Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Sozialwissenschaften, Psychologie, Schizophrenie
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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Wolfgang Gaebel Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität - LVR-Klinikum Düsseldorf Bergische Landstr. 2, 40629 Düsseldorf

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten

Das Krankheitsbild

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Entgegen allen VORURTEILEN – was Schizophrenie nicht ist: • Schizophrenie ist keine Persönlichkeitsspaltung (nicht mehrere - multiple - Persönlichkeiten) •

Schizophrenie ist kein unheilbarer, fortschreitender, zum völligen geistigen Abbau führender Prozess



Schizophrenie ist keine Willensschwäche



An Schizophrenie Erkrankte sind nicht primär unberechenbar, unzurechnungsfähig und gefährlich



Schizophrenie ist nicht ansteckend

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Schizophrenie ist eine Form der PSYCHOSE

Psychose:

psychische Störungen, bei denen es zu einem Verlust des Realitätsbezugs kommt

Dazu zählen • schizophrene Psychosen (Schizophrenie, schizoaffektive Störungen) • affektive Psychosen

(Depression, Manie, manisch-depressive Störung)

• organische Psychosen

(z.B. Delir)

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten • SCHIZOPHRENE PSYCHOSEN … … sind Erkrankungen des Gehirns, die mit Störungen bei der Übertragung und Verarbeitung von Nervenimpulsen des Gehirns einhergehen. Dies kann u.a. dazu führen, dass • Sinneseindrücke falsch verarbeitet werden, • Denk- und Konzentrationsstörungen auftreten, • es zu Ich-Störungen kommt, • emotionale Störungen auftreten.

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten SYMPTOMATIK I

 POSITIVSYMPTOMATIK

• Halluzinationen

(= Wahrnehmungen von objektiv nicht vorhandenen Reizen / Objekten) z.B. dialogisierende oder kommentierende Stimmen

• Wahn

(= unkorrigierbar falsche Überzeugung von der Realität) z.B. Verfolgungswahn, Beziehungswahn

• Denkstörungen (= Störung des Denkablaufs) z.B. Gedankenabreißen, Vorbeireden, zerfahrenes Denken • Ich-Störungen (= Störung der Ich-Umwelt-Grenzen) z.B. Derealisation / Depersonalisation, Gefühl der Gedankeneingebung / d. Gedankenentzugs

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten SYMPTOMATIK II

 NEGATIVSYMPTOMATIK

• Störungen der Affektivität z.B. Gefühlsarmut, Parathymie, läppisches Verhalten, aggressive Gespanntheit, Misstrauen, Angst

• Störung des Antriebs, der Psychomotorik und des Sozialverhaltens z.B. Interesseminderung, sozialer Rückzug, Agitiertheit, gesteigerte Erschöpfbarkeit, Verwahrlosungstendenz

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten SYMPTOMATIK III • Störungen in kognitiven Prozessen, d.h. von Prozessen der Informationsaufnahme, -verarbeitung, -speicherung –

Aufmerksamkeit und Wahrnehmung (Aufnahme und Interpretation von Reizen)



Problemlösen und Planen (exekutive Prozesse) (Informationsverarbeitung)



Lernen und Gedächtnis (Erwerb von Wissen, Speicherung von Informationen)

• Störung in sozial-kognitiven Prozessen, d.h. kognitiven Prozessen, die der sozialen Interaktion zugrunde liegen –

Soziale Wahrnehmung (Interpretation von sozialen Situationen)



Affektdekodierung (Interpretation von mimischem und prosodischem Affektausdruck)



Empathie (Fähigkeit, sich in die Gedanken und die Gefühle von anderen Menschen hineinversetzen zu können)

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Diagnostik und Vorkommen

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten DIAGNOSE • Schizophrenie wird klinisch anhand der Symptomatik - dem Vorhandensein von „Leitsymptomen“ - gestellt (internationale Diagnosesysteme: ICD-10, DSM-IV)

• Leitsymptome: u.a. dialogisierende oder kommentierende Stimmen, Wahnwahrnehmungen • Symptomatik muss für eine gewisse Dauer bestehen (mindestens 4 Wochen nach ICD-10)

• Symptomatik darf nicht auf eine andere Erkrankung als Ursache zurückzuführen sein (z.B. auf hirnorganische Erkrankung, toxisches Geschehen) zusätzlich Differentialdiagnose zu affektiven Psychosen

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten VORKOMMEN Lebenszeitprävalenz • ca. 1% der Bevölkerung betroffen

d.h. ca. 800.000 Menschen in Deutschland erkranken mindestens einmal im Leben an einer schizophrenen Psychose

Inzidenz • jährlich ca. 13.000 Neuerkrankungen in Deutschland Erkrankungsbeginn • meist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr; • auch nach dem 40. Lebensjahr möglich (v.a. Frauen) Erkrankungsrisiko

• kein Geschlechterunterschied, aber Männer erkranken oft früher als Frauen

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Altersverteilung für Erstaufnahmen nach Geschlecht

Patienten (%)

30 Weiblich Männlich 20

10

12-14 15-19

20-24

25-29

30-34

35-39 40-44

45-49

50-54

55-59

Altersgruppen (Jahre) Häfner et al. (1993)

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Erste psychotische Episode ≠ Erkrankungsbeginn • ca. 5 Jahre Prodromalstadium vor Erstmanifestation • Unterscheidung psychoseferne und psychosenahe Symptome • Verzögerter Behandlungsbeginn: oft erst mehr als 1 Jahr nach dem ersten manifesten Positiv-Symptom, z.T. Jahre nach dem Auftreten erster Symptome

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Ursachen

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URSACHEN & RISIKOFAKTOREN • Die Ursachen sind sehr komplex und bislang noch unzureichend geklärt • Sehr wahrscheinlich müssen zusammenkommen: • Biologische Anlage (Disposition, Vulnerabilität) – Genetische Veranlagung / familiäre Erkrankungen – Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen – sonstige frühkindliche Hirnschädigungen

+ • Psychosozialer Stress – kritische / traumatische Lebensereignisse – emotional überreagierendes Umfeld

– sonstiger (sozialer) Stress

+ • Fehlen wirksamer Stressbewältigung

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodell Lebensphasen

vorgeburtlich

Risikofaktoren gestörte Funktionsfähigkeit

Gene

Geburt

Komplikationen

Genetischkonstitutionelle Prädisposition

Kindheit

Jugend u. Adoleszenz

Drogenkonsum emotionale sozialer Stress usw. Traumata akute Erkrankung Prodromalstadium

Chronifizierung Besserung

Erkrankungsschwelle gesunde Funktionsfähigkeit

Stress Vulnerabilität

Psychosoziale Ebene Biologische Ebene

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten RISIKOFAKTOR CANNABIS •

Cannabis wird zunehmend früher und extensiver konsumiert



fällt damit in eine kritische Phase der Hirnentwicklung



männliche CannabisKonsumenten – entwickeln früher erste Symptome – sind bei der ersten psychotischen Episode jünger D. Veen et al. (2004)

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Das Erkrankungsrisiko steigt bei erblicher Vorbelastung, aber Schizophrenie ist keine reine Erbkrankheit. 1% 2% Lebens4% langes Risiko 13% für Schizophrenie 17%

Allgemeinbevölkerung Onkel/Tanten

Verwandte 2. Grades

Neffen/Nichten Geschwister

Verwandte 1. Grades Zweieiige Zwillinge Eineiige Zwillinge

48%

10

20

30

40

50

Erkrankungsrisiko in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten An der Erhöhung des Erkrankungsrisikos sind eine Vielzahl von Genen beteiligt

Dispositionsgene, z.B.: • Dysbindin (auf Chromosom 6p)

• Neuregulin 1 (auf Chromosom 8p) • G72/G30 (auf Chromosom 13p)

Nöthen et al., Dt. Ärzteblatt 101 / 49, 2004

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Die biologischen Faktoren führen zu Störungen im Gehirn / der Hirnentwicklung  Schizophrenie als Störung des Gehirns

anatomische Befunde: • geringe Erweiterung der inneren Hirnkammern sowie der Furchen des Stirn- und Schläfenhirn • Anomalien der Zellanordnung im Schläfenhirn • z.T. Fehlen der normalen Strukturasymmetrie

biochemische Befunde: • Überaktivität im Dopamin-Überträgerstoffsystem • Unteraktivität im Glutamat-Überträgerstoffsystem • Ungleichgewicht in / zwischen verschiedenen Überträgerstoffsystemen

funktionelle Befunde: • Minderaktivität (v.a. im Stirnhirn) bei bestimmten kognitiven Aufgaben

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Psycho-sozialer (oder auch biologischer) Stress führt zu einer Überlastung eines schon geschwächten Systems • kritische / traumatische Lebensereignisse • emotional überreagierendes Umfeld • Überforderungen im familiären oder im Berufsleben

• Überforderungen in Zusammenhang mit Übergang zu eigenständiger Lebensführung (Berufswahl, Partnerwahl, eigene Wohnung, … ) • früher und extensiver Drogenkonsum  Häufung in niedrigeren sozialen Schichten?  Häufung in städtischen Ballungsräumen?  ~ 17% psychotische Symptome in der Allgemeinbevölkerung > Befunde vor Onset

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Verlauf, Behandlung und Prognose

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten BEHANDLUNG • orientiert sich am Krankheitsverlauf - Frühintervention - Ersterkrankung - Rückfallverhütung - Langzeittherapie

• an der Response (Therapieansprechen) • an der Compliance

!

Die Rückfallwahrscheinlichkeit und der weitere Verlauf hängen stark von der Behandlung(sbereitschaft) ab!

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Verlaufstypen schizophrener Störungen Nur eine Episode Kein Residuum

Mehrere Episoden mit keinem oder minmalem Residuum Residuum nach der ersten Episode mit Exazerbationen und ohne Rückkehr zur Normalität

Mit jeder Episode zunehmendes Residuum und ohne Rückkehr zur Normalität Watt et al. (1983)

A B (%) (%) 16 23

32 35

9

8

43 33

A: Gesamt-Sample B: Ersterkrankung

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten BEHANDLUNG Die Therapie besteht in der Regel aus mehreren Bausteinen

• Pharmakotherapie (Antipsychotika) • Psychotherapie • Soziotherapie

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten BEHANDLUNG •

Medikamente verhindern Rückfälle



zusätzliche Psychotherapie kann den Therapieerfolg steigern

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PROGNOSE Zu einer ungünstigen Verlaufsprognose tragen bei >

früher, schleichender Erkrankungsbeginn

>

initial vorherrschende Negativsymptomatik

>

soziale Isolation

>

schlechte Anpassung und berufliche Desintegration bereits vor dem Ausbruch der Erkrankung

>

Notwendigkeit häufiger und längerer stationärer Aufenthalte bereits in den ersten Stadien der Erkrankung

>

und Substanzmissbrauch (Alkohol, Drogen, Nikotin)

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Folgen

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten BEGLEITERKRANKUNGEN und LEBENSERWARTUNG • Psychische Begleiterkrankungen hohe Komorbidität mit Suchterkrankungen (79-90 % Nikotinabhängigkeit, bis zu 50 % Alkohol- oder Tablettenmissbrauch oder -abhängigkeit, 20-40% illegale Rauschmittel) und Depressionen

• Körperliche Begleiterkrankungen bis zu 80% behandlungsbedürftige somatische Erkrankungen bei stationär behandelten Patienten bis zu 40% bei ambulanten Patienten in knapp 50% verschlechtern sie den psychischen Zustand

• Sterberisiko erhöht hohe Selbsttötungsrate von 10–15% hohes Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten PSYCHOSOZIALE FOLGEN • Psychische Folgen •

hohe psychische Belastung (auch für Angehörige)



Störungen der Kommunikations- und Kontaktfähigkeit



Kognitive Leistungseinschränkungen



Einschränkungen in der Selbstversorgung + Bewältigung alltäglicher Aufgaben

• Störungen der sozialen Rollenerfüllung •

häufige Frühberentung in deutlich jüngerem Alter als andere, die aus Gesundheitsgründen früh berentet werden



hohe Arbeitslosenrate



Unterstützungsbedarf durch Herkunftsfamilie

• Soziale Integration wird durch Funktionseinschränkungen, aber auch durch Stigmatisierung und Diskriminierung behindert

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten KOSTEN • Schizophrene Psychosen gelten als die kostenintensivste psychische Erkrankung sie beanspruchen 50% der Mittel für psychiatrische Versorgungsleistungen

• a) direkte medizinische und rehabilitativ-soziale Versorgungskosten: machen nur 20-30% der Kosten für Schizophrenie aus - ca. 3,5 Milliarden Euro pro Jahr



b) indirekte Kosten (v.a. frühe Ausgliederung aus dem Erwerbsleben, aber auch finanzielle Sekundärbelastung von Angehörigen) sind ca. 4-mal höher als die direkten Kosten

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Zusammenfassung

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten SCHIZOPHRENIE

• ist individuell bezüglich Symptomatik und Verlauf sehr unterschiedlich

• ist hinsichtlich der Ursachen sehr komplex • hat vielfältige, zum Teil schwerwiegende Folgen • ist in der Mehrzahl der Fälle recht gut behandelbar • Früherkennung und Frühintervention verbessern die Prognose

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Diagnose Schizophrenie: Daten und Fakten Was ist zu tun? • Verbesserung der Früherkennung, d.h. Identifizierung von Hochrisikopersonen – Früherkennungszentren, gezielte Forschung • Leitliniengerechte Behandlung – Implementierung der S3-Leitlinien • Psychoedukation und Trialog • Destigmatisierung von Schizophrenie (und Psychiatrie)  Schwerpunkte der Arbeit des Kompetenznetz Schizophrenie

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STRUKTUR DES KOMPETENZNETZES SCHIZOPHRENIE (http://www.kompetenznetz-schizophrenie.de) Untergliederung entsprechend dem Krankheitsverlauf:

Symptomatik

Projektverbund I Früherkennung & Prävention

Projektverbund II Therapie & Rehabilitation

2 1 3 Akutbehandlung Langzeitbehandl. Rehabilitation

Teilverbünde

Krankheitsverlauf Manifestationsschwelle

Zeit TV 1: Diagnostik und Therapie des Akutverlaufs TV 2: Rückfallprophylaxe und Langzeittherapie TV 3: Prävention und Rehabilitation residualer Verläufe

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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