Die Jagd nach dem dicksten fisch - Welt

February 6, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Geowissenschaften, Meereskunde
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8-2011 august

Hunger in Ostafrika: Aus Fehlern nichts gelernt Hebron: Leben in der Geisterstadt Gen-Baumwolle: Nur für manche ein Gewinn

Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit

Die Jagd nach dem dicksten Fisch

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editorial

Liebe Leserinnen und Leser, Gesine Kauffmann Redakteurin

Millionen Menschen leben von Fisch. Sie fangen, verkaufen oder verarbeiten ihn. Und ob frisch, tiefgekühlt oder getrocknet – reich an Eiweiß und gesunden Fettsäuren, hat er einen festen Platz auf unserem Speiseplan, in armen wie in reichen Ländern. Doch seine Beliebtheit ist ihm längst zum Verhängnis geworden. Laut der Welternährungsorganisation FAO werden schon 53 Prozent der Fischgründe bis an ihre Grenzen genutzt, 32 Prozent sind bereits überfischt. Die Bestände sind nicht mehr in der Lage, sich zu erholen. Brian O’Riordan macht dafür eine verfehlte Politik verantwortlich, die ausschließlich den Interessen der großindustriellen Fischerei dient. Riesige Fangflotten aus Industrie- und Schwellenländern plündern die Meere und nehmen

Seine Beliebtheit ist dem Fisch zur Verhängnis geworden. Laut FAO sind bereits 32 Prozent der Fanggebiete überfischt.

Kleinfischern in Afrika und Asien ihre Lebensgrundlage, schreibt er. O’Riordan plädiert dafür, die Fischereiwirtschaft künftig an ökologischen und sozialen Kriterien auszurichten und die Belange von Kleinfischern stärker in den Blick zu nehmen.

Doch davon ist zumindest die Europäische Union weit entfernt. Ihr Entwurf für eine erneuerte Gemeinsame Fischereipolitik lässt jedenfalls kein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit erkennen, wie Heimo Claasen erläutert. Auch alle Anstrengungen, die illegale Fischerei zu unterbinden, waren bislang wenig erfolgreich, berichtet Yann Yvergniaux. Noch immer wird fast ein Drittel des Fischs, der jedes Jahr aus dem Meer geholt wird, außerhalb der Regeln gefangen – mit großen Schäden für Wirtschaft und Umwelt. Kann Fischzucht in Aquakulturen die Meere entlasten und den steigenden Bedarf nach Fisch decken? Jonathan Gorvett zeichnet von den Fischfarmen im malaysischen Teil Borneos ein sehr gemischtes Bild. Das tut auch Gisela Felkl in ihrem Beitrag über GenBaumwolle in Indien. Während sie manchen Bauern zum Wohlstand verholfen hat, haben sich andere für den Kauf von teurem Saatgut, Dünger und Pestiziden überschuldet. Bettina von Clausewitz hat bei einer alternativen Stadtführung durch Hebron im West­ jordanland ein Stück des bedrückenden Alltags in den besetzten Palästinensergebieten erlebt. Und zugleich erfahren, wie Israelis und Araber friedlich zusammenarbeiten können. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,

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inhalt

Fische sind ein unverzichtbares Nahrungsmittel und eine wichtige Einkommensquelle – Millionen Menschen vor allem im globalen Süden leben von der Fischerei. Edelfische wie Thunfisch – das Titelbild zeigt Fischer auf Bali nach einem erfolgreichen Fang – sind in Industrieländern besonders beliebt: Japaner verarbeiten ihn zu Sushi, in Deutschland geht er meist in Dosen über den Ladentisch. Die große Nachfrage und zerstörerische Fangmethoden haben dazu geführt, dass große Teile der Weltmeere überfischt sind. Daran haben auch zahlreiche Abkommen zur Fischereipolitik nichts geändert.

Jeff Hunter

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Die Meere und ihre Bewohner sind vielen Bedrohungen ausgesetzt.

Standpunkte

fischerei

6 Die Seite Sechs

12 Die Kleinfischer bevorzugen Die Fischereiwirtschaft muss sozial gerecht organisiert werden

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Titelbild: AFP/Getty Images

7 Leitartikel: Heiße Zeiten. Die Weltklimakonferenz in Durban steht unter schlechten Vorzeichen

Bernd Ludermann



18 Garnelen mit bitterem Beigeschmack Malaysias Regierung treibt auf Borneo die Industrialisierung von Aquakulturen voran

8 Kommentar: Trauer, Mitleid – und Wut. Wieder einmal hat die Welt tatenlos zugeschaut, wie in Afrika eine Hungersnot entsteht

23 Gift, Müll und das Meer Die Ausbeutung und Verschmutzung der Ozeane hat schlimmere Folgen als bislang angenommen

27 Trawler, die im Trüben fischen Arme Länder können ihre Fischgründe nur schwer vor illegaler Ausplünderung schützen

Gesine Kauffmann

11 Herausgeberkolumne: Barrieren einreißen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert „Behinderung“ neu

Yann Yvergniaux

30 „Vor Mauretanien gibt es kaum mehr Fische“ Gespräch mit dem Fischer Ismael Lebaye 32 Nach neuen Regeln plündern Die Europäische Union will ihre Fischereipolitik reformieren

Ein Teil der Auflage enthält das Dossier „Globale Gesundheit“ und . eine Bestellkarte von

Iris Menn

Tillmann Elliesen

10 Kommentar: Die Gates-Stiftung investiert in neue Klos für die Armen

Jonathan Gorvett

Simon Levine

10 Kommentar: Entwicklungsminister Niebel verteidigt deutsche Rüstungsexporte

Brian O’Riordan

Heimo Claasen

34 Vom Fisch zur Bank Wie sich die Dorfgemeinschaften am Niger durch die Dürrezeit retten

Kirsten Wörnle

Rainer Brockhaus

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Bloomberg via Getty Images

Bettina von Clausewitz

inhalt

Seit fast zehn Jahren wird in Indien gentechnisch veränderte Baumwolle angebaut. Manchen Bauern bringt das höhere Gewinne, manchen aber auch nur neue Schulden.

Vergitterte Wohnungen in Hebron: Angst und Repression beherrschen das Leben in der Stadt im Westjordanland. Israelische Menschenrechtsaktivisten wollen darüber aufklären.

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welt-blicke

Journal

36 Gen-Baumwolle: Ein Gewinn, doch nur für manche In Indien bringt gentechnisch veränderte Baumwolle einen begrenzten Nutzen, aber auch viele Probleme

48 Mikrokredite: „Subventio­ nierte Kreditprogramme sind ein Problem“

55 Österreich: Kein MasterStudiengang Internationale Entwicklung

49 Studie: Evaluierung der ParisErklärung

56 Kirche und Ökumene: Kirchen legen Verhaltenskodex für Mission vor



Gisela Felkl

41 Westjordanland: Geisterstadt Hebron Pufferzonen sollen Israelis und Palästinenser voreinander schützen

Bettina von Clausewitz

44 Liberia: Auf dem Holzweg? Die Geschäfte des Energieversorgers Vattenfall mit Biomasse sind umstritten

50 B  erlin: BMZ erhält enttäuschenden Rekordhaushalt 52 Brüssel: Mehr Geld für die EU-Außenpolitik

Johannes Schradi

54 Schweiz: Dialog zwischen Alliance Sud und Nestlé

SÜD-SICHTEN

service

46 Botschafter der Tuareg Die Band Tamikrest tourt durch Europa und setzt sich für die Rechte der Nomaden ein

60 Rezensionen



58 Global Lokal: Viele Bundesländer tun zu wenig für die UN-Millenniumsziele 59 Personalia

66 Impressum

64 Termine

Felix Ehring

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standpunkte die seite sechs

Reife Leistung

zapiro

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Es gibt Leute, die ernsthaft fordern, der Mensch solle weniger Fleisch essen und weniger Auto fahren. Dann müsste nicht so viel Soja und anderes Tierfutter sowie Biotreibstoff angebaut werden. Auf den frei werdenden Flächen könnten stattdessen Lebensmittel gepflanzt werden – zum essen. Und alle würden satt. Eine rührende Vorstellung, aber hoffnungslos altmodisch. Noch nie etwas von „Vertical Farming“ gehört? Von Landwirtschaft in Städten und Hochhäusern? Damit ist nicht Ihr Basilikum oder Zupfsalat auf dem Balkon gemeint. Nein, es geht um Wolkenkratzer als Treibhäuser, voll mit Tomaten, Gurken, Reis und Mais, Bananen und Melonen. Vom Erdgeschoss bis zum 110. Stock. In Südkorea probiert das ein Agrarwissenschaftler gerade aus.

Wer war’s? „Ich habe mich noch nie so geliebt gefühlt.“ Syriens Präsident Bashar al-Assad im Juni nach Gesprächen mit Bürgern über die Zukunft des Landes.

Auf Lanzarote wurde er 1897 geboren. Noch in seiner Kindheit zogen seine Eltern mit ihm auf die andere Seite des Atlantiks. Von da an lebte er bis zu seinem Tod in einem idyllischen Küstenort. Wie viele Männer aus dem Dorf bestritt er seinen Lebensunterhalt mit dem Fischfang. 1928 lernte er einen Amerikaner kennen, um dessen Boot er sich in den folgenden Jahren gegen ein Entgelt kümmerte. Schnell wurden sie zu Freunden. Mehr als 30 Jahre arbeitete er als Kapitän auf der kleinen Yacht. Den Amerikaner beeindruckten sein gutes Gespür für den Fischfang und seine Seemannskünste – Legenden nach hat er vier Hurrikane überlebt. Einmal soll er sogar trotz Haien ins Wasser gesprungen sein, um einen Mann vor dem Ertrinken zu retten. Jahre später erbte er von seinem Freund das Boot, das

auf einen spanischen Frauennamen getauft war. Doch er wollte nie wieder damit auf das Meer hinausfahren, zu groß war die Trauer um seinen einstigen Gefährten. Er vermachte das Boot dem Staat, blieb an Land, lebte zurückgezogen und arbeitete in einer Werft. In den späten 1980er Jahren allerdings bescherte ihm seine Freundschaft mit dem Amerikaner große Aufmerksamkeit und sogar einen gewissen Ruhm. Der passionierte Zigarrenraucher wurde ein großer Geschichtenerzähler, der manche Legende spann und Stoff für Spekulationen lieferte. Dichtung und Wahrheit ließen sich dabei nie so ganz voneinander trennen. Wer war’s? Auflösung aus Heft 7: Gesucht war der frühere französische Außenminister und Mitgründer von Ärzte ohne Grenzen, Bernard Kouchner.

Ein Professor in New York hat ausgerechnet, dass 160 vertikale Treibhäuser mit jeweils 30 Stockwerken seine gesamte Heimatstadt ernähren könnten. In genug Hochhäusern könnte man also Essen für einen Großteil der Weltbevölkerung pflanzen, vor allem für die drei Milliarden Menschen, die bis 2050 zu den heute schon sechs Milliarden noch dazu kommen. Die Bewohner der Häuser müssten natürlich ausziehen. Aber wohin? Freie Flächen würden für Energiepflanzen benötigt, denn die Indoor-Treibhäuser müssen beheizt und künstlich beleuchtet werden. Damit die Tomaten auch rot werden. Um den Weizenertrag eines Jahres der USA vertikal anzubauen, bräuchte man allein für die Beleuchtung achtmal so viel Strom, wie alle Kraftwerke des Landes zusammen produzieren. Der Mensch müsste also dahin zurück, woher er gekommen ist: in Höhlen. Oder fremde Planeten besiedeln. Weniger Fleisch essen und weniger Auto fahren? Pah! Warum einfach, wenn’s auch umständlich geht.

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leitartikel standpunkte

Heiße Zeiten Die Weltklimakonferenz in Durban steht unter schlechten Vorzeichen Von Bernd Ludermann

Z

wischen Worten und Taten im Klimaschutz herrscht eine deprimierende Kluft. Die Staaten sind sich einig, dass die Erderwärmung auf höchstens 2 Grad Celsius begrenzt werden muss – auf der jüngsten Weltklimakonferenz Ende 2010 in Cancún haben sie das so beschlossen. Dazu müssen die globalen Treibhausgas-Emissionen schnell und stark gesenkt werden. Ziele für die einzelnen Länder sollte die Klimakonferenz Ende diesen Jahres in Durban

Die USA, eins der Länder mit den höchsten ProKopf-Emissionen, werden in absehbarer Zeit keine internationalen Minderungspflichten akzeptieren festlegen. Das wird sie aber nicht. Die Verhandlungen im Vorfeld – zuletzt im Juni in Bonn – kommen nur bei Fragen wie Technologie-Transfer und Finanzhilfe für arme Staaten voran. Umstritten ist schon, ob neue Minderungsziele unter dem Kioto-Protokoll oder in einem neuen Abkommen bestimmt werden sollen. Im Kioto-Protokoll haben sich die Industrieländer außer den USA auf nationale Emissionseinsparungen bis 2012 verpflichtet. Da es den Großteil der Emissionen – die der USA und der Schwellenländer – nicht mehr erfasst, hält etwa die Europäische Union (EU) ein neues, umfassendes Abkommen für besser. Das aber ist in Kopenhagen Ende 2009 gescheitert und weiter außer Reichweite. Zwar hat in manchen Schwellenländern, die 2009 verbindliche Emissionsziele für Entwicklungsländer abgelehnt hatten, ein Umdenken eingesetzt – etwa in China. Doch die USA, eins der Länder mit den höchsten ProKopf-Emissionen, werden in absehbarer Zeit keine internationalen Minderungspflichten akzeptieren. Der von den Republikanern beherrschte Kongress und der Feldzug der Rechten gegen Präsident Obama machen jede vernünftige US-Klimapolitik vorerst unmöglich. Das einzige Instrument für international verbindliche Emissionsgrenzen entfällt also, wenn nicht wenigstens die Verpflichtungen unter dem Kioto-Protokoll erneuert werden. Doch das lehnen Japan, Kanada und Russland ab.

Bernd Ludermann . ist Chefredakteur von

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Bleibt der in Kopenhagen beschlossene Ansatz „von unten“: Staaten melden geplante Emissionsminderungen, die international überprüft werden. Das reicht aber nicht. Über 70 Staaten haben solche frei-

willigen Zusagen gemacht. Da manche an Bedingungen geknüpft oder auf das Wirtschaftswachstum bezogen sind, ist das Ausmaß nicht ganz klar. Doch im günstigsten Fall ergeben sich globale Emissionen, die eine Erwärmung von mindestens 2,5 Grad Celsius erwarten lassen, im weniger günstigen bis 5 Grad. Die Entwicklungsländer versprechen dabei – wie das Stockholm Environment Institute (SEI) anhand von vier verschiedenen Vergleichsmethoden gezeigt hat – erheblich mehr Emissionsminderungen gegenüber der Fortschreibung des Trends (Business as Usual) als die Industrieländer. Wird da mit zweierlei Maß gemessen, weil für Industrieländer der Trend bereits ein Ergebnis von mehr Effizienz und Klimaschutz ist, der Maßstab also strenger? Nein, sagt das SEI: Einige, etwa die USA und Russland, treiben kaum Klimaschutz. Und alle profitieren davon, dass im Zuge der Globalisierung schmutzige Industrien in Entwicklungsländer abgewandert sind, besonders nach China. Importe der Industrieländer verursachen heute viel mehr Emissionen in Entwicklungsländern als 1990. Rechnet man die den Industrieländern zu, dann sind deren gesamte Emissionen nicht leicht gesunken, sondern deutlich gestiegen. Das gilt selbst für die EU. Will sie wirklich eine Vorreiterrolle spielen, dann wird es höchste Zeit für die Zusage, bis 2020 in jedem Fall 30 Prozent Emissionen einzusparen. Die wird sie so bald aber nicht geben. Denn mit Polen hat der schärfste Gegner dieses Schrittes und ein besonders von Kohle abhängiges Land nun die EU-Präsidentschaft inne. Zudem ist die EU von der Staatsschuldenkrise gelähmt. Ein wichtiger Fürsprecher des Klimaschutzes unter den Industrieländern dürfte in Durban ausfallen. Auch in Deutschland, wo die Emissionen bis 2040 um 40 Prozent senken sollen, klaffen hehre Ziele und praktische Politik zu oft auseinander. So ist kein Moratorium für den Bau neuer Kohlekraftwerke Sicht. Und die Bundesregierung hat gerade eine absurde Kennzeichnung eingeführt, wonach die Effizienz von PKW nach Verbrauch pro Gewicht ermittelt, also schwere Autos grün gerechnet werden. Für solche Schildbürgerstreiche ist die Lage zu ernst: Die globalen Emissionen aus dem Energiesektor haben laut der Internationalen Energie-Agentur nach der Weltwirtschaftskrise einen neuen Höchststand erreicht – und vier Fünftel kommen aus Kraftwerken, die auch 2020 noch laufen werden. Nach Jahrzehnten des Zögerns scheint das 2-Grad-Ziel kaum noch erreichbar.

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standpunkte kommentar

Trauer, Mitleid – und Wut Wieder einmal hat die Welt tatenlos zugeschaut, wie in Afrika eine Hungersnot entsteht Von Simon Levine

Am Horn von Afrika drohen tausende Menschen zu verhungern. In der Grenzregion von Somalia, Kenia und Äthiopien hat es seit zwei Jahren nicht mehr geregnet. Aber das ist nicht die Hauptursache der Krise. Neben dem Krieg in Somalia sind die Regierungen der drei Länder verantwortlich, die die betroffene Bevölkerung seit je vernachlässigen, sowie die internationale Hilfsmaschinerie, die viel zu spät anläuft.

Im Juli haben die Vereinten Nationen die Lage in Somalia zur Hungersnot erklärt. Der Begriff wird offiziell selten gebraucht – ernste Umstände wie derzeit sind die Ausnahme. Und Regierungen scheuen dieses gefühlsgeladene Wort. Aber in Somalia haben die UN-Technokraten nun den Notstand ausgerufen, nicht aus einem Gefühl heraus, sondern auf der Grundlage profaner Daten über Sterbende und Hungernde. Im ganzen Land sowie in Teilen Äthiopiens und Kenias stirbt das Vieh in großer Zahl, weil es kein Wasser und kein Weideland mehr gibt. Bis September wird es nicht regnen. Selbst wenn der nächste Regen gut ausfällt, wird sich die Lage bis Oktober auf jeden Fall noch verschlimmern. Zehntausende Kinder könnten sterben, während hunderttausende geschwächte Menschen in Flüchtlingslager strömen – auf der Suche

Regierungen und Hilfsorganisationen haben wieder gewartet, bis sie Millionen unterernährter Kinder gesehen haben. nach Essen und medizinischer Hilfe. Tiere im Wert von hunderten Millionen Dollar werden verenden. Den Besitzern wird nichts bleiben, das ihnen helfen könnte, mit der nächsten Krise fertig zu werden, die unweigerlich kommen wird. Hilfsorganisationen bereiten sich vor, auf die Krise zu reagieren. Aber es ist viel zu spät, um mehr als die schlimmsten Symptome zu bekämpfen. Kühe und Kamele am Leben zu erhalten – und damit für Milch sowie Geld

für Lebensmittel zu sorgen –, wäre viel billiger gewesen als jetzt unterernährte Kinder zu füttern. Aber als dafür noch Zeit war, wurde nur wenig unternommen. Mitgefühl ist die erste Antwort auf die Situation in Somalia und seinen Nachbarländern. Aber es darf nicht bei Trauer und Mitleid bleiben. Ein gewisses Maß an Wut ist ebenso angebracht – und ein stures Festhalten daran, dass solche Notlagen nicht zugelassen werden dürfen. Berichte in den Medien sind einerseits hilfreich, weil sie zu der dringend erforderlichen Hilfe animieren. Sie können andererseits aber auch die Wut dämpfen, denn zu oft wird der Hunger mit einer Dürre erklärt. Und wem, außer vielleicht Gott, sollte man die Schuld für einen Mangel an Regen oder andere Naturkatastrophen geben? Natürlich spielt es eine Rolle, dass es nicht regnet. Aber die Menschen sterben nicht allein deshalb, ja nicht einmal ihre Tiere verenden, nur weil es nicht regnet. Die Viehhirten in den Trockengebieten am Horn von Afrika können mit den wiederkehrenden Dürren an sich gut umgehen, indem sie mit ihren Tieren über das Land ziehen, auf der Suche nach neuen Wasserquellen und frischen Weiden. Hungersnöte gibt es bei den Pastoralisten nur dann, wenn sie noch andere Probleme haben. Das größte Problem in Somalia ist der seit zwanzig Jahren dauernde Bürgerkrieg, der die Wirtschaft zerstört hat und die Überlebensstrategien der Bevölkerung untergräbt. Bei der Hungersnot 1984 in Äthiopien wird heute ebenfalls häufig an eine Dürre gedacht. Aber

auch sie war in Wahrheit die Folge eines langen Bürgerkriegs, der die Fähigkeit der Leute zerstört hatte, mit einer weiteren Trockenperiode fertig zu werden. Der Konflikt in Somalia hat außerdem die Wanderwege der Viehhirten zerschnitten, so dass sie die verbleibenden Weiden und Wasserquellen nicht erreichen. Weitere Ursachen reichen noch tiefer. Pastoralisten geraten in die Krise, wenn Regierungen ihnen verbieten, über das Land zu wandern, das sie speziell in Trockenzeiten benötigen – zum Beispiel weil auf ihren Weidegründen Pflanzen angebaut und bewässert werden oder das Land an Investoren verpachtet wurde. Dabei ist längst entschieden: Die nomadische Viehwirtschaft ist viel besser geeignet für das trockene Weideland und produktiver als bewässerte Landwirtschaft. Krisen entstehen aber auch dadurch, dass in Gegenden, die während Dürren als Weideland dienen, unkontrolliert Wasserquellen angelegt werden, die zu viele Hirten und ihr Vieh anlocken. Oder dadurch, dass Regierungen die Grenzen schließen, den Handel unterbinden und als Folge die Lebensmittelpreise in die Höhe schießen. Oder dadurch, dass Nahrungsmittelhilfe – die in Notsituationen dringend gebraucht wird – aus politischen Gründen jahrein, jahraus weiter gegeben wird, die Selbsthilfekräfte der Empfänger schwächt und dazu führt, dass sich Leute in Gegenden ansiedeln, in denen sie sich nicht selbst ernähren können. Krisen entstehen, weil Regierungen die Wirtschaft der Pastoralisten nicht fördern und den Handel

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wolfgang Ammer

kommentar standpunkte

mit Vieh behindern, weil sie fürchten, ihnen könnten Steuereinnahmen durch die Lappen gehen. Krisen treffen Bürger, die von ihren Regierungen missachtet werden.

Simon Levine ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Overseas Development Institute (ODI) in London. Zuvor war er mehrere Jahre für Hilfsorganisationen in Afrika tätig.

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Wut ist auch deshalb angebracht, weil Hungersnöte entstehen, wenn Hilfe nicht rechtzeitig ankommt. In Teile Somalias und dem Süden Äthiopiens haben Hilfsorganisationen wegen der Konflikte dort keinen Zugang. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Dürren und Krisen am Horn von Afrika gab es bereits 1999/2000, 2002/2003, 2005/2006 sowie 2008/2009 – und jedes Mal war die Reaktion gleich: spät und unangemessen. Jedes Mal gab es etliche Warnsignale – auf die gegenwärtige Krise bereits vor einem Jahr. Doch Regierungen und Hilfsorganisationen haben auch dieses Mal wieder gewartet, bis sie Millionen unterernährter Kinder gesehen haben – und erst

dann auf die unausweichliche Logik der sich zuspitzenden Krise reagiert. Das System der humanitären Hilfe springt auf die falschen Signale an: Wir reagieren auf Unterernährung, die erst dann auftritt, wenn die Leute nichts mehr zu essen haben. Es muss aber schon dann etwas getan werden, wenn sich abzeichnet, dass die Nahrung knapp wird. Doch für derart rechtzeitige Hilfe müssen viele Kräfte zusammenwirken, und wir wissen längst, dass die Regierungen der betroffenen Länder, die Geber, die Vereinten Nationen und andere Organisationen unfähig dazu sind. Wir wissen genau, warum, und wir wissen, was eigentlich nötig wäre: langfristige Strategien, die auf flexiblen Hilfsprogrammen ruhen, die es erlauben, den Kurs zu ändern, wenn sich die Lage ändert, sowie Nothilfe mit dem Ziel, die Viehwirtschaft der Pastoralisten

am Leben zu erhalten, so dass die Hirtenfamilien sich selbst ernähren können. Diese Strategien müssen auf der Bewegungsfreiheit aufbauen, die die Viehhirten brauchen, statt sie zu behindern. Die Hungersnot am Horn von Afrika wird in den nächsten Monaten noch schlimmer werden. Das lässt sich nicht ändern, aber das macht sie noch lange nicht zur „Naturkatastrophe“. Der Regenmangel hat Mensch und Tier in der Region den Rest gegeben – aber nur weil beide schon vorher von der Politik und der internationalen Hilfe sträflich vernachlässigt und als Folge unerträglich belastet wurden. Als Mitglieder der Entwicklungshilfe-Gemeinschaft haben wir nur wenig Einfluss auf die Politik. Wir können und sollten aber versuchen, die Hilfe zu verbessern. Ist die Wut groß genug, dass wir es dieses Mal wirklich versuchen?

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standpunkte kommentar

Den falschen Job Entwicklungsminister Niebel verteidigt deutsche Rüstungsexporte Bundeskanzlerin Angela Merkel reist um die Welt und bietet deutsche und europäische Waffen feil. Anstatt für Zurückhaltung bei Rüstungsexporten zu plädieren, wie es einem Entwicklungsminister gut anstünde, pflichtet Dirk Niebel der Kanzlerin bei und rechtfertigt die geplanten Deals – mit absurden Argumenten.

Das Bild hat etwas makaberes: Während sich am Horn von Afrika eine dramatische Hungersnot zusammenbraut, versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel am anderen Ende des Kontinents der Regierung von Angola Kriegsschiffe aus deutscher Produktion anzudrehen. So geschehen Mitte Juli auf Merkels Afrikareise – und noch während einer hitzigen Debatte in Berlin über die Lieferung von Leopard-Panzern an SaudiArabien. Im Mai wiederum hatte die Kanzlerin in Indien die Werbetrommel für Kampfflugzeuge „made in Europe“ gerührt. Patrouillenboote, Kampfpanzer und Düsenjäger: Beim Verkaufen von Kriegsgerät ist Merkel nicht weniger zimperlich als ihre Vorgänger – mag der Kunde auch noch so korrupt sein (Angola), im gefährlichen Dauerkonflikt mit seinem Nachbarn liegen (Indien)

oder eben erst Demonstranten für mehr Demokratie niedergeschossen haben (Saudi-Arabien). Über derlei Geschäfte entscheidet der Bundessicherheitsrat, dem mehrere Ministerien angehören. Als die rot-grüne Bundesregierung 1998 das Entwicklungsministerium neu in das Gremium aufnahm, kam die Hoffnung auf, das werde Rüstungsexporte erschweren. Die Hoffnung trog, die damalige Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wurde regelmäßig überstimmt. Immerhin wollte sie die Ausfuhren beschränken – anders als offenbar ihr Nachfolger Dirk Niebel. Der hat unlängst in einem Zeitungsinterview die Angebote an Saudi-Arabien und Angola verteidigt. Sein Hinweis, Patrouillenboote seien schwer gegen Demonstranten einzusetzen, lässt sich noch als für ihn typische

Frotzelei abtun. Aber sein Argument, auch während des OstWest-Konflikts habe die militärische Abschreckung doch dazu beigetragen, den Krieg zu verhindern, ist haarsträubend. Niebel ignoriert, dass diese Abschreckung – sprich: eine irrsinnige Bewaffnung, mit der sich beide Supermächte mehrmals hätten vernichten können – den Konflikt zusätzlich angeheizt und nicht etwa entschärft hat. Und von den vielen heißen Stellvertreterkriegen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die anstelle des großen kalten Krieges geführt wurden, hat der Minister offenbar auch noch nichts gehört. Dirk Niebel als Apologet von Rüstungswettläufen und als Stichwortgeber der Waffenindustrie – der FDP-Mann hat einmal mehr bewiesen, dass er den falschen Job hat.  (ell)

Neue Klos für die Armen Die Gates-Stiftung investiert in sanitäre Einrichtungen in Entwicklungsländern Die Fortschritte bei der sanitären Versorgung von armen Menschen in Entwicklungsländern sind dürftig - das hat Anfang Juli der diesjährige Bericht zu den Millenniumszielen der UN gezeigt. Die Bill & Melinda Gates-Stiftung hat nun angekündigt, das heikle und unbeliebte Thema zu einem ihrer zentralen Anliegen zu machen. Die prominente Hilfe könnte ein wichtiges Zeichen setzen.

Toiletten und Abwassersysteme für Arme in Entwicklungsländern sind nichts, mit dem sich Prominente gerne schmücken – sieht man einmal von der Aktion „WASH united“ ab, bei der männliche und weibliche Fußballstars für bessere Hygiene, einen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen werben. Das könnte sich jetzt ändern: Der US-amerikanische Multimilliardär Bill Gates will mit einer zusätzlichen Finanzspritze in Höhe von 42 Millionen US-Dollar eine hygienische, sichere und erschwingliche sanitäre Versorgung in armen Ländern fördern. Künftig wolle man der „wichtigste Förderer von Innovationen in diesem Sektor“ werden, kündigte der zuständige Direktor Frank Rijsberman großspurig an. Aber viel-

leicht hilft nicht nur Gates’ Geld, sondern auch sein prominenter Name, um das heikle und vernachlässigte Thema populärer zu machen. Das wäre ein guter Nebeneffekt. Seit Jahren beklagen Hilfsorganisationen, dass Projekte zur Verbesserung von Hygiene und sanitärer Versorgung zu wenig attraktiv sind, um dafür Spenden einzuwerben. Auch bei den Millenniumszielen (MDG) der Vereinten Nationen bleibt der Anspruch, bis 2015 den Anteil derer zu halbieren, die keinen Zugang zur sanitären Versorgung haben, weit hinter der Realität zurück. 2,6 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu Toiletten oder Sanitäranlagen – mit verheerenden Folgen für die Gesundheit. Durchfall, verursacht

durch schlechte Hygiene, ist für die meisten Todesfälle bei Kindern in Afrika verantwortlich. Die Gates-Stiftung will unter anderem „die Toilette neu erfinden“, wie eine Vertreterin das nennt. Und zwar angepasst an lokale Gegebenheiten, also ohne Wasserspülung und ohne einen Anschluss an Abwasserkanäle. Erfolgreich sind solche Ansätze nur, wenn sie die Bevölkerung vor Ort einbinden. Das hat die Stiftung angekündigt und daran wird sie sich messen lassen müssen. Schnellere Fortschritte sind in jedem Fall nötig. Denn wenn es in demselben Tempo weitergeht wie bisher, werden laut UN erst im Jahr 2049 rund 77 Prozent der Weltbevölkerung mit Toiletten und sanitären Einrichtungen versorgt sein.  (gka)

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herausgeberKolumne standpunkte

Barrieren einreißen Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert „Behinderung“ neu Behindert ist man nicht, behindert wird man – diesem Verständnis hat sich die WHO in ihrem ersten Weltbehindertenbericht angeschlossen. Eine Vielzahl von sozialen und baulichen Barrieren erschweren behinderten Menschen den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und gesellschaftlicher Teilhabe. Bei der Bestandsaufnahme darf es aber nicht bleiben. Es gilt, diese Hindernisse zu überwinden. Von Rainer Brockhaus

Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Weltbank haben erstmals einen Bericht vorgelegt, der die Situation behinderter Menschen weltweit dokumentiert. Die Christoffel-Blindenmission (CBM) hat den Report inhaltlich und finanziell unterstützt. Das rund 300 Seiten starke Dokument birgt vor allem zwei neue

Das gelähmte Schulkind in Ruanda hat wenig von einem gespendeten Rollstuhl, wenn es den holprigen Weg zur Schule damit nicht befahren kann. Erkenntnisse. Erstens: Die Zahl der Menschen mit Behinderungen ist weitaus höher als bisher angenommen – mehr als eine Milliarde Menschen weltweit müssen mit einer Behinderung zurecht kommen, nicht 650 Millionen, wie seit den 1970er Jahren angenommen.

Dr. Rainer Brockhaus ist Direktor der Christoffel-Blindenmission Deutschland (CBM).

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Und zweitens wird Behinderung von der WHO endlich so definiert, wie Selbsthilfegruppen und Entwicklungsorganisationen es schon lange fordern: Als Zustand, der einen Menschen von seinem sozialen Umfeld isoliert, von gesellschaftlichen Aktivitäten trennt und an der Teilhabe an Bildung und medizinischer Versorgung hindert. Behinderung ist damit nicht mehr ein rein medizinisches Phänomen, das isoliert unter dem Aspekt betrachtet wird, inwieweit Fehlfunktionen des Körpers den Menschen „krank“ oder „behindert“ machen.

Dieser längst überfällige Ansatz ist für Menschen mit Behinderungen in Deutschland ebenso relevant wie in Entwicklungsländern. Nach der neuen Definition sind sie nicht deshalb behindert, weil sie etwa im Rollstuhl sitzen, sondern weil ihnen das Umfeld Barrieren in den Weg stellt. Was nützt dem Rollstuhlfahrer in Deutschland die Straßenbahn mit Niederflureinstieg, wenn der Zugang zum Theater über eine Treppe führt? Es würde kaum einen Unterschied machen, wenn die Theatergäste in Abendrobe – die weiblichen ohnehin oft in Stöckelschuhen – über eine sanft ansteigende Rampe defilieren müssten statt über eine steile Treppe. Das gelähmte Schulkind in Ruanda hat wenig von einem gespendeten Rollstuhl, wenn der Weg zur Schule so voller Schlaglöcher ist, dass es ihn nicht befahren kann. Was hindert das Kind, sein Recht auf Bildung wahrzunehmen: Die körperliche Einschränkung oder der schlechte Weg? Auch in der medizinischen Grundversorgung sind Menschen mit Behinderungen benachteiligt: Mehr als die Hälfte dieser Menschen in Entwicklungsländern kann sich laut WHO nicht einmal den Transport zu Gesundheitszentren leisten. Das mag in der industrialisierten Welt weniger das Problem sein. Doch dafür trifft die Rollstuhlfahrerin, die die Anreise zur Arztpraxis noch mühelos bewältigt hat, dort auf Mammografiegeräte zur Brustkrebs-Früherkennung, die sie nur

benutzen kann, wenn sie aufrecht steht. Und während ein Kind mit intellektueller Einschränkung in Afrika oft gar keine Schule besucht, hätte es bei uns sogar das Anrecht auf den Besuch einer Regelschule. Doch seine Eltern stoßen in der Regel bereits im Vorfeld auf so viele Vorbehalte, dass sie oft beschließen, es doch lieber auf eine „Sonderschule“ zu schicken. Der Bericht der WHO zeigt deutlich: Noch immer stehen zu viele Barrieren zwischen Menschen mit Behinderungen und ihrer vollen Teilhabe an der Gesellschaft. Dabei sind sie die größte Minderheit der Welt und machen in Entwicklungsländern bis zu einem Fünftel der Bevölkerung aus. Die Weltgemeinschaft kann es sich kaum leisten, auf die Potenziale behinderter Menschen zu verzichten, es sei denn, sie will erhebliche volkswirtschaftliche Schäden in Kauf nehmen. Wir alle sind gefordert, die Hindernisse im Gesundheitsbereich, Bildungswesen oder Berufsleben zu beseitigen, die es behinderten Menschen schwer machen, ihre Fähigkeiten ein­zubringen und als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Das kontext- und umfeldbezogene Denken, das in der Entwicklungszusammenarbeit schon lange selbstverständlich ist, sollte im Norden wie im Süden angewendet werden, wenn es darum geht, soziale oder bauliche Barrieren zu überwinden. Bei einer reinen Bestandsauf­ nahme darf es jedenfalls nicht bleiben. Wir alle haben etwas davon, wenn wir die Hindernisse beseitigen, die Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen erst zu „behinderten Menschen“ machen – seien sie in öffentlichen Gebäuden, Arztpraxen oder in unseren Köpfen.

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schwerpunkt fischerei

Die Kleinfischer bevorzugen Die Fischerei­ wirtschaft muss sozial gerecht organisiert werden

Millionen Menschen leben von der Fischerei. Sie dient ihnen als Einkommen und Nahrungsquelle. Doch zunehmend drängen riesige Fangflotten aus Industrie- und Schwellenländern die afrikanischen und asiatischen Kleinfischer an den Rand ihrer Existenz. Die Steigerung der Produktion geht auch zu Lasten der Umwelt: Große Teile der Weltmeere sind bereits überfischt. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, sollten Fangrechte künftig auf der Basis der Menschenrechte vergeben werden.

Von Brian O’Riordan

Die Bedeutung der Fischerei als Quelle von Nahrung, Einkommen und Wohlstand kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass in diesem Bereich so wenig Klarheit herrscht, so vieles falsch dargestellt und deshalb auch falsch geregelt wird. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Fischereiwesen stark verändert. Die Fangtechniken sind kapitalintensiver und weniger umweltverträglich geworden. Die zunehmende internationale Nachfrage ließ das Handelsvolumen und die Fangmengen wachsen und hat damit auch den Druck auf die Fischbestände verstärkt. Mehr und mehr müssen Gemeinschaften, die traditionell vom Fischfang leben, mit anderen Interessenten um die Nutzung der Küsten und ihrer Naturschätze konkurrieren. Vielfach wenden sie deshalb intensivere Fangmethoden an, die weniger nachhaltig und fair sind. Guter Fang: Fischer im südindischen Trivandrum begutachten die Fische, die ihnen ins Netz gegangen sind. Getty Images

Urbanisierung, Industrialisierung und Zuwanderung konzentrieren sich vor allem auf die Küstengebiete. Dadurch verändert sich der Lebensraum der

Menschen, die in kleinem Umfang Fischfang betreiben. Ihr Zugang zu den Küstengewässern wird zum Teil erheblich beeinträchtigt. Weltweit bedroht der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel traditionelle soziale Arrangements. Außerdem muss sich die Bevölkerung niedrig gelegener Gebiete auf den Anstieg der Meeresspiegel und auf häufigere Naturkatastrophen einstellen. Es ist zu befürchten, dass der Klimawandel und extreme Unwetter die Fischerei stark gefährden, auf die diese Menschen angewiesen sind. Nach den Daten der Welternährungsorganisation FAO lieferte das Fischereiwesen (Fischfang und Aquakultur) 2008 insgesamt 142 Millionen Tonnen Fisch, von denen 115 Millionen Tonnen der menschlichen Ernährung dienten. Im Jahr 2007 machte Fisch knapp 16 Prozent des auf der Welt verzehrten tierischen Proteins und rund 6 Prozent der gesamten verzehrten Proteinmenge aus. Über 1,5 Milliarden Menschen deckten fast 20 Prozent ihres durchschnittli-

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die Erträge aus etwa 70 Prozent aller kommerziell genutzten Fischbestände informiert. Aus Afrika bekommt sie nur Daten von zwei Fünftel der Länder. Eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Untersuchung der Universität von British Columbia stellt fest, dass die Erträge aus der Arktis viel zu gering angegeben werden und möglicherweise bis zu 75 Mal höher sind als bisher angenommen. Die meisten Länder der Welt unterschätzen auch die Fischmengen, die von Kleinfischern geliefert werden. Außerdem werden solche Daten in vielen Ländern gar nicht erhoben. Die Fischerei bietet Millionen Menschen eine wichtige Nahrungs- und Einkommensquelle. Laut FAO hat

Die Fischer von Trivandrum ziehen ihre Netze aus dem Wasser. Getty Images

chen Pro-Kopf-Verzehrs an tierischem Eiweiß mit Fisch, 3 Milliarden Menschen mindestens 15 Prozent. Laut FAO produzierte der Fischfang (ohne Aquakultur) 2008 insgesamt einen Ertrag von etwa 90 Millionen Tonnen, dessen geschätzter Erstverkaufswert sich auf knapp 94 Milliarden US-Dollar belief. Davon stammten etwa 80 Millionen Tonnen aus dem Meer, während Erträge aus Binnengewässern das Rekordniveau von 10 Millionen Tonnen erreichten. Doch sind all diese Zahlen Schätzungen, die wohl viel zu niedrig angesetzt sind. Die FAO wird nur über

die Beschäftigung im Fischfang und in den Aquakulturen in den vergangenen drei Jahrzehnten stark zugenommen. Für 2008 wird angenommen, dass knapp 45 Millionen Menschen ganztägig oder, häufiger, stundenweise direkt in diesen beiden Bereichen tätig waren, darunter mindestens 12 Prozent Frauen. Auch dies ist wahrscheinlich eine zu niedrige Schätzung, denn die Arbeit der Frauen wird oft weder bezahlt noch anerkannt und dokumentiert. Viele für Statistik zuständige Regierungsbehörden erheben dazu überhaupt keine Zahlen. Ein zentraler Fehler in der Einschätzung des Fischfangs besteht darin, ihn als isolierte Nischenbeschäftigung zu betrachten. Darauf stützen sich ungeeignete Strategien und verfehlte Konzepte für das Fischereimanagement und den Erhalt der Bestände. So wird im Bereich Fischerei die Steigerung

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Sorgfältig wird der Fisch aus dem Netz geborgen, in Kisten verpackt und zum Verkauf transportiert. Getty Images

der Produktion und die Maximierung des Gewinns politisch gefördert – auf Kosten der sozialen und ökologischen Aspekte. Deshalb werden Ökosysteme in Meeren, Flüssen und Seen überall auf der Welt von Überfischung und rücksichtslosen Fangmethoden gefährdet. Die Menschen, die vom Fischen abhängig sind, leben weiterhin unter schlechten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Die Fixierung auf die Produktionssteigerung, nach der sich der Wert jeder Modernisierung im Wesentlichen an einer erhöhten Rentabilität bemisst, trägt nicht zur Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit bei. Grob gesagt lässt sich die Fischerei drei Kategorien zuordnen: der Kleinfischerei, der halbindustriellen Fi-

scherei und der großindustriellen Fischereiwirtschaft. Jede dieser Produktionsweisen hat ihre Vor- und Nachteile. Die handwerklich betriebene Kleinfischerei beschränkt sich meist auf die unmittelbare Umge-

Gemeinschaften, die vom Fischfang leben, müssen mit anderen Interessenten um die Nutzung der Küsten und der Naturschätze konkurrieren. bung; sie ist arbeitsintensiv, energieeffizient und hat wenig schädliche Folgen für die Umwelt. Sie arbeitet hauptsächlich mit Stellnetzen, Angelleinen und Reusen, die nur für den Fang bestimmter Fischarten geeignet sind. Das bringt einen eher geringen Ertrag, der aber eine hohe Qualität haben kann.

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Der Fisch wird als Lebensmittel auf lokalen, regionalen und internationalen Märkten angeboten und dient dem Lebensunterhalt der einheimischen Bevölkerung. Oft werden die Fänge in den Fischergemeinden von und an Frauen verkauft. Auch an der Vorbereitung des Fangs wie dem Herrichten der Geräte und der Boote sind Frauen beteiligt. Außerdem spielen sie eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung der Fische – wie dem Filettieren und Räuchern – sowie im Handel auf lokaler und regionaler Ebene, ganz besonders in Westafrika und in Asien. Die klein- oder halbindustrielle Fischerei ist meist von geringer Betriebsgröße, setzt aber weniger schonende Fanggeräte ein und ist weniger umweltver-

träglich. Sie arbeitet unter anderem mit Schleppnetzen und ähnlichen Geräten, die viel Energie und Treibstoff verbrauchen. Meist bedient sie Märkte, auf denen Fisch in großen Mengen und auch hochwertige Exportware wie Krabben gehandelt werden. Es wird relativ viel Kapital investiert, was auf Kosten der Arbeitsplätze geht. Je stärker die Fangmethoden mechanisiert werden, desto weniger wirtschaftlich und umweltverträglich sind sie. Steigende Energiepreise und knapper werdende Ressourcen lassen ihre Nachhaltigkeit fragwürdig werden. Die industrielle Großfischerei hängt nicht von einem Standort ab. Sie setzt destruktive Fanggeräte wie Schleppnetze und Ringwadennetze ein und hat eine schlechte CO2-Bilanz. Sie produziert den meisten Beifang (er beträgt etwa 40 Prozent und mehr der gesamten weltweiten Fangmenge), weil ihre

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Am Strand von Varkala in der Nähe von Trivandrum wird der frische Fisch auf traditionelle indische Art zubereitet. Getty images

Ausrüstung nicht auf bestimmte Fische spezialisiert ist und weil Fische mit geringerem Marktwert aus wirtschaftlichen Gründen aussortiert werden. Sie beliefert internationale Märkte und produziert Fisch als Lebensmittel und Tierfutter für den Massenkonsum. Sie ist in die globalen Systeme der Lebensmittelindustrie und der Finanzwelt integriert und deshalb auch Gegenstand der Finanzspekulation.

Immer häufiger beschäftigen diese großindustriellen Unternehmen unqualifizierte Arbeitskräfte aus armen Ländern, die unter schlechten Bedingungen und gegen geringe Bezahlung arbeiten müssen. Das gilt besonders für die Europäische Union, denn dort finden die jungen Leute die Arbeit in der Fischerei wegen der niedrigen Löhne, der schlechten Arbeitsbedingungen und des geringen Ansehens unattraktiv. Zwischen 20 und 30 Prozent der gesamten Fänge aus der Großfischerei werden zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet. Dafür werden große Mengen nicht ausgewachsener Fische gefangen, die in erwachsenem Zustand auch als Lebensmittel hätten dienen können. Vor allem in Europa werden Fischprodukte zunehmend unter einem Zertifikat wie dem Marine Stewardship Council (MSC) als umweltverträglich vermarktet. Doch arbeiten die MSC-zertifizierten Fischereibetriebe überwiegend mit Schleppnetzen, einer der am wenigsten nachhaltigen Fangtechniken, die je entwickelt wurden. Allein mehr als drei Millionen Tonnen Fisch mit MSC-Label – etwa die Hälfte dieser Fänge – werden auf hoher See mit Schleppnetzen in mittlerer Tiefe oder mit Grundschleppnetzen gefangen.

Wer Fisch fängt und wer ihn isst Am wichtigsten ist Fisch in Asien. Asiatische Länder stehen weltweit an der Spitze beim Fangen, Züchten, Verarbeiten – und Essen. China ist die Nummer eins: laut der Welternährungsorganisation FAO hat die Volksrepublik 2008 rund 47,5 Millionen Tonnen Fisch „produziert“, das meiste (32,7 Millionen Tonnen) in Aquakulturen. Das ist etwa ein Drittel der weltweiten Produktion. Auf den nächsten Plätzen folgen Peru, Indonesien, die USA und Japan. Die wichtigsten Fanggründe für Meeresfisch liegen im Nordwestpazifik. Allerdings werden dort inzwischen nur noch rund 50.000 Tonnen Kabeljau jährlich aus dem Meer gezogen, 1987 waren es noch 14 Millionen Tonnen. International gehandelt wurde 2008 laut der FAO Fisch für 102 Milliarden US-Dollar. Die größten Exportnationen sind China, Norwegen und Thailand. Japan, die USA und Spanien importieren die größten Mengen. 70 Prozent des weltweiten Fangs, der in den internationalen Handel kommt, landen in der Europäischen Union, den USA und Japan. Die größten Fischesser sind die Japaner: Sie verspeisen jährlich etwa 7,5 Milliarden Tonnen, rund zehn Prozent der weltweiten Fangmenge. Japan und die EU werden immer abhängiger von Importen, um den Appetit ihrer Bevölkerung auf Fisch zu stillen. Denn ihre eigenen Hoheitsgewässer sind zunehmend überfischt. Die EU-Flotten sind deshalb auch in immer weiter entfernten Meeresgebieten unterwegs. Und während sich die Japaner 1964 noch komplett selbst mit Fisch versorgen konnten, mussten sie 2006 schon 41 Prozent des Bedarfs einführen.  (gka/br)

Die Fischerei ist ein Teil komplexer Produktionssysteme vom Fang über die Vermarktung bis zum Verzehr. Zur Produktion gehören vorgeschaltete Tätigkeiten wie die Bereitstellung der Schiffe, des Treibstoffs und der Fanggeräte, das Fangen der Fische selbst sowie nachgelagerte Arbeiten wie das Anlanden, der Erstverkauf und die Wartung der Schiffe und der Ausrüstung. Die Vermarktung beinhaltet die Aufbereitung der Fische nach dem Erstverkauf, den Verkauf an Zwischenhändler, die Weiterverarbeitung und Verpackung, den Transport und den Endverkauf. Beim Konsum schließlich kann man unterscheiden zwischen dem direkten Verzehr vor Ort, dem Luxuskonsum auf lokaler und globaler Ebene sowie dem globalen Massenkonsum. Zu den Fischprodukten für den menschlichen Verbrauch zählen auch immer mehr Nahrungsergänzungsmittel und Erzeugnisse der pharmazeutischen und kosmetischen Industrie. In der handwerklichen Fischerei sind die Produktionsketten lang und die verschiedenen Tätigkeiten auf viele Schultern verteilt. Dagegen sind sie in der industriellen Fischproduktion zunehmend im selben Unternehmen integriert. Bei der Kleinfischerei wird deshalb der Nutzen viel eher breit verteilt und soziale Gleichheit begünstigt als in der industriellen Fischerei. Es besteht weitgehend Übereinstimmung, dass die Überfischung und die Überkapazitäten der Fangflotten zu den größten Problemen gehören. Die Fischbestände und die Lebensräume im Meer können sich nicht mehr regenerieren und die Fischereiflotten sind um ein Vielfaches größer, als es für den Fang der

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Wie Fisch auf den Markt kommt Angaben in Millionen Tonnen (Lebendgewicht)

Frisch Tiefgekühlt Industrieländer

Als Konserve

Entwicklungsländer

Getrocknet oder geräuchert Als Fischmehl, Fischöl etc. 0

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Quelle: FAO, The State of World Fisheries and Aquaculture 2010, Angaben für 2008

verfügbaren Fische nötig wäre. Daraus wird jedoch fälschlich geschlossen, der Kern des Problems sei, dass zu viele Schiffe zu wenig Fischen nachjagen, man müsse also in erster Linie die Zahl der Schiffe verringern. Doch die Fankapazität und die Überfischung hängen nicht nur von der Anzahl der Schiffe ab. Es kommt auch darauf an, wo, wann und wie ge-

Die industrialisierte Großfischerei bietet schlechte Voraussetzungen dafür, Arbeitsplätze, die Nahrungsversorgung oder die Umwelt zu schützen. fischt wird. Entscheidend ist das Zusammenwirken von Größe, Macht, Fangtechnik, Fanggebieten, Fangzeiten und vielen anderen Faktoren. Dazu gehört auch der Einsatz von nicht selektiven und umweltschädigenden Geräten und von verschwenderischen Geschäftspraktiken wie der, weniger hochwertige Fische und solche, deren Fangquote bereits ausgeschöpft ist, wegzuwerfen. Wenn nur die Zahl der Schiffe in den Mittelpunkt gestellt wird, versäumt man, die Flotten zu benennen, die am meisten fangen und den größten Schaden anrichten. Es wird dann auch nicht zwischen traditioneller Kleinfischerei und industrieller und halbindustrieller Fischerei unterschieden. Nachhaltige Entwicklung setzt aber voraus, dass soziale, wirtschaftliche und ökologische Belange gleichermaßen berücksichtigt werden.

Brian O’Riordan ist Vorsitzender der belgischen Sektion des International Collective in Support of Fishworkers (ICSF).

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Die industrialisierte Fischerei, die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen gegenüber sozialen und ökologischen Gesichtspunkten den Vorrang gibt, bietet schlechte Voraussetzungen dafür, Arbeitsplätze, anständige Arbeitsbedingungen, die Nahrungsversorgung und eine gesunde Umwelt zu erhalten. Für das

International Collective in Support of Fishworkers (ICSF), einen Interessenverband der asiatischen Kleinfischer, beginnt die Lösung für das Problem der Überfischung mit einem „SMART“-Ansatz (smallscale artisanal fishery activities, kleine handwerkliche Fischerei). Das bedeutet man soll viele Fischarten in unterschiedlichen Jahreszeiten mit verschiedenen Geräten fischen, und das energieeffizient, arbeitsintensiv und umweltschonend. Der Fischfang muss in vor- und nachlagerte Tätigkeiten der einheimischen Bevölkerung integriert bleiben und die Fischereiwirtschaft darauf ausgerichtet sein, für einen dauerhaften Verdienst zu sorgen und die Ressourcen zu schonen. Diese Art der Fischerei respektiert die Menschenrechte. Sie ist für die Gesellschaft wertvoller als großindustrielle Fischerei und kann, richtig unterstützt, einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und zum Erreichen der MillenniumsEntwicklungsziele leisten. Das Subsidiaritätsprinzip kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Nach diesem Prinzip sollen alle Fischbestände, die von Kleinfischern gefangen werden können, auch diesen vorbehalten bleiben. Großfischerei dürfte nur außerhalb solcher Gebiete zum Einsatz kommen. Dabei müssten die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit auf den Fangschiffen gebührend berücksichtigt werden. Das würde einhergehen mit einem Menschenrechtsansatz in der Fischerei. Ihr Nutzen darf nicht auf Kosten der Gesellschaft privatisiert werden. Fischereirechte mit Menschenrechten zu verknüpfen ist ein Ansatz, der den unterschiedlichen Lebensbedingungen der Kleinfischer und der Vielschichtigkeit der Armut besser als bisher gerecht wird. Wenn man Fangrechte unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte verteilt, bedeutet das auch, das Menschenrecht der Fischer auf angemessene Lebensbedingungen und faire Gewinnmöglichkeiten zu berücksichtigen. Sinnvolle Nutzungsrechte können für einen Ausgleich von kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen sorgen, zur Verringerung von Konflikten beitragen, die Ernährungssicherheit und die Einkünfte der Kleinfischer und der Fischergemeinden verbessern und die Erhaltung der lokalen Ökosysteme erleichtern. Von diesen Grundsätzen ausgehend arbeitet die FAO derzeit an neuen Richtlinien für die Erhaltung der nachhaltigen Kleinfischerei (Voluntary Guidelines on Securing Sustainable Small Scale Fisheries). Damit vollzieht sie eine grundsätzliche Wende. Denn in der Vergangenheit waren ausschließlich Staaten ihre Ansprechpartner. Ein auf den Menschenrechten beruhendes Herangehen setzt jedoch die Beteiligung aller Betroffenen voraus. Die Verknüpfung des Subsidiaritätsprinzips mit den Menschenrechten könnte dazu beitragen, viele Fehlentwicklungen in der Fischerei rückgängig zu machen.  Aus dem Englischen von Anna Latz.

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Garnelen mit bitterem Beigeschmack Malaysias Regierung treibt auf Borneo die Industrialisierung von Aquakulturen voran

Riesige Fischfarmen verdrängen im malaysischen Teil Borneos zunehmend die traditionellen Fischteiche in den Dörfern. Die Regierung will mit der industriellen Fischzucht die Armut bekämpfen und die Bevölkerung des Landes mit mehr tierischem Eiweiß versorgen. Geschäftsleute begrüßen den Wandel, doch die Dorfgemeinschaften fürchten um ihre Existenz. Von Jonathan Gorvett

Tief im Urwald des malaysischen Teils von Borneo, am Oberlauf des Rejang-Flusses, bleibt Gebril Atong plötzlich stehen. Neben der von Bulldozern grob durch den Wald geschlagenen Schneise liegt ein Stapel halb zerhackter Baumstämme. „Darunter sind meine Fischteiche“, erklärt er. „Eines Tages kamen die Leute von der Plantage einfach vorbei und haben alles abgeholzt. Der Abfall wurde in die Teiche geworfen und die Fische sind gestorben. Sie waren meine Existenzgrundlage.“

den Kürzeren gezogen haben. In vielen asiatischen Ländern zerstören Industrialisierung und Wirtschaftswachstum traditionelle Lebensformen – oft geschieht das brutal. Aquakulturen mit den traditionellen kleinen Fischteichen und Fischkäfigen werden verdrängt von tausend Hektar großen industriellen Fischfarmen mit der kompletten Infrastruktur vom Forschungslabor bis zur Verpackungsanlage und mit neuen Wohnsiedlungen, wo bezahlte Arbeit an die Stelle des Jagens und Sammelns tritt.

Gebril Aton ist einer von vielen Einheimischen, die bei der Industrialisierung im Bundesstaat Sarawak

Für manch einen bedeutet das Fortschritt und die Chance auf Wohlstand. Andere sind der Ansicht, dass

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Mitten im Urwald liegt im malaysischen Bundesstaat Sabah eine riesige Shrimpsfarm. Jason Isley-Scubazoo

damit für einen zweifelhaften ökonomischen Nutzen Dorfgemeinschaften zerstört und die Umwelt geschädigt werden. In anderen Ländern Asiens hat dieser Wandel mitunter auch Gewalt hervorgerufen und Todesopfer gefordert. „Aquakulturen hatten für uns nur Nachteile“, sagt Khushi Kabir, die Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation Nijera Khori in Bangladesch, die gegen die Ausbreitung der industriellen Garnelenzucht kämpft. „Wir haben uns eingemischt, als einer von uns ums Leben gekommen

das unter anderem mit der Industrialisierung insbesondere der Aquakulturen. Das gilt gleichzeitig als wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherheit des Landes – das heißt die benötigte Nahrung so weit in Malaysia zu produzieren, dass man nicht den Preisschwankungen des internationalen Lebensmittelmarktes ausgesetzt ist. In diesem Jahr seien 821,4 Millionen malaysische Ringgit (knapp 200 Millionen Euro) für elf Projekte bereitgestellt worden, darunter großflächige Aquakulturen, berichtete Datuk Seri Noh Omar, der Minister für Landwirtschaft und Agroindustrie, unlängst in Kuala Lumpur. Nach Angaben des Ministeriums produzierten die industriellen Aquakulturen in Malaysia im vergan-

Malaysia

CHINA

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Nationalpark Taman g a n Negara Pulau Pinang

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Indonesien

Indigene Gemeinschaften – hier in Sarawak – sehen die Industrialisierung der Fischzucht mit großer Sorge.

war. Die Industrie schreckt vor Gewalt nicht zurück und die Unternehmen setzen zum Schutz der ShrimpFarmen bewaffnete Wächter ein.“

Andy Wong/AP

Auch viele internationale nichtstaatliche Organisationen (NGO) sind wegen der Ausbreitung industrieller Aquakulturen alarmiert. Einigen wenigen Menschen hätten sie „geradezu obszönen Reichtum gebracht“, sagt Amit Kumar Raj von Asia Solidarity Against Industrial Aquaculture (ASIA). „Aber sie hat auch Millionen zu Bettlern gemacht.“

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500 km

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Bintulu Kuching

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genen Jahr gut 478.000 Tonnen Fisch mit einem Wert von rund 2,4 Milliarden Ringgit (etwa 560 Millionen Euro). Laut dem stellvertretenden Landwirtschaftsminister Datuk Wira Mohd Johari Baharum wird das Land die Produktion bis 2015 auf 727.300 Tonnen erhöhen, was einem Wert von rund 7 Milliarden Ringgit (1,66 Milliarden Euro) entsprechen würde. Auf diese Weise entstünden „ungefähr 40.000 neue Jobs für die Leute vor Ort“ und Malaysia werde es so auch gelingen, „bei den Proteinen eine Selbstversorgung durch Fisch“ zu erreichen, erklärte der stellvertretende Minister im Januar.

Die malaysische Regierung jedoch sieht die Sache völlig anders. Sarawak, wo Gebril Aton lebt, und das benachbarte Sabah sowie das Bundesterritorium Labuan bilden zusammen den malaysischen Teil Borneos. Die ländlichen Regionen hier sind die ärmsten des ganzen Landes. Nach Statistiken der Weltbank lebten 2009 ein Drittel aller armen Familien Malaysias in Sabah und Labuan, obwohl dort nur 3,6 Prozent aller Haushalte des Landes angesiedelt sind. Unter den Ärmsten sind vor allem indigene Gruppen wie die Rungu oder die Punan, denen auch Gebril Atong angehört.

Die Aquakulturen sind auch Teil des neuen nationalen Plans zur Entwicklung der Wirtschaft, des Economic Transformation Programme (ETP). Danach verfügt Malaysia über eine Küste von 4675 Kilometern Länge, die dafür nutzbar ist. In Sabah hat die Regionalregierung im Rahmen des ETP 7500 Hektar Land an der Küste für die Produktion von Seetang in speziellen Zonen für Industrielle Aquakultur (Industrial Aquaculture Zones, IAZ) ausgewiesen, wobei geplant ist, diese Zonen bis 2015 auf insgesamt 20.500 Hektar auszudehnen.

Diesen Menschen aus der Armut zu helfen, ist das erklärte Ziel beider Regionalregierungen und der malaysischen Bundesregierung. Erreicht werden soll

Industrielle Aquakulturen sind mindestens 1000 Hektar groß und umfassen Aufzuchtstationen, Mastbecken, Verarbeitungsanlagen und Fabriken zur Fut-

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terherstellung. Sie sollen in insgesamt zehn Zonen entstehen, etwa in Sarawak, Kedah, Pahang und Terengganu. In den anderen Bundesstaaten wird der Schwerpunkt auf „zertifizierten und rückverfolgbaren“ Meeresfrüchten liegen, vor allem Garnelen. In Sarawak wurden außerdem 40.000 Hektar Land an

aus Kuching, der Hauptstadt des Bundesstaates Sarawak. „Bäume werden gefällt, ein Unternehmen bringt sie in eine Fabrik in Ostmalaysia oder China. Dort wird das Holz zu Möbeln verarbeitet, die einen viel höheren Preis erzielen als ein Baumstamm. Das Gleiche passiert mit dem Fisch.“ Mit den Aquakulturen könnten nun Garnelen gezüchtet und verarbeitet werden. „So verdienen wir mehr am Export und können mehr Leute einstellen. Außerdem wird das verstärkt ausländische Investoren anziehen.“ Letzteres hat sich erst kürzlich bewahrheitet: Die norwegische Firma BioProtein kündigte an, 600 Millionen Ringgit (rund 140 Millionen Euro) in eine Anlage für die Herstellung von proteinreichem Futter für Aquakulturen in Malaysia zu investieren. Bintulu in Sarawak wird als ein möglicher Standort gehandelt. Für die Futterherstellung wird Erdgas benötigt, das vor der Küste Bintulus reichlich vorkommt. Europäische Unternehmen haben schon lange ein Interesse an der malaysischen Aquakultur-Industrie. Deren Betreiber müssen für den Handel mit der Europäischen Union (EU) zertifiziert sein und bei zugelassenen Zuchtbetrieben einkaufen. 2010 gab es im ganzen Land 18 solcher Betriebe, und der jährliche Handel mit der EU bezifferte sich laut Ministerium für Landwirtschaft und Agroindustrie auf rund 600 Millionen Ringgit (etwa 140 Millionen Euro). Aber nicht alle freuen sich über die weitere Ausdehnung der Aquakulturen. Manch einer bezweifelt, dass die Industrie in der Lage ist, der Wirtschaft vor Ort wirklich zu helfen. „Jede wirtschaftliche Entwicklung hier läuft auf das Gleiche heraus“, sagt Okang Ban, der aus demselben Langhaus in Punan Bah am Ufer des Rejang stammt wie Gebril Atong. „Ein großes Unternehmen kommt daher, heuert billige Arbeitskräfte aus Indonesien an, zäunt das ein, was früher unser Land war, und exportiert dann alles, was hergestellt wird, ins Ausland. Für uns gibt es keine Jobs und keine Vorteile, und wenn wir auf dem Grundstück jagen oder fischen wollen, werden wir wegen widerrechtlichen Betretens des Geländes festgenommen.“

Auf dem Markt von Kuching findet sich ein großes Angebot an getrocknetem Fisch. Malaysias Regierung will die Produktion erhöhen, um das Land weniger abhängig von Importen zu machen. World Illustrated/Photoshot

der Küste für neuartige Aquakulturprojekte bereitgestellt, darunter solche, die auf den Halal-Markt ausgerichtet sind, das heißt den islamischen Speisevorschriften genügen. Die Riesenbetriebe werden bevorzugt in den ärmeren Landesteilen errichtet. Manche Geschäftsleute vor Ort begrüßen das und sehen große Beschäftigungsund Profitchancen. „Wir haben schon lange das Problem, dass unsere Rohstoffe vor der Verarbeitung weggeschafft werden“, sagt James Beng, ein Unternehmer

Für Natasha Ahmad von ASIA steht ebenfalls fest: „Das Versprechen von mehr Jobs und höheren Einkommen ist ein Märchen. Studien in Bangladesch, Indonesien und Thailand belegen eindeutig einen Rückgang der Wirtschaft vor Ort, nachdem die industriellen Aquakulturen ihren Betrieb aufgenommen haben.“ Die Fischfarmen beeinträchtigen die lokalen Wirtschaftskreisläufe und führen zu Umweltschäden und einem Verlust an Artenvielfalt. „Für die Garnelenzucht braucht man Salzwasser“, sagt die Menschenrechtsaktivistin Kabir aus Bangladesch. „Wenn man das Land mit Salzwasser überschwemmt, verbreitet sich das Salz und tötet Pflanzenarten ab. Es lässt auch die Bäume absterben, die arme Bauern als Feuerholz und Baumaterial nutzen.“ Wo es früher Bauernhöfe, Felder und Bauern gegeben habe, finde man am Ende nur noch Fabriken, Ödland und Sicherheitspersonal.

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UNSER PROGRAMM FÜR DIE ZUKUNFT:

Wir finanzieren Investitionen privater Unternehmen. Um nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Investitionen der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern fördert die DEG seit fast 50 Jahren. Um Entwicklung zu gestalten, braucht es mehr als Kapital: Die DEG berät Unternehmen und setzt sich gezielt für den Klimaschutz und für Umwelt- und Sozialstandards ein. Besuchen Sie uns: www.deginvest.de. Oder rufen Sie uns an: 0221 4986-1803. | 8-2011 Wir unternehmen Entwicklung.

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Jonathan Gorvett ist freier Journalist mit Schwerpunkt Südasien und Südostasien.

Malaysias Behörden betonen, dass ihre Pläne nachhaltige Aquakulturen zum Ziel hätten, die strengen Umweltauflagen genügten. Im nationalen Entwicklungsplan wird mehrfach hervorgehoben, dass die Fisch- und Shrimpsfarmen „vollständig zertifiziert und rückverfolgbar“ sein müssen, damit die Verbraucher in Europa und andernorts wissen, was bei ihnen auf den Tisch kommt. Der World Wildlife Fund (WWF) entwickelt seit einiger Zeit ein Gütesiegel für Produkte aus nachhaltiger Aquakultur, das Aquaculture Stewardship Council (ASC). Es soll das Marine Stewardship Council (MSC) ergänzen, das für nachhaltige Meeresfischerei vergeben wird. Fischzüchter, Umweltschützer, Vertreter von Regierungen und anderen Interessensgruppen legen dabei gemeinsam Umwelt- und Sozialstandards für neun typische Zuchtfische wie Lachs, Pangasius und Shrimps fest.

Im malaysischen Teil Borneos sind die traditionellen Aquakulturen unterdessen genauso bedroht wie die Lebensformen, die davon abhängen. „Natürlich kann man über die Umweltstandards der einen oder anderen Fischfarm streiten“, sagt Okang Ban. „Aber für viele unserer Leute ist es jetzt einfach so, dass die Industrialisierung sie aus ihren Langhäusern und Dorfgemeinschaften vertreibt und sie jede Art von Landwirtschaft aufgeben müssen.“

Das Siegel stößt aber auch auf Kritik. Die Standards des WWF seien erneut ein unrealistischer Versuch, die Profite einer zerstörerischen Industrie zu rechtfertigen und auszudehnen mit der Folge, dass weitere Mangrovenwälder verloren gehen und Dorfgemeinschaften vor Ort verdrängt werden, sagt Alfredo Quarto vom Mangrove Action Project (MAP). Andere sehen Probleme bei der Rückverfolgbarkeit. „Es ist sehr schwierig, eine einzelne Garnele zurückzuverfolgen“, erläutert Kushi Kabir. „Auf der Dorfebene ist die Zertifizierung in Wirklichkeit nicht mehr als ein Blatt Papier.“

„Ich habe Angst“, sagt Gebril Atong auf dem Weg zurück zum Boot. „Vielleicht sind wir die letzte Generation, die hier lebt.“ Möglicherweise ist die traditionelle Aquakultur schon nicht mehr zu retten, während noch darüber gestritten wird, was die geplanten Großbetriebe aus Gegenden wie Sarawak und Sabah machen werden. Für Amit Kumar Raj ist die Botschaft an die Verbraucher dennoch klar: „Hört auf, importierte Garnelen aus tropischen Aquakulturen zu essen.“ Unternehmer James Beng sieht das ganz anders: „Aquakulturen sind eine großartige Investition.“

Ban deutet auf den Fluss, der von Punan Bah aus flussaufwärts so flach ist, dass nur kleinste Boote darauf fahren können. Das ist so, seit weiter oben der riesige Bakun-Staudamm fertiggestellt wurde. „Am Anfang war das toll“, erinnert sich Ban. „Das Wasser fiel so stark ab, dass man die Fische mit den Händen fangen konnte. Doch dann gab es gar keine Fische mehr.“

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.

buch zum thema

Elizabeth R. DeSombre und J. Samuel Barkin Fish, Polity Press, Cambridge 2011, 192 Seiten, 15,60 Euro

proteinreichen Nahrungsmittel. Denn für Millionen Menschen, vor allem in Asien und Afrika, liefert Fisch das tierische Eiweiß als wichtigen Grundbestandteil ihrer Ernährung. Die Überfischung der Meere zerstört deren ökologisches Gleichgewicht und die biologische Vielfalt ihrer Bewohner. Internationale und nationale Bemühungen, die Fischerei zu regulieren, hatten bislang wenig Erfolg. Kurz: „Wir sind weit davon entfernt, die weltweiten Fischgründe nachhaltig zu bewirtschaften“, stellen Elizabeth DeSombre und Samuel Barkin in ihrem Buch fest.

Um die weltweiten Fischbestände ist es schlecht bestellt: zu viele Fangflotten machen Jagd auf immer weiter schrumpfende Bestände. Zugleich wächst die Bevölkerung und damit ihr Appetit auf Thunfisch, Lachs und Heilbutt – oder einfach ihr Bedarf an dem

Das ist zunächst einmal nicht neu. Trotzdem ist das verständlich geschriebene, übersichtlich gegliederte Buch lesenswert. Denn die beiden Fachleute geben nicht nur einen detaillierten Überblick über die gegenwärtige Krise, sondern erläutern auch, wie es dazu gekommen ist, und stel-

len Rettungsansätze vor, die zumindest teilweise erfolgreich sind. Selbstverständlich sind Meeresschutzgebiete wichtig, damit sich Fischbestände erholen können – bislang machen die rund 5000 bestehenden Schutzzonen allerdings weniger als ein Prozent der Meeresoberfläche aus. Noch besser geeignet erscheint DeSombre und Barkin die Vergabe von individuellen Fangquoten an einzelne Fischer oder Fischereiunternehmen, die gehandelt werden können. Damit wird die Zahl der Fische begrenzt, die pro Saison gefangen werden dürfen. Bislang haben lediglich einzelne Länder wie die USA und Kanada solche Mechanismen eingeführt, aber durchaus mit Erfolg. Fischzucht in Aquakulturen wird schließlich als dritte Möglichkeit diskutiert, den Fischfang auf den Weltmeeren auf ein vernünfti­ ges Maß zu reduzieren. Sie habe

unter bestimmten Voraussetzungen eine entlastende Funktion, dürfe aber nicht als „Allheilmittel“ betrachtet werden, meinen DeSombre und Barkin. Denn mit einer stetig steigenden Produktion werde die Illusion aufrecht erhalten, Fisch stünde unbegrenzt zur Verfügung. An dieser Stelle kommt der Verbraucher ins Spiel: Er sollte seltener Fisch essen, aber dafür darauf achten, dass dieser unter Umständen gefangen oder gezüchtet wurde, die Kriterien der Nachhaltigkeit genügen. Mit Vorschlägen, wie die Staaten der Überfischung künftig begegnen sollten, sind die Autoren eher sparsam – was angesichts der komplexen Zusammenhänge und widerstreitenden Interessen nicht verwundert. Ihr Buch liefert dennoch einen kenntnisreichen Überblick für alle, die sich für die Zukunft der Fischerei und der Meere interessieren.   Gesine Kauffmann

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Gift, Müll und das Meer

Die Ausbeutung und Verschmutzung der Ozeane hat schlimmere Folgen, als bislang angenommen

Seit Jahrzehnten verschmutzen und überfischen wir unsere Ozeane. Im Atlantik und Pazifik treiben inzwischen gigantische Inseln aus Plastikmüll. Erdöl tritt aus Förderplattformen aus, Chemikalien aus Industrieabwässern und Düngemittel aus der Landwirtschaft werden in die Ozeane gespült, der Fischfang hat ein Rekordhoch erreicht. So gerät das Ökosystem Meer aus den Fugen und das Artensterben beschleunigt sich. Von Iris Menn

Freiwillige versuchen, die Bucht vor der philippinischen Hauptstadt Manila von Abfall und Unrat zu befreien. Cheryl Ravelo/Reuters

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Wer liebt nicht die Weite bis zum Horizont, wo Himmel und Wasser verschmelzen? Das unendliche Blau, Türkis oder Grün – mal wellig, mal spiegelglatt? Doch die Meere sind nicht nur ein ästhetisches Erlebnis. Sie beherbergen 90 Prozent der Biomasse der Erde, eine riesige Artenvielfalt und versorgen über eine Milliarde Menschen mit lebenswichtigem Eiweiß. Sie binden Kohlendioxid aus der Luft – dienen also als Kohlenstoffsenke –, produzieren Sauerstoff und spielen eine entscheidende Rolle im Kohlenstoff- und Wasserkreislauf der Erde. Die Meere bedecken 70 Prozent der Erdoberfläche und prägen unser Klimasystem. Wir brauchen gesunde Ozeane

im Gleichgewicht, ohne sie können wir nicht existieren. Doch wir behandeln sie nicht mit dem nötigen Respekt. Rund 145 Millionen Tonnen Fisch wurden weltweit 2009 aus den Meeren geholt – 118 Millionen davon für den menschlichen Verzehr, der Rest wurde zu Fischmehl verarbeitet. Nach aktuellen Berichten der Welternährungsorganisation (FAO) ist die Überfischung 2010 auf ein Rekordhoch geklettert: 53 Prozent der Speisefischbestände werden bis an die Grenze genutzt, noch höhere Fangmengen würden die Bestände gefährden. 32 Prozent sind überfischt oder

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sein kann, hat zuletzt im April 2010 der Unfall auf der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko gezeigt. Innerhalb von 87 Tagen liefen geschätzte 780 Millionen Liter Öl aus. Unzählige Fische, Schildkröten, Robben, Wale, Muscheln, Krebse, Seevögel und andere Meerestiere kostete dies das Leben. Auch wir Menschen sind gefährdet, denn das Öl reichert sich in der Nahrungskette an und landet am Ende auf unseren Tellern.

Intaktes Ökosystem: Meeresschildkröte vor einem Korallenriff im Indischen Ozean. Jeff Hunter

zusammengebrochen. Bei lediglich drei Prozent der Bestände könnten mehr Fische gefangen werden, ohne dass der Bestand gefährdet wäre. In europäischen Gewässern ist die Lage noch dramatischer: 88 Prozent aller Speisefischbestände, etwa Kabeljau in der Nordsee, sind überfischt. 30 Prozent sind so stark ausgebeutet, dass diese Bestände sich vermutlich nicht mehr regenerieren können.

Obwohl die langfristigen Folgen der Katastrophe im Golf von Mexiko noch unklar sind, wurde bereits weniger als ein Jahr danach erneut in demselben Gebiet nach Öl gebohrt. Nicht nur Unfälle tragen im Übrigen zur Ölverschmutzung der Meere bei. Fast noch schlimmer ist der Ölverlust während des normalen Betriebs der Plattformen. Weltweit gibt es rund 6000 Ölplattformen, allein 400 davon in der Nordsee. Auch die Arktis steht im Fokus der Ölindustrie. Unter dem Eis des arktischen Ozeans, das infolge des Klimawandels immer mehr schwindet, werden große Öl- und Gasvorkommen vermutet. Noch lässt die Eisdecke keine Förderung zu, aber die fünf Anrainerstaaten Norwegen, Kanada, USA, Russland, Dänemark (Grönland) – lassen keine Zweifel an ihrem Interesse daran. Dabei ist die Arktis ein ungleich sensiblerer Lebensraum. Aufgrund der Kälte sind Wachstum, Vermehrung und damit auch eine mögliche Regeneration nach einer Katastrophe deutlich verlangsamt. Und das Risiko für eine solche ist durch Stürme und treibende Eisberge wesentlich höher. Neben Öl und Gas werden auch Sand und Kies in den Meeren abgebaut. Aber vor allem Rohstoffe in der Tiefsee wie Mangan, Gold, Silber, Platin und andere Buntmetalle wecken das Interesse von Industrie und

Doch es wird nicht nur zuviel Fisch aus den Meeren geholt. Auch die Methoden dafür sind zerstörerisch. Eine der Schlimmsten ist die Grundschleppnetz-Fischerei. Dabei wird ein riesiges Netz über den Meeresboden gezogen, das wie ein Pflug auf dem Acker den Meeresboden umwälzt. So werden Lebensräume wie Unterwasserseeberge oder Korallenriffe völlig zerstört – auch solche, die man noch gar nicht kennt, denn mittlerweile fischen Grundschleppnetze in einer Tiefe von 1500 Metern. Diese Form der Fischerei richtet nicht nur enormen Schaden an, sie erzeugt auch viel Beifang: Alles, was sich dem Netz in den Weg stellt, landet darin. So kann ein Fang auf Scholle, Seezunge oder Krabben in der Nordsee bis zu 80 Prozent Beifang haben. Dies sind andere Tiere wie Seesterne, Krabben oder Jungfische, die meist tot wieder über Bord gekippt werden. Weltweit werden so jedes Jahr bis zu 30 Millionen Tonnen Lebewesen unnötig getötet. Neben den Fischbeständen bergen die Meere noch weitere Schätze: Öl, Gas, Mineralien, Sand und Kies rufen in einigen Meeresregionen eine Goldgräberstimmung hervor. Wie gefährlich ihre Ausbeutung

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Staaten. All diese Abbauprozesse schädigen die Ökosysteme sehr stark. Beim Abbau von Sand und Kies tragen Saugbaggerschiffe den Boden oft metertief ab und „entnehmen“ dadurch Sandbänke und Kiesflächen mit allen dort vorkommenden Lebewesen. Dabei sind Sandbänke auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen in der Nordsee als gefährdet oder stark gefährdet eingestuft. Die früheren Bewohner können nach dem Abbau die betroffenen Flächen meist nicht mehr besiedeln. Neben dem direkten Eingriff durch das Baggern treten häufig zusätzliche Schäden auf, die wesentlich weiträumiger sind: Die aufgewirbelten feinen Sedimente verteilen sich großräumig mit der Strömung. Die Folgen sind eine Trübung des Wassers, überlagerte und erstickte Riffe und eine Erhöhung des Anteils an Feinsedimenten in der Umgebung. Das schädigt vor allem Tiere, die zum Leben auf gröbere Sedimente angewiesen sind, wie Sandaale in der Nordsee.

Sand- und Kiesabbau eine Trübungswolke, die am Boden lebende Organismen wie zum Beispiel Schwämme zudeckt. Auch unser Handeln an Land bleibt nicht ohne Folgen für die Ozeane. Denn die Flüsse münden in die Meere und tragen alles in sie hinein, was sie auf ihrem langen Weg durch das Land angesammelt haben: Müll, Chemikalien, Giftsstoffe und Düngemittel. In einigen Meeresregionen konzentriert sich der Müll aufgrund der Meeresströmungen – zum Beispiel im Nordost-Pazifik, etwa tausend Kilometer nördlich von Hawaii. Dort schwimmt ein Strudel aus Plastikteilen mit einer Ausdehnung, die der Gesamtfläche von Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen, Belgien, Luxemburg und den Niederlande entspricht. Gerade Plastikmüll stellt für viele Meerestiere eine elementare Bedrohung dar. Meeressäuger verstricken sich in abgerissenen Fischernetzen oder Seevögel ersticken in den Plastikringen, mit de-

Die Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ im April 2010 und das ausgetretene Öl haben unzählige Tiere getötet. Diese Pelikane sind davongekommen. Nachdem ihr Gefieder gereinigt wurde, werden sie wieder freigelassen. Bloomberg via Getty Images; Getty Images

Die Ausbeutung der Meeresschätze in der Tiefsee steckt im Vergleich dazu noch in den Anfängen und es sind noch viele technische Probleme zu lösen. Aber auch hier deutet sich bereits an, dass die Umweltfolgen vernachlässigt werden. Der Abbau führt zur lokalen Zerstörung der Lebensgemeinschaften und des Lebensraums. Zudem entsteht wie beim

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nen Getränkedosen zu Sechserpacks zusammengehalten werden. Mit den Jahren zerfällt der Plastikmüll in immer kleinere Bestandteile, schwimmt aber bis zu 16 Jahre im Strudel des Pazifiks. Die kleinen Teile sind besonders gefährlich für Fische und Wasservögel, die sie mit

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Essbarem verwechseln. Da die Plastikteile ihre Mägen verstopfen und keinen Platz mehr für Flüssigkeit und echte Nahrung lassen, verhungern und verdursten die Tiere. Neben Müll landen auch Chemikalien und Giftstoffe in den Meeren. Tanker und Handelsschiffe reinigen noch immer auf dem offenen Meer ihre Tanks – so landet Öl und Treibstoff im Meer. Die Schwermetalle im Meer – zum Beispiel Quecksilber, Nickel und Blei – stammen hauptsächlich aus Industrieabwässern. Diese Metalle sind so gefährlich, weil sie sich – einmal über die Nahrung aufgenommen – im Körper anreichern. Dort können sie die Funktion wichtiger Enzyme stören, krebserregend wirken oder Gewebe

Die Hälfte der Speisefischbestände wird bis an die Grenze genutzt, und ein Drittel ist überfischt oder bereits zusammengebrochen. schädigen. Erfreulicherweise hat sich diese Belastung durch den Einsatz neuer Filter und Abwassertechniken in den vergangenen Jahren erheblich reduziert. Heute sind die Altlasten von Schwermetallen das größte Problem. Gerade in den Sedimenten der Mündungsbereiche großer Flüsse finden sich hochkonzentrierte giftige Schwermetall-Cocktails. Die Flussmündungen werden regelmäßig ausgebaggert, um für die Schifffahrt die Wassertiefe künstlich zu vergrößern. Das Baggergut müsste eigentlich als Sondermüll entsorgt werden. Dennoch wird es häufig im Meer verklappt, wobei ein Teil der Schwermetalle erneut mobilisiert wird und in die Nahrungskette gelangt. Nicht zuletzt beeinträchtigt die Landwirtschaft das Meer. Dabei ist die Überdüngung (Eutrophierung) das Hauptproblem. Nach dem massenhaften Einsatz von Kunst- und Naturdünger gelangen die darin enthaltenen Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor über die Flüsse ins Meer. Auch dort fördern sie – ebenso wie an Land – das Pflanzenwachstum: Viele Algen vermehren sich explosionsartig, überwuchern andere Wasserpflanzen und sinken am Ende abgestorben auf den Grund, wo sie von Mikroorganismen abgebaut werden. Dieser Prozess verzehrt viel Sauerstoff. Zurück bleiben große, dunkle, übel riechende Meeresflächen ohne Leben, so genannte anoxische (sauerstofffreie) Zonen.

Iris Menn ist promovierte Meeresbiologin und arbeitet bei Greenpeace in Hamburg.

Die Meere werden auch durch die Auswirkungen des Klimawandel besonders belastet. Schon eine geringfügige Veränderung der Wassertemperatur kann direkte Auswirkungen auf Meerestiere haben, denn viele fühlen sich nur innerhalb einer kleinen Temperatur-Spannbreite wohl. Wird das Wasser wärmer, wandern Kälte liebende Arten weiter in den Norden und Wärme liebende Arten aus dem Süden rücken nach. In der Nordsee wurden bereits die ersten Sardi-

nen gesichtet, während der Kabeljau in den kälteren Norden abwan rekt. So fallen in der Nordsee wegen der veränderten Temperaturen die Eiablage des Kabeljau und das Planktonwachstum zeitlich nicht mehr zusammen. Dadurch entsteht eine Lücke in der Nahrungskette und den Jungfischen fehlt das Futter. Räuber und Beute harmonieren nicht mehr, eine Veränderung von Nahrungsnetzen und Artenzusammensetzungen folgt – das Gleichgewicht ist stark gestört. Wegen der erhöhten Konzentrationen von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre wird auch mehr Kohlendioxid im Meer aufgenommen. Das salzige Meerwasser wird saurer und das macht besonders Kalk bildenden Organismen das Leben schwer. Betroffen sind zum Beispiel Kieselalgen – winzige Algen, die am Beginn der Nahrungskette im Meer stehen und damit die Ernährungsgrundlage für alle Meeresorganismen darstellen – sowie Muscheln, Schnecken und Korallen. Die Folge: Auch hier werden Nahrungsketten umstrukturiert und das sensible Gleichgewicht im Ökosystem Meer gerät aus den Fugen. Seit Jahrzehnten werden die Meere überfischt, verschmutzt und vermüllt. Längst sind sie nicht mehr unberührt und in den seltensten Fällen wirklich gesund. Mit ihrer geringen Widerstandsfähigkeit können die Meere den Auswirkungen des Klimawandels nicht trotzen. Doch diese werden dramatischer ausfallen als bisher erwartet: Eine vollständige Veränderung der Ökosysteme und ein nicht vorhersagbarer Artenverlust stehen bevor. Zahlreiche staatliche Beschlüsse und internationale Vereinbarungen – zum Beispiel die Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD), das Seerechstübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS), regionale Meeresschutzkonventionen und die Gemeinsame Fischereipolitik der Europäischen Union – sollen die Artenvielfalt im Meer erhalten, Schutzgebiete einrichten oder eine nachhaltige Fischerei gewährleisten. In den meisten Fällen sind jedoch die vereinbarten Fristen verpasst und die Ziele nicht erreicht worden. Eine intakte Meeresumwelt ist jedoch für den Menschen unentbehrlich – für die wirtschaftliche Entwicklung, für soziales Wohlergehen, für die Lebensqualität und die Ernährung. Um die Widerstandsfähigkeit der Meere zu stärken, sind Schutzgebiete – also Gebiete, in denen weder Fische gefangen noch Rohstoffe gefördert werden – ein wichtiges Werkzeug. Arten und Lebensräume werden geschützt und das gesamte Ökosystem kann sich erholen, Fischbestände eingeschlossen. Greenpeace fordert ein Netzwerk von großflächigen Schutzgebieten, das 40 Prozent der Meere abdeckt. Daneben ist eine ökologisch nachhaltige und sozial verträgliche Nutzung der Meere notwendig, denn nur so können wir die langfristige Nutzung ihrer Ressourcen auch für die folgenden Generationen gewährleisten.

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Trawler, die im Trüben fischen Arme Länder können ihre Fischgründe nur schwer vor illegaler Ausplünderung schützen

Fast ein Drittel des Fischs, der jedes Jahr aus dem Meer geholt wird, wird außerhalb der Regeln gefangen – und das nicht nur auf hoher See. Ein Brennpunkt illegaler Ausbeutung sind fischreiche Küstengewässer vor Entwicklungsländern, die ihr Meeresgebiet nicht wirksam kontrollieren können. Der Schaden für die Fischbestände, die Wirtschaft und die Bevölkerung der betroffenen Länder ist immens. Von Yann Yvergniaux

Ein Hochseetrawler auf der Jagd nach Sardinen vor der Küste Westafrikas. Die Region ist ein Brennpunkt der illegalen Fischerei. Christian Aslund/Greenpeace

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Schätzungsweise dreißig Prozent des Fischs wird weltweit illegal gefangen, nicht gemeldet oder stammt aus Fischfang, der keiner Regulierung unterliegt. Der Sektor wird als IUU-Fischerei (illegal, unreported, unregulated) bezeichnet. Darunter fallen Fangmethoden, die geltendes Fischereirecht verletzen wie der Einsatz von Netzen mit zu engen Maschen oder Fischen in einem Gebiet, in dem das verboten ist. Man zählt ferner dazu, wenn legal gefange-

ner Fisch falsch oder gar nicht deklariert, ohne Lizenz gefischt oder küstenferne Meeresgebiete ausgebeutet werden, die von keiner Regionalen Fischmanagement-Organisation (RFMO) erfasst sind. IUU-Fischerei gibt es in unterschiedlichem Ausmaß in sämtlichen Fischgründen. Sie verursacht Kosten von schätzungsweise 10 bis 23 Milliarden US-Dollar pro Jahr, vor allem aber große ökologische und soziale

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Schäden. Die Konsequenzen sind umso katastrophaler, als sich der illegale Fischfang – wie auch der legale – internationalisiert hat: Industrielle Fangflotten unter den Flaggen von China, Japan, Korea, Russland und der Europäischen Union – erweitern ihre Reichweite auf Kosten der Länder des Südens, vor deren Küsten die reichsten Fanggründe der Erde liegen. Dort nimmt die IUU-Fischerei, an der Reeder, kommerzielle Händler und Mitarbeiter von Behörden beteiligt sind, eine transnationale Dimension an, wenn Korruption und Mangel an Transparenz das ermöglichen. Alle großen Fischereinationen, die fern der eigenen Gewässer operieren, haben in unterschiedlichem Ausmaß IUU-Fischer in ihren Flotten. IUU-Fischerei entsteht, wo staatliche Verwaltungen besonders schwach sind – mit bestimmten Brennpunkten, darunter Westafrika. Viele Staaten sind nicht in der Lage, die Fischerei in ihren Ausschließlichen Wirtschaftszonen zu kontrollieren und zu überwachen, und werden Opfer einer wahren Plünderung ihrer Ressourcen. Auch in internationalen Gewässern wird illegal gefischt – Regionale Fischmanagement-Organisationen (RFMO) haben große Mühe, das zu bekämpfen. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen der IUU-Fischerei sind aus zwei Gründen schwierig in Zahlen zu fassen. Zum einen sind die direkten Auswirkungen auf die Bestände wenig bekannt, weil die IUU-Fischerei sich im Verborgenen abspielt und die Behörden und Wissenschaftler mancher Länder gar keine zuverlässigen Zahlen über den Fischbestand und das Ausmaß seiner Ausbeutung besitzen. Zum anderen hat die IUU-Fischerei indirekte Wirkungen, die ihre Folgen vervielfältigen können – sowohl mit Blick auf langfristige Schäden an den Ökosystemen als auch sozial für die gesamte Fische-

rei-Produktionskette und für die Küstengemeinden, die davon abhängig sind. Die Folgen hängen stark von der Art der IUU-Fischerei und vom Umfeld ab. Gleichwohl kann man generell festhalten: Die IUU-Fischerei trägt zur Überfischung

Wer kontrolliert die Fischerei? Die Fischerei unterliegt Regeln, die auf dem Seerecht beruhen. Welche Rechte Staaten an verschiedenen Teilen der Ozeane haben, legt die UN-Seerechtskonvention, die 1994 in Kraft getreten ist, grundsätzlich fest. Danach gehört ein 12 Seemeilen breiter Streifen direkt vor der Küste zum Hoheitsgebiet angrenzender Staaten. Darüber hinaus können sie eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) für sich beanspruchen, die bis 200 Seemeilen (rund 370 Kilometer) von der Küste ins Meer reicht. Hier können sie – anders als in der 12-Meilen-Zone – nicht die Schifffahrt und die Überflugrechte beschränken. Sie haben aber die alleinige Kontrolle über die Ausbeutung der Naturressourcen, darunter der Fischbestände. Jenseits der AWZ beginnt die Hohe See, dort haben alle Staaten das Recht zu Schifffahrt und Fischfang. Die Seerechtskonvention verpflichtet die Staaten grundsätzlich, nachhaltige Fischerei zu fördern und für den Erhalt der Naturschätze zu kooperieren. An der Fischerei auf der Hohen See beteiligen sich Entwicklungsländer (außer Schwellenländer wie China und Brasilien) praktisch nicht. Für sie sind die Fischbestände ihrer AWZ entscheidend. Die können sie sou-

verän schützen – etwa mit Fangquoten –, sofern sie die Mittel haben, das durchzusetzen. Indirekt leiden aber auch arme Entwicklungsländer unter der Überfischung auf der Hohen See oder in fremden AWZ. Denn viele Fischarten bewegen sich zwischen den Küstenzonen und dem offenen Meer oder wandern weite Strecken durch die Ozeane. Verfahren für den Schutz solcher Fischarten auf Hoher See sieht eine 2001 in Kraft getretene UN-Konvention zur Durchführung des Seerechts vor. Auf dieser Grundlage wurden Regionale Fischmanagement-Organisationen (RFMO) gegründet, zum Beispiel eine für den Indischen Ozean, je eine für vier Teile des Atlantik sowie mehrere für den Schutz spezieller Fischarten (vor allem Thunfisch) in bestimmten Meeren. Die Staaten, die ihnen angehören, legen gemeinsam Verhaltenskodizes für den Fischfang fest – besonders für Thunfisch auch Fangquoten, was bei wandernden Arten schwierig ist. Sie dürfen Schiffe auf Hoher See inspizieren, dies geschieht aber selten. Auch Schiffe aus Staaten, die nicht Mitglied einer RFMO sind, dürfen in deren Gebiet fischen – und die Regeln sind ihnen gegenüber kaum durchzusetzen. (bl)

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der Schwäche ihrer Verwaltungen diese Vorgaben nicht erfüllen. Die Bedeutung dieses Problems wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass 2008 die Hälfte aller Fischerei-Exporte weltweit aus Entwicklungsländern (inklusive China) stammten und drei Viertel dieser Exporte für Industrieländer bestimmt waren. Nehmen wir das Beispiel der seit Januar 2010 gültigen EU-Vorschriften. Die Fischereiminister der EUStaaten wollten damit den Vorgaben des FAO-Aktionsplans gegen IUU-Fischerei von 2001 nachkommen und rechtlich bindende Maßnahmen für den Import von Fisch schaffen. Sie sollten es erlauben, die Herkunft von Meeresprodukten dadurch festzustellen, dass jede Lieferung für den europäischen Markt ein Fangzertifikat erhielt. Doch die Gefahr bestand, damit eine Barriere für den Handel mit legal gefangenem Fisch aus Entwicklungsländern zu errichten, insbesondere für den mit Produkten von Kleinfischern. Deshalb sieht die endgültige Fassung des EU-Regelwerks ein vereinfachtes Zertifikat vor.

Große Mengen Thunfisch werden in dieser Fabrik im thailändischen Mahachai verarbeitet. Ob der Fisch legal gefangen wurde, lässt sich in vielen Fällen nicht nachverfolgen. Bloomberg via Getty images

kommerziell nutzbarer Bestände bei, erzeugt eine große Menge Beifang unter Arten, die nicht das Ziel der Fischer sind, und beschädigt mit zerstörerischen Fanggeräten den Meeresboden. Sie bringt Ökosysteme aus dem Gleichgewicht und verringert ihre Produktivität. Die Folge ist, dass weniger Fisch legal gefangen werden kann – mit schweren Folgen für Beschäftigung und Einkommen in diesem Wirtschaftssektor. Auf der Ebene der Volkswirtschaft trägt der Fischereisektor weniger zum Bruttoinlandsprodukt bei und die Steuereinnahmen sinken. In vielen Entwicklungsländern bedroht die IUU-Fischerei zudem die Existenzgrundlagen der Küstenbewohner und die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, die in vielen Fällen auf tierische Proteine aus dem Meer angewiesen ist. Dazu kommt, dass Besatzungen der IUU-Schiffe oft in den Häfen von Entwicklungsländern angeworben werden. Sie arbeiten ohne die geringste soziale Absicherung und unter jämmerlichen Arbeitsund Hygieneumständen. Seit neuestem belastet die IUU-Fischerei die Wirtschaft in den Entwicklungsländern sogar doppelt. Denn die zahlreichen Handelsregeln und Vorgaben, die verhindern sollen, dass illegal gefangene Fische auf die internationalen Märkte gelangen – wie der Aktionsplan der FAO oder die Regeln der Europäischen Union –, können zu Barrieren für die Exporte armer Staaten werden. Die meisten können wegen

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Dennoch müssen angesichts der zahlreichen Fischer, die kleine Mengen anlanden, und den Verflechtungen zwischen den Wegen für die Sammlung und Lagerung beträchtliche Kosten und Mühen aufgewendet werden, um die Zertifikate zu erhalten und zu prüfen. Seit das Regelwerk 2007 erstmals vorgeschlagen wurde hat die Europäische Kommission betont, man müsse den Entwicklungsländern beim Kampf gegen IUU-Fischerei helfen. Dennoch hat sie keinerlei begleitende Maßnahmen vorgeschlagen, die ihnen helfen würden, die neuen Vorgaben zu erfüllen. Mehrere westafrikanische Staaten stehen vor diesen Problemen. Im Senegal beispielsweise mussten die Kleinfischer bei der Umsetzung der EU-Vorgaben eine Reihe von Hindernissen überwinden. Zunächst musste die Branche selbst ab 2009 einen Dialog mit den zuständigen Behörden auf den Weg bringen, um die Regeln der EU und ihre Folgen zu verstehen. Dann musste bestimmt werden, welche Behörde für die Vergabe und Kontrolle der Fangzertifikate verantwortlich ist. Das war schwierig, weil die lokale Fischerei-Verwaltung wenig mit dem Exportsektor zu tun hat. Deshalb mussten zwischen dieser dezentralisierten Verwaltung und den für den Export zuständigen Hafen- und Flughafenbehörden neue Formen der Zusammenarbeit gefunden werden, um eine zuverlässige, durchgängige Kontrolle zu gewährleisten. Gemeinsam wurde ein Verwaltungsverfahren eingeführt mit dem Ziel, Fangzertifikate so zu vergeben, wie es die EU verlangt. Dabei profitierten die senegalesischen Fischereibehörden davon, dass im Fischereisektor bereits ein System zur Registrierung von Pirogen sowie ein System zur Zertifizierung des Erstverkaufs von Fisch existierten. Die verbesserte Datenerhebung und das System der Zertifizierung und Rückverfolgung haben beträchtliche Ausgaben verursacht, für die kein Budget vor-

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„Vor Mauretanien gibt es kaum mehr Fische“ Sie leben seit mehr als zwanzig Jahren von der Fischerei. Nun sind Europas Fischereiflotten zunehmend auch vor den Küsten Ihres Landes unterwegs. Was bedeutet das für Sie und Ihre Kollegen? Wir wissen nicht, wie wir künftig unsere Familien ernähren sollen. Riesige Fangschiffe der Europäischen Union ziehen direkt vor unserer Küste täglich bis zu 300 Tonnen Fisch aus dem Wasser. In Mauretanien fangen wir traditionell Fisch mit Hilfe von Delphinen. Wir rufen sie und sie treiben uns die Fische zu. Wir warten dann am Strand mit den Netzen. Boote brauchten wir keine. Heute funktioniert diese Technik nicht mehr.

von 7 bis 15 Uhr. Heute sind wir manchmal 14 Tagen draußen. Wir fahren in Gruppen von mindestens zehn Pirogen. Eine fährt dann jeden Tag mit dem Fang an die Küste und bringt neuen Treibstoff, damit wir draußen bleiben können. Hat mit der europäischen Fischerei auch die Verschmutzung zugenommen?

Wie stellen Sie sich darauf ein? Wir müssen mit unseren kleinen Fischerbooten fast zwei Wochen auf dem offenen Meer unterwegs sein. Oft bringen wir weniger als 60 Kilo Ausbeute mit. Jetzt müssen wir Fische aus tieferen Schichten suchen. Deswegen fahren wir mit den Pirogen mit Außenbordmotor hinaus. Das sind jetzt andere Fische als früher: Seehechte, Goldbrassen. Reicht das zum Leben? Kaum. Die Nahrungssicherheit von Fischern in ganz Westafrika ist gefährdet. Wir leben mit dem und vom Meer und haben keine Alternativen. Früher sind wir acht Stunden hinausgefahren,

Die elf Millionen wurden nicht in die traditionelle Fischerei investiert, sondern in die Fischerei insgesamt. Dazu zählen Projekte, die auch uns traditionellen Fischern nützen. Es wurden Häfen ausgebaut, Kühlhäuser errichtet, Straßen verbessert. Wie viele Familien leben in Mauretanien von der traditionellen Fischerei? Wir haben etwa 6000 Pirogen, auf denen rund 80.000 Personen arbeiten. Auf meiner beschäftige ich sieben Leute. Und wie groß ist Ihre Familie?

Weil die Delphine nicht mehr kommen oder weil sie zu wenig Fisch mitbringen? Wenn man die Delphine ruft, kommen sie noch immer. Aber sie bringen keine Fische mehr. Das heißt, dass in den seichten Gewässern kaum mehr Fische zu finden sind. Wenn es so weitergeht, gibt es in zwei Jahren keinen Fisch mehr vor Mauretanien.

Infrastruktur für Fischer?

Ismael Lebaye ist Fischer und leitet die lokale Sektion der Nationalen Fischervereinigung in seinem Heimatort Nouadhibou im Norden von Mauretanien. Landesweit hat die Vereinigung 30.000 Mitglieder.

Ja. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind sichtbar. Ich bin kein Experte für Wasserqualität, aber am Strand kann man die Folgen beobachten. Das geht bis zu Schiffswracks, die da liegen. Die EU zahlt der Regierung von Mauretanien viel Geld für diese Fischereirechte. Wir wissen von diesen Abkommen. 86 Millionen wurden im ersten Jahr bezahlt, im zweiten 76 Millionen, dann 73 Millionen und zuletzt nur 70 Millionen Euro. Es war geplant, dass 11 Millionen von den anfänglichen 86 Millionen in die traditionelle Fischerei gesteckt werden. Aber die Regierung hat das Geld in andere Projekte und in die Infrastruktur investiert.

Wir sind sieben: meine Frau, meine Schwiegermutter, meine Tochter und drei Enkelkinder. Meine Arbeit bringt mir zehn Euro am Tag ein. Damit muss ich die Familie durchbringen. Was erwarten Sie von der EU? Sie soll auf die Fischer hören und die Zahl der Schiffe, vor allem solcher, die Tiefseefischerei betreiben, reduzieren. Außerdem sollten nachhaltige Fischereimethoden eingesetzt werden, um die Überfischung der Küstengewässer zu verhindern. Wir fordern außerdem stärkere Kontrollen in den Häfen und auf hoher See. Das Abkommen an sich wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wir sind dafür, aber es muss auch für uns etwas übrig bleiben. Unser Überleben und unsere Art zu fischen dürfen nicht darunter leiden. Mit ihren Schleppnetzen fischen die europäischen Schiffe jeden Tag so viel wie hundert afrikanische Boote in einem Monat. Wie haben die Vertreter der EU in Brüssel auf Ihr Anliegen reagiert?

Wir haben Maria Damanaki, die EU-Kommissarin für Fischerei, getroffen. Sie hat versprochen, bei künftigen Fischereiabkommen auf unsere Anliegen Rücksicht zu nehmen. Auf unsere Forderung, die Zahl europäischer Fischerboote vor Afrikas Küsten zu reduzieren, ist Damanaki nicht eingegangen. Deswegen wollen wir uns auf die Politik allein nicht verlassen. Wir setzen auch darauf, dass die europäische Bevölkerung Verständnis zeigen und auf die Politiker Einfluss nehmen wird. Es heißt, die Piraterie in Ostafrika habe viel damit zu tun, dass Fischer nicht mehr überleben können. Gibt es das in Westafrika auch? Einige von uns haben Rachegelüste. Es wurden schon Schiffe von Fischern geentert. Da kam es zu Konfrontationen mit der Mannschaft. Auch bei Ihrer Organisation? Ja, im vergangenen März wurde ein portugiesisches Schiff geentert, das Netze unserer Fischer zerstört hatte. Das Schiff wurde gezwungen, anzulegen, bis der Schaden bezahlt wäre. War das erfolgreich? Nein, unsere Fischer wurden ins Gefängnis geworfen, weil sie das europäische Schiff betreten hatten. Das ist per Gesetz verboten. Sie wurden erst nach einer Woche wieder freigelassen. In Zukunft werden wir Verluste in Kauf nehmen. Aber wenn sich so etwas wiederholt, werden wir wieder versuchen, Schadenersatz zu bekommen. Schließlich geht es um unsere Lebensgrundlage. Ich fürchte, das nächste Mal könnte auch Waffengewalt eingesetzt werden. Wir befürworten das nicht. Aber es ist nicht mehr als legitime Selbstverteidigung. Das Gespräch führte Ralf Leonhard.

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Mit Schnellbooten versuchen die Behörden von Mauretanien, die illegale Fischerei vor der Küste des Landes zu stoppen. picture Alliance/Dpa

handen war. Daher waren die Beiträge des Privatsektors entscheidend. Noch heute ist an einigen Stellen, vor allem beim Personal und der IT-Ausstattung, der Bedarf nicht gedeckt. Für die lokale Fischereiverwaltung bedeutet die Kontrolle und Bestätigung der Zertifikate an den verschiedenen Schiffsanlegestellen zusätzlichen Arbeitsaufwand. Zudem bleibt die Sen-

ist. In vielen Fällen ist es also zu spät, wenn der Fisch im Hafen gelöscht wird. Selbst wenn der Staat, vor dessen Küste gefischt wird, und der Staat, unter dessen Fahne die Schiffe laufen, besser kooperieren würden – in Westafrika ist das bis jetzt nicht in Sicht –, wäre es schwierig, die Vergehen aufzudecken und zu ahnden. Einige neuartige Wege der Überwachung lassen aber insbesondere in Westafrika auf wirksamere Interventionen auf dem Meer hoffen. Ein Beispiel ist die „partizipative Überwachung“, die von mehreren nichtstaatlichen Organisationen angeregt wurde, darunter der Koalition für gerechte Fischereiabkommen (CAPE). Ein Pilotprojekt in Guinea soll verhindern, dass Trawler illegal in die Zehn-Meilen-Zone vor der Küste eindringen. Mehrere Kleinfischer wurden darin geschult, mittels GPS-Geräten direkt Kontakt zum Nationalen Überwachungszentrum aufzunehmen, so dass dieses die Trawler in der verbotenen Zone schneller überprüfen kann. Die Lebensbedingungen der Fischer haben sich stark verbessert: Die illegale Fischerei ging um 60 Prozent zurück. Insbesondere dringen weniger Trawler in die Küstenzone ein; die dadurch verursachten Unfälle hatten zahlreichen Kleinfischern das Leben gekostet.

sibilisierung der Fischer eine wesentliche Aufgabe, damit die grundlegenden Daten für die ganze Prozedur verlässlich sind. Zusätzlich zur Rückverfolgung der Produkte, die in den Wirtschaftskreislauf kommen, sind stärkere Kontrolle auf dem Meer nötig. Sie ermöglichen es, das Problem an der Quelle zu bekämpfen. Leider sind in den Gebieten, wo die Überwachung des Meeres und des Luftraums sowie die Kommunikation dafür mangelhaft sind, auch die Kontrollen nur sporadisch und Durchsuchungen selten. Dabei wird gerade auf dem Meer mit verschiedenen illegalen Praktiken schwarz gefangener Fisch „weiß gewaschen“. An Land bekommt er dann ohne Probleme ein gültiges Zertifikat für den Export Richtung Europa. Wie in den Hoheitsgewässern Guineas eine Flotte von Trawlern aus Korea und China illegal zwischen Schiffen mit Fangerlaubnis fischte, hat Greenpeace 2006 dokumentiert. Die illegalen Trawler konnten monatelang auf dem Meer bleiben, vielleicht sogar Jahre, ohne je in einem Hafen festzumachen: Tanker, die von Reedern bereitgestellt wurden, versorgten sie mit Treibstoff. Und der Fang wurde abgepackt und tiefgekühlt auf Kühlschiffe umgeladen, die dann Umschlagplätze anliefen wie Las Palmas auf Gran Canaria. Yann Yvergniaux arbeitet für das Brüsseler Büro der nichtstaatlichen Organisation International Collective in Support of Fishworkers (ICSF) sowie für die Coalition for Fair Fisheries Arrangements (CAPE).

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Im Verlauf solcher Operationen werden die Fischkisten mit dem Namen von einem oder mehreren Schiffen etikettiert, die eine europäische Genehmigung besitzen. Das macht es schwierig, den Betrug aufzudecken, wenn das Kühlschiff einmal beladen

Im Senegal steht die partizipative Überwachung im Rahmen des gemeinsamen Fischerei-Managements, speziell von geschützten Meeresgebieten. Lokale Komitees mit Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen wurden gegründet und Pirogen zur Verfügung gestellt, die mit der Küstenwache kooperieren. Diese ist gehalten, auf Anfrage der Kleinfischer tätig zu werden. Derzeit kommen Projekte der partizipativen Überwachung nicht recht voran, vor allem weil es an Ausstattung und Ausbildung fehlt. Doch das ist auch eine Frage des politischen Willens – bei den Küstenstaaten im Süden ebenso wie bei Geldgebern, etwa der EU. Eine echte Partnerschaft, die auf gute Regierungsführung im Bereich der Fischerei-Verwaltung zielt – einschließlich Kontrolle und Überwachung –, würde es den Staaten im Süden erlauben, volle Souveränität über ihre Gewässer auszuüben und illegale und zerstörerische Praktiken vor ihren Küsten zu beenden. Doch das ist nur möglich, wenn ähnliche Projekte wie die in Guinea und im Senegal auf regionaler Ebene gefördert werden, wenn die Fischer daran beteiligt, die Küstenbewohner sensibilisiert und besonders die Jugend geschult werden. Außerdem müssen Fischerei-Nationen, die einer RFMO angehören, auf hoher See die Kontrollen verstärken. Nur so kann sichergestellt werden, dass Fischbestände, die zwischen internationalen Gewässern und den Meereszonen einzelner Staaten hin und her wandern, dauerhaft geschützt und genutzt werden. Denn der illegale Fischfang kennt keine Grenzen. Aus dem Französischen von Felix Ehring.

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Nach neuen Regeln plündern Die Europäische Union will ihre Fischereipolitik reformieren

Die EU-Staaten jagen mit immer leistungsfähigeren Schiffen nach immer weniger Fisch. Denn die Europäische Kommission kann weder angemessen niedrige Fangquoten durchsetzen noch die Fischerei-Flotte verkleinern. Um rentabel zu bleiben, beuten die Schiffe Fischbestände in eigenen wie in fremden Gewässern übermäßig aus. Die EU-Kommission kennt das Problem, doch ihr jüngster Vorschlag zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik ist unzureichend. Von Heimo Claasen

wie ökologischen Desaster der GFP der „Frankenstein-Bericht“. Diese Analyse vom Oktober 2010, die bis heute nicht von der Kommission zugänglich gemacht wurde, aber im Parlament bekannt ist, bestätigt die Kritik von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, dass die bisherigen Regeln zur Überfischung der Meere beitragen haben – innerhalb wie außerhalb der Wirtschaftszonen vor den Küsten der EU-Länder. Ferner wird darin belegt, in welchem Maße sich die EU-Fischerei selbst ruiniert. Sie erzielt mit zunehmendem technischen Aufwand aus weit entfernten Fischgründen immer weniger Ertrag. In der Folge sinken die Bestände und die erlaubten Fangquoten (total allowed catches, TAC), die jährlich im EU-Ministerrat oder zum Beispiel für den Nord- und Ostatlantik in regionalen Fischereiabkommen ausgehandelt werden, gehen zurück. Umso größer wird danach der Druck, mehr als erlaubt zu fischen, um die Boote noch mit Gewinn betreiben zu können – ein Teufelskreis.

Ein belgisches Fischerboot in der Nordsee. Die EU-Fangflotte fischt aber auch in weit entfernten Gewässern. Philip Reynaers/Greenpeace

Die Gemeinsame Fischerei-Politik (GFP) der Europäischen Union hat ökonomisch und ökologisch versagt – das räumt die EU-Kommission selbst ein und will ab dem kommenden Jahr neue Regelungen durchsetzen. Fischereikommissarin Maria Damanaki hat dazu noch für Juli einen Entwurf angekündigt. Doch der enthält wenig Ansätze, Probleme wie Fangquoten und wirksamere Kontrollen anzupacken, damit sich die stark dezimierten Fischbestände erholen können. Mit der Fischereipolitik sind aufgrund widerstreitender Interessen gravierende Probleme verbunden. Keineswegs scherzhaft hieß die eigene interne Einschätzung der EU-Kommission zum wirtschaftlichen

Das Kernproblem, dass die Kapazität der EU-Fischereiflotte zu groß ist, haben frühere Reformen nicht in den Griff bekommen. Im Gegenteil: Die Subventionen für die Modernisierung der Schiffe und die Abwrackprämien haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren auf fast eine Milliarde Euro 2009 verdoppelt. Die Zahl der Boote ist dadurch nur geringfügig zurückgegangen, aber die Fangkapazität beträchtlich gestiegen. Zudem liegen die TACs regelmäßig weit über den von den Wissenschaftlern empfohlenen Obergrenzen. Ein Beispiel: 2008 schlugen Meeresforscher für Thunfisch ein Limit von 15 Millionen Tonnen vor, um ein völliges Einbrechen der Bestände zu vermeiden. Sie empfahlen sogar nur 10 Millionen Tonnen, damit sich die Bestände erholen könnten. Der damalige EUFischereikommissar Joe Borg handelte hingegen im Thunfisch-Ausschuss unter dem internationalen Fischerei-Abkommen, dem alle Thunfisch fangenden Länder angehören, einen „Kompromiss“ über 25,5 Millionen Tonnen aus. Tatsächlich gefangen wurden fast 61 Millionen Tonnen, worauf die EU immerhin

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die Thunfischerei ihrer Anrainer im Mittelmeer zeitweilig sperrte. Der Vorgang wirft auch ein Schlaglicht auf die Qualität der staatlichen Kontrollen in den Fischereihäfen der EU-Länder. Der „Frankenstein-Bericht“ beklagt sich bitter über die Unzuverlässigkeit der von den nationalen Behörden gelieferten Daten zur Menge der in den Häfen angelandeten Fische, auf deren Basis auch die TACs des folgenden Jahres berechnet werden. Recherchen von nichtstaatlichen Organisationen wie Greenpeace oder der Pew-Umweltstiftung belegen das Ausmaß der Misere: Etwa ein Drittel der Anlandungen in großen spanischen Häfen

„Ein Desaster für die Entwicklungsländer“ Die Pläne für eine erneuerte „Gemeinsame Fischereipolitik“ der Europäischen Union (EU) sind bei Entwicklungsexperten auf scharfe Kritik gestoßen. Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) sprach von einem „Desaster für die Entwicklungsländer“. In dem Gesetzentwurf fehlten Zusagen für mehr Transparenz und die Beteiligung der Zivilgesellschaften Afrikas und Asiens bei Vertragsverhandlungen mit den Europäern, beklagte EED-Fischereiexperte Francisco Mari. Die EU scheitere an ihrem Anspruch, Fischereiverträge unter den „Leitgedanken der Nachhaltigkeit und Entwicklung“ zu stellen. Fischerei sei jedoch ein zentraler Punkt bei der Verknüpfung von Außenhandel und Entwicklungspolitik, unterstrich Mari. Die Hälfte der EU-Importe stamme aus Gewässern der Entwicklungsländer. Auf der Jagd nach Edelfischen vernichteten die EU-Fangflotten dort durch große Beifangmengen die Bestände. Die Fischer an den Küsten verarmten. Auch der Grünen-Politiker Thilo Hoppe betonte, Kleinfischerverbände aus Entwicklungsländern müssten in die Verhandlungen über EU-Fischereiabkommen einbezogen werden. Die EU dürfe den Fischfang als Einkommensquelle für Millionen von Küstenbewohnern nicht gefährden, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Rund 800 Schiffe sind derzeit unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates auf den Weltmeeren unterwegs. Die meisten jagen vor der westafrikanischen Küste nach Thunfisch, Seehecht, Kabeljau oder Tintenfisch. Die Grundlage dafür bieten Fischereipartnerschaftsabkommen (FPA) zwischen der EU und den jeweiligen Ländern. Gegenwärtig sind 16 solcher Abkommen in zwei Kategorien in Kraft. In die erste fallen elf bilaterale Thunfischabkommen. Zur zweiten Kategorie gehören Abkommen über mehrere Arten mit Grönland, Mauretanien, Guinea-Bissau, Guinea-Conakry und Marokko. Die Fangquoten werden von den Regionalen Fischereiorganisationen (RFO) festgelegt. (saw)

wie Vigo wird nicht erfasst. Der spanische Verbraucherverband fand bei einer landesweiten Erhebung im Einzelhandel fast 40 Prozent falsche oder regelrecht gefälschte Etikettierungen von Fischen und Fischprodukten.

Heimo Claasen ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von

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Nach einem Abgleich von „sehr widersprüchlichen“ globalen Daten kommt auch der „Frankenstein“-Bericht zu dem Schluss, dass „erhebliche“ Mengen von illegal gefangenen Fischen auf dem EU-Markt landen. Die Pew-Stiftung schätzte sie im vergangenen September auf ein Fünftel des gesamten EU-Verbrauchs. Ganze 24 Fischerei-Inspektoren hat die EU-Kommission in Dienst, die solchen Dingen nachgehen könn-

ten – wenn die EU-Staaten ihr Einverständnis geben, dass sie auf Schiffen unter ihrer Flagge oder in ihren Häfen tätig werden. Dies ist schon gar nicht vorgesehen für die EU-Fischflotten, die vor Afrikas Küsten abräumen. Prinzipiell müssen nur die Länder, unter deren Flagge die Boote fischen, sowie die Staaten, in deren Gewässern gefischt wird, für die Einhaltung der Regeln sorgen – auch dort, wo EU-Fischereiabkommen geschlossen worden sind. Das sind zurzeit zehn in Afrika und drei im östlichen Pazifik. Der Entwurf für eine neue GFP-Regelung lässt wenig Ansätze erkennen, all diese Probleme anzugehen. Zwar sollen die EU-Staaten verpflichtet werden, der Kommission statistisch reinen Wein einzuschenken, was auf ihren Flotten und in ihren Häfen vor sich geht. Es ist aber keine Rede davon, mehr und wirksamere Kontrollen einzusetzen, obwohl der Filz zwischen lokalen Behörden und Reedern einen erheblichen Teil illegaler Fischanlandungen deckt. Verbindliche Ziele für Fangmengen sind zwar vorgesehen, doch sie sollen nicht ausschließlich an den wissenschaftlichen Gutachten ausgerichtet werden. Der Spielraum für widersinnige Beschlüsse von Kommission und Ministerrat wird nicht eingeengt. Ferner sollen die Fischer verpflichtet werden, allen Beifang regulär an Land zu bringen, statt ihn wie bisher über Bord zu werfen oder an den Kontrollen vorbeizuschmuggeln. Wenn der Beifang dann auf die erlaubten Quoten angerechnet wird, bedeutet das aber eine Quotenminderung. Zugleich bietet die neue Regelung Anreize für ökologischen Unfug: Jungfische einer Quoten-Sorte müssen zwar angelandet, dürfen aber nicht für den menschlichen Verzehr verkauft werden. Sie werden für die Herstellung von Fischmehl oder für Haustier-Futter verwendet – zusätzlich zu dem Fisch, der ohnehin schon für die Fischmast aus dem Meer geholt wird, das sind weltweit rund 40 Prozent der Fisch-Biomasse (ohne Garnelen, Muscheln und ähnliches). Und schließlich soll die Konzession fürs Fischen, die zusammen mit der Quote bisher jeweils an ein einzelnes Schiff gebunden war, innerhalb der EU frei handelbar werden. Ähnlich wie beim Handel mit CO2-Zertifikaten würde damit ein Markt geschaffen, auf dem sich die finanzstärksten Einkäufer mit den meisten „Rechten“ für die Ausbeutung der Umwelt eindecken können. Nach Auffassung der Kommission werden so im Wettbewerb um die Konzessionen und Quoten die effizientesten Boote besser ausgelastet und somit rentabler. Keine Rede ist aber davon, was mit den anderen Booten geschieht, die dann ungenutzt im Hafen dümpeln. Die Kommission schweigt ebenfalls zu der Forderung von Umweltund Entwicklungsorganisationen, verheerende Fischereiwerkzeuge wie Grundschleppnetze mit vorlaufenden Balken und Ketten zu verbieten und hinreichend große fischereifreie Gebiete auch in europäischen Gewässern einzurichten, damit sich die Fischbestände erholen können. 

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Vom Fisch zur Bank Wie sich Dorfgemeinschaften am Niger durch die Dürrezeit retten

Der nigrische Fischerverband ADA hat am Niger die Fischzucht wieder angekurbelt. Mit einer einfachen Idee: In den Wassermulden, die sich in der Regenzeit bilden, werden Jungfische ausgesetzt. Während das Wasser verdunstet, wachsen sie heran. Das ist der Beginn einer Nahrungs- und Handelskette, die zahlreichen Dörfern entlang des Flusses das Überleben sichert.

zappelnden Tieren und werfen sie in blaue Plastikeimer.

Text: Kirsten Wörnle, Fotos: Christoph Püschner (Brot für die Welt)

Früher hielten sie es für ihr Schicksal. Wenn die Sonne so stark brannte, dass die Erde aufriss und den Äckern nichts mehr abzutrotzen war. Wenn ihre Vorräte zur Neige gingen und sie hungerten, obwohl sie nur einen Steinwurf vom Niger entfernt leben. Gegen die Hitze kamen sie auch mit Flusswasser nicht mehr an. Heute haben die Bewohner von Goungo bon einen Rettungsanker: Die Fläche mit den vielen Mulden gleich vor ihrem Dorf. Jedes Jahr in der Regenzeit füllt sich das Areal mit Wasser. Es dauert Monate, bis es komplett verdunstet ist. Zeit ge-

nug, damit aus kleinen Fischen große werden. „Der nigrische Fischerverband ADA hat uns auf die Idee gebracht“, sagt Ortsvorsteher Djibo Ganda. Er steht am Rande des Tümpels, in dem sie mehrere Monate lang Karpfen gezüchtet haben. Jetzt ist der Teich fast ausgetrocknet. Das ganze Dorf hat sich versammelt, um die ausgewachsenen Fische zu fangen. Während die Männer das restliche Wasser abpumpen, waten Frauen und Kinder durch den Matsch. Sie greifen mit den Händen nach den

„Vor vier Monaten haben wir die Fische ausgesetzt“, erzählt Diama Hassumi, die das Projekt im Dorf leitet. Damals, etwa eine Woche nach der Regenzeit, war sie mit zwei anderen Frauen zu einer fünf Kilometer entfernten Zuchtstation gefahren, um tausend silberglänzende Mini-Karpfen zu kaufen. Dafür hatten sich zuvor 23 Männer und Frauen aus Goungo bon zusammengeschlossen und einen Mikrokredit von 30.000 CFA-Francs (45 Euro) aufgenommen. In Plastiktüten voll Wasser, mit zusätzlichem Sauerstoff versetzt, hatten die Frauen die Fische auf einem Ochsenkarren zurück transportiert. Die Jungfische kamen in den Dorfteich und wuchsen langsam heran. Während der Tümpel in der Hitze auf wenige Quadratmeter

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zusammenschrumpfte, wurden aus Zwei-Gramm-Setzlingen ansehnliche 200-Gramm-Karpfen. Jetzt kippen die Dorfbewohner Eimer für Eimer ihres Fangs auf eine Plane. Diama Hassumi hat eine Waage in den Baum gehängt, sie wiegt die Fische portionsweise ab. Eine Händlerin aus dem benach-

chem Zusammenhalt. „Solange die Menschen ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen, können Millionen Hilfsgelder fließen, es wird keine dauerhafte Entwicklung geben“, ist er sich sicher. Ali war einst Direktor für Fischerei im nigrischen Umweltministerium, bevor er beschloss, den Fischerverband zu gründen, um Menschen

riegelte der Staat die Nebenarme des Nigerstroms ab und legte Reisfelder an. Doch die Rechnung wurde ohne den Fisch gemacht: „Jungtiere wachsen normalerweise in den bewachsenen Nebenarmen des Niger auf“, erklärt Idrissa Ali. Im Gras im Wasser finden kleine Fische ihr Versteck. Nun war die Kinderstation plötzlich mit Dämmen vom Hauptstrom abgeschnitten. Der Fischbestand des mächtigen Flusses sei seither von 10.000 Tonnen auf weniger als 2000 Tonnen geschrumpft. Die Idee, mit der der Verband die Fischzucht wieder angekurbelt hat, ist denkbar einfach: Wassermulden nutzen, die sich in der Regenzeit ohnehin bilden. Auf seiner zentralen Zuchtstation in Sona, 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Niamey, produziert ADA heute an die drei Millionen Minikarpfen und -welse pro Jahr. Es ist der Beginn einer Nahrungsund Handelskette, die zahlreichen Dörfern entlang des gesamten Niger das Überleben sichert.

Das ganze Dorf jagt im Schlamm nach den Karpfen. Dann werden sie portionsweise abgewogen. Rund 200 Gramm bringt ein ausgewachsener Fisch auf die Waage.

Kirsten Wörnle ist freie Journalistin in Berlin und schreibt unter anderem über Gesundheit und Bildung.

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barten Kokomani ist gekommen, sie wird ihr eine große Menge abnehmen, um sie zu frittieren und auf dem Markt zu verkaufen. Zwanzig Prozent des Fangs behalten die Dorfbewohner selbst, der Rest geht in den Verkauf. „Vom Erlös finanzieren wir Reis für unsere Getreidebank“, erläutert Hassumi. In dem Lagerhaus wird das Korn für die härteste Zeit des Jahres aufbewahrt. In der Dürrezeit können sich bedürftige Familien hier einen halben oder ganzen Sack Reis leihen, den sie während der nächsten Erntezeit zurückzahlen. Der Zins: Eine Tasse Reis pro Sack. Im Hauptquartier des nigrischen Fischerverbands ADA (Association des Aquaculteurs) sieht man solche Beispiele gern. „Vom Fisch zur Bank“ ist für den Vorsitzenden Idrissa Ali ein gelungenes Beispiel von Eigeninitiative und dörfli-

entlang des Nigerstroms zu helfen. Mit Unterstützung von Brot für die Welt, dem Deutschen Entwicklungsdienst und französischen Fischern hat er seine Hilfsorganisation aufgebaut. „Ich verdanke dem Fisch alles“, sagt Idrissa Ali. „Meine Schulhefte. Meinen ersten Pullover.“ Als Kind finanzierte er mit dem Erlös seiner Fänge die Familie mit. Als junger Wasserbauingenieur wanderte er den ganzen Niger ab, um die Nöte der Dorfbewohner entlang des mächtigen Stroms zu verstehen. Im Rucksack hatte er Versuchsfische. „Es tat mir so weh, zu sehen, dass die Menschen nicht wussten, was sie tun sollen, um Essen zu finden.“ Jede zweite Ernte falle schlecht aus, berichtet Ali. Als in den 1980ern eine Hungersnot drohte,

„Jahrzehntelang haben wir diesen Teich nicht genutzt“, sagt Djibo Ganda, der Ortsvorsteher von Goungo bon. „Wir sind einfach nicht drauf gekommen.“ Wie viele Fische in einem Teich ausgesetzt werden dürfen und wie er vor Versandung geschützt wird, haben sie von ADA gelernt. Mit den Einnahmen aus der Fischzucht – an diesem Tag werden es fast 50.000 CFA-Francs sein, umgerechnet 75 Euro – haben sie inzwischen auch Gemeinschaftsfelder für Reis und Gemüse angelegt. Ihre Überschüsse verkaufen sie, um die Erträge in die Getreidebank zu investieren: Lagen dort anfangs nur zwei Säcke, so sind es nach sechs Jahren bereits zwanzig. „Ich spüre einen riesigen Motivationsschub im Dorf“, sagt Djibo Ganda, „die Menschen sind wie ausgewechselt.“ Wenn die Temperatur in der Trockenzeit wieder auf 45 Grad klettert und für Wochen kein Regen fällt, ist das nicht länger ein furchtbarer Schicksalsschlag. Die Dürrezeit ist jetzt einigermaßen berechenbar.

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Ein Gewinn, doch nur für manche In Indien bringt Gen-Baumwolle einen begrenzten Nutzen, aber auch viele Folgeprobleme

Seit fast zehn Jahren wird in Indien gentechnisch veränderte Baumwolle angebaut. Das ist auf den ersten Blick ein Erfolg: Auf über 90 Prozent der Baumwoll-Äcker bauen Kleinbauern heute Gen-Sorten an, die fast alle Hochertragssorten sind; ihr Gewinn ist im Durchschnitt gestiegen. Ob das auch schwächeren Bauern nutzt, gerade in Regionen ohne Bewässerung, ist aber fraglich. Zudem lässt die Abwehrkraft der Gen-Sorten gegen den Hauptschädling bereits nach. Von Gisela Felkl

Indien hat in den letzten zehn Jahren ein beachtliches Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 8 Prozent pro Jahr erreicht – vor allem im Industrieund Dienstleistungssektor. Trotzdem sind Armut und Hunger immer noch weit verbreitet. Die indische Regierung ist sich des Problems bewusst und hat als eine der ersten Regierungen das Menschenrecht auf Nahrung anerkannt. Und sie fördert das landwirtschaftliche Wachstum als Mittel zur Verminderung des Hungers. Hier setzen die meisten indischen Politiker auf den Einsatz von Biotechnologie

und von gentechnisch veränderten (GV) Organismen. Sie versprechen sich von diesen Technologien einen großen Beitrag zum Wachstum in der Landwirtschaft. Diese hohen Erwartungen werden teilweise genährt durch die Erfahrungen mit gentechnisch veränderter Baumwolle, die in Indien seit 2002 angebaut wird. Die Einführung von GV-Baumwollsorten hat tatsächlich zu einer durchschnittlichen Ertragssteigerung beigetragen. Der Nutzen für arme Kleinbauern und die Nachhaltigkeit der Technologie sind jedoch zweifelhaft.

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Links: Arbeiter in einer Fabrik zur Entkernung von Baumwolle. Die Samen werden mechanisch ausgelesen. Rechts: In der Region Vidarbha ernten Frauen gentechnisch verändertes Rohmaterial. Bloomberg Via Getty Images; Jörg Böthling

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Indiens Ökonomie hängt stark von der Landwirtschaft ab: 17 Prozent des Bruttonationalproduktes stammen aus der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei, und der Agrarsektor beschäftigt mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Die durchschnittliche Farmgröße beträgt 1,05 Hektar, 88 Prozent aller Far-

ein Protein, das für bestimmte Insekten äußerst giftig ist, darunter auch für den Hauptschädling der Baumwolle, den Baumwollkapselwurm. Als Spritzmittel wird das Bt-Toxin im Pflanzenschutz bereits seit Jahrzehnten verwendet. Mit Hilfe der Gentechnik ist es heute möglich, die Bt-Gene in Baumwolle

men sind kleiner als 2 Hektar. Damit sind indische Bauern typischerweise Kleinbauern mit wenig Ressourcen, die meist kaum genug verdienen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Die Weltbank schätzt, dass ungefähr ein Drittel der 1,2 Milliarden zählenden Bevölkerung Indiens von Ernährungsunsicherheit betroffen ist. Der Großteil dieser Hungrigen und Armen lebt in ländlichen Gebieten und verdient seinen Lebensunterhalt mit Landwirtschaft.

oder andere Pflanzen zu übertragen. Die Gene veranlassen dann die Pflanzen dazu, selbst das Bt-Toxin zu produzieren, das sie gegen den Baumwollkapselwurm schützt. Im konventionellen Baumwollanbau wenden Bauern regelmäßig verschiedene Insektengifte gegen den Baumwollkapselwurm an.

Die wichtigsten Feldfrüchte – gemessen an der Anbaufläche – sind Getreide (vor allem Reis und Weizen), Hülsenfrüchte und Ölsamen. Baumwolle nimmt nur etwa 5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ein. Betrachtet man allerdings die pflanzliche Produktion gemessen am Wert, dann gehört Baumwolle nach Reis, Weizen, Zuckerrohr und Gemüse zu den Top Fünf. Sie spielt daher eine wichtige Rolle in der Agrarökonomie.

Seit der Einführung der ersten Bt-Baumwollsorten hat sich in Indien nicht nur die Anzahl der zugelassenen Bt-Sorten, sondern auch die Fläche, auf der sie angebaut werden, explosionsartig vergrößert. Offenbar waren die Bauern von der Wirkung der Bt-Sorten gegen den Kapselwurm und den guten agronomischen Eigenschaften der neuen Sorten beeindruckt. Ihre Verbreitung wurde außerdem durch eine sehr aktive Vermarktungsstrategie der indischen Saatguthändler beschleunigt. Es wird geschätzt, dass seit 2009 ungefähr 90 Prozent der gesamten Baumwollfläche mit Bt-Baumwolle bepflanzt sind.

2002 wurden erstmals drei gentechnisch veränderte Baumwoll-Hybridsorten in Indien für die kommerzielle Nutzung zugelassen. Alle drei enthielten Bt-Gene von Monsanto und waren in Zusammenarbeit mit der indischen Saatgutfirma MAYHCO entwickelt worden. Bt ist die Abkürzung für Bacillus thuringiensis, ein im Boden lebendes Bakterium. Es produziert

Die inzwischen mehr als 600 zugelassenen Bt-Baumwollsorten in Indien sind mit einer Ausnahme alle hochertragreiche Hybridsorten. Die erhält man, wenn man von zwei verschiedenen Pflanzenlinien durch Inzucht möglichst reinerbige Pflanzen erzeugt und die dann miteinander kreuzt. Die Nachkommen bilden in der ersten Generation besondere Eigen-

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schaften aus wie hohes Ertragspotential. Die gehen in den folgenden Generationen verloren, so dass Bauern Hybrid-Saatgut immer neu kaufen müssen. Die gute Leistung der Bt-Baumwolle in Indien resultiert aus der Kombination zweier Eigenschaften. Die erste ist dieses durch konventionelle Hybridzüchtung hervorgebrachte hohe Ertragspotential. Zweitens versieht der gentechnische Transfer der Bt-Gene diese Baumwollsorten mit einer Art eingebautem Schutz gegen den Kapselwurm. Um das hohe Ertragspotential tatsächlich zu nutzen, müssen die Bauern allerdings verstärkt in Düngung, in Insektizide gegen andere Schädlinge, in Saatgut und normalerweise in Bewässerung investieren. Wenn es eine Feldfrucht gibt, die in den letzten sieben bis acht Jahren in Indien ein phänomenales Wachstum erlebt hat, dann ist es Baumwolle. Die Produktion hat sich von rund 15 Millionen Ballen in 2002 auf etwa 29 Millionen Ballen in 2009 beinahe verdoppelt (ein Ballen sind rund 170 Kilogramm). Der Zuwachs kam vor allem zustande durch eine Steigerung des Baumwollertrags von etwa 300 auf mehr als 500 Kilo pro Hektar. Das kann auf die Einführung der ertragreichen Bt-Hybridsorten und die damit einhergehende Intensivierung des Anbaus zurückgeführt werden. Die Zunahme der Baumwollproduktion hat Indien seit 2006 zu einem Baumwollexporteur und zum nach China zweitgrößten Baumwollproduzenten der Welt gemacht. Trotz der schnellen Verbreitung von Bt-Baumwollle in Indien diskutieren Wissenschaftler heftig und kontrovers über den ökonomischen Nutzen für verschiedene Gruppen von Bauern. Im Vergleich zahlreicher Studien zeigt sich, dass Bauern, die die neuen Bt-Sorten verwenden, durchschnittlich weniger Pestizide eingesetzt und höhere Erträge und Nettoeinkommen erzielt haben als andere Baumwollbauern. Aber es wird auch deutlich, dass es viele Bauern gibt, die aus verschiedenen Gründen die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile nicht erzielen.

Oben: Verkauf von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Die Abwehrkraft der Gen-Sorten gegen den Hauptschädling lässt bereits nach. Unten: Auf dem Markt von Kasrawad bieten die Bauern ihre Baumwolle an. Nur für die wohlhabenden unter ihnen ist der Anbau von Gen-Sorten profitabel.

Der Anbau von Bt-Baumwolle mit den derzeit erhältlichen Sorten erfordert hohe Ausgaben für AgrarVorleistungen wie Saatgut, Dünger und Bewässerung. Während er in bewässerten Gebieten und für sachkundige Bauern mit ausreichend Mitteln sehr profitabel sein kann, ist er in Regenfeldbaugebieten äußerst riskant. Zwei Drittel der Baumwoll-Anbaugebiete in Indien sind aber abhängig vom Regen. Für Bauern dort und für Bauern, die wenig Mittel oder nicht genug Sachverstand über den richtigen Anbau der Bt-Sorten besitzen, kann Bt-Baumwolle katastrophale Folgen haben. Wertvolle Alternativen könnten für sie Sorten sein, die an ihre speziellen Bedürfnisse angepasst sind – zum Beispiel trockenresistente, offen blühende Sorten. Eine andere Alternative ist der Integrierte Pflanzenschutz (IPM). Wie nachhaltig der Schutz der Pflanze mittels Bt-Genen ist, ist ebenfalls fraglich. Da in Indien heute bei-

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Nach der Entkernung wird die Baumwolle zu Ballen gepresst. alle Fotos der Doppelseite: Jörg Böthling

nahe die gesamte Baumwolle mit Bt-Sorten erzeugt wird, ist der Baumwollkapselwurm einem enormen Selektionsdruck ausgesetzt. Es wurde inzwischen bestätigt, dass er in Indien gegen das ursprüngliche, von einem einzigen Gen bestimmte Bt-Toxin Resistenz entwickelt hat. Bauern haben deshalb wieder begonnen, gegen den Schädling Insektizide zu spritzen oder sind zu neueren Doppel-Bt-Sorten übergegangen, die zwei verschiedene Bt-Gene besitzen.

Dass die Bt-Sorten speziell auf Abwehr des Kapselwurms als Hauptschädling der Baumwolle zielen, scheint außerdem eine Nische geöffnet zu haben, in der sich Sekundärschädlinge vermehren können. Man geht davon aus, dass beides – das Aufkommen von resistenten Kapselwürmern und die Vermehrung von Sekundärschädlingen – den wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen des Pflanzenschutzes mittels Bt-Gentransfer verringern wird. Nachhaltiger wäre die Anwendung von Integriertem Pflanzenschutz, einer Strategie, die auf langfristige Schadensvermeidung abzielt. Beim Integrierten Pflanzenschutz werden eine Reihe von Anbautechniken angewandt, um das Schädlingsaufkommen nachhaltig zu verringern und den Ertrag zu sichern. Dazu gehören die Verwendung resistenter Sorten, biologischer Pflanzenschutz und der angemessene Einsatz von Pestiziden. Wie sieht es mit dem Effekt von Bt-Baumwolle auf die Agrobiodiversität aus? Die Grüne Revolution, während der mit starker Unterstützung des öffentlichen Sektors einige wenige populäre Reissorten verteilt wurden, hat im Ergebnis zu großer genetischen Einförmigkeit geführt. Das ist bei Baumwolle heute anders – die Bt-Baumwollsorten sind genetisch außerordentlich vielfältig. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, dass hier die genetische Vielfalt gewachsen ist, weil die Nachfrage nach Bt-Sorten extrem hoch ist und die Saatgutfirmen ihr gesamtes genetisches Zuchtmaterial ausschöpfen, um immer wieder neue Sorten zu entwickeln. Die triumphale Verbreitung der Bt-Baumwollsorten hat jedoch zu einer drastischen Verschiebung weg von der Nutzung traditioneller, offen bestäubter, so

Begrenzter Nutzen: Gen-Baumwolle in Burkina Faso Erfahrungen mit genveränderter Baumwolle liegen jetzt auch aus Burkina Faso vor, das sie als zweites Land in Afrika südlich der Sahara eingeführt hat. Eine vorläufige Bilanz zieht Roger Peltzer im Newsletter der Initiative „Cotton Made in Africa“ (diese will nachhaltig erzeugte und bisher von Gentechnik freie Baumwolle afrikanischer Kleinbauern auf den Weltmarkt bringen und deren Produktivität verbessern). Danach kann Gen-Baumwolle für Kleinbauern eine sinnvolle Option sein – aber nur unter bestimmten Umständen. Wie in Indien seien Bauern in Burkina Faso rasch zu Gen-Saatgut übergegangen, schreibt Peltzer: Es wurde in der Saison 2009-2010 auf gut einem Drittel der Baumwollfelder angebaut, 2010-2011 auf gut zwei Dritteln. Eine Ertragssteigerung um 30 Prozent wurde erwartet, weil der in Gen-Sorten eingebaute Schutz vor dem Hauptschädling die Verluste vermindert. Die Erwartung hat sich laut Peltzer nur teilweise erfüllt: 2009-10 betrug der Mehrertrag pro Hektar im Durchschnitt 16 Prozent und sank 2010-11 auf rund 10 Prozent. Weil der deutlich höhere Preis des Gen-Saatguts von Einsparungen bei den Pestiziden fast aufgehoben wurde – es musste nur zwei statt sechs Mal gespritzt werden –, haben Peltzer zufolge die Bauer etwas mehr

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verdient. Allerdings muss man wie empfohlen düngen und zwei Mal spritzen, um den vollen Mehrertrag zu erzielen. Viele Kleinbauern, gerade solche mit weniger Mitteln, neigen aber laut Peltzer dazu, Dünger und Pestizide für andere ihrer Feldfrüchte abzuzweigen. Entsprechend erzielen sie aus Gen-Baumwolle weniger Mehrertrag als leistungsfähige Bauern mit besserer Beratung. Peltzer warnt vor zu hohen Erwartungen. Zum einen sei der theoretische Vorteil in der Praxis nicht vollständig eingetreten und könne mit der Zeit noch abnehmen – etwa wenn mehr arme Bauern Gen-Sorten anbauten oder wenn diese Sorten nach einigen Jahren wegen Resistenzbildungen häufiger gespritzt werden müssten. Ferner könne man die Ergebnisse aus Burkina Faso nicht verallgemeinern. Ob Gen-Sorten für einen Kleinbauern wirtschaftlich sind, hängt laut Peltzer wesentlich von dessen Flächenerträgen ab: Wer weniger als 800 Kilogramm Baumwolle pro Hektar ernte, mache mit teurerem Gen-Saatgut einen Verlust – es sei denn die Baumwollpreise auf dem Weltmarkt stiegen deutlich. Den Baumwollbauern im östlichen und südlichen Afrika mit Hektar-Erträgen von 500 bis 600 Kilo pro Hektar seien Gen-Sorten deshalb unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu empfehlen.  (bl)

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genannter Desi-Sorten (die Bauern selbst vermehren können) und hin zu Bt-Hybridsorten geführt. Diese Tendenz zeichnete sich zwar schon vor den Bt-Sorten ab, wurde aber durch sie um einiges beschleunigt. Einige indische Forscher bezeichnen diesen Trend als alarmierend und warnen vor dem Risiko, dass traditionelle Desi-Sorten ausgelöscht werden – wegen der Verbreitung der Hybridsorten einerseits, fortschreitender Habitatverschlechterung andrerseits. Eine weitere Frage betrifft die Koexistenz zwischen Bt-Baumwolle und Bt-freier Baumwolle. Der indische Baumwollmarkt unterscheidet nicht zwischen beiden. Ebensowenig tun dies Indiens Hauptexportmärkte China und Pakistan. Da die überwiegende

Ob Gen-Baumwolle die Armut vermindert und den Zugang zu Nahrung verbessert hat, ist fraglich – besonders für Gebiete mit Regenfeldbau. Mehrheit der Baumwollfarmer sowieso Bt-Sorten anbaut, ist Koexistenz für sie kein Thema. Es gibt daher in Indien keine Regelung für Koexistenz und folglich auch keine Haftungsregeln für den Fall, dass Bt-freie Produkte verunreinigt werden. Das Bewusstsein, dass solche Regeln wichtig sind, wächst jedoch, weil Indien der größte Lieferant für den wachsenden globalen Markt für Biobaumwolle in Europa, den USA und Japan ist – dort erzielt Biobaumwolle hohe Preise. Dass Biobaumwolle Bt-frei ist, wird in Indien üblicherweise dadurch garantiert, dass alle Baumwollbauern einer Region in einem Bt-freien Baumwollprojekt organisiert werden, ihnen Bt-freies Saatgut zur Verfügung gestellt wird und es eine Rückkaufvereinbarung und ein eigenes Vermarktungssystem für die Bauwolle gibt.

Gisela Felkl ist promovierte Agraringenieurin und freie Beraterin. Sie hat zur Risikoeinschätzung von genveränderten Pflanzen und zu biologischem Pflanzenschutz geforscht und war auch in der Entwicklungshilfe tätig, vor allem in Asien.

Ähnliche Bedenken herrschen in Bezug auf Nahrungsmittelsicherheit und die Wahlfreiheit der Verbraucher. Der Anstieg der Baumwollproduktion hat dazu geführt, dass anstelle von traditionellen Kochölen wie Erdnussöl zunehmend das billigere BaumwollsamenÖl genutzt wird, das heute natürlich aus Bt-Sorten gewonnen wird. Dieses Öl aus Bt-Samen hat in Indien keine Zulassung als Nahrungsmittel und wurde keiner Biosicherheitsprüfung unterzogen. Auch Bt-Linter (kurze, für das Spinnen ungeeignete Baumwollfasern) werden in der Nahrungsmittelindustrie ohne Zulassung und Sicherheitsprüfung zum Beispiel als Verdickungsmittel oder Stabilisatoren verwendet. Es gibt in Indien keine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für genveränderte Nahrungsmittel. Verbraucher haben daher keine Wahl, ob sie Bt-Baumwollsamenöl oder Bt-Linter konsumieren möchten oder nicht. Hat Bt-Baumwolle die Ernährungssicherheit in Indien verbessert? Einige Gegebenheiten, die in Indien die Ernährungssicherheit gefährden, sind die geringe Produktivität in der Landwirtschaft und die Armut

großer Teile der Bevölkerung. Die Einführung von BtHybridsorten hat den durchschnittlichen Baumwollertrag erhöht. Ob dies jedoch die Armut vermindert und den Zugang zu Nahrung verbessert hat, ist fraglich – besonders im Fall der Gebiete mit Regenfeldbau. Die Einkommen aus dem Bt-Baumwollanbau variieren sehr stark. Sachkundige Bauern in Gebieten mit Bewässerung werden vom Anbau der ertragreichen Bt-Hybridsorten typischerweise einen wirtschaftlichen Nutzen haben. In den ärmeren Regenfeldbaugebieten, wo zwei Drittel der Baumwollbauern leben, ist der Anbau der Bt-Sorten jedoch wirtschaftlich äußerst riskant. Zudem wurden als Folge der intensiven Bt-Baumwollproduktion Verschlechterungen des Bodenzustandes beobachtet. Das lässt starke Bedenken aufkommen, wie nachhaltig die intensivere Produktion und ihre Auswirkungen auf die langfristige Ernährungssicherheit sind. Die Bt-Technologie ist in bestimmten landwirtschaftlichen Situationen sicherlich sehr nützlich. Sie ist jedoch nur ein Mittel, um Pflanzen gegen einige bestimmte Insekten zu schützen. Sie schützt sie nicht gegen alle Schädlinge und – was besonders wichtig ist – vermindert nicht die Abhängigkeit der zwei Drittel aller indischen Baumwollbauern vom Regen. Als langfristige Perspektive für einen nachhaltigen Baumwollanbau, besonders für ärmere Bauern und Regenfeldbaugebiete, wäre ein eher ganzheitlicher Ansatz wünschenswert. Er sollte Maßnahmen wie die folgenden einschließen: Trockenresistente, angepasste nicht hybride Sorten – mit oder ohne Bt – sollten entwickelt werden, die den ärmeren Bauern helfen, einen stabileren Ertrag und ein zuverlässigeres Einkommen zu erzielen. Um den Schädlingsdruck zu vermindern und Probleme mit Resistenzentwicklung und Sekundärschädlingen zu vermeiden, sollte (mit oder ohne BtSorten) Integrierter Pflanzenschutz angewandt werden. Alternativen zur Bt-Baumwolle sollten vermehrt untersucht werden, zum Beispiel Biobaumwolle oder die Diversifizierung des Anbaus. Da die gründliche Information der Bauern über neue Technologien ausschlaggebend für ihren Erfolg ist, sollte der landwirtschaftliche Beratungsdienst gestärkt werden; diese Informationen sollten nicht von den Agrarhändlern kommen. Ein funktionierender Beratungsdienst ist auch wichtig für Integrierten Pflanzenschutz, da diese langfristige Strategie auf Wissen und Ausbildung beruht. Schließlich sollte auch der Zugang zu niedrig verzinslichen Darlehen verbessert werden, um die Abhängigkeit der Kleinbauern von Agrarhändlern zu lösen Literatur: Gisela Felkl Potentials of agricultural genetic engineering for food security in India. Experiences with transgenic cotton. Studie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), September–Dezember 2010, 59 Seiten

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Westjordanland welt-blicke

Geisterstadt Hebron Pufferzonen sollen Palästinenser und Israelis voreinander schützen

In Hebron im Westjordanland leben 800 orthodoxe Juden inmitten von 180.000 Palästinensern. Sie werden von israelischen Soldaten geschützt. Schikanen und Gewalt gegen Palästinenser sind an der Tagesordnung. Die israelische Organisation „Breaking the Silence“ will über das bedrückende Leben in den besetzten Gebieten aufklären und bietet unter anderem alternative Stadtführungen durch Hebron an. Von Bettina von Clausewitz

Yehuda Shaul hat sich selbst das Reden verordnet. Er will öffentlich machen, was er und seine Leute im Namen der Sicherheit getan haben, in Hebron und anderswo im Westjordanland, das seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 offiziell von Israel besetztes Gebiet ist, in dem besondere Gesetze gelten. Und Menschenrechte oft wenig zählen. Er ist nach Hebron zurückgekehrt, weil die Stadt einen Wendepunkt in seinem Leben markiert: den Zusammenbruch seines Glaubens an Recht und Gerechtigkeit im Staat Israel.

Der verlassene Eindruck täuscht: die vergitterten Wohnungen in der Shuhada-Straße sind zum Teil noch bewohnt. Bettina von Clausewitz

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Der Befehlston ist Yehuda Shaul geblieben – dem massigen 28-jährigen Armeeveteranen, der früher als Sergeant 120 Soldaten anführte und heute für mehr Menschlichkeit kämpft. In kurzen Sätzen erzählt er von seiner Zeit als Elitesoldat der israelischen Armee in Hebron. Sie lassen ahnen, wie sein Leben damals war, auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada (Palästinenseraufstand) von 2000 bis 2005. Als er hier seinen Wehrdienst ableistete und Granaten in dicht besiedelte Stadtteile feuerte, im Kampf gegen die Angriffe der Palästinenser, die die israelischen Besatzer mit aller Härte gegen die Zivilbevölkerung beantworteten.

Gekämpft wird bis heute. Denn nur ein starkes Armeeaufgebot kann die rund 800 ultraorthodoxen jüdischen Siedler schützen, die sich seit 1967 in der historischen Altstadt niedergelassen haben, umgeben von insgesamt 180.000 Palästinensern. Eine Atmosphäre aus Angst, Hass und Repression hat das einst lebendige Hebron zur Geisterstadt werden lassen, mit versiegelten Wohnhäusern, verrostenden Scharnieren an den Basartüren und herabhängenden Kabeln. Seit 2000 wurden etwa 1800 Geschäfte geschlossen, mehr als tausend Familien sind aus der Innenstadt geflohen.

Gemeinsam mit anderen jungen Soldatinnen und Soldaten hat Yehuda Shaul kurz nach seinem Wehrdienst 2004 die Organisation „Breaking the Silence“ (Das Schweigen brechen) gegründet. Sie wollten ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten und zugleich die israelische Öffentlichkeit über die Realität in den besetzten Gebieten aufklären; über alltägliche Gewalt, Schikanen und Militäraktionen gegen die palästinensische Bevölkerung. Sie sammeln Berichte, organisieren Aufsehen erregende Ausstellungen und Führungen vor Ort wie die im antiken Hebron, das mit seinen Gräbern der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob bei Juden, Muslimen und Christen als heilig gilt. Die Stimme von Yehuda Shaul ist Respekt gebietend, sein Blick hält auf Distanz, wenn da nicht diese langen Pausen wären, die ihn in seine eigenen inneren Abgründe zu ziehen scheinen. Dann erzählt er weiter wie aus der Pistole ge-

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Hebron töteten. Die gesamte jüdische Gemeinde floh daraufhin nach Jerusalem. 1994 wiederum erschoss der extremistische Siedler Baruch Goldstein mit einem Sturmgewehr 29 betende Muslime in einer Moschee.

Yehuda Shaul (links) führt durch den israelischen Teil von Hebron. Im palästinensischen Teil der Altstadt spielen Kinder auf der Straße – von oben schützt sie ein dichtes Gitter. Hier übernimmt Issar Amar (rechts) die Führung. Judith Kubitschek; Bettina von Clausewitz

schossen: „Ich habe alles gemacht, was man als Soldat so macht. Nacht für Nacht – Patrouille! Donner gegen ihre Tür, weck die Leute, mitten in der Nacht, rein ins Haus, Männer auf die eine Seite, Frauen auf die andere! Durchwühl alles, mach viel Krach, schieß herum. Lass sie deine Präsenz spüren, dann werden sie nicht angreifen. 24 Stunden, 7 Tage die Woche, schüchtere sie ein, wo immer es geht. Das hat sich nicht geändert!“ Auf der knapp einstündigen Fahrt von Jerusalem nach Hebron hat Yehuda bereits vom „Austrocknenlassen“ erzählt, einer beliebte Methode bei der Truppe, aufmüpfige Palästinenser ein wenig zu schikanieren: Hände fesseln, Augen verbinden, ab in die pralle Sonne, zwei Stunden, vier Stunden, sechs Stunden – je nachdem. Für Folter hielten er und seine Männer das damals nicht. Diese Erkenntnis kam vielen erst später, als sie sich die selbst geschossenen Fotos von den Opfern anschauten. Wenn Yehuda Shaul heute durch Hebron geht, wird er gegrüßt und auf einen Tee eingeladen. Zum Beispiel bei einem der wenigen verbliebenen palästinensischen Händler direkt am Eingang zur Grabstätte der Erzväter. Auch wenn beiden Seiten bewusst ist, wie sehr die Vergangenheit der Stadt die Gegenwart belastet. Etwa das Massaker von 1929, bei dem militante Araber 67 Juden in

„Ich habe keinen Zweifel daran, dass das, was heute in Hebron geschieht, eine Schande für meine israelische Flagge und für meinen Gott ist“, meint Yehuda Shaul. Nach wie vor bezeichnet er sich als orthodoxen Juden und als Zionisten, seine Schwester lebt in einer Siedlung nahe Bethlehem. „Wenn es einen Ort in Israel gibt, an dem wir das Recht haben zu leben, dann ist es hier in Hebron“, fügt er hinzu. Yehuda Shaul fragt aber auch, was es eigentlich heißt, ein orthodoxer Jude in einer modernen säkularen demokratischen Gesellschaft im Jahr 2011 zu sein – ohne daran politische Forderungen zu knüpfen. Das ist nicht sein Ding. Aber die alternativen Stadtführungen zu Fuß durch die Altstadt sind es – ein gut zweistündiges politisches Statement. „Hier in Hebron kannst du sehen, wie unmenschlich die Besatzung ist, hier tritt alles ganz offen zu Tage“, meint er mit einem Blick in die verödeten Gassen der Innenstadt. Aus Scham über die Siedler hat er während der Militärzeit die Kippah der orthodoxen Juden abgelegt. Mittlerweile trägt er sie wieder mit Stolz, auch wenn sie an diesem heißen Sommertag zeitweise von seinem Strohhut verdeckt wird. Dann ist sie unsichtbar für diejenigen, die jetzt in grüner Uniform mit Maschinengewehr im Anschlag an den vielen Checkpoints entlang der Straße stehen – so wie er selbst früher. Unsichtbar auch für die Siedler in ihren akkurat renovierten Häusern an der ehemals wichtigsten Einkaufsstraße Shuhada-Straße, die heute verlassen da liegt. Aber sowohl Siedler als auch Soldaten kennen den bärtigen, entschlossenen Mann, der seit Jahren mit Besuchern unterwegs ist. Siedler haben schon Steine und Eier auf ihn geworfen, Soldaten haben

versucht, die Touren zu unterbinden. Aber er kommt wieder, ebenso wie die andere Touristenführer von „Breaking the Silence“. Nur in wenigen Häusern der Altstadt wohnen noch Palästinenser. Die Fenster und Balkone, hinter denen trocknende Wäsche und neugierige Kinderaugen zu sehen sind, gleichen Käfigen. Es sind selbst gebaute Gefängnisse, zum Schutz vor Steine werfenden Siedlern und ihren Kindern. Die Soldaten sind für die Siedler da, nicht für die palästinensischen Familien. Übergriffe sind an der Tagesordnung. Deshalb begleiten internationale Freiwillige des Ökumenischen Friedensdienstes in Palästina und Israel (ÖFPI) palästinensische Kinder auf ihrem Schulweg vorbei an den Siedlerhäusern und Checkpoints der Shuhada-Straße. Nach schweren Auseinandersetzungen mit mehr als 30 Verletzten, brennenden Moscheen und Häusern im Dezember 2008 sprach sogar der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert von einem „Pogrom“. Er schäme sich

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dafür, dass jüdische Siedler in Hebron „auf unschuldige Araber“ geschossen hätten. Damit meinte er nicht nur die 800, die in der Altstadt leben, sondern auch die beteiligten Hardliner aus der angrenzenden Siedlung Kiryat Arba. Seitdem hat sich wenig verändert in Hebron, auch wenn die militärische Strategie, Araber und Israelis voneinander zu trennen, das Leben in der ehemals quirligen Altstadt mit ihren Märkten und Kaffeehäusern ausgelöscht hat. Der Grund dafür sind „sterile Pufferzonen“ und viele Gassen und Nebenstraßen, die mit meterhohen Betonpfeilern blockiert wurden, obenauf Stacheldraht, beliebte Flächen für Graffitimalerei, die wie Farbtupfer ein wenig Leben in die Tristesse bringt. Die Shuhada-Straße etwa ist laut Armeejargon zur „sterilen Straße“ geworden, auf der mehr Soldaten als Zivilisten unterwegs sind. Palästinenser dürfen sie bis auf einige kurze Abschnitte auf extra markierten schmalen Pfaden nicht betreten. Die Haustüren sind versiegelt. Nur wenige Familien sind geblieben, die ihre Häuser wie Diebe über Leitern und Dächer von der Rückseite aus erklettern müssen. Auch der große Platz vor den historischen Gräbern der Propheten Abraham, Isaak und Jakob, an dem die Touristenbusse ankommen, ist Israelis vorbehalten. „Free Palestine“ steht dort an der himmelblauen Tür der Damentoilette – die Putzfrauen müssen es übersehen haben.

Bettina von Clausewitz ist freie Journalistin und lebt in Essen.

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Am anderen Ende der ShuhadaStraße treffen wir den palästinensischen Menschenrechtsaktivisten Issar Amar, der verschiedene Jugendprojekte gegründet hat, unter anderem ein Video-Projekt, bei dem mit WebCams Übergriffe dokumentiert werden. „Ich habe beim Bürgermeister den Antrag gestellt, dass die Shuhada-Straße in Apartheid-Straße umbenannt wird. Demnächst werden hier Schilder aufgehängt in Arabisch, Hebräisch und Englisch: Welcome to Apartheid Street!“ erzählt der 31-jährige Elektroingenieur.

In diesem Teil der Stadt, jenseits eines schwer bewachten Checkpoints mit Metalldetektor und Drehkreuzen, sind nur Palästinenser erlaubt, aus Sicherheitsgründen werden die beiden Bevölkerungsgruppen getrennt. Yehuda, der Israeli, muss draußen bleiben. Deshalb hat er die Stadtführung an seinen Freund Issar übergeben. Hier endlich ist ein wenig vom arabischen Basarleben zu spüren: Schaufensterpuppen stehen neben kunstvoll drapierten Gemüsebergen, der Friseur arbeitet neben einem duftenden Gewürzladen und gegenüber dröhnt laute Musik aus dem Videoshop. Sogar ein Internetcafé ist da, in dem Jugendliche ihre Kampfspiele machen, so wie überall auf der Welt, obwohl Gewehre für sie bedrohlicher Alltag sind. Erst ein Blick nach oben zeigt, dass auch hier kein Frieden herrscht. Die schmale Geschäftsstraße ist komplett mit einem dichten Drahtgestell geschützt, ähnlich wie die Balkone und Fenster der Palästinenserhäuser auf der anderen Seite. Es liegt voll mit dicken Pflastersteinen, Flaschen und Bergen von Müll. „Alles Wurfgeschosse der Siedler, die oben die Häuser besetzt haben. Sogar Säure haben sie schon runter geschüttet“, berichtet Issar Amar. Immer mehr verlassene palästinensische Häuser würden von den Siedlern besetzt, das sei illegal, auch nach israelischem Recht. „Aber keiner tut was dagegen, obwohl sie einfach

konfisziert werden.“ Issar ist wütend und trotzdem versucht er, mit friedlichen Mitteln etwas zu verändern. Etwa indem er einen Teil der Tour für „Breaking the Silence“ übernimmt, nur ein Israeli und ein Araber zusammen können beide Seiten der Stadt erklären. „Israels extreme Separationspolitik übersteigt bei weitem das, was für die Sicherheit wirklich notwendig wäre“, heißt es bei der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem in Jerusalem, für die Issar Amar früher gearbeitet hat. Über Jahre hat er Freundschaften mit Israelis aufgebaut. Mit Yehuda Shaul verbindet ihn die Liebe zur Religion, zum Islam und zum Judentum, aus der beide ihre Motivation beziehen. „Ich habe nichts gegen jüdische Nachbarn, sie können in einem palästinensischen Staat leben, aber Hebron ist Palästina und nicht Israel“, meint Issar selbstbewusst und hat dabei vermutlich Nachbarn wie Yehuda im Blick. Ein orthodoxer Jude, der auf dem Rückweg nach Jerusalem Sätze sagt wie diesen: „Ich bin nicht länger bereit ein Konzept zu akzeptieren, das mir sagt: Ich kann nur frei sein, wenn die Palästinenser unfrei sind. Das ist Sünde. Das ist zutiefst unmoralisch.“ Und so geht er immer wieder zurück in die Geisterstadt Hebron. In der Hoffnung, dass sie eines Tages wieder zum Leben erwacht.  www.breakingthesilence.org.il

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Auf dem Holzweg? Die Geschäfte mit Biomasse aus Liberia sind umstritten

Der Energieversorger Vattenfall will Wohnungen in Berlin künftig auch mit Holz von ausgelaugten Kautschukbäumen aus Liberia heizen. Das Unternehmen preist das als zukunftsweisenden Schritt von der Kohle zur Biomasse. Vertreter von NGO hingegen befürchten, dass von diesem Geschäft nur die Besitzer von Großplantagen profitieren; die armen Kleinbauern hätten das Nachsehen. Doch so ganz einig sind sie sich in ihrer Kritik nicht. Von Johannes Schradi

den Regenwald“. Auf den Gummibaumpflanzungen Liberias, von denen das Holz stammt, herrschten katastrophale Bedingungen. Selbst die Vereinten Nationen, schreibt er, beklagten sklavenartige Arbeitsverhältnisse, Kinderarbeit, allgemeiner Gesetzlosigkeit und schwere Umweltverschmutzungen. Weil der Preis für das Holz steige, könnten es sich immer weniger Familien als Feuermaterial leisten. Andere Kritiker machten darauf aufmerksam, dass Holzexporte aus fernen Ländern oft mit ökologisch wie sozial verheerendem Raubbau einhergehen. Die nicht-staatliche Organisation (NGO) PowerShift wertete in einem Bericht zum Vattenfall-Deal solche Geschäfte als Ausdruck neuer „imperialer Lebensweise“. Die Klagen über skrupellosen Landraub ausländischer Investoren, Spekulation, Knebelpachtverträge, miserable Arbeitsbedingungen und umweltzerstörenden Rohstoffabbau in Entwicklungsländern sind zahlreich – und sie sind sehr oft berechtigt. Doch im Fall Liberia und Vattenfall liegen die Dinge offenbar komplizierter. In der kritischen NGO-Szene gehen die Meinungen auseinander: Ist es gut oder schlecht, was dort passiert?

Kautschukplantage in Liberia 2007. Ausgediente Bäume sollen nach den Plänen von Vattenfall künftig in Europa verheizt werden. WpN/Photoshot

Die Nachricht ließ aufhorchen: Eine Million Tonnen Holzschnitzel aus dem westafrikanischen Liberia wolle Vattenfall künftig in europäischen Kraftwerken verfeuern – einen Teil davon in Berlin. In der Bundeshauptstadt ist der schwedische Energieriese Hauptversorger und hier entstehen gerade mehrere neue und nachgerüstete Kraftwerke zum Verbrennen von Biomasse. Vattenfall setze auf erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit, hieß es dazu im April vergangenen Jahres beim Betreiber stolz – der Umstieg auf das Schredderholz sei ein vorbildlicher, zukunftsweisender Schritt weg von der Kohleverbrennung mit ihren schädlichen Treibhausgas-Emissionen. Es ist das größte Geschäft in diesem Bereich, das Vattenfall nach eigenen Angaben bislang eingefädelt hat. Die Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten. Das Unternehmen sei „auf dem Holzweg“, wetterte etwa ein Vertreter der Umweltorganisation „Rettet

Unbestritten ist: Das von 14 Jahren Bürgerkrieg (1989-2003) schwer gezeichnete Land, dessen Wirtschaft völlig zusammengebrochen ist, braucht dringend Investitionen. Ohne tief greifenden Aufschwung und ohne staatliche Einnahmen kann es nicht wieder auf die Beine kommen. Beides – inklusive der Aussicht auf eine ordentliche soziale Umverteilung – verspricht sich die Reformregierung von Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf gerade auch von der Vergabe von Konzessionen und Lizenzen für den Rohstoffabbau an große Konzerne. Es geht nicht nur um Holz und Gummi, sondern auch um Eisenerz, Palmöl, Gold, Diamanten. Die Regierung hält sich zugute, ausländischen Investoren beim Abbau, der ökologischen Verträglichkeit und dem sozialen Nutzen strenge Auflagen zu machen. Ungezügelter Raubbau, heißt es bei der Nationalen Investitionskommission, war gestern (siehe welt-sichten, 12/2010-1/2011) Im Fall des Energie-Holz-Deals ist zudem nicht Vattenfall direkter Verhandlungspartner der Regierung

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gewesen, sondern das Unternehmen Buchanan Renewables (BR), es gehört zu 70 Prozent einem kanadischen Milliardär. Drei Firmenzweige betreiben arbeitsteilig das Geschäft mit den Kautschukbäumen – von der Rodung bis zur Verfeuerung. Vattenfall ist an einem davon (BR Fuels) mit 20 Prozent beteiligt, zehn Prozent hält das staatliche schwedische Entwicklungshilfeunternehmen Swedfund. Das Geschäftsziel von BR ist nicht der Kautschukgewinn. Verwertet werden sollen alte, ausgelaugte Kautschukbäume, die nur noch zum Verheizen gut sind.

Liberia braucht Energie, um den Wiederaufbau voranzubringen. Aber das versprochene Biomassekraftwerk existiert bislang nur auf dem Papier. Dass der Energieversorger Vattenfall Hunderttausende Tonnen solchen Holzes nach Europa schaffen will, stört Abraham Kollie vom liberianischen NGODachverband New African Research and Development Agency (NARDA) denn auch wenig. Erstens gebe es im Land Unmengen alter Kautschukbäume, und zweitens wirtschafte BR mit der strikten Auflage, gerodete Altbestände wieder aufzuforsten – woran sich das Unternehmen auch halte, sagt Kollie. Auf Einladung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und von „Brot für die Welt“ zu Besuch in Berlin, ärgert er sich über etwas ganz anderes: Dass nämlich das Biomassekraftwerk in Liberia, das zu bauen sich BR ebenfalls verpflichtet habe, noch immer nicht stehe – geschweige denn Strom liefere. Den aber brauche das Land dringend: Um den Wiederaufbau voranzubringen und die Bevölkerung unabhängiger von der umwelt- und gesundheitsschädlichen Holzverfeuerung zu machen.

Johannes Schradi ist entwicklungspolitischer Fachjournalist und Berlin-Korrespondent . von

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Abraham Kollies Einschätzung deckt sich weithin mit dem, was ein Team der Universität von Liberia in einer Studie zu den Geschäftspraktiken von BR zusammengetragen hat. „Ein grundsätzlicher Nutzungskonflikt zwischen dem Holzschnitzelexport und der Binnenmarktverwertung konnte nicht festgestellt werden“, heißt es dort kurz und bündig. Die Wissenschaftler hatten Bauern, Vertreter der Gemeinden und Landkreise sowie der Regierung befragt und regionale zivilgesellschaftliche Gruppen in die Recherchen einbezogen. Sie kommen zu dem Schluss, das BR-Modell sei eine „echte Innovation“. Das Unternehmen habe „Impulse gesetzt, die sich vorteilhaft auf die Lage der Kautschukbauern wie auf die Rehabilitation der maroden Kautschukwirtschaft auswirken“. Endlich ein Beispiel, dass es über Landinvestment nicht nur Negatives zu berichten gebe, freut man sich beim EED, der das liberianische Studienteam mit einem eigenen Experten unterstützt hat. So viel Sympathie steht in krassem Gegensatz zum Urteil des Powershift-Reports „Holz aus Afrika für

warme Stuben in Berlin“. Die Herstellung und Verwertung von Holzchips möge zwar „auf dem Papier“ den Anforderungen an eine nachhaltige Plantagenwirtschaft genügen, heißt es dort. In der Praxis gebe es indessen gravierende Defizite. So beziehe BR das Altholz bevorzugt aus Großplantagen, Kleinbauern hätten das Nachsehen. Wo sie einbezogen seien, verlören sie oft auf Jahre ihren Verdienst. Denn nach der Rodung liefern neu gepflanzte Gummibaum-Setzlinge erst nach sieben Jahren wieder Kautschuk, mit dem sich Geld verdienen lässt. Der empfohlene zwischenzeitliche Anbau von Bohnen, Pfeffer oder Erdnüssen funktioniere nicht. Zwar zahle BR für das Altholz besser als manches andere Unternehmen, aber existenzsichernd sei das nicht. Viele Kleinbauern, die während des Bürgerkriegs die Bewirtschaftung verlassener Plantagen übernommen hätten, sähen sich wegen unklarer Landrechte regelrechten Kämpfen mit angeblichen oder tatsächlichen Alteigentümern konfrontiert; in den Dörfern profitierten von den Deals mit BR regelmäßig nur die Reichsten und Mächtigsten. Das Exportinteresse von BR und Vattenfall laufe darauf hinaus, dass Liberia seine Holzvorräte langfristig womöglich verliere, mahnt Peter Fuchs von PowerShift. „Klima- und Energiegerechtigkeit“ sehe anders aus. Auch die liberianische Universitäts-Studie sieht Verbesserungsbedarf. Teils deckt sie sich mit der PowerShift-Darstellung – etwa dass Kleineigner von Plantagen derzeit noch zu kurz kommen. Doch sie setzt auf Empfehlungen statt auf Fundamentalkritik: Die örtlichen Gemeinschaften müssten besser in die Planung einbezogen werden; die Bauern brauchten Rechtsberatung, bevor sie Kontrakte mit BR unterzeichneten; ihre Selbstorganisation müsse unterstützt werden. Insgesamt müsse das im Ansatz gute BR-Geschäftsmodell stärker auf Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung ausgerichtet werden. Einen Rückfall in simple Plantagenausbeutung dürfe es nicht geben. Und Vattenfall? Ein Unternehmenssprecher erinnert an das Abkommen mit dem Berliner Senat, in dem man sich bei der Beschaffung von Biomasse zu strikter Nachhaltigkeit verpflichtet habe. Anhand eines Kriterienkataloges, den das Heidelberger Ifeu-Institut im Auftrag von Vattenfall und der Berliner Senatsverwaltung entwickelt hat, soll in Liberia regelmäßig überprüft werden, wie ökologisch und sozial verträglich die Holzverwertung dort ist – und wo nachgebessert werden sollte. Ifeu sieht noch erhebliche Mängel in der Praxis, schätzt aber – wie die UniStudie – das Engagement von BR und Vattenfall im Ansatz als positiv ein. Noch komme in Berlin gar kein Holz aus Liberia an, fügt der Sprecher hinzu; es gehe derzeit nach Dänemark und Schweden. Aber das soll sich ändern, sobald Kraftwerke in ausreichender Zahl und Größe bereitstehen. Der Um- und Neubau läuft.

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Botschafter der Tuareg

Die Band Tamikrest tourt durch Europa und setzt sich für die Rechte der Nomaden ein

Die jungen Musiker aus Mali haben mit ihrem neuesten Album den Sprung in die internationalen Hitlisten geschafft. In ihren Liedern singen sie von ihrer Heimat, in der das Leben für die Tuareg in den vergangenen Jahren immer härter geworden ist. Ihr Appell gilt der internationalen Gemeinschaft, die dem Verschwinden eines Volkes nicht schweigend zuschauen soll, aber auch ihren Altersgenossen: Sie sollen ihre Kultur bewahren und beim Aufbau ihrer Länder helfen. Von Felix Ehring Mitte der 1990er Jahre in Mali: Der zehnjährige Ousmane Ag Mossa bekommt eine Kassette in die Hand. Er legt den Tonträger in seinen alten Spieler und hört die Gitarre von Mark Knopfler, dem Sänger der britischen Rockband Dire Straits. 16 Jahre später tourt Ag Mossa als Frontmann der Band Tamikrest quer durch Europa: Paris, London, Brüssel – rund zwanzig Konzerte hat die Band im Juni und Juli absolviert. Ab November gehen Tamikrest erneut auf Tour-

Tamikrest: „Als Künstler sehen wir es als unsere Pflicht, der Welt von den Schwierigkeiten der Tuareg zu berichten.“ nee und wer Ag Mossa Gitarre spielen hört, hört auch den Einfluss von Knopfler. „Mit den Dire Straits wurde mir klar, dass es noch andere Musik gibt als die traditionelle Musik der Tuareg“, erzählt Ag Mossa am Rande eines kleinen Festivals im nordrhein-westfälischen Landkreis Höxter. Kurz zuvor hat die Band eine gute Stunde gespielt. Das Konzert begann wie das neue Album von Tamikrest. Ein langgezogenes Raunen, erste Töne von Ag Mossas gezupfter E-Gitarre,

dann setzen Djembé und Calabash ein, die westafrikanische Handtrommeln. Rhythmusgitarre und E-Bass fließen dazu und im Publikum wippen die ersten Köpfe und Beine mit. Die gut gelaunte Sängerin Wonou Walet Sidati klatscht in die Hände, tanzt von einem Musiker zum anderen und stimmt ihren Gesang in hoher Stimmlage an. Wie Wellen strömt der Sound über das Publikum hinweg. Der Gesang in der Sprache Tamaschek ist fremd, gleichmäßig und wirkt ein wenig meditativ. Die Texte der Band schreibt Ousmane ag Mossa. Er singt von der Liebe zu einer Frau und zu seiner Heimat, in der „Wind und Durst regieren“. Und doch ist es die geliebte Heimat der Tuareg, denn dort gebe es die große Freiheit, singt Ag Mossa. Das ist zumindest die Sehnsucht der Tuareg. Doch ihr Leben in den Staaten Mali, Algerien, Libyen, Niger und Burkina Faso wird immer schwieriger. Vor allem mit den Regierungen von Mali und Niger lieferten sie sich in den 1990er Jahren gewaltsame Auseinandersetzungen. Die Tuareg werfen den Staaten vor, politisch an den Rand gedrängt zu werden. Aktueller Streitpunkt: Die Pläne des französischen Konzerns Areva, im Niger Uran abzu-

bauen. Die Tuareg sind darüber empört, weil die Profite an ihnen vorbei fließen. Schlimmer noch, eine hohe Konzentration freigesetzter radioaktiver Partikel gefährdet nach Überzeugung von Greenpeace die Gesundheit der Menschen. Radioaktiver Schlamm sei zudem in großer Menge aus Tanks ausgelaufen und verseuche die Umwelt. Ousmane Ag Mossa singt von dem Leid, „das ich erfahren habe und das mein Volk durchlebt“. Pathos schwingt da nicht mit, wenn man sich die Geschichte seiner Familie anhört. Gern spricht er nicht von den Sorgen zu Hause. Seine Stimme wird ganz leise. Fast resigniert berichtet er von seinen Eltern, die das Leben als Nomaden in den 1980er Jahren aufgaben und als Gemüsebauern in einem Dorf im Nordosten Malis an der Grenze nach Algerien siedelten. Als die Tuareg Anfang der 1990er Jahre rebellierten, geriet auch das Leben der Ag Mossas aus den Fugen. Mit fünf, sechs Jahren musste sich Ousmane mit anderen Kindern und Frauen in den Bergen verstecken. Schließlich zog die Familie in die Regionalstadt Kidal im Osten Malis, wo der Junge Gitarrenunterricht erhielt. Auch dort blieb es nicht lange ruhig. 2006 griffen Tuaregrebellen einen Militärstützpunkt in Kidal an. Es war das Jahr, in dem sich Tamikrest gründete. „Als ich eines Morgens aufwachte, war die Stadt ein einziger Albtraum“, erinnert sich Ag Mossa. „Viele hatten sich bereits den Rebellen angeschlossen. Aber wir

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Felix Ehring

tuareg süd-sichten

Tamikrest bei ihrem Konzert im nordrhein-westfälischen Höxter.

für Entführungen sowie der Drogen- und Waffenschmuggel von Westafrika Richtung Norden verantwortlich, an dem Tuareg beteiligt sein sollen.

wollten das nicht. Wir waren Musiker, keine Krieger.“ Die Ag Mossas flohen nach Libyen, Ousmane blieb wegen der Band in Mali. Die Eltern kehrten vor zwei Jahren zurück, Geschwister von Ousmane leben noch immer in Gaddafis zerrissenem Land. Der Sänger macht sich Sorgen um sie. Er ist inzwischen in der südalgerischen Stadt Tamanrasset zu Hause, verbringt allerdings einen Großteil des Jahres in Kidal, um dort mit den anderen Bandmitgliedern Musik zu machen. Die beiden Städte liegen zwei Tagesreisen auseinander.

Felix Ehring ist freier Journalist in Frankfurt am Main.

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Wenn die Band nicht durch Europa tourt, spielt sie in Mali auf Hochzeiten, Festen oder Festivals. Sie spielen die Stücke ihrer Alben und traditionelle regionale Lieder. Viel Geld bringt das nicht ein, aber für ein bescheidenes Leben reicht es in der Regel. Ab und zu nehmen die Musiker Jobs an, um über die Runden zu kommen. Der Percussionist Aghaly Ag Mohamedine und der Bassist Cheigk Ag Tiglia arbeiten gelegentlich für ihre Familien im Stoffhandel, Ag Mossa belädt Lastwagen. Manchmal schuften die Männer auch in einer nahegelegenen Goldmine. Insgesamt hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert, weil sich immer weniger Touristen in die Region wagen. Neben den Tuareg-Aufständen sind da-

Das alles macht die Region noch unruhiger. 2006 gab es einen Hoffnungsschimmer. Malis Präsident Amadou Toumani Touré gelang es, mit Vertretern der Tuareg das Abkommen von Algier zu schließen und die Rebellion im Norden zu beenden. Doch nur zwei Jahre später flammten die Kämpfe wieder auf. Erneut setzte Touré auf Verhandlungen und schloss mit einem Tuaregführer einen Waffenstillstand. Trotzdem griffen die Tuareg malische Staatsbedienstete an. Es bleibt also unruhig im Norden. Die Sicherheitslage sei in den vergangenen zwei Jahren schlechter geworden, sagt David Robert von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), der längere Zeit in der Region gearbeitet hat. Im Booklet des aktuellen Albums wenden sich Tamikrest an ihre Altersgenossen. Abgesehen von der 35-jährigen Sängerin Walet Sidati sind die Musiker zwischen 22 und 27 Jahre alt. Sie fordern von ihrer jungen Generation der Tuareg, sich für die eigenen Rechte einzusetzen, die Kultur zu bewahren und ihre Heimat zu entwickeln. Der Ausverkauf von Siedlungsgebieten an Konzerne dürfe nicht hingenommen werden. Tamikrest verlangen von der internationalen Gemeinschaft, „dem Verschwinden eines Volks“ nicht schweigend zuzusehen.

Ousmane Ag Mossa sagt: „Wir sind Künstler und es ist unsere Pflicht, der Welt von den Problemen der Tuareg zu berichten.“ Auf Tournee ist die Gruppe zu sechst – eine Sängerin und ein Musiker sind blieben aus logistischen Gründen zu Hause geblieben. Zwei Personen mehr bedeuten mehr Kosten, und es passen nicht alle in den Tourbus von Manager Peter Weber. Der Saarländer hat die Gruppe 2008 bei einem Musikfestival nahe Timbuktu „kennen und lieben gelernt“. Weber war als Manager einer anderen Band dort. Tamikrest waren im Nachbarzelt. „Sie hatten keinen Manager, kein Label oder Kontakt zu westlichen Musikleuten“, erzählt Weber, der die Band gemeinsam mit dem Label Glitterhouse nach Europa geholt hat. „Dadurch haben sich meine musikalischen Kenntnisse enorm erweitert“, sagt ag Mossa. „Ich habe gelernt, variantenreicher Gitarre zu spielen, habe neue Griffe und Techniken gelernt.“ Neben den westlichen „Gitarrenhelden“ zählt Ousmane Ag Mossa auch die etablierte Tuaregband Tinariwen zu seinen Vorbildern. Doch mit dem aktuellen Album ist Tamikrest aus ihrem Schatten getreten. Im Mai ist es auf Platz acht in die europäischen World Music Charts eingestiegen. Es war der höchste Neueinsteiger des Monats. Trotz ihrer traditionellen Gewänder und Turbane sind Tamikrest also längst keine Exoten mehr. www.tamikrest.net

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mikrokredite

„Subventionierte Kreditprogramme sind ein Problem“ Im Kaukasus wächst der Markt für Mikrofinanz Die ökumenische Kreditgenossenschaft Oikocredit arbeitet seit 2005 in Kaukasusländern wie Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Seitdem ist die Nachfrage nach Mikrokrediten dort deutlich gewachsen, der Wettbewerb zwischen den Mikrofinanzinstitutionen verschärft sich. Laut Amber O’Connell, die bei Oikocredit den Kaukasus betreut, ist der Sektor in der Region insgesamt gut reguliert. Die Kreditvergabe muss aber weiter kontrolliert werden, um eine Überschuldung von Kreditnehmern zu verhindern. Mikrokredite sind in die Diskussion geraten, seit sich im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh immer mehr Kreditnehmer überschuldet haben. Kann das im Kaukasus auch passieren? Überschuldung ist ein Risiko, das in jedem Land überwacht werden muss. Aber die Situation im Kaukasus ist ganz anders als in Indien, etwa bei der Regulierung von Mikrofinanzinstitutionen (MFI). Im Kaukasus wird das Wachstum des Sektors stärker kontrolliert und die Systeme sind besser institutionalisiert. Armenien hat etwa ein sehr gutes System von Kreditbüros, das von der Regierung gefördert wird. Alle MFI müssen den Büros die Kredite melden, die sie gewähren. Umgekehrt können sie sich dort über Kunden informie-

Unseren ersten Kredit haben wir 2005 vergeben. Inzwischen arbeiten wir mit 14 Partnern in Armenien, Aserbeidschan und Georgien und erreichen ungefähr 420.000 Menschen. Ich habe mein Büro in Amersfoort, reise aber mindestens einmal jährlich in jedes der Länder. Außerdem haben wir noch ein Länderbüro in Russland. Amber O’Connell ist seit 2010 bei Oikocredit für Programme im Kaukasus zuständig.

ren, denen sie einen Kredit geben wollen. Sie erfahren so auch, ob ein Kunde bereits bei einer anderen Institution Geld geliehen hat. Im Kaukasus besteht noch ein großer Bedarf an Mikrofinanz. Wer drängt auf diesen Markt? Es gibt viele Mikrofinanzinvestoren, Entwicklungsbanken und andere Investoren, von denen einige große Geldbeträge platzieren wollen. Es gibt ein großes Interesse an diesen Ländern und einen wachsenden Wettbewerb, so dass dorthin noch viel Geld fließen wird. Die MFI müssen aber in der Lage sein, ihr Wachstum zu steuern und sich genau überlegen, wie sie ihr Geld vergeben. Wir beobachten die Situation sehr sorgfältig. Seit wann arbeitet Oikocredit im Kaukasus?

Werden die Kredite wie in Indien bevorzugt an Frauen vergeben? Nein, die Programme richten sich an Frauen und Männer gleichermaßen. Sie werden meist an Familien vergeben. Die Mehrzahl der Kunden lebt auf dem Land. Die Kredite verwenden sie für Landwirtschaft und Handel. Manche Experten sagen, dass die ärmsten Menschen mit Mikrokrediten gar nicht erreicht werden. Stimmen Sie dem zu? Ja, ich glaube, die Ärmsten haben andere Bedürfnisse. Aber zweifellos gehen die Kredite an arme Menschen und sie tun damit großartige Dinge. In der vergangenen Woche habe ich in Armenien eine Bauernfamilie mit drei Kindern besucht. Bevor sie den Kredit bekamen, haben sie ausschließlich Gemüse angebaut. Jetzt stellen sie zusätzlich Honig her, backen Brot und ziehen Tiere auf. Solche Beispiele finde ich überzeugend. Wie viel Geld bekam die Familie? Ihr vierter Kredit lag bei etwa 5000 US-Dollar. Im Durchschnitt betragen die Kredite im Kaukasus zwischen 1000 und 3000 US-Dollar. Die Leute haben ein bis zwei Jahre Zeit, sie zurückzuzahlen.

Der Schuh-Händler Aleksandr Iakubian aus Georgien finanziert sein Geschäft mit einem Kleinkredit. Oikokredit

Wie zuverlässig bezahlen die Kunden ihre Kredite zurück? In Armenien gab es eine schwierige Phase nach der globalen Wirtschaftskrise. Das Land ist von der Weltwirtschaft abhängig, weil viele Armenier im Ausland leben und arbeiten und ihre Familien mit Überweisungen unterstützen. Deshalb stieg die Zahl derer, die ihre Kredite bei Fälligkeit nicht zahlen konnten. Aber seitdem hat sich die Lage verbessert. Laut Experten brauchen arme Menschen außer Mikrokrediten auch Mikroversicherungen und Möglichkeiten, Geld zu sparen, damit sich ihre Lage verbessert. Wird das von Oikokredit unterstützt? Ja, aber wir müssen einen Weg finden, wie wir die Entwicklung dieser Produkte unterstützen können. Unsere Partner sind in der Mehrzahl keine Banken, sie dürfen keine Spareinlagen annehmen und keine Versicherungen anbieten. Wir haben regionale Netzwerke gefördert, die sich dafür einsetzen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das Mikrofinanz-Netzwerk in Aserbaidschan will Möglichkeiten schaffen, Kredite in der Landwirtschaft abzusichern. Das ist sehr wichtig, denn viele Menschen hängen von der Landwirtschaft ab und wenn es eine schlechte Ernte gibt, bringt das das ganze Land in Schwierigkeiten. Mit welchen Schwierigkeiten sind Mikrofinanzinstitutionen im Kaukasus konfrontiert? Das sind vor allem der zunehmende Wettbewerb, das Problem, Fördermittel in lokaler Währung zu bekommen, die zu ihrem Portfolio passen, sowie subventionierte Kreditprogramme. Letztere können zwar temporär unterstützend wirken, unterminieren aber auch

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nachhaltige Aktivitäten der MFIs. Viele Kunden wollen niedrigere Zinsen und höhere Kreditbeträge. In Armenien wird das verschärft durch Regierungsprogramme, die Kredite zu sehr niedrigen Zinsen vergeben. Damit können MFIs nicht konkurrieren. Für den Erhalt des Sektors ist es wichtig, dass sie

ihre eigenen Kosten decken können und effizient arbeiten. Unsere Partnerorganisationen gehen mit den Kunden deren Wirtschaftspläne durch – was dazu führen kann, dass diese weniger Geld bekommen als gewünscht. Für uns ist es sehr wichtig, dass die Partner ein gutes Verständnis dafür

haben, was die Kunden wirklich stemmen können, welches Produkt am ehesten ihren Bedürfnissen entspricht und was sie brauchen, um ihren Geschäftsplan zu verwirklichen. Musste einer Ihrer Partner in der Finanzkrise aufgeben?

Nein, zum Glück nicht. Sie hatten eine schwierige Zeit, aber sie haben sie alles in allem gut durchgestanden. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der ausfallgefährdeten Kredite in der Region sogar gesunken. Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

studien

Bernard Wood u.a. The Evaluation of the Paris Declaration Phase 2. Final Report Copenhagen, May 2011, 88 Seiten www.evaluation.dk

Die Studie geht der Frage nach, inwieweit die Paris-Erklärung über eine wirksamere Entwicklungshilfe von 2005 die Bemühungen der Geber und ihrer Partnerländer tatsächlich verbessert hat. Ein Ergebnis der Gutachter ist, dass es eine Kluft gibt zwischen dem internationalen Aid-Effectiveness-Zirkus im Entwicklungsausschuss der OECD, den Chefetagen der Geberagenturen und den entwicklungspolitischen Denkfabriken sowie der Praxis in den Entwicklungsländern. Auf internationaler Ebene werden am laufenden Band Studien, Analysen und Konzepte produziert. Dazu kann man auch die vorliegende Evaluation zählen, die ein Team von Gutachtern aus aller Welt für die OECD erstellt hat. Die Autoren fordern indes, dass die Bemühungen für eine wirksamere Hilfe viel stärker auf die Arbeit in den armen Ländern konzentriert werden muss. Die internationale „Superstruktur“ der Standardisierung, Analyse und Kontrolle der Wirksamkeit von Entwicklungshilfe müsse „weniger

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behindernd und mehr nutzbringend“ sein. Diesen Anspruch erfüllt die Evaluation immerhin. Sie benennt die Fortschritte seit 2005, weist aber auch ziemlich klar auf die Mängel bei der Umsetzung der Paris-Erklärung hin. In den vergangenen zwanzig Jahren sei die internationale Entwicklungshilfe deutlich transparenter geworden. Sie werde heute weniger einseitig von den Gebern bestimmt als früher, und dazu habe in jüngerer Vergangenheit auch die Paris-Erklärung beigetragen. Aber vor allem den Regierungen und Hilfsagenturen der Geberländer werfen die Gutachter Reformmüdigkeit vor. Von Abstimmung untereinander sowie Anpassung an Strukturen der Partnerländer, wie von der Paris-Erklärung gefordert, sei vielerorts wenig zu spüren. Ebenso wenig von der Bereitschaft der Geber, Risiken einzugehen und gemeinsam mit ihren Partnern Verantwortung für ein mögliches Scheitern innovativer Ansätze zu übernehmen. Den Regierungen der Entwicklungsländer raten die Gutachter, nicht auf die Geber zu warten, sondern das Heft selbst in die Hand zu nehmen und auf Reformen zu drängen. Das setzt natürlich voraus, dass sie selbst ein Interesse an einer wirksameren Hilfe haben, was häufig leider nicht der Fall ist. Damit sich keiner aus der Verantwortung stiehlt oder Geber und Empfänger sich gegenseitig gute Zeugnisse ausstellen, empfiehlt die Studie den Einsatz unabhängiger Gutachter. Sie sollen kontrollieren, inwieweit die Paris-Erklärung in der Praxis beachtet wird.  (ell)

gungsprobleme und ein Mangel an Vertrauen in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Auch sei es in manchen Fällen schwierig, die Eigentümer von Bankkonten ausfindig zu machen, weil es kein nationales Bankenregister gibt.

Kevin M. Stephenson u.a. Barriers to Asset Recovery Weltbank, UNODC Juni 2011, 196 Seiten, www1.worldbank.org/publicsector/star_site/

Entwicklungsländer verlieren laut Schätzungen jedes Jahr zwischen 20 und 40 Milliarden USDollar durch Korruption und veruntreute Staatsgelder. Im Gegenzug sind in den vergangenen 15 Jahren lediglich fünf Milliarden US-Dollar solcher Gelder rückerstattet worden. Die Weltbank und das UN-Büro zur Bekämpfung von Drogenhandel und Kriminalität (UNODC) analysieren in einem gemeinsamen Bericht die Ursachen für diese Kluft und vor allem, was dagegen getan werden sollte. Die Autoren identifizieren zahlreiche Barrieren, die der Rückgabe von Geld im Weg stehen, das korrupte Machthaber oder Beamte beiseite geschafft haben. In vielen Ländern fehle eine klare politische Strategie im Umgang mit veruntreuten Mitteln, der juristische Prozess sei kompliziert und verzögere sich häufig. Erschwerend hinzu kämen strikte Bankgeheimnisse und andere juristische Hindernisse, Verständi-

Die Experten von Weltbank und UNODC empfehlen unter anderem Reformen bei der Gesetzgebung in den Zielländern, um das Einfrieren und Konfiszieren veruntreuter Gelder zu erleichtern. Darüber hinaus sollten bestehende Maßnahmen gegen Geldwäsche effektiver eingesetzt werden, um Korruption möglichst von vorneherein zu verhindern. Sie appellieren an Finanzinstitutionen, im Umgang mit „politisch exponierten Personen“ besonders vorsichtig zu sein. Mit ihrem Bericht wollen die Autoren die Missstände bei der Rückgabe gestohlener Gelder beseitigen helfen und richten sich dabei vornehmlich an politische Entscheidungsträger. Die Zivilgesellschaft ihrerseits könne aus der Studie eine Checkliste ableiten, anhand derer sie die Fortschritte bei der Beseitigung von Hindernissen im Umgang mit der Rückerstattung gestohlenen Staatsvermögens überprüfen kann. Besonders zuversichtlich klingen die Autoren allerdings nicht, wenn sie darauf hinweisen, dass bei der Rückgabe gestohlenen Staatsvermögens eine intensive internationale Zusammenarbeit gefragt ist. Dies mache es noch schwieriger, die nötige Kraft zu mobilisieren, die Hindernisse zu beseitigen.  (gka)

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Berlin

Enttäuschender Rekordhaushalt Das Entwicklungsministerium erhält 2012 nur wenig mehr Geld Als dritten Rekordhaushalt unter Minister Niebel feiert das Entwicklungsministerium den Etatentwurf für 2012. Doch der Zuwachs ist eher kläglich. Das erklärte Ziel, die staatlichen Entwicklungsleistungen bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen, rückt in immer weitere Ferne. Entwicklungspolitiker im Parlament und Hilfsorganisationen sind enttäuscht. Um exakt 113,8 Millionen Euro auf dann 6,33 Milliarden Euro soll der Etat des Entwicklungsministeriums (BMZ) im kommenden Jahr steigen – vorausgesetzt, das Parlament stimmt im Herbst dem Regierungsentwurf aus dem Bundesfinanzministerium zu. „Ein tolles Ergebnis“, findet man im BMZ. Tatsächlich mussten manche anderen Ressorts angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes Federn lassen oder sich mit geringeren Zuwächsen als das BMZ (plus 1,8 Prozent) bescheiden. Das Bundesfinanzministerium rech­net gar vor: Würden die in anderen Ressorts erbrachten Entwicklungsleistungen einbezogen, ergebe sich ein Zuwachs von 750 Millionen Euro. Doch auch im Haus von Finanzminister Wolfgang Schäuble bestreitet man nicht: 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2015 sind auf diese Weise nicht zu erreichen. Bei 0,38 Prozent lag die so genannte ODA-Quote Deutschlands laut Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im vergangenen Jahr. Die erforderliche Verdoppelung der Quote sei „mit allgemeinen Haushaltsmitteln“ nicht zu erreichen, so die obersten Kassenwarte. Das könne nur gelingen, wenn künftig neue Finanzierungsinstrumente einen „wesentlichen Beitrag“ leisteten – etwa Erlöse aus dem Handel

Entwicklungsminister Dirk Niebel muss ab 2013 mit weniger Geld auskommen. Tim Brakemeier/Picture Alliance/DpA

0,7-Ziel nicht abzulassen. Nötig wäre demnach ein jährlicher Zuwachs um mindestens 1,2 Milliarden Euro. Entsprechend groß sei jetzt die Enttäuschung, erklärte Thilo Hoppe von den Grünen, der den Aufruf initiiert hat. Minister Niebel hat sich der Initiative bislang nicht angeschlossen.

mit CO2-Zertifikaten. Besonders stark wirkt sich die neue gesetzliche Schuldenbremse aus: Von 2016 an muss die Neuverschuldung zügig auf Null heruntergefahren werden. In der mittelfristigen Finanzplanung sind die Folgen für den BMZ-Etat deutlich sichtbar. Von 2013 an schrumpfen die zur Verfügung stehenden Mittel jedes Jahr um zweistellige Prozentwerte. Auch der Klima-Sonderfonds kann diese Lücke nicht schließen: Er wird auch von der inländischen Energiepolitik angezapft, um einen Teil der Kosten

des deutschen Atomausstieges zu finanzieren.

Im Parlament grummelt es derweil gewaltig Während sich Entwicklungsminister Dirk Niebel dessen ungeachtet zufrieden zeigt, grummelt es im Parlament. Weit mehr als die Hälfte der Abgeordneten, darunter Dutzende Mitglieder der Regierungsfraktionen, haben den in diesem Frühjahr von Entwicklungspolitikern aller Fraktionen gemeinsam auf den Weg gebrachten Aufruf unterschrieben, vom

„Wer Steuern senken will, kann auch seine entwicklungspolitischen Versprechen halten“, finden derweil die Hilfsorganisationen Welthungerhilfe und terre des hommes. Der Dachverband Venro spricht von politischer „Mutlosigkeit“. Die Lobbyorganisation ONE hofft auf Nachbesserung des Haushalts im weiteren parlamentarischen Verfahren. Doch das ist eine vage Hoffnung: Die rund 70 Parlamentarier der Regierungsfraktionen, die den Aufruf für das 0,7-Prozent-Ziel unterzeichnet haben, haben zur Bedingung ihrer Unterschrift gemacht, dass es nicht zur Abstimmung über die Initiative kommt. Johannes Schradi / Roland Bunzenthal

Gesundheitsfonds in der Warteschleife Minister Niebel gibt nur 100 Millionen Euro für dieses Jahr frei Erst wurden die Hilfsgelder geblockt, dann teilweise gewährt. Ob das Entwicklungsministerium (BMZ) den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) künftig noch fördern wird, hält Minister Niebel offen. Für 2012 sind bislang keine Mittel vorgesehen. Quasi über Nacht hatte Entwicklungsminister Dirk Niebel Ende

Januar sämtliche Zahlungen an den bei der Weltbank angesiedelten Globalen Gesundheitsfonds gestoppt. Der Grund: Korruptionsvorwürfe waren laut geworden (siehe welt-sichten 3/2011, S.51). Sie betrafen zwar nur einige wenige Länder. Aber das genügte dem Minister, den ganzen, weltweit hoch angesehenen Hilfstopf unter Generalverdacht zu stellen. Bis zu einer gründlichen Prüfung

sollte der Fonds auf weitere deutsche Zahlungen verzichten – fest zugesagt waren jährlich 200 Millionen Euro bis 2013. Nun liegt ein Zwischenbericht der unabhängigen Prüfkommission vor, die Niebel gefordert hatte, verfasst auch mit deutscher Beteiligung. Sein Ergebnis fällt so aus, dass sich der Minister Anfang Juli immerhin bereit fand,

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die Hälfte der für 2011 vorgesehenen Mittel, 100 Millionen Euro, freizugeben. Allerdings unter besonderen Bedingungen: Das Geld dürfe nur in Länder fließen, in denen der GFATM in erster Linie international tätige Organisationen beauftragt wie etwa das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) – oder noch besser die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), deren Hauptauftraggeber das BMZ ist. Letzteres käme einer bilateralen Vergabe von Fördermitteln gleich. Die bevorzugt Niebel ohnehin vor jeder Art

multilateraler Töpfe; schon vor den Korruptionsvorwürfen war er dem Globalen Fonds nicht gewogen.

Niebel will dem Fonds kein Geld mehr geben, vermutet die SPD Erst wenn der Abschlussbericht der Prüfer vorliege, werde über die Freigabe der restlichen 100 Millionen Euro für 2011 und der Mittel für das kommende Jahr entschieden, erklärt Niebel. Das soll Mitte September sein. Allerdings sind im BMZ-Haushaltsentwurf für 2012 gar keine Gelder mehr für den Fonds eingestellt. Es

finde sich – ärgert sich die SPDBundestagabgeordnete Karin Roth – lediglich ein Vermerk in den „Allgemeinen Erläuterungen“, dass die Mittel freigegeben werden könnten, wenn sich die Korruptionsvorwürfe als nicht stichhaltig erweisen. Sie müssten dann aus einem anderen Etatposten übertragen werden. Wäre Minister Niebel an einer Vergabe wirklich interessiert, sagt Roth, hätte er das Geld – und sei es unter Vorbehalt – genauso gut gleich in den Etat einstellen können. Derweil fordert das Aktionsbündnis gegen Aids nicht nur eine ver-

bindliche Zusage, sondern eine „deutliche Ausweitung“ der deutschen Beiträge.

schäfts, also mit anderen Auftraggebern als der Bundesregierung, inklusive der privaten Wirtschaft.

berlin – Kurz notiert

Auf jeden Fall müssten die Abgeordneten des Bundestages die „falsche Planung des Regierungsentwurfs korrigieren“. Sollten die 200 Millionen Euro im kommenden Jahr nicht ausgezahlt werden, fehlten dem Fonds die Mittel zur Rettung von 43.000 Menschenleben, hatte der Vorsitzende des Unterausschusses Gesundheit in Entwicklungsländern, Uwe Kekeritz (Grüne), schon im Frühjahr vorgerechnet. Johannes Schradi

Hochfliegende Pläne Die GIZ will ihr Geschäft stärker internationalisieren Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist gerade ein halbes Jahr alt und formuliert hochfliegende Ziele: Vorstandssprecher Eisenblätter strebt die Position des „Weltmarktführers“ bei der Entwicklungszusammenarbeit an. Doch zunächst müssen die Unternehmenskulturen der drei Vorgängerorganisationen zusammengeführt werden. Die aus den drei staatlichen Entwicklungsorganisationen Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), Inwent und Deutscher Entwicklungsdienst (DED) hervorgegangene GIZ sei schon heute „mehr als nur eine Zusammenlegung“, betonte Bernd Eisenblätter bei der Jahrespressekonferenz Anfang Juli. Kerngeschäft bleibe die internationale technische Zusammenarbeit und die Bildungsarbeit. Doch solle ein „erweitertes Mandat“ künftig für mehr Kooperationen mit der Wirtschaft sowie mit Industrie- und Schwellenländern sorgen, sagte Eisenblätter, der schon der größten der Vorläuferorganisationen, der GTZ, vorstand. Wieweit diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Noch hat man in der GIZ alle Hände voll damit zu tun, die

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unterschiedlichen Unternehmenskulturen der drei Vorgängerorganisationen zusammenzuführen. „Es rumpelt hier und da“, räumt Eisenblätter ein. Dabei geht es keineswegs nur um die Angleichung unterschiedlicher Tarifsysteme. Be­sonders ehemalige DEDler, die sich vor allem als Entwicklungshelfer sähen, fürchteten, am Ende nur noch Teil einer gut geölten und auf Effizienz getrimmten Durchführungsmaschinerie zu sein, sagt ein Insider. Ein „gemeinsames Unternehmensleitbild“ müsse noch erarbeitet werden, heißt es denn auch in einem internen GIZ-Papier.

Ein Personalbbau droht laut dem GIZ-Vorstand nicht „Synergieeffekte“ der Fusion, die sich besonders das Entwicklungsministerium erhofft, seien bereits zu spüren, betont Eisenblätter. Die Abstimmungsprozesse seien „schlanker“ geworden, intern und mit dem BMZ. Ein Personalabbau drohe nicht – vorausgesetzt, das Geschäftsergebnis lässt sich durch eine stärkere Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Schwellenländern sowie erweiterte Bildungsangebote steigern. Eisenblätter verspricht sich ein Plus von 230 Millionen Euro bis 2014. Zu erzielen wäre es vor allem über die Ausweitung des Drittge-

Dass damit die höhere politische Steuerungsfähigkeit leiden könnte, die sich das BMZ gegenüber der GIZ dringend wünscht, befürchtet Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz nicht: Auch Drittgeschäfte müssten schließlich mit dem BMZ abgestimmt werden. „Der Schwanz wedelt mit dem Hund“, hieß es bislang zum Verhältnis zwischen dem Ministerium und der früheren GTZ. Das soll nun endgültig vorbei sein. In der Absicht, Wirtschaft und Entwicklung stärker zu verzahnen, demonstrieren BMZ- und GIZFührung große Einigkeit. Der Gesamtumsatz der drei GIZVorgängerorganisationen betrug im vergangenen Jahr 1,85 Milliarden Euro. Hauptauftraggeber war mit knapp 1,3 Milliarden Euro (68 Prozent) das BMZ, etwa zehn Prozent steuerten andere Bundesministerien bei, rund 15 Prozent machten Geschäfte mit anderen Regierungen, internationalen Organisationen und der Privatwirtschaft aus. Der Rest sind Kofinanzierungen anderer Geber an laufenden GIZ-Projekten.   Johannes Schradi

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat ihre Leitsätze für multinationale Unternehmen erweitert. Im Vergleich zur vorhergehenden Fassung aus dem Jahr 2000 werden insbesondere dem Schutz der Menschenrechte und der unternehmerischen Sorgfaltspflicht in der gesamten Lieferkette mehr Gewicht beigemessen. Von einer verantwortungsvollen Unternehmensführung wird zudem gefordert, Arbeit angemessen zu entlohnen, Klima und Ressourcen zu schonen und Korruption zu bekämpfen. Die Leitlinien wurden von Regierungen sowie Vertretern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam überarbeitet. Sie zu befolgen bleibt allerdings freiwillig. Cornelia Heydenreich von OECD-Watch forderte denn auch Sanktionen, wenn sich Unternehmen nicht an die Leitlinien halten, etwa den Ausschluss von staatlichen Exportbürgschaften oder öffentlichen Aufträgen. Christoph Hahn vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vermisst eine Verpflichtung der Unternehmen auf „Existenz sichernde Löhne“ auch in den Entwicklungsländern. Joachim Steffens, im Bundeswirtschaftsministeri-

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um unter anderem für die Außenwirtschaftsförderung zuständig, riet, die Leitsätze in ihrer aktualisierten Form erst einmal zum allgemeinen Richtmaß in den multi-

nationalen Unternehmen zu machen. Dazu erstelle das Ministerium derzeit ein Handbuch. Im Wirtschaftsministerium ist die deutsche Nationale Kontaktstelle

eingerichtet, bei der Verstöße gegen die Leitsätze gemeldet werden können – eine Tatsache, die etwa von OECD-Watch angesichts möglicher Interessenskonflikte kriti-

siert wird. Neben den OECD-Mitgliedern haben Ägypten, Argentinien, Brasilien, Lettland, Litauen, Marokko, Rumänien und Peru die Leitsätze unterzeichnet. (di)

Brüssel

Mehr Geld für die Außenpolitik Pläne für den EU-Haushalt und die Entwicklungspolitik der nächsten sieben Jahre Ende Juni hat die EU-Kommission den Haushaltsplan der Europäischen Union für die Jahre 2014 bis 2020 vorgelegt. Die Mittel für Außenpolitik sollen zwar deutlich steigen, doch die Entwicklungszusammenarbeit bekommt davon nur wenig. Die europäische Landwirtschaft wird gefördert wie eh und je. Weil die Agrarhilfen aber unter anderen Bedingungen vergeben werden, dürfte es Entwicklungsländern und Hilfsorganisationen zunehmend schwer fallen, sie politisch anzugreifen. Bislang gibt es nur einen ersten Entwurf für die Ausrichtung der Entwicklungspolitik nach 2013, doch der kann sich bis zur Vorlage im Herbst noch deutlich ändern. Danach sollen die Demokratisierung, die Parlamente und die Zivilgesellschaft in den Partnerländern stärker gefördert sowie in laufenden Programmen und Projekten mehr Druck in Richtung „guter Regierungsführung“ gemacht werden. Die Brüsseler Entwicklungshilfe soll zudem auf die ärmeren Entwicklungsländer fokussiert, die Mittel für Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder Südafrika hingegen sollten kritisch überdacht werden. Dies käme zwar den Auffassungen einiger EU-Länder wie Schweden und Großbritannien entgegen. Doch Leidtragende dieser Ausrichtung könnten die Armen in jenen Ländern sein, die zwar wirtschaftlich wachsen, in denen aber zugleich die wirtschaftliche Ungleichheit größer wird. Darauf haben Entwick-

lungsorganisationen bereits im Frühjahr hingewiesen, nachdem die EU-Kommission ihr entwicklungspolitisches „Grünbuch“ zur Vorbereitung der zukünftigen EU-Strategie vorgelegt hatte. Der Entwurf nennt noch keine Zahlen zur Höhe der EU-Entwicklungshilfe ab 2013. Hinweise dazu enthält aber der Vorschlag zur mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020, den die Kommission Ende Juni vorgelegt hat. Der sieht zwar vor, die Ausgaben für „auswärtiges Handeln“ von 56 Milliarden Euro im laufenden Finanzplan (2007 bis 2013) um ein Viertel auf 70 Milliarden Euro anzuheben. Aber der Löwenanteil davon entfällt auf die „Nachbarschaftspolitik“ in Südosteuropa und rund ums Mittelmeer.

Mehr Geld für Südosteuropa und die Mittelmeerländer Auch die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitk“ der Europäischen Union erhält 27 Prozent mehr. Die Förderung von Demokratie und Menschenrechten in Drittländern wird zwar ebenfalls um ein Viertel gesteigert, allerdings auf einem viel niedrigeren Niveau, das gerade mal bei der Hälfte der Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung liegt. Der Dachverband der europäischen Entwicklungsorganisationen CONCORD freute sich denn auch etwas vorschnell über die Zunahme des Budgets für Außenpolitik, denn die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (Development Cooperation Instrument, DCI) steigen über die Gesamtlaufzeit von sieben Jahren

bis 2020 nur um bescheidene 15 Prozent. Im besten Fall reicht das für den Inflationsausgleich.

lich die gleiche Sockelfinanzierung wie früher durch die direkten Agrarpreisgarantien der EU.

Indes soll der Europäische Entwicklungsfonds (EEF) für die Zusammenarbeit mit den mit der EU assoziierten Ländern in Afrika, der Karibik und der PazifikRegion (AKP) laut dem Finanzplan der Kommission um die Hälfte von 20 Milliarden Euro auf 30 Milliarden aufgestockt werden. Das ist erstaunlich, weil in den Hauptstädten bisher nichts davon zu hören war, für den EEF, der nicht Teil des EU-Haushalts ist, mehr Geld bereitzustellen.

Die laufende Reform der EU-Agrarpolitik treibt diesen Wandel voran; nach 2013 sollen ExportpreisGarantien ganz verschwinden. Das EU-Parlament und die meisten EU-Regierungen unterstützen das – ebenso wie den bleibend hohen Anteil der Agrarpolitik im Rahmenhaushalt bis 2020. Gestritten wird allenfalls über das Tempo, in dem „historische Unterschiede“ abgebaut werden sollen – beispielsweise, dass Großgrundbesitzer wie das britische Könighaus pro Hektar wesentlich höhere EUBeihilfen erhalten als polnische oder slowenische Kleinbauern.

Mit nur knapp 7 Prozent ist das Budget für Außenpolitik weiterhin nur ein kleiner Posten im EUHaushalt – zumal im Vergleich zu den Ausgaben für die Agrarpolitik, die im Plan 2014 bis 2020 nur um knapp 2 Prozent sinken sollen und dann immer noch einen Anteil von knapp 38 Prozent haben. Direkte Exportsubventionen für einzelne Agrarprodukte hat Brüssel in den vergangenen Jahren –im Einklang mit Vorgaben der Welthandelsorganisation – systematisch abgebaut, so dass manche Anklagen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Entwicklungsländern nunmehr ins Leere laufen. Die EUAgrarhilfen wurden auf Direktzahlungen je nach Größe der landwirtschaftlichen Betriebe (der erste Pfeiler der EU-Agrarpolitik) sowie auf Belohnungen für Umwelterhaltung und die Entwicklung des ländlichen Raums (der zweite Pfeiler) umgeschichtet. In der Summe ergibt das frei-

Die EU-Agrarpolitik anzugreifen, wird schwieriger Entwicklungsländer – und entwicklungspolitische Organisationen – befinden sich damit in der unbequemen Lage, dass die EUAgrarproduktion (und damit indirekt auch die Lebensmittelindustrie) von Brüssel weiterhin gepäppelt und mit Wettbewerbsvorteilen ausgestattet wird, dies aber politisch und wirtschaftlich viel schwieriger anzugreifen ist als die so offensichtlich unsinnigen EUSubventionen für Weinseen und Butterberge vergangener Zeiten. Immerhin einen Lichtblick bietet der EU-Haushaltsplan: Die Kommission hat sich trotz intensivster Lobbyarbeit der Finanzbanker da­ zu durchgerungen, die leichte Zunahme des Haushalts um 5 Prozent vor allem aus den Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer zu finanzieren. Heimo Claasen

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brüssel – Kurz notiert

Die EU-Kommission hat eine Strategie für den Übergang zu einer „umweltverträglichen Wirtschaft in Verbindung mit nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung“ vorgelegt. Das Ende Juni veröffentlichte Papier soll in Vorbereitung der Konferenz „Rio plus 20“ im kommenden Jahr die Leitlinie für eine gemeinsame Position der

27 Mitgliedsstaaten bilden. Angestrebt wird eine „grüne Wirtschaft“ mit Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen bezeichneten die Vorlage als „schwammig und wenig konkret“. Die vor allem auf eine „grüne Wirtschaft“ gerichteten Ziele ließen soziale Gesichtspunk-

te außer Acht, ebenso wie Grundfragen des Zugangs zu Wasser, zu Land- und Forstnutzung. Die Kommission betone zwar den Stellenwert „grüner Technologien“, sage aber nichts dazu, wie dies mit der von Brüssel etwa in bilateralen Handelsverträgen forcierten Verschärfung von Patentund Lizenzrechten zu vereinba-

ren sei, die die Anwendung solcher Technologien verteuern und den Technologietransfer behindern. Zuvor war die Kommission bereits mit ihrer „Strategie 2020“ zum Erhalt der Artenvielfalt in der EU im Parlament und im Ministerrat durchgefallen, vor allem wegen der zu vagen Angaben zu den Folgekosten. (hc)

Schweiz

Lehrer und Ingenieure dringend gesucht Der internationalen Zusammenarbeit in der Schweiz fehlen Fachleute Cinfo, das Schweizer Zentrum für Berufe in der internationalen Zusammenarbeit, hat erstmals einen Arbeitsmarktbericht für diesen Bereich vorgelegt. Die Befragung von 91 Organisationen dient der Stellensuche sowie der Personalplanung und will die Arbeitsvermittlung und Weiterbildung verbessern. Der internationalen Zusammenarbeit (IZA) in der Schweiz fehlen Ingenieure, Lehrpersonen und vor allem medizinische Fachkräfte. Zwar steht vergleichsweise vielen Stellensuchenden ein geringes Arbeitgeberangebot gegenüber, die Vermittlung erreicht jedoch die Bedürfnisse beider sehr gut. Zu diesen Ergebnissen kommt der erste „Bericht zum Schweizer Arbeitsmarkt der IZA 2010“, den das Zentrum für Information, Beratung und Bildung für Berufe in der internationalen Zusammenarbeit (cinfo) im Juni vorgelegt hat. Sie sollen Interessierten und Beschäftigten sowie den Hilfsorganisationen eine bessere Weiterbildung und Personalplanung ermöglichen. Ingesamt waren auf dem Schweizer IZA-Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr rund 4300 Frauen und Männer in 3681 Vollzeitstellen beschäftigt, 62 Prozent davon in der humanitären Hilfe. Ein Grund dafür ist das Erdbeben in Haiti,

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Haiti zählt bei Schweizer Helfern nicht zu den begehrten Einsatzorten. Ramon Espinosa/AP

rund 35 Prozent der Stellen-Ausschreibungen betrafen den Karibikstaat. Allerdings suchen nur zwei Prozent der Bewerber ausschließlich Stellen in der humanitären Hilfe. Die meisten sind an längerfristigen Einsätzen der Entwicklungszusammenarbeit interessiert (57 Prozent) oder an beiden Bereichen (41 Prozent).

Nach Pakistan, Sudan oder Haiti wollen nur wenige Dem Bericht zufolge ist es nicht leicht, Personal für schwierige Einsatzorte zu finden, die als familienuntauglich und oft gefährlich gelten. Neben Haiti und dem Sudan zählen dazu etwa Pakistan und Afghanistan. Weil das Angebot an Stellen in den „schwierigen Ländern“ größer ist als das Ange-

bot an geeignetem Personal, rekrutiert etwa das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) auch im Ausland. Das SRK ist eine der befragten 91 IZA-Organisationen, die ihren Hauptsitz oder eine Niederlassung in der Schweiz haben.

Der größte Teil der Arbeitgeber (88 Prozent) sind Non-Profit-Organisationen wie die Stiftung Terre des Hommes oder Ärzte ohne Grenzen. Nur fünf Prozent sind Organisationen, die zu mehr als 80 Prozent staatlich finanziert sind, etwa das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) oder die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Sieben Prozent der IZA-Arbeitgeber sind privatwirtschaftliche Unternehmen. Die Umfragen sollen künftig alle zwei Jahre stattfinden. Die Ergebnisse fließen in die Beratungen der Stellensuchenden ein sowie in die Planung von Weiterbildungsangeboten.  Viera Malach, InfoSüd www.cinfo.ch

Schweiz – Kurz notiert

Schweizer Medien vernachlässigen Berichte über den globalen Süden. Darauf hat der Zürcher Mediensoziologe Kurt Imhof bei der Jubiläumsveranstaltung zu 40 Jahren Alliance Sud Ende Juni hingewiesen. Während sich zwischen 1960 und 1990 fast die Hälfte der außenpolitischen Berichterstattung mit Afrika, Asien und Lateiname-

rika befasste, waren es in den vergangenen 20 Jahren nur noch 15 Prozent. Imhofs Fazit: „Der globale Süden schrumpft im schweizerischen Erfahrungshorizont.“ Seinen Befund stützt er auf die Auswertung von Artikeln der „Neuen Zürcher Zeitung“ sowie von „Tages-Anzeiger“ und „Blick“. Mehr als die Hälfte der Berichte aus

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journal schweiz

dem Ausland handelte von Kriegen, Terrorismus und Konflikten. Diplomatie, Zivilgesellschaft und die Debatte über Armut verschwänden immer mehr aus dem Blickfeld, erklärte Imhof. Als Gründe hierfür nannte der Wissenschaftler den Abbau von Stellen und damit den Verlust von Spezialwissen. Alliance Sud, die entwicklungspolitische Lobbyorganisation der sechs großen Schweizer Hilfswerke, wurde 1971 mit dem Ziel gegründet, die Bevölkerung über die Länder des Südens zu informieren. Sie rief den „Informationsdienst Dritte Welt i3w“ ins Leben und betreibt

noch heute zwei öffentliche Dokumentationsstellen in Bern und Lausanne.  (IS)

Der Klimafonds von Brot für alle und Fastenopfer fördert mehr Projekte. In diesem Jahr würden elf Vorhaben zur Anpassung an den Klimawandel und zur Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft unterstützt, teilte Evelyn Kamber von Brot für alle Mitte Juni mit. Die vier Projekte aus dem Anfangsjahr 2009 seien inzwischen abgeschlossen. Dazu zählten etwa der Bau von energieeffizienten Verbrennungsöfen in Kamerun,

Mangrovenpflanzungen in Bangladesch und Klimaworkshops in Burkina Faso. Im vergangenen Jahr sind laut Jahresbericht für den Klimafonds rund 93.400 Franken (rund 80.000 Euro) Spenden von Kirchengemeinden und Privatpersonen eingegangen, knapp 30.000 Franken (knapp 26.000 Euro) mehr als 2009. Kirchengemeinden beteiligten sich bislang jedoch nur zögerlich, so Kamber. Hier müsse noch mehr für den Fonds geworben werden. Im Laufe dieses Jahres solle zudem geklärt werden, ob es möglich ist, das durch die Projekte eingesparte Kohlendioxid zu berech-

nen und als Kompensation für den CO2-Ausstoß anzubieten. Erste Ergebnisse würden Ende des Jahres erwartet. (gka) www.brotfueralle.ch/klimafonds

Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore steigt in die Ölförderung in Südsudan ein. Wenige Tage nach der Unabhängigkeit des neuen Staates unterzeichneten die südsudanesische Ölgesellschaft Nilepet und Glencore ein Abkommen in Südsudans Hauptstadt Juba. Glencore soll sich vor allem um die internationale Vermarktung des Öls kümmern. (ell)

Kein Kuschelkurs mit den Multis Alliance Sud erkennt aber Veränderungsbereitschaft bei Nestlé in Kolumbien Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé steht bei Organisationen der Zivilgesellschaft immer wieder am Pranger. Überraschend positiv fällt die Bilanz von Alliance Sud zu einem Dialog mit dem Unternehmen über seine Produktion in Kolumbien aus. Ein Gewerkschaftskonflikt bleibt allerdings ungelöst. „Es ist das erste Mal, dass Nestlé einen so tiefgreifenden Dialog mit einer NGO führt. Er hat in Kolumbien zu Verbesserungen geführt und Nestlés Verhalten verändert“, bilanziert Michel Egger, Autor des Berichts „Der Fall Kolumbien“ und Regionalleiter von Alliance Sud in der Westschweiz, wo Nestlé ihren Hauptsitz hat. In seiner Stellungnahme wertet der Konzern den Dialog mit Alliance Sud ebenfalls als „einmalig“. Erstmals habe ein mehrjähriger „Vertrauensdialog“ mit einem Bericht seinen Abschluss gefunden. Nestlé erklärte sich mit der Veröffentlichung einverstanden und hat laut Egger gut die Hälfte von 40 Empfehlungen angenommen. So erleichterte Nestlé Gewerkschaften den Zugang zu den Betrieben, führte Schulungen zu Menschenund Arbeitsrechten durch und erklärte die Sicherheit der Beschäf-

tigten zur Chefsache. Allerdings bleibt der Grundkonflikt zwischen Sinaltrainal, der wichtigsten Gewerkschaft bei Nestlé Kolumbien, und der Firmenleitung ungelöst. „Beide lehnten die vorgeschlagene Mediation zu politischen Themen ab, die nicht direkt Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte betrafen“, erklärt Beat Dietschy, Zentralsekretär von Brot für alle und Mitglied der Delegation, die die Aktivitäten von Nestlé in Kolumbien erstmals untersucht hat. Der Konflikt mit Sinaltrainal wurzele vor allem in der von politischer Gewalt geprägten Geschichte des südamerikanischen Landes. Viele Gewerkschafter, auch aus dem Umfeld von Nestlé, waren im Lauf des langjährigen Bürgerkrieges ermordet worden. Nestlé hatte dazu lange geschwiegen. Infolge des Dialogs hat sich der Konzern jedoch öffentlich geäußert und Drohungen verurteilt, wie Dietschy betont. Ausgangspunkt für den Dialog war ein „Nestlé-Tribunal“ Ende 2005 in Bern, organisiert von der Plattform Multiwatch, der unter anderem Alliance Sud und einige ihrer Trägerorganisationen angehörten. Dabei wurden Verstöße

des Konzerns gegen Menschenund Arbeitsrechte öffentlich gemacht. Nestlé versuchte die Veranstaltung zu behindern, doch ausgerechnet ihre Interventionen bei Caritas und Fastenopfer führten dann zu den vertraulichen Gesprächen.

Mit vielen Konzernen kommt kein Dialog in Gang „Beim Weltkonzern Nestlé lässt sich Misstrauen in einen offenen und kritisch geführten Dialog verwandeln. Das ist für uns ein beachtliches und ermutigendes Ergebnis“, kommentiert Dietschy. Brot für alle, Caritas, Fastenopfer, Helvetas, Heks und Swissaid wollen unter dem Dach von Alliance Sud die Entwicklung in Kolumbien im Auge behalten und mit Blick auf andere Prozesse auswerten. „Der Fall Kolumbien“ gilt jedoch als abgeschlossen. Laut Dietschy lässt sich der Vertrauensdialog mit Nestlé nicht eins zu eins auf andere Weltkonzerne übertragen. Mit verschiedenen Unternehmen gebe es unterschiedliche Gesprächsansätze. In einigen Fällen sei auch kein Dialog in Gang gekommen. Oft verhärteten sich große Firmen in „Bunker-Haltung“ gegen die Kri-

tik von sozialen Bewegungen. Doch auch NGO riskieren – bei zu großer Dialogbereitschaft – an Glaubwürdigkeit einzubüßen. „Wir waren nie auf Kuschelkurs“, sagt Dietschy, „NGO sind selbstständige Diskussionspartner und kein Frühwarnsystem, das Firmen nützt“. Die Kritik an multinationalen Firmen geht für die Schweizer Entwicklungsorganisationen weit über den Nahrungsmittelkonzern Nestlé hinaus. Mit ihrer jüngsten Petition an Parlament und Regierung fordern Brot für alle und Fastenopfer, dass Schweizer Multis gesetzlich verpflichtet werden sollen, ihre Sorgfaltspflicht und Verantwortung auch gegenüber Tochterfirmen in Staaten mit schwacher Gesetzgebung walten zu lassen. Das gelte insbesondere, wenn das Recht auf Nahrung durch Bergbau und „Land Grabbing“ buchstäblich untergraben werde. Für Dietschy steht fest: „Die menschenrechtlichen Verpflichtungen entlang der gesamten Lieferkette gehören auf den Prüfstand, wenn eine Firma mit fair und nachhaltig produzierten Produkten oder Dienstleitungen überzeugen will.“  Viera Malach, InfoSüd

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österreich | kirche und ökumene journal

Österreich

Auf dem Abstellgleis Das Studium Internationale Entwicklung in Wien ist Opfer von Kürzungen Die Universität Wien hat ihre Pläne für einen Master-Studiengang der Internationalen Entwicklung aufgrund von knappen Finanzen gekippt. Als Folge steht zu befürchten, dass die Forschung im deutschsprachigen Raum in diesem Bereich Schaden nimmt. Für das Studium der Internationalen Entwicklung (IE) an der Universität Wien soll entgegen einer Zusage des Rektorates kein Master-Studiengang angeboten werden. Stattdessen wurde Ende Juni ein Bachelor-Studiengang genehmigt, der nach der neuen Studienordnung das bisherige Diplomstudium ersetzen soll. Den Bachelor können Studierende nach sechs Semestern erwerben. Aller-

dings wird er von vielen Unternehmen und staatlichen Stellen nicht als akademischer Grad anerkannt und somit schlechter bezahlt. Elke Christiansen, Mitarbeiterin der IE-Studienservicestelle, bedauert diesen Rückschlag. Damit werde zugleich die Forschung ausgetrocknet, die nur im Rahmen eines Master-Studiums stattfinden könne. Das Diplomstudium in seiner ursprünglichen Form hatte eine Reihe interessanter Forschungsarbeiten hervorgebracht. Der Universitätssenat hatte den Master-Studiengang im vergangenen Januar genehmigt. Dann beschloss die österreichische Regierung ein Sparpaket, das auch

Kürzungen im Wissenschaftsbudget vorsieht, die sich auf die Universitäten auswirken. Anfangs habe Rektor Georg Winckler versucht, inhaltlich zu argumentieren und Verbesserungen im Entwurf des Studienplans angemahnt, so Christiansen. Auf Nachfrage seien diese Vorwürfe aber nie konkretisiert worden. Zuletzt sei die Entscheidung allein mit dem Sparzwang begründet worden. Die Studierenden hatten zuvor vergeblich gegen den Beschluss der Universitätsleitung protestiert. Die Internationale Entwicklung hat an der Universität Wien derzeit den Status einer Forschungs-

plattform, die bis 2013 befristet eingerichtet und fünf verschiedenen Fakultäten zugeordnet ist. Der große Zulauf, den die neue Studienrichtung in den ersten acht Jahren ihres Bestehens verzeichnete, gab Hoffnung, dass daraus ein dauerhaft verankertes Regelstudium würde. Derzeit sind noch 1100 Studierende eingeschrieben, die ihr Diplomstudium nach der alten Studienordnung bis 2014 beenden dürfen. Weitere 1400 streben den Bachelor nach der neuen Regelung an. 19 Prozent der Studierenden kommen aus Deutschland. Der Anteil ist überdurchschnittlich hoch, da im deutschsprachigen Raum kein vergleichbares Studium angeboten wird.  Ralf Leonhard

Kirche und Ökumene

Zwischen Exodus und Bleiben Bischöfe im Irak wollen Perspektiven für Christen schaffen Die Situation der Christen im Irak bleibt schwierig. Junge Bischöfe versuchen jetzt mit Bildungsangeboten die Auswanderungswelle zu stoppen. Eine Delegation der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat sich kürzlich vor Ort ein Bild davon gemacht. Seit dem Einmarsch der alliierten Truppen im Irak 2003 ist die Zahl der Christen im Land auf weniger als die Hälfte gesunken, von 800.000 auf unter 400.000. Wer konnte, ist in ein westliches Land, nach Jordanien, Syrien oder in den Libanon geflohen. In Bagdad oder im Süden Iraks hingegen leben Christen weiter in Unsicherheit. Erst im Oktober 2010 wurden mehr als fünfzig bei einem Anschlag in Bagdad getötet. In den vergangenen Jahren sind deshalb 100.000 Christen in den Nor-

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Vor dem Gottesdienst in Bagdad müssen sich die Besucher durchsuchen lassen. Khalid Mohammed/AP

Aushängeschilder, mit denen die kurdische Regierung im Ausland gerne punktet. „Für die meisten christlichen Flüchtlinge ist der Nordirak aber keine dauerhafte Alternative“, sagt Harald Suermann, Leiter des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio, der mit der Delegation der Bischofskonferenz im Irak war. „Viele von ihnen sind auch nach mehreren Jahren im Exil arbeitslos.“ den des Landes geflohen, in die Autonome Republik Kurdistan. Dort haben bislang bereits die Hälfte der im Land verbliebenen Christen gelebt. Unter den Kurden

sind sie in Sicherheit. Das mag daran liegen, dass die kurdische Regierung seit vielen Jahren einen säkularen Kurs fährt. Toleranz und Minderheitenschutz sind

Die Flüchtlinge kehren immer wieder in den Süden zurück Der Nordirak ist agrarisch geprägt. Arbeitsplätze für die in der Regel gut ausgebildeten Christen gibt es

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journal kirche und ökumene

theoretisch in der Ölindustrie oder beim Staat. Doch in beiden Bereichen werden nur selten Stellen frei. „Viele Flüchtlinge warten auf den Moment, in dem die Sicherheitslage es zulässt, um wieder nach Bagdad oder in den Süden zurückzukehren“, sagt Suermann. Sie kehrten immer wieder in die unsicheren Heimatstädte zurück, um ihre Arbeit erneut aufzunehmen. „Sobald dort wieder ein Anschlag auf Christen verübt wird, gehen sie für einige Monate zurück in den Norden. Viele versuchen außerdem ein Visum für ein

westliches Land zu bekommen.“ Unterdessen bluten die irakischen Kirchen weiter aus.

werden. Zum anderen fällt es ihnen schwer, Perspektiven für die Verbleibenden zu schaffen.“

Entsprechend scharf kritisieren die irakischen Bischöfe die Länder, die immer noch irakische Flüchtlinge aufnehmen, darunter auch Deutschland. Doch überzeugende Argumente für einen Verbleib im Irak können sie den Mitgliedern ihrer Kirche nicht bieten. „Vor allem die alten Bischöfe sind mit der Situation überfordert“, sagt Suermann. „Zum einen erleben sie, wie ihre Kirchen immer leerer

Zu düster will Suermann das Bild aber nicht zeichnen. In einigen Diözesen, wie zum Beispiel in Erbil, Mossul oder Kirkuk gebe es hoffnungsvolle Signale. „Die jungen Bischöfe wollen etwas bewegen“, sagt Suermann. So werde beispielsweise in kirchliche Hochschulen investiert und die innerkirchliche Ausbildung von Laien zu Katecheten gestärkt. Auch sollen Berufsschulen aufgebaut wer-

den, in denen Fachkräfte für den Agrarsektor, den Tourismus, das Hotel- oder Bauwesen ausgebildet werden. „Das alles soll dazu führen, dass die Christen im Irak bleiben können“, sagt Suermann. Besonders erfreulich sei, dass sich die mit Rom unierten Kirchen (die chaldäische, die syrisch-katholische, die armenisch-katholische und die lateinische), die im Irak etwa 80 Prozent aller Christen repräsentieren, zusammengetan haben und ein gemeinsames Projektbüro schaffen wollen.  Katja Dorothea Buck

Wie weit Mission gehen darf Kirchliche Institutionen legen Verhaltenskodex vor Wie sollen sich Missionare in einem nicht-christlichen Kontext verhalten? Fünf Jahre lang haben der Ökumenische Rat der Kirchen, der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog und die Weltweite Evangelische Allianz eine Antwort auf diese Frage gesucht. Ende Juni haben sie in Genf einen gemeinsamen Verhaltenskodex vorgestellt. Mission kann zum Problem werden. Nicht nur bei Nicht-Christen stehen allzu offensive Missionare in der Kritik. Auch in den Kirchen wird seit langem diskutiert, wie weit Mission gehen darf. Ein von allen kirchlichen Strömungen akzeptierter Verhaltenskodex war deswegen überfällig. Mit „Das christliche Zeugnis in einer multi-

religiösen Welt“ rufen der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog (PRID) und die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) all diejenigen, die das Evangelium verkündigen, zu respektvollem Umgang mit Menschen anderer Glaubensrichtungen auf. Die drei Organisationen repräsentieren rund zwei Milliarden Orthodoxe, Katholiken, Anglikaner, Protestanten, Evangelikale, Pfingstler und Mitglieder unabhängiger Kirchen. Das sind etwa 90 Prozent aller Christen weltweit. In der Präambel des Papiers wird Mission als „zutiefst zum Wesen der Kirche“ gehörig definiert. Die Verkündigung des Evangeliums

müsse allerdings im Einklang mit den Prinzipien des Evangeliums und in uneingeschränktem Respekt vor allen Menschen geschehen, heißt es. Zwangsmittel und Täuschung seien keine Methoden, mit denen Mission geschehen dürfe. Christinnen und Christen sollten ihr Verhalten von Mitgefühl und Demut und nicht von Arroganz, Herablassung und Herabsetzung bestimmen lassen. „Die Ausnutzung von Armut und Not hat im christlichen Dienst keinen Platz“, heißt es in dem Papier. Menschen sollten nicht mittels materieller Anreize und Belohnungen gewonnen werden. Die Autoren empfehlen ausdrücklich den Aufbau von interreligiösen Beziehungen. Insgesamt ruft das Dokument alle Kirchen und Missionsgesellschaften dazu auf, ihr Verhalten im jeweiligen kulturellen Kontext zu überdenken. Kritiker bemängeln, der Verhaltenskodex enthalte nichts wirklich Neues zum Thema Mission. Man habe sich lediglich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Für die Ökumene an sich sei das Dokument aber „ein histo-

Ein Mitglied einer evangelikalen Gemeinde in Simbabwe wird mit Milch getauft. John Moore/Getty Images

rischer Moment im Streben nach christlicher Einheit“, erklärte Geoff Tunnicliffe, der Generalsekretär der WEA. Es ist das erste Mal, dass PRID und ÖRK zusammen mit den Evangelikalen gemeinsame Empfehlungen erarbeitet haben – und das bei einem so heiklen Thema wie Mission. „Das Dokument zeigt, dass unterschiedliche christliche Einrichtungen in der Lage sind, zusammenzuarbeiten und mit einer Stimme zu sprechen“, sagte Tunnicliffe bei der Vorstellung des Papiers. Niek Tramper, der Generalsekretär der Europäischen Evangelischen Allianz, bezeichnete das Dokument als eine Brücke zwischen den traditionellen und den freien Kirchen. „Evangelikale müssen anerkennen, dass etwas von Gottes Gnade und Wahrheit in den alten, institutionalisierten Kirchen steckt und die etablierten Kirchen müssen das Existenzrecht der kleinen evangelikalen Kirchen akzeptieren und sie als einen Teil des Leibes Christi betrachten und nicht als Sekten.“ Inwieweit der Verhaltenskodex sich auf die praktische Missionsarbeit auswirkt, bleibt abzuwarten. Nicht alle, die von ihrem Glauben überzeugt sind und ihn weitergeben wollen, werden nach dem handeln, was die kirchlichen

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kirche und ökumene journal

Institutionen vorgeben. „Wozu brauche ich als wiedergeborene Christin eine Gruppe von Männern verschiedener Konfessionen, die Regeln für die Evangelisation festlegen?“ fragt zum Beispiel Susan Ferguson in der Internetausgabe von Christianity Today, einer evangelikalen Zeitschrift aus den USA.  Katja Dorothea Buck

kirche und ökumene – Kurz notiert

Das Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS) will sich ab 2012 Evangelische Mission in Solidarität (Evangelical Mission in Solidarity) nennen. Die 34 Delegierten des EMS-Missionsrats haben bei ihrer Sitzung Ende Juni außerdem eine neue Satzung be-

schlossen, die die Partnerkirchen aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten zu gleichberechtigten Mitgliedern macht. Künftig haben alle 23 Kirchen und fünf Missionsgesellschaften gleiches Stimmrecht in sämtlichen strategischen und finanziellen Fragen. Das 1972

gegründete Missionswerk will damit seinen vor 20 Jahren begonnenen Kurs der Internationalisierung fortsetzen. Ende November muss die EMS-Synode noch über den neuen Namen entscheiden und die Satzung verabschieden.  

(kb)

Haiti und Pakistan prägen das Spendenjahr Kirchliche Hilfswerke verzeichnen 2010 steigende Einnahmen Das Erdbeben in Haiti und die Überschwemmungen in Pakistan haben im vergangenen Jahr tausende Tote gefordert, Millionen Menschen verloren ihr Zuhause und ihren Besitz. Ihr Leid rief in Deutschland große Hilfsbereitschaft hervor, wie die großen kirchlichen Hilfswerke bei ihren Jahrespressekonferenzen Ende Juni berichtet haben. Das erhöhte Spendenaufkommen schreiben sie vor allem den beiden Naturkatastrophen zu. Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor erhielt im vergangenen Jahr 77 Millionen Euro Spenden, 25 Millionen mehr als 2009. Insgesamt beliefen sich die Einnahmen auf 194,3 Millionen Euro – auch bei den staatlichen Zuwendungen verzeichnete Misereor einen Zuwachs. Ähnlich positiv ist das Ergebnis von „Brot für die Welt“. Das evangelische Hilfswerk steigerte sein Spendenergebnis mit 62,1 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr um 13,5 Prozent. Hier gaben ebenfalls Spenden für Haiti und Pakistan den Ausschlag, die „Brot für die Welt“ über das Bündnis „Entwicklung hilft“ zuflossen. Auch bei der Kindernothilfe erhöhten die beiden Katastrophen die Gesamteinnahmen: Mit 76 Millionen Euro verzeichnete die Organisation das höchste Ergebnis ihrer 52-jährigen Geschichte. Die Christoffel-Blindenmission erhielt gleichfalls mehr Spenden als je zuvor: 42,8 Millionen Euro und

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damit knapp drei Millionen Euro mehr als 2009.

Folgen des Klimawandels mildern Der Hauptgeschäftsführer von Misereor, Josef Sayer, betonte bei der Vorstellung der Jahresbilanz, die Flutkatastrophe in Pakistan zeige, dass die Armen durch die mit dem Klimawandel verbundenen Wetterkatastrophen am härtesten getroffen würden. Sayer würdigte den kürzlich beschlossenen Atomausstieg der Bundesregierung, warnte jedoch davor, den Ausbau neuer Kohlekraftwerke voranzutreiben. „Wenn wir das Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, ernst nehmen, dann muss jegliche fossile Energiegewinnung so schnell wie möglich eingestellt werden“, unterstrich er. Die Direktorin von „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, erklärte, ein Schwerpunkt der Arbeit bleibe, die Folgen des Klimawandels in den Entwicklungsländern zu mildern. Der bereits vor dem Atomausstieg beschlossene Energie- und Klimafonds (EKF) dürfe nicht zur Finanzierung der Energiewende in Deutschland umgewidmet werden. Er müsse zu mindestens 30 Prozent auch fortan für Klimaschutz und Klimaanpassung in den Ländern des Südens zur Verfügung stehen, forderte sie. Das Gesamtvolumen des EKF liegt für 2012 bei 780 Millionen und ab 2013 bei rund 3,3 Milliarden Euro. Der Entwurf des

Bundeshaushaltes für das kommende Jahr weist für den internationalen Klima- und Umweltschutz aus dem EKF lediglich 55 Millionen Euro aus. Von 2013 bis 2015 sind dann zwischen 492 und 628 Millionen Euro jährlich vorgesehen.

Frauenrechte durchsetzen Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) kritisierte bei der Vorstellung seines Arbeitsberichtes in Bonn, dass Frauen vor allem in Entwicklungsländern noch vielfach benachteiligt würden. Die sei ein „ernsthaftes Entwicklungshemmnis“ für die Gesellschaften im globalen Süden, betonte EED-Vorstand Claudia Warning. Frauen spielten bei der Entwicklung eine wichtige Rolle, die jedoch meist unterschätzt werde. Der EED arbeite gemeinsam mit seinen Partnern daran, dieses Hemmnis zu beseitigen. Der Haushalt des EED, der sich nahezu

Die Überschwemmungen in Pakistan haben im Sommer 2010 acht Millionen Menschen obdachlos gemacht. Aaron Favila/AP

vollständig aus staatlichen Mitteln und Kirchensteuern finanziert, hatte 2010 einen Umfang von 167,6 Millionen Euro und fiel damit um etwa drei Millionen Euro geringer aus als im Vorjahr. Ursache war in erster Linie ein Rückgang der staatlichen Zuwendungen. Für die kommenden zwei Jahre rechne sie jedoch mit steigenden Einnahmen, sagte Warning. Der EED schließt sich im kommenden Jahr mit „Brot für die Welt“ und dem Bundesverband der Diakonie zum „Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung“ zusammen. Das neue Werk soll am 1. Oktober 2012 seine Arbeit in Berlin aufnehmen.   di/gka/kb/saw

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journal global lokal

Global lokal

Vorbildlich: Rheinland-Pfalz Die meisten Bundesländer tun zu wenig für die UN-Millenniumsziele Auch Bundesländer, Kommunen und Gemeinden können dazu beitragen, dass die UN-Millenniumsziele zur Verringerung von Hunger und Armut erreicht werden – etwa, indem sie in ihren Verwaltungen faire Produkte verwenden. Aber nur wenige engagieren sich gezielt für die Entwicklungsziele. Rheinland-Pfalz nimmt eine Vorreiterrolle ein. Im Jahr 2000 haben sich die 189 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen darauf geeinigt, bis 2015 den Anteil der Menschen an der Weltbevölkerung, die in extremer Armut leben, zu halbieren. Die Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) umfassen unter anderem die Verbesserung der Müttergesundheit, den Kampf gegen Aids und Malaria und die Verringerung der Kindersterblichkeit. Außerdem haben sich die Industrieländer verpflichtet, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Deutschland liegt mit weniger als 0,4 Prozent deutlich darunter. Zurzeit ist es trotz beachtlicher Fortschritte bei der Armutsbekämpfung zweifelhaft, ob die Ziele bis zum Jahr 2015 erreicht werden können. Für Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik spielt es eine entscheidende Rolle, ob den Bürgern in den reichen Ländern die Bedeutung der MDG vermittelt werden kann. Die meisten Bundesländer haben jedoch keine klare Strategie, wie sie ihre Kommunen, Gemeinden und Landkreise für eine Beteiligung gewinnen und auf ihre globale Verantwortung ansprechen wollen. Rheinland-Pfalz dagegen zeigt, dass Erfolge möglich sind. Das Bundesland hat einen Aktionskreis UN-Millenniumsziele eingerichtet, der im Innenministerium

koordiniert wird. Er wendet sich an die rheinland-pfälzischen Kommunen und fordert sie auf, die Millenniumserklärung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und des Deutschen Städtetages zu unterzeichnen. Damit verpflichten sie sich, aktive Nord-Süd-Arbeit zu betreiben. Dazu zählt, in der Verwaltung fair gehandelte Produkte zu verwen-

Weltweit verbunden: Die rheinlandpfälzische Hauptstadt Mainz. chromorange

den, bestehende Städtepartnerschaften mit EU-Kommunen zu Dreieckspartnerschaften mit Kom­ munen aus Ländern des Südens zu erweitern und den Einsatz von Experten in den Städten und Gemeinden des Südens zu fördern. Städte und Gemeinden könnten mit ihrem Engagement „wachsender Armutswanderung nach Europa entgegenwirken“, heißt es in der Erklärung. Seit Beginn der Kampagne in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr ist die Zahl der MillenniumsKommunen in dem Bundesland von fünf auf derzeit rund 70 gestiegen. Wieviele Kommunen bundesweit die Entwicklungszie-

le der Vereinten Nationen unterstützen, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Nach Angaben des Deutschen Städtetags hatten im vergangenen Oktober 47 Städte die Millenniums-Erklärung unterzeichnet, darunter Dortmund, Erfurt, Hannover, Köln und München.

Im Städte-Netzwerk die Bildungsarbeit stärken Die Stadt Bonn macht deutlich, wie sich Kommunen vernetzen können, um die Entwicklungsziele bekannt zu machen. Seit Februar 2011 hat die frühere Bundeshauptstadt die Federführung in einem europäischen Projekt zur Beteiligung von Kommunen an den MDGs. Das auf drei Jahre angelegte, von der Europäischen Union geförderte Vorhaben, will in einem Netzwerk aus Bonns Partnerstädten Potsdam und Oxford, sowie Villach (Österreich) und Sopron (Ungarn), die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu den Millenniums-Entwicklungszielen intensivieren. Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist der Austausch zu Fragen des nachhaltigen Konsums, zur Förderung des fairen Handels und einer fairen öffentlichen Beschaffung. „In der Veränderung des Konsumverhaltens durch eine stärkere Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien liegt ein Schlüssel für die Erreichung der MDGs“, sagt Projektleiter Stefan Wagner. Außerdem habe man die Entwicklung eines Indikatorensets für Kommunen in Auftrag gegeben. Damit sollen sie überprüfen können, ob ihr Eine-WeltEngagement tatsächlich messbar zum Erfolg der Millenniumsziele beiträgt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat im Juni

2011 nach sechs Jahren die finanzielle Unterstützung der UN-Millenniumskampagne in Deutschland eingestellt. Das BMZ sieht den Schlüssel für das Erreichen der MDGs in den Entwicklungsländern selbst. In Deutschland seien die Ziele in der Gesellschaft bereits gut verankert.  Claudia Mende

global lokal – Kurz notiert

Die brasilianische Stadt Recife hat für ihren Bürgerhaushalt den diesjährigen Reinhard Mohn Preis der Bertelsmann Stiftung erhalten. Die Auszeichnung ist mit 150.000 Euro dotiert und stand in diesem Jahr unter dem Motto „Demokratie und Partizipation“. Nach einer Vorauswahl von sieben Projekten haben 11.600 Bürger mit einer Abstimmung im Internet den Preisträger bestimmt. In Bürgerhaushalten können Einwohner über die Verwendung öffentlicher Gelder mitentscheiden. In der 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt Recife im Nordosten Brasiliens beteiligen sich jährlich mehr als 100.000 Jugendliche und Erwachsene an Versammlungen und über das Internet. Mit einem Netzwerk von Ansprechpartnern unterstützt die Stadt die Beteiligung der Bürger. Über die Wahl von Delegierten für den Bürgerhaushalt haben sie die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und politische Entscheidungen mitzubestimmen. Seit seiner Einführung im Jahr 2001 haben Bürgerinnen und Bürger rund 5000 Vorhaben beschlossen. Ein Großteil der Investitionen floss in die ärmeren Viertel der Stadt. Alle zwei Jahre können darüber hinaus Schülerinnen und Schüler von Recife Verbesserungsvorschläge für ihre Schulen einbringen und deren Verwirklichung begleiten.  (cm)

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personalia journal

Personalia

Friedensdienst EIRENE

der Kontinentalabteilung Lateinamerika und seit 1999 in seiner derzeitigen Position. Zuvor war er unter anderem bei „Brot für die Welt“ beschäftigt.

Deutscher Bundestag

menarbeit tätig sein. Peter FischerBollin, der zuletzt Auslandsmitarbeiter mit regionalen Aufgaben in Rio de Janeiro war, wechselt nach 15 Jahren von der KAS zur CDU in Nordrhein-Westfalen.

nung/Controlling übernommen. Die Abteilung Unternehmensentwicklung/Kommunikation wird seit Anfang Juli gemeinsam von Christiane Rudolph (Kommunikation) und Katja Zurawka (Unternehmensentwicklung) geleitet.

KfW-Entwicklungsbank Wilfried Steen ist neuer Vorstandsvorsitzender von EIRENE. Er ist Nachfolger von Harry Schram, der weiter im Vorstand mitwirkt. Steen war bis zu seinem Ruhestand 2009 zehn Jahre lang im Vorstand des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) für Inlandsarbeit, Entwicklungspolitik und Fachkräfte zuständig. Danach hat er zwei Jahre als Auslandspfarrer auf Malta gearbeitet. Zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von EIRENE wurde Uta Bracken gewählt. Sie löst Margret Meerwein ab, die ebenfalls Vorstandsmitglied bleibt.

Misereor Martin Bröckelmann-Simon ist für weitere sechs Jahre in seinem Amt als Misereor-Geschäftsführer und Vorstand für die Internationale Zusammenarbeit bestätigt worden. Er ist gleichzeitig ständiger Stellvertreter des Hauptgeschäftsführers. Der Soziologe arbeitet seit 1985 bei dem katholischen Hilfswerk, zunächst als Länderreferent, dann als Leiter

Sibylle Pfeiffer ist neue entwicklungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Sie folgt auf Holger Haibach, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Namibia geht. Pfeiffer ist seit 2002 im Bundestag und seit 2005 stellvertretende Vorsitzende des Entwicklungsausschusses.

Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Neuer Auslandsmitarbeiter im KAS-Büro Windhuk mit Zuständigkeit für Namibia und Angola ist Holger-Heinrich Haibach. Er war von 2002 bis 2011 Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Hochtaunus-Oberlahn und Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sein Vorgänger in Namibia, Anton Bösl, wird die Stiftung Ende August verlassen, aber weiter in der Entwicklungszusam-

Dekha Ibrahim Abdi tot picture Alliance/dpa

Die kenianische Friedensaktivistin Dekha Ibrahim Abdi ist am 14. Juli den Folgen eines Autounfalls erlegen. Seit zwanzig Jahren hatte sich die 48-Jährige um die friedliche Beilegung von Konflikten etwa zwischen Viehhirten verschiedener Stämme oder zwischen Muslimen und Christen im Grenzgebiet von Kenia und Somalia bemüht, seit einigen Jahren im Auftrag der kenianischen Regierung. 2007 erhielt Dekha Ibrahim Abdi für ihr Engagement den „Alternativen Nobelpreis“ Right Livelihood Award, im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet. Bei dem Autounfall starben auch ihr Ehemann sowie der Fahrer des Wagens. (Für ein ausführliches Portrait von Dekha Ibrahim Abdi siehe „welt-sichten“ 6/2011, S. 46)  (ell)

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Die KfW-Bankengruppe hat einen neuen Bereich „Strategie und Volkswirtschaft“ eingerichtet, der von Helmut Gauges geleitet wird. Er war bislang Leiter des Bereichs „Förderung der Entwicklungsländer, Umwelt und Klima, Lateinamerika und Karibik“. Sein Nachfolger ist Stephan Opitz, der zuvor die Abteilung „Südasien, Afghanistan und Pakistan“ geleitet hat.

Deutsche Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG) Sandra Scharfenstein hat Anfang Juli die Leitung der Abteilung Pla-

Schweiz

Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Didier Chambovey wird zum 1. September Chef des Leistungsbereichs Welthandel im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO und damit Botschafter und Delegierter der Regierung für Handelsverträge. Der promovierte Volkswirtschaftler wird zugleich Mitglied der Geschäftsleitung des SECO. Er tritt die Nachfolge von Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch an, seit April SECO-Direktorin und Staatsekretärin. Anzeige

J EJournal JP ournal für Entwicklungspolitik

Das Journal für Entwicklungspolitik (JEP) bietet als wissenschaftliche Zeitschrift im deutschen Sprachraum ein Forum für die kritische Diskussion von entwicklungspolitisch relevanten Themen. Ausgaben 2011: 1-2011 Giovanni Arrighi 2-2011 Entwicklungsfinanzierung 3-2011 Gerechtigkeit nach dem Krieg 4-2011 Internet und Demokratie Ausgaben 2012: 1-2012 Periphere Wohlfahrtsstaaten 2-2012 Deep Integration 3-2012 Post-Development 4-2012 Transdisziplinarität

ENTWICKLUNGSFINANZIERUNG IM UMBRUCH ENTWICKLUNGSSTAATEN IM AUFBRUCH? Johannes Jäger, Karin Küblböck Entwicklungsfinanzierung im Umbruch – Entwicklungsstaaten im Aufbruch? C.P. Chandrasekhar Financial Liberalisation and Fragility in Developing Countries: The Indian Experience Hansjörg Herr Das Finanzsystem als Rückgrat der chinesischen Entwicklungsdynamik Daniel Görgl, Karen Imhof, Johannes Jäger, Bernhard Leubolt Transformation monetärer Restriktionen: Nationale Strategien und regionale Kooperation in Lateinamerika Karin Küblböck Politische Ökonomie der Budgethilfe in Nicaragua Ivan Lesay The European Investment Bank’s Concept of Development: Economic Growth at any Cost

Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik an den Österreichischen Universitäten Sensengasse 3, A-1090 Wien, [email protected], www.mattersburgerkreis/jep JEP-Einzelheft: Euro 9.80, Jahresabonnement: Euro 39.80

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service bildungsmaterial | rezensionen

bildungsmaterial

Lateinamerika anders erleben Die Berichterstattung über Lateinamerika in den Medien – von Schülern ohnehin wenig beachtet – wird der sozialen und globalen Bedeutung des Kontinents wenig gerecht. Sie konzentriert sich vor allem auf Drogen, Gewalt, Naturkatastrophen und bisweilen Sport. Dies spiegelt sich im Schulunterricht wider: Lateinamerika kommt nur noch wenig vor. Das Informationsbüro Nicaragua, das bis in die 1990er Jahre eng verknüpft war mit der Solidaritätsbewegung mit Mittelamerika und speziell Nicaragua und heute in der Bildungsarbeit und der Förderung von Basisinitiativen engagiert ist, will mit diesem Material einen Gegenakzent setzen. Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hg.) Fokuscafé Lateinamerika. Geschichte und Klischees, Ökomomie, Migration und Eine Welt Basisheft, vier Werkhefte und eine DVD, 5,20 Euro, E-Mail: [email protected]

Vier Module (je ein Werkheft) behandeln die Schwerpunktthemen Geschichte, Ökonomie, Migration und Eine Welt. Sie greifen etwa die Kolonialgeschichte auf, analysieren Umwelt- und Ressourcenkonflikte, setzen sich mit den Hoffnungen auf ein besseres Leben auseinander und fragen: „Und was geht uns das

an?“ Thematisiert werden hier Entwicklungspolitik und Abhängigkeiten, soziale und ökologische Auswirkungen des Konsumverhaltens und die Möglichkeiten, Alternativen zu schaffen. Im Mittelpunkt stehen handlungsorientierte Methoden wie Einstiegsübungen, Rollen- und Planspielen sowie Quizshows. Die Hefte und die DVD gehören zu den ersten Materialien zu Lateinamerika, die sich deutlich auf die Kompetenzvorgaben des „Orientierungsrahmens Globale Entwicklung“ beziehen. Planung und Durchführung der Module werden in die Hand der Lehrerinnen und Lehrer gelegt, sie erhalten umfassende Praxishilfen. Viele Lerngruppen werden hier mitentscheiden und sich nicht dem „Seminarstil“ fügen wollen, aber auch sie werden das “Fokuscafé Lateinamerika” mit Gewinn nutzen können. Das Projekt ist Teil des Programms „America Latina 200“ der Bundeszentrale für politische Bildung zu 200 Jahre Unabhängigkeit Lateinamerikas. Martin Geisz

Rezensionen

Den Hunger pragmatisch bekämpfen

Worldwatch Institute in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch (Hg.) Zur Lage der Welt 2011. Hunger im Überfluss – Neue Strategien gegen Unterernährung und Armut Oekom Verlag, München 2011, 288 Seiten, 19,95 Euro

Nicht noch ein Buch zum Thema Hunger – so meine erste Reaktion. Doch das hier ist anders: Es ist eine wahre Fundgrube praktischer Beispiele, die beweisen, dass es auf lokaler Ebene ermutigende Beispiele zur Überwindung des Hungers gibt. Die Fallstudien schildern, wie Bauern zusammen mit nichtstaatlichen Organisationen (NGO) erstaunliche Innovationen im Anbau von Nahrungsmitteln zur Selbstversorgung erreichen, und gleichzeitig die Umwelt erhalten und verbessern. „Öko wird Mainstream“ – so der Titel eines Beitrages – ist in der Tat, so kann man nach der Lektüre den Eindruck erhalten, inzwischen Realität. Sind die Tage der harten Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der industriellen, Chemie gestützten Landwirtschaft und den Befürwortern der agrarökologischen Revolution vorbei? Die Autoren sind fast ausschließlich Amerikaner, wenn man von den Berichten „aus dem Feld“ absieht, die jede grundsätzliche Erörterung mit einem konkreten Beispiel aus einem Entwicklungsland ergänzen. Eine Ausnahme ist der offenbar obligatorische Einleitungsartikel der deutschen Herausgeber, der in Inhalt und Duktus nicht so recht zu dem Rest des Buches passt. Er befasst sich mit der Agrarpolitik der Europäischen Union, während die anderen Beiträge sehr praxisbezogen aus Entwicklungsländern berichten.

Es erstaunt der „amerikanische Pragmatismus“, denn die Autoren haben trotz ihrer klaren Befürwortung der agrarökologischen Ansätze keine Hemmungen, die Zusammenarbeit mit Firmen der Agrarindustrie zu würdigen. Monsanto, Nestlé und Mars werden ebenso positiv erwähnt wie die Zusammenarbeit des Worldwatch Institutes mit der Bill & Melinda GatesStiftung, die Alliance for a Green Revolution in Africa und die Internationalen Agrarforschungszentren, die eigentlichen Protagonisten der „Grünen Revolution“. Die Beispiele verdeutlichen die vernachlässigten Potenziale einer anderen Art der Landwirtschaft, die von armen Leuten betrieben wird. Im Vordergrund stehen Vielfalt, Ertragssicherheit, kulturelles und standortspezifisches Wissen, keine Mono- und Reinkulturen, Gewinnmaximierung und Versprechen der Laborwissenschaften. Dabei ist der Geist aber keinesfalls wissenschaftskritisch; es geht nur um eine andere Form der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und der „Arme-Leute-Landwirtschaft“: der partizipativen Forschung und Beratung. Nach dem bahnbrechenden Werk von Jules Pretty und Colin Heines von 2001, die ähnliche Beispiele aus 286 Projekten in 57 Ländern zusammengetragen hatten, basiert dieser Band auf einer Spurensuche

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rezensionen service

von Danielle Nierenberg, einer Mitarbeiterin des Worldwatch Institutes, die Projekte in 25 Ländern in Afrika aufgespürt hat. Der Wert des Buches liegt im Konkreten, es geht nicht um Theorie, sondern um erfolgreiche Initiativen. So wird etwa berichtet über Dachgärten in Senegal, Tröpfchenbewässerung in Burkina Faso, Agroforstsysteme im Sahel und die tra-

ditionelle Sortenvielfalt bei Gemüse in Tansania. Es geht um übersehene Chancen einer städtischen Gartenkultur, um Agrarsysteme, die die Dürre bekämpfen helfen, um die gezielte Förderung von Kleinbäuerinnen, kurz: um das Leben der armen Menschen, und nicht um angebliche Patentlösungen, die das große Geld versprechen. Rudolf Buntzel

Kein Erfolg ohne Beteiligung

Frank Bliss Trinkwasser für Mayo Kebbi Ein Projekt der deutschen Kooperation mit dem Tschad Horlemann, Bad Honnef 2011, 217 Seiten, 19,90 Euro

500 Meter – das ist Umfragen zufolge ungefähr die Distanz, die Frauen im Südwesten des Tschad für sauberes Wasser zusätzlich bereit sind zurückzulegen. Ist ein Brunnen weiter entfernt, nehmen sie das Wasser eher von einer näher gelegenen Wasserstelle und riskieren, dass ihre Familie krank wird. Eine Vielzahl solcher Informationen liefert der Entwicklungsberater Frank Bliss in seinem Buch über ein Trinkwasserprojekt in Mayo Kebbi, einer Region ohne nennenswerte Infrastruktur. Bliss war in dem Projekt für die „sozialwissenschaftlichen Begleitmaßnahmen“ zuständig. Er suchte die Standorte der Handpumpen aus, begleitete die Einheimischen bei der Aufstellung von Nutzerkomitees und bemühte sich um Gesundheitsaufklärung. Sein Buch stellt das von der Kreditanstalt für Wiederaufbau geförderte Projekt vor: von der ersten Studie bis hin zur abschließenden Bewertung – ein Prozess, der ein Jahrzehnt gedauert hat. Nicht jeder Projektschritt, den Bliss beschreibt, ist spannend zu lesen. Was ihm aber gut gelingt: Er erklärt mit einer Reihe von Fotos und Zeichnungen, dass unheimlich viel bedacht werden muss, damit

ein Projekt nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Das Ergebnis liest sich vorsichtig optimistisch: Die Nutzung und Wartung der Brunnen scheint überwiegend zu funktionieren. Ob die Menschen nach einer Reihe von Aufklärungsmaßnahmen aber hygienische Standards einhalten (Trennung von Mensch und Tier, Latrinenbau), bezweifelt man nach den Schilderungen eher. Bliss plädiert dafür, dass Sozialwissenschaftler mehr Einfluss bei derartigen Projekten bekommen. An zahlreichen Stellen macht er klar, dass ohne intensives Arbeiten mit der Zielgruppe ein Erfolg gar nicht möglich ist – egal wie viel Geld und Technik zur Verfügung stehen. Die Entwicklungszusammenarbeit findet vor allem mit den Menschen vor Ort statt. Die tschadische Regierung und die Verwaltung scheinen sich so gut wie gar nicht dafür zu interessieren, ob ihre Bürger sauberes Wasser haben oder nicht, kritisiert Bliss. Er begrüßt deshalb, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sich derzeit im Tschad sehr zurückhält. Nach seinen Schilderungen der staatlichen Untätigkeit ist das sehr gut nachzuvollziehen. Felix Ehring

Heerführer und Altnazis: Deutsche in Argentinien

Bernd Wulffen Deutsche Spuren in Argentinien Christoph Links Verlag, Berlin 2010. 260 Seiten, 19,90 Euro

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Es ist schon verblüffend, wie viele und wie tiefe Spuren die Deutschen im Laufe der Jahrhunderte in Argentinien hinterlassen haben. Jeder weiß, dass das Land nach dem Zweiten Weltkrieg ein Refugium für die schlimmsten Nazi-Verbrecher war, allen voran der KZ-Arzt Joseph Mengele und der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann. Auch die Unterstützung deutscher Industriebetriebe für das blutige Militärregime, das sich 1976 an die Macht putschte, ist weitgehend bekannt. Aber es gibt auch Positives über Deutsche in Argentinien zu berichten. Bernd Wulffen, der lange als Diplomat in Buenos Aires lebte, rollt die Geschichte deutscher Präsenz seit den Zeiten der Eroberung bis in unsere Tage auf. Er würdigt seine Landsleute, die Großes für ihre Wahlheimat geleistet haben, macht aber auch keinen Bogen um die schändlicheren Kapitel.

Auch Österreicher, wie Eduard Kailitz Freiherr von Holmberg, die in der kollektiven Erinnerung Argentiniens oft als Deutsche haften blieben, haben sich um ihre südamerikanische Wahlheimat verdient gemacht. Holmberg, ein Veteran aus den Kriegen gegen Napoleon, führte 1812 ein siegreiches Heer von Patrioten gegen die spanische Kolonialherrschaft in die Schlacht von Tucumán. Der Bierbrauer Anton Martin Thym erwarb sich zwar keine militärischen Meriten, diente aber 1826 als Dolmetscher Argentiniens im Krieg gegen Brasilien. Deutsche Expertise war auch in den Vernichtungsfeldzügen gegen die als Fortschrittshindernis betrachtete indianische Bevölkerung gefragt. Friedrich Rauch drillte Truppen und triumphierte 1827 an der Spitze eines Regiments an der Salzlagune von Epecuén über die Mapuche.

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Tiefere Spuren hinterließen aber die Industriellen. Johann Christian Zimmermann, der in die Familie Halbach einheiratete, wurde zu einem der größten Gutsbesitzer und ab 1829 Honorarkonsul von Hamburg am Río de La Plata. Er förderte die deutsche Einwanderung, was durchaus im Interesse der argentinischen Regierung lag. Außenminister Celedonio Gutiérrez schrieb damals: „Deutschland ist ein Land, dessen Auswanderer infolge der Sittlichkeit und Arbeitstüchtigkeit, welche die deutschen Familien auszeichnen, für die Konföderation von Vorteil sind“. Die deutsche Immigration aller Gesellschaftsschichten war immerhin so bedeutend, dass der sozialdemokratische Vorwärts Verlag Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires das Argentinische Wochenblatt herausgab. Am 1. Mai 1890 erklang bei einer Feier der deutschen Sozialdemokraten erstmals die Internationale auf amerikanischem Boden.

Auch Juan Domingo Perón, der sich 1940 an die Macht putschte, wusste deutsche Zuverlässigkeit und Präzision zu schätzen. Dem Druck der USA, Deutschland den Krieg zu erklären und deutsches Eigentum zu konfiszieren, gab er erst nach, als Zusammenbruch und Kapitulation im Frühjahr 1945 unmittelbar bevorstanden. Perón fand auch wenig später nichts dabei, führenden Nazis, die sich als Ingenieure, Tierärzte oder andere Experten nützlich zu machen verstanden, Unterschlupf zu gewähren. Während der Militärdiktatur fanden sich Deutsche auf Seiten der Täter und der Opfer, allerdings mehr auf der Täterseite. Und deutsche Behörden zeigten wenig Interesse, dem Schicksal von Verschwundenen mit deutschem Pass nachzugehen. Die deutschargentischen Beziehungen haben eine lichtvolle Geschichte mit vielen dunklen Flecken. Ralf Leonhard

Rebellen gegen die Moderne – Indiens Naxaliten

Lutz Getzschmann Indien und die Naxaliten Agrarrevolten und kapitalistische Modernisierung 416 Seiten, Neuer ISP-Verlag, Karlsruhe 2011, 32 Euro

Ein Gespenst geht um in Südasien – das Gespenst des Kommunismus in seiner maoistischen Ausprägung. Den Wahlsieg der nepalesischen Maoisten 2008 haben viele Regierungen der Anrainerstaaten mit Sorge verfolgt, darunter die Indiens. Denn dort firmieren unter dem Label „Naxaliten“ ebenfalls Maoisten. Geheimdienste schätzen die Zahl ihrer bewaffneten Kämpfer auf 20.000, plus ein Vielfaches an Unterstützer – vor allem in einigen zentral- und ostindischen Bundesstaaten. Der indische Premierminister Manmohan Singh betrachtet sie als „größte Bedrohung der inneren Sicherheit“. Ziel ihrer bewaffneten Aktionen sind in der Regel paramilitärische Einheiten und Polizeikasernen. Lutz Getzschmann führt den neuerlichen Aufschwung dieser Rebellionen, die seit Ende der 1960er Jahre schwelen, auch auf die Folgen der Marktöffnung Anfang der 1990er Jahre zurück. Er geht davon aus, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren etwa 400 Millionen Menschen in Indien gezwungen sein werden, die Landgebiete zu verlassen und in die Städte überzusiedeln, und spricht von einer „Zerstörung der agrarischen Subsistenzwirtschaften und bestehender Sozialstrukturen“. In der Übergangsphase, so seine These, wird der Einfluss der Naxaliten weiter zunehmen. Denn sie rekrutieren sich aus den Verlierern der ökonomischen Umwälzungen: Kleinbauern und Landlosen, Dalits – den so genannten Kastenlosen – und Adivasi. Diese Ureinwohner leben bis heute in den indischen Regenwäldern und sollen jetzt weichen, weil Bergbauunternehmen Bodenschätze fördern wollen. Anhand vieler Beispiele führt Getzschmann aus, wie unter dem Vorwand der Naxalitenbekämpfung systematisch Menschenrechte verletzt werden. 1,4 Mil-

lionen Paramilitärs, die unter direktem Befehl des Innenministeriums in Neu-Delhi stehen, terrorisieren die Bevölkerung. Besonders pikant ist der Fall des britischen Bergbauunternehmens Vedanta, das im Bundesstaat Orissa Bauxit in einer Region abbaut, die von mehreren tausend Adivasi bewohnt wird. Der indische Innenminister Palaniappan Chidambaram saß vor seiner Ministerkarriere im Aufsichtsrat des Bergbaukonzerns. Sprecher der Adivasi, die sich gegen den Abbau des Bauxits wehren, weil er ihre Lebensgrundlage zerstört, sind von der Polizei tagelang gefoltert worden unter dem Vorwurf, sie seien Naxaliten. Sogar der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy droht eine Verurteilung wegen „Aufwiegelung“, weil sie die Gewaltexzesse der indischen Behörden kritisiert und sich auf die Seite der Adivasi stellt. Lutz Getzschmann zeichnet in seinem Buch ein düsteres Bild und spricht sogar von Genozid. Weil Getzschmann eine lineare Entwicklung zur Urbanisierung der indischen Gesellschaft unterstellt, ist seiner Meinung nach die Suche der Naxaliten nach Rückhalt in der Landbevölkerung zunehmend überholt, deshalb werde ihr Einfluss zurückgehen. Nicht im Blick hat der Autor dabei die vielen Kleinbauern- und Landlosenbewegungen, Entwicklungsund Umweltorganisationen, die nicht nur in Indien und völlig unabhängig von den Naxaliten den Folgeproblemen des Klimawandels und der Nahrungsmittelkrise begegnen wollen – unter anderem mit kleinteiliger, ökologischer Landwirtschaft. Sie stellen sich der Urbanisierung entgegen. Seinem Anspruch, eine erste deutschsprachige Gesamtdarstellung der Naxaliten vorzulegen, wird der Sozialwissenschaftler dennoch voll und ganz gerecht. Gerhard Klas

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Zwei Brüder am „Tor der Tränen“ Mit der scharfzüngigen Satire auf die globalen NordSüd-Verhältnisse „In den Vereinigten Staaten von Afrika“ hat der in Dschibuti geborene Abdourahman A. Waberi zuletzt in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht. Nun liegt ein weiterer Roman des vielfach ausgezeichneten Schriftstellers auf Deutsch vor. Er erzählt von den Zwillingsbrüdern Dschibril und Dschamal, die 1977 am Tag der Unabhängigkeit ihres Landes Dschibuti von Frankreich geboren und schon früh von ihrer Mutter, die sie gegeneinander ausspielte, entzweit wurden.

Abdourahman A. Waberi Tor der Tränen Edition Nautilus, Hamburg 2011, 160 Seiten, 16 Euro

„Djib“ wird im kanadischen Exil ein „neuer Mensch“ und Repräsentant der globalen Elite im Dienste der „großen militärisch-industriellen Konglomerate“. Als Agent einer Sicherheitsfirma kehrt er in seine Heimat zurück. Er soll sich vergewissern, dass „das Land sicher, die Situation stabil und die Terroristen unter Kontrolle sind“. Der arme Staat am Horn von Afrika ist auf dem geopolitischen Schachbrett der Großmächte ein neuralgischer Punkt. Internationale Truppen überwachen das „Tor der Tränen“ zum Roten Meer, wo Piraten, Islamisten und Handelsschiffe unterwegs sind. Immer stärker wird Dschibril von Kindheitserinnerungen überwältigt. Er, der den Namen „Engel des Propheten“ trägt, identifiziert sich mit dem „Engel der Geschichte“, über den der von Dschibril verehrte Walter Benjamin geschrieben hat: „Aber ein Sturm weht vom Paradiese her (...) Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum

Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Und diesen Sturm bekämpft sein Zwillingsbruder Dschamal. Im Hochsicherheitsgefängnis wartet der islamistische Terrorist auf die Vollstreckung seines Todesurteils. Während er die Predigten seines „erhabenen Meisters“ notiert, richtet er seine Gedanken an den Bruder, der ihn damals verlassen hat, als er arbeitslos und verzweifelt war: „Vor Wut reihte ich Diebstahl an Diebstahl, ich hatte keine Hoffnung mehr, aber Allah, der Unparteiische, verfügt über unerschöpfliche Reserven, um uns zu trösten.“ In einer radikalen, gewalttätigen Gruppe fand er „den Frieden des Herzens“. Aber auch der Islamist findet zu Walter Benjamin. In einem Erdloch seiner Zelle entdeckt er eine Biografie des Geschichtsphilosophen. Dschibril nähert sich dem Bruder an: „Inzwischen machen mir das Heilige und Spirituelle keine Angst mehr. “ Umgekehrt lässt sich der fanatische Bruder von Benjamin einnehmen, entdeckt in seiner Philosophie sogar Parallelen zum eigenen Leben. Abdourahman Waberi gibt dem verfolgten Exilanten die Rolle des Friedensstifters. In der Realität aber behält der Krieg die Oberhand. Einst und heute. Am Ende des Romans wird Dschibril erstochen. Abdourahman Waberi hat eine höchst intellektuelle, manchmal etwas konstruierte Geschichte am Puls der Zeit geschrieben, die den Leser mit der einzigartigen Sicht eines afrikanischen Denkers zwischen den Welten konfrontiert. Birgit Morgenrath

kurzrezensionen Tahar Ben Jelloun Arabischer Frühling. Vom Wieder­ erlangen der arabischen Würde Berlin Verlag, Berlin 2011, 128 Seiten, 10 Euro

Erst Tunesien und Ägypten, dann Libyen, Bahrein, der Jemen und Syrien – Revolten erfassen ein arabisches Land nach dem anderen. Das ist ein „Epochenbruch“, der dem Fall der Berliner Mauer gleichkommt, konstatiert Ben Jelloun, einer der bedeutendsten Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. Unaufhaltsam und nicht rückgängig zu machen, wie er in seinem Essayband darlegt. Freiheit und die Wiederentdeckung der Würde sind für Ben Jelloun auch der Garant dafür, dass der Aufstand nicht in den Is-

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lamismus führt. Den Westen sieht er aufgrund der langjährigen Unterstützung von Diktatoren in der Verantwortung. Und er warnt davor, dass das Erwachen der arabischen Würde auch vor den prekären multikulturellen Vororten europäischer Großstädte nicht Halt machen wird. Neben den essayistischen nutzt Ben Jelloun dichterische Mittel. So blickt er den entmachteten Despoten Mubarak und Ben Ali in den Kopf und schildert das Geschehen aus der Perspektive ihres verbohrten Unverständnisses. Und er legt eine beeindruckende Novelle über die Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi vor, die zum Fanal für die Wiedererlangung der arabischen Würde wurde. (dh)

Berend Hartnagel (Hg.) Ich bin, weil wir sind. Wir sind, weil ich bin. Ehrenamt und Freiwilligkeit in den Kulturen der Welt Hannover 2011, 112 Seiten, 8 Euro plus Versandkosten, Bestellung unter www. globalpartnership.de

Bestechend sind an diesem Buch zunächst einmal die Fotos: großformatige Schwarz-Weiß-Abbildungen dokumentieren ehrenamtliches Engagement in Deutschland, Brasilien, Indien, Israel und Südafrika. Da geht es um die Arbeit mit Obdachlosen, Hilfe für Straßenkinder und ehrenamtliche Katastrophenhelfer, die sich rund um die Welt nach Anschlägen oder Naturkatastrophen um die Opfer kümmern, die lebenden und die toten. Diese Fotos berühren, sie

ziehen hinein in die Geschichten von Menschen, die mit ihrem unentgeltlichen Engagement das Leben von Schwächeren und Benachteiligten lebenswerter machen. Und sie regen dazu an, auch die Texte zu lesen – die Analysen, den Vergleich zwischen Europa und Afrika, die Erfahrungen von Prominenten und weniger Prominenten bei der Hilfe für andere. An dieser Sammlung wird deutlich, wie wichtig Ehrenamt und Gemeinsinn für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft sind – über die Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg. Und ganz abgesehen davon kann soziales Engagement auch zu einem Pluspunkt bei der Bewerbung werden, wie der Personalleiter eines großen Konzerns meint. (gka)

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Kulturtipps

Wunder der Natur und Kultur Der „Regenwaldbaum“ soll die Schönheit und die Verletzlichkeit der Natur symbolisieren. Wolfgang Volz

Mehr als 900 Meisterwerke der Baukunst und Monumente der Kultur zählt die UNESCO zu den Welterbestätten. Ihnen ist die Ausstellung „Magische Orte“ im Gasometer Oberhausen gewidmet. Die Schau nimmt ihre Besucher mit auf eine Weltreise zu beeindruckenden Stätten der Naturund Menschheitsentwicklung. Zu sehen sind rund 180 Aufnahmen von international renommierten Natur- und Architekturfotografen, deren großformatige Bilder durch Wüsten, Gebirge und Urwälder, in Tempel und Paläste führen: etwa in die Inkastadt Machu Picchu, die kambodschanische Tempelanlage Angkor Wat, die Victoria-Fälle oder das Wattenmeer.

Berlin

12. bis 28. August 2011 Tanz im August 2011 – Internationales Tanzfest Im Mittelpunkt des Festes steht in diesem Jahr der zeitgenössische Tanz aus afrikanischen Ländern, unter anderem mit den Choreografen Andréya Ouamba aus Senegal und Gregory Maqoma aus Südafrika. Geboten werden außerdem „Grenzgänge“ zwischen klassischem Ballett, Urban Dance und zeitgenössischem Tanz. Das größte jährliche Tanzfest in Deutschland zeigt seit 1989 ein breites Spektrum der wichtigsten Künstlerinnen, Künstler und Gruppen sowie Choreographien experimenteller Newcomer der internationalen Szene. www.tanzimaugust.de

Berlin

17. bis 21. August 2011 Festival über Lebenskunst Der Klimawandel fordert neue Perspektiven auf die westliche Lebensweise und das Verständnis von globaler Politik. Kann eine neue Kunst zu leben auch das Überleben sichern? Und was ist das „gute Leben“ angesichts der ökologischen Krisen? Das Programm des Festivals widmet sich mit künstlerischen und wissenschaftlichen Beiträgen diesen Fragen. In Performances, Workshops, Konferenzen und Lesungen kommen Aktivisten und Interessierte zusammen, um mit einem kulturellen Lebenswandel zu experimentieren. Haus der Kulturen der Welt Kontakt: Tel. 030-397-87217 www.ueber-lebenskunst.org

aus dem Stamm eines Mammutbaumes sowie Kopien von berühmten Kunstwerken wie der „Nofretete“. Den Mittelpunkt der Ausstellung bildet der „Regenwaldbaum“: Eine 43 Meter hohe Skulptur, die in den 100 Meter hohen Luftraum des Gasometers, der höchsten Ausstellungshalle Europas, ragt. Geschaffen wurde sie von dem Düsseldorfer Künstler Wolfgang Volz, der die Ausstellung mit kuratiert hat, in Zusammenarbeit mit dem Lichtgestalter Herbert Cybulska und dem Komponisten Sebastian Studnitzky. Dieser „Baum des Lebens“ steht symbolisch für die Schönheit und Fruchtbarkeit, aber auch für die Verletzbarkeit des ewigen Kreislaufes der Natur: Wechselnde Farb- und Klangimpressionen spiegeln die veränderten Stimmungen wider.

Unter den rund 230 Exponaten befinden sich auch Objekte der Erdgeschichte wie außergewöhnliche Gesteinsformationen, leuchtende Kristalle oder eine Scheibe

Oberhausen

Frankfurt

kritisch reflektiert. Schirn Kunsthalle Kontakt: Tel. 069-299882-0 www.schirn.de

bis 25. September 2011 Geheimgesellschaften wissen wagen wollen schweigen Geheimgesellschaften reichen von akademischen Bruderschaften bis zu mächtigen Wirtschaftsorganisationen. Es sind Gruppierungen mit unterschiedlichen politischen, ökonomischen oder religiösen Interessen. Doch eines haben sie gemeinsam: Sie operieren im Verborgenen. Die Ausstellung zeigt 100 Installationen, Skulpturen, Bilder und Videos von 52 internationalen Künstlern. Sie geht der Frage nach, inwieweit Geheimgesellschaften Mechanismen der Kunst widerspiegeln, und zeigt, wie ihre Riten und Symbole von Künstlern thematisiert werden. Auch politische Verschwörungen werden

bis 30. Dezember 2011 Gasometer Oberhausen Kontakt: Tel. 0208-8503730 www.gasometer.de

Mainz

11. August 2011 Staff Benda Bilili beim Rheingau Musik Festival Selbstgebaute Rollstühle sind ihr Fortbewegungsmittel – ihr Sound ist eine Mischung aus Rumba, Funk, Blues und Reggae. Staff Benda Bilili ist eine Band aus der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa, die aus einem Straßenmusikerprojekt hervorging. Die sechs Musiker eint ihre PolioErkrankung und die Vergangenheit als Obdachlose – aber auch ihre Leidenschaft für Musik und Kreativität. www.rheingau-musik-festival.de

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Schweiz

Luzern

bis 2. Oktober 2011 Shanshui Poesie ohne Worte? Der chinesische Künstler und

Oppositionelle Ai Weiwei hat zusammen mit dem Schweizer Kunstsammler Uli Sigg eine Ausstellung zur Landschaft in der chinesischen Gegenwartskunst kuratiert. Shanshui bedeutet wörtlich übersetzt „Berg-Wasser-

Malerei“ und steht für eine seit 1500 Jahren in China kultivierte künstlerische Ausdrucksform. Dahinter steht die Darstellung von Landschaften mit Pinsel und Tusche. Die Ausstellung zeigt die Fortführung und die Ausei-

nandersetzung zeitgenössischer chinesischer Künstler mit dieser Tradition. Zu sehen sind 70 Werke aus den Jahren 1994 bis 2011. Kunstmuseum Luzern Kontakt: Tel. 0041-31-3280944 www.kunstmuseumluzern.ch

Kochel am See

Evangelische Akademie Thüringen Kontakt: Tel. 036202-984-13 www.ev-akademie-thueringen.de

globale Herausforderung Public Health Schweiz Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut Kontakt: 0041-61-836 98 78 www.conference.public-health.ch

Veranstaltungen

Bielefeld

16. bis 17. September 2011 PharmaTopia – die Welt in 30 Jahren Fachtagung zum 30-jährigen Bestehen der Pharma-Kampagne Kontakt: Tel. 0521-60550 www.bukopharma.de

Dortmund

8. bis 10. September 2011 FA!R 2011 Die Messe zum Fairen Handel Fachtagung „Faire Schmuckstücke und gläserne LieferKetten“ Messe Westfalenhallen Dortmund Kontakt: www.fair2011.de

Freiburg

11. September 2011 Palästina, Israel, Deutschland – Grenzen der offenen Diskussion Café Palestine Freiburg e.V. Kontakt: cafepalestinefreiburg. blogspot.com/

Hamburg

19. bis 20. August 2011 Meer oder weniger? Über die „Benutzung“ eines Gemeingutes: Blaue Träume und graue Wirklichkeiten Erlebnismuseum BallinStadt 27. August bis 4. September 2011 Bosnien – Ein europäisches Land nach dem Krieg Heinrich-Böll-Stiftung Kontakt: Tel. 040-3895270 www.umdenken-boell.de

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5. bis 9. September 2011 Zwischen Ashram und Internet: Das moderne Indien aus deutscher Sicht 12. bis 16. September 2011 Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika auf dem Vormarsch – Weltordnung im Umbruch? Georg-von-Vollmar-Akademie e.V. Kontakt: Tel. 08851-78- 0 www.vollmar-akademie.de

Neudietendorf

Tutzing

23. bis 25. September 2011 Postfossile Revolution! Abschied vom fossilen Kapitalismus Evangelische Akademie Tutzing Kontakt: Tel. 08158-251-0 www.ev-akademie-tutzing.de Schweiz

7. bis 13. August 2011 Richte unsere Schritte auf den Weg des Friedens Friede im deutschen Kontext

Basel

25. bis 26. August 2011 Chronische Krankheiten - eine

TV-Tipp

Zürich

26. August 2011 Kulturelle Vielfalt für nachhaltige Entwicklungen Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt Theaterhaus Gessnerallee Kontakt: Tel. 0041-44-241-7267 www.coalitionsuisse.ch

marktplatz

Radio-Tipp

Samstag, 13. August

23:40-00:10, ZDFneo Mord, Macht und Intrigen. Geheimaktion Geronimo. Die Rätsel um den Tod von Osama bin Laden. Von Souad Mekhennet, Nicolai Piechota, Michael Renz und Frédéric Ulferts.

Montag, 15. August

20:15-22:25, ARTE Themenabend: HollywoodLatino. Bevor es Nacht wird.

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Bad Herrenalb

23. bis 24. September 2011 Nachhaltig Geld verdienen Kapital für die ökologische Wende Evangelische Akademie Baden Kontakt: Tel. 0721-9175-361 www.ev-akademie-baden.de

Der Spielfilm von Julian Schnabel, USA 2000, erzählt die Lebensgeschichte des kubanischen Schriftstellers und Dissidenten Reinaldo Arenas (1943-1990).

Sonntag, 14. August

9:30-10:00, DLF Amerika, wohin? (1/3). Die veränderte Rolle der USA in der Welt. Die Rolle der USA hat sich in der globalisierten Welt verändert, neue Mitspieler im Kampf um Märkte und Hegemonie wie China und Indien sind auf der Bühne erschienen, Amerika ist nach dem Irak-Krieg und der Finanzkrise militärisch wie ökonomisch geschwächt: ein Fall von „Imperial overstretch“ und ein Ende des Modells „Pumpkapitalismus“? Eine Gesprächsserie von Jochen Rack mit Susan Neiman, Hans Ulrich Gumbrecht und Michael Hochgeschwender. Der zweite Teil der dreiteiligen Serie wird am 21. August ausgestrahlt. Weitere TV- und Hörfunk-Tipps unter www.welt-sichten.org

Europa Asien Afrika Der Spezialist für besondere Reisen Unsere Reiseprogramme sind nachhaltig, aktiv und voller authentischer Erlebnisse. Seit 2009 sind wir als eines der ersten Unternehmen CSR-zertifiziert. – Gern schicken wir Ihnen unseren Katalog zu!

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Fachkräfte gesucht für die Arbeitsbereiche ... ... Kinderrechte für unsere Partnerorganisation Tambayan, Center For Children’s Rights, in Davao, Philippinen. Tambayan unterstützt Straßenkinder, insbesondere Mädchen, bei ihrem Bemühen um ein Leben in Würde. Um Tambayans bisherige Erfolge öffentlichkeitswirksam aufzuarbeiten und zu dokumentieren, damit sie anderen Kinderrechtsorganisationen als „Best Practice“ dienen können, suchen wir eine Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen mit Erfahrung in Kinderrechten und exzellenten Englischkenntnissen. Bitte senden Sie Ihre Bewerbung mit Angabe der „Bearbeitungsnr. 183082“ sowie „welt-sichten 2011.8“ an [email protected].

Die personelle Förderung des EED unterstützt unter anderem durch Vermittlung von Fachkräften den Aufbau von Kapazität und Kompetenz bei seinen Partnern.

... Maskulinität und innerfamiliäre Gewalt für unsere Partnerorganisation IWEM, Instituto Costarricense de Masculinidad, Pareja y Sexualidad in San Jose, Costa Rica. Die gute inhaltliche Arbeit von IWEM im Bereich Gender und Maskulinität soll durch ein PME-System optimiert werden. Im Vordergrund steht die Einführung eines Monitoringprogrammes zur Wirkungsbeobachtung um Einflüsse der Projekte und Maßnahmen messbar zu machen. Es soll gemeinsam ein strategischer Plan entwickelt und zum Thema PME und Wirkung fortgebildet werden. Bitte senden Sie Ihre Bewerbung mit Angabe der „Bearbeitungsnr. 173622“ sowie „welt-sichten 2011.8“ an [email protected].

... nähere Informationen unter

www.eed.de/fachkraefte

Individuelle Vorbereitung und ein Dreijahresvertrag mit den Leistungen gemäß dem Entwicklungshelfergesetz zählen zu den wichtigsten Leistungen, die Ihnen der EED anbietet.

Impressum Chefredakteur: Bernd Ludermann (bl) Redaktion: Tillmann Elliesen (ell), Gesine Kauffmann (gka), Volontärin: Saara Wendisch (saw) Adresse: Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main Briefe/Letters: Postfach/POB 50 05 50, D-60394 Frankfurt/Main Telefon: 069-580 98 138; Telefax: 069-580 98 162 E-Mail: [email protected] Korrespondent in Berlin: Dr. Johannes Schradi (di), Tel. 030-850 756 01, E-Mail: [email protected] Korrespondent in Brüssel: Heimo Claasen (hc), Tel. 0032-2-2178607, E-Mail: [email protected] Korrespondent in der Schweiz: Infosüd (is), Tel. 0041-(0)-313 984 050; E-Mail: [email protected] Ansprechpartner in der Schweiz: Brot für alle/Fastenopfer c/o Urs A. Jaeggi, Tel. 0041-(0)-33 251 16 44, E-Mail: [email protected] Ansprechpartner in Österreich: Michael Obrovsky (ÖFSE), Tel. 0043-1-3174010, E-Mail: [email protected]; Gottfried Mernyi, Kindernothilfe Österreich, Tel. 0043-1-5139330, E-Mail: [email protected] Ansprechpartner in Tschechien: Dr. Jiri Silny (Ökumenische Akademie), Tel./Fax 00420-272 737 077; E-Mail: [email protected] Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, Georgenkirchstraße 69/70, 10249 Berlin, Telefon: 030-28874833, Telefax: 030-80692095, Internet: www.m-public.de Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/InWEnt gGmbH. Beate Horlemann liefert die TV- und Hörfunktipps, Doris Regina Gothe die Personalia. Dieter Hampel betreut die Rezensionen.

Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. Referat Fachkräfte Ulrich-von Hassell-Straße 76 53123 Bonn Telefon 0049 (0) 228 81 01 25 21 [email protected]

www.welt-sichten.org Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. Vorsitzender: Hans Spitzeck, EED, Ulrich-von-Hassell-Str. 76, 53123 Bonn, E-Mail: [email protected] Mitglieder: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt (Stuttgart), Christoffel Blindenmission (Bensheim), Evangelischer Entwicklungsdienst (Bonn), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen), Assoziation Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (Oberursel) Geschäftsstelle: c/o „welt-sichten“ „welt-sichten“ erscheint monatlich. Preis der Einzel-Nr.: 4,80 Euro / 7,80 sFr zuzügl. Versandkosten Preis im Abonnement: 42,00 Euro; für Studierende: 31,50 Euro Der Herausgeberverein ist gemeinnützig (Vereinsregisternr. VR 14271; Amtsgericht Frankfurt am Main). Redaktionssekretariat: Ilse Odermatt, Bettina Dier Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick Druck: Henrich Druck+Medien, Frankfurt am Main Verlegerischer Dienstleister: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main

Gedruckt auf FSC-Papier: Min­­­des­­tens 70 Prozent des Roh‑ stoffs stammen aus FSC-zertifi‑ zierter Holz­wirtschaft.

ISSN 1865-7966 „welt-sichten“ ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“ und „eins Entwicklungspolitik“.

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Sie machen mit einem -Abonnement jemandem eine Freude – wir bedanken uns dafür mit einem Buch. Sie haben die Wahl: Verfolgen Sie die Lebensgeschichte eines tamilischen Widerstandskämpfers („Mit dem Wind fliehen“); oder lesen Sie, was der afrikanische Entwicklungsökonom Ousmane Sy von der internationalen Entwicklungshilfe hält („Vorwärts Afrika“).

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Im nächsten Heft

RÜSTUNG Im vergangenen Jahr haben die Staaten der Welt so viel Geld für Rüstung ausgegeben wie nie zuvor: 1,15 Billionen Euro. An der Spitze stehen die USA, gefolgt von China. Was treibt den internationalen und regionalen Rüstungswettlauf an? Und was wird getan, ihn zu stoppen? Wie sind Politik und Rüstungsindustrie miteinander verflochten? Künftige Kriege werden von völlig neuen Waffensystemen geprägt sein.

TEURE NAHRUNGSMITTEL

Sie schenken Denkanstöße: analysiert, hinterfragt, erklärt und macht neugierig. Die Zeitschrift bietet Reportagen, Interviews und Berichte über die Länder des Südens und globale Fragen. Jeden Monat direkt ins Haus. Ranjith Henayaka Mit dem Wind fliehen Horlemann-Verlag, 2010 320 Seiten

Ousmane Sy Vorwärts Afrika Horlemann-Verlag, 2010 168 Seiten

Die Preise für Nahrungsmittel sind in diesem Jahr erneut stark gestiegen. Tragen daran vor allem Spekulanten Schuld oder liegt es eher am Biotreibstoff-Boom? Unter den Folgen leiden vor allem die Armen in Entwicklungsländern.

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