errichtung eines diktatorischen Systems ein. 1918 Lenin schließt den Frieden von Brest-Litowsk mit den Mittelmächten. 1918Bürgerkrieg in Russland zwischen 'Roten' und 'Weißen', begleitet vom 1920/22 Kriegskommunismus. 1919 Lenin initiiert die Gründung der Dritten Internationale. Zur Zentralisierung der Macht errichtet er das Politbüro und das Sekretariat der Partei. 1921 Der Kriegskommunismus wird durch die Neue Ökonomische Politik (NEP) ersetzt 1922 Im Mai erleidet Lenin einen ersten Schlaganfall und ist in der Folge nur noch eingeschränkt arbeitsfähig. Am 30. Dezember wird die Sowjetunion gegründet. 1923 Nach einem zweiten Schlaganfall ist Lenin kaum mehr handlungsfähig. 1924 Lenin stirbt am 21. Januar in Gorki.. (nach: http://de.encarta.msn.com/media_121624734_761562790_-1_1/Zeittafel_Lenin.html)

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Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Russland die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), die aber in Russland verboten war und deshalb nur im Ausland aktiv sein konnte. Zu ihren Führern gehörte Wladimir Iljitsch Uljanow, der sich später Lenin nannte. Er wurde 1870 als Sohn eines Schulinspektors in Simbirsk an der Wolga geboren. Mit 17 Jahren erlebte er die Hinrichtung seines älteren Bruders, der an der Vorbereitung eines Attentats auf den Zaren beteiligt war. Nach dem Abschluss seines Rechtsstudiums arbeitete er als Rechtsanwalt in Petersburg. Er war überzeugter Marxist (stark beeinflusst von Georg Plechanow, dem „Vater des russischen Marxismus“)und bildete revolutionäre Gruppen in der Arbeiterschaft. Wegen seiner politischen Idee wurde er für vier Jahreer nach Sibirien verbannt; 1900 emigrierte er in die Schweiz, wo er mit anderen russischen Flüchtlingen zusammentraf. In seiner Schrift „Was tun?" (1902) entwickelte Lenin die Lehren von Karl Marx (MarxismusLeninismus) weiter. Er lehnte soziale und politische Reformen ab und forderte den Umsturz durch eine Elitepartei von Berufsrevolutionären (Kaderpartei). Voraussetzung dafür war seiner Meinung nach eine straff aufgebaute Parteiorganisation unter Führung der Intelligenz. Diese Avantgarde hatte die Aufgabe, die Masse durch Erziehung auf den Kommunismus vorzubereiten und sie zu führen, Der spontane Kampf des Proletariats wird nicht zu einem wirklichen „Klassenkampf“ werden, solange dieser Kampf nicht von einer starken Organisation der Revolutionäre geleitet wird . Diese muss vor allem und hauptsächlich Leute erfassen, deren Beruf die revolutionäre Tätigkeit ist. Hinter dieses allgemeine Merkmal der Mitglieder einer solchen Organisation muss jeder Unterschied zwischen Arbeitern und Intellektuellen völlig zurücktreten, von den beruflichen Unterschieden der einen wie der anderen ganz zu schweigen. Diese Organisation muss notwendigerweise nicht sehr umfassend und möglichst konspirativ sein." Wladimir Iljitsch Lenin, Was tun? 1902 Lenins Programm spaltete 1903 die Partei in Menschewiki, die eine revolutionäre Massenpartei wollten, und Bolschewiki, die eine revolutionäre Elitepartei wollten. Neben diesen Parteien waren auch zwei weitere „linke Parteien“, die Sozialrevolutionäre (die aus den Narodniki entstanden waren) und die Kadetten, in Russland gegen das Regime des Zaren aktiv. Die Kadetten wurden unterstützt von dem Bürgertum und waren gemässigt. Sie wollten ein allgemeines Wahlrecht, eine Parlamentarisierung des Systems und Agrarreformen. In den folgenden Jahren entwickelte Lenin seine Lehre weiter. Er berücksichtigte dabei die seit dem Tode von Karl Marx eingetretenen Veränderungen in der Weltpolitik und in der kapitalistischen Wirtschaft und die Erfahrungen aus dem Scheitern der Revolution von 1905. Der Imperialismus sei das höchste Stadium des Kapitalismus. Der Kampf des Kapitals um die Aufteilung der Märkte und der Welt führe unvermeidlich zu Krisen und Kriegen. Darin liege die Chance für eine proletarische Revolution. Im Gegensatz zu der von Marx vertretenen Idee, die proletarische Revolution könne nur in einer vollindustrialisierten Gesellschaft gelingen, hielt er eine Revolution gerade dort für möglich, wo der Weltkapitalismus noch schwach war: in Russland. Eine bürgerlich-liberale Revolution führe nicht zur Befreiung der Arbeiterklasse; sie müsse deshalb bis zur Diktatur des Proletariats weitergetrieben werden, in der alle Gegner gewaltsam zu unterdrücken seien. Die Sowjets seien in einer Krise das wirksame Instrument zur Zerstörung der Staatsgewalt; in sie seien Parteivertreter einzuschleusen und dann die Forderung zu erheben:„Alle Macht den Räten!" Die Bauern seien unfähig, eine politische Aktion zu organisieren; durch Unterstützung ihrer Landforderungen müsse das Industrieproletariat die Führung der revolutionären Bauernmassen an sich reißen, um seine eigene zahlenmäßige Schwäche auszugleichen. Das heisst, nur ein Bündnis von Arbeitern und Bauern unter der Führung der Kaderpartei der Bolschewiki kann zum Erfolg führen.

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Die Oktoberrevolution 1917 Der Sturz des Zarenregimes – Die Februarrevolution Der für Russland besonders verlustreiche Weltkrieg, die organisatorische Unfähigkeit der Regierung, eine starke Inflation und Lebensmittelmangel führten Anfang 1917 zu einer revolutionären Situation. Im März 19171 (im Februar des alten russischen Kalenders) kam es in St. Petersburg/Petrograd2 zu Demonstrationen und Streiks hungernder Arbeiter. Schnell entwickelte sich daraus ein Aufstand, der auf andere Städte Russlands übergriff. Wie schon 1905 bildeten sich in ganz Russland Arbeiter- und Soldatenräte. Das liberale Bürgertum forderte die Abdankung des Zaren. Die in Petrograd gegen die Demonstranten eingesetzten Truppen blieben untätig oder gingen gar zu ihnen über. Der Zar wurde abgesetzt (2./15. März 1917) und verhaftet. Ein Jahr später wurde er mit seiner Familie von den Bolschewisten ermordet.

Zar Nikolai II. mit seiner Familie (1910) Es entsteht eine Situation der Doppelherrschaft: Zwei Mächtegruppen standen sich nun gegenüber: die Liberalen, die zusammen mit den gemässigten Sozialisten eine parlamentarische Demokratie einführen wollten und eine Provisorische Regierung bildeten, und die Sowjets der Arbeiter und Soldaten. Die Sowjets hatte aber keine einheitliche Führung, ausserdem waren die meisten Mitglieder auch nicht radikal (das heisst, die meisten waren keine Bolschewiki). So tolerierten und unterstützten sie zuerst die Provisorische Regierung (Regierung Kerenski). Die Regierung wollte aber den Krieg weiterführen und plante eine grosse Offensive, um die Armeen der Deutschen und Österreicher zurückdrängen. Der Wunsch des Volkes nach Frieden wurde nicht gehört. Die Regierung ergriff auch keine Massnahmen für die Bauern, die eine Agrarreform wollten, und die nichtrussischen Randvölker, die die Freiheit von Russland erreichen wollten.

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Die doppelten Datenangaben gibt es, weil in Westeuropa und in Russland nicht der gleiche Kalender benutzt wurde. Im Westen gilt seit 1582 der Gregorianische Kalender (nach Papst Gregor XIII.), der den Julianischen Kalender Cäsars um 10 Tage korrigierte. Da Russland aber orthodox war, wurde diese Reform nicht durchgeführt. Erst die Bolschewiki änderten im Jahr 1918 den Kalender. 2 Der deutsche Name St. Petersburg wird mit dem Beginn des Krieges 1914 in russische Petrograd umgewandelt. Ab 1924 heisst die Stadt Leningrad und seit 1991 wieder St. Petersburg.

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Der Sieg Lenins Die Mittelmächte hatten gehofft, dass die Probleme in Russland sich für sie militärisch positiv auswirken würden Aber zu ihrer Enttäuschung setzte die neue Provisorische Regierung den Krieg fort. Deshalb wollten die deutsche Regierung und Heeresleitung radikalen Politiker die Einreise nach Russland ermöglichen, um so die Spannungen in Russland zu vergrössern und das Land noch mehr zu destabilisieren. Im April 1917 durfte eine Gruppe russischer Emigranten aus der Schweiz über Deutschland nach Schweden reisen; von dort gelangte sie über Finnland nach Petersburg. An ihrer Spitze stand Lenin. Lenin gelang es, die enttäuschten Massen gegen die Regierung zu mobilisieren. Er forderte in seinen Aprilthesen eine sofortige Beendigung des Krieges („Frieden um jeden Preis“), „Alles Land den Bauern“, Kontrolle der Arbeiter über die Fabriken und „Alle Macht den Räten.“(Ausserdem wurde auch der Parteinahme in „Kommunistische Partei“ geändert.) Diesen Forderungen hatte die schwache, dazu noch von einer Gegenrevolution der Offiziere bedrohte Regierung nichts entgegenzusetzen. Viele Soldaten verliessen die Armee, um bei der Landverteilung nicht zu spät zu kommen: Die russische Front begann sich aufzulösen.

Lenin verkündet seine Aprilthesen Im Juli 1917 versuchten die Bolschewiki einen Aufstand zu organisieren, der scheiterte. Lenin floh nach Finnland. Aber bereits im September verfügten die Bolschewiki in den wichtigsten Räten, vor allem in Petrograd und in Moskau, über die Mehrheit. Der Putschversuch rechtsgerichteter Militärs – der Kornilow-Putsch3 – vergrösserte den Machteinfluss der Bolschewiki, denn dieser Putsch wird nicht nur von den Truppen der Regierung sondern auch von einer bewaffneten Roten Garde der Bolschewiki gestoppt. Als Mitte Oktober 1917 ein „Militärisches Revolutionskomitee“ des Petrograder Sowjets unter der Führung Totzkis4 entstand, das die meisten Truppen in Petrograd kontrollierte, sah Lenin den Augenblick gekommen, die kommunistische Revolution durchzuführen. 3

Der Putsch wurde von General Kornilow, dem obersten Befehlshaber der russischen Armee angeführt, daher die Bezeichnung Kornilow-Putsch. Nach der Oktoberrevolution kämpfte Kornilow zusammen mit den Generälen Denikin, Aleksejew u.a. auf Seiten der „Weissen“ gegen die Bolschewiki. 4 Leo Trotzki (Leib Bronstein, 1879 – 1940) war zuerst Menschewiki und Gegner Stalins, 1905 führte er den St. Petersburger Sowjet, schloss sich im Mai 1917 den Bolschewiki an und wurde zu einem der wichtigsten Organisatoren der Oktoberrevolution.

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Die Oktoberrevolution Der Panzerkreuzer „Aurora" gab mit einem Kanonenschuss das Signal und die von Trotzki angeführten Rotgardisten besetzten am 6. November 1917 (am 24. 10 des alten russischen Kalenders, daher Oktoberrevolution) die wichtigsten Punkte der Hauptstadt Petrograd und stürmten das „Winterpalais", wo sich die Regierung mit wenigen Verteidigern befand. Die meisten Minister wurden verhaftet, Kerenski konnte ins Ausland fliehen. Die Oktoberrevolution war im Unterschied zur Februarrevolution 1917 und der Revolution von 1905 keine spontane Aktion der Massen, sondern ein geplantes und gut organisiertes Unternehmen von Berufsrevolutionären. Die Revolution verlief unauffällig und es gab relativ wenige Opfer.

Ein Sturm, der nicht stattfand: Szene aus dem Eisenstein-Film "Oktober" (1927). Am nächsten Tag (25. Oktober 1917) trat der Allrussische Rätekongress zusammen und war somit vor vollendete Tatsachen gestellt. Aus Protest gegen den Staatstreich verliessen die Menschewiki und die meisten Sozialrevolutionäre den Kongress, der nun als Regierung den Rat der Volkskommissare wählte, der nur noch aus Bolschewiki bestand. An der Spitze der Regierung stand Lenin. Trotzki war für die Aussenpolitik und Stalin für die nationalen Minderheiten Als erste Massnahme wurden von der Regierung drei grundlegende Dekrete (Umsturzdekrete) beschlossen: • • •

Dekret über den Frieden (sofortige Beendigung des Krieges) Dekret über den Boden (Enteignung der Grossgrundbesitzer und der Kirche) Dekret über die Rechte der Völker Russland (Selbstbestimmungsrecht für die nichtrussischen Randvölker)

Bei der kurz darauf abgehaltenen Wahl zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung, die noch von Kerenski angesetzt worden war, erlitten Lenin und seine Partei eine schwere Niederlage. Von 707 Sitzen erhielten die Bolschewisten nur 175, ihre Verbündeten 40. Als die Nationalversammlung zusammentrat, liess Lenin sie deshalb bereits am zweiten Tag mit militärischer Gewalt auflösen. Damit war, wie Lenin zu Trotzki sagte, „die Idee der Demokratie zugunsten des Gedankens der Diktatur liquidiert".

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Der Friede von Brest-Litowsk Die bolschewistische Regierung bot sofort Friedensverhandlungen an. Die Rechnung der deutschen Führung war damit aufgegangen. In Brest-Litowsk begannen im Dezember 1917 die Verhandlungen mit den Mittelmächten. Sie kamen aber zu keinem Abschluss, weil die russische Delegation unter Führung Trotzkis gegen die Meinung Lenins - die deutschen Forderungen nicht erfüllen wollte: die Abtretung Finnlands, des Baltikums, Polens und die Anerkennung der Selbständigkeit der Ukraine. Insgesamt bedeuteten die Forderungen für Rußland den Verlust von 25% der Bevölkerung und 75% der Schwerindustrie. Um die Russen zum Nachgeben zu zwingen, begannen deutsche Truppen wieder vorzurücken. Estland, Weissrussland und die Ukraine wurden besetzt. Unter diesem Druck setzte sich Lenin durch. Er brauchte den Frieden, um die bolschewistische Herrschaft gegen ihre zahlreichen Gegner durchzusetzen. Auch hoffte er, dass die Arbeiter in den kriegführenden Ländern dem russischen Beispiel folgen würden und somit die Weltrevolution ausbrechen werde. Am 3. März 1918 wurde der Friedensvertrag unterzeichnet. Polen, Finnland, die baltischen Staaten (Lettland, Estland, Litauen) und die Ukraine wurden unhängig. Die Bolschewistische Diktatur Der russische Bürgerkrieg Der Anfang der Revolution war einfach gewesen, aber dann trafen die Bolschewiki auf grossen Widerstand. Russland erlebte eine schlimme Zeit des Terrors, des Hungers und des Bürgerkriegs.

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Adelige, Offiziere und Bürgerliche organisierten den Widerstand gegen die Bolschewiki. Ihre Führer sind die „weissen“ Generäle Kornilow, Denikin, Aleksejew, Krasnow, Koltschak usw. Die Ententemächte beschlossen, in den Bürgerkrieg einzugreifen, und landeten Truppen, um die Weissen zu unterstützen. Die Japaner zusammen mit wenigen USTruppen besetzten Wladiwostok und dann ganz Ostsibirien, die Franzosen Odessa und von dort aus die westliche Ukraine, die Briten bemächtigten sich der Stadt Archangelsk im hohen Norden und versuchten von dort aus südwärts gegen Petrograd und Moskau vorzudringen. „Weiße" Generäle griffen mit ihren Armeen von Sibirien, von der Ukraine und von Norden her die Bolschewiki an. (vgl. Karte S. 9). Das Regime der Bolschewiki war stark bedroht. Die Ukraine, Georgien, Armenien und Asarbajdschan lösten sich mit der Unterstützung der Weissen. Auch im Inneren gab es starken Widerstand. Die Sozialrevolutionäre kämpften mit terroristischen Mitteln gegen Lenin und seine Anhänger. Lenin wurde bei einem Attentat schwer verletzt (30.8.1918). Die Bolschewiki reagierten mit Gegenterror mit Hilfe der neugegründeten Staatssicherheitspolizei Tscheka. In dieser für die Bolschewiki sehr schwierigen Situation wurde im April 1918 Trotzki zum Volkskommissar für Landesverteidigung ernannt. Er konnte vom Friede von Brest-Litowsk profitieren, der ihm die nötige Atempause verschaffte, um die Rote Armee zu organisieren und aufzubauen. Er übernahm die streng strukturierte Hierarchie der Kaderpartei der Bolschewiki auf die Rote Armee, indem er Tausende von gut ausgebildeten zaristischen Offizieren in die Armee integrierte und sie unter die politische Kontrolle bolschewistischer Kommissare stellte. So entstand innerhalb von zwei Jahren eine schlagkräftige Armee von 5 Millionen Mann.

Trotzki mit Soldaten der Roten Armee Ab Ende 1918 begannen die Gegenoffensiven der Roten Armee. Die Angriffe Koltschaks vom Osten, Denikins vom Süden wurden zurückgeschlagen. Im November 1919 wurde Omsk, der Sitz der weissen Regierung erobert. Bis Ende 1920 wurden alle von den Weissen kontrollierten Gebiete zurückerobert. Die Bürgerkriegssituation wurde von Polen ausgenutzt, um im polnisch-russischen Krieg (1920/21) nach Osten und Süden zu vergrössern. Die Rote Armee konnte aber die Gebiete zurückerobern und kam bis nach Warschau. Erst hier konnte Polen mit der Hilfe Frankreichs die Rote Armee zurückschlagen und so sein Gebiet erfolgreich vergrössern (Friede von Riga 18.3.1921). Warum konnte die Rote Armee den Bürgerkrieg gewinnen? Es gab verschiedene Gründe: Die Rote Armee wurde von Trotzki straff geführt (Kommissare), die meisten Soldaten waren Bauern, die davor Angst hatten, dass bei einem Sieg der Weissen die Agrarreform rückgängig gemacht würden, die Unterdrückung der Opposition durch die Tscheka, die Weissen hatten verschiedene politische Ziele (von Monarchisten bis Menschewiki), der weisse Terror (Militärdiktaturen Koltschaks und Deninkins) und Wiedereinsetzung der Gutsherren und vor allem die schlechte militärische Koordination der Weissen. Das russische Volk verlor im Bürgerkrieg mehr Menschen als im Weltkrieg: 11 Millionen ( plus 5 Milllionen durch die Hungersnot von 1921).

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Die Wirtschaft des Landes war völlig ruiniert, die Währung durch die Inflation entwertet. Die Produktion sank auf ein Fünftel des Vorkriegsstandes; der Industrie fehlten Rohstoffe, ihre Verstaatlichung hatte zu einem organisatorischen Zusammenbruch geführt. Dies hat mit dem Kriegskommunismus zu tun, der die Gesellschaft umerziehen wollte. Die ganze Industrieund Gewerbeproduktion wurden verstaatlicht, ebenso der Boden. Die Bauern gezwungen, ihre Ernte abzuliefern, es gab auch eine staatliche Kontrolle der Gewerkschaften. Die Arbeitersowjets verloren in den Betrieben ihre Macht und wurden ersetzt durch staatliche Direktoren. Da durch den Bürgerkrieg schon die Lebensmittelproduktion stark beeinträchtigt worden war, führte der Kriegskommunismus zur Katastrophe. Den Bauern wurde mit Gewalt die Ernte weggenommen, also schränkten diese darauf die Anbauflächen ein. Die Hungersnot von 1920/21 forderte Millionen Tote. Es kam zu Streiks und Demonstrationen. Im März 1921 kam es zu einem Aufstand der Matrosen in Kronstadt, die gegen die Diktatur der neuen Regierung kämpften. Sie sprachen von Versklavung durch die kommunistische Autokratie. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, er zeigte aber doch, dass ein Kurswechsel notwendig war.

Die Rote Armee stürmt die Kronstädter Festung Die NEP-Periode Lenin erkannte, dass ein Wiederaufbau der Wirtschaft in diesem Augenblick mit kommunistischen Methoden nicht möglich war. Im März 1921 beschloss der Parteitag, den staatlichen Druck zu verkleinern: Die Bauern konnten ihre Überschüsse auf dem freien Markt frei verkaufen, private Kaufleute wurden wieder zugelassen (freier Binnenhandel), die Industrie freier organisiert, privaten kleineren Betrieben eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt. Diese „Neue Ökonomische Politik" (NEP) hatte erstaunlichen Erfolg. Die Produktion erreichte wieder den Vorkriegsstand, die Lebensmittelrationierung konnte zum grössten Teil aufgehoben werden. Gleichzeitig wurde an diesem Parteitag auch beschlossen, innerparteiliche Oppositionsgruppen zu verbieten. Damit wurde die bolschewistische Diktatur gefestigt.

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Die aussenpolitische Stellung der Sowjetunion zwischen den Weltkriegen Nach der Oktoberrevolution hatte Lenin gehofft, dass durch die Probleme des Weltkriegs sich eine Weltrevolution entwickeln werde, zuerst in dem am stärksten betroffenen kapitalistischen Land: in Deutschland. Zur Organisation dieser Weltrevolution wurde im März 1919 die Komintern (KOMmunistische INTERNationale) gegründet. Sie war die Befehlszentrale für alle kommunistischen Parteien der Welt. Die Alliierten hatten nach dem Sieg der Bolschewiki gegen die Weissen, ihre Truppen aus Russland zurückgezogen. Sie blieben gegenüber den Bolschewisten sehr misstrauisch. Sollte man mit einem Staat diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufnehmen, der sich den politischen Umsturz in aller Welt zum Ziel gesetzt hatte? Die weitere Entwicklung enttäuschte die bolschewistischen Führer schwer. Sie mussten von nun zwei Ziele verfolgen: Einerseits lenkten sie die kommunistischen Parteien in aller Welt bei ihren Umsturzversuchen, andererseits versuchten sie, die außenpolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarländern und den kapitalistischen Großmächten zu normalisieren und damit die Isolierung zu überwinden. Mit den westlichen Randstaaten und der Türkei wurden Friedensverträge abgeschlossen. Nachdem Deutschland 1922 die Sowjetunion anerkannt hatte, folgten 1924 Großbritannien und Frankreich. Die NEP-Periode hatte beruhigend auf sie gewirkt. Die USA entschlossen sich aber erst 1933 dazu. Trotz der Anerkennung blieben die Beziehungen kühl. Nach der Errichtung der NS-Diktatur in Deutschland zeichnete sich eine gewisse Wende ab. Die Sowjetunion wurde in den Völkerbund aufgenommen und schloss Pakte mit Frankreich und der Tschechoslowakei, doch wurde diese Entwicklung nach dem für die Sowjetunion enttäuschenden Münchener Abkommen durch den Hitler-Stalin-Pakt unterbrochen. Stalins Politik des „Sozialismus in einem Land" Am 21. Januar 1924 starb Lenin. Nach seinem Tod kam es innerhalb der Kommunistischen Partei zu einem Machtkampf. Es siegte Stalin. Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin, der „Stählerne", wurde als Schuhmachersohn 1879 in Georgien geboren. Schon als Schüler eines Priesterseminars stieß er zur marxistischen Untergrundbewegung. Seit 1905 organisierte er Streiks im Erdölgebiet von Baku und später Banküberfälle zur Füllung der Parteikasse; 1912 wurde er Mitglied der Parteiführung der Bolschewisten. Seit 1922 kontrollierte er als Generalsekretär die Parteiorganisation, gleichzeitig war er Mitglied des Politbüros, der Führungsspitze des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei (KPdSU).

Stalin

Trotzki

Stalins Gegenspieler war Trotzki. Trotzki wollte mit allen Mitteln die Weltrevolution (These der permanenten Revolution) herbeiführen, weil die bolschewistische Diktatur, wenn sie

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allein auf Russland beschränkt bliebe, ständig gefährdet sei. Stalin dagegen wollte den Sozialismus erst in einem Land verwirklichen. Alle ausländischen kommunistischen Parteien sollten deshalb nur den Interessen des Vaterlandes der Werktätigen dienen. Wenn die Sowjetunion mit Hilfe dieser Politik einmal ein machtvoller Staat geworden sei, dann könnte sie um so wirkungsvoller die weltrevolutionären Ziele des Bolschewismus unterstützen. Stalin gelang es, sich mit Kamenew und Sinowjew (sogenannte „Troika“) zu verbünden und diffamierte Trotzki als ehemaligen Menschwiki und Abweichler von der Parteilinie. 1925 musste Trotzki als Kriegskommissar zurücktreten, 1927 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, 1928 nach Zentralasien verbannt, später ausgewiesen und 1940 in Mexiko ermordet. Die Ausschaltung Trotzkis war aber nur der erste Schritt Stalins zur Alleinherrschaft. 1927 schaltete er Kamenew und Sinojew aus (als „Linksabweichler“), diesmal im Bündnis mit Bucharin, Rykow und Tomskij, die dann ihrerseits 1929 als „Rechtsabweichler“ abgesetzt wurden (1938 hingerichtet). Stalin war damit de facto Diktator der Sowjetunion. Die Fünfjahrespläne – Forcierte Industrialisierung „Einholen und Ueberholen“ 1928 begann eine neue Wirtschaftspolitik. Stalin formulierte das Ziel folgendermassen: „Wir sind hinter den fortgeschrittenen Ländern um 50 bis 100 Jahre zurückgeblieben. Wir müssen diese Distanz in 10 Jahren durchlaufen. Entweder wir bringen das zustande, oder wir werden zermalmt.“ Für jeweils 5 Jahre wurden die Produktionszahlen genau festgelegt. Jedem Wirtschaftszweig, jeder Fabrik wurde ein Plansoll vorgeschrieben. In schnellem Tempo trieb Stalin mit dieser Planwirtschaft die Industrialisierung des Landes voran; besonderen Wert legte er auf den Ausbau der Schwerindustrie. Auf dieser Grundlage begann nun auch eine verstärkte Aufrüstung der Roten Armee. In der Landwirtschaft kam es zur Kollektivierung: Millionen von Bauern wurden enteignet und zum Teil „liquidiert", d. h. von Grund und Boden vertrieben, nach Sibirien und in Arbeitslager (Gulags) verschickt; ca. 2 - 3 Millionen Kulaken wurden umgebracht. Die Landwirtschaft wurde kollektiviert, in Kolchosen (landwirtschaftliche Produktions genossenschaften) oder Sowchosen (staatlicher Grossbetrieb) zusammengefaßt und in zunehmen-dem Maße mit Maschinen ausgestattet (1928 26 000; 1938 483 000 Traktoren). Stalins „Agrarrevolution von oben“ führte zunächst, auch infolge der Sabotage der Bauern (Abschlachtung des Viehbestandes), zu einer erneuten furchtbaren Hungersnot, der 1931-33 gemäss Schätzungen 10 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Stalin hielt den Lebensstandard des russischen Volkes, vor allem der Landbevölkerung, bewusst auf ganz niedriger Stufe. Konsumgüter wurden wenige hergestellt und zu weit überhöhten Preisen verkauft. Dadurch schöpfte der Staat die Kaufkraft des Volkes ab. Das Geld und die wachsende Industrieproduktion kamen überwiegend dem weiteren Ausbau der Schwer- und Rüstungsindustrie zugute. Die Arbeitsdisziplin wurde durch drakonische Strafen verbessert, Arbeitsplatzwechsel verboten, das Akkordlohn-System eingeführt. Andererseits gab es für „Soll-Übererfüllung" Belohnungen (Orden: „Held der Arbeit“). Die Gewerkschaften, die nur die Interessen der Partei, nicht aber die der Arbeitnehmer zu vertreten hatten, wurden beauftragt, die Erhöhung der Arbeitsproduktivität voranzutreiben. Streiks waren verboten. Millionen von Sträflingen, in riesigen Lagern zusammengefasst, waren die billigsten Arbeitskräfte. Dank ihrer Arbeit konnten viele neue Städte, Industrieanlagen und Verkehrswege gebaut werden.

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Stalins Diktatur Ohne Terror und Gewalt wäre die Kontrolle des Volkes nicht möglich gewesen. Die Geheimpolizei (seit 1922 GPU, seit 1934 NKWD, seit 1948 MWD) überwachte nicht nur das Volk, sondern auch die Parteifunktionäre und unterdrückte jede Form von Opposition. In großen Verfolgungswellen wurden Millionen verhaftet und in die Arbeitslager (Gulags) gebracht. 1936-38 gab es 8 Millionen in Gefängnissen und Lagern, 1938-42 sogar 12 Millionen.

Gefangene arbeiten in einem Gulag Die gesamte Macht lag in den Händen einer kleinen Anzahl von Parteiführern (Kader), die ihrerseits ganz von Stalin abhängig waren. Vollzugsorgane der Herrschaft waren der „Apparat", die hauptamtlichen Angestellten (die gehorsamen Apparatschiks) in Partei, Verwaltung, Wirtschaft, Massenorganisationen, Massenmedien und Geheimpolizei und das Offizierskorps. Sie waren eine privilegierte Oberschicht mit hohem Lebensstandard. Von 1935 an begann Stalin mit einem schrittweise verstärkten Terror gegen Spitzenfunktionäre und hohe Offiziere. In Schauprozessen mussten diese „Volksfeinde" ihre Schuld eingestehen und wurden dann hingerichtet. Jeder mußte mit einer plötzlichen Verhaftung rechnen. So wurden 1500 von 6000 höheren Offizieren und 125 von 140 Mitgliedern des Zentralkomitees der Partei hingerichtet. Nur durch bedingungslose Ergebenheit gegenüber dem Diktator konnte man hoffen, die große „Tschistka" (Säuberung) (1934 -1938) zu überleben.

Illustration zum 3. Schauprozess

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