Die Religion der Baul

January 12, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Religionswissenschaft, Hinduismus
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Die Religion der Baul-Gemeinschaft Eine Studie über eine Religionsgemeinschaft der Shudras und Kastenlosen in Indien

Kabita Rump

Hannover, 2000

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Inhaltsverzeichnis Einleitung

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Kapitel 1: Bauls als Gesellschaftsmitglieder Die Kastenzugehörigkeit Die verschiedenen Gruppen Die Musik und die Bekleidung Die finanzielle Lage der Bauls Das Akhara (die Wohngemeinschaft) Das eheähnliche Verhältnis mit der sadhana-sangini (der spirituellen Partnerin) Der kulturelle Beitrag Bauls und die Politik Die Freizeitaktivitäten Das Bild der Bauls in der bürgerlichen Gesellschaft in West Bengal Untersuchungsergebnisse

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Kapitel 2: Shri Caitanya und die Gründung der Baul-Gemeinschaft Bestimmungen über Shudras und Kastenlosen in den Dharmashastras Die vom Vishnu-Kult und vom Shakti-Kult geleistete Vorarbeit Shri Caitanya Die Gründung der Baul-Gemeinschaft Untersuchungsergebnisse Kapitel 3: Die philosophischen Gedanken und die Mystik der Baul-Religion Die Ansichten über die Welt und das Leben Prem (die Gottesliebe sowie die göttliche Liebe), der Weg zur Befreiung Sharira-tattva, Deha-tattva (die mystische Physiologie) Die vierundzwanzig Tattvas Ripus (Feinde) und Darajas/Duyaras (Türen) Naris (Kanäle im Körper) Cakras (Zentren) und die Kundalini-shakti im Körper Granthis (Knoten) im Körper Candra/Cãda (die Monde im Körper) Mukti (die Befreiung) in der Baul-Religion Untersuchungsergebnisse Kapitel 4: Die Gottesbilder der Baul-Religion Das von den Puranas beeinflußte Gottesbild Das vom Tantra beeinflußte Gottesbild Das vom Caitanya-Vaishnavismus beeinflußte Gottesbild

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3 Gott, der Purusha Gottes Wohnort Die höchste Wahrheit erscheint als Gott der fremden Religionen Untersuchungsergebnisse

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Kapitel 5: Feste, Rituale, Guru und die spirituelle Partnerin Die Melas (Treffen), die Feste Das Jayadeva-mela Untersuchungsergebnisse Das Kartabhaja-mela Untersuchungsergebnisse Das Paush-mela (das Treffen im Monat Paush) und das Magh-mela (das Treffen im Monat Magh) Untersuchungsergebnisse Rituale Der Mahotsava, im Dialekt: Macchaba (die große Feier) Untersuchungsergebnisse Das Malasa-bhoga (die Opferung der Speise im Tontopf) Untersuchungsergebnisse Das Kanthi-badal (der Austausch der Ketten) Untersuchungsergebnisse Der Caricandra(Vier-Monde)-Ritus Untersuchungsergebnisse Der Mahayoga (der große Yoga) Untersuchungsergebnisse Diksha (die Initiation) Untersuchungsergebnisse Shraddha (das Totenzeremonie) Untersuchungsergebnisse Guru Untersuchungsergebnisse Sadhana-sangini (die spirituelle Partnerin) Untersuchungsergebnisse

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Schluß

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Die Theorie

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Anhang: Baul-Lieder Index zu den Baul-Liedern Anhang: Lieder von Candidas über die Liebe zwischen Krishna und Radha Wort- und Namensindex Bibliographie Abbildungen

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Einleitung

Die wissenschaftliche Fragestellung Die hinduistische Gesellschaft ist in vier Kasten, Brahmana, Kshatriya, Vaishya und Shudra und die Kastenlosen geteilt. Die heiligen Schriften des klassischen Hinduismus untersagen den Shudras und Kastenlosen das Lernen der Veden, den Vollzug der vedischen Zeremonien (yajña) und die übliche Gottesverehrung (puja). Dies dürfen nur die drei oberen Kasten. Neben dem klassischen Hinduismus, der in den heiligen Schriften der Hindus präsentiert wird, bestehen in Indien mehrere Strömungen, die von den Shudras und Kastenlosen praktiziert werden. Über diese Strömungen gibt es bis heute fast keine wissenschaftlichen Arbeiten. Solche Arbeiten sind jedoch wünschenswert, da man sonst nicht weiß, wie die Shudras und Kastenlosen, die ebenso Hindus sind wie die Brahmanen, Kshatriyas und Vaishyas, ihre Religion praktizieren. Deshalb ist es nötig, daß die Religion der Shudras und Kastenlosen untersucht wird. Solche Untersuchungen werden das Bild vom Hinduismus vervollständigen. Die hier vorgelegte Studie möchte ihren Beitrag in diesem Sinne leisten. Sie ist eine analytische Darstellung der Baul-Gemeinschaft, die aus Shudras und Kastenlosen besteht und im Bundesstaat West Bengal, Indien, beheimatet ist. Die wissenschaftliche Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet: Was verstehen die Bauls unter Hinduismus, da sie doch die Veden nicht lernen dürfen und daher auch die Lehre der Veden nicht kennen können und wie üben sie den Hinduismus aus, da sie doch den Tempel nicht betreten und die Zeremonien nicht vollziehen dürfen; wie ist ihr Verhältnis zum klassischen Hinduismus; wie reagiert die Autorität der indischen Gesellschaft, die aus den drei oberen Kasten besteht, auf die religiösen Praktiken der Bauls und wie fügt sich die Baul-Gemeinschaft in diese bunte pluralistische Gesellschaft ein? Zur Beantwortung dieser Fragen wird eine Theorie entwickelt. Bisherige Arbeiten über die Baul-Gemeinschaft Die Bauls gelten unter den Intellektuellen im Bundesstaat West Bengal, Indien, als Kuriositäten. So gibt es zwar keine wissenschaftliche Arbeit über sie, die sie vollständig darstellt, aber es gibt hier und da einen Aufsatz oder ein Buch über diese Leute, die mit ihrer Freiheit die Intellektuellen faszinieren, vor allem auch deshalb, weil die Intellektuellen, die ausschließlich aus den drei oberen Kasten stammen, über die Rituale und Lebensbedingungen der Bauls wenig wissen. Solche Literaturen stellen die Bauls häufig als souveräne Rebellen dar, die über der Kastengesellschaft stehen. Als Beispiele können hier der Aufsatz Kakoli Banerjee: Die Bauls, Symbol der Revolte gegen die Orthodoxie, Indien, Perspektiven, Februar 1993, S. 10-13 und das Buch von Bhaskar Bhattacharyya: The Path of the Mystic Lover, Baul Songs of Passion and Ecstasy, genannt werden. Die Wahrheit sieht anders aus, wie die gegenwärtige Studie zeigt. Die Bauls bilden zwar für sich selbst eine subjektive Welt, in der sie ihre Würde bewahren können, aber die Geschehnisse in ihrem Umfeld lassen sie nicht kalt. Sie leiden, genau wie ihre Kastengenossen, unter gesellschaftlicher und finanzieller Benachteiligung. Es ist verständlich, daß gerade die Intellektuellen einer Gesellschaft, die im säkularen Bereich keine individuelle Freiheit erlaubt, da von den Dharmashastras jeder Schritt für die Mitglieder der drei oberen Kasten festgelegt ist, von den Bauls fasziniert sind. Die Bauls sind diejenigen, die sich der bestehenden Ordnung nicht

5 unterwerfen, indem sie verkünden, daß die Veden die wahre Religion nicht wiedergeben und daß die Bestimmungen der Dharmashastras kleinlich sind. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Bauls auf ihre Weise rebellieren, aber sie tun es, weil sie vom klassischen Hinduismus ausgeschlossen sind und nicht tatsächlich deshalb, weil sie nicht gerne die Religion der drei oberen Kasten praktiziert hätten. Kapitel 5, Feste und Rituale, zeigt, wie sie in Anlehnung an den Hinduismus ihre Feste und Rituale gestalten. Eine weitere Kritik der Autorin an Bhaskar Bhattacharyyas Buch ist die, daß er auch die Fakire und Derwische Bauls nennt, so daß man nicht weiß, ob die von ihm zitierten Lieder tatsächlich von den Bauls verfaßt worden sind oder von den Fakiren und Derwischen. Oft behandelt ein Buch die Bauls so oberflächlich, daß man, auch nachdem man das Buch gelesen hat, nicht viel über die Bauls weiß. Ein derartiges Buch ist P. Bandyopadhyay: Bauls of Bengal, Calcutta, 1989. Das Buch von Alokeranjan Dasgupta: Leben in Liedern, Meistertexte aus Indien und Bangladesch, Nürnberg, 1992 zitiert Liederfragmente, so daß die Strophen aus dem Zusammenhang gerissen sind. Außerdem vermittelt der Titel den Eindruck, als ob der Autor die zitierten Lieder in Indien und Bangladesh gesammelt hat, was höchstwahrscheinlich nicht der Fall ist. Wahrscheinlich meint Dasgupta, daß von ihm zitierte Lieder zum Teil aus Indien und zum Teil aus Bangladesh stammen, weil einige dieser Lieder vor dem 15.8.1947 verfaßt worden sind, als Pakistan und Bangladesh zu Indien gehörten. Es gibt zwei ernstzunehmende Bücher über die Bauls, Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1957, geschrieben auf Bengali, der Sprache des Bundesstaates West Bengal, und Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994. Wahrscheinlich hinderte seine Bewunderung für die Bauls Bhattacarya, dem Leser ein der Wahrheit entsprechendes Bild der Bauls zu vermitteln. Die Bauls wurden hier idealisiert. Frei von allen weltlichen Bedürfnissen suchen sie Gott. Sie leben in Einsamkeit und sind perfekte Asketen. Sie sind Yogis, die Feste und Rituale ablehnen und Gott im eigenen Körper suchen. Nun stimmt es, daß die Bauls Tantrayoga praktizieren und daher Gott im eigenen Körper suchen, und ihre Freizeit unter sich verbringen. Aber sie sind auch Gesellschaftsmitglieder wie alle anderen, die sowohl die weltlichen als auch die spirituellen Bedürfnisse spüren und auch dementsprechend handeln. Asketen, die Bhattacarya beschreibt, findet man im Himalaya. Diese Asketen üben aber nicht den Tantrayoga, sondern den Rajayoga, der keine Partnerin zuläßt. Gelobt werden muß jedoch die Liedersammlung, die Bhattacarya seinem Leser darbietet. Diese Sammlung enthält insgesamt 680 Baul-Lieder. Allerdings erläutert der Autor kein einziges Lied, so daß diese für die Mehrheit der Leserschaft unverständlich bleiben. Denn oft verfassen die Bauls ihre Lieder in einer Geheimsprache, so daß die Nichteingeweihten diese nicht verstehen. Das Buch des Anthropologen Manas Ray ist eine 132 Seiten umfassende Abhandlung über die Baul-Gemeinschaft. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf dem gesellschaftlichen Aspekt der Baul-Gemeinschaft. Die religiösen Praktiken der Bauls werden in diesem Buch auf 17 Seiten und die Rituale auf 8 Seiten abgehandelt. Ray zitiert, rechnet man die Fragmente dazu, 10 Baul-Lieder insgesamt, im Original, d. h. auf Bengali mit einer kurzen freien Übersetzung, da nicht hier der Schwerpunkt seiner Studie liegt. Das Buch ist jedoch interessant für Soziologen, da sich der Autor hier auf die gesellschaftlichen Aspekte der Baul-Gemeinschaft konzentriert. Ein weiteres nennenswertes Buch ist Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, weil er hier eine 16seitige Biographie seines Vaters Purnadas Baul präsentiert. Purnadas Baul gilt heute als der Kaiser der Bauls und dient vielen jungen Bauls, die berühmt und reich werden möchten, als Vorbild.

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Ressourcen und Methode Der Grund, warum es keine wissenschaftliche Studie über die Bauls gibt, obwohl die Intellektuellen im Bundesstaat West Bengal, Indien, sich für die Bauls interessieren, liegt wahrscheinlich darin, daß die Bauls keine heiligen Schriften haben. Die einzige Quellenliteratur hierfür sind die Baul-Lieder. Diese sind jedoch nicht auf Hochbengali, der Sprache der Gebildeten in West Bengal, sondern in den Dialekten des Bundesstaates verfaßt. Die gebildeten Bürger verstehen diese Dialekte nicht. Fast immer enthalten die Lieder grammatische und orthographische Fehler. Oft sind die Sätze unvollständig. Hinzu kommt noch, daß die Bauls ihre Lieder zwar vor allen Leuten singen, es aber niemandem erlauben das Manuskript, falls sie eines haben, einzusehen oder zu photographieren. Sie mißtrauen den drei oberen Kasten und meinen, daß diese ihre Religion nur falsch darstellen können, da sie doch den klassischen Hinduismus praktizieren und von der wahren Religion, d. h. selbstverständlich von der Baul-Religion, nichts verstehen. Dies bedeutet, daß wer eine wissenschaftliche Arbeit über die Baul-Gemeinschaft schreiben möchte, ihr Vertrauen gewinnen muß, damit die Bauls ihm überhaupt ihre Liedersammlung zeigen und interpretieren. Denn die auf Geheimsprache verfaßten Lieder sind ohne Erläuterung für die Hindus der drei oberen Kasten unverständlich, da sie mit den religiösen Praktiken der Shudras, hier der Bauls, nicht vertraut sind. Für mich war es möglich, das Vertrauen der Bauls zu gewinnen. Durch meine Schul- und Collegeausbildung an der Visva-Bharati University, Santiniketan, Bundesstaat West Bengal, bin ich mit vielen Bauls seit meiner Kindheit bekannt. Die Visva-Bharati University veranstaltet jedes Jahr zweimal (im Dezember und im Februar) ein Fest, zu dem sie unter anderen die Bauls einlädt. Bei diesem Fest lernte ich zum ersten Mal die Bauls kennen, als ich noch eine Schülerin war. Meine Ausbildung an der Visva-Bharati University, Santiniketan, die ein Schul- und Universitätsinternat ist, wurde im Jahr 1967 beendet. Meine Verbindung mit den Mitgliedern der Universität besteht jedoch bis heute. Jedes Mal, wenn ich meine Heimat besuche, besuche ich auch meine ehemaligen Lehrer und Professoren und seit 1984 auch die Bauls der Umgebung. Mein verstorbener Lehrer Brajagopal Gosvami machte mich während des dreitägigen Festes im Februar 1984 auf die Besonderheiten der BaulReligion aufmerksam und mit verschiedenen Bauls bekannt. Durch die Vermittlung von Herrn Gosvami gewann ich schnell das Vertrauen der Bauls der Umgebung. Auch Narayan Gosvami, ein Angestellter der Visva-Bharati University, half mir in dieser Beziehung. Er stellt immer die Liste der Bauls zusammen, die zum Fest im Februar eingeladen werden. So war es möglich, von ihm die Namen und Adressen von berühmten und weniger berühmten Bauls im ganzen Bundesstaat West Bengal zu erfahren. Der nächste Schritt bestand aus Gesprächen mit den Bauls. Jedes Mal, wenn ich in Indien war, habe ich möglichst viele Bauls besucht. Dabei habe ich nicht nur mir noch nicht bekannte Bauls, sondern auch mir schon bekannte Bauls besucht. Im Jahre 1994 war ich zum letzten Mal in Indien. Das letzte Gespräch führte ich jedoch am 06.08.98 in Detmold mit Purnadas Baul und seiner Frau Mañjudasi Baul, die auf einer Europa-Tournee waren. Die Bauls in Indien haben mir ihre Lieder erläutert. Ohne diese Lektüre wäre es für mich nicht möglich, eine Arbeit über die Baul-Gemeinschaft zu schreiben. Ich sagte ihnen jedoch nicht, daß ich eine Arbeit über sie schreiben wollte, da dies ihr Mißtrauen hätte erwecken können. Deshalb sind die Interviews auch nicht auf dem Tonband festgehalten worden. Um die intersubjektive Nachprüfbarkeit zu gewährleisten, sind alle namentlich genannten Bauls in dieser Arbeit mit ihrem Wohnort erwähnt worden. Während der Feldstudie gab es außer den durch die Verkehrsmittel bedingten keine besonderen Probleme. Nicht alle Wohnorte der Bauls konnten mit dem

7 Omnibus erreicht werden. Aber auch das Verkehrsmittelproblem konnte mit Hilfe der Riksha gelöst werden. Was die Gespräche mit den Bauls angeht, erwähnte ich gleich bei der Vorstellung, daß ich mit Brajagopal Gosvami, Narayan Gosvami und einigen anderen Bauls bekannt war. Dies beeinflußte die Feldstudie positiv. Die Liedersammlung, die Entzifferung ihrer Geheimsprache und das Interview geschah am selben Tag und gingen ineinander über. Ich respektierte die unbürokratische und langsame Art der Bauls und war nicht enttäuscht, wenn an einem Tag mein Besuch bei einem Baul nicht viel Material hergab. Um die Lieder sprachlich zu verstehen, mußte ich die Dialekte lernen, was nicht besonders schwierig war. Die materiellen Grundlagen der vorliegenden Arbeit bilden die publizierten und die noch nicht veröffentlichten Baul-Lieder, Gespräche mit den Bauls und ihren Partnerinnen, die in verschiedenen Dörfern des Bundesstaates West Bengal wohnen, Gespräche mit den Mitgliedern der drei oberen Kasten des genannten Bundesstaates und die eigene Beobachtung. Weitere wichtige Quellenliteraturen dieser Untersuchung sind die von Krishnadas Kabiraj geschriebene Biographie von Caitanya Shri-shri-caitanya-caritamrita und andere Schriften des Caitanya-orientierten Vaishnavismus in West Bengal, da die Baul-Gemeinschaft aus diesem Zweig des Hinduismus entstanden ist. Diese Schriften sind auf Bengali verfaßt. Für die Gewinnung von Erkenntnissen und die Entwicklung einer darauf basierten Theorie wurde ein hermeneutischer Ansatz verfolgt. Hierbei sind die Untersuchungsobjekte mit methodischer Distanz „von außen“ betrachtet und begriffen worden. Gleichzeitig ist aber auch das Nachvollziehen der Gedanken der Bauls berücksichtigt worden. Daher ist die Darstellung des Phänomens „die Baul-Gemeinschaft in dieser Arbeit keine wertende Beschreibung dieses Glaubens, sondern eine Untersuchung einer zeitgenössischen religiösen Bewegung. Daher sind auch Werturteile fällende Begriffe wie Irrlehre oder Aberglaube vermieden worden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß hier die Religion einer Gesellschaftsschicht beschrieben wurde, ohne zu fragen, was diese bewogen hat, dieses oder jenes zu glauben und zu wollen. Es ist aber nicht das Ziel dieser Arbeit, die objektive Wahrheit dieser Grundüberzeugung herauszufinden. Mit einer methodischen Untersuchung versucht diese Arbeit, die religiösen Denkweisen der Bauls zu rekonstruieren und ihre religiösen Handlungsweisen nachvollziehbar zu machen. Hier waren auch Vergleiche mit dem klassischen Hinduismus notwendig, um festzustellen, wo die Baul-Gemeinschaft das klassische Modell akzeptiert und wo sie sich von ihm trennt und für sich selbst neue Denk- und Handlungsweisen entwickelt. Die in der Geheimsprache verfaßten Lieder ließ ich mir zunächst von den Bauls erläutern und erklären. Um die Objektivität bzw. die Richtigkeit der Erläuterungen und Erklärungen gegenzuprüfen, bin ich mit dem selben Lied zu mehreren Bauls gegangen, bis ich in der Lage war die Codes selbst zu entziffern. Die Lieder sind in dieser Arbeit nach inhaltlichen und philologischen Gesichtspunkten gründlich untersucht und analysiert worden, da diese die Hauptquellen dieser Arbeit sind. Die Gespräche mit den Bauls und Nicht-Bauls stehen als die Quellen an der zweiten Stelle. Die Lieder und die Gespräche sind zunächst getrennt untersucht und dann miteinander verglichen worden. Die Ergebnisse des Vergleichs sind, wo möglich, durch eigene Beobachtungen ergänzt worden. Die Bücher über den Caitanyaorientierten Vaishnavismus sind auf dem Buchmarkt in Indien erhältlich.

8 Technische Einzelheiten Die Sanskrit- und die Bengali Wörter sind in dieser Arbeit in Klammern stets klein geschrieben, da die genannten Sprachen keine Groß- und Kleinbuchstaben kennen. Wo diese Wörter aber in einem deutschen Satz integriert worden sind, sind sie der deutschen Orthographie entsprechend groß oder klein geschrieben. Die Komposita werden weder im Sanskrit noch im Bengali mit Bindestrich geschrieben. Die vorliegende Arbeit tut dies trotzdem, um dem Leser entgegenzukommen. Allerdings geschieht dies nach Ermessen der Autorin, so daß der Leser hier und da ein Kompositum ohne Bindestrich vielleicht doch lieber mit Bindestrich vorgefunden hätte. Es kommt vor, daß der Duden das Geschlecht eines Sanskrit-Wortes mißachtet, so wird z. B. der Mantra auf Sanskrit im Duden als das Mantra zitiert. In solchen Fällen sind immer die Artikel nach der Sanskrit-Grammatik bevorzugt worden. Die Leser werden darauf hingewiesen, daß viele in Indien publizierte Bücher keine Angabe über das Erscheinungsjahr haben, so daß in der Bibliographie diese Bücher ohne Jahr zitiert worden sind. Erläuterungen 1. In der vorliegenden Studie wird Baul-dharma als Baul-Religion übersetzt. Der Begriff Baul-Religion identifiziert sich mit der Emotion, dem Instinkt, Kult, Ritual, der Wahrnehmung, Beobachtung, dem Glauben, der Mystik und den metaphysischen Gedanken der Baul-Gemeinschaft. 2. In dieser Arbeit werden die Begriffe Ishvar und Bhagavan als Gott und prem bzw. Krishna-prem des Caitanya-Vaishnavismus als Gottesliebe übersetzt. 3. Klassischer Hinduismus: In dieser Arbeit wird der Hinduismus als der klassische Hinduismus bezeichnet, der die Veden und die Upanishaden für unfehlbar hält, die Weisungen der Dharmashastras und der Puranas einhält und die Epen Mahabharata und Ramayana für richtunggebend hält. 4. Die Leser werden darauf hingewiesen, daß sowohl die tatsama (das selbe wie das) als auch die tatbhava (aus dem entstanden) Bengali Wörter nicht immer die gleiche Bedeutung haben, wie die original Sanskrit-Wörter. 5. Die Leser werden darauf hingewiesen, daß die tasama und die tadbhava Bengali Wörter oft anders buchstabiert werden als entsprechede Sanskrit-Wörter, z. B. Kavita und Devidas werden auf Bengali Kabita und Debidas buchstabiert.

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Kapitel 1 Bauls als Gesellschaftsmitglieder Bauls sind Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, die Caitanya (s. Kapitel 2) ihren Urguru nennt und seiner Lehre nach eigener Interpretation folgt. Sie sind heute im Bundesstaat West Bengal beheimatet. Vor der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 gab es auch im heutigen Bangladesh Bauls. Heute leben die Bauls im Bundesstaat West Bengal. Dieses Kapitel untersucht die Besonderheiten der Bauls, die ihnen eine individuelle Identität in der indischen Gesellschaft verleihen. Die Kastenzugehörigkeit Die Baul sind fast ausschließlich Shudras und Kastenlose. Als Folge ihrer Kastenzugehörigkeit sind sie auch meistens Analphabeten. Manche Bauls, die meinen, daß ihren Kindern es einmal besser gehen sollte als ihnen selbst, schicken sie zur Schule. Aber es ist nicht selbstverständlich, daß die Dorfgesellschaft es akzeptiert. Es ist vorgekommen, daß die Dorfgemeinschaft sich dagegen entschieden hat, daß ihre Kinder mit den Kastenlosen in eine Schule gehen. In solchen Fällen verweigert die Dorfschule dem Baul-Kind den Schulbesuch.1 Es gibt einzelne Bauls, die ursprünglich zu einer der oberen Kasten gehörten. Ursprünglich deshalb, weil Jeder aus den oberen Kasten, der in die Baul-Gemeinschaft eintritt, seine ursprüngliche Kaste verliert und zum Kastenlosen wird, da er gegen die kastenbezogenen Regeln verstoßen hat. Denn die Dharmashastras verbieten den Mitgliedern der drei oberen Kasten den Umgang mit den Shudras und Kastenlosen.2. Hat man einmal seine Kastenzugehörigkeit verloren, ist die Rückkehr zum Elternhaus nicht mehr möglich. Denn in diesem Falle hätten auch die Eltern ihre Kastenzugehörigkeit verloren. Die soziale Sicherheit ist der einzige Grund, warum sie in diese Gemeinschaft eintreten. Als gewöhnlicher Bettler wird man oft abgewiesen, aber sobald man als ein religiöser Mensch auftritt, z. B. als Sadhu oder Baul, empfängt man Almosen und finanzielle Unterstützung bei Krankheitsfällen. Deshalb kommt es vor, daß hier und da ein Arbeitsloser aus der oberen Kaste in die Baul-Gemeinschaft eintritt, wie es z. B. bei Debidas Baul der Fall ist. Er, wohnhaft in Sãithiya, trat die in Gemeinschaft ein, als er wegen seiner schlechten Gesundheit seinen Arbeitsplatz verlor. Er wurde als Brahmane geboren. Jayadas Baul, wohnhaft Suripara, Bolpur, wurde in einer Brahmanenfamilie geboren. Nachdem er seine Stelle verloren hatte, trat er in die Baul-Gemeinschaft ein. Auch die ehemaligen Kriminellen ohne berufliche Perspektiven finden eine Zuflucht bei dieser Gemeinschaft. Santiram Das Baul, wohnhaft Mallarpur, war für seine kriminellen Tätigkeiten bekannt. Er wurde wegen eines Raubüberfalles verhaftet und bestraft. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis trat er in die BaulGemeinschaft ein.

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Siehe Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 2 Vgl. z. B. Gautama-Dharmashastra XX, 2, Vashistha-dharmasutra I, 19-22

10 Die verschiedenen Gruppen Die Maluidhari- und die Kistidhari-bauls Die Baul-Gemeinschaft besteht aus zwei Gruppen, Maluidharis, d. h. Bauls, die eine ovale ausgehöhlte Kokosnußschale und Kistidharis, d. h. Bauls, die eine längliche ausgehöhlte Kokosnußschale immer bei sich haben. Diese Schale dient als Eß- und Trinkgeschirr und ist den Bauls heilig. Sie müssen dieses Geschirr immer mit sich tragen. Im ersten Augenblick scheint die Gruppierung nach dem Geschirr sinnlos zu sein. Aber sie unterscheiden sich nicht nur durch das Geschirr, sondern auch durch die Verhaltensweise. Die MaluidhariBauls dürfen nur einmal am Tag den Almosengang gehen. Alles, was sie am Tag als Almosen empfangen, teilen sie in drei Teile, einen Teil für den Urguru Caitanya, den sie liebevoll Mahaprabhu (großer Gott) nennen, den zweiten Teil für den direkten Guru und den dritten Teil für sich selbst. Der Anteil für Caitanya wird das ganze Jahr lang gesammelt, um damit das große alljährliche Fest Mahotsab (s. Kapitel 5) zu feiern. Die Kistidhari-Bauls haben keine solchen festen Regeln, was den Almosengang und Almosenertrag betrifft. Beide tragen eine große Tasche (ãcla) aus Baumwolle während des Almosengangs. In dieser Tasche tragen sie ihr Geschirr. Sie dient auch als die Tragetasche für den Almosenertrag. Tatsächlich gibt es aber genügend Maluidhari-Bauls, die mindestens zweimal den Almosengang gehen. Für die Maluidhari-Bauls sind Fisch, Fleisch, Eier, Zwiebeln und Knoblauch verboten. Dies entspricht einigen Bestimmungen von Manusmriti V, 5 und 1115. Diese Restriktionen gelten nicht für die Kistidhari-Bauls. Eine Kette aus den Samen der Tulsi-Pflanze (Basilikum) ist obligatorisch für die Maluidhari-Bauls, da Tulsi für die Caitanya-Vaisnavs heilig ist.3 Die Kistidhari-Bauls tragen mehrere Ketten aus Quarz, Glas und Holzperlen. Im täglichen Leben unterscheiden sich die beiden Gruppen voneinander nicht so sehr, daß ein Außenstehender einen Maluidhari-Baul von einem Kistidhari-Baul unterscheiden kann. Da die Bauls von Natur aus aufgeschlossen sind, findet der Austausch zwischen den beiden Gruppen statt. Die Udasi-Bauls (die heimatlosen Bauls) und die Grihi-Bauls (die niedergelassenen Bauls) Purnadas Baul, auch Purnacandra Das Baul genannt, unterscheidet zwischen den heimatlosen (udasi-baul) und niedergelassenen (grihi-baul) Bauls. 4 Die heimatlosen Bauls sollen idealerweise Gottsucher ohne weltliche Bindungen sein. Der ständige Wohnortwechsel soll auch die Absage an alles ausdrücken, was sie an das Weltliche bindet. In Wirklichkeit aber sind es finanzielle Überlegungen, die sie zum Ortwechsel zwingen. Ein Dorf, wo sie neu ankommen, wo man sie noch nicht kennt, zeigt sich gebefreudiger. Wenn sich hier eine gewisse Müdigkeit bei der Almosengabe bemerkbar macht, ziehen sie weg. Die niedergelassenen Bauls wohnen in einer Wohngemeinschaft im Dorf (s. unten).

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Vgl. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Madhyalila XV, 7-9 Purnadas Baul: Banglar baul gan, Kalikata, 4

11 Die Musik und die Bekleidung Der Stellenwert der Lieder Die Musik hat bei den Bauls einen hohen Stellenwert. Sie ist nicht nur die Ausdrucksform ihrer Gedanken, sondern auch das einzige Mittel zur Konservierung ihrer Religion. Durch ihre Lieder verkünden sie ihre Botschaft. Deshalb sind diese Lieder ihre heiligen Schriften. sie sind zum Teil überliefert, zum Teil selbstverfaßt. Die Bauls sind freudige Liedermacher. Purnacandra Das Baul schreibt: „Diese Lieder sind die spirituellen Übungen der Bauls. In diesen Liedern eröffnen sie die wahre Lehre (ihrer) Religion (dharma-tattva)“5 und „Sie suchen den Menschen ihres Herzen (d. h. Gott) durch die Lieder.“6 Ferner schreibt er: „Sie haben all ihre Freude in den Liedern. Sie existieren in den Liedern. (. . .) Sie beleben die Gegend mit ihren Liedern und wecken die Menschen aus dem Schlaf. Durch ihre Lieder deuten sie an: ‘Ich suche den Menschen des Herzens, komm, schließt euch mir an!’“7. Die Zitate zeigen eindeutig die hohe Meinung der Bauls gegenüber ihrer Liedern. Die Musik ist auch das Kapital, mit dem die Bauls ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Nachfrage nach dieser Musik ist aber sehr gering. Im Normalfall dient sie dem Almosengang. Ist die Musik gut, kann auf einen guten Ertrag gehofft werden. Daher singen sie neben den selbstverfaßten und vom eigenen Guru überlieferten Lieder, auch gerne populäre Baul-Lieder, die nicht von fremden Gurus verfaßt oder überliefert sind.8 Themen der Lieder Die Mehrheit der Lieder beinhalten religiöse Themen. Die Lieder über den Tantrayoga sind in einer Geheimsprache (heyali) verfaßt (s. Anhang Baul-Lieder), damit der Nichteingeweihte den Inhalt nicht versteht. Dies tun die Bauls, weil sie meinen, daß die Hindus aus den drei oberen Kasten ihre Religion falsch verstünden, wüßten sie alles über den Tantrayoga. Neben den religiösen Themen, enthalten die Lieder auch Gesellschaftskritik (s. Anhang Baul-Lieder). Die Vielfältigkeit der Lieder beweist eindeutig, daß die Bauls sich gedanklich nicht nur mit der Spiritualität befassen. Als benachteiligte Gesellschaftsmitglieder beobachten sie die Wirtschaftslage und die Gesellschaft Indiens mit besonderem Interesse. Da die Lieder gewöhnlich mündlich überliefert werden, kommt es vor daß die Bauls vom selben Lied voneinander abweichende Versionen singen. Anlässe zur Liederpräsentation Die Bauls singen beim Almosengang, großen und kleinen Treffen (mela, s. Kapitel 5), bei den Festen und Feiern und wenn sie gerade dazu Lust haben. Manchmal werden sie als Volksliedsänger zu Konzerten eingeladen. Einzelne Bauls, wie Purnadas Baul, erhalten manchmal einen Auftrag für einen Auftritt im Fernsehen. Hier treten sie nicht als das Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, sondern als Volksliedsänger auf.

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Ibid., 7 Ibid., 3 7 Ibid., 5 8 Vgl. ECSD 2525, Stereo, The Gramophone Co. of India Ltd, 1975 6

12 Art der Darbietung Die Bauls singen ihre Lieder solo sowie im Duett mit ihren Partnerinnen oder mit einem anderen Baul. Sie singen auch gerne in zwei Gruppen. Die männlichen Bauls tanzen gern beim Singen. Der Tanz hat keine festen Schrittregeln. Der singende Baul schreitet graziös nach vorne und hinten und gestikuliert mit den Händen. Je weiter das Lied voranschreitet, umso schneller werden die Schritte und zum Schluß dreht er sich mit schnellen Schritten im Kreise. In diesem Abschnitt fordert der Sänger die zuhörenden Bauls auf, zusammen mit ihm den Namen Hari laut zu rufen. So rufen jetzt alle anwesenden Bauls „Hari Hari“. Man glaubt, daß der Sänger sich in dieser Phase in der Ekstase befindet. Dieser Tanz ist bei den Zuschauern sehr beliebt. Die älteren von ihnen sitzen oft beim Singen.Die weiblichen Bauls tanzen nicht. Sie singen stehend und gestikulierend. Eine neue Art der Darbietung war am 06. 08. 1998 in Detmold zu beobachten. Hier begleitete eine nicht professonelle indische Tänzerin den Gesang von PuraDas Baul und seiner Gruppe. Die Gruppe bestand aus Purnadas Baul, seiner spirituellen Partnerin Mañjudasi, seinem Sohn Bapidas Baul, der Tänzerin und zwei weiteren Bauls (?). Die Autorin hat in Indien keine Darbietung der Bauls beobachtet, an der eine Tänzerin teilnahm. Auf die Frage der Autorin erkärte Mañjudasi, daß die Tänzerin eine junge Studentin der Visva Bharati University, also der Universität von Tagore (s. unten) war, die gerne mitreisen wollte. Da ihr Vater die Flugkarte nach Europa bezahlte, hatte der Gruppenleiter nichts dagegen, daß sie mit der Gruppe reiste und an der Darbietung teilnahm. Instrumente Die Bauls begleiten ihren Gesang mit Musikinstrumenten. Am häufigsten benutzen sie hierfür das Instrument Ektara (das Instrument mit einer Saite) oder Dotara (das Instrument mit zwei Saiten). Sie bauen diese Instrumente selbst. Purnadas Baul, der gerne in erner Gruppe singt, zu der sein Sohn Bapidas Baul und seiner Frau Mañjudasi Baul gehören, benutzt zusätzliche Instrumente, wie Nupur (Zwei ovale Ringe aus Kupfer mit zahlreichen Kügelchen, die an den Knöcheln getragen werden), Ghunghur (zwei Rasselinstrumente, jedes aus 21 kleinen Glocken und einer dicken Bauwollschnur gebaut, die an den Knöcheln getragen wird, ) und Dupki (eine kleine Trommel, die um die Taille gebunden wird). Dugi (eine kleine tragbare Trommel). Bei seiner Darbietung am 06.08.1998 in Detmold haben seine Frau Mandira (ein paar kleine kegelformige Scheiben aus Messing), sein Sohn Khamak (ein Saiteninstrument) und zwei weitere Mitglieder der Gruppe Flöte und Khol (eine längliche faßähnliche Trommel) gespielt. Der Stil und die Melodie Der Stil und die Melodie der Baul-Lieder sind ähnlich wie die bengalische Volksmusik. Daher gelten die Baul-Lieder als bengalische Volksmusik,9 wobei jeder Baul das Lied musikalisch nach seinem Geschmack interpretiert. Die Melodie ist eintönig, die Inhalte interessant für die Fachwelt.

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S. Sukumar Ray: Folk-Music of Eastern India, Calcutta, 1988, 81-86

13 Bekleidung Die männlichen Bauls tragen einen knöchellangen Rock, ein loses Hemd und ein mantelartiges Übergewand, das die Knie bedeckt. Oft binden sie ein langes schmales Tuch, das mit einem Schal verglichen werden kann, um die Hüfte. Die traditionellen Bauls tragen das indische Hemd, aber mittlerweile ist auch das europäische Hemd unter den Bauls beliebt. Manche Bauls tragen anstatt eines Rockes das Dhuti. Dhuti ist das traditionelle Kleidungsstück im Bundesstaat West Bengal. Dies ist ein ca. vier Meter langes und 1,20 m. breites nahtloses Tuch mit ca. 1 cm breiter Borte auf beiden Seiten, das um die Hüfte gewickelt wird. Die Bauls wickeln es aber nicht traditionsgemäß mit Falten, sondern tragen es wie einen Rock. Das Lendentuch der Bauls heißt Kaupina. Das erste Lendentuch des Bauls wird von seinem Guru rituell gereinigt. Viele Bauls tragen einen Turban. Alle Kleidungsstücke dürfen entweder weiß oder safran (geruya) sein. Gerua ist auch die Farbe, welche die hinduistischen Asketen (sannyasi) in Indien tragen. Die weiblichen Bauls tragen, wie alle Frauen in West Bengal, eine Bluse und einen Sari. Auch diese sind entweder weiß oder orange. Die männlichen und weiblichen Bauls tragen außerhalb ihrer Wohnung ihre große weiße oder orange Baumwolltasche (ãcla) mit. In dieser Tasche haben sie alles, was sie unterwegs brauchen könnten, z. B. das eigene heilige Geschirr. Die männlichen und weiblichen Maluidhari-Bauls tragen den Rosenkranz aus Basilikum (tulsi), wobei die Angehörigen der Kistidhari-Gruppe sich alle Sorten Rosenkränze umhängen, z. B. Rosenkänze aus Holz, Glas und Quarz. Die weiblichen Bauls tragen Armreifen aus Glas und Metall. Manche weiblichen Bauls, welche die Kanthi-badal-Zeremonie vollzogen haben (s. Kapitel 5), tragen auf ihrem Scheitel die traditionelle rote Farbe (sindura), die zeigt, daß die Frau verheiratet ist. Alle Bauls tragen lange Haare. Die männlichen Bauls tragen einen muschelartigen Dutt etwas rechts oder links hoch am Hinterkopf. Die weiblichen Bauls tragen den traditionellen indischen Dutt. Die finanzielle Lage der Bauls Obwohl die Bauls in ihren Liedern immer wieder die Bedeutungslosigkeit des weltlichen Vermögens besingen (s. Anhang Baul-Lieder), leiden sie doch unter Armut. Denn auch wenn manche Bauls eine fast regelmäßige Einkunft haben, die sie als Bauern, Fischer, Dienstboten oder Tagelöhner für ihre Tätigkeit empfangen, gehören sie zu den Armen. Da ihr Einkommen, für die Lebensunterhaltskosten nicht ausreicht, sind sie immer verschuldet. Häufig lassen sie sich ihr Gehalt, mindestens aber einen Teil davon, im voraus bezahlen. Da es aber immer vorausbezahlt werden muß, um die laufenden Kosten zu decken, werden die Schulden nicht getilgt. Der Sohn erbt die Schulden des Vaters. In Streitfällen entscheidet das Dorfgericht, das aus den Hindus aus den drei oberen Kasten besteht. Häufig müssen die Kinder einer Baul-Familie mitverdienen. Bei Krakheitsfällen und zusätzlichen Verpflichtungen, wie etwa bei Festen, erhalten sie von den wohlhabenden Dorfbewohner finanzielle Unterstützung. Manchmal wendet sich der Baul vertrauensvoll in seiner Notlage an die Muttergöttin Kali (s. Anhang Baul-Lieder). Bauls, die Ihre Musik als Kunst verkaufen und damit relativ gutes Geld verdienen, gehören zu den Ausnahmen.10 Die Mehrheit der Baul sind Almosenempfänger. Man muß sie jedoch von den gewöhnlichen Bettlern unterscheiden. Die Bauls bringen den Weltlichen eine religiöse Botschaft und empfangen als Gegenleistung dafür die Almosen. Das Leben von Almosen gilt in Indien als eine Tugend, wenn es aus religösen Gründen geschieht. Es deutet 10

S. den Bericht über Purnendudas Baul in Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 4-11

14 auf die Besitzlosigkeit und Weltentsagung hin. Auch Caitanya, der Urguru der Bauls, lebte von den Spenden seiner Anhänger (s. Kapitel 2). Die Bauls üben ihren Almosengang im eigenen Dorf, in den Nachbardörfen und seit einigen Jahren auch im Zug. Wenn sie einen Zug nehmen, wählen sie die Entfernung so, daß sie auch am selben Tag wieder zurückkommen können. Eine Fahrkarte wird von ihnen nicht verlangt. Der Ertrag, den sie im Zug erzielen, ist nicht zu verachten, denn mit ihrem Gesang unterbrechen die Bauls die Langeweile der Fahrgäste. Hier wird von den Zuhörern nur Geld gegeben, wobei im Dorf die Almosen aus Geld oder Lebensmittel bestehen kann. Da für die Planung des Haushaltes das Geld vom Vorteil ist, bevorzugen manche jüngere Bauls den Almosengang im Zug anstatt im Dorf. Ältere und traditionelle Bauls verachten den Almosengang im Zug, da diese Art des Almosengangs nicht der Tradition entspricht. Es gibt mittlerweile einige wenige Bauls, die als Volksliedsänger bekannt geworden sind. Neben ihren Almosen, verdienen sie als Gastsänger bei verschiedenen Veranstaltungen. Sie singen im Radio und treten im Fernsehen auf. Von manchen dieser Bauls gibt es auch Schallplattenaufnahmen.11 Der Erfolg dieser Bauls wird in Indien von den Bauls und Baulbewunderern etwas übertrieben dargestellt. In diesem Zusammenhang wird gerne von Purnadas Baul und Debidas Baul12 gesprochen. Es wird angedeutet, daß diese beiden Bauls nicht nur in Indien sondern auch in Europa und in den USA (Purnadas Baul) erfolgreich waren. Will man mit dem „Erfolg“ meinen, daß diese Musikaufführungen den Bauls selbst für ihre Verhältnisse viel Geld gebracht haben (1 Rupee = 0,05 Pf.) ist die Aussage korrekt. Der relative Erfolg von Purnadas Baul und Debidas Baul ist aber groß in den Augen der Bauls, die in Armut leben. So kommt es nicht selten vor, daß ein in Europa lebender Inder von den Bauls gefragt wird, ob die Organisation eines Konzertes für sie im Westen nicht möglich sei. Sagt man ihnen, daß in Europa für ihre Musik nicht genügend Interesse besteht, so glauben sie es nicht und nennen das Beispiel Purnadas Baul, der keinen Almosengang geht. Es ist schwierig ihnen begreiflich zu machen, daß heute die indische Musik im Westen von keinem Bob Dylan oder George Harrison gefördert wird, und daß der heutige Jugend im Westen Nirvana, die toten Hosen, Rap oder Techno hören. Die Deutsch-Indische Gesellschaft in Hannover kann für 1999 Purnadas Baul nicht nach Deutschland einladen, weil sie mit hohem Verlust rechnet. Der günstige deutsche Wechselkurs läßt es für die Bauls in West Bengal so erscheinen, als ob im Westen die Nachfrage für die Baullieder groß ist und daß die Bauls hier daher großes Geld machen können. Das Akhra (die Wohngemeinschaft) Die Wohngemeinschaften der Bauls werden Akhras bzw. Ashrams genannt. Sie sind mit einer indischen Großfamilie vergleichbar. Zwei Generationen wohnen hier. Die Anerkennung der Autorität der älteren und die Fügsamkeit der jüngeren Generation sorgt für das friedliche Zusammenleben. Die Lässigkeit und der Liberalismus, wovon die meisten Besucher beeindruckt sind, müssen sich innerhalb dieses Rahmens bewegen. Die Bewohner einer Wohngemeinschaft fühlen sich geistig mit Nityananda, dem Schüler des Urguru Caitanyas (s. Kapitel 2), verwandt. Da alle Bauls mit Nityananda verwandt sind, gehören alle Wohngemeinschaften zu der gleichen Familie (paribar), nämlich zu der Familie Nityananda (nityananda-paribar). Dieser Brauch ist offensichtlich an das Gotra-System der Kasten11

Vgl. Indian Street Musik, The Bauls of Bengal, Explorer Series, H-72035 (stereo), Nonesuch Records, New York 12 Wieviel Purnadas Baul für seinen Auftritt am 06.08.98 in Detmold verlangt hat, konnte nicht ermittelt werden. Debidas Baul verdiente 1981 ca. 2000 Rupeen in Europa

15 Hindus angelehnt. Jeder Hindu aus einer der drei oberen Kasten trägt zusätzlich zu seinem Namen einen Gotra-Namen. Der Gotra-Name zeigt von welchem vedischen Gelehrten seine Familie ursprünglich abstammt. Alle Hindus, welche den gleichen Gotra-Namen tragen, sind miteinander verwandt und dürfen deshalb einander nicht heiraten.13 Das Gefühl, daß sie alle zu der Familie Nityananda gehören, zeigt sich auch in der Begrüßungsformel der Bauls. Die Bauls grüßen einander nicht mit „Namaskara“ (Salutation), wie es im Bundesstaat West Bengal üblich ist, sondern mit „Jaya guru“ (Heil dem Guru), oder „Jaya Nitai“ (Heil dem Nitai, d. h. Nityananda) oder „Jaya Radhe“ (Heil der Radha). In einer Wohngemeinschaft wohnen ausschließlich Bauls und ihre spirituellen Partnerinnen. Kinder sind hier nicht erlaubt. Die Struktur dieser Wohngemeinschaften hat einen Familiencharakter. Wie die Bauls sich gegenseitig anreden, deutet darauf hin, daß sie diese als eine Familie betrachten. Der Guru der Einrichtung wird als Vater-Guru (baba-gõsai) und seine Partnerin als Mutter-Guru (ma-gõsai) angesprochen. Die Schüler sprechen sich gegenseitig als Rituelle Brüder (guru-bhai) an. Dem entsprechend heißen alle Frauen, außer der Partnerin des Gurus, Rituelle Schwestern (guru-bona). Die Partnerin des Schülers wird vom Guru selbst ausgesucht. Sie wird nicht als die Ehefrau (patni, in West Bengal auch stri) des Schülers, sondern als die Partnerin für die spiritullen Übungen (sadhana-sangini) bezeichet. Theoretisch wird die Partnerin des Schülers nur nach ihrer religiösen und yogischen Fähigkeit ausgesucht. Der Partner wird von seiner Partnerin niemals mit Vornamen, sondern immer als Gõsai oder Thakur (in diesem Zusammenhang Herr, Guru) angesprochen. Sie selbst wird mit ihrem Vornamen angesprochen. Dieser Brauch zeigt, daß die Partnerin dem Partner untergeordnet ist.14 Vor einem Dritten nennt der Baul seine Partnerin nicht mit Vornamen, sondern als seine spirituelle Partnerin (sadhana-sangini). Die Jüngeren werden von den Älteren stets mit Vornamen angesprochen, wobei sie selbst die Älteren immer mit den entsprechenden Bezeichnungen, wie etwa Baba-gõsai, Ma-gõsai etc anreden. In der Wohngemeinschaft fängt für die Bauls ein neues Leben an. Alle werden beim Eintritt in die Baul-Gemeinschaft, und damit auch in die Wohngemeinschaft, mit einem neuen Namen getauft. Mit dem Eintritt in den Orden haben sie ihrem vorherigen gesellschaftlichen Leben ein Ende gesetzt. Sie sind jetzt nicht mehr die Söhne der Familie X mit diesen und jenen religiösen oder säkularen Verpflichtungen, sondern Mitglieder der Baul-Gemeinschaft. So tragen sie auch nicht mehr die Namen des alten Lebensabschnittes (purvashram). Diese Praxis ist angelehnt an den im Hinduismus allgemein üblichen Gebrauch. Wenn einer seine Familie verläßt und Asket wird, empfängt er von seinem Guru einen Einweihungsnamen. Obwohl sie eine Partnerin haben, betrachten die Bauls sich selbst als Asketen (gõsai). Unabhängig von ihrer ursprünglichen Kastenzugehörigkeit erhalten sie jetzt die Bezeichnung Das, d. h. Diener, zu ihrem neuen Vornamen. So heißen die Bauls: Purna-das Baul, Debi-das Baul, Nakshatra-das Baul, Lakshman-das Baul etc. Die weiblichen Bauls dürfen eigentlich nicht die Bezeichnung Baul benutzen, obwohl es einige tun. Denn sie sind nur die spirituellen Partnerinnen der Bauls, Instrumente der Adepten, also keine selbständigen Bauls. So heißen sie: Phulamala-dasi, Radharani-dasi etc. Von ihrem Vater-Guru, Mutter-Guru und Baul-Geschwistern werden sie nur mit ihrem neuen Namen angeredet. Manas Ray bezeichnet den Namensteil Das als Familiennamen.14 wahrscheinlich, weil das Wort Das, geschrieben mit dentalem Sa, Diener / Sklave bedeutet und damit die Zugehörigkeit des Trägers zur Shudra-Kaste offensichtlich macht. Bauls, die keine Analphabeten sind, wie z. B. Purnadas Baul schreiben das Wort Das mit dentalem Sa. Die 13 14

Vgl. Gobhila-grihyasutra III, 4, 1-4 Vgl. Apastambha-kalpasutra, Prashna I, Patala 2, Khanda 8, 15

16 Namen der Bauls werden von den Hindus der oberen Kasten stets mit dentalem Sa geschrieben. Ganz unmöglich ist die Hypothese von Ray nicht. Allerdings muß bedacht werden, daß viele Gottgläubige sich gerne Gottes Diener / Sklave nennen. So z. B. gibt es Namen wie: Rama-das (Diener des Gottes Rama), Kali-das (Diener der Göttin Kali) etc. Außerdem, sind nicht alle, die den Familiennamen Das, geschrieben mit dentalem Sa, also Diener / Sklave, tragen, der Shudra-Kaste zugehörig, wie z. B. der Lyriker Jibanananda Das (1899-1954), oder der Wissenschaftler Upendrakumar Das. Auf meine Frage antworteten die Bauls, sie sind Caitanyas Diener oder Gottes Diener oder aber auch Diener ihres Gurus etc. Sie brachten die Bezeichnung Das jedoch nicht mit ihrer Kastenzugehörigkeit zusammen. Wahrscheinlich ist die Hypothese von Manas Ray die Projektion der Denkweise eines Hindus aus der oberen Kaste.15 Der Guru ist das Haupt der Wohngemeinschaft. Seine Aufgabe besteht darin, daß er seine Schüler spirituell führt, wobei ihm seine Partnerin assistiert. Beide verrichten keine Haushaltsarbeiten. Die Arbeitsteilung entspricht der gewöhnlichen Norm der indischen Gesellschaft. Die Männer sind für die harten körperlichen Arbeiten und Frauen für das Waschen und Kochen zuständig. Am Almosengang nehmen beide teil. Die Wohngemeinschaft bleibt kinderfrei, denn die Empfängnis ist in der Baul-Religion offiziell verboten. Wird die Partnerin schwanger, so gelten Mann und Frau als Gefallene (aparadhi) und müssen das Akhra verlassen. Die Schwangerschaft beweist, daß die beiden nicht in der Lage sind, die tantrischen Rituale auszuüben (s. Kapitel 5). Sie werden von den Akhra-Bewohnern nicht mehr als Bauls anerkannt. So sind sie auch nicht mehr berechtigt in der Einrichtung zu wohnen. Die sogenannten Gefallenen betrachten sich selbst aber weiterhin als Bauls. Sie ziehen aus und gründen ihren eigenen Haushalt. Sie behalten ihre religiösen Ansichten, singen weiterhin die Baul-Lieder und tragen die Baul-Kleidungen. Ob diese Bauls auch die Sexrituale praktizieren, kann nicht in jedem Fall festgestellt werden. So leben z. B. Purnadas Baul und Bisvanathadas Baul in einem Einfamilienhaushalt. Beide haben Kinder. Das eheähnliche Verhältnis mit der sadhana-sangini (der spirituellen Partnerin) Die Bauls führen keine Ehe im traditionellen Sinne, d. h. sie heiraten nicht eine Frau, um die Familie zu gründen. Sie nehmen sich eine Partnerin, um die tantrischen Rituale durchführen zu können. Daher nennen sie ihre Partnerin nicht Ehefrau (patni, in West Bengal auch stri), sondern spirituelle Partnerein (sadhana-sangini). Mit dieser Frau leben sie zusammen. Theoretisch dürfen sie nicht gleichzeitig mehrere Partnerinnen haben und aus weltlichen Gründen die Partnerin wechseln. Die Baul-Religion erlaubt aber einen Wechsel, wenn er für die Ausübung der Spiritualität nötig ist. So kommt es in der Praxis vor, daß ein Baul mehrere Frauen hat. Da er aber mit keiner dieser Frauen verheiratet ist, kann hier das Gesetz nicht eingreifen. Auf diese Weise leben z. B. Gangadhardas Baul mit seinen zwei Partnerinnen im Dorf Pãcda und Sudhirdas Baul mit seinen zwei Partnerinnen in Sãithia. Purnadas Baul hat zweimal seine Partnerin gewechselt und lebt jetzt mit seiner dritten Partnerin in Kalkutta. Die Partnerin ist das Besitztum des Bauls. Er kann sie nehmen, verlassen oder aber auch verkaufen. Stirbt der Baul vor seiner weit jüngeren Partnerin, so muß sie sich einen anderen Partner suchen, will sie weiterhin ein Mitglied der Gemeinschaft bleiben. Diese Abhängigkeit der Partnerin von ihrem Partner führt dazu, daß sie im täglichen Leben eine ihm untergeordnete Rolle spielt. Die spirituellen Partnerinnen verschiedener 15

S. Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 99

17 Bauls in einer Wohngemeinschaft verrichten den Haushalt gemeinsam ohne männliche Hilfe. Bei den „gefallenen“ Bauls arbeitet die spirituelle Partnerin mit Hilfe ihrer Töchter, falls sie welche hat, im Haushalt. Idealerweise darf ein Partnerinnenwechsel nur mit der Zustimmung des Gurus und ausschließlich für die spirituellen Zwecke vorgenommen werden. Erst wenn die Partnerin sich für die tantrischen Übungen ungeeignet gezeigt hat, darf der Baul sich an eine zweite wenden. Er darf aber auf keinen Fall gleichzeitig mehr als eine Partnerin haben. Die Beispiele von Gangadhardas Baul etc. zeigen jedoch, daß es in der Praxis nicht selten anders aussieht. Unter den sognnanten gefallenen Bauls ist ein gewisser Geschäftssinn zu beobachten. Es kommt nicht selten vor, daß diese Bauls mehrmals eine spirituelle Bindung eingehen (s. Kapitel 5) und bei der Gelegenheit von den Eltern der jeweiligen spirituellen Partnerin eine Mitgift verlangen. Im Todesfall regeln die Bauls die Erbschaft im engsten Angehörigenkreis. Der kulturelle Beitrag Bauls selbst überschätzen den kulturellen Beitrag ihrer Musik. Am deutlichsten wird dies in zwei folgenden Beispielen: 1. Krishnendu Das behauptet: ”Baul composers greatly influenced the Bengali poetry of the later phase and perhaps the most ardent poet on whom its influence was imense is Gurudev Tagore (d. h. Rabindranath Tagore).“16 Daß Tagore von der Philosophie der Baul-Lieder beeindruckt war, entspricht der Wahrheit (s. unten). Aber in seinen Werken wird offensichtlich, daß die Upanishaden und der Caitanya-Vaishnavismus seine religiösen Empfindungen geprägt haben. Ferner schreibt Krishnendu Das über seinen Großvater Nabanidas Baul, er habe mit seinen Liedern zur Freiheitsbewegung Indiens beigetragen, und daß viele großen Schriftsteller über ihn auf Englisch und Bengali Bücher geschrieben haben.17 Auf Anfrage konnte 1994 die renommierteste Buchhandlung in Kalkutta, Dasgupta, College Street, Calcutta, keine Information über solche Bücher geben. Auch der Beitrag von Nabanidas zur Unabhängigkeit Indiens konnte durch Interwiews oder in der Literatur nicht festgestellt werden. Krishnendu Das schreibt in seinem Buch The Bauls of Bengal über die Lehrerfahrungen und Publikationen seines Vaters Purnadas Bauls.18 Purnadas Baul soll zwischen 1971 und 1978 an der Visva-Bharati University, Santiniketan als Gastprofessor Musik unterrichtet haben. Hier darf erwähnt werden, daß er keinen Schulabschluß hat, für die Proffessur aber in West Bengal mindestens die M.A. verlangt wird. Es gibt jedoch tatsächlich Bücher, die Purnadas Baul als ihren Autor zitieren.19 2. Viele Bauls glauben, daß ihre Lieder und ihre Religion in Europa und USA begeisterung finden (s. oben die Finzielle Lage), was der Tatsache nicht entspricht. Deutlich wird diese Vorstellung in einer Rede von Purnadas Baul, der behauptet, daß die „Sahibs“ begierig sind die Religion der Bauls zu lernen.20 Es ist offensichtlich, daß manche Bauls für sich eine Marktlücke entdeckt haben und diese Möglichkeit für die Verbesserung ihrer finanziellen Lage nutzen wollen. Es gibt mittlerweile einzelne Bauls, die eine Konzertgruppe aufgebaut haben. Als Beispiel wird hier die Gruppe 16

Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 33 Ibid., 72 18 Ibid., 10-11 19 Eins davon: Purnadas Baul: Banglar baul gan, Kalikata, o. J. 20 S. Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 93 17

18 von Debidas Baul beschrieben. Debidas Baul wohnt in der Siedlung Suripara (Siedlung der Alkoholhersteller, Kastenzugehörigkeit: Unberührbare), die in der Nähe der Stadt Bolpur liegt. Seine Gruppe nennt er Ranga matir baul sampraday (die Gruppe der Bauls, die in der roten Erde beheimatet sind). Die Farbe der Erde in und um Bolpur ist tatsächlich rot. Die Gruppe besteht aus ihm, zwei anderen männlichen und einer weiblichen Baul und einem aus der Wäscher-Kaste. Als Leiter und Hauptsänger der Gruppe behält Debidas Baul 50% des Ertrages. Der Rest wird gleichmäßig unter den anderen Mitgliedern aufgeteilt. Besorgt einer der Mitarbeiter einen Auftrag, so steht ihm ein höherer Prozentsatz zu. Der Auftraggeber bezahlt die Gage und übernimmt die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung. Narayan Sengupta aus dem Dorf Surul, ist z. B. jemand, der gelegentlich eine Baul-Gruppe für ein bis zwei Tage einlädt. Ein neuer und interessanter Aspekt ist, daß die Landesregierung von Westbengal die Bauls als Volksliedsänger fördert und sie in andere Bundesländer als Repräsantenten der BengaliVolkslieder schickt.21 Die Wirkung solcher Darbietungen auf die Zuschauer bzw. Zuhörer anderer Bundesländer darf aber nicht überschätzt werden. Die Bewohner anderer Bundesstaaten verstehen also den Text der Lieder nicht. Somit sind für sie auch die Lieder uninteressant. Die Abnehmer dieser Ware sind tatsächlich nur die Bengalen aus Westbengal, die sich für die Baul-Kultur interessieren und es gibt nicht viele, die diese Religionskultur schätzen. Die Bauls gehören zum festen kulturellen Programm des Paush-mela und Magh-mela (s. Kapitel 5) der Visva-Bharati University, Santiniketan. Diese Gegebenheit ist darauf zurückzuführen, daß Rabindranath Tagore, der Gründer dieser Universität, die Baul-Lieder schätzte und förderte (s. unten) und seine Universität diese Tradition aufrechterhält. Bauls und die Politik Die Bauls nehmen nicht aktiv an der Politik teil, d. h. sie treten in keine Partei ein und kandidieren nicht. Sie verhalten sich passiv, wenn es einen Aufstand gibt. Sie demonstrieren nicht gegen die bestehenden Mißstände. Bauls, die ihre finanzielle und damit verbundene gesellschaftliche Lage verbessern wollen, versuchen ihr Glück als Einzelkämpfer. Bei Purnadas Baul beobachtet man jedoch eine vollkommen neue Ansicht und Anstrengung, welche die traditionellen Bauls ablehnen. Beim Fest Mahotsab (s. Kapitel 5) im Dorf Daskalagram, wo er seinen Nebenwohnsitz hat, pflegt er wichtige Persönlichkeiten des Distrikt Birbhum, wie Additional District Magistrate, Chief Medical Officer, Chief Engineer, Chief Public Relation Officer etc., einzuladen und sie für die Interessen der Baul-Gemeinschaft zu gewinnen. Er fordert die Bauls auf hohere Gage zu verlangen und nicht im Dorf und Mela (s. Kapitel 5) ihren „Schatz für 10 Paisa zu verkaufen“. Von der Regierung West Bengals verlangt er besondern Schutz, wie sie den ”scheduled castes“ und ”scheduled tribes“22 gibt. Außerdem soll die Regierung eine Baul-Stadt (baul-nagar) gründen,wo Arrangements für die armen Bauls getroffen und die spirituellen Übungen (sadhana) und Musik der BaulGemeinschaft gefördert werden. Dort soll es einen Unterrichtsraum geben, wo der Guru Bauls und Nicht-Bauls die Theorie und Praxis der Baul-Religion beibringt.23

21

Ibid., 86 Detailliert über Scheduled Casts und Scheduled Tribes, die sogenannten unterentwickelten gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen, die von der indischen Regierung besonders gefördert werden, in: Sarvepalli Radhakrishnan: Impact of Education on Scheduled Caste Youth in India, New Delhi, 1989 23 Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 92-93 22

19 Die Mehrheit der Bauls halten die Zusammenarbeit mit den Regierungsbeamten für schädlich, da sie hierdurch die Einmischung der Behörden in ihre Privatangelegenheiten befürchten, die zum Verlust der Freiheit führen könnte. Ferner, sie fühlen sich in ihrer Ehre verletzt, wenn sie nur für das Geld, oder nur für mehr Geld singen sollten, da sie ihre Lieder als heilig und unverkäuflich betrachten. Sie betonen immer wieder, sie seien keine Schlagersänger, die mit ihrem Gesang Geld verdienen möchten, sondern Gottes Botschafter, die die Gottesliebe preisen möchten. Manche boykottieren deshalb das Mahotsab von Purnadas Baul.24 Die Bauls sind der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik Indiens, welche die Investition aus dem Ausland und den Import ausländischer Güter fördert, unter den einheimischen Herstellern Armut verursacht. In der wahllosen Einführung des westlichen Güter sehen sie nicht nur die Gefahr der kulturellen Entfremdung, sondern auch einen Nachteil für die indische Wirtschaft. (s. Anhang Baul-Lieder). Die Bauls verabscheuen zwar die Nachahmung der westlichen Kultur, aber sie schätzen den kulturellen Austausch und sind bereit, von der fremden Kultur zu lernen. Sie erinnern sich dankbar an Rammohan Roy (1772-1833), der die westlichen Ideen für Indien passend bearbeitete und mit Reformen die Möglichkeit für das moderne Indien schuf (s. Anhang Baul-Lieder). Mañjudasi, die spirituelle Partnerin von Purnadas Baul, hat ein Lied verfaßt, da ein Produkt sozialistischer Gedanken sein (s. Anhang Baul-Lieder). Mañjudasi hat ihren Partner in die Sowjetunion auf einer Tournee begleitet. Die Freizeitaktivitäten Bauls, welche die Freiheit über alles lieben, lehnen im Zusammenhang der Freizeit Zwang jeder Art ab. Die Bedingungen und Gestaltung ihrer Aktivitäten bestimmen sie selbst. Daher ist die Gestaltung der Aktivitäten jedesmal etwas anderes, je nach der Vorstellung des Initiators. Außer den Festen (s. Kapitel 5), die auch einen gewissen Freizeitcharakter haben, sind die internen Musikkonzerte die einzigen Freizeitaktivitäten der Bauls. Dies hat in erster Linie sicherlich mit der Musikalität der Gemeinschaft zu tun. Aber es gibt auch einen anderen Grund, warum sie mit Vorliebe gemeinsam musizieren anstatt z. B. ins Kino zu gehen. Die Freizeitaktivitäten der Bauls dürfen keine Kosten verursachen. Ein Musikkonzert kostet die Bauls nichts. Es findet statt entweder bei einer Wohngemeinschaft (akhra), im Hause eines gefallenen Baul-Bruders, der zwar „gefallen“ aber einflußreich ist, oder aber auch in einem abgelegenen Ort des Dorfes, der von den Menschen aus den oberen Kasten nicht beansprucht wird. Die Musiker sind die Bauls selbst. Dies bedeutet, sie brauchen keinen Saal oder Ort zu mieten und keine Gage zu bezahlen. Außer den Bauls nehmen an solchen Veranstaltungen einzelne Mitglieder der dre oberen Kasten teil, die ihr Vertrauen genießen. Solche Konzerte finden am späten Nachmittag oder Abend statt, wenn das Tagewerk getan ist. Die Teilnehmer sind Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche, die später in die Baul-Gemeinschaft eintreten möchten. Frauen, die gut singen können, werden hier den Männern gleichberechtigt behandelt. Lieder, die hier gesungen werden, sind die gleichen, die auch sonst gesungen werden, wie z. B. beim Betteln. So kann gesagt werden, daß das Thema der Freizeit gleichzeitig die Religion dieser Gemeinschaft ist. Bezeichnet man die Religion als Beruf, so gehen Beruf und Freizeit in einander über. Hier spiegelt sich der 24

Ibid., 94

20 Dharma-Begriff des Hinduismus wider, der die Religion und das tägliche Leben nicht voneinander trennt. Die Religion ist nicht die Gottesverehrung, das Gebet oder das Sakrament, die zu einer festen Tages- oder Jahreszeit praktiziert werden, sondern sie muß in allen Lebensbereichen gelebt werden. Die Gesprächsstoffe solcher Nachmittage oder Abende beinhalten durchaus weltlichen Charakter. Es wird über die Preissteigerung und andere Probleme gesprochen und getratscht. Diese Konzerte können Stunden oder aber auch die ganze Nacht dauern. Für eine unbeschwerliche Stimmung sorgt der Hanf. Hier wird kräftig Hanf geraucht. Aber getrunken wird nur Wasser. Manchmal spendiert der Gast aus den höheren Kasten, falls einer anwesend ist, einen kleinen Imbiß. Das Bild der Bauls in der bürgerlichen Gesellschaft in West Bengal Die Hindus aus den höheren Kasten erwarten von den Shudras und Kastenlosen, daß sie ihr Schicksal als Ergebnis ihrer früheren Karmas akzeptieren und sich demütig verhalten. Erfüllen sie diese Erwartung, so werden sie von den Kastenhindus als Randgruppen der Gesellschaft geduldet und nicht verurteilt. Sie dürfen zwar die Veden nicht lernen, die sechzehn obligatorischen Zeremonien nicht feiern und keine Gottesverehrung (puja) nach den Bestimmungen der heiligen Schriften (shastra) praktizieren (s. Kapitel 2), aber sie müssen diese als die Autoritäten anerkennen und dürfen sie nicht in Frage stellen. Genau das tun die Bauls nicht. Als Caitanya-Vaisnavs ordnen sie sich dem Kastensystem der Dharmashastras nicht unter, stellen die Veden und die traditionellen religiösen Aktivitäten, wie das Baden im Ganges und die Pilgerfahrt in Frage und praktizieren den tantrischen Yoga. Was die Beziehung zu einer Frau angeht, haben die Bauls bekanntlich eine lockere Haltung. Die Kastenhindus ihrerseits reagieren hierauf irritiert und nennen die Bauls Menschen, die keine Ethik und Moral haben. Als Manas Ray in Materpara in der Nähe der Stadt Bolpur Bisvanathdas Baul und Debidas Baul besuchen wollte und einen Geschäftsmann nach deren Adresse fragte, antwortete dieser, er wüßte nicht wo diese charakterlosen Leute wohnten.25 Die Antwort des Geschäftsmannes demonstriert die Meinung der bürgerlichen Gesellschaft in West Bengal. Aksaya Kumar Datta behauptet: „Für die spirituellen Übungen, die sie praktizieren, um das Höchste zu erreichen (paramartha-sadhana), reicht ihnen nicht der Geschlechtsverkehr mit der eigenen Partnerin, oder auch zwei eigenen Partnerinnen. Ob in der Öffentlichkeit oder hinter geschlossenen Türen, sie holen sich mehrere Prostituierte und Hausfrauen, um ihre spirituellen Übungen (sadhana) zu üben.“26 Nagendranath Basu stellt seine Beobachtung folgendermaßen dar: „Die Gewohnheiten und Verhaltensweisen dieser Menschen sind verachtenswert. Die Menschen dieser Gemeinschaft erkennen das Kastensystem nicht an. Sie essen und trinken alles. (. . .) Sie sind stets sehr unsauber. (. . .) Sie haben ihre Akhras in verschiedenen Orten Bengals. In jedem Akhra wohnen zwei bis drei Avadhuts (hier: männliche Bauls) und sie haben mehrere Frauen. Sie geben Menschen aus allen Kasten die Initiation und nehmen sie in ihre Gemeinschaft auf.“27 Aparna Bhattacharya beschreibt die Bauls als Leute, die keine soziellen oder moralischen Anweisungen der Hindus folgen, das Fasten oder andere religiösen Praktiken der Hindus nicht üben, mit mehreren Frauen in einer Wohngemeinschaft wohnen ohne auf das Alter und auf die Kastenzugehörigkeit heiraten.28 Das Urteil der bürgerlichen Gesellschaft ist eindeutig, es sind Gesellschaftsmitglieder, die für sie bestimmte traditionellen Regelungen der hinduistischen Gesellschaft nicht einhalten und daher verachtenswert sind.

25

Ibid., 34 Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1981, 61 27 Ibid., 43 28 Aparna Bhattacharya: Religious Movements of Bengal and Their Socio-Economic Ideas, Patna, 1981, 61-63 26

21 Es gibt jedoch einzelne Menschen aus der drei oberen Kasten, die gerade die Freiheitsromantik und die philosophischen Gedanken der Bauls schätzen. Rabindranath Tagore war beeindruckt von zwei Schwerpunkten der Baul-Religion: Gott und der Mensch lieben sich gegenseitig, und Gott wohn t im Herzen des Menschen und ist auch deshalb nicht draußen, sondern in einem selbst zu finden. Tagore sah auch die Philosophie der Upanishaden, Brahman manifestiert sich als die Welt, in den Baul-Liedern vertreten, da die Bauls die Wahrheit in sich selbst suchen. Er förderte die Bauls und publizierte zwanzig Lieder vom Baul Lalan-sa(h) Phakir.29 In seinen Tranzdramen Phalguni und Raja stellt Rabindranath Tagore fiktive Bauls vor, die in ihren Liedern die obengenannten Schwerpunkte der BaulReligion vorstellen. Auch Ksitimohan Sen, ein Freund von Tagore, vertritt die Meinung, daß die Bauls die Philosophie der Upanishaden verkünden. Seiner Meinung nach streben die Bauls an, durch den Weg der Liebe und der Leidenschaft, der unter den Adepten als lebendiger Glaube vorhanden ist, und mit spiritueller Übung das eigene Ego zu verlassen und sich selbst mit Gott zu vereinigen.30 Die Bewunderung Tagores und Senas, jeweils aus der Brahmana- und Kshatriya-Kaste, für die Bauls basierte auf zwei Tatsachen. Sie wußten nicht vom tantrischen Yoga der Baul-Gemeinschaft, und sie glaubten, daß die Bauls sich in ihren Liedern nicht versteckt darstellen. Eine Nachahmung von Tagore, der die Bengaliliteratur heute noch wesentlich beeinflußt, findet man in der Erzählung Manus-lila, vefaßt vom zeitgenössischen Schriftsteller Samares Majumadar. Der Baul dieser Erzählung ist ein gebildeter Mensch, beherrscht die Philosophie des Caitanya-Vaishnavismus und kennt einige von Rabindranath Tagore verfaßte Lieder.31 Auch Upendranath Bhattacarya hat eine positive Meinung über die Bauls und meint der tantrische Yoga, den die Bauls praktizieren, „ist keine Wollust, sondern eine schwierige Yogaübung. Die Vereinigung zwischen Mann und Frau, das wichtigste Ritual, geschieht nach (der Anordnung) ihrer Religion.“32 Untersuchungsergebnisse 1. Die Kastenzugehörigkeit der Bauls, d. h. eigentlich die Kastenlosigkeit der Bauls, gestaltet die Rahmenbedingungen, in denen sie sich bewegen und entfalten können. Diese sind und können nicht besonders großzügig sein. Bauls der älteren Generation sind zum großen Teil Analphabeten. Manche schicken ihre Kinder zur Schule. Aber auch diese wenigen Kinder, die eine Schule besuchen, bleiben dort Außenseiter. Zum Beispiel dürfen sie nicht an einer religiösen Zeremonie im Hause dieser Kastenkinder teilnehmen. Es bleibt abzuwarten und zu beobachten, wie die heutigen Baul-Kinder in Zukunft als erwachsene Mitglieder der Gesellschaft ihre Lage verbessern. Gleichzeitig muß festgehalten werden, eine der wichtigen Voraussetzungen für das Bestehen dieser religiösen Richtung ist das Nichtgebundensein an die Regeln der Dharmashastras. 2. Neben den Maludharis und Kistidharis, gibt es Bauls, die sich Udasi oder Grihi nennen. Jede Kategorie hat ihre besondere Eigenschaften. Die Udasi-Bauls wechseln häufig ihren Wohnort aus finanzieller Überlegungen. Die Bauls selbst bestreiten aber hartnäckig, daß ein finanzieller Grund sie zum Ortswechsel motiviert. Sie behaupten stets, daß sie dies nur aus ideologischer Überzeugung tun. 29

Detailliert in: Upendranath Bhattacarya: Banglar Baul o Baul gan, Kalikata, 1981, 533-545 Ibid., 70-73 31 Samares Majumdar: Manav-lila, Desh, Jg. 63, Nr. 1, 1995, 60-75 32 Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1981, 69 30

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3. Da die Bauls nur durch ihre Lieder ihre Religion verkünden, haben diese Lieder in der Baul-Religion die Stellung der heiligen Schriften. Die Lehre soll jedoch nicht jedem offengelegt werden, daher sind besonders die Lieder, welche den Tantrayoga beschreiben, in einer Geheimsprache verfaßt worden. Die Lieder dienen auch als die Vedienstmöglichkeit. Die Bauls betrachten aber ihre Lieder nicht als Kapital. Bauls, die es tun, bilden die Ausnahme. Für die meisten Bauls ist ihre Musik, die sie nicht vermarkten wollen, heilig. Die Bauls sind an ihrer Musik und Kleidung sofort erkennbar.Trainierte Ohren erkennen von weitem an der eintönigen Melodie und dem Begleitinstrument Ektara, daß irgendwo in erreichbarer Nähe ein Baul seine Lieder singt. 4. Die Bauls leben in Armut. Die Mehrheit lebt von Almosen. Manche Bauls glauben, daß sie ihre Musik teuer verkaufen können, was nicht der Wahrheit entspricht. Das Streben nach Wohlstand ist bei einzelnen Bauls zu beobachten, ist aber in der Baul-Gemeinschaft nicht besonders verbreitet. Die meisten Bauls sind bescheiden. Einzelne Bauls haben als Volksliedssänger ihre finzielle Lage verbessern können. Der Absatzmarkt für diese Musiker sind die Gebildeten in West Bengal, welche gelegentlich Volkslieder hören. Es darf gesagt werden, was die Gedankenfreiheit der Baul-Gemeinschaft unterstützt, nämlich das Ungebundensein an die von den Dharmashastras vorgeschriebenen religiösen und rituellen Regeln, verursacht ihren Mitgliedern den finanziellen Nachteil. Die Mildtätigkeit der wohlhabenden Dorfbewohner, etwa bei Krankheitsfällen, hilft ihnen punktuell, verbessert aber ihre Lage nicht grundsätzlich. 5. Die Wohngemeinschaft hat die Struktur und die Eigenschaften der indischen Großfamilie. Das Gemeinwohl steht hier im Mittelpunkt. Die Autorität der Älteren und die Gehorsamkeit der Jüngeren und Frauen sind die beiden Bedingungen, die die Wohngemeinschaft funktionsfähig erhalten. Deshalb kann gesagt werden, die Wohngemeinschaft der Bauls bietet ihren Mitgliedern zwar die soziale Sicherheit, verlangt aber gleichzeitig die bedingungslose Fügung in die Gemeinschaft. Es gibt hier eine strenge Arbeitsteilung zwischen der älteren und jüngeren Generation und männlichen und weiblichen Mitgliedern. 6. Das eheähnliche Verhältnis der Bauls mit ihrer spirituellen Partnerin spiegelt im allgemeinen die Ehe in der indischen Gesellschaft. Die Partnerin ist das Besitztum des Bauls, was der Bestimmung der Manusmriti IX entspricht. Sie ist die Haushaltskraft, die für ihre Arbeit vom Baul mit sozialer Sicherheit bezahlt wird. Der Baul darf sich einseitig von dieser Arbeitskraft trennen, ohne eine Verpflichtung einzugehen. Für den Mahayoga (s. Kapitel 5) wird die spirituelle Partnerin wie ein Instrument benutzt. Erfüllt das Instrument nicht seinen Zweck, wird es ausgetauscht. 7. Die Baul-Lieder gelten in Indien nicht als Erzeugnisse der Hochkultur, sondern als Volkslieder. Wegen der Eintönigkeit ihrer Melodie und weil der Text schwer zu verstehen ist, zum Teil wegen der Geheimsprache und zum Teil, weil diese im Dialekt verfaßt wurden, sind die Lieder nur in der sehr kleinen Fachwelt gefragt. Daher kann man im Zusammenhang mit den Baul-Liedern weder von einem großen kulturellen noch kommerziell bedeutsamen Beitrag sprechen. Für die Studenten der hinduistischen Kultur sind jedoch diese Lieder hochinteressant, da sie die Kultur einer Religionsgemeinschaft vorstellen. In diesem Sinne leisten die Baul-Lieder einen großen Beitrag zur indischen Kulturgeschichte. 8. Obwohl die Bauls an der Tagespolitik nicht teilnehmen, sind sie nicht unpolitisch. Sie beobachten die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit kritischen Augen und ziehen die

23 Konszequenz daraus, indem sie sich der Gegebenheit nicht beugen, sondern mit Hilfe ihrer Religion für sich selbst eine Welt schaffen, in der sie würdevoll leben können. Diese Handlung der Bauls kann als stille Revolution bezeichnet und mit Mahatma Gandhis Satyagraha verglichen werden. Allerdings, im Gegensatz zum Satyagraha verändert die Revolution der Bauls nicht die Gesamtlage in Indien. Der Mobilmachungsversuch von Purnadas Baul findet unter den Bauls keine Mehrheit. 9. Die Freizeitaktivitäten der Bauls sind eine Mischung aus Geselligkeit und Religiosität. Diese Menschen sind von aus England importierter Klubkultur, die in den oberen Schichten zu beobachten ist, vollkommen unbeeinflußt geblieben. Die Kreativität der Bauls wird bei ihrer Freizeitskonzerten deutlich. Fast ohne Mittel sind sie in der Lage ein künstlerisches geselliges Beisammensein zu organisieren, das sie in ihrem Glauben bekräftigt und ihnen das Gefühl der Zusammengehörigkeit gibt. 10. Trotz der positiven Einstellung einzelner aus den drei oberen Kasten in West Bengal bleiben die Bauls für die Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft Shudras und Kastenlose, die sich außerhalb der Bestimmungen der Dharmashastras bewegen, weshalb man sie bei heiligen Zeremonien meidet. Dies wird dadurch deutlich, daß bei heiligen Zeremonien, wie Hochzeit (bibaha) und Totenzeremonie (Shraddha), die Shudras und Kastenlosen, die sich den Bestimmungen der Dharmashastras unterwerfen, als Randgäste einlädt und bewirtet. Die Bauls werden aber zu solchen Anlässen nicht eingeladen oder bewirtet. 11. Die Bauls weichen von den traditionellen Werten ab und äußern ihre Meinung offen in ihren Liedern. So entwickeln sie sich zu einer kritisch denkenden Gruppe und behaupten ihre Selbständigkeit in der Gesellschaft. Die Vielfalt des Hinduismus bietet den Bauls die Möglichkeit, ungestört nach ihren eigenen religiösen Vorstellungen, Werten und Normen zu leben. Die Baul-Gemeinschaft ist eine religiöse Richtung, die als ein Mitglid der indischen Gesellschaft ihre Selbständigkeit bewahrt und dadurch den Hinduismus bereichert.

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Kapitel 2 Shri Caitanya und die Gründung der Baul-Gemeinschaft Caitanya öffnete den Ausgeschlossenen das Tor zum klassischen Hinduismus. Aus dieser Reformbewegung entstand die Baul-Gemeinschaft. Dieses Kapitel untersucht die Aspekte des Caitanya-Vaishnavismus, die mit der Religion der Bauls-Gemeinschaft zusammenhängen. Bestimmungen über Shudras und Kastenlosen in den Dharmashastras Der Varnashramdharma, das Vierkastensystem des Hinduismus geht auf den Rigveda X, 90 zurück. Die Dharmashastras klassifizieren die Hindus nach ihrer Kastenzugehörigkeit. Für jede Kaste ist ein bestimmter Teil des gesamten Dharma, der unter anderem die Gesellschaft funktionsfähig halten soll, verordnet worden. Die Beziehung zu Gott, zu Mitmenschen, die Auswahl des Berufes und andere Lebensumstände sind dieser Verordnung unterworfen. Die Selbstverwirklichung ist nur in diesem gegebenen Rahmen möglich. Die Bhagavadgita II, 31 versichert, daß der Svadharma (der eigene Dharma) auch tatsächlich der einzige Weg zur Selbstverwirklichung ist. Svadharma ist nicht etwa der Dharma, den einer für sich selbst ausgesucht oder ausgedacht hat, sondern der Dharma, der von den Autoritäten einem auf Grund seiner Kastenzugehörigkeit vorgeschrieben wurde. Die Manusmriti verbietet den Shudras und Kastenlosen das Lernen (IV, 99) und das Anhören (IV, 99) der Veden und den Vollzug der vedischen Zeremonien, wie z. B. der Upanayana-Zeremonie (II, 36) und legt das Dienen der drei höheren Kasten als ihren Dharma fest (II, 91). Aber das Dienen, der Svadharma der Shudras und Kastenlosen konnte/kann ihren Religionshunger nicht stillen. Denn im Dienen der oberen Kasten besteht keine direkte Beziehung zwischen Gott und Mensch. Diese direkte Beziehung möchte aber ein religiöser Mensch haben, aus welcher Kaste er auch stammen mag. Daher gab es immer wieder Versuche, die Bestimmungen der Dharmashastras anders zu interpretieren, zu umgehen oder ihnen zu widersprechen. Die Caitanya-Bewegung und die daraus entstandene Bauls-Religion sind zwei solche Versuche. Die vom Vishnu-Kult und vom Shakti-Kult geleistete Vorarbeit Da der vedische bzw. brahmanische Hinduismus die breite Masse ausschloß, gab es schon seit früherer Zeit die verschiedenen Richtungen der Vishnu- und Shakti-Kult, die den Menschen eine Alternative bot. Zwei wesentliche Punkte dieser Richtungen sind für diese Arbeit von Bedeutung: 1. Beide Richtungen beschränkten sich nicht auf die vedischen Literaturen, sondern schufen ihre eigenen heiligen Schriften, die vom vedischen und brahmanischen Hinduismus abwichen, und 2. sie hielten sich weniger streng an die kastenbezogenen Bestimmungen der Dharmashastras. Die Vorarbeit, die diese Kulte geleistet haben, bestand darin, daß sie die Ausgeschlossenen in ihre Gruppe aufgenommen und die Gesellschaft dadurch auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Sie konnten jedoch diese Menschen in den Gesamtkomplex Hinduismus nicht integrieren. Der Grund war, daß sie sich entweder trotz allem an das vedische Kastensystem anlehnten, wie der Vaishnavismus von Ramanuja es tat oder daß sie die Veden vollkommen mißachteten, wie der Vamacara des Shakti-Kultes es tat. So war eine Reform nötig, die die Philosophie der Upanishaden, die Theologie der Puranas und den Humanismus synthesierte. Diese Synthese sollte eine Religion sein, in

25 der sowohl die Hindus aus den drei oberen Kasten, als auch die Shudras und Kastenlosen ihre eigene Religion wiederfanden. Dies ist Caitanya gelungen. Shri Caitanya Kurze Biographie Die authentischte Biographie Caitanyas ist das Shri-shri-caitanya-caritamrita, verfaßt von Krishnadas Kabiraj (1517-1582). Caitanya wurde im Jahre 1486 in Nabadvip, auch Nadiya genannt, ca. 120 km nördlich von Kalkutta, in einer Brahmanenfamilie geboren. Er lernte Sanskrit und anderen Wissenschaftszweigen des damaligen Indien wie Philosophie, Astonomie, Astrologie, Literatur, Grammatik etc. und entdeckte besondere Neigung und Fähigkeit in der Logik der Nyaya-Philosophie. Caitanya reiste in die heilige Stadt Gaya, die im heutigen Bundesstaat Bihar liegt, um dort die Opfergabenzeremonie (pindadana) für seine Ahnen vollzuziehen. Hier lernte er den Asketen (sannyasi) Ishvar-puri kennen. Ishvar-puri war ein Anhänger der Bhakti-Lehre. Auf Caitanyas Bitte gab der Asket ihm die Mantra-Initiation (mantra-diksha), die Caitanya innerlich sehr veränderte. Der Gelehrte Caitanya kehrte nach Nabadvip als ein Krishna-Narr zurück. Caitanya nahm seine Tätigkeit als Leiter und Lehrer seiner Schule wieder auf. Er sah sich aber bald außerstande, die konventionellen Fächer zu unterrichten, denn seine ganze Konzentration galt Krishna. So verwandelte er die Schule in einen Ort, an dem die KrishnaLiebe gelehrt und gelernt wurde. Leute kamen aus der Umgebung Nabadvips, um Caitanya zu sehen und von ihm belehrt zu werden. Caitanya weihte die Willigen in die Krishna-Liebe ein. Bald hatte er unter seinen Anhängern nicht nur seine Schüler, die jung und unerfahren waren, sondern auch Erwachsene und Gelehrte, wie etwa Advaitacarya, Nityananda, auch Nitai genannt, die in der Lage waren, für die Bewegung selbständig zu arbeiten. Menschen von der neuen Idee zu überzeugen war eine wichtige Arbeit, die Caitanya und seine Anhänger leisten mußten. Mit vierundzwanzig Jahren verließ Caitanya seine Familie, die aus seiner Mutter Shacidevi und Frau Vishnupriya bestand und trat in das Asketentum ein und verbrachte den Rest seines Lebens in der Stadt Puri, Bundesstaat Orissa. Puri war ein idealer Ort für Caitanyas Aktivitäten. Er wohnte hier im Hause des Brahmanen Kashi Misra, wie der König Prataparudra es verordnete. Neben dem Tempel wurde dieses Haus ein Versammlungsort der Caitanya-Anhänger. Der König wurde Caitanyas Schüler. Hiermit wurden die notwendigen Bedingungen für die Verbreitung der neuen Richtung geschaffen. Die unvollendete Biographie gab/gibt Gelegenheit für Spekulationen über Caitanyas Tod. Manche Gläubigen meinen, Caitanya konnte die Trennung von Krishna nicht mehr ertragen und umarmte die Jagannatha-Figur im Tempelaltar und diese absorbierte ihren Geliebten. So löste sich Caitanya in Jagannatha auf. Andere glauben, Caitanya sei ins Meer gesprungen, weil er es für Yamuna, den Fluß in Krishnas Weilort Vrindavan hielt. Neben diesen Legenden existiert auch der nüchterne Verdacht, er sei von einigen Tempelpriestern um seinen Erfolg beneidet und von ihnen umgebrachtworden.33

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Detailliert über Caitanyas Tod in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life Religion and Philosophy, Mylapore, 61-63

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Die von Caitanya eingeführten Reformen Im Einzelnen führte Caitanya die folgenden Reformen durch: 1. Herstellung der direkten Beziehung zwischen Gott und dem Menschen durch Gottes Lobgesang im Chor (sankirtan) und Ersatz des Sanskrits im Mantra und Gottesverehrung durch die Muttersprache Die direkte Beziehung zwischen Gott und Mensch ging in der postrigvedischen Zeit verloren.34 Zu Caitanyas Zeit hatte zwar die Opferzeremonie ihre Blütezeit hinter sich, aber sie spielte immer noch eine wichtige Rolle. Die sechzehn obligatorischen Zeremonien,35 die zusätzlichen großen und kleinen Zeremonien, die man zu Anlässen oder auch einfach, um Glück zu bringen vollzog und Tempel-Gottesverehrungen (puja), sicherten die Stellung der Priester als Verbindungsmänner zwischen Gott und den Menschen. So wurde durch die Einflußnahme der Priester Gott dem Menschen fremd. Es bestand keine direkte herzliche Beziehung zwischen beiden. Die tägliche Gottesverehrung (puja) vor dem Hausaltar war die einzige Möglichkeit, bei der der Mensch sich direkt an Gott wenden konnte. Caitanya zeigte den Menschen die Möglichkeit, wie sie sich ohne Umwege an Gott wenden und so mit ihm eine direkte vertrauensvolle Beziehung aufbauen konnten. Er führte eine Gottesverehrung ein, bei der man keinen Vermittler brauchte. Sie hieß Sankirtan (Gotteslobgesang). Man übte / übt Sankirtana stets im Chor. Die Texte der Gesänge waren einfach und verständlich. Im Gegensatz zu den traditionellen Mantras, war die Sprache der Texte entweder Bengali, die Muttersprache der Anhänger oder leichtes Sanskrit, dem alle folgen konnten. Hier zwei Beispiele, die von Caitanya-Vaishnavs in West Bengal oft gesungen werden: ”Hare Krishna Hare Krishna, Krishna Krishna Hare Hare Hare Rama Hare Rama, Rama Rama Hare Hare.“ und „Hari, Haraye namah, Krishna, Yadavaya namah Gopala, Govinda, Rama, Shri-Madhusudana.“ Übersetzung: Meine Verehrung für Hari, Krishna, dem Yadavavolkzugehörigen, Gopala, Govinda, Rama und Shri-Madhusudana. 2. Vereinfachung der Regelungen für die Gottesverehrung Anders als die Gottesverehrung (puja) im klassischen Hinduismus, benötigte die von Caitanya eingeführte Gottesverehrung keine rituellen Vorbereitungen und konnte unabhängig von der Tageszeit und vom Ort vollzogen werden. In Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila XX, 17 sagt Caitanya beim Predigen:

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Detailliert in: Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 1, London, 1977, 128-130 Über 16 obligatorischen Zeremonien der drei oberen Kasten in: G.R. Sholapurkar: Religious Rites and Festivals of India, Varanasi, 1990, 21-58 35

27 „Beim Essen, Liegen, hier und dort können Die Namen (Krishnas) besungen bzw. rezitiert werden. Es besteht (hierfür) keine Zeit oder Ort betreffende Regel. Der Name (Krishnas) erfüllt jeden Wunsch.“ Diese Vereinfachung gab den Shudras und Kastenlosen, die keinen Hausaltar haben und üblicherweise den Tempel nicht betreten dürfen, die Möglichkeit, bei Bedarf auf unkomplizierte Art Gottesverehrung zu vollzuziehen. 3. Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von ihrer Kastenzugehörigkeit a) Caitanya führte die vollkommene Gleichberechtigung aller Kasten in seiner Gemeinschaft ein. Sie wurden von Caitanya eingeweiht und in der Gruppe als gleichberechtigte Mitglieder aufgenommen. Die Shudras saßen mitten in der Versammlung und nicht getrennt von den Hindus aus der dre oberen Kasten. Candrashekhar36 und Ray Ramananda,37 beide Shudras, gehörten zu seinem engeren Kreis. Er ließ Ray Ramananda seine Religion der Krishna-Liebe zu predigen.38 Caitanyas weitere nennenswerte Shudra Schüler waren Murari,39 Haridas,40 und Sanatan.41 Er umarmte Shudras und nahm Almosen von ihnen.42 So öffnete Caitanya den Shudras das Tor zum Vaishnavismus. b) Caitanya praktizierte seine Gesang-Gottesverehrung (sankirtan) auch im JagannathaTempel in Puri. An dieser Gottesverehrung durften alle Schüler teilnehmen. Dies bedeutete, die Shudras, soweit sie Caitanyas Anhänger waren, durften den Tempel betreten und an der Gottesverehrung teilnehmen. Dies war und ist nicht selbstverständlich in Indien. c) Caitanyas Schüler aßen gemeinsam, unabhängig von deren Kastenzugehörigkeit, die Gott Jagannatha geweihten und von ihm gesegneten Speisen, die Prasad (Gnade) genannt werden. Bei solchen Gelegenheiten servierte er das Essen selbst.43 Caitanya wußte, daß er seine Kasten-Hindus nicht nur im spirituellen Bereich erziehen, sondern sie auch von ihrem tief verwurzelten Kastendenken befreien mußte, wollte er alle Menschen vor Gott gleichstellen. 4. Förderung des Gemeinschaftssinns und dadurch Abbau der Vorurteile Der Chorgesang und die Gruppenmahlzeit förderte den Gemeinschaftssinn der CaitanyaAnhänger. Caitanya ließ sich wahrscheinlich für diesen Zweck noch einige Aktivitäten einfallen. Diese waren das gemeinsame Wasserspiel,44 die gegenseitige Bemalung mit der heiligen Sandelpaste im Jagannatha-Tempel,45 die gemeinschaftliche Säuberung des Tempelfußbodens46 und Rollenspiele, bei denen Caitanya mit seinen Schülern Krishnas47 oder Ramas48 Lebensabschnitte darstellte. 36

Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrta, Adilila Vii, 45 Ibid., Madhyalila VII, 62-63 38 Ibid., Antyalila V, 85-86 39 Ibid., Madhyalila XI, 149-155 40 Ibid., Madhyalila XI, 159-165 41 Ibid., Antyalila IV, 18-21 42 Ibid., Madhyalila XVII, 60 43 Ibid., Madhyalila XIV, 37-41 44 Ibid., Madhyalila XII, 149 45 Ibid., Madhyalila XI, 208 46 Ibid., Madhyalila XII, 71-134 37

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Die Gründung der Baul-Gemeinschaft Die Entstehungs- bzw. Gründungsgeschichte der Baul-Gemeinschaft ist nicht schriftlich festgehalten worden. Daher müssen die Quellen und Überlieferungen untersucht werden. Nach Caitanyas Tod gab es drei Orte, wo seine fähigen Schüler mit großem Eifer die Krishna-Liebe verbreiteten. Diese sind: Bengal (heute West Bengal und Bangladesh), Vrindavan im heutigen Bundesstaat Uttar Pradesh und Puri.49 Für das Thema Baul ist der Caitanya-Vaishnavismus in West Bengal von Bedeutung, da die Bauls in West Bengal beheimatet sind. In der Post-Caitanya-Periode gab es hier zwei Hauptrichtungen unter den Vaisnavs. Diese waren die Caitanya-orientierten Vaisnavs (caitanya-anugata-vaisnav) und die orthodoxen smriti-orientierten Vaisnavs (smriti-anugata-vaisnav).50 Die smriti-orientierten Vaisnavs waren dem Brahmanismus treu und beteiligten sich nicht an der Reform. Was die Treue zum traditionellen Hinduismus betrifft, so gab es auch unter Caitanyas engeren Schüler Nityananda und Advaitacarya große Meinungsverschiedenheiten. Advaitacarya, der in Shantipur ein Zentrum der Krishna-Liebe aufbaute und leitete, war nur in Ausnahmefällen bereit, einem aus der niedrigeren Kaste die Initiation zu erteilen.51 Hier waren die Shudras nicht willkommen. Das Nityananda-Zentrum Nityananda, der acht Jahre älter war als sein Guru Caitanya, stammte aus einer Brahmanenfamilie. Als Zwölfjähriger begleitete er einen Asketen während seiner Pilgerfahrt durch Indien. Später wurde er Caitanyas Schüler. Schon zu Caitanyas Lebzeiten kümmerte er sich um die Verbreitung der Krishna-Liebe in Bengal, denn Caitanya, der in Puri wohnte, beauftragte ihn mit dieser Aufgabe.52 Er gegründet in Khardaha ein Zentrum, wo er als Guru fungierte. Folgende Punkte des Nityananda-Zentrums sind interessant für die vorliegende Arbeit: 1. Wie sein Guru hielt Nityananda nichts vom Kastensystem und nahm jeden, der es wollte, in seine Gemeinschaft auf. Zum Beispiel, er initierte 1200 Neras and 1300 Neris, die Subarnabaniks (Juwelier), Muschelverkäufer und andere Shudras und Kastenlosen, weshalb er von den drei oberen Kasten verachtet wurde.53 2. Nityananda führte die Praxis des gemeinsamen Essens fort. Am hundertsten Geburtstag Caitanyas fand im Dorf Khetari mit finanzieller Unterstützung des Raja Santosh Datta eine große Feier statt. Zu diesem Fest trafen sich hier Vaisnavs aus allen Teilen Bengals. Sie 47

Ibid., Madhyalila XIV, 254 Ibid., Madhyalila XV, 33-37 49 Detailliert über die Zentren in: Debidas Bandyopadhyay: Caitanya carcar pãcsho bachar, Kalikata, 1987, in Bengal: 45, 149-155, in Vrindavan: 146-148 und in Puri: 140-141 50 Detailliert in: Aparna Bhattacharya: Religious Movements of Bengal and Their Socio-Economic Ideas, Patna, 1981, 8-10 51 Detailliert in: Ibid., 29-31 52 Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Madhyalila VII, 82 53 S. Aparna Bhattacharya: Religious Movements of Bengal and Their Socio-Economic Ideas, Patna, 1981, 930 48

29 sangen hier Loblieder (sankirtan) auf Gott und Caitanya und aßen zusammen. Nityananda nannte dieses Fest Mahotsab. Der Mahotsab wurde hiernach ein fester Bestandsteil der religiösen Übung der Caitanya-orientierten Vaisnavs der Nityananda-Linie (parampara) in West Bengal, also auch bei den Bauls (s. Kapitel 5). 3. Nityananda tat etwas Ungewohnliches. Er gab die Askese auf und heiratete. Allerdings holte er vorher die Erlaubnis seines Gurus. Seine beide Ehefrauen waren Basudha Devi und Jahnavi Devi, die eher als Jahnava Devi bekannt wurde. Im Bezug auf die Baul-Gemeinschaft war dies eine wichtige Tat. Sie zeigte eine neue Richtung. Nityananda war jetzt ein Mensch, der den Freuden des Lebens nicht entsagte und trotzdem Gott erlebte. Dies ist ein Grundsatz der Baul-Religion (s. Kapitel 3). Er war ein Guru, der zusammen mit seiner Frau ein religiöses Zentrum leitete. Genau nach diesem Muster sind die Wohngemeinschaften (Akhra) der Bauls gebaut (s. Kapitel 1). 4. Nityananda ermöglichte seinen Anhängern zu heiraten, aber sich trotzdem als Weltentsager (vairagi) zu bezeichnen. Auch die Bauls leben in eheähnlichem Verhältnis, betrachten sich aber als Asketen, da sie, wie sie meinen, mit ihren Partnerinnen keine sexuellen Erlebnisse haben, sondern Tantrayoga üben. Die Bauls bezeichnen Caitanya als ihren Adiguru (Ur-Guru) Für Bauls ist Caitanya der Gründer (adiguru) ihrer Gemeinschaft. Purnadas Baul schreibt: „Im Kaliyuga ist Mahaprabhu (Großer Gott, gemeint ist Caitanya) der Oberste aller Bauls.“54 Aber da Caitanya eine Inkarnation Krishnas war,55 geht die Linie der Gurus (guruparampara) bis zur ersten Inkarnation Krishnas im Satya- bzw. Kritayuga, wie die Bauls in ihren Liedern singen (s. Anhang Baul-Lieder). Da Caitanya der Urguru ist, ist ein Huldigungslied (bandana) an Caitanya eröffnet am Anfang einer Baul-Versammlung obligatorisch. In diesen Liedern wird Caitanya gebeten, zu kommen und an der Versammlung teilzunehmen (s. Anhang Baul-Lieder). Dies entspricht dem Gebrauch der allgemeinen Gottesverehrung (puja).56 In unzähligen Liedern bekennen sich die Bauls als Schüler Caitanyas seiner Schüler Nityananda, Shri-rup Gõsai und Sanatan (s. Anhang Baul-Lieder). Auf Grund der Liederbeispiele kann hier festgehalten werden, daß die Bauls Caitanya für den Gründer ihrer Religionsgemeinschaft halten. Nun muß untersucht werden, wie wahr diese Behauptung ist. Caitanya nannte sich selbst Baul und wurde von seinem Schüler Advaitacarya als Baul bezeichnet Caitanya nannte sich kurz vor seinem Tode einen großen Baul. Der Biograph Krishnadas Kabiraj schreibt in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila XIV, Caitanya sagte zu seinen versammelten Schülern: „Nachdem ich die zehn Sinnesorgane (indriya) 54

Purnadas Baul: Banglar baul gan, Kalikata, 4 Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila I, 4-6 56 Vgl. Svami Mukhyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Mylapore, 1-88 55

30 Zu meinen Schülern gemacht habe Und mir den Namen ‘der große Baul’ (maha baul) gegeben habe, Bin ich mit meinen Schülern dorthin gegangen. Meinen Körper, den eigenen Wohnsitz, Habe ich verlassen Und den materiellen Genuß und großen Wohlstand aufgegeben Und bin nach Vrindavan gegangen (47).“ Auch wenn das Rätsel, was Caitanya mit der Aussage, daß er seinen Körper, den eigenen Wohnort verließ und nach Vrindavan ging, nicht zu lösen ist, ist hier festzuhalten, daß er sich in diesen Strophen als den großen Baul bezeichnet. Caitanya nannte sich ein ein weiteres Mal Baul (ibid., Antyalila XIX). als er aus Puri seiner Mutter in Nabadvip durch einen Boten die folgende Nachricht schickte: „Gehe nach Nadiya und verbeuge dich vor (meiner) Mutter. Fasse ihre lotusgleichen Füße in meinem Namen (6). Sage ihr: ,Du denkst (an mich). Ich werde regelmäßig kommen und deine Füsse verehren (7). An welchem Tag du mich auch zum Essen einladen willst, Ich werde an diesem Tag (kommen und) essen (8). Ich habe dich verlassen und übe nun Askese. Nachdem ich Baul geworden bin (baul haiya), habe ich Dharma zerstört (9). Bitte rechne mir nicht diese Schuld an. Ich bin doch dein ergebener Sohn (10). Ich bin in Nilacal (d. h. Puri), weil du es so befohlen hast. So lange ich lebe, werde ich Nilacal nicht verlassen können (11).’“ Kurz nachdem Caitanya seiner Mutter den Boten schickte, empfing er selbst eine Nachricht von seinem Schüler Advaitacarya aus der Stadt Santipur. Diese lautete folgendermaßen, wie Krishnadas Kabiraj sie in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila XIX darstellt: „Übergib meinem Herrn (prabhu, lit. Gott) meine Millionen Verbeugungen, (Und sage ihm,) ich lege die folgende Bitte an seine Füsse (19). Sage dem Baul (gemeint ist Caitanya): ‘Die Leute sind Aul geworden.’ Sage dem Baul (d. h. Caitanya): ‘Auf dem Markt wird kein Reis mehr verkauft (20).’ Sage dem Baul: ‘Es besteht keine Notwendigkeit für Aul.’ Sage dem Baul: ‘Dies hat der Baul schon gemacht bzw. gesagt (21).’“ Der Biograph schreibt weiter, als Caitanya diese Codenachricht (tarja) hörte, lächelte er ein wenig und sagte, daß Advaitacarya ein großer Anhänger der sastrischen Gottesverehrungmethode war und genau nach den Vorschriften der Sastras die Gottesverehrungzeremonie (puja) übte. Wahrscheinlich wollte er hiermit subtil andeuten, daß zwischen dem liberalen Guru und seinem orthodoxen Schüler ein wichtiger Meinungsunterschied bestand. Ferner sagte Caitanya, Advaitacarya war in Codenachrichten versiert, er selbst aber verstünde die Nachricht nicht. Diese Aussage des Gurus versetzte die Anhänger in Erstaunen und der Schüler Svarup Gõsai wurde nachdenklich (Antyalila XIX, 23-29). Caitanyas Bemerkung deutet darauf hin, daß er sich von der Aussage seines Schülers distanzieren wollte. Auch Krishnadas Kabiraj erläutert die Nachricht nicht. Er schreibt nur, daß sich seit diesem Zeit-

31 punkt Caitanyas Gesundheitszustand verschlechtert hätte und das Leiden unter der Trennung von Krishna zweimal soviel geworden wäre (Antyalila XIX, 30). Caitanyas Nachfolger haben diese Codenachricht folgendermaßen entziffert. Advaitacarya sagte dem Boten: „Sage dem großen Gott (maha-prabhu), der durch große Empfindungen bzw. Stimmungen verrückt geworden ist, daß die Menschen durch die von ihm verbreitete Liebesreligion (prem-dharma) verwirrt und handlungsunfähig geworden sind. Da sie durch seine Gnade ohne religiöse Übungen bzw. Zeremonien die (Gottes-)liebe gewinnen, lernen sie nicht die (vom Shastra) verordneten Zeremonien (sadhana-anusthan). Die an Zeremonien und Liebe-orientierte Vaisnava-Gemeinschaft geht langsam ein. In Zukunft wird es keine Gemeinschaft mehr geben, die Menschen in (der Religion), die Liebe (prem), Hingabe (bhakti) und religiöse Zeremonien (sadhana) vereinigen, unterweisen und für diese (Religion) Verordnungen treffen kann. Stimmungen und Erscheinungen, die er (d. h. Caitanya) jetzt zeigt, sind nicht mehr gewinnbringend oder nötig, d. h. es gibt keinen Abnehmer für sie in der sterblichen Welt. Der Verbreitung der Liebesreligion (prem-dharma) und des Auskostens eigener zarter Liebe (sva-madhurya)57 ist genug geschehen. Jetzt wäre es für das Wohl der zukünftigen Welt angebracht, daß er sein Spiel (lila) beendet. Jemand, der den Sinn seiner Liebesreligion (prem-dharma) begriffen hat und durch Empfindungen verrückt geworden ist, schickt ihm diese Nachricht.“58 Es ist offensichtlich, daß Advaitacarya die Religion durch Caitanya gefährdet sah. Die Bitte des Schülers, der Guru soll sich von der Welt verabschieden, kann nur so erklärt werden: In der letzten Phase seines Lebens erlaubte Caitanya Nityananda und (Ray Ramananda, s. unten), Stil und Praktiken, die für den shastra-orientierten Advaitacarya vollkommen unakzeptabel war. Advaitacarya fand diese neuen Richtungen so gefährlich, daß er den Tod seines Gurus wünschte. Advaitacarya, der älter war als Caitanya und der sich in der Vaisnava-Gemeinschaft in seinem Wohnort Shantipur bei Nabadvip schon profiliert hatte, bevor Caitanya zum Ruhm kam, sah in Caitanya die große Konkurrenz. Daß Advaitacarya, ein strenger Verfechter des Kastensystems, nach anfänglichem Mißtrauen Caitanya doch noch als seinen Guru akzeptierte,59 war wahrscheinlich ein diplomatischer Akt. Ohne sich mit der Beziehung zwischen Caitanya und Advaitacarya tiefgehend zu beschäftigen, kann in diesem Abschnitt festgestehalten werden, daß Caitanya kurz vor seinem mysteriösen Tod a) sich selbst Baul nennt, und b) von seinem Schüler als Baul bezeichnet und um den Abschied gebeten wurde. Caitanyas Schüler Ray Ramananda praktizierte Tantrayoga Noch ein Punkt hängt indirekterweise mit der Frage der Gründung der Baul-Gemeinschaft zusammen. Es ist belegbar, daß zu Caitanyas Lebzeiten in seiner Gemeinschaft tantrischen Yogabungen, die ein wesentlicher Teil der Baul-Religion sind, praktiziert wurden. Shri-shricaitanya-caritamrita, Antyalila V, 14-20 berichten, daß Caitanyas Schüler Ray Ramananda den tantrischen Yoga praktizierte. Daher kann soviel mit Bestimmtheit gesagt werden, daß Caitanya, der auf die Askese großen Wert legte und seinen Schülern befahl, sich von Frauen 57

Vgl. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila I, 6 Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1981, 46 59 Vgl. Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and Philosophy, Mylapore, 11-12 58

32 fernzuhalten,60 in seiner Gemeischaft Anhänger duldete bis förderte, die zum Teil einen anderen Vaishnavismus praktizierten als er selbst. Untersuchungsergebnisse Die Untersuchung hat zur Erkenntnis folgender Tatsachen geführt: 1. Nityananda, der konsequent das Kastensystem mißachtete und Advaitacarya, der möglichst nach der Kastenordnung lebte, beide waren Caitanyas engen Schüler. Caitanya, Nityananda, Advaitacarya und Ray Ramananda - diese vier sind der Beweis dafür, daß in der Caitanya-Gemeinschaft verschiedene Strömungen vorhanden waren. 2. Caitanya wurde in seiner Biographie Shri-shri-caitanya-caritamrita mehrfach als Baul bezeichnet. 3. Im Nityananda-Zentrum wurden religiöse und mit Religion zusammenhängende Übungen praktiziert, die heute in der Baul-Gemeinschaft zu beobachten sind. und 4. Caitanya duldete bzw. förderte den tantrischen Yoga, die heute die Bauls üben. Die genannten Tatsachen führen zu der These, daß um Caitanya und / oder Nityananda sich Menschen versammelt hatten, die ihre speziellen Übungen praktizierten. Diese Gruppe mißachtete die Bestimmungen des Shastras und die traditionelle Moralvorstellung der Gesellschaft. Ihre religiöse Übung bestand hauptsächlich aus Singen, Tanzen, Mahotsab feiern und tantrarituellen Praktiken. Ihre ungezungene Haltung und zum Teil unkomplizierten Übungen machten sie beliebt bei den niederen Kasten und Kastenlosen. Diese Menschen nannten sich selbst Bauls und / oder wurden von den andern als Bauls bezeichnet. Die Bezeichnung Baul hatte wahrscheinlich mit dem Sanskrit-Wort Baul, d. h. närrisch, verrückt, etwas zu tun, da die Verhaltensweise und Praktiken dieser Gruppe den gewöhnlichen Normen der Gesellschaft nicht entsprach. Menschen, die sonst immer ausgeschlossen waren, traten jetzt in den klassischen Hinduismus ein, indem sie von Caitanya oder Nityananda eingeweiht wurden. Auch Mitglieder des Nityananda-Zentrums waren im weiteren Sinne Caitanyas Schüler. Die Zahl dieser Mitglieder war bald nicht mehr zu übersehen. Dies beunruhigte den konservativen Advaitacarya, der dann an Caitanya die Nachricht mit der furchtbaren Bitte schickte. Caitanyas mysteriöser Tod löste diese Gruppe um Caitanya und / oder Nityananda nicht auf. Somit ist auch die Behauptung der Bauls, daß Caitanya ihr Urguru, also der Gründer ihrer Religionsgemeinschaft war, berechtigt.

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S. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila II, 101-165

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Kapitel 3 Die philosophischen Gedanken und die Mystik der BaulReligion Die Bauls haben keine philosophischen Werke verfaßt; ihre Lieder jedoch deuten auf derartige Gedanken hin. Im Folgenden werden die Punkte der philosophieschen Gedanken und der Mystik der Baul-Religion dargestellt. Die Ansichten über die Welt und das Leben Über die Existenz der Welt Die Bauls teilen die Meinung des klassischem Hinduismus, daß die aus Raum, Zeit und Kausalität bestehende Welt nicht selbsterklärlich ist. Es ist die höchste formlose Wahrheit, die die Bauls in ihren Liedern abwechslungsweise Brahman oder Gott (Bhagavan, Ishvar) nennen (s. Kapitel 4), die sich als wahrnehmbare Formen, also als die Welt, manifestiert (s. Anhang Baul-Lieder). Im Gegensatz zu den Advaitavadins und Vishishta-advaitavadins verneinen die Bauls die Existenz der Welt nicht. Die Welt ist keine Scheinexistenz im nihilistischen Sinne. Die Welt ist nur insofern illusorisch, als sie kein selbständiges Objekt ist. Sie existiert nur im Zusammenhang mit der höchsten Wahrheit. Alle Dinge, die ein Mensch wahrnimmt, sind Teilaspekte des Ganzen. Über das Leben Die Bauls betrachten das übliche Leben als Leid (s. Anhang Baul-Lieder). Dies geschieht deshalb, weil der Mensch die Welt nicht als etwas Ganzes, sieht, sondern als etwas, das aus verschiedenen Teilaspekten besteht. Er sucht sich Teilaspekte aus, die seiner Meinung nach ihm Freude bringen werden. Die Teilaspekte aber sind als Manifestationen der höchsten Wahrheit, also etwas, das einen Anfang hat, vergänglich. Da der Mensch sich in vergänglichen Teilaspekten verhaftet, ist er unglücklich, wenn er von diesen getrennt ist. Dies ist der Grund, warum ihm die Welt letztendlich doch nur als Leiden erscheint. Das Leben kann jedoch als Freude ungewandelt werden, wenn der Mensch die folgenden Punkte beachtet: 1. Jedes Objekt, jede Beziehung sind als Gottes Manifestation zu sehen. Hält der Mensch in seinen Gedanken diese Wahrheit wach, führt er ein fröhliches Leben und genießt die Welt. Er führt kein Asketenleben, bleibt aber trotzdem frei, denn in allen Handlungen erlebt er Gott (s. Anhang Baul-Lieder).

34 und 2. Wenn der Mensch hinter allem den immer existierenden Gott sieht., In diesem Falle erleidet er keinen Verlust, denn in Wirklichkeit geht nichts verloren. Das scheinbar Verlorengegangene existiert weiterhin in Gott (s. Anhang Baul-Lieder). Die Maya-Theorie, die den Grund des menschlichen Fehlverhaltens erklärt Auf die Frage, wieso es geschieht, daß der Mensch das Vergängliche für das Absolute hält, obwohl er auf Schritt und Tritt den Gegenbeweis erlebt, warum er die Welt für ein an sich selbst existierendes Objekt hält, obwohl er doch theoretisch weiß, daß sie nur im Zusammenhang mit Gott existiert, antworten die Bauls, es ist die Maya, die alles so geschehen läßt. In unzähligen Liedern beschreiben die Bauls, wie Maya die Menschen in ihrer Gefangenschaft hält und sie in die Irre führt (s. Anhang Baul-Lieder). Allerdings kann hier Krishna den Bauls helfen, da Maya Krishnas Shakti ist. Diese Maya-/Shakti-Theorie haben die Bauls vom Caitanya-Vaishnavismus übernommen. Unten wird diese Theorie kurz vorgestellt. In diesem Zusammenhang wird hier Gott stets Krishna genannt, da Gott des CaitanyaVaishnavismus Krishna ist. Die Caitanya-orientierten Vaisnavs, daher auch die Bauls, bezeichnen die Krishna-MayaBeziehung als acintya-bhedabhed (gleichzeitig dasselbe und verschieden). Hier wird gern das Beispiel vom Feuer und seiner Hitze zitiert. Sie sind nicht dasselbe, aber auch nicht voneinander trennbar. Maya ist nicht etwas, das neben Krishna als die zweite Wahrheit existiert. Sie existiert in Krishna und nur in Bezug auf Krishna, onwohl ihre Eigendynamik unübersehbar ist. Sie hat zwei Funktionen: sie verursacht Unwissenheit (avidya) durch Verhüllung und sie führt den Menschen in die Irre, indem sie ihm die Welt im falschen Licht erscheinen läßt. Ferner, wird sie von Krishna benutzt, wenn er irgendjemandem etwas vortäuschen will. Das Bhagavata-purana X, 13, 18-21 erzählt, daß Krishna mit Hilfe seiner Maya sich als mehrere Kühe und Kuhhirtenjunge manifestiert hat, um Gott Brahma zu belehren. Das Bhagavata-purana meint aber, daß die Maya zwar den gewöhnlichen Menschen in die Irre führt, aber dem Aspiranten hilft, um spirituell weiterzukommen. Als helfende Kraft wird sie Yogamaya genannt, und als die irreführende Mahamaya. Yogamaya hilft dem Adepten bei der Reinigung seiner Seele und der Intensivierung seiner Liebe zu Gott.61 In den Liedern der Bauls findet man den Begriff Yogamaya nicht. Diese erwähnen meistens den Begriff Maya, wobei beim Gespräch festgestellt wird, daß sie auch den Begriff Mahamaya kennen. Daß die Maya auch als helfend arbeitet, wird weder in den Liedern noch im Gespräch behauptet. Die Bauls meinen, daß die Maya den Gedanken des Menschen so beeinflußt, daß er denkt, das Ziel und der Sinn des Lebens ist die weltliche Freude. Der Mensch kommt durch seine Sinnesorgane mit der Welt in Berührung. Dies erweckt in ihm das Verlangen nach diesem und jenem. Er strebt nach dem Gewünschten und versucht das Unangenehme zu vermeiden. Von seinen Wünschen und Abneigungen getrieben schaukelt er zwischen Tränen und Lachen. Geblendet von weltlichen Freuden verstrickt er sich im Netz der Welt. Und je mehr er in den Strudel der Welt einsinkt, um so größer wird die Entfernung von Krishna. Er vollbringt immer mehr Taten (karma) um immer mehr Freude zu erlangen und sammelt so ununterbrochen neue Karmas an, die den Kreislauf der Wiedergeburten aufrechthalten. Der Zustrom der neuen Karmas sichert die Wiedergeburt, da die getanen Karmas ausgelebt werden müssen. In unzähligen Liedern beschreiben die 61

Detailliert in: Srimad Bhagavatam, ed. und übersetzt von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, Tenth Canto, Part One, Capters 1-13, Los Angeles, 1987, 51-52

35 Bauls, wie Maya die Menschen in ihrer Gefangenschaft hält und sie in die Irre führt (s. Anhang Baul-Lieder). Warum Gott es zuläßt, daß Maya mit dem Menschen dieses Spiel treibt, wird in den Liedern nicht gefragt. Die Bauls versuchen, alle empirischen Erlebnisse in ihrer subjektiven Welt zu bearbeiten, ohne gegen Krishna oder Maya Kritik vorzubringen und beklagen sich selbst über die eigene Leichtsinnigkeit (s. Anhang Baul-Lieder). Prem (die Gottsliebe sowie die göttliche Liebe), der Weg zur Befreiung Die Bauls vertreten die Ansicht, daß man sich durch die Gottesliebe, die Caitanya gepredigt hat, von der Maya befreit. Der Caitanya-Vaishnavismus meint, Krishna und Radha sich in einer Person, nämlich Caitanya, verkörpert haben. Krishna, der Genießer, konnte sich selbst nur durch seine Geliebte Radha genießen. Deshalb verkörperte Krishna sich mit Radha in der Person Caitanyas.62 Caitanya war zur Hälfte Radha und zur anderen Hälfte Krishna. Diese Verkörperung des männlichen Gottes und seiner weiblichen Shakti in einer Person war rein innerlich. Biologisch war Caitanya einwandfrei ein Mann. Nur in seinem Bewußtsein war er Krishna und Radha in einem. Als Radha brachte Caitanya seinem Geliebten Krishna keine Bhakti, die Hingabe eines Untergeordneten, sondern Prem, die Liebe einer verliebten Närrin entgegen. Prem wird im Caitanya-Vaishnavismus höher geschätzt als Bhakti, Hingabe, da nach seiner Meinung die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau die intensivste Form der Liebe sei. Krishnadas Kabiraj Gosvami schreibt in Shri-shricaitanya-caritamrita, Adilila IV: „Die Liebe eines Dieners (dasya), eines Freundes (sakhya), Der Eltern (vatsalya) und zwischen Mann und Frau (shringar) Sind die vier Arten der Liebe (41) Jeder denkt, seine Art sei die beste Und genießt Krishna auf seine Art (42) Wenn ich aber genau und unparteiisch (die Arten) untersuche, (Stelle ich fest,) von allen Arten ist Shringar die süßeste (43).“ Die Bauls glauben nur an die vierte Art der Liebe. Daher wollen sie Gott, den Mann, als eine Frau lieben (s. Anhang Baul-Lieder). Hierfür sehen die Bauls kein Problem, da sie als Caitanya-Vaisnavs glauben, die Seelen aller Menschen die Manifestationen von Krishnas Jiva-shakti sind und da Shakti weiblich ist, sind alle Lebewesen, unabhängig von ihrer biologischen Geschlechtszugehörigkeit, weiblich (s. Anhang Baul-Lieder).63 Ferner streben sie an, die göttliche Vereinigung von Krishna und Radha, die im Caitanyas Körper stattgefunden hat, im eigenen Körper zu erleben (s. Kapitel 5). Hierfür braucht der Baul eine weibliche Person, in die er Radha projiziert. Die Mitstreiterin ist aber auch gleichzeitig der Wohnort von Gott, hier Krishna (s. Kapitel 4). Daher ist diese Frau Gott und seine Shakti, bzw. Krishna und Radha in einer Person, wie Caitanya selbst. Die Aufgabe des Bauls besteht darin, daß er in dieser Frau die Anwesenheit Gottes sieht und sie in diesem Sinne liebt. Diese Liebe der Bauls, die anscheinend einer Frau entgegengebracht wird, ist keine körperliche Liebe (kama), sondern göttliche Liebe (prem), die Krishna und 62

S. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila I, 5-6 und IV, 160-164 Über diese Theorie des Caitanya-Vaishnavismus in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and Philosophy, Mylapore, 89 63

36 Radha in Vrindavan erlebt haben. Sie ist frei von jeglichem sexuellen Gefühl (s. Anhang Baul-Lieder). Zwei Paare gelten in der Baul-Gemeinschaft als ideale Paare, die Prem verstanden und erlebt haben. Das eine Paar bildet sich aus dem Vaisnava-Dichter Jayadeva64 (ca 1100 n. Chr.) und seiner Frau Padmavati, und das andere ebenfalls aus einem Vaisnava-Dichter Candidas65 (ca. 1350-1440 n. Chr.) und seiner Geliebten Rajakini (s. Anhang Baul-Lieder). Jayadeva verfaßte auf Sanskrit in Gedichtform das Buch Gitagovinda (Der Gesang über den Kuhhirtenjungen), in dem er das Prem, die göttliche Liebe, zwischen Krishna und Radha, beschrieb. Für manche Europär ist dieses Buch ein rein erotisches Werk,66 aber die Hindus, hier die Bauls, verstehen die Liebesgeschichte von Krishna und Radha als die mystische Vereinigung der individuellen Seele (jivatma) mit Gott (paramatma) (s. Anhang BaulLieder).67 Sharira-tattva, Deha-tattva (die mystische Physiologie) Die Bauls vertreten eine komplizierte Theorie der mystischen Physiologie, die sie das Sharira-tattva bzw. das Deha-tattva nennen. Sie glauben, daß das ganze Geheimnis der Welt sich in einem menschlichen Körper verbirgt, und daher der Mensch die Wahrheit in seinem eigenen Körper suchen muß. Dieser Grundsatz wird in den Liedern immer wieder betont (s. Anhang Baul-Lieder). Unten werden die einzelnen Punkte der Theorie der mystischen Physiologie vorgestellt. Das Manava-janma (die Menschgeburt) Der Mensch spielt in der Religion des Bauls eine zentrale Rolle, da Gott nur im Menschenkörper erlebt werden kann. Diese Religion hat von den Puranas und dem tantrischen Yoga die Ansicht übernommen, daß für das Gotteserlebnis die recht komplizierten Cakra- und Nari-Systeme im Körper (s. unten) die technischen Voraussetzungen sind. Die Cakras, die Zentren der Transformation, und die Naris, Kanäle, die den Körper mit der Lebenskraft versorgen, sind nur in einem Menschenkörper vorhanden. Die Pflanzen und Tiere haben diese nicht. Deshalb wird in der Baul-Religion der Mensch als die wertvollste Schöpfung Gottes betrachtet. Die Seele muß unzählige Male als Pflanze, Tier und vielleicht sogar als ein Gott geboren werden, bevor sie einen Menschenkörper erlangt (s. Anhang Baul-Lieder). Die Reise ist lang und mühsam, aber es lohnt sich, sie gemacht zu haben. Hat die Seele die Menschgeburt erreicht, soll sie auf keinen Fall das Leben vergeuden, sondern die Chance wahrnehmen und im eigenen Körper Gott suchen (s. Anhang Baul-Lieder). Ein Vergleich zwischem dem Pretakalpa des Garura-purana und den Baul-Lieder macht deutlich, daß die Ansichten der Bauls über die Menschgeburt den Ansichten des klassischen Hinduismus gleicht. Der Pretakalpa des Garura-purana sagt: „Irgendwann einmal in den Tausenden und Millionen von Geburten erlangt ein Wesen durch den Schatz seiner guten Werke menschliches Dasein (XVI, 14),“68 und: „Ohne einen [Menschen-] Leib erreicht 64

Über Jayadeva in: Benjamin Walker: Hindu World. An Encyclopedic Survey of Hinduism, Vol 1, London, 1968, 501 65 Über Candidas in: Ibid., 226 66 Ibid., 501 67 Vgl. Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and Philosophy, Mylapore, 21 und 88-89 68 E. Abegg (Übers.): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 215

37 niemand des Menschen höchstes Ziel; deshalb soll man seinen Leib wie einen Schatz hüten und gute Werke damit vollbringen (XVI, 17).“69 Der Kosmos im menschlichen Körper Die Bauls glauben, daß der menschliche Körper den ganzen Kosmos in sich verbirgt (s. Anhang Baul-Lieder). Diese Theorie stimmt mit der Vorstellung der Puranas überein. Der Pretakalpa des Garura-purana schreibt: "In dem Leibe, wie er in Wahrheit ist, sind alle Welten, Berge, Kontinente und Meere, die Sonne und die anderen Gestirne (XV, 53).“70 Die Puranas zählen sieben Hauptgebirge, sieben Kontinente, sieben Weltmeere, vierzehn Welten und neun Planeten.71 Die Namen dieser Gegenstände sind in den verschiedenen Puranas nicht immer identisch, aber die Zahl sieben ist von allen anerkannt worden. Da die Baul-Lieder zwar häufig von der Präsenz des Makrokosmos im eigenen Körper erzählen, diese Theorie aber niemals ausführlich darlegen, müssen mit Puranas Hilfe die Berge etc. im Körper identifiziert werden. Sie sind zum Teil geographisch nicht vorhanden. Auch im Körper sind diese mystischen Gegenstände nicht sichtbar. Nur ein fortgeschrittener Yogi kann sie sehen. Das Pretakalpa des Garura-purana gibt eine detallierte Aufstellung dieser Gegenstände im Körper im Kapitel XV: Die sieben Berge „In dem [mystischen] Dreieck72 erhebt sich der Berg Meru, in der unteren Ecke desselben der Mandara, in der Ecke rechts der Kailasa und in der Ecke links der Himacala (60); an der oberen Seite der Nishadha, an der zur rechten der Gandhamadana, an der zur linken der Ramana: dies sind die sieben Weltberge (61).“73 Die sieben Kontinente „In den Knochen befindet sich Jambudvipa, im Mark [Gehirn] Shakadvipa, im Fleisch liegt Kushadvipa und in den Naris (s. unten) Krauncadvipa (62); in der Haut Salmalidvipa, in sämtlichen Körperhaaren Gomedadvipa; in den Nägeln findet man Pushkaradvipa. (Dies sind die sieben Kontinente.) Und nun folgen die Weltmeere (63):“74 Die sieben Weltmeere „Ksharoda [Salzwassermeer] ist im Harn, Kshiroda [Milchmeer] in der Milch, Surodhani [Schnapsmeer] im Schleim, Ghritasagara [Buttermeer] im Mark [und Gehirn] (64);

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Ibid., 215 Ibid., 206 71 Vgl. W. Kirfel: Die Kosmographie der Inder, Bonn, 1920, 23-61, 128 und 144 72 Gemeint ist das Dreieck, das sich in der Mitte des Muladhara-cakra befindet. Detailliert in: Harish Johari: Chakras, Körperzentren der Transformation, Basel, 1992, 56-61 und 65 73 E. Abegg (Übers.): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 1921, 208 74 Ibid., 208 70

38 Rasodadhi [Saftmeer] findet sich im Chylus [rasa], im Blut ist Dadhisagara [Quarkmeer], Svadudaka [Süßwassermeer] ist im Halszäpfchen zu erkennen, o Sohn der Vinata (65)!“75 Die Sonne und die sieben Planeten „Im Nada76 ist die Sonne, und im Bindu77 der Mond; in den Augen ist Mars [Kuja] zu erkennen, im Herzen ist Merkur [Jña], wie bekannt (66); in der Vishnustätte (vishnu-cakra)78 findet sich Jupiter [Guru], im Samen [Sukra] die Venus, im Nabel Saturn [Manda], im Antlitz Rahu, wie bekannt (67). Im Bereich des Vayu79 ist Ketu: im Körper ist der Planetenkreis (68).“80 Das Brahmanda (Weltei) Laut hinduistischer Kosmogonie, die in den Puranas enthalten ist, ist das Weltei (brahmanda) durch die Erde in zwei Teile - die Himmelwelten und die Unterwelten - geteilt. Es gibt sieben Himmelwelten und sieben Unterwelten.81 Diese ganzen vierzehn Welten befinden sich in einem Menschen, wie uns die Lieder erzählen (s. Anhang Baul-Lieder). Diese sind die folgenden: Die sieben Himmelwelten 1.Bhurloka: Bhurloka ist die Erde mit ihren Kontinenten, Meeren und Höllen. 2. Bhuvarloka: Bhuvarloka liegt zwischen der Erde und der Sonnenbahn. Diese wird von der Sonne und dem Mond beleuchtet. 3. Svarloka: Svarloka liegt zwischen der Sonnenbahn und dem Polarstern. Die Sonne, der Mond, die Sterne und die Planeten gehören zu dieser Welt. Svarloka ist der allgemeine Himmelskörper. 4. Maharloka: Maharloka ist die Welt der Heiligen, deren Lebensdauer eine ganze Schöpfungsperiode (kalpa) beträgt. 5. Janarloka: Janarloka ist der Wohnort der Söhne Brahmas. Laut Shiva-purana sind sie Sanaka, Sananda, Sanatana, Kapila, Asuri, Vodhu und Pañcashikha. 75

Ibid., 208 Nada in diesem Zusammenhang bedeutet der mystische Klang, der durch das Zusammensein von Shiva und Shakti im Körper entsteht. Shiva und Shakti befinden sich zusammen im Muladhara-cakra jeweils als Svayambhu-linga und Kundalini-shakti. Detailliert in: Harish Johari: Wege zum Tantra, Freiburg im Breisgau, 1987, 51 77 Bindu in diesem Zusammenhang bedeutetdie männliche Energie im statischen Zustand. Detailliert in: Upendrakumar Das: Shastramulak bharatiy shakti-sadhana, Bd. 1, Kalikata, 1984, 366-369 78 Vishnu-cakra ist ein mystischer unsichtbarer Kreis in der Handfläche, s. M. Monier-Williams: A SanskritEnglish Dictionary, Oxford, 1964, 999 79 Vayu (Wind) bedeutet hier die fünf Arten von Prana (Lebenskraft), detailliert in Swami Gambhirananda (Ed. und Übers.): Brahma-sutra-bhasya of Sri Shankaracarya, Calcutta, 1993, 540 80 E. Abegg (Übers): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 209 81 S. W. Kirfel: Die Kosmographie der Inder, Bonn, 1920, 128-143 76

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6. Tapoloka: Tapoloka ist die Welt der Meditation. Hier wohnen Götter, die Elemente, Sinnesorgane und die Materie (s. unten) beherrschen. 7. Satyaloka: Satyaloka ist die Brahma-Welt, die Welt der Wahrheit. Hier wohnen Götter, die nicht mehr sterben. Hierhin kommen die Enthaltsamen (brahmacari), die die absolute Wahrheit (satya) erkannt haben. Die Yogis trinken hier den Yoga-Nektar (yogamrita). Die ersten drei Welten sind vergänglich, die drei letzten dagegen unvergänglich; die dazwischen liegende Maharloka ist von gemischtem Charakter. Sie überlebt die Zerstörung (pralaya) am Ende einer Schöpfungsperiode (srishti), wird jedoch von den Göttern verlassen. Die Stellen der Himmelwelten im Körper Pretakalpa des Garura-purana placiert diese Himmelwelten im Körper im Kapitel XV folgendermaßen: "Bhurloka ist im Nabel, Bhuvarloka darüber; Svarloka findet sich im Herzen, Mahas [Maharloka] im Halse (58); Janaloka ist im Munde, Tapoloka an der Stirn, Satyaloka im Brahmarandra (der Mittelpunkt im Schädel) (59).“82 Die Aussage des Bauls Krishnendu Das Die vom Baul Krishnendu Das aufgeführte Liste der sieben Himmelwelten ist identisch mit der hier schon erwähnten, nur er präsentiert sie in einer anderen Reihenfolge. Seine Liste lautet: „Bhuh, Bhubah, Svah, Jana, Mahah, Tapah and Satya.“83 Krishnendu Das sagt nicht, wo genau welche Welt sich im Körper befindet. Die sieben Unterwelten Die Puranas berichten, die sieben Unterwelten, die die untere Hälfte des Welteis bilden, liegen etagenweise aufeinander. Die Namenslisten in verschiedenen Puranas variieren. Die Unterwelten dürfen nicht mit der Hölle verwechselt werden, wo die Verstorbenen die Strafe für ihre schlechten Karmas erleiden. Die Unterwelten sind reich und schön. „Die Sonnenstrahlen erzeugen hier Licht, aber keine Hitze, und die Mondstrahlen leuchten, ohne Kälte zu erzeugen. Liebliche Wälder, Flüsse, Seen mit Lotusgruppen, das Singen der Kokila und anderer Vögel, reizende Kleider mit Schmucksachen, duftende Salben, die Töne der verschiedenen Musikinstrumente, (. . .) bereiten den Bewohnern dieser Räume Genuß, und selbst ein Erlöster würde hier noch Freude empfinden.“84 Hier wohnen die Asuras, auch Danavas und Daityas genannt, die mächtigen Feinde und Halbbrüder der Götter.85

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E. Abegg (Übers.) Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 1921, 207 Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 64 84 W. Kirfel: Die Kosmographie der Inder, Bonn, 1920, 145 85 Detailliert in: Eckard Schleberger: Die Indiesche Götterwelt, Darmstadt, 1997, 163 83

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Die Stellen der Unterwelten im Körper Die Bezeichnungen der Unterwelten und ihre Placierung in verschiedenen Körperteilen variieren in verschiedenen Schriften. Der Pretakalpa des Garura-purana zählt und placiert in Kapitel XV die sieben Unterwelten folgendermaßen: „An der Fußsohle ist Tala, das merke, an der oberen Fläche der Füße Vitala; in den Knien Sutala, das wisse, in den Schenkeln Mahatala (56); in den Hüften Talatala, in der Schamgegend Rasatala, in den Lenden Patala: das sind die bekannten sieben Welten (57).“86 Die Aussage von Baul Krishnendu Das Baul Krisnendu Das nennt die folgenden Unterwelten, ohne jedoch diese Unterwelten im Körper zu placieren: Tal, Atal, Bital, Sutal, Talatal, Mahatal and Rasatal.87 Die Aussage der Bauls über ihre eigene Erfahrung Die Frage, ob der Baul die vierzehn Welten im eigenen Körper gesehen oder wahrgenommen hat, wird von den Baul-Gurus immer positiv beantwortet. Auf die Bitte der Autorin konnte kein Baul es genau, oder annähernd genau beschreiben, was er in seinem Körper gesehen hat. Wenn man die Bauls mit Fragen allzusehr belästigt, bekommt man die Antwort, man solle ins Labor kommen und selbst die Versuche vornehmen. Die vierundzwanzig Tattvas Zahlreiche Lieder singen von der Prakriti, von den vierundzwanzig Tattvas, drei Gunas, zehn Indriyas (fünf Wahrnehmungsfunktionen, genannt Jñanendriya und fünf ausführende Körperteile, genannt Karmendriya), und fünf Elementen (s. Anhang Baul-Lieder). Dies zeigt, daß die mystische Physiologie nicht nur vom Yoga, sondern auch vom SankhyaSystem88 beeinflußt ist. Da die Lieder die Punkte nur erwähnen, ohne sie zu erläutern, müssen ihre Aussagen mit Hilfe des Sankhya-Systems verstanden werden. Ohne ausführlich auf das Sankhya-System einzugehen, werden hier die Punkte erläutert, die zum Verstehen der Baul-Religion beitragen. Sankhya zählt zwei Urprinzipien: Purusha (Bewußtsein) und Prakriti (Materie). Purusha ist unveränderlich, unsterblich und unendlich. Purusha ist der Atma, der beim Tode den verbrauchten Körper verläßt, um sich in einem neuen, den getanen Karmas entsprechenden, Körper niederzulassen. Der Tod des Körpers trifft den Purusha nicht. Er bedeutet für ihn lediglich einen Wohnortwechsel. Der Purusha ist rein in seiner Natur. Obwohl er ständig mit der Prakriti (Materie) in Berührung steht, bleibt er von ihr unbeeinflußt. Prakriti enthält in sich drei Gunas (Eigenschaften), aus denen alles Materielle in dieser Welt besteht. Diese drei Gunas sind: Sattva, Rajas und Tamas. Alle Menschen enthalten diese drei Gunas, und sind je nach der Prädominanz eines der drei Gunas sattvika, rajasika oder tamasika in ihrem 86

E. Abegg (Übers.): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 1921, 207 Vgl. Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 64 88 Über das Sankhya-System s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol 2, London, 1977, 248-335 87

41 Wesen und Charakter. Die folgende Strophe in der Bhagavadgita beschreibt, wie die Gunas auf den Menschen wirken: „Sattva führt zur Freude, Rajas zur Aktivität, o Bharata (gemeint ist Arjuna), wobei Tamas jedoch Wissen verschleiert und zur Trägheit führt (Bhagavadgita XIV, 9).“ Wenn die Gunas in der Prakriti sich im vollkommenen Gleichgewicht befinden, ist sie inaktiv. Sie verliert aber ihr Gleichgewicht, wenn sie mit dem Purusha in Berührung kommt. Dies ist auch der Zeitpunkt, in dem ihre Entfaltung als vierundzwanzig Tattvas beginnt. Dies geschieht in folgender Reihenfolge: Die vyakta Prakriti (manifestierte Prakriti) → Buddhi (Intellekt), auch Mahat (der kosmische Intellekt) genannt → Ahankara (Ich-Bewußtsein) → fünf Tanmatras („Feinelemente“ Elemente des Geräusches, Tastens, Geruchs, der Form / Farbe und Geschmacks) → Manas (Geist) → fünf Jnanendriyas (Sinnesorgane: die Funktionen vom Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Berühren) → fünf Karmendriyas (ausführende Körperteile: Zunge, Füße, Hände, Ausscheidungsorgane und Reproduktionsorgane) und → fünf Dhatus, auch Bhutas bzw. Mahabhutas (Großelemente: Erde, Wasser, Wind, Feuer, Äther) genannt. Jede Kategorie ist feiner als die darauffolgende. Dies ist in Kürze die Theorie der Tattvas. Die Gelehrten aus dem Caitanya-Vaishnavismus teilen Prakriti in Para-prakriti bzw. Svarupa-prakriti und Apara-prakriti bzw. Bahiranga-prakriti. Die erste ist Sat, Cit, Ananda (Existenz, Bewußtsein, Glückseligkeit) und die zweite ist Maya.28 Die Bauls kennen jedoch diese feinen Unterschiede der Prakriti nicht. Für sie ist die Prakriti Gottes Shakti, die mit Maya (s. oben) identisch ist. In ihren Liedern erwähnen die Bauls vierundzwanzig Tattvas im menschlichen Körper (s. Anhang Baul-Lieder). Ripus (Feinde) und Darajas / Duyaras (Türen) Es gibt noch weitere Details im Körper, mit denen sich die Bauls gedanklich beschäftigen. Die sechs Ripus (Feinde) im eigenen Körper, Kama (Sinnenfreude), Krodha (Zorn), Lobha (Habgier), Moha (Verblendung), Mada (Rausch) und Matsarya (Neid), werden in Liedern als Widersacher dargestellt. Diese warten wie Diebe oder Räuber auf die günstige Gelegenheit, wenn die Bauls unachtsam werden, damit sie alle ihre spirituellen Bemühungen zunichte machen können. Auffallend ist ihre Heimtücke (s. Anhang Baul-Lieder). Die Bauls singen auch von neun Öffnungen, die der Körper hat (s. Anhang Baul-Lieder). Diese sind: die Ohren, Augen, Nasenlöcher, der Mund, Anus und das Geschlechtsorgan. Der Baul nennt sie in seinen Liedern Darja, Duyar, d. h. Türen. Durch die Öffnungen dringt die Außenwelt in den Menschen ein, lockt ihn an und lenkt ihn von Gott ab. Außerdem, durch die Öffnungen, besonders durch das Geschlechtsorgan, verliert der Baul wertvolle Energie, die er zurückhalten muß, um die Kundalini-shakti (s. unten) in seinem Körper zu erwecken. Die Yoga-Übungen verleihen dem Baul die Fähigkeit die Öffnungen zu schließen. Während der Yoga-Übung muß er in der Lage sein, die neuen Öffnungen zu schließen, mit seiner ganzen Konzentration die Kundalini-shakti im Muladhara-cakra (s. unten) zu wecken und sie zum Ajña-cakra (s. unten) zu schicken, wo sie sich mit Gott vereinigt. In der Vereinigung zwischen Gott und Kundalini-shakti erlebt der Baul seine eigene mystische Vereinigung mit Gott (s. Kapitel 5). Wenn er nicht in der Lage ist, die Öffnungen zu schließen, dringt während der Übung die Außenwelt in ihn ein, die Maya beherrscht seinen Gedanken und er verliert die Energie, indem diese durch die Öffnungen den Körper verlassen und in die Außenwelt dringen. Dies macht die Wirkung der Yoga-Übung zunichte. Die

42 Kundalini-shakti schläft weiterhin im Muladhara-cakra, der Baul befindet sich weiterhin unter Mayas Herrschaft und erlebt Gott nicht. Die Theorie der mystischen Bedeutung der neun Öffnungen ist alt und wird auch in den Upanishaden und in der Bhagavadgita vertreten. Katha-upanisad II, ii, 1 zählt elf Türen. Diese sind die oben erwähnten plus der Nabel. Die Bhagavadgita V, 13 beschreibt den Zustand eines Menschen, der seinen Körper als das Gehäuse benutzt und ihn vollkommen beherrscht, folgendermaßen: „Ein Körperbesitzender (dehi, d. h. Mensch), der sich durch seinen Gedanken von allen Aktivitäten zurückgezogen hat, lebt fröhlich in der Stadt der neun Türen, ohne etwas zu tun oder auch eine Tat zu veranlassen.“ Die Öffnungen sollen nicht nur für die passive Funktion, Schließung, damit zwischen der Außen- und Innenwelt kein Austausch stattfindet, trainiert werden, sondern sie müssen den Adepten auch aktiv unterstützen, indem sie durch die Maya verblendet ihm die Welt nicht falsch vermitteln, sondern das Licht des Wissens in sich scheinen lassen. So sagt Krishna in der Bhagavadgita XIV, 11: „Wenn an allen Türen dieses Körpers das Licht der Intelligenz scheint, dann soll (man) wissen, daß (in diesem Körper) Sattva prädominant ist." Es ist eindeutig, daß die Bauls die menschlichen Gefühle, welche die Ripus darstellen, als ein Hindernis auf dem Wege des Gotteserlebnis sehen. Die Öffnungen sorgen für den Austausch mit der Außenwelt. Der Baul, lernt die Theorie der neun Öffnungen der Bhagavadgita von seinem Guru und gibt sie seinem Schüler weiter. (s. Anhang Baul-Lieder) Naris (Kanäle im Körper) Ein weiterer wichtiger Aspekte der mystischen Physiologie sind die Naris im Körper. Naris sind die Kanäle, die im Körper das Versorgungsnetz bilden. Der Yoga vertritt die Meinung, daß der Körper mit einer großen Anzahl von Kanälen versehen ist. Diese führen dem Körper die Lebenskraft (prana) zu und verteilen sie im ganzen Körper. Die Zufuhr und Verteilung geschieht in jedem Körper, jedoch nicht optimal. Das optimale Ergebnis kann durch korrekte Atemübungen, die der Yoga vorschreibt, erzielt werden. Hathayoga-pradipika I, 39 zählt zweiundsiebzigtausend Kanäle im Körper. Shiva-samhita II, 13-16 zählen insgesamt dreihundertundfünftausend Kanäle. Sharada-tilaka I, 43 schreibt: „Es gibt unzählige Kanäle.“ Es ist offensichtlich, daß es verschiedene Meinungen über die Gesamtzahl der Naris gibt. Die Baul-Lieder machen keine einheitlichen Angaben über die Gesamtzahl der Naris. Im Gespräch behaupten die Bauls, es gäbe Hunderte, Tausende, Millionen von Naris im Körper, ohne jedoch etwas Näheres und Genaueres darüber zu sagen (s. Anhang Baul-Lieder) Die zehn wichtigsten Naris im Tantra Das Tantra nennt zehn wichtigen Naris, die mit den zehn Öffnungen des Körpers verbunden sind.89 Die neun Öffnungen sind für jeden Menschen wahrnehmbar. Die neun Naris mit den 89

Vgl. Harish Johari: Chakras, Körperzentren der Transformation, Basel, 1992, 29-43

43 neun Öffnungen sind: Ira-nari mit dem linken Nasenloch, Pingala-nari mit dem rechten Nasenloch, Gandhari-Nari mit dem linken Auge, Hastijihva-nari mit dem rechten Auge, Yashasvini-nari mit dem linken Ohr, Pusha-nari mit dem rechten Ohr, Alambusa-nari mit dem Mund, Kuhu-nari mit den Genitalien und Shankhini-nari mit dem Anus. Die zehnte Öffnung ist die Fontanelle. Die Sushumna-nari ist mit dieser Öffnung verbunden. Die zehnte Öffnung bleibt normalerweise zu. Sie öffnet sich nur dann, wenn die Seele beim Tod den Körper durch die Fontanelle verläßt. Dies geschieht nur bei den Erleuchteten Yogis. Die drei wichtigsten Naris in der Baul-Religion Für die Bauls sind die Sushumna-nari, die Ira-nari und die Pingala-nari die wichtigsten aller Kanäle. Die Sushumna-nari fließt senkrecht vom Muladhara-cakra bis zum Sahasrara-cakra durch die Wirbelsäule. Unterwegs durchquert sie die anderen Cakras (s. unten). Bei NichtYogis bleibt Sushumna-nari mit Schleim und Galle verstopft und läßt nichts durch Die Iraund Pingala-nari, die mehrfach die Sushumna-nari umwinden, fließen jeweils links und rechts von der Sushumna-nari. Sushumna, Ira und Pingala enden jeweils in der Fontanelle, im linken Nasenloch und im rechten Nasenloch. Die Naris werden in den Liedern manchmal mit den heiligen Flüssen Sarasvati, Ganges und Yamuna verglichen (s. Anhang BaulLieder), die sich im Muladhara-cakra einer Frau treffen und während der Menstruation dort für die Flut sorgen (s. Kapitel 5). Im Muladhara-cakra (s. unten) sind die drei Naris miteinander verbunden, und werden daher in diesem Status Yuktaveni, d. h. miteinander verbundene Strömungen, genannt. Wenn sie das Muladhara-cakra verlassen, trennen sie sich. Im Ajña-cakra (s. unten) treffen sie sich wieder, sind aber hier nicht miteinander verbunden, Daher werden sie in diesem Status Muktaveni, d. h. die voneinander befreite Strömung, genannt. Die drei Kanäle werden für den tantrischen Yoga benötigt (s. Kapitel 5). Außerdem führt die korrekte Versorgung der Lebenskraft durch die Kanäle dazu, daß der Mensch gesund lebt und die Harmonie zwischen der Außen- und Innenwelt erlangt. Gesundheit ist die indirekte und Geistesharmonie die direkte Voraussetzung für das Gotteserlebnis. Nur ein gesunder Körper ist imstande, die Anstrengungen der Yoga-Übungen durchzustehen. Die Harmonie des Geistes ist wiederum notwendig, um Gott zu erleben. Ein unruhiger Geist ist nicht in der Lage, Gott zu empfangen. Die korrekte Versorgung setzt gereinigte Kanäle voraus, die normalerweise mit Galle und Schleim verstopft sind. Hathayoga-pradipika II schreibt: In ihren Liedern stellen die Bauls hauptsächlich Ira-, Pingala- und Sushumna-nari vor (s. Anhang Baul-Lieder) Cakras (die Zentren) und die Kundalini-shakti im Körper Die Bauls glauben, daß der menschliche Körper mehrere Zentren in sich birgt. Die Bauls nennen diese Kotha (Zimmer, Etagen) oder Cakra. Diese Zentren im Körper sind unsichtbar. Eine chirurgische Sektion kann diese Zentren nicht nachweisen. Jedes Zentrum ist der Sitz bestimmter Aspekte des Bewußtseins. Durch die Aktivierung dieser Zentren ist es möglich, die mysteriösen, verborgenen Kräfte im eigenen Körper zu entdecken, was für das Gotteserlebnis unbedingt nötig ist. Diese Kräfte sind in allen Menschenkörpern immer vorhanden, nur bei einem Laien bleiben sie ungenutzt. Das Ziel des Bauls ist es, mit Hilfe dieser Kräfte die Nähe Gottes zu erreichen. Gott ist das kosmische Bewußtsein (paramatma), der Mensch das individuelle Bewußtsein (jivatma). Da diese Zentren die bis dahin unentdeckten Kräfte im Körper in Bewegung setzen und die transzendentale Begegnung des kosmischen und individuellen Bewußtseins ermöglichen, werden sie als Antriebskräfte des menschlichen Körpers betrachtet und mit Wagenrädern verglichen. Der Baul vergleicht diese Zentren mit dem Lotus (s. Anhang Baul-Lieder). Die Farben der Blütenblätter in verschiedenen Zentren

44 sind verschieden. Die Anzahl der Blütenblätter deutet auf die Anzahl der unsichtbaren Kanäle (nari), mit denen die Cakras verbunden sind. Jedes Zentrum wird von einer anderen Luft (vayu) beherrscht. Hier soll erwähnt werden, daß im Hinduismus zahlreiche voneinander abweichende Theorien über die Cakras und deren Bedeutungen gibt. Hier wird nur die Vorstellung der Bauls berücksichtigt. Die Zählung der Zentren fängt unten an. So befindet sich das erste Zentrum, das Muladhara-cakra, zwischen dem Anus und den Genitalien gefolgt vom Svadhisthana-cakra in den Genitalien, Manipura-cakra im Nabel, Anahata-cakra im Herzen, Vishuddha-cakra in der Kehle, Ajña-cakra zwischen den Augenbrauen und Sahasrara-cakra, in der Fontanelle. Für die Bauls sind das Muladhara-cakra, Ajña-cakra und Sahasrara-cakra von großer Bedeutung, weil in den ersten beiden Cakras Gott sich mit seiner Shakti trifft (s. Kapitel 5) und das letzgenannte Gottes Wohnort ist. Außerdem ist das Ajña-cakra der Sitz des Gurus (s. Anhang Baul-Lieder). Im Muladhara-cakra schläft die Kundalini-shakti. Die Kundalini-shakti ist in diesem Zusammenhang die weibliche Energie Gottes. Das Wort Kundali bedeutet: gewunden. Sie wird Kundalini-shakti genannt, weil sie sich, während sie schläft, wie eine Schlange windet. Sie wohnt im Muladhara-cakra getrennt von Gott, der im Ajña-cakra und auch im Sahasraracakra wohnt. Solange Kundalini-shakti getrennt von Gott im Muladhara wie eine gewundene Schlange schläft, ist für den Menschen das Gotteserlebnis nicht möglich. Deshalb muß der Baul sie durch yogische Atemübungen aufwecken. Wenn sie aufwacht, will sie unverzüglich nach oben zu Gott. Wie weit sie aber vorankommt, hängt davon ab, wie weit die Sushumna-nari (s. oben) gereinigt ist. Ist die Sushumna-nari gereinigt worden, schießt Kundalini-shakti bis zum Ajña-cakra und vereinigt sich dort mit Gott. In dieser Vereinigung zwischen Gott und seiner Shakti erlebt der Baul Gott. Ira- und Pingala-nari haben einen Einfluß auf Kundalini-shaktis Bewegung, obwohl sie als Gottes Energie durch die Sushumna-nari fließt.90 Da die Lieder nichr ausführlich über die Kundalini-shakti beschreiben, werden hier einige Strophen Hathayoga-pradipikas, die sehr genau die Theorie der Kundalini-shakti der BaulReligion vorstellen, zitiert. Im Kapitel 3 schreibt diese heilige Schrift: „Die Kundalini-shakti schläft In der Höhle (d.h. im Muladhara-cakra). (Sie) befreit den Yogi Hält aber den Unwissenden gefangen (Im Kreislauf der Wiedergeburten). Wer dies weiß, der wird frei sein (107). Kundalini, die eine komplizierte Form hat (kutilakara), Wird als eine Schlage beschrieben. Wer diese Shakti in Bewegung setzt, Der wird ohne Zweifel befreit (108). Ira-(nari) ist die Bhagavati-ganga (d. h. Ganges), Pingala-nari ist (der heilige Fluß) Yamuna. Zwischen Ira und Pingala (sitzt) Die junge Frau Kundalini (110). 90

Vgl. Hathayoga-pradipika IV, 18

45 Packe die Schlange am Schwanz (Und) wecke die Schlafende. Hat die Shakti den Schlaf abgeschüttelt, Richtet sie plötzlich ihren Schlund nach oben (111).“ Das Buch empfiehlt verschiedene Atemübungen, die Kundalini-shakti erwecken. Das Sharada-tilaka-tantra XXV, 64 schreibt, daß die Kundalini-shakti Gott nicht im Ajña-cakra, sondern im Sahasrara trifft. Augenscheinlich bestehen in dieser Hinsicht verschiedene Meinungen. Die Bauls glauben jedoch, daß das Treffen im Ajña-cakra stattfindet. Der Hauptgewicht des mystischen Konzepts über die Naris und Cakras der Baul-Religion liegt an folgenden Punkten: Kundalini-shakti schläft im Muladhara-cakra, wacht auf durch Atemübungen des Yogis, bewegt sich nach oben durch die Sushumna-nari, vereinigt sich mit Gott im Ajña-cakra und diese Vereinigung spendet dem Menschen Glückseligkeit. Der Baul hält sich an diesen Schwerpunkten fest und will nicht viel Theoretisches über das komplizierte Nari- oder Cakra-System des Yogas und Tantras wissen. Die Bedeutung des Nari-und Cakra-Systems reduziert sich für ihn auf die Aktivitäten der Sushumna-nari, Muladhara- und Ajña-cakra und die Kundalini-shakti, ohne deren Mitwirkung er Gott nicht erleben kann. So wird in den Liedern hauptsächlich nur auf diese Punkte eingegangen (s. Anhang Baul-Lieder). Granthis (Knoten) im Körper Es gibt drei, wiederum unsichtbare Granthis, d. h. Knoten im Körper, die nach drei Göttern genannt werden. Diese sind: Brahma-granthi, Vishnu-granthi und Rudra-granthi. Die Granthis befinden sich jeweils in der Nabelgegend, der Herzgegend und zwischen zwei Augenbrauen, wo sich auch das Ajña-cakra befindet. Der Brahma-granthi, genannt nach dem Schöpfungsgott Brahma, befindet sich in der Nabelgegend, da diese Gegend die Welt der Namen (nama) und Formen (rupa) darstellt. Der Vishnu-granthi befindet sich in der Herzgegend. Dieser Knoten motiviert den Menschen, alles Positive zu erhalten. Da dieser Granthi einen zum Bewahren bewegt, wird er nach Gott Vishnu, dem Erhalter, genannt. Obwohl dieser Knoten den Menschen zur positiven Tat motiviert, hält er ihn doch fern von Gott, denn jede mit Motivation getane Tat hält den Kreis des Karmas - Tat - Folge -Tat aufrecht. Der Rudra-granthi befindet sich im Stirnbereich. Dieser Knoten wird nach Rudra, Gott der Zerstörung, genannt, weil der Mensch, der diesen Knoten gelöst hat, auch gleichzeitig alle materiellen und spirituellen Bindungen gelöst und sich mit Brahman / Gott vereinigt hat. Die drei Knoten muß man sich wie drei Hürden im Hindernislauf vorstellen. Die Kundalini-shakti steigt höher und löst einen Knoten nach dem anderen. Die Bauls sehen zu, daß die Kundalini-shakti den letzten Knoten nicht löst, damit der Mensch seine scheinbar separate Existenz bewahrt. Die Dualität ist nötig, um Gott zu genießen (s. Anhang BaulLieder). Hathayoga-pradipika IV schreibt, was geschieht, wenn die Kundalini-shakti die Rudra-granthi löst: „Ist der Rudra-Knoten gelöst, Steigt der Atem bis zu Gottes heiligen Wohnort (76). Hier wird der Geist eins (mit Gott). (D. h. hier löst sich der Geist des Yogis im Brahman auf.) Dies wird Rajayoga genannt. Er ist jetzt der Herr der Schöpfung und Zerstörung. Nun wird der Yogi zum Gott (Ishvar) (77).“

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Es gibt einzelne, sehr wenige Lieder, die die Kundalini-shakti nicht nur bis zum Ajña-cakra schicken wollen, sondern bis zum Sahasrara-cakra (s. Anhang Baul-Lieder, Lied ). Dies bedeutet jedoch, daß der Yogi im Brahman aufgeht. Er behält keine scheinbar separate Existenz, die er braucht, um Gott zu genießen. Candra / Cãd (die Monde im Körper) Die Bauls vertreten die Meinung, daß sich im Körper vierundzwanzigeinhalb Candras bzw. Cãd, Monde und noch einmal acht Monde verstecken. Die vierundzwanzigeinhalb Monde verteilen sich im Körper folgendermaßen: zehn Monde in zehn Fingernägeln, zehn in den zehn Zehennägeln, in den beiden Wangen jeweils einer, einer in der Unterlippe, einer in der Zunge und ein halber Mond auf der Stirn. Die acht Monde sind vorhanden: im Mund einer, in beiden Brüsten jeweils einer, in beiden Händen jeweils einer, im Brustkorb einer, im Nabel einer und im Geschlechtsorgan einer. Die Lieder erzählen von den Monden ohne diese zu entschlüsseln (s. Anhang Baul-Lieder). Die Bauls erläutern jedoch die Lieder bereitwillig, wenn man sie danach fragt. Mukti (die Befreiung) in der Baul-Religion Das Ziel der Baul-Religion ist die Mukti (Befreiung). Das, was die Baul sich unter Befreiung vorstellen, entspricht dem Befreiungskonzept des Caitanya-Vaishnavismus. Die Bauls glauben, daß ein befreiter Mensch 1. vom Kreislauf der Wiedergeburten befreit ist und 2. ewig in Gottes Nähe weiterlebt. Die Bauls teilen die Meinung der Tantriks, daß wenn die Kundalini-shakti eines Adepten das Sahasrara-cakra erreicht, der Adept selbst zum Gott (ishvar) wird (Hathayoga-pradipika IV, 76-77). Im Gegensatz zu den Tantriks, wollen die Bauls sich nicht in der höchsten Wahrheit auflösen, da sie dann ihre separate Existenz verlieren und daher Gott nicht mehr genießen können. In ihren Liedern warnen die Bauls davor, daß der Adept bei der Yogaübung die Kundalini-shakti nicht das Sahasrara-cakra betreten läßt, sondern sie im Ajña-cakra festhält, da dies die letzte Stufe der Dualität ist (s. Anhang Baul-Lieder). Obwohl das Ziel der Bauls mit dem Ziel des Caitanya-Vaishnavismus identisch ist, ist doch der Weg, der die Bauls zu diesem Ziel führt, ein anderer als der des Caitanya-Vaishnavismus. Der Weg des Caitanya-Vaishnavismus ist die Gottesliebe. Die Bauls jedoch glauben, daß nur ein bestimmter tantrischer Yoga einen Menschen zum Ziel führt (s. Kapitel 5). Durch diesen Yoga erlebt der Baul Gott im eigenen Körper. Dieses Erlebnis befreit ihn vom Kreislauf der Wiedergeburten und ermöglicht ihm Gottes Nähe für die Ewigkeit. Obwohl die Lieder keine Aussage über den Himmel machen, ist es eindeutig, daß die Bauls an Goloka glauben, den Himmel des Caitanya-Vaishnavismus, wo die befreiten Krishna-Anhänger in Krishnas Gesellschaft (parikara) leben. Denn sie glauben, daß ein Befreiter nach seinem Tod in Gottes Nähe leben wird. Auch wenn der tantrische Yoga zum Ziel führt, ohne Gottesliebe ist dieser Yoga nicht praktizierbar. Der Baul muß Gott so lieben, wie Radha Krishna geliebt hat. Hier wird wieder der Caitanya-Vaishnavismus-Aspekt der Baul-Religion deutlich. Die Intensität dieser Liebe ist die erste Voraussetzung für die spirituelle Disziplin der Caitanya-orientierten Vaisnavs, also auch für die Bauls. Candidas hat in seinen Liedern diese Liebe vorgestellt (s. Anhang Lieder von Candisdas). Der Zustand der Gottesnärrin Radha gilt als der ideale Zustand bei den Bauls. Die Gottesliebe soll überwältigend sein, damit sie die Welt verges-

47 sen. Nur dann werden sie in der Lage sein, sich vollkommen auf Gott zu konzentrieren und den tantrischen Yoga zu üben, der sie dann befreit. In ihren Liedern machen die Bauls keine Aussage darüber, was mit einem befreiten Menschen geschieht, der noch einige Jahre auf der Welt leben muß, um seine alten Karmas auszuleben. Während der Gespräche wurde es aber deutlich, daß sie ihre Gurus für befreite Menschen halten. Dies bedeutet, daß sie an die Theorie des Jivanmuktas glauben. Jivanmukta ist jemand, der schon befreit ist, aber noch einige Jahre auf der Erde leben und leiden muß, um seine alten Karmas auszuleben. Neue Karmas bleiben jedoch wirkungslos, da er die Wahrheit erfahren hat. Untersuchungsergebnisse 1. Die Baul-Gemeinschaft hat philosophische Gedanken, jedoch keine systematische Philisophie, wie z. B. das Advaitavada oder Vishishta-advaitavada. Die philosophieschen Gedanken und die Religion der Baul-Gemeinschaft ist eine Zusammenstellung verschiedener Vorstellungen und Theorien verschiedener Richtungen des Hinduismus, wobei die Einflüsse vom Caitanya-Vaishnavismus und Tantra die größten sind. 2. Die philosophischen Gedanken und die Religion der Baul-Gemeinschaft befähigt ihre Anhänger, der objektiven Welt eine vollkommene subjektive Interpretation zu verleihen und introvertiert in dieser subjektiven Welt relativ friedlich zu leben. Sie verleiht ihren Anhängern die Kraft zu glauben, daß vor Gottes Auge sie den den drei oberen Kasten gleichwertig sind. Ihre Religion gibt den Bauls ein Ziel vor, für das es sich lohnt zu arbeiten und zu leben. 3. Die Baul-Religion steht der Welt mit einer positiven Haltung gegenüber. Die Welt ist nur dann ein Jammertal, wenn sie getrennt von Gott gesehen wird. Die Aufgabe des Menschen ist nicht die Askese, sondern alles als die Manifestation Gottes zu betrachten. Daher braucht er auf nichts zu verzichten, kann alles genießen, ohne sich an die Erscheinungsformen zu klammern. 4. Die Gottesliebe (prem) und die mystische Physiologie (sharira-tattva, deha-tattva) sind zwei Schwerpunkte der Baul-Religion, wobei der erstgenannte vom Caitanya-Vaishnavismus und der letztgenannte vom Tantra beeinflußt sind. Die Lehre und Praxis der Liebe ist eng mit der mystischen Physiologie verbunden. Die Kenntnisse über die mystische Physiologie inst die Voraussätzung für die Praxis dieser Religion. 5. Ferner, sind in diesem Zweig der Religion alle wichtigen Aspekte des Hinduismus, wie Brahman (die höchste Wahrheit), Ishvar (Gott), Atma (individuelle Seele), Maya (falsche Auffassung der Welt), Karma, Wiedergeburt, Yuga (Schöpfungszyklen) zu finden.

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Kapitel 4 Die Gottesbilder der Baul-Religion Die Bauls sind Dualisten. Sie glauben an Gott, aber sie haben keine systematische Theorie von Ishvar oder Bhagavan des Vishishta-advaitavada. Gott der Bauls ist eine unsystematische Zusammenstellung von Kenntnissen, die sie von ihrem Guru vermittelt bekommen haben und die sie durch Beobachtung ihrer Umwelt, Teilnahme an Diskussionen und Hören der professionellen und halbprofessionellen Prediger in Dörfern erworben haben. Diese Zusammenstellung enthält viele Wiedersprüche in sich. Daher kann hier von Gottesbilder gesprochen werden, die neben einander stehen. Das von den Puranas beeinflußte Gottesbild Die Puranas haben einen unübersehbaren Einfluß auf das Gottesbild der Baul-Gemeinschaft aus. Die Puranas sind die Veden der einfachen Hindus. Als smritis sind diese Bücher für die Shudras und Kastenlosen nicht verboten. Die Puranas gehören zu den populärsten Erzählstoffen Indiens, die zu den religiösen und säkularen Anlässen, auf den Jahrmärkten und als Gutenachtgeschichten erzählt werden. Es gibt keinen von der Religion geprägten Kulturzweig, sei es der populäre traditionelle indische, wie Yatra, Pala (Theater) oder Kabir gan (Ballade), sei es der von Europa eingeführte, wie die Filmindustrie, der nicht von den Puranas durchdrungen ist. Die mündliche Überlieferung und die audiovisuelle Darstellung sorgen dafür, daß die Legenden der Puranas am Leben erhalten bleiben und alle Volksschichten erreichen. Mit viel Phantasie und dramatischer Dichtkunst erzählen sie von den Heldentaten und Liebesgeschichten der Götter, von den Errungenschaften und Lebensläufen der Heiligen, den Geschichten der königlichen Linien mit all ihrer Glorie, Intrige und Schicksalsschlägen, Kosmogonie, von den obligatorischen Pilgerfahrten und Bußen und von vielen anderen Dingen. Die Legenden in den Puranas sind oft so sehr ineinander verstrickt, daß der Leser häufig den Faden verliert, aber dies beeinflußt nicht den Gesamteindruck, der zum Schluß übrig bleibt: Gott ist allmächtig und erhaben, in seinen Händen liegt das Schicksal des Menschen. Er ist anthropomorph. Als die allmächtige, liebevolle, aber auch strenge Autorität trägt er sie die Verantwortung für die Welt, sorgt für Ordnung und Gerechtigkeit, belohnt den Guten und bestraft den Bösen. Obwohl das Karma-Gesetz anerkannt wird, bestimmt Gott den Lauf der Welt. Er plant und führt durch, was für die Welt gut ist. Er nimmt die Sache selbst in die Hand, wenn die Welt einmal in Unordnung gerät. Die Hauptgötter sind auch die Beschützer anderer Götter, deren Herrschaft über das Himmelreich immer wieder von ihren Widersachern, den Asuras, bedroht wird. Parallel zu den bildhaften Darstellungen haben die Puranas ihre Hauptgötter philosophisch analysiert und diese mit dem Brahman der Upanishaden gleichgesetzt. Das formlose Brahman erscheint als Gott Vishnu, Shiva oder Göttin Kali. So sind die puranischen Götter identisch mit dem formlosen Brahman der Upanishaden. Die Götter sind reine Erscheinungsbilder, sie existieren nur im Zusammenhang mit Brahman. Die Lieder demonstrieren, daß die Bauls diese Lehre der Puranas kennen (s. Anhang Baul-Lieder).

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Die Beziehungen des Bauls mit Gott Die Bauls projizieren ihre Familien-Beziehungen, wie etwa die Mutter-Kind- und die VaterKind-Beziehung, und die gesellschaftlichen Beziehungen auf Gott. Die Bauls verhalten sich distanzierter, wenn sie Gott als Vater beschreiben, als wenn sie Gott als Mutter beschreiben (s. Anhang Baul-Lieder). Im Zutrauen zu Gott, der Mutter und der Distanziertheit zu Gott, dem Vater spiegelt sich die patriarchalische Gesellschaft. Ferner, die Zutraulichkeit zu Gott, der Mutter, ist vom Tantra und dem Kali-Kult von Ramakrishna in West Bengal beeinflußt. Bauls, die als Tagelöhner, Fischer, Bauern etc. arbeiten, beschreiben Gott auch als ihren Herrn (prabhu), dem sie für alles dankbar sind (s. Anhang Baul-Lieder). Die Unterwürfigkeit, welche die Lieder vorstellen, die Gott als den Herrn beschreiben, ist auch die, welche die Shudras und Kastenlosen in der indischen Gesellschaft den Herren aus den drei oberen Kasten entgegenbringen. Gott und Götter verhalten sich wie die Dorfbewohner Gott der Bauls ist aber, außer daß er allmächtig ist, den Menschen sehr ähnlich. Er findet Freude an denselben Sachen wie der Baul selbst, z. B. an der Vereinigung mit der Partnerin, wie Krishna mit seiner weiblichen Energie Radha (s. unten), oder am Hanfrauchen, wie Shiva. Oft ist Gott in den Liedern ein einfacher Mensch, ein Nachbar, den die Bauls in ihrem Dorf kennen (s. Anhang Baul-Lieder) Das vom Tantra beeinflußte Gottesbild Viele Lieder schreiben Gott für den Hinduismus ungewöhnliche Aktivitäten zu. Die Aktivitäten kann Gott nur in einem weiblichen Körper durchführen. In einem männlichen Körper ist er gezwungen, sich relativ passiv zu verhalten. Hier eine kurze Darstellung der Aktivitäten Gottes: Gott wohnt im Sahasrara-cakra, das sich im Schädel einer Frau befindet. Wenn diese Frau ihre Menstruation bekommt, kommt Gott von seinem Wohnsitz herunter, um seine Shakti, die im Beckenplexus wohnt und in dieser Zeit lebhaft wird, zu treffen. Um herunter zu kommen benutzt er den Kanal Sushumna-nari (s. Kapitel 3) als Weg. Im Beckenplexus vereinigt er sich mit ihr auf mystische Weise und wird dadurch glücklich. Er weilt hier drei Tage lang. Am vierten Tag kehrt er zu seinem Wohnort zurück. Während seines Aufenthaltes im Beckenplexus wird er unaufmerksam. Der zielgerichtete Baul nutzt diese Gelegenheit, um ihn zu fangen (s. Kapitel 5). Zahlreiche Lieder beschreiben dieses Treffen (s. Anhang Baul-Lieder). Die Reise des Menschen des Herzens und sein Treffen mit der weiblichen Energie im Bekkenplexus ist eine umgedrehte Interpretation des tantrischen Maithun, wonach Shakti, die sich im Beckenplexus eines Menschen befindet, senkrecht aufsteigt und Shiva, im Sahasrara-cakra oder im Ajña-cakra trifft.91 Die Bauls kennen die tantrischen Schriften nicht. Da Bengal aber einer der Standorte des Tantra ist, leben die Bauls nicht ganz unbeeinflußt von ihm. Es ist eine natürliche Folge, daß sie von ihrem Umfeld tantrische Lehren und Übungen aufnehmen. Da der Wissenstransfer nicht sachkundig geschieht, werden die tantrischen Lehren zum Teil richtig, zum Teil aber auch falsch vermittelt. Die Theorie des

91

Vgl. Sharada-tilaka-tantra XXV, 64

50 Treffens ist ein Produkt des lückenhaften Wissens vermischt mit Phantasie. Zahlreiche Lieder stellen diese Aktivitäten Gottes dar (s. Anhang Baul-Lieder). Auch die Theorie der Baul-Religion, Gott wohnt im Sahasrara-cakra, zeigt den Einfluß Tantras auf das Gottesbild der Baul-Gemeinschaft. Das Tantra glaubt, daß Shiva im Sahasrara-cakra wohnt. Zahlreiche Lieder beschreiben diese Theorie (s. Anhang Baul-Lieder). Dieser vom Tantra beeinflußte Gott ist eine Nachahmung von Shiva der Shakti-Verehrer. In den tantrischen Schriften trifft zwar Shiva als der Ehemann und Lehrer der Shakti auf, befindet sich aber in ihrer Macht. In seinem Unterricht, den er im Mahanirvana-tantra Shakti erteilt, macht er es deutlich, daß Shakti die eigentliche Herrscherin der Welt ist. Das Devimahatmya I, 82-87 verkünden, daß Shakti Brahma, Vishnu und Shiva geschaffen hat. Der tantrische Gott der Baul-Religion befindet sich soweit in der Macht von Shakti, daß 1) er zu einer bestimmten Zeit sie besuchen muß, um eine bestimmte Art der Glückseligkeit zu erleben, daß 2) er nicht in der Lage ist, ohne die Shakti diese Glückseligkeit zu erleben. Ein weiterer Schwachpunkt dieses Gottes besteht darin, daß er während seines Zusammenseins mit Shakti die Konzentration und Aufmerksamkeit verliert und sich von dem Baul fangen läßt. Diese Eigenschaften unterscheiden den tantrischen Gott der Bauls von dem von den Puranas beeinflußten Gott, der als der mütterliche oder väterliche Manifestation Brahmans ihre Kinder schützt oder für die Gerechtigkeit in der Welt sorgt. Der tantrisch beeinflußte Gott der Bauls verhält sich den Menschen gegenüber gleichgültig. Die Motivation seiner Aktivitäten ist die Eigenliebe. Das vom Caitanya-Vaishnavismus beeinflußte Gottesbild Die Vaisnava-Dichter Jayadeva92 und Candidas93 haben Krishna von seinem VishvarupaBild in der Bhagavadgita XI getrennt und ihn zu einem in seiner Shakti Radha verliebten Gott gemacht. Die Liebe zu Radha ist Haupteigenschaft dieses Krishna, seine Heldentaten und seine Rolle als Herrscher der Welt, spielen bei Jayadeva und Candidas eine untergeordnete Rolle. Caitanya, der Jayadeva und Candidas schätzte, verehrte diesen Krishna und gab seinen Anhängern ihn als deren Gott weiter. Caitanyas Gott ist eindeutig der Geliebte von Radha. Da die Baul-Gemeinschaft aus der Caitanya-Bewegung entstanden ist, beeinflußt die Liebesgeschichte von Krishna und Radha das Gottesbild der Baul-Religion. Die Geschichte wird von Candidas in Shri-krishna-kirtan folgendermaßen erzählt: Krishna war das Pflegekind vom Kuhhirten Nanda und seiner Frau Yashoda, die in Vrindavan lebten. Von der Mutter verwöhnt, verhätschelt und zum Selbstbewußtsein erzogen, übernahm Krishna bald die Führung der Jugendlichen im Dorf. Zur gleichen Zeit wurde Vishnus Shakti als Tochter eines Kuhhirtenehepaares in Vrindavan geboren. Die Eltern nannten ihre Tochter Radha. Die Caitanya-orientierten Vaisnavs meinen, daß Gott drei Shaktis hat. Diese sind: Sandhini-shakti, Samvit-shakti und Hladini-shakti und entsprechen Gottes drei Eigenschaften, nämlich Sat (Existenz), Cit (Bewußtsein) und Ananda (Glückseligkeit). Die Hladini-shakti ist die Energie, durch die Gott sich selbst genießt. Radha ist die Personifikation der Hladini-shakti.94 Im heiratsfähigen Alter wurde Radha mit einem Hermaphroditen, dem Kuhhirten Aihana verheiratet. Aihana bestimmte seine alte Tante Barayi zur Aufsichtsperson für seine junge Frau. Unter Aufsicht von Barayi ging Radha mit anderen Kuh92

Über Jayadeva s. Benjamin Walker: Hindu World. An Encyclopedic Survey of Hinduism, Vol. 1, London, 1968, 501 93 Ibid., 226 94 Über Krishnas Shaktis in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and Philosophy, Maylapore, 81-87

51 hirtenfrauen im Dorf jeden Tag zum Markt, um dort die Milchprodukte zu verkaufen. Der Kuhhirt Krishna indessen hütete die Kühe seiner Eltern. Eines Tages, auf dem Rückweg nach Hause, verlor Barayi Radha, die sich mit bei den jungen Kuhhirtenfrauen aufhielt. Barayi ging zu Krishna, der mit seinen Kühen in der Nähe war und fragte, ob er Radha gesehen hätte. Da aber Krishna bis zu diesem Zeitpunkt Radha noch nicht gekannt hatte, mußte Barayi ihm Radha beschreiben. Die Beschreibung von Radhas Schönheit führte dazu, daß Krishna sich in sie verliebte. Barayi mußte ihm ein Zusammentreffen mit Radha versprechen. Barayi brachte Radha die Nachricht, daß Nandas Sohn sich in sie verliebt hätte und ihre Gesellschaft wünschte. Radha lehnte eine Liebesbeziehung mit der Begründung ab, daß sie verheiratet sei. Krishnas unbändige Liebe zur Radha führte dazu, daß er wiederholt versuchte, Radha zu überreden. Auch Barayi schickte er als seine Botin. Auf Radhas täglichem Marktgang bot er sich ihr als Gepäckträger an, um ihre Liebe zu gewinnen. Er erniedrigte sich und bettelte um ihre Zuneigung. Trotz aller Bemühung blieb Krishna erfolglos. Daß Gott sich in seine Schöpfung Mensch verliebt und ohne seine Gegenliebe unglücklich bleibt, ist ein neuer Aspekt, den Caitanya in den Hinduismus eingeführt hat. Dieser Krishna ist nicht der erhabene Krishna der Bhagavadgita oder der übergeordnete Vishnu der Puranas. Er ist der Geliebte, dem man mit glühender Passion entgegenkommt. Um Radha für sich zu gewinnen, erdachte sich Krishna eine Möglichkeit. Er baute sich eine Flöte. Auf dieser Flöte spielte er den mystischen Ton Om.95 Der mystische Ton wirkte auf Radha in wunderbarer Weise. Was Krishnas ganze Bemühung nicht bewirken konnte, wurde leicht mit dem Ton Om erzielt. Sobald Radha Krishnas Flötenspiel hörte, entflammte in ihrem Herzen die unbändige, leidenschaftliche Liebe für ihn. Ab jetzt wurde Krishna zu ihrem Lebensinhalt. Die Meinung der Gesellschaft oder ihrer angeheirateten Familie kümmerte sie nicht. Trotz des Verbotes und wiederholter Strafen, die ihr von ihrer Schwiegermutter aufgezwungen wurden, traf sie sich heimlich mit Krishna. Am Ufer des Flusses Yamuna in den Gärten von Vrindavan kosteten sie ihre Liebe aus. Die bengalische Vaisnava-Literatur ist reich an Beschreibungen dieser Szenen.96 Radhas ganze Gedanken, ihr ganzes Leben galt nun der Liebe zu Krishna. Das Flötenspiel von Krishna, das in Radha, die hier die Menschen verkörpert, die Liebe zu Gott erweckt hat, spielt in der Vaisnava-Literatur eine zentrale Symbolrolle. Gott liebt seine Schöpfung Mensch. Wenn der Mensch aus Unwissenheit Gott vergißt, gibt Gott Hilfestellung, damit er zu ihm zurückfindet. Die Melodie der Flöte ist Gottes mystische Berührung, die für Radha unwiderstehlich war. Vergleicht man Krishna der Baul-Lieder mit Krishna der oben zitierten Legende, stellt man fest, daß der Krishna der Bauls mit dem Krishna der Caitanya-Vaisnava-Literatur identisch ist. Als Caitanya-Vaisnavs finden die Bauls gerade eine besondere Freude Gott als Krishna darzustellen (s. Anhang Baul-Lieder). Die Beziehung zwischen dem Baul und seinem Gott Krishna Als Caitanya-Vaisnavs glauben die Bauls, daß alle Menschen, ob Mann oder Frau, Shaktis sind. Daher projizieren die Bauls Radha auf sich selbst. Dies bedeutet, die Baul-Religion projiziert die verbotene Liebe zwischen Mann und Frau auf Gott und sich selbst. Dies entspricht genau der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen im Caitanya-Vaishnavismus, wie sie von Krishnadas Kabiraj in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila, IV dargestellt wird. Die Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen beruht auf Gegenseitigkeit. Daher befindet sich der Baul hier auf derselben Ebene wie Gott. Hier herrscht die 95 96

Über Om in: Svami Mukhyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Mylapore, 1-3, 9-16, 27 und 36-37 Vgl. Khagendra Nath Mitra (Ed.): Vaisnava-padavali, Kalikata, 1996, 1-108

52 Gleichberechtigung. Gott und der Baul teilen die gleichen Empfindungen und sind gefühlsmäßig abhängig voneinander (s. Anhang Baul-Lieder). In ihren Liedern beklagen sich die Bauls, daß ihre Liebe zu Krishna nicht intensiv genug ist. Der Leser wir hier darauf aufmerksam gemacht, daß die Bauls in solchen Fällen sich oft als eine Frau betrachten und sich mit Radha identifizieren, die mit ihrer Freundin spricht (s. Anhang Baul-Lieder). Gott, der Purusha Die Bauls nennen Gott unter anderem Purusha, den Mann, den Menschen (s. Anhang BaulLieder). Er ist bewegungslos. Weil er kein Konglomerat ist, steht er über den Gunas, den Eigenschaften der Prakriti.97 Da er von den Gunas frei ist, ist er der Wiedergeburt nicht unterworfen. Wiedergeburt erleidet nur der, der in sich die drei Gunas beinhaltet. Weil er die Gunas transzendiert, ist er formlos. Die Glückseligkeit (anandam) des Purusha ist nicht vergleichbar mit der weltlichen vergänglichen Freude, die ein Produkt der Zusammenkunft der Prakriti und der individuellen Seele (jivatma) ist. Die Glückseligkeit des Purushas ist unvergänglich. Obwohl Purusha in einem menschlichen Körper wohnt, ist er niemals dem Leid unterworfen. Purusha bleibt von allen Veränderungen, denen der Mensch unterworfen ist, unangetastet. Der Kontakt mit dem menschlichen Körper führt lediglich dazu, daß Purusha sich blitzartig im Ajña-cakra reflektiert. Der Baul nimmt diese Reflexion wahr und erlebt Gott (s. Anhang Baul-Lieder). Die Freude des Gotteserlebnisses des Bauls ist aber nicht dauerhaft. Der Baul erlebt Gott, wie man den Blitz wahrnimmt. Die Natur dieses Lichtes ist rein (sattvika) und nicht mit dem gewöhnlichen Licht zu vergleichen. Der Vergleich des Paramatma, der kosmischen Seele, mit dem Licht ist im Sankhya-System festzustellen.98 Offen bleibt die Frage, ob die Bauls an die Existenz mehrerer Purushas glauben, wie das Sankhya-System es tut, oder ob sie die Meinung vertreten, daß der eine Purusha sich vervielfältigt und gleichzeitig in mehreren Körpern wohnt. Die Lieder geben uns keine Auskunft hierüber. In den Gesprächen wollten die Bauls sich nicht auf eine dieser Sichtweisen festlegen. Dies zeigt, daß sie gleichzeitig an zwei widersprüchliche Theorien glauben, an die Theorie des Advaita-vedanta99 - das eine Brahman manifestiert sich als viele Seelen (atma) - und an die vom Sankhya-System dargestellte Theorie - es existieren voneinander unabhängig mehrere Purushas. Die Lieder präsentieren keine zufriedenstellende Synthese beider Theorien. In ihren Liedern beschreiben die Bauls Gott als den Bewohner des Sahasrara-cakra (s. Anhang Baul-Lieder) Gottes Wohnort In zahlreichen Liedern behaupten die Bauls, Gott wohne nicht draußen im Tempel, sondern im Menschenkörper. Deshalb kann man ihn nur in einem Menschenkörper suchen und finden (s. Anhang Baul-Lieder). Der genaue Wohnort des Gottes is der Sahasrara-cakra (s. Kapitel 3). Diese Feststellung beeinflußt die Religion weitgehend. Auf Grund dieser Theorie verlieren die religiösen Zeremonien, wie Gottesverehrung vor dem Altar, oder das Baden im Ganges, für die Bauls ihre Bedeutung. Idealerweise sollte ein Baul auf alle Rituale verzichten, außer auf den ritualen Yoga und sich vollkommen auf Gott im menschlichen Körper konzentrieren. 97

Über die Prakriti, ihrer Gunas und die Entstehung der Welt s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 2, London, 1977, 259-277 98 Vgl. Surendra Nath Dasgupta: History of Indian Philosophy, Vol. 1, Delhi, 1975, 212 und 239 99 Über Advaita-vedanta s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 2, London, 1977, 445-658

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Die höchste Wahrheit erscheint als Gott der fremden Religionen Die Bauls glauben, daß die höchste Wahrheit nicht nur in Form hinduistischer Götter, sondern auch als Gott fremder Religionen erscheint (s. Anhang Baul-Lieder). Untersuchungergebnisse 1. Die Gottesbilder der Baul-Gemeinschaft zeigen gute Kenntnisse der Krishna-Theorie des Caitanya-Vaishnavismus, Kenntnisse der Shiva-Shakti-Theorie des Tantra. Allerdings wird aus den Liedern nicht offensichtlich, ob die Bauls die Maithun-Theorie des Tantra absichtlich umdrehen, oder ob sie es tun, weil sie 1. das Tantra doch nicht so gut kennen und 2. vage Kenntnisse von der Brahman-Theorie der Upanishaden und Purusha-Theorie des Sankhya haben. Der Ishvar des Advaita-vedanta ist hier nicht vertreten. 2. Die Baul-Religion hat kein einheitliches Bild von der höchsten Wahrheit, sondern mehrere Bilder, die diese darstellen. Jedes Bild hat seinen besonderen Schwerpunkt. Die verschiedenen Gottesbilder stellen Gott sehr verschieden dar. a) Der von Tantra uns Sankhya beeinflußte Gott verhält sich dem Leid der Menschen gegenüber gleichgültig, wobei der vom Tantra beeinflußte Gott von seiner Shakti abhängig ist. b) Der von den Puranas beeinflußte Gott ist anthropomorph und autoritär, aber auch vertrauensvoll. Er kann gleichzeitig an verschiedenen Orten als verschiedene Götter, z. B. Krishna, Kali etc., erscheinen. Diese Götterformen von Gott sind jedoch keine Fiktionen, sondern Tatsachen. Gott bzw. die obengenannten Götter sind omnipotent, omnipräsent und omniszient. c) Der vom Caitanya-Vaishnavismus beeinflußte Gott, der als Krishna verehrt wird, kommt von seinem Thron herunter und erkennt den Menschen als seinen Partner und gibt ihm die Hilfestellung. 3. Gott der Baul-Religion ist zum Teil das Ebenbild des Menschen, d. h. in ihm sind menschliche Schwächen zu finden, somit unterscheidet er sich von Bhagavan des Vishishtaadvaitavada. Er spiegelt zum Teil die Dorfgesellschaft wieder. 4. Die Bauls sind gleichzeitig Poly- und Monotheisten im hinduistischen Sinne, wie Anhänger vieler anderer Richtungen des Hinduismus. Sie kennen die Ishta-devata(Wunschgott)-Theorie des Hinduismus und besingen in ihren Liedern ihren Wunschgott. 5. Gott der Bauls ist flexibel, vielfältig, und daher interessant. Der Baul findet sich mit allen Variationen Gottes zurecht.

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Kapitel 5 Feste, Rituale, Guru und die spirituelle Partnerin Die Bauls üben Kritik an die Zeremonien und Rituale des klassischen Hinduismus (s. Anhang Baul-Lieder). Untersucht man aber die Baul-Religion, stellt man fest, daß die Bauls feste und Riruale feiern, die vom Caitanya-Vasnavismus und Tantrismus beeinflußt sind. Unten werden diese vorgestellt. Es ist schwierig, die Feste von den Ritualen zu trennen, da auch die Feste einige Ritualcharaktere enthalten. Hier wird das als Fest bezeichnet werden, das in der Öffenlichkeit stattfindet, und als Ritual das, das in der geschlossenen Gesellschaft stattfindet. Dieses Kriterium ist auch deshalb gewählt worden, weil die Baul-Tradition im allgemeinen verlangt, daß auch Nichteingeweihte an den Festen, aber nur die Bauls an den Ritualen teilnehmen dürfen. Einzelne Feste und Rituale der Bauls werden unten vorgestellt. Da die Gesamtzahl der Feste und Rituale groß ist, werden die Untersuchungsergebnisse von einzelnen Punkten am Ende des behandelnden Punktes dargestellt. Die Melas (Treffen), die Feste Das Mela (Treffen) ist ein traditionelles Dorffest in Indien. Im Bundesstaat West Bengal gibt es große und kleine Treffen, wo die Menschen der Dörfer miteinander in Kontakt kommen und ihre Gedanken austauschen. Das Treffen wurde von verschiedenen religiösen Richtungen in Anspruch genommen, um unter den Menschen die eigenen Gedanken zu verbreiten. Die Bauls sehen hierin die Möglichkeit, ihre Religion der Gottesliebe zu praktizieren und den Nicht-Bauls vorzustellen. Unten sind die wichtigsten Melas der Bauls vorgestellt. Die Melas sind die einzigen Feste der Baul-Gemeinschaft Das Jayadeva-mela, auch Jayadeva-kenduli-mela genannt Der Anlaß Das bedeutendste Mela für die Bauls ist das Jayadeva-mela, auch Jayadeva-kenduli-mela genannt. Das Mela wird im Gedenken an den Lyriker Jayadeva100 (ca 1100 n. Ch.) gefeiert. Jayadeva, der in einer Brahmanenfamilie im Dorf Kenduli geboren wurde, war einer der fünf Juwelen (pañca-ratna) des königlichen Hofes vom König Lakshmana-sena (ca. 11791207).101 Die Legende erzählt, daß an einem bestimmten Tag des Jahres Ganges einen seiner Arme nach Kenduli geschickt, damit Jayadeva in diesem heiligen Fluß baden konnte. Zu diesem Anlaß findet an diesem Tag das Jayadeva-kenduli-mela statt. Zeit, Ort und allgemeine Beschreibung Das Jayadeva-kenduli-mela findet am letzten Tag des Monats Paush (paush-sankranti, auch makar-sankranti genannt), gegen Mitte Januar im Dorf Kenduli, auch Kendubilla genannt, am Fluß Ajay, Distrikt Birbhum statt. Das Fest dauert vier Tage. Die Gläubigen behaupten, daß dieses Treffen seit seit 800 Jahren stattfindet. Im Januar, zur Zeit des Treffens, ist der 100

Über Jayadeva s. Benjamin Walker: Hindu World. An Encyclopedic Survey of Hinduism, Vol. 1, 1968, 500502 101 Die fünf Juwelen vom König Lakshmana-sena waren: Jayadeva, Govardhanacarya, Sarana, Umapati und Kabiraj. Vgl. P.C. Roy Choudhury: Temples and Legends of Bengal, Bombay, 1988, 94

55 Fluß Ajay an manchen Stellen trocken. Hier und am Ufer des Flusses bauen die Leute ihre provisorischen Zelte auf. Das Zentrum des Treffens ist der Tempel Radha-vinoda-mandir, auch Jayadeva-mandir genannt. Die Gläubigen behaupten, daß die heiligen Figuren von Krishna und Radha im Tempel diejenigen sind, vor denen Jayadeva selbst seine Gottesverehrung (puja) verrichtete. Während des Treffens werden hier Tag und Nacht die Strophen aus dem Gitagovinda gesungen. Die Teilnehmer versuchen, möglichst in der Nähe des Tempels einen Platz zu finden, was freilich nicht allen gelingt. Das Dorf ist während des Treffens mit Menschenmengen gefüllt und vom Treffen beherrscht. Die Dorfschulen bleiben nur theoretisch geöffnet. Die tief verwurzelte Religiösität der aktiven Teilnehmer und Besucher des Treffens bestimmet die Atmosphäre des Jayadeva-kenduli-mela. Wie viele religiöse Feste der Hindus, bleibt das Jayadeva-kenduli-mela nicht frei von Geselligkeit und Heiterkeit. Das Treffen hat auch einen gewissen Volksfestcharakter. Dies macht das Mela interessant und lockert die Atmosphäre. Hier gibt es Imbisse aller Preisklassen, Stände mit Gebrauchsgegenständen und billiger Kleidung. Die Dorfbewohner können hier preisgünstig einkaufen und sich so mit den notwendigen Dingen für das ganze Jahr eindecken. Es gibt hier auch Souvenirläden, die bei der Gelegenheit ein gutes Geschäft machen. Der Zirkus und die Zauberkünstler sorgen für Unterhaltung. Müßten die Besucher sich tagelang ununterbrochen auf die Religion im strengeren Sinne konzentrieren, hielten die meisten Menschen es nicht durch. So aber können sie sich zwischendurch eine Pause gönnen und immer wieder auf die Gottesliebe zurückkommen. Die Dorfbewohner und Zugereisten machen einen lebensfrohen Eindruck, sie schlendern durch das Treffen, besuchen den Tempel und genießen die vielfältigen Darbietungen des Mela. Weil die Anzahl der Bauls beim Jayadeva-kenduli-mela sehr groß ist, wird es im Volksmund in West Bengal auch als das Baul-mela bezeichnet. Die organisierte Darstellung der Baulslieder Bis vor 1982 wurde das Jayadeva-kenduli-mela ausschließlich von der lokalen religiösen Organisation Nimbarkya-Asthiyal102 und ebenfalls dem lokalen säkularen kulturellen Verein Jayadeva Smriti Club, d. h. Jayadeva Memorial Club) organisiert. Seit 1982 hat ein von der Landesregierung West Bengals beauftragtes Komitee die Organisation der offiziellen Darbietungen der Vishnuitischen Kultur übernommen. Die Angehörigen des Komitees sind akademische Mitarbeiter der Visva-Bharati University, Santiniketan, regionale Politiker und Beamte, Jugendliche aus der Gegend und Purnadas Baul. Purnadas Baul vertritt die BaulGemeinschaft. Um die Kultur der Baul-Gemeinschaft zu präsentieren, errichtet das Komitee eine Bühne, auf der die eingeladenen Bauls ihre Lieder singen. Purnadas Baul stellt die Liste der einzuladenden Bauls auf. Die Bauls singen auf der Bühne bis 21.00 Uhr. Die Aufführung gilt als eine Attraktion, befriedigt aber weder das Publikum noch die Bauls selbst. Die eingeladenen Bauls geben sich in der Öffentlichkeit zufrieden, unter vier Augen äußern sie sich aber kritisch über das Komitee. Die Bauls fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt, weil das Komitee ihnen ein festes Programm vorschreibt. Im einzelnen besteht ihre Kritik aus folgenden Punkten: 1. Purnadas Baul macht Geschäfte mit Baul-Liedern, er kennt die Sorgen der Bauls nicht und kann deshalb die Baul-Gemeinschaft auch nicht repräsentieren. 102

Über Nimbarkya-Asthiyal s. R.G. Bhandarkar: Vaisnavism, Saivism and Minor Religious Systems, Strassburg, 1913, 62-66

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2. Es dürften nicht nur die eingeladenen Bauls auf der Bühne singen, sondern alle, die es wollen, wie es beim Mela der Bauls üblich ist. 3. Sie finden das Programm gezwungen und künstlich Sie möchten so lange und so viele Lieder singen, wie sie es wollen und nicht, wie das Komitee es bestimmt. Eine Baul-Frau sagte der Autorin: „Meine Seele ist nicht befriedigt, wenn ich nur zwei oder drei Lieder singe.“ Die selbständige Darstellung der Baullieder Die vom Komitee nicht eingeladenen Bauls lassen sich nicht dadurch stören, daß das Komitee sie ausschließt. Daher gibt es neben der organisierten Darstellung der Kultur der BaulGemeinschaft mehrere Zelte der Bauls, wo man sie in ihrer natürlichen Atmosphäre beobachten kann. Manche bauen kleine Zelte, andere wohnen unter einem Baum. Wo sie auch wohnen, sie bilden immer eine Gruppe. Hier singen sie ihrer Lieder nach Herzenslust und zeigen so ihre Verehrung für Jayadeva, Caitanya, Krishna und Radha, andere Götter und die Heiligen des Caitanya-Vaishnavismus. Es kommt vor, daß einer die Gruppe wechselt, aber kein Baul bleibt einsam. Die Gruppe kocht und ißt gemeinsam. Es wird rein vegetarisch gespeist. Die gemeinsame Mahlzeit hat im Caitanya-Vaishnavismus eine alte Tradition. Caitanya zwingte seine Anhänger aller Kasten miteinander zu essen, damit die kastenbezogenen Vorurteile abgebaut werden konnte (s. Kapitel 2). Obwohl dieser Grund für die Bauls entfällt, da sie nicht zu unterschiedlichen Kasten gehören, ist die gemeinsame Mahlzeit bei einem Fest für sie obligatorisch. Auf die Frage, ob sie damit die Gleichberechtigung aller Menschen vor Gottes Auge demonstrieren wollten, antworteten die Bauls, sie praktizierten dieses Ritual, weil ihr Urguru Caitanya es so bepfohlen hätte. Hier beobachtet man die blinde Ausübung eines Rituals, das seinen ursprünglichen Grund verloren hat. Untersuchungsergebnisse Was die Bauls hier machen, religiöse Lieder singen und gemeinsam essen, um Jayadeva zu huldigen, könnten sie überall tun, also auch an ihren Wohnorten. Dennoch gibt es zwei Gründe, warum dieses Treffen für sie so wichtig ist, und warum sie am Jayadeva-kendulimela teilnehmen. Diese sind unten dargestellt. 1. Das Dorf Kenduli ist ein Wallfahrtsort (tirtha) für die Bauls. Für die Vaisnavs ist Vrindavan der Hauptwallfahrtsort.103 Im Vishnu-purana VI, 8 steht geschrieben, wenn jemand in Mathura (Vrindavan liegt in Mathura Distrikt) am zwelften Tag des Monats Jyaistha (Mai-Juni) im Fluß Yamuna badet erntet große Belohnung. Die Tatsache, daß die Bauls nach Kenduli fahren, um an einem festgelegten Tag dort mit Gesang und gemeinsamer Mahlzeit Jayadeva und anderen (s. oben) ihre Verehrung zu zeigen, ist ein Beweis dafür, daß sie in Anlehnung am klassischen Hinduismus, hier am Vaishnavismus, eine Pilgerfahrt nach Kenduli unternehmen.

103

Über Vrindavan s. Debidas Bandyopadhyay: Caitanya-carcar pãcsho bachar, Kalikata, 1987, 146-148

57 2. Hier findet der Gedankenaustausch zwischen den Bauls aus verschiedenen Dörfern statt, wobei sie sich gegenseitig bestätigen und dadurch neue Kräfte gewinnen. Diese brauchen sie, um die materielle und gesellschaftliche Benachteiligung im täglichen Leben zu ertragen. Das Kartabhaja-mela Die Kartabhaja(Menschen, die ihren Guru verehren)-Religionsgemeinschaft ist eine Caitanya-Vaisnava-Religionsgemeinschaft in West Bengal, die die Veden und das Kastensystem nicht anerkennt und einmal im Jahr ein großes Mela feiert. Darin begegnen sich die Ansichten der Bauls und der Kartabhajas. Anlaß, Zeit, Ort und die allgemeine Beschreibung Am Vollmond im Monat Phalgun (Februar-März) spielte Krishna mit seiner Geliebten Radha und den Gopis, den Freundinnen Radhas, in Vrindavan das Spiel der Farben (dolpurnima), auch Holi genannt.104 Zu diesem Anlaß findet im Dorf Ghospara, Distrikt 24 Paragans jedes Jahr am Vollmond im Monat Phalguna (Februar-März) das Karta-bhaja-mela statt. Das Treffen findet auf dem Grundstück der Kartabhaja-Gemeinschaft steht. Die Veranstalter sind die Kartabhajas. DieTeilnehmer des Treffens zahlen die Gebühr für die Übernachtung auf dem Gelände. Allerdings werden Leute, die dazu nicht in der Lage sind, geduldet. Zum Kartabhaja-mela finden Gottesverehrung (puja) für Krishna, Radha, Caitanya, Ramsharan Pal, den Gründer der genannten Religionsgemeinschaft und anderen Heiligen und Gurus der Religionsgemeinschaft statt. Auf dem Grundstück befindet sich ein Teich, an dessen magische Heilungskräfte geglaubt wird. Hier baden manch kranke Kartabhajas. Dieser Brauch ist unter den Bauls nicht verbreitet. Die religiösen Aktivitäten der Bauls beschränken sich hier auf das Singen und die gemeinsamen Mahlzeiten. Darstellung der Baullieder Beim Kartabhaja-mela gibt es keine organisierte Darstellung der Baullieder. Bauls, die als Besucher am Treffen teilnehmen, übernachten entweder in ihren Zelten oder unter den Bäumen in verschiedenen Gruppen. Dort, wo sie sich aufhalten, singen sie ihre Lieder, kochen und essen gemeinsam. Ihre Verehrung gilt Gott / Götter, Caitanya, einigen Heiligen des Caitanya-Vaishnavismus und dem eigenen Guru, aber nicht Ramsharan Pal und den Kartabhaja-Gurus. Untersuchungsergebnisse 1. Beide Punkte des Jayadeva-kenduli-mela sind in Bezug auf das Kartabhaja-mela festzustellen.

104

Über Dol-purnima bzw. Holi s. Om Lata Bahadura: The Book of Hindu Festivals and Ceremonies, New Delhi, 1996, 40-51

58 2. Die Tatsache, daß die Bauls am Mela einer anderen Religionsgemeinschaft des CaitanyaVaishnavismus teilnehmen, zeigt, daß die Bauls bereit sind mit anderen Caitanyaorientierten Vaisnavs Gedanken auszutauschen 3. Daß die Bauls hier Ramsharan Pal und die Kartabhaja-Gurus nicht verehren zeigt, daß trotz einiger Gemeinsamkeiten die Bauls und Kartabhajas getrennte Wege gehen. Das Paush-mela (das Treffen im Monat Paush) und das Magh-mela (das Treffen im Monat Magh) Anlässe Zwei weitere Treffen, bei denen sich viele Bauls versammeln, sind das Paush-mela und das Magh-mela. Der Anlaß des Treffens Paush-mela ist die Aushändigung der akademischen Urkunden an die Absolventen der Universität Visva-Bharati. Während des Feiers Maghmela werden Certifikate für gesundheitliche und landwirtschaftliche Leistungen an die Universitätsstudenten und Dorfbewohner verliehen. Beide Treffen sind keine religiösen Treffen, sondern Kulturveranstaltungen, wo Tanz, Musik, Literatur etc. dargeboten werden. Zeit, Ort und die allgemeine Beschreibung Wie die Namen andeuten, findet das Paush-mela (das Treffen im Monat Paush) im Dezember und das Magh-mela (das Treffen im Monat Magh) im Februar statt. Der Veranstalter der Treffen ist die Visva-Bharati University, Santiniketan. Beide Melas dauern drei Tage, finden auf dem Universitätscampus statt und Alle Bauls aus der Umgebung sind hier herzlich willkommen. Die Verwaltung stellt den Bauls einen Platz zur Verfügung, wo sie ihre Zelte aufbauen können. Manchmal werden sie in einem der Verwaltungsgebäuden untergebracht. Die Übernachtung ist kostenlos und die Verpflegung übernimmt die Universität. Von den beiden Treffen ist das Paush-mela das größere und berühmtere. Wegen seiner kulturellen Angebote wird es von Menschen aus ganz Indien besucht. Anders als beim Jayadeva-mela, haben die Anlässen des Paush-mela und Magh-mela mit der Religion der Baul-Gemeinschaft nichts zu tun. Die Bauls sind hier Künstler, die ihre Lieder darbieten. Die Einladung der Bauls zu diesen Treffen geschieht deshalb, weil Tagore, der Gründer der Universität, Baullieder schätzte (s. Kapitel 1). Auf die Frage, ob die Bauls sich der Tatsache bewußt wären, daß sie hier eine künstlerische, aber keine religiöse Funktion erfüllten, wurde geantwortet, daß sie die Sache nicht so sähen. Sie meinten, sie verkündeten die Botschaft der Krishna-Liebe, und wo sie auch sängen, wollten sie nur diese verkünden. Auf die Frage, ob sie wüßten, daß sie für die Besucher eine Attraktion seien, antworteten sie mit ja. Es ist ihnen jedoch nicht klar, daß sie für die Besucher eher eine Kuriosität, nicht aber große Künstler sind. Die Darstellung der Baullieder Im Pausa- und Magh-mela dürfen die Bauls nur nach dem Programm der Organisatorin ihre Lieder singen. Für die Darbietung wird eine Bühne bereitgestellt, auf der nacheinander jeder Baul ein Lied singt. Bis vor dreizehn Jahren war es üblich, daß die Bauls nach Herzenslust so viele Lieder singen konnten, wie sie wollten. Jetzt erlaubt ihnen die Organisatorin dies nicht. Grundsätzlich wird einem Baul nicht mehr als ein Lied auf einmal erlaubt. Eine selbständige Darstellung der Baullieder, wie beim Jayadeva-mela erlaubt die Universität

59 nicht. Die Bauls haben auch nicht die Möglichkeit, wie etwa beim Jayadeva-kenduli-mela, sich in verschiedene Gruppen aufzuteilen, da sie alle zusammen wohnen müssen, wie es die Universität ihnen vorschreibt. Da die Bauls allgemein für ihr Hanfrauchen und ihre lockere Beziehung zu Frauen bekannt sind, befinden sie sich während der Treffen unter strenger Aufsicht der Universität. Da die Verpflegung von der Universität übernommen wird, kochen die Bauls hier nicht selbst. Das Ritual des gemeinsamen Mahlzeit wir jedoch auch hier praktiziert. Untersuchungsergebnisse 1. Daß das Paush-mela und das Magh-mela mit der Religion der Baulgemeinschaft nichts zu tun haben, sondern Kulturveranstaltungen sind, bedeutet, daß die Bauls hier nicht für ihren Gott / ihre Götter und die Heiligen singen. Sie tun es hier für das Publikum. Hier geht der unsprüngliche Sinn und Zweck der Gottesverehrung mit Gesang (sankirtan) verloren (s. Kapitel 2). 2. Da die Bauls hier a) nicht ungezwungen in verschiedenen Gruppen wohnen, b) nur nach vorgeschriebenen Regeln ihre Lieder singen und c) nicht selbst kochen dürfen, kann gesagt werden, daß die Bauls hier nur begrenzt ihre Religion ausüben dürfen. 3. Die strenge Aufsicht der Visva-Bharati University führt zur Unzufriedenheit der Bauls, die sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. 4. Weder beim Paush-mela noch beim Magh-mela spielen die Bauls eine so wichtige Rolle, wie etwa beim Jayadeva-kenduli-mela. Im Gegensatz zum Jayadeva-kenduli-mela besteht hier kein enger Kontakt zwischen dem einfachen Volk und den Bauls. 5. Im Gespräch wird deutlich, daß manche Bauls das Paush- und Magh-mela als eine Möglichkeit sehen, durch ihre künstlerische Fähigkeiten positiv aufzufallen, was der Anfang einer Volkssängerkarriere sein könnte. Der erfolgreiche Purnadas Bauls meinte diese Möglichkeit, als er von der Möglichkeit sprach, die das Paush-mela den Bauls bietet. 6. Die Bedeutung der Melas für die Bauls ist groß. Was die Bauls in den Melas tun, ist die gemeinsame Ausübung der Baul-Religion durch die Bauls, die zu verschiedenen Ashrams gehören. Hier findet eine besondere Art der Gottesverehrung statt, die eine der vielen Variationen des Caitanya-Vaishnavismus ist. Die drei Kriterien von Caitanyas Gottesverehrung - 1. Gottes Lobgesang (sankirtana), 2. Unabhängigkeit der Tageszeit und 3. Unabhängigkeit von einem Tempel oder Hausaltar - sind in der Gottesverehrung der Bauls bei diesen Treffen vorhanden. Ferner praktizieren die Bauls hier mit der gemeinsamen Mahlzeit unbewußt einen weiteren Schwerpunkt des Caitanya-Vaishnavismus: alle Menschen sind vor Gottes Augen gleich. Die Treffen Jayadeva-kenduli-mela und Kartabhaja-mela sind zusätzlich noch eine Pilgerfahrt für die Bauls. Aber welches Treffen es auch sein mag und wo es auch stattfindet, überall dürfen die Bauls fröhlich einige Tage nach ihrer Religion, ihren Sitten und Gebräuchen verbringen. Diese Zeit sind die wenigen kostbaren Tage des Jahres, an denen sie von den täglichen Sorgen befreit sind, sich gegenseitig bestätigen und neue Kräfte sammeln.

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Rituale Der Mahotsab, im Dialekt: Macchab (Die große Feier) Der Hintergrund und der heutige Stand in der Stadt Nabadvip, im Zentrum des Caitanya-Vaishnavismus Der Ursprung des Mahotsab der Baul-Gemeinschaft geht zurück zum Cida-Mahotsab, das von Nityananda in seinem religiösen Zentrum in Panihati gefeiert wurde (s. Kapitel 2). Einer der Schwerpunkte des Mahotsab im Nityananda-Zentrum lag auf dem Gedankenaustausch zwischen den Gelehrten unter sich und zwischen den Gelehrten und den Gläubigen. Dies verlieh dem Fest den Charakter einer religiösen Konferenz. Heute wird Mahotsab von allen Zweigen des Caitanya-Vaishnavismus gefeiert. Das Hauptzentrum der Feier ist die Stadt Nabadvip, der Geburtsort von Caitanya. Hier gibt es unzählige Vaisnava Tempel mit Klöstern, die getrennt voneinander zum Geburtstag von Caitanya und anderen Heiligen den Mahotsab feiern. Daher gibt es in Nabadvip gleichzeitig mehrere Mahotsabs in verschiedenen Tempeln. Das Fest dauert mehrere Tage und hat vier Schwerpunkte: 1. Zeremonielle Verehrung (puja) von Krishna, Radha, Caitanya und anderen Heiligen in den Tempeln, 2. religiösen Gespräche und die Audienz der Heiligen und Fortgeschrittenen, 3. Gottes Lobgesang und Namensgesang im Chor in den Tempeln und 4. die gemeinsame Mahlzeit von Angehörigen aller Kasten. Anlaß, Zeit, Ort und die allgemeine Beschreibung des Mahotsab der Bauls Das Fest Mahotsab soll möglichst mehrmals, mindestens aber einmal im Jahr im Andenken an den Urguru Caitanya gefeiert werden. Meistens feiern die Bauls es nur einmal im Jahr, da das Fest für sie kostspielig ist. Denn anders als bei den Melas müssen die Bauls hier selbst die Kosten der Feier tragen. Das beliebteste Datum für den Mahotsab ist der Geburtstag des Mahaprabhu (großer Guru) Caitanyas oder gelegentlich auch der Geburtstag von Nityananda. Die Geburtstage fallen jeweils auf den Vollmond des Monats Phalgun (FebruarMärz) und auf den dreizehnten Tag nach dem Vollmond im Monat Magh (Januar-Februar). Im Gegensatz zu den Priestern und Gläubigen in den Tempeln in Nabadvip, feiern die Bauls das Fest nur einen Tag. Der Veranstalter der Feier ist immer ein Baul, der zu diesem Anlaß möglichst viele Glaubensbrüder zu seiner Wohngemeinschaft einlädt, wo das Fest gefeiert wird. Die Tradition verbietet den Bauls zum Mahotsab die Nichteingeweihten einzuladen. Es gibt jedoch mittlerweile einige sehr wenige Bauls (die Autorin weiß von insgesamt drei Bauls), die Nichteingeweihte eingeladen haben. Sie begründen ihre Handlung mit der Erklärung, daß ihre Religion die Religion der Menschenverehrung sei. Der Mahotsab gibt ihnen die Gelegenheit, Menschen mit Speise zu dienen. Der Grund war nach der Meinung der Autorin ein anderer. Die eingeladenen Nicheingeweihten, die zu einer der drei oberen

61 Kaste gehörten, gaben ihren Gastgebern eine großzügige Spende für ihre Wohngemeinschaft. Traditionelle und ältere Bauls verurteilen die Mißachtung der überlieferten Werte. Die Schwerpunkte Der Mahotsab der Baul-Gemeinschaft enthält drei folgenden Schwerpunkte: 1. Ein wichtiger Aspekt dieser Feier sind die Fachgespäche über die Religion der Gottesliebe. Bedenkt man die Tatsache, daß die Bauls keine heiligen Schriften haben und daher alle speziellen Anweisungen mündlich von Gurus und Fortgeschrittenen an die Jüngeren weitergegeben werden, wird die Bedeutung dieser Gespräche verständlich. Dies ist auch der Grund, warum manche Bauls behaupten, daß die Fachgespräche der Hauptgrund seien, warum sie die Einladung zum Mahotsab annehmen. Außerdem, gibt es hier Erfahrungs- und Gedankenaustausch. So kann ein Baul seinen eigenen Stand mit dem eines anderen vergleichen und seine Bemühung überprüfen. Obwohl der Baul immer unter der Leitung seines Gurus steht, sind diese Fachgespräche beim Mahotsab eine zusätzliche Bereicherung für ihn. Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang für die Anfänger und noch nicht weit fortgeschrittenen Bauls ist die Gesellschaft der Heiligen und Fortgeschrittenen (sadhu-sanga). Die Heiligen können ihre mystische Kraft auf die anderen übertragen (s. unten unter Diksha, Initiation). Daher warten die jüngeren Bauls geduldig darauf, daß sie ein Heiliger oder Fortgeschrittener mystisch belehrt und ihnen hilft. Dies geschieht während einer Audienz. Während des Festes versuchen die jungen Bauls, möglichst viel mit den Heiligen und Fortgeschrittenen zu verkehren. 2. Da am Mahotsab keine Institution beteiligt ist, haben die Bauls die Möglichkeit, ungezungen und nach Herzenslust ihre Lieder zu singen. 3. Die gemeinsame Mahlzeit, die sowohl am Anfang, wie auch am Ende der Feier stattfinden kann, ist ein religiöser Akt. Hier wird rein vegetarisch gegessen. Meistens besteht die Mahlzeit aus einem Eintopf aus Reis und Linsen und Gemüse. Die warme Mahlzeit für die Gäste wird vom Gastgeber organisiert und finanziert. Den Glaubensbrüdern mit einer guten, möglichst warmen Mahlzeit dienlich zu sein, ist eine wichtige Sache für die Bauls. Sie nennen die Bewirtung Seba, Dienst. Es ist erwähnenswert, daß der Geber hier der Diener ist. Der Geber Baul ist glücklich, daß er Gott im Menschen mit der Speise dient. Jemanden bewirten ist nicht zur Stillung seines Hungers. Es ist die Verehrung (puja) Gottes in einem Menschenkörper. Mit der Bewirtung dient der Baul Gott. Untersuchungsergebnisse 1. Der Mahotsab ist eine vereinfachte Variation des Mahotsab Festes, das in Nabadvip gefeiert wird. Der Schwerpunkt 1 des Mahotsab in Nabadvip wird im Mahotsab der BaulGemeinschaft vermißt, wobei die Schwerpunkte 2, 3 und 4 des Mahotsab in Nabadvip im Fest der Baul vertreten sind. Mit dem Mahotsab pflegen die Bauls eine alte Tradition des Caitanya-Vaishnavismus. 2. Der Mahotsab ist die große Feier der Baulgemeinschaft mit dem Charakter einer Religionskonferenz, wo die noch nicht Fortgeschrittenen hoffen, daß sie von den Fortgeschrittenen die mystische Kraft auf sich übertragen bekommen.

62 3. Die Religion der Bauls ist die Rückkehr von Gott im Tempel zu Gott in den Menschen. Verbindet man dieses Prinzip mit der Tatsache, daß die Bauls in Armut leben, so wird verständlich, warum die Bewirtung der Glaubensbrüder mit einer guten warmen Mahlzeit in der Baulgemeinschaft hoch geschätzt wird. Malsa-bhog (die Opferung der Speise im Tontopf) Das gespaltene Verhältnis der Baul-Gemeinschaft zur Puja (Gottes-verehrung) Die Puja ist eine zeremonielle Verehrung Gottes, die einfach oder kompliziert sein kann, in der der Gläubige sich gefühlsmäßig und zeremoniell Gott annähert. Die Bauls haben eine gespaltene Beziehung zur Gottesverehrung (puja). Dies wird deutlich dadurch, daß sie einerseits in ihren Liedern Puja und ähnliche Zeremonien kritisieren, andererseits selbst eine vereinfachte Form der Puja des Caitanya-Vaishnavismus praktizieren. Die widersprüchlichen Aussagen von Purnadas Baul in ein und demselben Buch macht dieses gespaltenes Verhältnis deutlich. Er schreibt hier: a) „Sie (d. h. die Bauls) üben keine Puja mit Feierlichkeit. (Sie) bauen keinen Tempel, um dort vor Göttern und Göttinnen Puja zu vollziehen,“105 b) „Die vaisnavistischen Bauls verfassen Lieder über Radha und Krishna und verehren (Gott mit diesen Liedern). Sie stellen in ihrer Wohngemeinschaft die Figur (vigraha) des Mahaprabhu, des großen Gottes auf, (gemeint ist Caitanya) und verehren (ihn),“106 und c) „Im Zimmer von Gaur (d. h. Caitanya) und Nitai (d. h. Nityananda) vollziehen sie (d. h. die Bauls) Puja mit fünf Gegegständen (pañca-tattva, s. unten).“107 Die Bauls nennen ihre Opfergabezeremonie Malsa-bhog, das zu verschiedenen Gelegenheiten praktiziert wird. Der Begriff Malsa-bhog bedeutet im Zusammenhang mit der BaulReligion die Opfergabe in Tontöpfen. Die Puja-Zeremonie der drei oberen Kasten Für die tägliche Puja vor dem Hausaltar für Vishnu / Krishna benötigt ein Hindu aus den drei oberen Kasten werden fünf Dinge (pañca-tattva).108 Diese sind: Duft, Blumen, Weihrauch, Lampe und Speise. Diese symbolisieren jeweils die solide, d. h. die physische, die flüssige, d. h. die astralische, die gasartige, d. h. die geistige, die leuchtende, d. h. die himmlische und die ätherische, d. h. die seelische (atma) Kondition der Materie. Außerdem, werden für die Puja an Vishnu bzw. Krishna weiße Sandelpaste und Tulsi-Blätter,109 die für die Vaisnavs heilig ist, gebraucht. Vaisnava-Göttern und -Heiligen darf keine rote Blume geopfert werden. Alle diese Dinge werden vom Verehrer selbst oder beauftragten Priester Gott geopfert. Während er diese Dinge opfert, rezitiert er relevante Sanskrit-Ma-ntras. Die Person, welche die Zeremonie vollzieht, darf ein Mann oder eine Frau sein. Die oben genannten Panca-tattvas dürfen nicht mit den Panca-tattvas, fünf Dingen des Tantras verwechselt werden. Die Panca-tattvas, welche die Tantriks für ihre Puja an Göttin Kali benötigen, sind: Wein (madya), Fleisch (mamsa), Fisch (matsa), gebratene Speise aus Getreide (mudra) und sexuelle Vereinigung mit einer Frau (Maithun).110 Weil alle Wörter mit

105

Purnadas Baul: Banglar Baul gan, Kalikata, 7 Ibid., 7 107 Ibid., 7 108 Vgl. Shrisa Chandra Vasu: The Daily Practice of The Hindus, New Delhi, 1991, 128-135 109 Ibid., 134-135 110 Vgl. Mahanirvana-tantra VI, 1-14 106

63 dem Buchstaben Ma anfangen, werden die Pañca-tattvas auch Pañca Ma-kara, die fünf Mas genannt. Die aufwendigste Puja der Caitanya-Vaisnavs und der Tantriks in West Bengal ist die Zeremonie mit 16 Upacaras (Sachen).111 Diese sind: das Wasser zum Füßewaschen, das Wasser für die Opferung (arghya), das Wasser für die Mundspülung vor dem Essen, das Wasser zum Baden, Kleidung, Schmuck, Parfum, Blumen, Weihrauch, Lampe, Speise, Wasser für die Mundspülung nach dem Essen, Getränk (für die Vaisnavs) / Wein (für die Tantriks), Betelblatt, Wasser für die Opfergabe (tarpana) und die zeremonielle Verbeugung. Die Caitanya-Vaisnavs in West Bengal vollziehen sowohl mit fünf Tattvas als auch mit sechzen Dingen ihre Puja-Zeremonie und nennen Malsa-bhog. In jedem Tempel der Caitanya-Vaisnavs wird das Malsa-bhog praktiziert, und alle Besucher werden hier mit der Gott geopferten Speise bewirtet. Die Caitanya-Vaisnavs aus den drei oberen Kasten benutzen für ihr Malsa-bhog Töpfe und Schüsseln aus Messing, Stein und Ton. Das Malsa-bhog, die Gottesverehrung der Baul-Gemeinschaft Anlaß Im Vergleich zu den verschiedenen Puja-Zeremonien der Hindus aus den drei oberen Kasten ist das Malsa-bhog der Baul-Gemeinschaft eine einfache Zeremonie, die weniger als eine Stunde dauert. Das Malsa-bhog wird zu verschiedenen Anlässen gefeiert, z. B. zum Kanthibadal und Shraddha (s. unten). Ort und Götter / Heilige Da die Bauls keinen Tempel haben, wird die Zeremonie in einem Zimmer des Wohnhauses einer Wohngemeinschaft vollzogen. Meistens wird hierfür das Zimmer des Gurus der Wohngemeinschaft gewählt. Hier werden Caitanya und einige seiner Schüler, z. B. Nityananda, Advaitacarya, Gadadhar, Shrivas und oft der verstorbene Guru des jetzigen Gurus der Wohngemeinschaft verehrt. Gewöhnlich wird hierfür keine Götterbilder, Götterfigur oder Yantra gebraucht. Die Pañca-tattva und der Verlauf der Zeremonie Die Pañca-tattva, fünf Dinge, welche sie bei dieser Gelegenheit ihren Göttern und Heiligen opfern, sind: Duft, dies kann die weiße Sandelpaste oder auch saubare Erde sein, fünf Sorten Blumen, Tulsiblätter, Weihrauch und Speise. Es wird keine rote Blume, Fleisch oder Fisch geopfert. Ein Krug voller Gangeswasser wird für das Malsa-bhog benötigt, um die fünf Dinge damit zu besprühen und zu reinigen. Ist es nicht möglich, das Gangeswasser zu besorgen, nehmen die Bauls das Wasser aus einem naheliegenden Teich oder Fluß. Die Speise besteht aus Cira (ungekochter plattgedrückter Reis), Gur (eingedicker Zuckerrohrsaft), Dudh (Milch), Dai (Joghurt) und Ghi (Butterfett). Die Lebensmittel werden vermischt und in fünf Tonschüsseln gefüllt. Möchte der Guru der Wohngemeinschaft seines eigenen Gurus bei dieser Gelegenheit auch gedenken, wird eine sechste Schüssel mit der Speise vorbereitet. Die Schüsseln werden auf den sauberen Fußboden gestellt. Der Guru der Wohngemeinschaft übernimmt hier die Funktion des Priesters. Er legt je einTulsiblatt 111

Ibid., VI, 78-79

64 (Ocymum sanctum) auf jede Schüssel und besprüht die Speise mit dem Wasser. Dies kann mit der Reinigung der fünf Dinge bei der Puja der drei oberen Kasten verglichen werden.112 Jetzt opfert der Guru die Speise zuerst seinem eigenen Guru und dann Caitanya und seinen Schülern. Auch die Sandelpaste und die Blumen werden ihnen geopfert. Hierfür gibt es keine feste Reihenfolge. Während der Guru die Opferzeremonie vollzieht, murmelt er laut oder lautlos seine persönlichen Mantras auf Bengali. Für jede „Gottheit“ und jeden Heiligen hat er einen anderen Mantra. Diese Mantras können seine eigene Schöpfung sein oder er kann sie von seinem Guru erhalten haben. Wenn der Guru der Wohngemeinschaft annimmt, daß die „Götter“ und „Heiligen“ spirituell gespeist haben, ist die Opfergabe beendet. Nun heißt die Speise nicht mehr einfach Essen, sondern Prasad, Gnade oder Mahaprasad, die große Gnade. Der Prasad wird vom Guru unter den Anwesenden verteilt, wie einst Caitanya an seine Schüler den Mahaprasad verteilte (s. Kapitel 2). Der Maha-prasada wird von den Bauls mit großem Respekt gegessen. Untersuchunsergebnisse 1. Das Malsa-bhog der Bauls ist eine vereinfachte Version des Malsa-bhog der CaitanyaVaisnavs der drei oberen Kasten in West Bengal, da beide die folgenden Punkte enthalten: a) Von Beiden wird die Gabe, die aus Speise und anderen Dinge besteht, zeremoniell Gott / Göttern und Heiligen geopfert. b) Die Pañca-tattvas (fünf Dinge), welche die Bauls zu diesem Anlaß opfern, findet man in der Liste der Dinge, welche die Caitanya-Vaisnavs bei ihrem Malsa-bhog Gott etc. opfern. c) Die Reinigung der Dinge vor der Opfergabe wird sowohl beim Malsa-bhog der Baul wie auch beim Malsa-bhog der Caitanya-Vaisnavs aus den drei oberen Kasten vorgenommen. Obwohl die Einzelheiten sich voneinander unterscheiden, sind doch die Grundgedanken beim Malsa-bhog und bei der Puja gleich, es dürfen nur rituell gereinigte Gaben geopfert werden und daher wird das Ritual vollzogen. 2. Da die Malsa-bhog der drei oberen Kasten eine Variation von Puja ist, ist auch das Malsa-bhog der Baul-Gemeinschaft eine Variation der Puja-Zeremonie des klassischen Hinduismus, die die Bauls in ihren Liedern so sehr kritisieren. Der Baulguru übernimmt hier die Stellung des Priesters im klassischen Hinduismus. 3. Das Vorhandensein einerseits der Kritik an Puja andererseits der Praxis der Puja zeigt das gespaltene Verhältnis, das die Bauls in diesem Bereich haben. Das Kanthi-badal (der Austausch der Ketten) Obwohl zwischen der Heiratsprozedur der drei oberen Kasten und dem Kanthi-badal (der Austausch der Ketten) der Baul-Gemeinschaft erhebliche Unterschiede bestehen, wird bei näherem Ansehen deutlich, daß die Bauls in diesem Zusammenhang mehrere ähnliche Grundvorstellungen haben, wie die Mitglieder der drei oberen Kasten. Ein Vergleich zwischen den beiden ist dort notwendig, um festzustellen, wo die Baul-Gemeinschaft direkteroder indirekterweise von den Dharmashastras beeinflußt ist und wo dies nicht der Fall ist. 112

Vgl. Shrisa Chandra Vasu: The Daily Practice of The Hindus, New Delhi, 1991, 139-142, s. auch Mahanirvana-tantra V, 206-261

65 Unten werden die einzelnen Punkte des Kanthi-badal und der Heiratszeremonie der drei oberen Kasten, soweit es in diesem Zusammenhang nötig ist, vorgestellt. Der Grund für das Kanthi-badal Das Kanthi badala zwischen einem Baul und seiner zukünftigen spirituellen Partnerin findet dann statt, wenn der Guru des Bauls der Meinung ist, daß sein Schüler die Enthaltsamkeit beenden und den tantrischen Yoga üben soll. Dies bedeutet, daß die Bauls sich nicht aus weltlichen Gründen eine Partnerin nehmen, sondern weil sie diese für die Ausübung ihrer Religion benötigen. Neben von den Dharmashastras sind die Bauls in diesem Punkt auch vom Tantra (s. unten) beeinflußt worden. Die Tantriks benötigen für ihre Zeremonien mit den fünf Dingen auch Frauen. Die Vorstellung der Bauls, daß man sich eine Frau nimmt, um die Religion zu ptraktizieren, entspricht der Tradition der Dharmashastras (Baudhayana-Dharmashastra Prasna I, Adhyay 11, Kandika 21, 2). Allerdings gibt es laut Dharmashastras auch einen anderen wichtigen Grund, warum ein Mann heiraten soll. Die Frau soll ihm Söhne gebären. Männliche Nachkommen sind wichtig für den Seelenfrieden der Verstorbenen (Manusmriti III, 37, Vashishtha-Dharmashastra XVII, 1-5). Die Dharmashastras verlangen die aktive Assistenz der Frau bei der Zeremonie. Dort, wo sie es nicht kann, soll sie die Möglichkeit dafür schaffen, daß die Zeremonie vollzogen werden kann. Dies tut sie, indem sie einen Sohn gebiert. Daher darf gesagt werden, daß laut Dharmashastras ein Hindu heiratet, damit die religiösen Zeremonien vollzogen werden können. Die drei Schritte des Brahma-Ritus, die die Dharmashastras für die Hindus aus den drei oberen Kasten festgelegt haben Die Dharmashastras genehmigen acht Arten von Heirat (Baudhayana-Dharmashastra, Prasna I, Adhyay 11, Kandika 20, 1-9). Heute heiraten die Mitglieder der drei oberen Kasten nach dem Brahma-Ritus.113 Der Brahma-Ritus ist zweifellos ein komplizierter Prozess, der die Braut und den Bräutigam zu Eheleuten erklärt und ihnen das ethische und moralische Gerüst und die Ernsthaftigkeit, die mit einer Ehe verbunden sind verleiht. Der Ritus besteht insgesamt aus über vierzig Zeremonien, die in drei Schritten vollzogen werden. Diese sind: 1. Das Aussuchen des / zukünftigen Schwiegersohnes / der Schwiegertochter, 2. Vollzug der Hochzeitszeremonie vor dem heiligen Feuer (Agni) im Hause der Braut und 3. Vollzug der Posthochzeitszeremonie im Hause des Bräutigams. Das Mitgift der Braut spielt beim Brahma-Ritus eine wichtige Rolle. Die zwei Schritte des Kanthi-badal Die Zeremonie des Kanthi-badal ist im Vergleich zum Brahma-Ritus schlicht und wird in zwei Schritten vollzogen. Es bestehen jedoch Ähnlichkeiten zwischen den beiden, wie unten deutlich wird

113

Eine Studie über den Brahma-Ritus: Chanchal Kumar Chatterjee: Studies in The Rites and Rituals of Hindus Marriage in Ancient India, Calcutta, 1978

66

Der 1. Schritt: Das Aussuchen der Partnerin für den Schüler Die Pflichten und Rechte der Eltern, die ihre Kinder nach dem Brahma-Ritus verheiraten, übernimmt hier der Guru des Bauls. Er sucht für seinen Schüler die passende spirituelle Partnerin. Hierbei spielen, im Gegensatz zum Brahma-Ritus, die Kaste, das Gotra, das Horoskop und die Jungfräulichkeit der Kandidatin keine Rolle. Auf den guten Ruf der Familie wird nicht viel Wert gelegt. Allerdings wird auf das Aussehen und Alter der Frau geachtet. Schon hier wird deutlich, daß sich die Wertvorstellungen der Bauls von den Ansichten der Hindus aus den drei oberen Kasten unterscheiden. In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, das Baudhayana-Dharmashastra, Prasna I, Adhyay 11, Kandika, 20, 14 macht die Aussage, daß die Vaishyas und Shudras im Bezug auf die Auswahl der Frau nicht wählerisch sind. Die Partnerin wird nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit selektiert. Sie muß für die Ausübung des tantrischen Yoga des Schülers geeignet sein. Nachdem der Guru sich die zukünftige Partnerin seines Schülers in ihrem Elternhaus angesehen und sich durch Gespräche mit ihren Eltern von ihren yogischen Fähigkeiten überzeugt hat, legt er zusammen mit den Eltern der Frau einen Tag für den Austausch der Ketten fest. Im Gegensatz zum Brahma-Ritus, darf dies zu jeder Jahres- und Tageszeit stattfinden. In dieser Vorbereitungsphase verhält sich der Schüler ähnlich wie ein Sohn der oberen Kasten. Er verläßt sich auf die Entscheidung seines Gurus und gehorcht ihm. Mit dem Aussuchen und der Festlegung des Datums ist die erste Phase des Austausches der Ketten beschritten. Der 2. Schritt: Die Zeremonie vor dem Guru Der Hauptteil der Zeremonie findet vor dem Guru des Schülers entweder in der Wohngemeinschaft des Kandidaten oder im Hause der Kandidatin statt, wozu die Bewohner der Wohngemeinschaft und die Bauls aus der näheren Umgebung eingeladen werden. Der Baul und seine zukünftige Partnerin beugen sich vor dem Guru des Bauls, der ihnen Anweisungen zum gemeinsamen spirituellen Leben gibt. Er schmiert Sandelpaste nacheinander auf Stirn, Bauch, Herz, Hals, die rechte Körperseite, den rechten Arm, die rechte Schulter, die linke Körperseite, den linken Arm, die linke Schulter, Rücken und Hüfte der Kandidaten. Vor dem Guru tauschen beide ihre Ketten aus Tulsi-Holz aus. Die Zeremonie wird von Bengali-Mantras begleitet.Das heilige Feuer wird hier nicht angezündet. Der Baul und seine Partnerin begrüßen den Guru, indem sie seine Füße fassen. Dies entspricht den Anweisungen der Manusmriti II, 71-72. Die Kanthibadal-Zeremonie kann soweit erweitert werden, daß der Schüler hier auch die Initiation zum Tantrayoga (s. unten) empfängt. In diesem Fall findet die Zeremonie hinter geschlossener Tür nur unter der Anwesenheit des Gurus, seiner Partnerin und beider Kandidaten statt. Nachdem die Kanthi-badal-Zeremonie vollzogen ist, gehören der Baul und seine Partnerin zusammen. Der Guru des Bauls wird jetzt auch der Guru seiner Partnerin, die nun ein Mitglied der Wohngemeinschaft geworden ist. Sie nimmt, wie die anderen Frauen der Wohngemeinschaft, die den Frauen zugedachten Rechte und Pflichten wahr. Das Kanthi-badal wird mit einer gemeinsamen Mahlzeit abgeschlossen. Vor der Teremonie haben die Frauen der Wohngemeinschaft ein vegetarisches Mahl vorbereitet, das aus zwei Haupgerichten, 1) einem Eintopf aus Reis und Linsen und 2) Gemüse besteht. Die Speise wird jetzt vom Guru an Caitanya und anderen (s. oben Malsabhog) geopfert. Nachdem man annimmt, daß Caitanya und die anderen die Speise geistig verzehrt haben, wird sie vom Guru an die Anwesenden verteilt. Nun essen alle mit großer Freude das heilige Mahl. Hiernach wird erzählt und gesungen. Das Ereignis erhält nun eine feierliche Atmosphäre. Normalerweise versammeln sich alle beim Guru am Vormittag, so daß sie gegen Mittag ihre Mahlzeit zu sich nehmen können. Die Feier dauert bis zum

67 Nachmittag. Manchmal wird dann Tee serviert. Am Abend, wenn es dunkel wird, verabschieden sich die Gäste. Das Kanthi-badal wird gewöhnlich von den Spenden wohlhabender Dorfbewohnern finanziert. Die Nachahmung des Brahma-Ritus durch einen Baul Manas Ray hat unter den Bauls eine Hochzeit beobachtet, die in Anlehnung an den BrahmaRitus vollzogen wurde.114 Der Baul, welcher so das Kanthi-badal vollzog, heißt Radheshyamdas Baul und wohnt im Dorf Kundola. Die Ähnlichkeiten mit dem BrahmaRitus bestehen in folgenden Punkten: 1. Der Austausch der Ketten fand im Elternhaus der zukünftigen Partnerin im Dorf Guskara, in der Abwesenheit des Gurus statt. Wer hier die Funktion des Gurus übernahm, sagt Ray nicht.Hierzu waren, wie beim Brahma-Ritus, Verwandte und Freunde der Frau, sowie Freunde des Bauls eingeladen. Dies entspricht dem zweiten Teil des Brahma-Ritus. 2. Am Abend des Tages, an dem das Kanthi-badal stattfand, kehrte der Baul mit seiner Partnerin nach Hause zurück. Am nächten Tag gab es bei ihm ein Festessen. Hierzu waren die Verwandten und Freunde von ihm und seiner Partnerin eingeladen. Diese Nachfeier entspricht dem dritten Teil des Brahma-Ritus, der im Hause des Bräutigams stattfindet. 3. Nach landesüblicher Sitte hat der Baul von den Eltern der Partnerin als Mitgift ein Fahrrad verlangt, was ihm auch gegeben wurde. Ray berichtet von noch einem Baul namens Gangadhara-Das Baul, der für seinen Sohn als Mitgift ein Fahrrad und ein Radio verlangte.115 Dies entspricht der mitgiftbezogene Sitte des Brahma-Ritus. Der Autorin selbst sind solche Handlungen unter Bauls nicht bekannt. Das Geschäft mit der Mitgift kann nicht dort florieren, wo strenge Armut herrscht. Untersuchungsergebnisse 1. Da das Kanthi-badal nicht nach dem Brahma-Ritus vollzogen wird, vermissen die Hindus in dieser Zeremonie den religiösen Hintergrund und daher auch die moralische Legitimation. Für sie ist das Kanthi-badal nur die Legalisierung der sexuellen Beziehung. Es wohnen in Indien Angehörige verschiedener Religionen. Sie haben ihre religionsbezogenen Sitten und Gebräuche, die von der indischen Gesellschaft und vom indischen Gesetz anerkannt werden.116 Was die Hindus betrifft, so erkennt das indische Gesetz Mann und Frau als Eheleute an, wenn sie entweder nach dem Brahma-Ritus oder standesamtlich heiraten. Das Kanthi-badal wird dahervom indischen Gesetz nicht als Hochzeit anerkannt. Deshalb können die Bauls mit mehreren Frauen ein eheähnliches Verhältnis haben. Es ist auch leicht für sie, die ältere Partnerin zu verlassen, um sich eine neue zu nehmen (s. Kapitel 1). In diesem Falle müssen sie der früheren Partnerin keinen Unterhalt zahlen, da sie mit ihr nicht verheiratet waren. 2. Die Bauls selbst bezeichnen das Kanthi-badal nicht als „Hochzeit“. Die Partnerin wird stets spirituelle Partnerin (sadhana-sangini) und nicht Ehefrau (patni, in West Bengal auch

114

Vgl. Mans Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 43 Ibid., 43 116 Vgl. Chanchal Kumar Chatterjee: Studies in The Rites and Rituals of Hindu Marriage in Ancient India, 1978, 161-170 115

68 stri) genannt, mit der der Baul die verbotene Liebe zwischen Krishna und Radha erleben möchte (s. Kapitel 1 und 3). 3. Das Kanthi-badal legalisiert die Beziehung zwischen dem Baul und seiner Partnerin in der Baul-Gemeinschaft. Polygamie unter den Bauls Manche etwas älteren Bauls nehmen sich gerne eine zweite oder dritte Partnerin, weil sie gut singen kann. Durch ihre künstlerischen Fähigkeiten kann sie ihrem Partner beim Brotverdienen helfen. Es kommt nicht selten vor, daß ein älterer Baul seine älter gewordene Partnerin verläßt und sich eine jüngere Partnerin nimmt, oder auch beide behält. Diese Bauls mißachten die Tradition der Baul-Gemeinschaft, nach der der Partnerwechsel theoretisch nur mit Zustimmung des Gurus möglich sein (s. Kapitel 1) darf. Bauls, die aus weltlichen Gründen die Partnerin wechseln, sind meistens älter und selbständiger. Sie regeln solche Sachen ohne die Führung ihres Gurus. Der Caricandra(Vier-Monde)-Ritus Caricandra, die vier Monde, ist ein sehr eigenartiges Ritual, das in der Gesellschaft auf Ablehnung stößt. Die vier Monde sind Stuhl, Urin, Ausfluß der Partnerin und Samen des Bauls, die jeweils mit den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Wind verglichen werden. Das fünfte Element Äther, denn der Hinduismus zählt fünf Elemente,117 fehlt hier. Es ist auffallend, daß die Bauls im Zusammenhang mit dem Ritual Caricandra meinen, daß der Körper aus vier Elementen besteht, sonst aber in ihren Liedern von fünf Elementen singen (s. Anhang Baul-Lieder). Caricandra wird in verschiedenen Wohngemeinschaften der Bauls in verschieden Abständen geübt. Manche tun es alle vierzehn Tage, andere alle drei Monate und wieder andere alle sechs Monate. Üblicherwerse werden der Samen des Bauls und die Flüssigkeit von seiner Partnerin gemischt und von beiden getrunken und der Stuhl und Urin vom Partner / von der Partnerin auf den Körper geschmiert. In manchen Wohngemeinschaften wird nur der Samen getrunken. Einige Bauls rezitieren beim Trinken Bengali-Mantras wie: „Om Mahaprabhu (gemeint ist Caitanya), ich bin glücklich, wenn du glücklich bist, ich sage das, was du durch mich sagst, ich esse das, womit du mich fütterst, ich existiere durch deine Gnade.“ Sie erhalten solche Mantras von ihrem Guru. Die Mantras sind in verschiedenen Wohngemeinschaften verschieden. Die Bauls meinen, daß der Körper durch dieses Ritual ein Teil der Elemente zurückgewinnt, die er durch Ausscheidung verliert. Ferner, der Samen hält sie jung und gesund und hat eine mystische Wirkung auf den Baul und seine Partnerin. Worin genau diese mystische Wirkung sich zeigt, konnten die Bauls der Autorin nicht sagen. Die Bauls versicherten jedoch, daß der Caricandra-Ritus ihnen beim Gottsuchen hilft. Der Caricandra-Ritus bei anderen Caitanya-Vaisnavs Es gibt weitere Religionsgemeinschaftendes Caitanya-Vaishnavismus in West Bengal, die den Caricandra-Ritus auf ihrer Weise praktizieren. Diese sind: Paltudasi (die Religionsgemeinschaft von Gottes Sklavin Paltu), Apapanthi (die Anhänger von Apa), Satnami (die Anhänger des wahren Namens) und Vijamargi (die Verehrer vom Samen). Die drei Erstge117

Vgl. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 2, London, 1977, 273

69 nannten nehmen die vier Exkremente ein, nachdem sie diese mit Mantras gereinigt haben. Sie nennen das ReinigungShritual Gayatri-Zeremonie (gayatri-kriya). Diese hat jedoch mit dem eigentlichen Gayatri-mantra im Rgveda III, 62, 10 nichts zu tun.118 Die Vijamargis verehren den Samen, weil alles Leben aus ihm entsteht. Der Samen ist der Schöpfer der Welt. Die Vijamargis mischen den Samen eines der Mitglieder der Sekte, der als ein Heiliger gilt, mit Milch, Honig, Butterfett und Joghurt. Die Mischung wird in einem Behälter aufbewahrt und auf den Altar in ihrem Versammlungsraum gestellt. Die Gläubigen verrichten die Puja vor dem Alter und trinken anschließend die Mischung. Sie vollziehen das Ritual am dreizehnten Tag nach Neumond. Die vier genannten GlaubenShrichtungen bestehen aus den Shudras und Kastenlosen und erkennen das Kastensystem nicht an.119 Untersuchungsergebnisse 1. Der hohe Stellenwert des Zeugungsgliedes und damit indirekterweise des Samens im Hinduismus wird durch die Verehrung des Lingas bewiesen. Der Glaube, daß man durch den Verlust des Samens seine Kräfte verliert, wird von der Manusmriti vertreten. Sie empfiehlt daher den Verlust dieses kostbaren Gutes zu vermeiden (Manusmriti II, 180-181). Die Einnahme des Samens und die Beschmierung mit Kot und Urin verstößt jedoch eindeutig gegen die Vorstellung der Dharmashastras (Manusmriti V, 134-135). Daß man durch die Einnahme des vom Körper ausgestoßenen Stoffes einen weltlichen oder spirituellen Gewinn erzielen kann, ist offensichtlich eine besondere Denkweise einiger Caitanya-orientierten Religionsgemeinschaften in West Bengal, wozu auch die Bauls gehören. 2. Die Einnahme von Samen hängt jedoch mit dem Caitanya-tattva (s. unten) zusammen. 3. Die Beschmiereung mit Kot und Urin könnte aus dem Glauben an ihrer Heilkraft entstanden sein. Im Allgemeinen glauben die Hindus an die Heilkraft des Kuhdungs und Kuhurins. Der Mahayoga (der große Yoga) Die Bauls können Gott nur mit dem Mahayoga erreichen. Unten sind die Aspekte dieses Yogas vorgestellt. Das Caitanya-tattva Die Bauls glauben, daß im menschlichen Körper Gott, das männliche Prinzip, und Shakti, seine weibliche Energie, wohnen. Sie nennen dieses Phänomen Caitanya-tattva. Caitanya, der zur Hälfte Krishna und zur Hälfte seine Geliebte Radha war (s. Kapitel 2), war das beste Beispiel dieses Phenomens. Gott und seine weibliche Energie manifestieren sich im menschlichen Körper jeweils als Samen (shukra) und Ausfluß der Frau (rajah). Grundsätzlich ist im Oberkörper eines Menschen der Samen, also die männliche Komponente, und im Körperteil ab dem Nabel nach unten der Ausfluß, also die weibliche Energie, dominant. In einem männlichen Körper ist der Samen und in einem weiblichen Körper der Ausfluß das vorherrschende Prinzip. Das Caitanya-tattva macht es möglich, daß die Vereinigung Gottes

118

Über die Gayatri-Zeremonie der drei oberen Kasten in: Svami Mukhyananda: Om Gayatri and Sandhya, Mylapore, 1-88 119 Über die Glaubensgemeinschaften Paltudasi, Apapanthi und Satnami s. Upendranath Bhattacarya: Banglar Baul o Baul gan, Kalikata, 1981, 426-428

70 mit seiner Shakti in einem weiblichen Körper stattfinden kann, ohne die der Mahayoga erfolglos geblieben wäre. Der Zeitpunkt für den Mahayoga Obwohl Gott und Shakti in jedem menschlichen Körper wohnen, bietet nur der weibliche Körper Gott die Möglichkeit, seine Geliebte regelmäßig zu treffen. Gewöhnlich schläft die Shakti (s. Kapitel 3). Während eine Frau ihre Menstruationsblutung hat, wird sie wach und ist paarungsbereit. In dieser Zeit kommt Gott vom Sahasrara-cakra, das auf dem Scheitelpunkt des Schädels placiert ist, durch den Sushumna-Kanal, der durch die Wirbelsäule fließt, herunter und vereinigt sich mit ihr im Muladhara-cakra (s. Kapitel 4). Diese Vereinigung ist nicht nur ihre geistige, sondern auch die sexuelle Vereinigung. Die Bauls sind der Meinung, daß die geistige Vereinigung ohne die sexuelle Vereinigung nicht möglich ist. Die sinnliche Vereinigung steigert sich in die geistige Verschmelzung beider in einem. Zahlreiche Lieder beschreiben das Liebesspiel Gottes mit der Shakti während der Menstruation (s. Anhang Baul-Lieder). Da Gott nur während der Menstruation im Muladhara-cakra der Frau erscheint, sind die Tage der Menstruation der beste Zeitpunkt, in dem man Gott „erwischen“ oder „fangen“ kann. Die Bauls nennen daher diese Zeit die Zeit des Menschenfangs (manus-dhara). Sie fangen Gott mit Hilfe des Mahayoga, der aus mehreren Teilübungen besteht und eindeutig ein tantrisches Ritual ist. Der dritte Tag der Menstruation ist hierfür am besten geeignet. Die Bauls bezeichnen die Tage der Menstruation, manchmal auch nur den ersten Tag der Menstruation als Neumond (amavasya). Während der Blutung, die in den Liedern die Flut (joyar) und Überschwemmung (banya) genannt wird (s. Anhang Baul-Lieder), dominiert die sexuelle Liebe (kama) die Frau. Die sexuelle Liebe wird mit der Finsternis des Neumondes verglichen. Trotzdem ist diese Sinnlichkeit der Frau nicht zu verurteilen. Denn indirekterweise ist sie die Empfindung der Kundalini-Shakti im Muladhara-cakra, und gerade diese Eigenschaft der Shakti zieht Gott an. Da Gott an den Tagen der sexuellen Liebe, also in den Tagen des finsteren Neumonds im Muladhara-cakra der Frau erscheint, singen die Bauls vom Aufgehen des Vollmondes, d. h. der Erscheinung Gottes, in der Finsternis des Neumondes. Die drei Menstruationstage werden von den Bauls verschieden genannt. In manchen Liedern werden diese Tage nach den heiligen Flüssen Ganges, Yamuna und Sarasvati (s. Anhang Baul-Lieder), in anderen die Unbedeutende (sadharani), die Ausgeglichene (samanjasya) und die am Ziel Angekommene (samartha) genannt. Am ersten Tag ist das Sekret giftig (garal-ras), am zweiten Tag mittelmäßig giftig (sambhu-ras) und am dritten Tag nektarartig (amrita-ras). Die Bauls meinen, daß in diesen drei Tagen in einem weiblichen Körper drei Blumen blühen (s. Anhang Baul-Lieder), welche dem Yogi das höchste Glück spenden. In der Strömung erscheint Gott wie ein Fisch (min) im Wasser. Solange die Blutung hält, weilt er im Muladhara-cakra. Am Ende der Menstruation verläßt er das Muladhara-cakra und kehrt durch den Sushumna-Kanal zum Sahasrara zurück. Die Bauls sollen wie die guten Fischer vorsichtig und fachmännisch zum richtigen Zeitpunkt den Fisch, d. h. Gott, fangen. Verpassen sie den Zeitpunkt, so gelingt der Fang nicht. Gott fangen ist eines der beliebtesten Themen der Baullieder (s. Anhang Baul-Lieder). Die Übung und der Erfolg: Mahasukh Für den Mahayoga benötigen die Bauls eine Partnerin. Die Übung fängt mit der sinnlichen Liebe (kama) an und wird durch den Yoga zur spirituellen Liebe (prem) entwickelt. Die Natur des menstrualen Sekrets ist die sexuelle Liebe, die des Samens die spirituelle Liebe.

71 Durch die Vereinigung beider wird aus Sinnlichkeit (kama) die spirituelle Liebe (prem). Die Bauls vergleichen ihre Methode mit dem Quirlen der Milch, das Butter erzeugt. Jeder Baul übt den Mahayoga streng geheim. Der Mahayoga fängt mit der Verehrung der Vagina der Partnerin an und dauert drei Tage lang. Die Verehrungszeremonie wird oft mit vom Guru gelehrten oder vom Übenden selbst ausgedachten Mantras begleitet. Der Yoga wird jeden Abend ca. zwei Stunden nach dem Abendessen praktiziert. Die Bauls glauben, daß um diese Zeit der Partner durch den Ira-nari und die Partnerin durch die Pingala-nari (s. Kapitel 3) einatmet und daher diese Zeit für die Übung günstig ist. Warum diese besondere Atemsituation für die Übung notwendig ist, wird nicht erklärt. In den Schriften über Yoga werden die Ira-nari mit dem Mond und die Pingala-nari mit der Sonne verglichen.120 Die erste Nari ist friedlich und ruhig und die zweite energisch und lebhaft. Die Vermutung der Autorin, ob die Bauls glauben, daß diese Gegensätze sich ergänzen, wurde von den Bauls nicht bestätigt. Die erwähnte Atemsituation hält ungefähr anderthalb Stunden. In dieser Zeit muß der rituelle Koitus vollzogen werden. Während des Rituals identifizieren sich die Übenden mit Krishna und seiner Geliebten Radha. Es gibt genaue Anweisungen für die Übung. Da die Bauls keine Schriften verfassen, werden die Anweisungen mündlich vom Guru an den Schüler weitergegeben. Die Übung ist ein ritueller Geschlechtsverkehr mit vielen Details. Die einzelnen Handlungen sollen die Übenden in Stimmung bringen, was für den Erfolg des Mahayoga notwendig ist. Eine wichtige Voraussetzung für diese Übung ist die Bereitwilligkeit der Partnerin. Dies bedeutet, daß die Partnerin hier mit ihrer Zustimmung von ihrem Partner für die Übungszwecke als ein Instrument benutzt wird. Zwei Dinge, die Atemübung, welche die Bauls während des Koitus üben, und die Zurückhaltung des Samenergusses, sind die wichtigsten Aspekte dieser Übung. Die Atemübung besteht aus dem Einatmen (puraka), dem Anhalten des Atems (kumbhaka) und dem Ausatmen (recaka). Dies ist die standisierte Atemübung Pranayama, die ein Hindu der oberen Kasten jeden Tag üben soll, während er laut oder lautlos den Gayatri-mantra (Rgvada III, 62, 10) rezitiert.121 Bauls, die den Rgvada nicht kennen, rezitieren während der Übung die verschiedenen Namen Krishnas und Radhas oder die Mantras, welche sie von ihrem Guru bekommen haben. Während der Übung atmet der Baul je nach Bedarf mal mit dem linken, mal mit dem rechten Nasenloch. Diese Technik hilft dem Übenden bei der Zurückhaltung des Samens. Der Baul darf ihn nicht verlieren. Wird es für ihn schwierig den Samen zurückzuhalten, so soll er eine der zwei Yogaübungen, Mulabandha und Asvini-mudra, anwenden (Hathayogapradipika III, 61-69). Hiernach soll der Baul Aropa üben, falls nötig. Aropa bedeutet die Sicht auf etwas Bestimmtes konzentrieren. Der Baul muß seine Gedanken nach und nach auf den Nabel, das Herz, die Brust, den Hals, Mund, die Nase, Augen, den Platz zwischen zwei Augenbrauen, Kopf und Gott konzentrieren. Die Übung Aropa wird auch Nehar (sehen), genannt. Die letzte Übung, welche der Baul üben muß, heißt Vajroli-mudra (Hathayoga-pradipika III, 83-91). Diese Übung verlangt, daß der Baul mit seinem Geschlechtsorgan seinen Samen und den Erguß seiner Partnerin in seinem Gliede sammelt. Ist dies getan, hat der Baul den Mahayoga erfolgreich abgeschlossen und empfindet das Mahasukh (die große Glückseligkeit) als Belohnung. Die Glückseligkeit entspringt aus der Vereinigung der Seele (atma) des Bauls mit Gott. Die Bauls vergleichen diesen Zustand mit dem eines Menschen, der in einer Leiche lebt (jyante mara, jiyante mara), da in diesem Falle der Körper des erfolgreichen Bauls leblos wird, aber seine Seele die Glückseligkeit empfindet. In zahlreichen Lieder stellen die Bauls den Mahayoga vor (s. Anhang BaulLieder). 120 121

Vgl. Harish Johari: Chakras, Körperzentren der Transformation, Basel, 1992, 36-39 Vgl. Svami Tapasyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Maylapore, 54-55

72

Untersuchungsergebnisse 1. Sachlich gesehen, vereinigt der Baul seinen Samen und den Gott seiner Partnerin, der sich im Ausfluß der Frau befindet in seinem eigenen Körper und bezeichnet dies als Gotteserlebnis. Es wird nicht gesagt, was mit dem Gott, der im Sahasrara des Bauls sitzt, geschieht. Da aber die Bauls glauben, daß Gott sich als Samen manifestiert, ist der Samen wahrscheinlich in diesem Moment Gott des übenden Bauls. Wenn dies der Fall ist, dann vereinigt der Baul seinen Gott mit dem Gott seiner Partnerin, und erlebt dadurch Gott. Hierfür ist ein Geschlechtsverkehr notwendig, da Gott der Partnerin sich in diesem Zeitpunkt im Muladhara-cakra der Partnerin befindet. Dies erfordert jedoch zwei Götter, einen, der im Sahasrara des männlichen Körpers wohnt und sich als Samen manifestiert, und einen anderen, der sich in dieser Zeit im Muladhara-cakra der Partnerin befindet. Die Bauls betonen aber, daß es nur einen Gott gibt, der sich als mehrere Götter manifestiert. Also vereinigt der Übende zwei Manifestationen Gottes miteinander. Die Frage bleibt jedoch unbeantwortet, warum es notwendig ist, zwei Manifestationen Gottes miteinander zu vereinigen, damit der Mensch sein persönliches Gotteserlebnis erfährt. Diese Frage wird in den Liedern nicht beantwortet. Auch die Bauls konnten dies der Autorin nicht erklären. Auf Fragen antworten sie, daß ihr Guru, der selbst Gott erlebt hat, ihnen dieses über Gott gesagt und ihnen die Übungen beigebracht hat. Der Guru kennt die Wahrheit und seine Worte können nicht falsch sein. Sie brauchen die Theorie nicht zu verstehen, sondern nur des Gurus Anweisungen zu folgen. Nur so können sie selbst auch eines Tages die Wahrheit erkennen und Gott erleben. 2. Der Mahayoga der Baul-Religion ist eine Variation des Maithun, der letzte Teil des Rituals mit Pañca-tattva (fünf Dingen, Wein, Fleisch, Fisch, geröstetem oder gebratenem Getreide und dem Koitus) des Tantra (Referenz). Das Mahanirvana-tantra IV, 39 nennt den Vorteil des Rituals mit Panca-tattva im Gegensatz zum Raja-yoga und Bhoga (Genuß) und sagt: „Dort, wo die Fülle von Erlebnissen vorhanden ist, kann man nicht vom Yoga (gemeint ist der Rajayoga) sprechen, und dort, wo Yoga praktiziert wird, kann man nichts erleben, aber der Kaula (Tantrika) erlebt beides.“ In ihren Liedern vertretten die Bauls die Meinung des Mahanirvana-tantra und singen in ihren Liedern, daß sie keine Askese üben, sondern Gott und die Welt gleichzeitig genießen möchten (s. Anhang Baul-Lieder). Der Mahayoga ermöglicht ihnen dies. 3. Wie die Tantriks glauben die Bauls, daß dies kein sinnlicher Genuß, sondern die hohe Spiritualität ist, und, daß ihr Ritual für die meisten schwer verständlich ist und versuchen daher diese ritualbezogenen Übungen geheimzuhalten. Sie äußern sich in ihren Liedern über den Mahayoga in einer Geheimsprache. Diese Lieder werden daher von den Nichteingeweihten ganz anders verstanden, als die Bauls es meinen und bedürfen deshalb der Erläuterung. 4. Zwei US-Amerikanerinnen, die 1994 im Dorf Sriniketan, Dist. Birbhum, mit einigen Bauls zusammenlebten, sagten der Autorin auf Anfrage, daß für sie der Mahayoga ein sexuelles Erlebnis war. Die Leblosigkeit des Körpers eines Bauls, der nach dem Mahayoga Gott im eigenen Körper erlebt, ist ähnlich wie die Beschreibung des Zustandes eines Menschen der Orgasmus erlebt hat, die man in den Studien von Alfred C. Kinsey: „Kinsey Report. Das sexuelle Verhalten der Frau“ und „Kinsey Report. Das sexuelle Verhalten des Mannes“. Kinsey schreibt, daß in diesem Zustand eine echte Anästhesie der Sinnesorgane

73 eintreten kann,122 und, daß der Orgasmus auch ohne einen Samenausstoß stattfinden(kann).123 Dies geschieht unter anderem bei Männern, die bewußt ihre Genitalmuskeln zusammenziehen können.124 Die Bauls ejakulieren nicht und üben Yoga mit Hilfe der Genitalmuskeln, um den Samen zurückzuhalten, wenn sie die Befürchtung haben, daß es zu einem Samenausstoß kommen könnte. Dies bedeutet, wenn die Bauls vom Gotteserlebnis nach dem Mahayoga sprechen, halten sie den Höhepunkt ihres sexuellen Erlebnisses für das Gotteserlebnis. Diksha (die Initiation) Die Bauls erhalten von ihrem Guru drei aufeinanderfolgende Dikshas (Initiationen). Diese sind die Mantra-diksha (die Initiation zum Mantra), die Shiksha-diksha (die Initiation zum Tantrayoga) und die Sannyasa-diksha, auch Vairagya-diksha genannt (die Initiation zur Askese). Den Tag und die Uhrzeit der Zeremonien legt der Guru fest, wobei die Stellung der Sterne und Planeten keine Rolle spielen. Es ist erwähnenswert, daß das Mahanirvanatantra für die Initiation mit dem Brahmamantra keine Stern- oder Planetenkonstellation vorsieht.125 Gewöhnlich vollziehen die Hindus wichtige Zeremonien an bestimmten Tagen, wenn die Sterne und Planeten günstig stehen.126 Alle Initiationen finden im geschlossenen Raum statt. Die Mantradiksha Mit der Mantradiksa wird ein Mensch zum Mitglied der Baulgemeinschaft. Manche Wohngemeinschaften verlangen eine eintägige Fastenzeit der Beteiligten vor dem Ritual. Die Zeremonie wird morgens früh vollzogen, nachdem die Beteiligten gebadet haben. Unmittelbar vor der Zeremonie darf nur Tee oder Wasser getrunken, aber nichts gegessen werden. Die Initiation findet in einem geschlossenen Raum statt, in dem nur der Guru und der künftige Schüler anwesend sind. Der Guru nimmt etwas Sandelpaste auf einem Blatt der heiligen Tulsi-Pflanze und beschmiert damit den Kopf, die Stirn, den Hals, das Herz, den Oberbauch und den Nabel des Kandidaten Hierbei rezitiert der Guru verschiedene Mantras oder die Namen Krishnas, Caitanyas und seiner Schüler. In der Fontanelle, der Stirn, in Hals, Herz und Nabel befinden sich jeweils das Sahasrara-cakra, Ajña-cakra, Vishuddhacakra, Anahata-cakra und Manipura-cakra (s. Kapitel 3). Danach flüstert er dem Schüler das Initiationsmantra ins Ohr, das der Schüler später zum Meditieren benötigen wird. Bei der Erteilung des Initiationsmantras hält der Guru seinen Daumen oder Zeigefinger zwischen die Augenbrauen des Schülers, da sich hier bekanntlich das Weisheitsauge befindet. Alle Mantras sind auf Bengali, der Muttersprache der Bauls, verfaßt. Der Schüler ist hierdurch ein Mitglied der Gemeinschaft geworden. Er erhält nun einen Ordensnamen, der stets mit dem Wort Das, Diener, beendet. Vor dem Initiationsritual hat der Kandidat eigenhändig das Malsa-bhog vorbereitet. Entweder vor oder nach dem Ritual vollzieht der Guru die Malsa-bhog-Zeremonie. Aus Anlaß der Initiation lädt der Kandidat Bauls aus seinem Bekanntenkreis ein, die während der Zeremonie auf dem Hof warten. Nachdem die Mantradiksa vollzogen ist, kommen der Guru und Schüler aus dem Zimmer heraus und treten auf den Hof, wo die Gäste dem neuen Baul gratulieren. Alle essen zu122

Alfred C. Kinsey: Das sexuelle Verhalten der Frau, Berlin, 1963, 465-468 Ibid., 468 124 Alfred C. Kinsey: Das sexuelle Verhalten des Mannes, Berlin, 1964, 134-135 125 Arthur Avalon: Tantra of the Great Liberation, Mahanirvana-tantra, London, 1913, 191 126 Vgl. V.A.K. Ayer: Hindu Sastras and Samskaras, Bombay, 1993, 29-34 123

74 sammen das vorher Gott geopferte Essen. Nach der Mahlzeit singen und tanzen die Anwesenden, was eine fröhliche Atmosphäre erzeugt. Am Nachmittag verabschieden sich die Gäste. Die Shikshadiksha Wenige Wochen nach der Mantradiksa findet die Shiksha-diksha, die Initiation zum Tantrayoga, statt. Zu diesem Zweck hat der Guru für seinen Schüler schon eine spirituelle Partnerin ausgesucht und es findet das Kanthi-badal statt (s. oben). Anwesend sind hier nur der Guru, seine spirituelle Partnerin und Schüler jeweils mit der Partnerin. Nun zeigt der seinem Schüler die Tantrayogaübungen, wobei ihm seine Partnerin behilflich ist. Nach der Vorführung der Übungen erhält der Schüler vom Guru die Unterbekeildung Kaupin. Hiermit ist das Initiationsritual beendet. Die Teilnehmer des Rituals verlassen das Zimmer und begeben sich auf den Hof, wo die Bewohner der Wohngemeinschaft und die eingeladenen Bauls mit ihren Partnerinnen aus den Nachbarwohngemeinschaften auf sie warten. Die Versammelten begrüßen und beglückwünschen den Schüler und seine Partnerin. Der Guru vollzieht die Malsa-bhog-Zeremonie (s. oben). Das vorher Caitanya und anderen geopferte Festessen wird serviert. Nach der Mahlzeit wird, wie bei allen Festen, gesungen und getanzt. Die Sannyasa-diksha Die Sannyasa-diksha, die Initiation zur Askese, folgt der Shiksha-diksa. Sie verläuft ohne Festlichkeit. In einem geschlossenem Raum muß der Schüler mit Hilfe seiner Partnerin beim Guru gewisse Prüfungen ablegen, je nach deren Qualität der Guru ihn zum Asketen erklärt. Fällt er bei der Prüfung durch, so darf er sie wiederholen. Zu dieser Diksha findet kein Malasa-bhog oder keine Abschlußfeier mit dem Festessen statt. Nicht alle Bauls nehmen die Sannyasa-diksha, da sie befürchten, daß sie die Prüfung nicht bestehen werden. Die Unkosten, welche bei den Initiationen entstehen, tragen die wohlhabenden Dorfbewohner. Untersuchungsergebnisse 1. Die Dikshazeremonien machen die Einflüsse des Caitanya-Vaishnavismus und Tantra deutlich, wobei die Mantra-diksha mehr von der erstgenannten und die Shiksha-diksa mehr von der zweitgenannten Richtung geprägt ist. 2. Daß die Bauls hierbei im Gegensatz zum klassischen Hinduismus nicht auf die Stellung der Sterne und Planeten achten, entspricht ihrer Tradition, die man auch bei anderen Ritualen feststellt. Shraddha (das Totenzeremonie) Die Leiche eines Verstorbenen wird von seiner Partnerin mit Senföl oder Butterfett (ghi) eingerieben, gebadet, gekleidet und mit Sandelpaste und Tulsi-Blätter (Basilikum) geschmückt. Hierbei helfen ihr die anderen Mitbewohnerinnen der Wohngemeinschaft. Während die Frauen die Leiche für das Begräbnis vorbereiten, graben die Männer das Grab in einer Ecke des Wohngrundstückes aus. Sie begraben die Leiche nicht auf dem staatlichen Friedhof. Wenn die Männer mit dem Ausgraben fertig sind, mischt der älteste Schüler des

75 Gurus etwas Salz mit Erde und streut die Mischung auf den Boden des Grabes. Jetzt decken die Frauen die Leiche mit einem weißen Tuch zu und die Männer setzen sie ins Grab. Die Leiche sitzt im Grab mit dem Gesicht nach Osten. Man stellt vor ihr sieben bis vierzehn Schüsseln mit Speisen in der Art des Malsa-bhogs (s. oben), Wasser, indische Zigarren (biri), Gãja (Hanf), eine Wasserpfeife, gekochten Tee, eine Öllampe und Räucherstäbchen hin, als ob der Verstorbene diese weiterhin benötigen würde. Nach der Beerdigung nehmen alle ein Bad und ziehen frische Kleidung an. Nun wird ein einfaches Essen serviert, Eintopf aus Reis und Linsen mit Gemüse. Das gemeinsame Essen nach dem Begräbnis wird Kadamacchab (das vorläufige große Fest) genannt. In dieser Nacht schlafen die Teilnehmer des Rituals nicht. Sie entzünden vor dem Grab eine Öllampe und singen die ganze Nacht. Am BegräbniShritual nehmen die Mitglieder, Bekannten und Freunde der Wohngemeinschaft teil. Einen Monat lang entzünden die Bauls täglich eine Öllampe und Räucherstäbchen vor dem Grab. An manchen Abenden singen sie davor. Nachdem die einmonatige Trauerzeit beendet ist, treffen sich alle, die am Begräbnis teilgenommen haben, in der Wohngemeinschaft des Verstorbenen und feiern das Essensfest Birahamacchab, (das große Fest der Trauernden). Das Menü bleibt gleich. Bezüglich der Unreinheit nach dem Tod eines Verwandten Die Manusmriti nennt verschieden lange Fristen der unreinen Periode, die nach dem Tod eines Verwandten eintritt, für verschiedene Kasten. Nach dieser Anweisung sollen die Shudras einen Monat lang unrein bleiben (V, 83). Auf die Frage, warum sie gerade einen Monat lang Trauer halten, antworten die Bauls, daß dies ihre Sitte sei und vertreten ihre feste Überzeugung, daß dies mit den Bestimmungen der Dharmashastras nichts zu tun hat. Unkosten, die durch das Totenritual entstehen, tragen die wohlhabenden Dorfbewohner. Untersuchungsergebnisse 1. Die Hindus von allen Kasten verbrennen die Leichen der Verstorbenen. Die Dharmashastras geben Instruktionen zur Verbrennung der Leiche.29 die Bauls aber begraben ihre Toten. Warum die Bauls hier von der landesüblichen Sitte abweichen, ist nicht mit Sicherheit zu klären. Möglich ist es aber, daß sie hier der Vorschrift des Tantras folgen. Das Mahanirvana-tantra VIII, 284 meint, daß die Leiche eines Asketen nicht verbrannt, sondern in der Erde oder im Fluß begraben werden soll. Die Bauls als Mitglieder eines Ordens sind im tantrischen Sinne Asketen. Die Bauls selbst betrachten sich als Asketen die durch den Mahayoga nicht ihre Sinnlichkeit befriedigen, sondern Gott erleben wollen. Auch die Virashaivas in Südindien begraben die Leiche ihrer Mitglieder.127 Ein Gedankenaustausch zwischen den Bauls und den Virashaivas ist jedoch auszuschließen, da die Bauls von der Existenz der Virashaivas nichts wissen. Es kann jedoch hier festgehalten werden, daß sowohl das Tantra als auch einige vom Tantra beeinflußten Religionsgemeinschaften die Leichen ihrer Angehörigen beerdigen, was den Einfluß des Tantras auf diese Religionsgemeinschaften vermuten läßt. 2. Der Einfluß von den Dharmashastras ist bei der Einhaltung der Frist für die unreine Zeit ist festzustellen, was die Bauls jedoch bestreiten.

127

Vgl. S.C. Nandimath: A Handbook of Virasaivism, Delhi, 1979, 49-54

76 Guru Das Gotteserlebnis ist die einzige Qualifikation, die einen zur Ausübung des Guruamtes berechtigt. Die Behauptung des Gurus, daß er Gott erlebt hat, muß für den Gottsuchenden glaubhaft sein. Der Guru und der zukünftige Schüler prüfen einander, bevor sie sich füreinander entscheiden. Theoretisch dürfen beide Geschlechter als Guru fungieren, aber in der Praxis sind es unter den Bauls nur die Männer, die ein Guruamt ausüben. Ein Mensch darf sich nur dann als Baul bezeichnen, wenn ihm vorher von einem Guru der Baulgemeinschaft die besondere Initiation (diksha) dieser Glaubensrichtung erteilt worden ist. Dies entspricht der Aussage der Manusmriti II, 144-145, die sagt, daß der Guru für seinen Schüler wie seine Eltern, ja sogar wichtiger als der leibliche Vater ist, da der leibliche Vater einem nur das Leben auf der Erde schenkt, aber der Guru einem die Veden lehrt und ihn dadurch das unendliche Leben schenkt. Der Guru zeigt den Bauls den Weg zu Gott. Die Bauls haben keine heiligen Schriften. Des Gurus Worte sind für sie die heiligen Schriften und seine Instruktionen die praktischen Anleitungen, denen sie bedingungslos folgen müssen. Die Yogaübungen werden den Schülern vom Guru persönlich beigebracht. Die Bauls glauben, daß sie ohne die intensive Betreuung vom Guru Gott nicht erreichen können. Der Guru muß jeden Schritt seiner Schüler beobachten und sie rund um die Uhr betreuen. Jegliches Detail bezüglich des spirituellen Lebens der Schüler wird vom Guru bestimmt, der von Fall zu Fall unterschiedlich entscheiden darf, da die Schüler verschieden veranlagt sind. Deshalb sollen die Schüler zusammen mit dem Guru in derselben Wohngemeinschaft wohnen. In ihren Liedern setzen die Bauls ihren Guru mit Gott gleich (s. Anhang Baul-Lieder). Baul Anirvana vergleicht die Guru-Schüler-Beziehung mit der Mutter-Kind-Beziehung. Sie entwickelt sich zu einer vollkommenen Harmonie zwischen den beiden, bis sie in ihren Empfindungen eins werden. Diese Empfindung kann den Schüler so sehr beeinflussen, daß er keine separate Identität mehr hat. Er spricht auch von einer mystischen Macht des Gurus, die er für das spirituelle Fortkommen, sowie die letztendliche Befreiung des Schülers benutzt. Er vergleicht die Übertragung dieser mystischen Kraft vom Guru zum Schüler mit der Tötung des letzteren durch der ersten, da dieser Transfer den letzten Rest des Ego im Schüler vernichtet. Durch den Tod seines Egos wird der Schüler selbst zum Guru und wird der Geist des Gurus dienen. Ferner meint Baul Anirvana, daß der Guru seinem Schüler nicht die letzte Wahrheit enthüllt. Diese muß der Schüler selbst erkennen. Der Guru lehrt seinen Schüler ein Zehntel von dem, was er weiß, da er sonst einem leeren Topf gleicht.128 Diese Aussage entspricht dem Glauben der Hindus in West Bengal, daß Ramakrishna erst in seinem Sterbebett seinem Schüler Swami Vivekananda den Kern des Initiationsmantras offenbart hat. Es wird erzählt, einige Tage vor seinem Tode rief Ramakrishna Swami Vivekananda (damals noch Narendranath Datta) und bat seine anderen Schüler, sie allein zu lassen. Er betrachtete seinen Schüler voll Zärtlichkeit und fiel in tiefer Meditation (samadhi). Auch Vivekananda verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, sagte Ramakrishna zu ihm unter Tränen, daß er ihm alles gegeben und nun selbst nichts mehr hatte.129

128 129

Vgl. Shri Anirvan: Letters from a Baul, Calcutta, 1983, 53-63 Vgl. Sollange Lemaitre: Ramakrischna, Reinbek bei Hamburg, 1981, 140-147

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Untersuchungsergebnisse 1. Die Tatsache, daß man ohne die erhaltene Initiation nicht zur Baulgemeinschaft gehören darf, erhöht die Position des Gurus, die ohnehin in der hinduistischen Tradition hoch ist. 2. Die Aufgabe des Gurus macht ihn zur höchsten Autorität für seine Schüler. Die Tatsache, daß die Theorien und die praktischen Übungen der Baul-Religion nicht in schriftlicher Form festgehalten worden sind (wobei gesagt werden muß, daß die Bauls Analphabeten sind), und daher die Schüler dieser Religion-Gemeinschaft auf den Unterricht und die Anweisungen des Gurus vollkommen angewiesen sind, macht die Schüler von ihrem Guru total abhängig, die aus dieser Abhängigkeit erst dann befreit sind, wenn sie selbst als Gurus fungieren. Dies erklärt auch die Gegebenheit, daß die Bauls ihren Guru Gott gleichsetzen und glauben, daß sie ohne ihren Guru Gott nicht erleben können. 3. Die Theorie der Übertragung der mystischen Kräfte des Guru auf seinen Schüler ist als Vergleich zu verstehen. Der Schüler ergibt sich bedingungslos seinem Guru, der seine Persönlichkeit vollständig umformt, so daß der Schüler nur noch nach der Vorstellung des Gurus denkt und handelt. Als Gegenleistung garantiert der Guru ihm das Gotteserlebnis. Sadhana-sangini (die spirituelle Partnerin) Die Tatsache, daß die Bauls ohne ihre spirituelle Partnerin den Tantrayoga nicht üben können, verleiht der spirituellen Partnerin Achtung in der Baulgemeinschaft. Die Partnerin ist nicht die Verführerin, die den Mann von Gott ablenkt, wie die Frau häufig im klassischen Hinduismus dargestellt wird,130 sondern die Person, die dem Mann bei der Suche nach Gott hilft. Die Bauls betonen in ihren Liedern immer wieder, daß eine Frau etwas wertvolles ist, und da alle Menschen, also auch die Männer die Manifestation der Shakti sind, sind prinzipiell alle Menschen Frauen. Daher empfehlen sie sich selbst und ihren Glaubensbrüdern, daß sie sich wie eine Frau fühlen sollen (s. Anhang Baul-Lieder). Außerdem, da Gott männlich ist, muß man ihn mit dem Gefühl und mit der Intensität einer Frau lieben. Die Gopis, die Kuhhirtinnen in Vrindavan, am Wohnort Krishnas, gaben hierfür das Beispiel der wahren Liebe (s. Anhang Baul-Lieder). Die Bauls vergleichen ihre Partnerin mit Radha und Shakti (s. Anhang Baul-Lieder), das den Einfluß des Caitanya-Vaishnavismus und des Tantra auf die Baul-Religion deutlich macht. Die hohe Stellung der Frau ist im Caitanya-Vaishnavismus zu beobachten. Dieser meint, daß Krishna sich nur durch seine Geliebte Radha vollständig genießen konnte. Deshalb ist Krishna als Caitanya geboren worden, der gleichzeitig eine Inkarnation Krishnas und Radhas war (s. Kapitel 2). Daher ist die Stellung Radhas in diesem Zweig des Hinduismus hoch. Sie wird manchmal höher gestellt als Krishna. Auch die Tantriks unterordnen Shiva der Shakti, seiner weiblichen Energie.131 Wegen ihrer positiven Einstellung zur spirituellen Partnerin, haben die Bauls in diesem Zusammenhang keine doppelte Moral. Wenn der Mann seine Sinnesorgane nicht beherrschen 130 131

Mahendranath Gupta: Shri-shri-ramakrishna-kathamrita, Bd. 1, Kalikata, 1993, 65-66 Vgl. Upendrakumar Das: Shastramulak bharatiya shakti-sadhana, Bd. 1, Kalikata, 1984, 332-355

78 kann, so ist das sein eigenes Versagen. Er muß sich durch Eigeninitiative von der Sinnlichkeit befreien, will er Gott erleben (s. Anhang Baul-Lieder). Untersuchungsergebnisse 1. Für die Übung des Mahayoga ist die spirituelle Partnerin für den Baul ein unverzichtbares Instrument. Dies erhöht die Stellung der spirituellen Partnerin in der Baul-Gemeinschaft. 2. Die Stellung der spirituellen Partnerin in der Baul-Gemeinschaft ist durch CaitanyaVaishnavismus und Tantra positiv beeinflußt. 3. Die hohe Stellung der spirituellen Partnerin ist nicht allgemein auf die Stellung der Frau in der Baul-Gemeinschaft übertragbar. Im täglichen Leben übt die spirituelle Partnerin eine dem Baul untergeordnete Rolle (s. Kapitel 1).

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Schluß Der Hinduismus hat schon sehr frühzeitig seine Angehörigen durch das Kastensystem in fünf Kategorien eingeteilt. Diese in Abstufung klassifizierten Kategorien sind: die Angehörigen der Brahmanenkaste, die Angehörigen der Kshatriyakaste, die Angehörigen der Vaishyakaste, die Angehörigen der Shudrakaste und die Kastenlosen. Die heiligen Schriften Dharmashastras untersagen den Shudras und Kastenlosen, den Hinduismus so zu praktizieren, wie die drei oberen Kasten es tun. Dies bedeutet, daß die Shudras und Kastenlosen nicht die Veden lernen dürfen, nicht den Tempel betreten und an der Gottesverehrung teilnehmen dürfen und nicht die vedischen Zeremonien vollziehen dürfen. Somit ist die Möglichkeit, den Hinduismus vollständig zu praktizieren, eingeschränkt. Das Kastenstensystem wird mit der Karma-Theorie begründet. Hat man im letzten Leben oder in mehreren vergangenen Leben gute Taten (karma) getan, wird man den Taten entsprechend in einer der oberen Kasten geboren. Waren die alten Karmas schlecht, wird man als Shudra oder, was noch schlimmer ist, als Kastenloser geboren. Hiermit ist die Kastenzugehörigkeit durch die Geburt festgelegt. Dies bedeutet, daß man im jetzigen Leben seine Kastenzugehörigkeit nicht verbessern kann. Die Bauls sind entweder Shudras oder Kastenlose. Sie sind fast ohne Ausnahme Analphabeten. Daß man hier und da ein Buch findet, das von einem Bauls verfaßt worden sein soll, darf einen nicht irritieren. Denn es findet sich schon jemand, der kostenlos für einen Baul ein Buch verfaßt und dann diesen Baul als den Verfasser dieser Publikation nennt. Automatisch stellt sich hier die Frage, wie die Bauls ihre Lieder verfassen und wer diese Lieder schriftlich festhält, wenn sie Analphabeten sind. Die Bauls verfassen ihre Lieder tatsächlich selbst. Sie können diese aber selbst nicht schriftlich festhalten. Dies tun die Literaten in Indien. Sie tun dies entweder, weil sie sich für die Lieder interessieren oder weil sie von den Bauls darum gebeten werden, da jede Wohngemeinschaft der Bauls bei sich ein solches Manuskript aufbewahren möchte. Diese Manuskripte sind ihre heiligen Schriften. Rabindranath Tagore und Upendranath Bhattacarya haben Baul-Lieder gesammelt und publiziert, weil sie diese interessant fanden. Es gibt jedoch nur einige wenige solcher Liederkollektionen, da die Nachfrage sehr gering ist. Da die Bauls keinen Schulabschluß haben, sind sie auch finanziell benachteiligt. Sie arbeiten als Tagelöhner, Bauern, Fischer etc. oder als religiöse Musiker, die für ihren Gesang mit Geld oder Naturalien bezahlt werden. Man erkennt die Bauls an ihrer Kleidung und ihrer Musik. Es gibt zwei Kategorien von Bauls, die Maluidharis und die Kistidharis. Die Maluidharis haben immer eine ovale ausgehöhlte Kokosnußschale und die Kistidharis haben immer eine längliche ausgehöhlte Kokosnußschale bei sich. Die Bauls wohnen in Wohngemeinschaften. Das Oberhaupt der Wohngemeinschaft ist der Guru. Auch seine spirituelle Partnerin genießt eine gewisse Autorität. Die Bauls wohnen zusammen mit ihren spirituellen Partnerinnen unter der Aufsicht des Gurus. Die Bauls dürfen keine Kinder zeugen, denn die spirituelle Partnerin ist nur für den Zweck des Tantrayoga da, nicht aber, der Sinnlichkeit wegen. Wird die Partnerin schwanger, so ist dies ein Beweis dafür, daß der betreffende Baul der Sinnlichkeit nachgegeben hat. In diesem Falle müssen der Baul und seine Partnerin die Wohngemeinschaft verlassen. Die spirituelle Partnerin eines Bauls wird von seinem Guru ausgesucht.

80 Es gibt einige Bauls und einzelne Intellektuelle in Indien, die den kulturellen Beitrag der Bauls überschätzen, da die Bauls auch Liedermacher sind. Die Baul-Lieder sind jedoch melodisch monoton und thematisch uninteressant für die Mehrheit. Außerdem sind die Lieder oft in einer Geheimsprache verfaßt, da die Texte vielfach mit dem Tantrayoga zusammenhängen und die Bauls nicht möchten, daß die Nichtbauls über ihre religiösen Praktiken so genau Bescheid wissen. Berücksichtigt man die Tatsache, daß die Melodien der Lieder monoton sind und die Texte unverständlich, so ist es nachvollziehbar, daß die BaulLieder in Indien keine große Nachfrage haben. Hinzu kommt noch, daß Bengali eine von vielen Sprachen Indiens ist. Dabei verfassen die Bauls ihre Lieder nicht einmal auf Hochbengali, sondern in verschiedenen Dialekten der Bengali-Sprache. Es gibt nur sehr wenige Intellektuelle im Bundesstaat West Bengal, Indien, die sich für die Baul-Lieder interessieren. Von einem Beitrag der Baul-Lieder zur Kultur Indiens kann nur in eingeschränktem Sinne gesprochen werden. Die Bauls sind äußerst friedliche Menschen. Sie interessieren sich nicht für Politik. Caitanya (1486-1533 n. Chr.) ermöglichte den Shudras und Kastenlosen eine Integration in den klassischen Hinduismus mit seiner Reformbewegung. Caitanya war ein erfolgreicher Gelehrter aus der Brahmanenkaste. Seine Liebe zu Krishna befreite ihn von den orthodoxen Ansichten, die besagten, daß man die Veden kennen müßte, um Gott zu erreichen. Zunächst in seinem Geburtsort Nabadvip, Bundesstaat West Bengal, und später in Puri, Bundesstaat Orissa, predigte Caitanya, daß um Krishna, d. h. Gott, erreichen zu können das Lernen der Veden nicht nötig sei. Man müsse Krishna inbrünstig lieben. Er ersetzte die komplizierten vedischen Zeremonien durch Krishnas Lobgesang und Krishnas Namensrezitation. Die Lieder für den Lobgesang wurden auf Bengali, verfaßt. Diese ersetzten die traditionellen Mantras, die auf Sanskrit verfaßt worden waren und daher für das einfache Volk unverständlich blieben. Er lehnte das Kastensystem ab, da vor Gott alle Menschen gleich sind. So schuf Caitanya in Bengal und Orissa eine neue Form des Vaishnavismus, die Caitanya-orientierter Vaishnavismus genannt wird. Die Anhänger dieser Richtung des Hinduismus erkennen das Kastensystem nicht an, was soviel bedeutet, daß in ihren Tempeln die Shudras und Kastenlosen genauso willkommen sind, wie die drei oberen Kasten. Dies war eine große Errungenschaft für die Shudras und Kastenlosen. Ferner durften sie mit Gottes Lobgesang und Namensrezitation Gottesverehrung praktizieren. Es war für sie kein Hindernis mehr, daß sie die Sanskrit-Mantras weder rezitieren durften noch konnten. Aus dieser Reformbewegung ist die Baul-Gemeinschaft entstanden. Deshalb nennen die Bauls Caitanya ihren Urguru. Um Caitanya sammelten sich allerdings auch orthodoxe Brahmanen aus dem heutigen West Bengal, wahrscheinlich, weil Caitanya einfach zu erfolgreich war und daher nicht ignoriert werden durfte. Der Führer der Orthodoxen war Advaitacarya, der in seinem Zentrum weiterhin in einer milderen Form das Kastensystem aufrechterhielt. Anders sah es im Zentrum von Nityananda aus, den Caitanya mit der Verbreitung seiner Lehre in West Bengal beauftragte. Nityananda lehnte das Kastensystem ab, wie sein Lehrer es tat, und nahm viele Shudras und Kastenlose bei sich auf. Es ist anzunehmen, daß um Caitanya und / oder Nityananda sich viele Shudras und Kastenlose gesammelt haben, die sich Bauls nannten. Auch Caitanya wurde von seinem Schüler Advaitacarya Baul genannt. Die Religion der Bauls ist die Religion der Gottesliebe. Diese Liebe ist jedoch eine besondere Art der Gottesliebe. Gott wird hier nicht als Gottvater, sondern als der Geliebte verstanden. Die Basis dieses Konzepts ist die göttliche Liebe zwischen Krishna und seiner Geliebten Radha. Krishna war Vishnus Inkarnation. Wie Krishna in der Bhagavdgita verkündet, erscheint er in dieser Welt, um die Guten zu retten und die Bösen zu bestrafen, immer wieder, wenn die Rechtsaffenheit (dharma) vom Untergang bedroht wird und die

81 Nichtrechtschaffenheit (adharma) das Übergewicht bekommt. So wurde Vishnu als Kri-shna geboren um die Rechtschaffenheit wiederherzustellen. Krishna wuchs im Kuhhirtendorf Vrindavan als Kuhhirtenjunge auf. Hier lernte er Radha, die Frau eines Kuhhirten kennen. Die verbotene Liebe zwischen Krishna und Radha dient als die Basis der Lehre der Gottesliebe bei den Bauls. Die göttliche Liebe zwischen Krishna und Radha war deshalb so intensiv, weil sie eben verboten war. So wie Radha Krishna liebte, möchten die Bauls Gott lieben. In der Religion und den philosophischen Gedanken der Bauls ist auch die Lehre der Upanishaden vertreten. Die Bauls glauben, daß die Welt eine Manifestation von Brahman ist. Die Theorie der Maya ist den Bauls ebenfalls vertraut. Die Maya ist eine Eigenschaft Gottes, die die Welt als etwas Absolutes erscheinen läßt. Dabei hat die Welt nur im Zusammenhang mit Gott eine Existenz. Von der Maya verleitet klammern die Menschen sich an vergängliche Dinge und lassen sich von Gott ablenken. Die Bauls glauben an die mystische Physiologie, die deutliche Einflüsse des Tantra und des Yoga zeigt. Die Bauls behaupten, daß der menschliche Körper in sich verschiedene Geheimnisse birgt. So sind sie davon überzeugt, daß im Körper sich die vierzehn Welten, Energiezentren (cakra), Kanäle (nari), welche die Lebenskraft verteilen, Gott und seine weibliche Energie, die Kundalini-shakti, befinden. Allerdings können nur die fortgeschrittenen Yogis diese Besonderheiten wahrnehmen. Für alle anderen bleiben sie unentdeckt. Ferner gibt es sechs Feinde im eigenen Körper: Sinnesfreude, Zorn, Habgier, Verblendung, Rausch und Neid. Diese hindern die Bauls bei ihrer Suche nach Gott. Durch die neun Öffnungen: die Ohren, Augen, Nasenlöcher, den Mund, das Geschlechtsorgan und den Anus, verlieren die Bauls Energien. Daher müssen sie bei der Yogaübung diese regulieren, damit sie nicht unnötig Energien verlieren. Außerdem befinden sich im Körper vierundzwanzigeinhalb Monde und noch einmal acht Monde. Die vierundzwanzigeinhalb Monde verteilen sich folgendermaßen: zehn Monde in den zehn Fingernägeln, zehn in den zehn Zehennägeln, in den beiden Wangen jeweils einer, einer in der Unterlippe, einer in der Zunge und ein halber Mond auf der Stirn. Die acht Monde verstecken sich im Körper folgendermaßen: im Mund einer, in beiden Brüsten bzw. Brustwarzen jeweils einer, in beiden Händen jeweils einer, im Brustkorb einer, im Nabel einer und im Geschlechtsorgan einer. Ferner versteckt sich im menschlichen Körper der Kosmos. Die mystische Physiologie der Bauls ist nicht nur vom Tantra und vom Yoga, sondern auch vom Sankhya-System beeinflußt. Die Bauls singen von Prakriti (dem weiblichen Urprinzip), von vierundzwanzig Tattvas (Dingen), drei Gunas (Eigenschaften), zehn Indriyas (fünf Wahrnehmungs- und fünf Ausführungsorganen) und fünf Elementen, sowie von Purusha, den sie Gott gleichstellen, was das Sankhya-System nicht tut. Da die Bauls die Philosophie des Sankhya nicht systematisch lernen, haben sie eine konfuse Vorstellung von den genannten Begriffen, wie ihre Lieder bezeugen. Das Gottesbild der Bauls ist widersprüchlich. Hier finden wir neben den Theorien der Upanishaden hausgemachte Thesen. Der persönliche Gott ist die Manifestation des formlosen Brahman, der höchsten Wahrheit. Gott ist der Vater, die Mutter und der Geliebte. Wenn einem Ungerechtigkeit widerfährt, kann man sich an Gottvater oder Gottmutter wenden. Gott ist der Geliebte, den man so lieben kann, wie Radha Krishna geliebt hat. Diese Liebe gleicht der Ekstase. Interessant ist, daß die Bauls Gott einen Menschen nennen. Als Mensch hat Gott einige Schwäche, die man bei den Menschen beobachtet. Z. B. ist er zwar souverän und unbeeinflußbar von den weltlichen Ereignissen, gleichzeitig ist er so verliebt in seine weibliche Energie, Kundalini-Shakti, daß man sagen kann, daß er von ihr abhängig ist. Gott wohnt im menschlichen Körper, genau gesagt im Zentrum Sahasrara-cakra. Die Kundalinishakti wohnt im Zentrum Muladhara-cakra. Das Sahasrara-cakra befindet sich in der

82 Fontanelle und das Muladhara-cakra im Beckenplexus. Gott fühlt sich ständig von seiner Shakti angezogen. Einmal im Monat kommt er herunter von seinem Wohnort und trifft die Shakti im Muladhara-cakra. Es ist eindeutig, daß das Gottesbild der Bauls ein Produkt lückenhafter Kenntnisse über die Upanishaden und Puranas ist, gemischt mit den eigenen Empfindungen. So ist er einmal das formlose Brahman der Upanishaden, ein anderes Mal der souveräne Gottvater bzw. die Gottmutter der Puranas und ein weiteres Mal ein gewöhnlicher Mann. Vor allem aber ist der Gott der Bauls der Geliebte. Das Gottesbild der Bauls, die Caitanya-orientierte Vaisnavs sind, ist vom Bild der Liebe zwischen Krishna und seiner Geliebten Radha am stärksten geprägt. Radha, die Ehefrau eines anderen, liebte Krishna leidenschaftlich. Krishna erwiderte dieser Liebe mit der gleichen Intensität. Die Lieder der Bauls drücken diese Passion aus, die Gott und der Mensch füreinander empfinden. Als Shudras und Kastenlosen dürfen die Bauls nicht die Feste der oberen Kasten feiern. Dies hindert sie aber nicht, ihre Feste auf ihre Weise zu feiern. Vergleicht man die Feste und Rituale der Bauls mit den Festen und Ritualen der Brahmanas, Kshatriyas und Vaishyas, so stellt man fest, daß die Festlichkeiten der Bauls vereinfachte Formen der Festlichkeiten der oberen Kasten sind. Interessant ist jedoch, daß obwohl die Bauls gerne Feste feiern, Gottesverehrung praktizieren und Pilgerfahrten machen, sie heftige Kritik an diesen religiösen Praktiken üben. Gewöhnlich, aber nicht immer, verzichten sie auf Götterbilder. Bei einigen Bauls, wie z. B. bei Purnadas Baul, wohnhaft in Kalkutta sowie im Dorf Daskala-grama und Naksatradas Baul, wohnhaft im Dorf Ahmedpur, beobachtet man eine wachsende Zuneigung zu Götterbildern. Caitanya gilt bei den Bauls als die Inkarnation von Krishna und seiner Geliebten Radha in einer Person. Purnadas Baul und seine Glaubensbrüder vollziehen vor dem Bildnis Caitanyas Gottesverehrung auf traditionelle Weise, d. h. mit Speise, Blumen, Weihrauch etc. Sie nennen diese Art der Verehrung Malsabhog, die Opferung der Speise im Tontopf. Das Malsa-bhog wird zu verschiedenen Anlässen praktiziert, z. B. bei der Kanthi-badal-Zeremonie und der Totenzeremonie. Die Melas, d. h. Treffen, sind die wichtigsten Feste der Bauls. Das größte Treffen ist das Jyadeva-kenduli-mela, das gegen Mitte Januar im Dorf Kenduli, auch Kenduvilla genannt, stattfindet. Der Lyriker Jayadeva (ca. 1100 n. Chr.) wird von den Bauls als einer ihrer Vorgänger verehrt. Jayadeva verfaßte den Gedichtband Gitagovinda, der über die göttliche Liebe zwischen Krishna und Radha berichtet. Diese Gedichte werden in vielen Vishnuitischen Tempeln, besonders in den Tempeln der Caitanya-orientierten Vaisnavs, gesungen. Jayadeva lebte und verfaßte Gitagovinda in Kenduli. Im Dorf Kenduli erlangte Jayadeva die Erleuchtung. Einmal im Jahr treffen sich die Bauls hier, um durch Gesang und gemeinsame Mahlzeit Jayadeva ihre Verehrung entgegenzubringen. Die gemeinsame Mahlzeit, an der alle Anhänger Caitanyas unabhängig von ihrer Kastenzugehörigkeit teilnehmen, wurde von Caitanya selbst eingeführt. Er wollte damit gegen die Bestimmung der Dharma-shastras, die den Angehörigen der drei oberen Kasten eine gemeinsame Mahlzeit mit den Shudras und den Kastenlosen verbieten, da sie sonst dadurch unrein werden, demonstrieren. Unter Caitanyas Anhängern befanden sich Angehörige aller Kasten, daher war die gemeinsame Mahlzeit sinnvoll. Die Bauls aber sind selbst Shudras und Kastenlose. Wenn sie gemeinsam essen, dann speisen sie unter sich. Hier entfällt der Grund, warum Caitanya wollte, daß seine Anhänger miteinander essen. Die gemeinsame Mahlzeit ist jedoch eine Tradition der Caitanya-orientierten Vaisnavs und wird auch heute noch praktiziert. Die Bauls pflegen diese Tradition als Caitanya-orientierte Vaisnavs. Weitere nennenswerte Treffen sind das Kartabhaja-mela, das Paush-mela und das Magh-mela. Das Kartabhaja-mela ist ein religiöses Treffen der Religionsgemeinschaft der Kartabhajas, Verehrer des Gurus. Es findet

83 im Monat Phalgun (Februar-März) im Dorf Ghosapara, Distrikt 24 Pargans, statt. Die Bauls sind hier zahlende Gäste. Das Paush-mela und das Magh-mela sind zwei säkulare Feiern, die von der Visva-Bharati University im Ort Santiniketan organisiert werden. Die Bauls sind hier geladene Gäste, deren Übernachtung und Verpflegung die Universität übernimmt. Auch beim Kartabhaja-mela, beim Paush-mela und beim Magh-mela bestehen die religiösen Aktivitäten der Bauls im Singen und in der gemeinsamen Mahlzeit, wie beim Jayadevakenduli-mela. Ein wichtiges Ritual der Baul-Gemeinschaft ist der Mahotsab, die große Feier. Das Fest soll möglichst mehrmals, mindestens aber einmal im Jahr im Andenken an den Urguru Caitanya gefeiert werden. Da die Bauls selbst die Kosten der Feier tragen, feiern sie nur einmal im Jahr den Mahotsab. Neben dem Gesang und der gemeinsamen Mahlzeit spielen hier Fachgespräche eine wichtige Rolle. Da die Bauls hier ungestört ihre Fachgespräche führen wollen, dürfen bei der großen Feier nur Bauls anwesend sein. Die Fachgespräche verleihen dem Fest den Charakter einer Konferenz. Etwas eigenartig ist das Ritual Caricandra, das Ritual der vier Monde. Die vier Monde sind Stuhl, Urin, Ausfluß der Partnerin und Samen des Bauls, die jeweils mit den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Wind verglichen werden. Das Ritual besteht darin, daß die Bauls zusammen mit ihrer Partnerin die vier Monde einnehmen bzw. auf den Körper schmieren. Die Bauls glauben, um Gott zu erleben müsse man den Tantrayoga üben. Um den Tantrayoga zu üben, benötigen sie eine Partnerin. Der Yoga muß während der Menstruation der Partnerin praktiziert werden. Die Übung, die mit der sexuellen Vereinigung mit der Partnerin anfängt, endet mit dem Gotteserlebnis des Übenden, so glauben die Bauls. Da der Tantrayoga den Geschlechtsverkehr einbezieht, wird er in der Gesellschaft heftig kritisiert und als Sex im Namen der Religion angesehen. Die vorliegende Studie stellt den Hintergrund und die heutige Lage der Baul-Gemeinschaft dar. Die Baul-Gemeinschaft wird sich in Zukunft sicherlich von ihrem heutigen Zustand unterscheiden. Denn Indien strebt nach der Industrialisierung. Die Industrialisierung wird auf das Kastensysten einen großen Einfluß ausüben, was schon heute offensichtlich wird. Als Beispiel können hier die Essensgewohnheiten in der Stadt genannt werden. Die Dharmashastras verbieten den drei oberen Kasten, mit den Shudras und den Kastenlosen zu speisen. In den Großstädten in Indien wird diese Regel im öffentlichen Leben oft nicht eingehalten werden. Die große Arbeitslosigkeit zwingt die Angehörigen der oberen Kasten, eine für die Shudras bestimmte Arbeit zu verrichten. Brahmanen, Kshatriyas und Vaishyas, die solche Tätigkeiten ausüben, essen auch in der Mittagspause zusammen mit ihren Kollegen aus der Shudra-Kaste und mit den Kastenlosen. Das strenge Kastensystem ist aber eine der Ursachen, warum es zur Bildung der Baul-Gemeinschaft kam. Da die Shudras und Kastenlosen durch die Kastenordnung vom klassischen Hinduismus ausgeschlossen wurden, mußten sie für sich selbst eine Religionsgemeinschaft bilden, damit sie ihren Hinduismus praktizieren konnten. Löst sich aber das Kastensysten durch die Industrialisierung auf, was wünschenswert ist, wird es für die Shudras und Kastenlosen nicht mehr nötig sein, sich außerhalb des klassischen Hinduismus zu organisieren. In diesem Falle werden sie den Hinduismus so ausüben, wie die anderen Kasten es tun. Die Baul-Gemeinschaft wird dann eine weitere Richtung des klassischen Hinduismus darstellen.

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Die Theorie Die Untersuchung führt zu folgender Theorie. Die Bauls, welche Shudras und Kastenlose sind und deshalb vom klassischen Hinduismus ausgeschlossen bleiben, haben eine selbständige religiöse Strömung im Rahmen des großen Überbegriffs Hinduismus entwickelt. Diese Strömung wird von der Autorin als die Religion der Baul-Gemeinschaft bezeichnet. Die zwei Eckpfeiler dieser Religion sind der Caitanya-Vaishnavismus und das Tantra. Die Religion der Baul-Gemeinschaft nimmt zwar Inhalte vom klassischen Hinduismus, ordnet sich aber ihm nicht unter. Sie legt die Aussagen bzw. die Offenbarungen des klassischen Hinduismus nach eigenem Verständnis aus, was für einen Außenstehenden nicht zwingend ist. Auch die Moral dieser Religion ist eine andere als sie in der Manu-smriti, dem maßgebenden Gesetzbuch der Hindus, dargestellt wir. Denn die Moral der Religion der BaulGemeinschaft legt nicht die klassische hinduistische Überzeugung zugrunde, daß die Interessen der Gesellschaft in den eigenen Handlungen derart zu berücksichtigen ist, daß im extremen Fall sogar die gesellschaftlichen Interessen zu Ungunsten eigener Interessen gefördert werden sollen (vgl. Manusmriti, III und X), sondern vertritt die Moral der individuellen Glückseligkeit. Die individuelle Glückseligkeit ist im individuellen Gotteserlebnis zu finden. Jedes Mittel, das dieses Zweck erfüllt, ist der Religion der Baul-Gemeinschaft recht. Deshalb versteht sie die Benutzung der Partnerin beim Tantrayoga nicht als einen moralischen Verstoß gegen die allgemeine Wertvorstellung. Die Religion der Baul-Gemeinschaft ist auch eine Befreiungsbewegung. Im Gegensatz zu einer politischen Befreiungsbewegung versucht sie nicht, die Bedingungen im Umfeld zu verändern, sondern für ihre Anhänger eine subjektive Welt zu schaffen, in der sie sich geborgen fühlen und die menschliche Würde bewahren konnen. Daher hat für die Bauls ihre Religion einen besonderen Stellenwert. Ohne ihre Religion könnten sie sich nicht als eine besondere Gruppe organisieren und wären daher von den Slumbewohnern nicht zu unterscheiden. Ihre Religion gibt ihnen die Identität, die sie von den gewöhnlichen Armen, denen die indische Gesellschaft keine Achtung entgegenbringt, unterscheiden. Die Baul-Religion ist ein Objekt, das die subjektive Welt einer Religionsgemeinschaft darstellt. Sie möchte es ihren Anhängern ermöglichen, das, was ihrer Meinung nach göttlich ist, in ihrem Körper und in dieser Welt zu erfahren. Diese Religion entspringt aus dem tiefen Glauben, daß der Mensch eigentlich zu einer höheren Gattung gehört und vergöttlicht so den Menschen. Sie meint, daß der Sinn des menschlichen Lebens nicht im menschlichen, sondern im spirituellen Leben besteht und setzt dies als das Ziel des Menschenlebens.

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Anhang: Baul-Lieder Selbstdarstellung 1 Welche Lebensart wird als Die Lebensform eines Bauls bezeichnet? Was ist (sein) Leben, was ist er, wo ist er geboren? Mit physischer und geistiger Übung Streben die Bauls Das zu erlangen, was die Ursache des Lebens ist; Menschen, welche die höchste Wahrheit Des Lebens suchen, Werden Bauls genannt. Das Leben selbst ist der Pilgerort, (Das Leben selbst ist) die Religion und der Weg Dies ist die Ansicht der Bauls. Manche sagen: „Die Bauls sind Materialisten. Sie verehren Gott Nicht nach traditionellen Methoden. Sie suchen auch nicht Nach der Befreiung (vom Kreislauf der Wiedergeburten).“ Der bescheidene Duddu antwortet darauf: „Das Leben selbst ist (die Manifestation) Der höchsten Warhheit.“ Kritische Lieder Über die heiligen Schriften und Rituale des klassischen Hinduismus 2 Gott Hari hat sich als Mensch manifestiert. Mit festem Glauben findet man seine Addresse. Je mehr du die Veden und den Vedanta liest, Um so größer wird dein Zweifel. 3 Du hast die vier Veden, die vierzehn heiligen Schriften Die neue Grammatik und Regeln für Komposita gelesen, Aber nicht die Wahrheit erkannt. So bleibst du im Kreis der Wiedergeburten gefesselt. 4 Die Veden kennen Gottes wahre Natur nicht, Wie Gott in diesem menschlichen Körper Sein Spiel spielt.

86 5 Die Veden lehren nicht Die Gottesverehrung der Liebe. Verrichtet man jeden Tag die Gottesverehrung (Nach vedischen Anweisungen), So erlangt man (dadurch) nur vergängliche Freude. 6 Hier habe ich dieses Glück erlangt, Wo soll ich noch hin? Ich habe ein zerbrochenes Boot gekriegt, Mein Leben vergeht beim Wasserschöpfen. „Wem gehöre ich, wer gehört mir“ (Diese Lehre der Veden) läßt das Wahre nicht erkennen. Die Wolken der vedischen Lehre verdunkeln (den Himmel), Die Sonne (des Wissens) scheint nicht. 7 Gott Hari manifestiert sich in mir. Mit der Hingabe deines Herzens Wirst du seine Adresse Herausfinden. Je mehr du die Veden und den Vedanta liest, Um so größer wird dein Zweifel. 8 Was wissen die Veden vom tiefen Sinn des Spiels Gottes, Das er in diesem (menschlichen) Körper spielt? Die Veden begründen alles mit fünf Elementen Und die Gelehrten predigen (diese Theorie). Die Wahrheit über den Menschen Ist die Essenz allen Spiritualismus. Die Liebe kann nicht durch die Veden gelernt werden. 9 Die heiligen Schriften beinhalten Alle (Instruktionen). Sie sind mit (großer) Konzentration Geschrieben. Aber, wo ist die Tür meines Herzens Und wo wohnt der König meines Herzens?, (Das sagen sie nicht). Ich schleppe die Last der Bücher Mit mir herum Und vergesse mich selbst dabei. 10 (Wisse,) daß die heiligen Schriften, Pilgerfahrt, Rechtschaffenheit etc.

87 Nur Äußerlichkeiten Der eigentlichen Wahrheit sind. Der Kern der Wahrheit lautet: Der Mensch ist der (wahre) Schatz. Keine Zeremonien, keine Übungen, Keine Arten der Gottesverehrung Oder der (Namens-)rezitationen mit Hilfe eines Rosenkranzes, Haben einen höheren Wert Als der Mensch. 11 Durch welche spirituellen Übungen kann ich Den Tod beenden? Die Religion und das Wesen der Veden Führen doch nur zum Todesgott. Das Schenken, das Gelübde, Die asketischen Übungen Und die Feueropferzeremonie Erzeugen zwar Ergebnisse guter Taten, Aber sobald die Ergebnisse ausgelebt sind, Muß man zurückwandern, zurückkommen. 12 Du hast die lebendige Göttin Kali in deinem Hause Nicht beachtet. Du verehrst die Figur (der Göttin Kali im Tempel), Und bist dadurch blind geworden. Gott im Menschen kennst du nicht, Und verehrst die Puppe aus Stroh. Sage Bruder, sage, o mein Lieber, Was hast du dadurch erreicht? Wie dumm sind doch die Hindus, Daß sie nicht wissen, wo die Göttin tatsächlich wohnt! Sie verehren Tag und Nacht die Götterfigur Vergeblich! 13 Um ihn zu erlangen, Verrichten manche Leute Opferzeremonien und machen Pilgerfahrten; Oder sie fasten, Manch andere üben Askese, Andere wiederum essen nur vegetarisch. Ich habe in meinem Herzen hierüber Nachgedacht. Hari selbst hat sich Als die Welt manifestiert. Ob es der Ozean ist oder der Tropfen, In allem zeigt er sich mit seiner Schönheit.

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14 Die anstrengende Pilgerfahrt Ist nur eine Verwirrung des Geistes. Kann die spirituelle Übung Ohne Liebe zu Govinda erfolgreich werden? Über das Kastensystem 15 In erster Linie ist der Mensch ein Mensch, Seine Religions- und Kastenzugehörigkeit sind zweitrangig. Wären die Religions- und Kastenzugehörigkeiten erstrangig, Hätte auch ein Säugling sie erkannt. Das, was das Kind in seiner Umgebung sieht und hört, Lehrt es, ob es ein Hindu oder Muslim oder Christ ist. Es lernt zu unterscheiden und in seinem Herzen werden Gewalttätigkeit und Haß geboren. Mit (Gewalttätigkeit und Haß) wird es nicht geboren. Das Kind kennt den Unterschied Zwischen den Berührbaren und Unberührbaren Oder dem Richtigen und Falschen nicht. Bruder, es lernt, was man ihm beibringt Wenn es älter wird. Die Kasten und Religionen sind Die Kreationen der Menschheit. Gott oder die Natur hat sie Nicht erschaffen. Der bescheidene Duddu sagt: ‘Wann werden die Menschen Sich umarmen?’ 16 Bruder, wen verwirfst du, Weil er aus der niedrigeren (Kaste) stammt? Vielleicht ist Kanai aus Vraja In diesem Menschen erschienen. Die Tage, in denen du die Menschen als Shudra, Candal oder Bagadi (Kastenlosen in West Bengal) bezeichnest, Sind gezählt. Diese Tage werden bald Zur Vergangenheit gehören. Ich sehe es deutlich. Der, den du als niedrig und wertlos bezeichnest Und angeekelt von dir wegschiebst, Wird heute oben sitzen. Ich sehe es deutlich. Das Kaliyuga ist gekommen. Jetzt werden die Großen und Kleinen gleich. Dies hofft Duddu Und vergießt ständig Freudentränen.

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17 Man hat das Kastensystem erschaffen Und dadurch Indien Zu einem Krematorium gemacht. Alle Kayasthas ( d. h. Kshatriya) und Brahmanen Halten nur noch das (Kastensystem) Für die größte Wahrheit. Ob Shudras, oder Buddhisten, oder Kastenlose oder Muslime, Alle sind doch Kinder einer Mutter (gemeint ist Indien). Die Seele all dieser (Menschen) Sind mit dem Boden Indiens verbunden. Aber das sieht keiner. Man hat den Zaun der Kasten gezogen (Und damit die Menschen voneinander getrennt), Und so Gott von seiner Heimat vertrieben. Man hat den Menschen beiseite gelegt. Und nun verehren sie die Götterbilder. 18 O mein Herz, lasse dich nicht vom Kastensystem Beeinflussen. Dies wird nur deinen Dharma, dein Karma Und den Sinn deines Lebens vernichten. Die Teufel, unehrliche Leute Und die Barbaren haben sich zusammengetan Und das Kasten- und Gotra-system erfunden, Um die Schöpfung (Gottes) zu zerstören. Sie haben die Leute eingewickelt, Die Betrüger. Sie treiben das Geschäft mit dem Kastensystem. Dies ist nicht schwer zu verstehen. Ein Gott, der das Kastensystem vorschreibt, Ist kein Gott, sondern der Teufel. Der bescheidene Duddu singt: „Wann wird diese Unsitte vorbei sein?“ 19 Nur weil (Indien) mit dem Kastensystem Verseucht war, Konnten die Engländer in diesem Land König werden. Hindus, Buddhisten, Jainas, Muslime Haben sich gegenseitig gehaßt und sind deshalb umgekommen. Deshalb konnte der christliche Missionar (Hier) die Religion Christi verbreiten. Millionen Inder Haben sich miteinander nicht vertragen. Deshalb konnte nur eine Handvoll Engländer sich hier ausbreiten.

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20 Alle in dieser Welt fragen Nach der Kastenzugehörigkeit Lalanas. Lalana sagt: ’Woran sieht man Die Kaste (eines Menschen)? Ich habe es nicht Feststellen können.’ Durch Beschneidung wird man zum Muslim, (Aber) welche Bestimmung gibt es für die Frauen? Die Opferschnur weist den Brahmanen aus, Wie erkenne ich (aber) die Brahmanin? Der eine trägt die (Gebets)kette (der Hindus), der andere eine Gebetskette (der Muslime) Kann dies sie etwa in verschiedenen Kasten einordnen? Wer trägt beim Gehen oder Kommen Das Kastenzeichen? Wenn das (Regen)wasser in den Brunnen fällt, Heißt es Brunnenwasser, Wenn das (Regen)wasser in den Ganges fällt, Heißt es Gangeswasser. (Aber) ursprünglich waren sie das gleiche Wasser, Nicht (zwei) verschiedene. Nur der Behälter macht sie zu verschiedenen (Wassern). Die Welt redet von der Kaste. Hier und da sind die Menschen stolz auf ihre Kaste. Lalan hat seine Kastenzugehörigkeit Auf sieben Märkten verkauft. 21 Jagannatha, Gott der Rechtschaffenheit, Kümmert sich nicht darum, Ob einer ein Kastenhindu oder ein Kastenloser ist. Er ist dem Gottergebenen untergeben. Alle, die den Kastenunterschied machen, Und korrupt sind, Dürfen ihm nicht näher kommen. Wenn ich meine Kaste nicht hinwerfe, Bekomme ich nicht Hari. Was soll ich da auf meine Kaste stolz sein? Was soll ich da sagen: „Faß mich nicht an ?“ Lalan sagt: „Wenn ich die Kaste In meine Hände bekäme, Verbrennte ich sie im Feuer.“ Über die Wirtschaftslage, Gesellschaft und Regierung 22 Hari, wann habe ich denn Zeit Deinen Namen zu rezitieren?

91 Ich bin (ständig) beschäftigt Mit den anderen Sachen. Ich nehme mir vor, früh am Morgen Deine Glorie zu singen. (Aber) da wacht der Junge auf Und schreit gepeinigt durch den Hunger. Und sobald ich mich Mit dem Rosenkranz hinsetze, O lieber Hari, Kommt die Frau Und das (hübsche) Mondgesicht redet Wie ein Wasserfall. Sie sagt: „O Lakshmikanta, der Reis ist alle.“ Und ich lege sofort den Rosenkranz beiseite. Ich denke, beim Essen werde ich (lautlos) Deine Namen rezitieren. Nun höre ich aber Den Gläubiger kommen Und aus ist es mit dem Essen. 23 Alle wollen nur das Geld. Ein Mann ohne Geld ist unwichtig. Ohne das Geld Ist es schwierig, auf der Welt zu leben. Die Mutter sagt am Ende des Monats: „Du hast mir die hundert Rupien Nicht gegeben. (Also) darfst du (hier) nicht mehr wohnen.“ Hier und dort wandere ich Und suche Geld, Geld (und) Geld! Ich gehe zum Flußufer Und denke: „Ich bringe mich um.“ 24 Wer weiß, was unser Karma fruchtet! Der Markt ist rationiert. Das Öl ist rationiert, Der Zucker ist rationiert, Die Regierung rationiert sogar die Menschen! Das Fleisch kostet zehn Rupien das Kilo. Der Fisch sogar fast zwölf (Rupien). Das Getreide kriegt man nicht unter sechs (Rupien das Kilo). Als der Brahmane sah, daß ein paar Eier acht Paisa kostet, Hat er sich selbst Hühner (zum Eierlegen) besorgt ! Wir leben in einem unabhängigen Land Und essen rationiertes Essen! Einige fahren Motorräder, Und die anderen gehen zu Fuß! Einige fahren Autos, Und die anderen gehen zu Fuß!

92 Der traurige Hari sagt: „Woher diese Mißwirtschaft? Welche Krankheit hat uns befallen?“ 25 Der modebewußte Herr Ray, Trägt eine Armbanduhr. Seine Haare hat er zurückgekämmt. Aber nur drei Paisa klingeln in seiner Hosentasche! Obwohl sein Magen knurrt, Hält er eine Zigarette zwischen seinen Lippen! Er arbeitet in einem Büro für 120 Rupien im Monat, Und kann nicht damit seine neun Töchter und drei Söhne füttern. Er ging zu seinen Schwiegereltern. Aber auch dort war der Reistopf leer! Er sah sogar seinen Schwiegervater nicht. Man sagte ihm, daß er nicht zu Hause war! 26 Brüder, seht euch nur den Markt an! Er ist voll mit ausländischen Gütern! Unsere Kauf- und Tauschgeschäfte Und die Verbesserung der Wirtschaft Bestimmen die Fremden. Wir hatten unser tolles Geschirr Aus Messing und Bronze Wir behalfen uns mit Bananenblättern. Nun haben die Emailwaren Uns den Kopf verdreht, Nun blüht das Emailgeschäft. Der Wunderstein (parash-pathar) wird hier Nicht mehr bewundert. Die Tassen sind angeschlagen. Instabile, wertlose, leichte Sachen Werden für den doppelten Preis gekauft. Zu Hause gibt es nichts zu beißen, Aber schick angekleidet Laufen sie hier und dort. Ach! Die Armut des Vaterlandes nimmt nicht ab, Aber man kauft sich Die aus dem Westen importierten Gegenstände Und Kleidung. Lieber nehme ich die minderwertigen Waren Aus dem Vaterland Als die hochwertigen Produkte Aus dem Ausland. (Baul) Visarada kann es nicht lassen, Er weint bitterlich Und lebt irgendwie.

93 Erläuterung: Die Wohlhabenden im Bundesstaat West Bengal benutzen das traditionelle Geschirr aus Messing und Bronze. Die Armen dagegen helfen sich mit Geschirr aus Ton, Bananenblättern und Blättern aus Nutzholzbäumen. Da Messing und Bronze intensive Pflege brauchen, neigen heutzutage die Wohlhabenden dazu, anstatt dieser Metalle rostfreien Stahl zu benutzen. Der Wunderstein (parash-pathar) ist ein Märchenstein. Alles, was er berührt, wird zum Gold. 27 O Brüder, warum habt ihr euch fortwährend so verändert? O ihr seid in der arischen Linie geboren Und habt trotzdem alles vergessen! Wie ist denn das bloß geschehen, Daß ihr Wissen und Intelligenz Verloren habt? Ihr habt euere eigene Kultur verworfen, Aber was habt ihr dafür gekriegt? Ihr verbrachtet Tag und Nacht im sinnlichen Genuß. In eurem Tanz, Gesang und Theater Zeigt ihr euch merkwürdig (fremd). Unnütz lauft ihr in Gruppen herum Und kaut dabei Betelblätter. Nicht einmal wenn ihr den Tag voll ausgelebt habt, Denkt ihr an euer Vaterland! Der einheimische Weber Und der Tischler sterben vor Hunger, Aber ihr sucht nur ausländische Waren. Trotz der Geburt in der arischen Linie Habt ihr nicht gelernt, euer Vaterland zu lieben. Du zeigst dich stolz, Daß du englische Romane liest. Und verwirfst die Literatur, Welche die arischen Weisen verfaßt haben. Wir weinen bitterlich, Wenn wir diese deine Verhaltensweise sehen. Erläuterung: In sogenannten gebildeten Schichten Indiens beobachtet man die Nachahmung der westlichen Konsumkultur, welche die Inder mit der eigentlichen europäischen Kultur verwechseln. Dies wird in den Hindi-Filmen, die nach dem Hollywood-Muster in Mumbai, Indien gedreht werden, am deutlichsten sichtbar. 28 Das Volk stirbt erbarmungslos! Kraftlos durch die Krankheit, leblos durch die Steuern Und erledigt durch das Gerichtsverfahren Dies ist sein Leben. 29 Die Regierenden meinen mit Stolz, Daß sie zivilisiert sind. Warum aber herrscht dann dieser Zustand?

94 Mutter, ich habe Angst in diesem Kaliyuga, Daß sie mich vielleicht verhaften, (wenn ich sie kritisiere) Und ins Gefängnis sperren, wie einen Dieb. Aber Mutter, wem außer dir Werde ich den Schmerz meines Herzens erzählen? Ein Lied über den Reformer Rammohan Roy (1772-1833) 30 Wohin bist du gegangen, Ramamohana, O du, der Schmuck Indiens? Denke ich an deine Tugenden, So wird mein Herz trübe. Du warst rechtschaffen, reinherzig, Versiert in verschiedenen heiligen Schriften, Weise, reich an Liebe, Ein großer Dichter und (seelisch) verwandt mit allen. Du hast mit großem Elan gearbeitet, Um die Witwenverbrennung zu beenden Und so dem schwachen Geschlecht zu helfen Und um die Misere Indiens zu beseitigen. Um den Dharma zu üben Hast du zu Fuß den Himalaya überquert, Und so dem Menschen Unmögliches vollbracht. Um den Dharma zu verbreiten, Hast du das Meer überquert Und im Ausland ohne es zu bedauern dein Leben geopfert. Eines Tages werden die Menschen in aller Welt Liebevoll deinen liebgewordenen Namen erwähnen. Ein Lied über die Bauern in West Bengal 31 O du mein goldenes Bengal! O du Bauer, mein Freund, mein Bruder! O du Bauer, mein Bruder! Unser Leben rettet Deine goldene Ernte. Im Sommer, in der Regenzeit, Im Herbst und Winter Bist du nach Meinung aller Bürger Der Held. Nirgends auf der Welt Kann man ohne dich leben. In deiner Tat und in deiner Rechtschaffenheit Bist du groß. Wir nehmen uns ein Beispiel an dir Und schreiten voran.

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Ein Lied, das den Weltgeist verkündet: 32 Wir sind die Bauls aus (West) Bengal. Wir singen für alle Menschen, Wir Bauls aus (West) Bengal Die blaue Donau ist meine Jamuna, Und der Hudson mein Vrindavan. Du wirst mich in Kalkutta sehen, Und in Toronto und London Wirst du meine Stimme hören. Wir sind die Bauls aus (West) Bengal. Derselbe Mensch hat mehrere Namen, Und derselbe Spieler mehrere Spiele. Die Liebe ist ein Wunder, Womit man das Leben gewinnen kann. Höre meine Stimme! Wir sind die Bauls aus (West) Bengal. Über Caitanya In Anlehnung an Krishnas 108 Namen, nennen die Caitanya-Vaisnavs in West Bengal Caitanya mit 108 verschiedenen Namen. Die beliebtesten darunter sind: Gaur, Gauranga, Gaur-cãd, Gaur-candra, Gaur-hari, Gora, Gora-cãd, Maha-prabhu, Shaci-nandan, Shricaitanya etc. 33 O du Kanai, warum bist du als Gaur geboren? O dein Kopfschmuck, die Pfauenfeder, Deine schiefe lässige Haltung, Die Krone und die Flöte, O Kanai, wo hast du sie versteckt? Im Satyayuga hast du als Shri-hari So viele Spiele gespielt. O, du bist für deinen Anhänger Prahlada Als Halb-Mann-Halb-Löwe (nara-simha) erschienen Und seinen Vater getötet. Im Tretayuga bist du als Shri-rama geboren (Und hast den Dämon) Ravana getötet. (Du) hast Zusammen mit den menschenähnlichen Affen Den Ozean gebändigt (Und deine Frau) Sita befreit, O Kanai. Im Dvaparayuga hast du im Hause Nandas Butter gestohlen und gegessen. Du bist als Devakis Sohn geboren (Aber) Yashoda „Mutter“ gerufen. In den Hainen hast du Kühe geweidet. Im Kaliyuga (bist) du als Gaurnga (geboren) Und Jagai und Madhayi gerettet.

96 O, du hast Kaupin getragen Und jedem (die Religion des) (Krishna-)namens(gesang) geschenkt. Kanai, du hast dich als Bettler gekleidet. Kanai, warum bist du als Gaur geboren? Erläuterung: Das Lied stellt verschiedene Inkarnationen von Krishna der Caitanya-Vaisnavs in West Bengal vor. Kanai, Krishna, wurde im Kaliyuga als Gaur bzw. Gaurnga, der Hellhäutige, ein weiterer Name von Caitanya, geboren. Die Geschichte von Prahlada in: Vishnu-purana I, 17-20. Die Geschichte von der Inkarnation Rama erzählt das Epos Ramayana. Die Legende von Krishna, dessen leibliche Mutter Devaki war, der aber bei seinen Pflegeeltern dem Kuhhirt Nanda und seiner Frau Yashoda in Vrindavan aufwuch, in: Vishnu-purana V-XXXVIII. Die Legende von Jagai und Madhai, die vor der Begegnung mit Caitanya ein lasterhaftes Leben führten, in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya. His Life, Religion and Philosophy, Maylapore,17-18. Kaupina ist ein kurzes Tuch, das viele Asketen in Indien um ihre Hüfte wickeln. Der Verfasser des Liedes meint, Caitanya habe sich als Bettler gekleidet, weil er von Spenden lebte, s. Krishnadas Kabiraj: Shri-shricaitanya-caritamrita Madhyalila und Antyalila. 34 Ob Gaur noch einmal geboren wird? Man kann den Menschen noch so sehr verehren, Gaurcãd hat sein Spiel beendet. Er kam einmal nach Nadiya. Er wurde als ein Mensch geboren. So lehrte Gott (im Menschengestalt) Die Religion der Liebe hier und dort Und kehrte zurück in sein Heim (gemeint ist der Himmel). Die Religion der vier Yugas Und der Veden Ließ er beiseite Und lehrte Shrirupa (ein Schüler von Caitanya) Die Religion der Liebe, Die viel tiefsinniger ist als die Veden. 35 Komme, o Gaur-candra (d. h. Caitanya), Zusammen mit (deinem) Bruder Nitai (d. h. Nityananda). (Wir) werden mit Herzensfreude mit dir Im Chor singen und tanzen. Gora (d. h. Caitanya), (Der du), der Geliebte der Welt bist Und die Herzen der Heiligen gestohlen hast, Lasse dich von Radhas Liebe begeistern, So daß du kommst und dich im Staube wälzst. Du, der Mond von Nadiya, Laß Nada (d. h. Nadiya) hinter dir (Und) komme in den Herzenstempel (Deiner) Anhänger. Ich werde Gaur (d. h. Caitanya) Mit meinen (eigenen) Augen sehen

97 (Und) das Ziel dieser Menschengeburt erreichen. Wer „Cad-Gaur“ (d. h. der Mond Caitanya) ruft, Vor wem soll er am Ufer der Welt Angst haben? (Der Dichter) Dvijabhusan sagt: „Hoffentlich erreiche ich die roten Füße, Die einen ans andere Ufer bringen.“ Erläuterung: Götter und ihre Inkarnationen haben rote bzw. rötliche Füße. Daher hatte auch Caitanya rote Füße. Dies ist eine der zweiunddreißig Merkmale eines Heiligen (mahapurusha-lakshana). Die zweiunddreißig Merkmale sind: Die fünf Großen: Nase, Arm, Unterkiefer, Augen und Knie; die fünf Feinen:Haut, Kopfhaare, Fingerglieder, Zähne und Körperhaare; die sieben Roten: Die Augenenden, Fußsohle, Handfläche, Fontanelle, Lippen, Zunge und Nägel; die sechs Gutgebauten: Brust, Schulter, Nägel, Nase, Hüfte und Mund; die drei Kleinen: Hals, Oberschenkel und Geschlechtsorgan; die drei Breiten: Hüfte, Stirn und Brust und die drei Tiefen: Nabel, Stimme und Intelligenz. Über Maha-purusha-laksana siehe Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila XIV, 15 36 Nur mit reinem ungeteiltem Geist Kann man dort eintreten, In den Hof des Gaur-cãd (d. h. Caitanya), In den Hof des Nitai-cãd (d. h. Nityananda). Mit einem geteilten Geist wirst du in Schwierigkeiten geraten, O du Narr, und wirst nicht ans Ufer kommen. Zehn mal vier macht vierzig Sera, Und vierzig Sera macht ein Mana. Wenn da auch (nur) ein Rati oder ein Masa fehlt, Nimmt der Kaufmann (die Ware) nicht. Siehe, Radharani ist die Chefin der Transportabteilung. Sie wiegt und bringt einen hinüber. Der Holzfäller kennt die Juwelen nicht. Nur der Juwelier kennt die Juwelen. O du Narr, die anderen kennen sie nicht. Der Gold-Kaufmann kennt Gold. Er nimmt es nach dem er es gereinigt und gerieben hat. Am Eingang stehen Shri-rupa-gõsai und Sanatan. Sie sind große Kaufleute der Liebe Im Markt der Glückseligkeit. Sie wiegen (den Geist des Ankömmlings) mit der Wage Und nehmen einen nur nach der Prüfung auf. Erläuterung: Sera, Mani, Rati, Masa sind traditionelle Gewichtseinheiten in West Bengal. 37 Komm, gehen wir zur Gaurngas Schule. Gehen wir alle, um dort zu lernen. Dort werden die Legende von Hari Und die Bhagavadgita gelehrt. Der liebesspender Nitai unterrichtet dort.

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38 Was für eine Sitte hat Gaur In Nadiya eingeführt! Ungewöhnliche Werte, Ungewöhnliche Sitten! Man bekommt Angst vor diesen! Die traditionellen Normen des Dharma und Adharma (Nicht-Dharma) Sind hierin kein bißchen vertreten. Er singt nur das Loblied der Liebe. Dem Kasten-System folgt er nicht. (Er) hat alle Menschen gleich gemacht. 39 Kommt, schaut es euch an, Gora hat eine neue Richtung (wörtl.: Stimmung, bhava) Eingeführt. Den Kopf hat er kahl geschoren Und um den Hals ein Tuch gehängt, An der Hüfte trägt er ein kurzes Tuch. Gora lacht, weint Seine Stimmungen (bhava) sind unzählig. (Er) ruft ständig aus: ‘O du mit den Armen Mitfühlender!’ (Er) antwortet nicht auf Fragen. Hat (er) etwa seinen Schatz verloren? Er hat den langen (eleganten) Umhang Weggeworfen Und trägt (jetzt) Das kurze Lendentuch. Selbst (in Krishna) vernarrt, Hat er alle Welt Zu Vernarrten gemacht. O, was für ein Spiel im Kaliyuga! Was für eine wunderbare Religion! 40 Ob Gaur jemals wieder Zurückkehrt? Man kann diesem Menschen Noch so viel Verehrung entgegenbringen, Gaurcãd ist schon fertig. Einmal kam er nach Nadiya. Er erschien als ein Mensch. Er verschenkte (Gottes)liebe hier und da Dann kehrte Gott in seinen Wohnort zurück. (Er führte) Gottes Lobgesang und andere Sachen (ein). Er ließ die Veden Veden sein. (Er) hat den Weg des Genusses, Der geheimer ist als die (Lehre der) Veden, (Seinen Schüler) Shri-rupa gelehrt.

99 Ob Advaita Gõsai Gaur wieder nach Nadiya holt? Lalan sagt: „Wer erfaßt in dieser Welt Den Barmherzigen?“ 41 O Gaur, fahre mich zum Ufer dieser Welt. Ich bin schlecht und weiß nicht wie man dich anbetet. Aber Gaur, alle sagen, dein Namenslobgesang Läßt den Stein im Wasser schwimmen. So habe ich deinen Namen ausgerufen Und bin ins Wasser gesprungen. Wenn ich im tiefen Wasser ertrinke, Wird das dir Schande bringen. Die Welt ist ein unendlich tiefer Fluß Und mein Boot ist zerbrochen. Ich mache mir Sorgen, was wird. Wohin ich auch schaue, ist es dunkel. Die Geschichten der Puranas erzählen, Du bist der Freund der Hilflosen, Du hast unzählige (Menschen) gerettet. Gangadhara hat einen Wunsch, Daß er nie wieder in dieser Welt geboren wird, Daß er nicht immer wieder die Qual der Welt erleidet. Ich möchte beim Sterben den Namen Hari Auf den Lippen haben, Damit ich nicht Wiedergeboren werde. Lieder, die philosophische Gedanken enthalten 42 Als es keinen Himmel, Wind und keine Wolken gab, Da war auch keine Sonne, kein Mond. Kein Brahma, Vishnu oder Shiva. Sag mir dann, Wie kam vom Formlosen Diese Form? Sag mir, O Barmherziger, Wie haben damals Purusha and Prakriti Formen gewonnen? Was bedeutet Schöpfung? Welche sind ihre Eigenschaften ? Welche Elemente hat sie? Haben die Elemente das Bewußtsein, oder nicht? Sarada sagt: Ich sitze hier und wundere mich darüber, Woher kommt diese Welt? O Guru, sage mir Wer hat diese Welt erschaffen?

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43 O mein vernarrtes Herz Singe voller Freude das Lob von Hari. Sei es der Bruder, sei es der Freund, Niemand gehört einem. Behauptest du das Gegenteil, Wo bleiben sie denn (wenn man gestorben ist)? Wo bleiben das Haus, der Wagen (und) die Pferdekutsche? Wenn du gestorben bist, gibt es für dich nur eine zerrissene Matte, Einen Wasserkrug und ein Seil aus Reisstroh. Deine Geliebte, die du über alles geliebt hast, Wird dich mit Beschmierung des Kuhkotes verabschieden. Zwei Tage wird sie um dich weinen. Große Tränen werden fließen. Dann wird sie aber deine Koffer und Kisten öffnen. Und, wenn du ihr etwas hinterlassen hast, Bist du gerettet, Sonst sind (rückwärts gerechnet) Vierzehn Generationen deiner Linie schon hier erledigt. Erläuterung: In Indien werden bei den Hindus die Leichen je nach der finanziellen Möglichkeit der Verwandten des Verstorbenen auf einem prunkvollen Bett mit Blumen bedeckt oder aber auch auf einer billigen Tragbahre aus Bambus zum Krematorium transportiert. Wird die Leiche auf eine Tragbahre transportiert, so wird sie während des Transportes in ein Tuch oder in eine Bambusmatte gewickelt und mit einem Seil aus Reisstroh an der Tragbahre festgebunden. Zu solchen Anlässen wird in den Gegenden, wo der Ganges nicht neben dem Krematorium fließt, in einem Krug das Gangeswasser mitgenommen. Das Wasser des heiligen Ganges braucht man für die Zeremonien im Krematorium. Beim Fehlen des Gangeswassers wird das Wasser eines anderen Flußes, möglichst aber aus einem anderen heiligen Flußes genommen (vgl. VashishthaDharmashastra III, 26). Bei einem Todesfall wird das Haus und die Familie des Verstorbenes unrein (vgl. Vashishtha-Dharmashastra IV, 16-29) Über die Reinigung mit dem Kuhkot siehe Vashishtha-Dharmashastra III, 56. 44 Könnte der Unfaßbare erfaßt werden, So wäre seine faßbare Form (d. h. die Welt) verständlich. (Seine) Gestalt (d. h. die Welt) könnte (dann) analysiert (Und er) durch die spirituelle Übung erreicht werden. Welche sind die Formen des Unfaßbaren, Sag' mir, o (du mein) vergeßlicher Geist. Welche Erscheinungsform soll (ich) für die spirituelle Übung wählen? Eine Entscheidung (hierfür) ist noch nicht getroffen. Er ist formlos, ohne Form, Gelobt sei er als (die formvolle) Welt. (Er) ist der Vater der Götter, Gandharvas, Menschen, von allen. Daß ich diesen Vater finde, Wann werde ich dazu fähig sein?

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45 Mein Zopf bleibt so, Wie er ist. Ich werde meine Haare Nicht naßmachen. Ich werde platschen, planschen, Aber nicht das Wasser berühren. Hierlang und dalang, Hierhin und dorthin Werde ich schwimmen. Ich werde ins Wasser tauchen Und nicht aufs Gerede Hören. Ich werde genießen, Aber trotzdem nicht leiden. Gõsai Rasaraj sagt: ‘Höre du Frau, Die Schönheit dieses (Genusses) Macht einen sprachlos.’ Ich werde nicht treu sein, Aber auch nicht untreu. Trotz (der Untreue) werde ich Meinen Mann nicht betrügen! 46 O du unaufmerksam gewordene Hausfrau, Wohin gehst du heute, Auf dem Bett liegend, Das von den Trägern aus (deiner) Kaste getragen wird? In Schweiß gebadet hast du deinen Haushalt gepflegt! Aha! Du hast Krüge voller Öl und Butterfett gehortet. Schmuck aus Gold und Silber, Geschirr, Krug, Schüssel, Hier die Bettgestelle, Betten, Matten, (Alles) hast (du immer) ordentlich aufgeräumt. Die Vorratskammer, in der die Töpfe, Große und noch größere Krüge standen, Hast du (immer) abgeschlossen, Hier hast du die flachen und tiefen Körbe (Ordentlich an der Wand) aufgehängt. Alle für den Haushalt notwendige Gebrauchsgegenstände! Nichts hast du unbesorgt sein lassen. Aha! Mit wieviel Mühe auf dich nehmend Hast du alles nach und nach besorgt! Deine Haushaltsgegenstände Hast du gehütet wie dein (eigenes) Leben. Wegen Angst vor Verschwendung Hast du niemandem (etwas) anzufassen erlaubt. Wenn einer (dich) um etwas gebeten hat,

102 Hast du es (ihm) niemals gegeben. Obwohl genug da war, Hast du gesagt, alles wäre knapp Und hast dich dabei nicht geschämt. Immer hast du gesagt 'Mein, mein.' Heute ist nichts mehr dein geblieben. Aha! Du hast dich umsonst Mit der Last des schweren Schlüsselbundes geplagt. Der Narr (d. h. der Baul) sagt: „Hari, Hari, Du gehst und läßt alles hinter dir. Deine so sehr geliebten vollen Krüge Nimm doch zwei Stück mit.“ 47 Maya schluckt die Lebewesen der Welt Mit (ihrer) Magnetmaschine. Das Lebewesen vergißt (die Wahrheit), Wenn es sie sieht. Nur wenige vergessen Shiva nicht. Für das Lebewesen gibt es Keine Rettung vor dieser Maschine. (Die Maya) fängt das Lebewesen Und trinkt seinen Saft mit Freude. Die Motte fliegt zum Feuer Ohne an den Tod zu denken. Die Anziehungskraft der Magnetmaschine ist so stark, Daß Insekten, die Beweglichen, die Unbeweglichen Alle sich von ihr hingezogen fühlen. (Sogar) Brahma, Vishnu Und der Dreiäugige (gemeint ist Shiva) Finden trotz Nachdenken keine Lösung. Direkt am Eingang auf der Hauptstraße der Wiedergeburt Liegt die Maschine bereit. O Bruder, wem soll ich das noch sagen? (Nur) der Adept wird das verstehen. Welch anderer soll das (noch) verstehen? Der Herr der Maschine ist der Guru Cãd-gõsai (gemeint ist Caitanya bzw. Krishna). Gelobt sei seine Firma! (Er) hat seine Maschine über den Himmel, Die Erde und Unterwelt ausgebreitet. Der Diener Radheshyam sagt: ‘Wer außer dem Guru wird die nähere Informationen Uber die Maschine geben können?’ 48 Wem gehörst du, Wer gehört dir in dieser Welt? Unnütz in Maya versunken Warum verhältst du dich so,

103 (Als ob die Beziehungen dauerhaft wären)? 49 Mein Gedanke hat den Maya-Wein getrunken. Die Betäubung hält Tag und Nacht. 50 Trinke nicht unnötig den Maya-Wein. Vergiß nicht die schon gelernte Lehre. Wenn die Lehre (dich) jetzt verläßt, Wird keine (Befreiung) kommen, Und du wirst in der Schlinge weiterer Schöpfungszyklen Gefangen bleiben. 51 O (mein) Herz, (alles ist) Einbildung, Alles ist Maya. Es gibt Brahma, Vishnu (und) Maheshvara In Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. O (mein) Herz! Hin und wieder manifestiert sich (Brahman) In diesen Erscheinungsformen. Der Herr der Schöpfung, der Herr der Erhaltung, Und der Herr der Zerstörung stehen aufrecht (vor ihm). O (mein) Herz, spürst du das nicht? Die Lehren über Atman (und) Guru Sind wie der Schatten des Banyanbaumes Auf dem Haupt (in der Mittagssonne). 52 Wie soll ich den unerfaßbaren Menschen Erfassen? Er existiert hinter Namen und Formen. Die Augen aus Fleisch und Blut Können ihn nicht sehen. Wenn ich den Unerfaßbaren fassen könnte, Würden seine erfaßbaren Formen Im richtigen Licht erscheinen, Wären seine Formen verständlich, Ich könnte ihn mit spiritueller Übung erreichen. Was ist die (eigentliche) Form des Unerfaßbaren, Sag, o du mein närrisches Herz! In welcher Form soll ich ihn verehren? Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen worden.

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Über die Gottesliebe Über die Notwendigkeit der Dualität Gott - Mensch 53 Ich möchte den Zucker kosten! Ich möchte nicht Zucker werden! Ich möchte wie die Gopies in Vrindavan Krishna genießen. Die Liebe zwischen Radha und Krishna genießen. 54 Wer außer Krishna nichts anderes begehrt, Dessen Liebe ist rein. Wie die Schwalbe, die außer den Regentropfen Kein anderes Wasser trinkt, So begehrt der Mensch, der Krishna liebt, In seinem Herzen Nur Krishna. Er will nicht die Freude des Himmels, Er möchte nicht in Gott sich auflösen. Sein Verhalten zeigt Deutlich, daß er Sich in Krishnas Freude freut. 55 (In dem Zimmer) mit der siebten Tür sitzt der König, Frau, gehe niemals dort hin. Allgemein über Gottesliebe 56 Wer den Weg der Gottesliebe geht Und den Sohn von Nanda (d. h. Krishna) verehrt, Dessen Liebe ist rein. Er wohnt in (Krishnas Weilort) Vraja. 57 Haris Name (hari-nama) ist prima, paff, paff. O mein Herz, nimm den Zug Tag und Nacht. Der Körper wird berauscht, (Er) wird Spaß haben Und das Herz wird glücklich. Bereitet man die Pfeife der Gottesliebe (bhakti) zu Und zieht kräftig (an ihr), So macht das viel, viel Spaß. Bereite die Pfeife der Sehnsucht (nach Gott) mit Liebe Und ziehe ständig an ihr.

105 Erläuterung: Der Verfasser des Liedes zieht hier einen Vergleich zwischen dem Hanfrauchen und der Gottesliebe, da beide den Rausch verursachen. Wie der Hanf den Raucher glücklich macht, so freut die Gottesliebe den Gottliebenden. Die Bauls sind bekannt für das Hanfrauchen (s. Kapitel 1). 58 Die Liebe zu Krishna ist wie der Ozean des Nektars. Hätte ich auch nur einen Tropfen davon gekriegt! Die Wirkung eines einzigen Tropfens Hätte die vierzehn Welten versenkt. 59 O mein Herz, Steig ein in die Gewissensklasse (des Zuges) Und fahre nach Vrindavan. Stelle dich in die Schlange Und kaufe die Karte für (die Reise in) die Gottesliebe. Die Füße des Gurus Sind das Licht der Liebe. Wenn du in Vraja wohnen willst, Dann kaufe dir die Karte der zweiten Klasse. Sei der Zweite und fasse die Füße (des Gurus). Sei dem Guru ergeben. Liebst du ihn (d. h. Krishna) mit ungeteilter Liebe, So wirst du Nandas Sohn erreichen. Wenn du nach Vrindavan gehen willst, Dann verrate ich dir ein Geheimnis: Erkenne die Regeln und fasse erst die Füße Vrindas. Vrinda kennt die Geheimnisse Vrindavans Und den Geliebten von Radha. Erläuterung: Vrinda ist ein weiterer Name von Barayi, der Aufsichtsperson für Radha (s. Kapitel 4). 60 Warum leidest du unnötig Unter schlechten Karmas? Irgendwann stirbst du ganz plötzlich. Sei vernünftig Und hole den Arzt schon jetzt. O du, rufe den Guru, den einheimischen Arzt, Und nimm die Medizin stündlich mit Aufmerksamkeit. Die Mantra-Tropfen vertreiben deine Krankheit in drei Tagen. Warum sollst du unnötig sterben, Wo du doch zu Hause das Hari-Namen-Chinin hast. Eine so gute Medizin wirst du nicht noch einmal kriegen. Überlege dir das in deinem Herzen. Tag und Nacht hast du Angst, Daß die Pferdeärzte dich in den Tod treiben. Sie werden nichts vom Dharma wissen wollen.

106 Sie werden unerwartet deinen Tod verursachen. Die Liebe zwischen Krishna und sowohl Gopi Radha als auch den anderen Gopis ist die reine Form der Gottesliebe 61 Shyam (d. h. Krishna), mache dich nicht lächerlich, Gehe lieber nach Hause. Deine Geliebte wird mir die nicht reden. Du hast sie schwer enttäuscht, Und nun faßt du ihr die Füße! O du Nandas Sohn, du bist ein unbekümmerter Kuhhirt. Du kennst den Schmerz deiner Geliebten nicht! (In der Nacht hast du sie warten lassen), Und nun kommst du am Morgen nur, Um sie zu ärgern! 62 In Vrindavan hat Nandas Sohn Prem erlebt. In hundertmillionen Gopis (d. h. die Kuhhirtinnen in Vrindavan) war Kama nicht vorhanden. Das ununterbrochene Kama-Spiel (mit den Kuhhirtinnen) War nur seine (spielerische äußerliche) Art. Die Liebe zur Kuhhirtin Radha (radha-prem) War die Juwelmine. In ihr erlöschten alle Feuer. Vernarrt in Radha, (Wurde er) als Gaur geboren Und verschenkte weinend (allen) die Lehre der Liebe In Nabadvip, Ungeachtet dessen, Ob diese sie verdienten Oder nicht. Die Liebe der Gopis für Krishna ist das Vorbild für die Gottesliebe der Bauls 63 Nicht alle kennen die (wahre) Liebe. Liebe, die Shyam Und die Gopis aneinander bindet. Die Liebe der Gopis (gopi-prem) Kennen nur Die Hummeln der reinen Liebe. Die Gopis denken nicht an Tugend oder Sünde, Wenn sie Krishna sehen. Leute, die wie die Gopis lieben, Kennen die Liebe, die sich in Vraja gezeigt hat. Nur sie wissen, wie man den Unfaßbaren faßt, Wie die Gopis.

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Erläuterung: Über die Liebe zwischen Krishna und Gopis siehe Bhagavata-purana X, 21, 29 und 47, Vishnu-purana V, 10-13 und 18 und Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanyacaritamrita, Adilila IV, 162-172. 64 Die Natur (der Liebe der Gopis) in Vraja war rein. Schneide damit den Diamanten (der Liebe). Wenn du die (Diamantenperle) mit der Natur (der Liebe) der Gopis polierst, werden sie funkeln. Wenn du dann die Perle (Mit der Schnur) der reinen Liebe Aneinander bindest, Wird die (Kette der Liebe) wunderbar aussehen. 65 Krishna, den sogar der größte Yogi und der größte Asket Mit Hilfe des Yogas und der Meditation nicht findet, Bleibt der Sklave der Gopis. Andere Vorbilder der Gottesliebe 66 O mein Herz, du weißt nicht, Welches Schicksal dem blüht, Der sich die Füße des Kala (d. h. Krishna) wünscht! Der (Krishna-) Verehrer Bali war ein König. Gott betrog ihn in der Erscheinungsform eines Zwerges Und nahm ihm sein Königsreich weg. König Karna war der große Geber der Welt. (Gott) zerstörte ihn mit seiner ganzen Linie In der Erscheinungsform eines Besuchers, der bettelte. (König Karna) wurde aber trotzdem nicht traurig. Er liebte (Gott) weiterhin, Denn, o mein Herz, in der Gottesliebe fand er Trost. Schau dir die Haltung Prahladas an! Wegen Gottesliebe mußte er so sehr leiden. Weil er Krishna liebte, wurde er ins Feuer geworfen Und im Wasser ertränkt. Aber trotzdem hörte er nicht auf, Krishna zu lieben. Lakshmana liebte Rama zu allen Zeiten. Er wurde an der Brust vom Pfeil getroffen. Aber trotzdem hörte er nicht auf, Ramacandra zu lieben. Erläuterung: Dämon Bali verrichtete einmal eine Feueropferzeremonie (yajña), um der Herr des Himmelreiches zu werden. Während der Zeremonie erschien Vishnu als ein Zwerg (vamana) und bat um die Almosen. Der Zwerg wollte die Teile, welche er mit drei Schritten bedeckte, als Almosen haben. Bali willigte ein. Daraufhin bedeckte Vishnu den Himmel, die Erde und Unterwelt mit drei Schritten. So rettete er die drei Welten von der Herrschaft des

108 Dämonen Bali. Über Bali und Vishnu siehe Ramayana, Uttara-kanda. Die Eine kurze Erzählung über Karnas Geburt mit der Rüstung und seinen Tod im Kampf mit den Pandavas in: Shanta Rameshwar Rao: The Mahabharata, Hyderabad, 1985, S. 14-16 und 127-131. Prahlada war ein inniger Anhänger Krishnas. Sein Vater verbot ihm die Vishnu-Liebe (Vishnu-bhakti) und versuchte wiederholt, ihn umzubringen, weil der Sohn ihm nicht gehorchte. Die Mordversuche des Vaters blieben erfolglos, da Vishnu jedesmal seinen Anhänger rettete. Die Geschichte von Prahlada in: Vishnu-purana, XVII-XX. Der Baul erzählt hier eine Episode aus dem Epos Ramayana. Lakshmana war der jüngere Bruder von Rama, hier Ramacandra, einer Inkarnation Vishnus. Im Krieg gegen Ravana wurde Laksmana von einem besonders gefährlichen Pfeil namens Shakti-sela getroffen. Er kämpfte aber weiterhin auf der Seite seines Bruders.Die Geschichte in: Ramayana, yuddha-kanda. 67 Übe nicht die Liebe mit wilder Hast. Denn die Liebe ist wie der klebrige Saft des Jackbaums. Klebt er einmal, So kann man ihn nicht mehr entfernen. Der Liebe wegen Ließ sich Shiva im Krematorium nieder. Und der Liebe wegen Entsagte Gora, Nimai aus Nadiya, die Welt. (Jayadeva, der Verfasser von) Gitagovinda Und (seine Geliebte) Padmavati, Kinder!, sind die wenigen, Die lieben konnten! Du weißt nicht, wie man liebt! Liebt man falsch, Ist das Ergebnis verkehrt Und man wird leiden. Es ist wie wenn die Ameise Sich von dem Sirup nicht befreien kann Der Sohn eines Brahmanen, welche Schande!, Verehrte die Füße einer Wäscherin. Will man den Mond erreichen, So darf man nicht Bei der Liebe an die Kaste denken Erläuterung: Das Lied deutet darauf hin, daß wenn man anstatt der göttlichen die sexuelle Liebe übt, führt die Übung zum gegenteiligen Ergebnis, d. h. durch die falsche Liebe wird man nicht das Gotteserlebnis erlangen, sondern im Kreislauf der Wiedergeburten verhaftet bleiben. Shivas Wohnort wurde zum Krematorium, weil er seine Frau Sati verlor. Die heiligen Schriften erzählen die Geschichte folgendermaßen: Göttin Sati, die Frau Shivas, besuchte ihre Eltern, um an einer großen Opferzeremonie im Elternhaus teilzunehmen. Nebenbei sei bemerkt, daß Sati nur eine weitere Erscheinungsform der Göttin Durga bzw. Kali ist. Der Vater mochte den mittellosen Schwiegersohn nicht und fing an, vor den versammelten Gästen schlecht über ihn zu reden. Satis Protest und Bemühung, die Sache richtigzustellen hatten keinen Erfolg.Sie konnte die Verleumdung ihres Mannes nicht mehr ertragen und entschied sich für den Tod. Mitten in der Feier, vor allen Anwesenden, verließ ihre Seele den Körper. Als Shiva vom Tode seiner Frau erfuhr, eilte er mit seiner Armee zu den Schwiegereltern. Von Trauer und Wut entbrannt zerstörte er alles, was er vorfand. Dann nahm er die Leiche seiner Frau auf die Schulter und tanzte den Zerstörungstanz

109 Tandavanrtya. Die Götter machten sich Sorgen um die Existenz der Welt und baten Vishnu um Hilfe. Er schickte seinen scharfkantigen Diskus, den er immer in der Hand trägt, zu Shiva. Der Diskus sollte Satis Leiche in die Stücke schneiden, so daß der Körper seiner Frau Shiva nicht mehr ununterbrochen an sie erinnerte. Der Diskus führte den Befehl aus und Shiva beruhigte sich. In tiefer Trauer und Einsamkeit zog er sich in seinem Wohnort, den Berg Kailasa zurück und fing an zu meditieren. Der Verfasser des Liedes vergleicht den einsamen Wohnort Shivas mit einem Krematorium. Gora, auch Nimai genannt, d. h. Caitanya, verließ seine Familie und trat in die Askese ein, um Krishna zu erleben (s. Kapitel 2,). Jayadeva, der Verfasser von Gitagovinda und Candidas, der Verfasser von Shri-krishnakirtana und Vaisnava-padavali, haben ebenfalls die Gottesliebe der Baul-Religion praktiziert. 68 Heil, heil Jayadeva! Heil, heil Padmavati! Im Dorf Kenduli am Ufer des Flusses Ajay im (Distrikt) Birbhum Wohnten sie. Im Krematorium Kendulis Schrieb er das Buch namens Gitagovinda. „Oh! Wie soll ich schreiben: ‘Gib mir (deine) Füße?’, Denn Gott Krishna ist Der Herr des Universums.“ Jayadeva ging im Ganges zu baden. Unterwegs dachte er: „Göttin Ganga (d. h. Ganges) hat befohlen: ‘Du brauchst nicht mehr zu kommen, um zu baden.’ Ich werde dann wohl mit dem Fluß Ajay Strom aufwärtssteigen.“ Er legte den Tag des Makara-sankranti dafür fest. „Vernichte das Gift der (sexuellen) Liebe, Lege deine Füße auf mein Haupt.“ Der Brahmane verehrt den Gott der (Stadt) Kashi. So gib diese Speise auch (Göttin) Radha und (Gott) Shyam. Im Dorf Kenduli am Ufer des Flusses Ajay im (Distrikt) Birbhum Wohnten sie. Heil, heil Jayadeva! Heil, heil Padmavati! Erläuterung: An einer Stelle verlangte das Thema der Lyrik, daß Krishna seine Geliebte Radha darum bittet, daß sie ihre Füße auf sein Haupt lege. Dies konnte Jayadeva jedoch nicht schreiben, da Krishna Herr der Welt ist. Unten wird erzählt, wie es dazu kam, daß das Gedicht von Jayadeva trotz seiner Bedenken diese Aussage von Krishna enthält. Das Baden in einem heiligen Fluß, besonders im Ganges, gehört bekanntlich zu den üblichen Bräuchen des Hinduismus. Tut man dies an einem bestimmten Tag, an dem die Sterne und Planeten eine bestimmte Konjuktion haben, so verspricht sich der Gläubige davon besondere Belohnungen. Die Göttin Ganga ist der Fluß Ganges. Als Jayadeva sich vornahm, im Ganges zu baden, sagte ihm Göttin Ganga, daß dies für ihn nicht nötig sei. So beschloß Jayadeva, anstatt im Ganges im Fluß Ajay zu baden. Es legte hierfür den Tag fest, an dem heute das Jayadeva-kenduli-Treffen gefeiert wird. Dieser Tag wird Pausha-sankranti bzw. Makara-sankranti genannt. Es ist der letzte Tag des Monats Pausha (Dezember-Januar). Jayadeva brauchte aber nicht im Fluß Ajay zu baden, denn Göttin Ganga änderte ihren Lauf und kam zum Haus des Dichters. So badete Jayadeva am Pasusha-sankranti im Ganges. Hier zitiert der Baul die Zeile, welche Jayadeva nicht schreiben wollte. Sie lautet:

110 „Vernichte das Gift der (sexuellen) Liebe und lege deine schönen Füße auf mein Haupt“ (Gitagovinda X, 8).Auch wenn Jayadeva sich weigerte, dies zu schreiben, ist es doch geschrieben worden. Wie dies geschah erzählt die folgende Legende: Jayadeva weigerte sich, seinen Herrn, Gott Krishna, auf diese Weise zu demütigen. So legte er die Feder beiseite und ging baden. In seiner Abwesenheit kam Krishnatha selbst und vollendete die Strophe. Jayadeva war gleichzeitig ein Verehrer von Kashinatha, Shyam und Radha, da alle Götter Manifestationen derselben Wahrheit sind (s. Kapitel 4). Kashinatha, Herr der Stadt Kashi, ist ein weiterer Name von Shiva. Kashi ist ein weiterer Name von Varanasi (Benares), Shyam ist ein weiterer Name Krishnas. Der Verfasser des Liedes meint, daß man die für Shiva gedachte Speise auch dem Gott Krishna und der Göttin Radha opfern darf, da sie alle dieselbe Wahrheit verkörpern. Bedauern darüber, daß der Baul Gott nicht innbrünstig lieben kann 69 Freundin, ich habe es nicht geschafft zu lieben. Mein verdammtes Schicksal stand mir im Wege Und hat die Krishna-Liebe nicht entstehen lassen. Die Krishna-Liebe ist der Ozean des Nektars. (Nicht einmal) einen Tropfen von diesem Ozean, Nicht (einmal) einen Tropfen dieses Tropfens Habe ich bekommen! Ein einziger Tropfen Hätte den Wunsch meiner Seele Befriedigt. 70 Mein Gedankenvogel wird nicht zahm. Ich sage ihm, er soll die Namen Radha (und) Krishna singen, Aber er singt dieses Lied nicht. 71 Gedanke, ich flehe dich an und fasse diene Füße, Denke an Hari, Der Tag verrinnt nutzlos. Die Geheimnisse im Menschenkörper (die mystische Physiologie) 72 Du bist gekommen in diese Welt, Um Karten zu spielen. Nun wisse, das As bedeutet Brahman. Die fünf Elemente des Körpers Sind durch die fünfte Karte symbolisiert. Die sechste Karte symbolisiert Die sechs Ripus. Nun, wenn du reinschaust, Wirst du sieben Etagen finden. Die Bedeutung der achten Karte Wirst du verstehen,

111 Wenn du die acht Räume in deinem Körper Kennenlernst. Der Körper hat neun Türen. Wer den Körper beherrscht, Besiegt alle. Ohne jemanden zu fürchten Gehr er allein. O Gyanananda, Was hast du bloß getan! Du bist gekommen, um Karten zu spielen Und hast verloren! Du hast die fünfte und die sechste Nicht besiegen können! Erläuterung: Brahman ist die höchste Wahrheit. Die fünf Elemente des Körpers sind: Erde (ksiti), Wasser (ap), Feuer (teja), Wind (marut) und Äther (vyoma). Die sechs Ripus (Feinde), die die Menschen in die Irre leiten, sind: Sinnesfreude (kama), Zorn (krodha), Habgier (lobha), Verblendung (moha), Rausch (mada) und Neid (matsarya). Die sieben Etagen sind die sieben Zentren (cakra) im Körper. Diese sind: Muladhara-cakra, Svadhisthana-cakra, Manipura-cakra, Anahata-cakra, Vishuddha-cakra, Ajña-cakra und Sahasrara-cakra. Die acht Zimmer sind: die zwei großen Zehen, Knie, Hände, die Brust, und die Nase. Die neun Türen sind die neun Öffnungen des Körpers. Diese sind: die Augen, Ohren, Nasenlöcher, der Mund, der Anus und das Geschlechtsorgan. 73 O mein Herz, warum suchst du ihn Hier und da? Schau dir dein Haus mit den sieben Etagen an. In diesem Haus wirst du die höchste Wahrheit finden. Muladhara, Svadhisthana, Manipura kommen hintereinander, Gefolgt von Anahata, Vishuddha und Ajña. Diese sechs muß man durchqueren. Im Muladhara mußt du anfangen, Die Leiter hinaufzusteigen. Durch den mittleren Kanal namens Sushumna Mußt du in die sechste (Etage) steigen. (Bist du hier angekommen,) so schau nach oben. Nun wirst du die siebte Etage sehen, Hier ist die Blume mit den tausend Blättern. Die Öffnung des Lotus zeigt nach unten. Sehr sanft ist er. In der Mitte ist der Lotus hell. Im Lotus sitzt er. Wenn du ihn siehst, Wird deine Verblendung enden. Hier ist der größte Schatz, den du suchst. Wenn du ihn siehst, wird der Nektar fließen Und dein Herz wird weich, Da du den verlorenen Schatz gefunden hast. Jetzt wirst du nicht mehr immer wieder

112 Auf die Welt zurückkommen. Gopala sagt: ’Wer außer dem Guru Wird einem (den Weg) zeigen? Fasse die Füße des Gurus, Dann wird dein Wunsch erfüllt werden. ‘ 74 Wer hat dieses Haus gebaut? Gelobt sei der Handwerker! Die Technik ist wunderbar. Wo wohnt dieser Handwerker? Gelobt sei der Handwerker! Drei Pfosten tragen das Haus. Wie ordentlich (sie es tun)! (Das Haus) ist mit den Seilen festgebunden. Sie zählen fünfunddreißig Millionen! Das Haus hat neun Türen. Dies ist offensichtlich. Es hat unzählige Fenster, wer weiß wieviel! Das Haus ist vierzehn poya groß, Die vierzehn Welten sind darin. Das Haus ist gut gebaut und hat sechs Etagen. Über der sechsten gibt es noch eine Etage. Sie heißt die Etage der Juwelen. Hier glänzen die Edelsteine Tag und Nacht. Der Herr wohnt hierin. Der Handwerker ist so geschickt! Gelobt sei seine Intelligenz! Das Haus ist eine so wunderbare Maschine, Daß wenn man ihm sagt: „Gehe“, geht es. Dies ist keine Lüge, daß die Erde dieses Hauses spricht Und das Feuer in ihm brennt. (Die Erde und das Feuer) sind in einander vermischt. Hier wohnen der Heilige und der Dieb, Der Dämon und der Mensch. (In dem Haus gibt es) sowohl das Gift als auch den Nektar. Ananta denkt nach: „Wie kann ich das Haus erfassen? Obwohl ich in diesem Hause wohne, Habe ich den Herrn des Hauses noch nicht kennengelernt. Ich wandere vergeblich hier und dort, Ohne das Haus zu kennen!“ Erläuterung: In diesem Lied wird der menschliche Körper mit einem Haus verglichen. Die drei Pfosten sind die drei Gunas. Diese sind: Sattva (Reinheit), Rajas (Aktivität) und Tamas (Trägheit). Die Seile sind die Kanäle (Nari), welche im Körper die Lebenskraft verteilen. Die neun Türen sind die neun Öffnungen (s. 72). Die Fenster sind die Poren. Da die vierzehn Welten sich im Körper befinden, wird er als vierzehn Poya, eine traditionelle Meßeinheit in West Bengal, groß gemessen. Die vierzehn Welten sind die sieben Himmel (svarga) und ebensoviele Unterwelten. Die sieben Himmel sind: Bhurloka, Bhuvarloka, Svarloka, Maharloka, Janarloka, Tapoloka und Satyaloka und die sieben Unterwelten sind:

113 Tala, Vitala, Sutala, Mahatala, Talatala, Rasatala und Patala. Das Zimmer der Juwelen ist das Sahasrara-cakra, wo Gott wohnt. Die Erde und das Feuer sind zwei von den fünf Elementen. Der Körper beherbergt gegensätzliche Regungen, die mit den Heiligen und Dieben, Menschen und Dämonen bzw. Nektar und Gift verglichen werden. 75 O (mein) Geist, erkundige dich zu allererst über (deinen eigenen) Körper. Wie soll die spirituelle Übung vollbracht werden, Ohne die mystische Physiologie zu kennen? Bereise die vierzehn Welten in (deinem) Körper, Die sieben Himmel- und die sieben Unterwelten. 76 O (mein) Geist, suche die sieben HimmelUnd die sieben Unterwelten (im eigenen Körper), Damit du den (darin versteckten)Juwel findest. Beim Suchen und Weitersuchen Wirst du den schönen (Ort) Vrindavan erreichen. Fasse zu allererst die Wurzel in dem vierblättrigen Lotus In dem sechsblättrigen Lotus treffen sie sich. (Nun) werdet ihr zum Genießer. Später, wenn ihr im Manikotha das Juwel findet, Werdet ihr das Reichtum erlangen.“ (ibid, S. 713) Erläuterung: Zeile Gott, das Juwel, wohnt im menschlichen Körper. Er hält sich versteckt. Vrindavan ist der Ort, wo Krishna und seine Geliebte Radha gelebt haben. Der Verfasser des Liedes meint, daß dieser göttliche Ort sich im menschlichen Körper verbirgt. Der Gottsuchende findet ihn mit Hilfe der spirituellen Übungen und Tantrayoga (s. Kapitel 5). Der vierblättrige und der sechsblättrige Lotus sind jeweils das Muladhara-cakra und Svadhisthana-cakra (s. Kapitel 3). Das Manikotha ist das Manipura-cakra (s. Kapitel 3). Das Wort Manipura bedeutet die Stadt der Juwelen. Die vierundzwanzig Tattvas 77 O (mein) Geist, informiere dich zu allererst Über deinen Körper. Ohne die Tattvas zu erkennen, Kann man keine Freude erlangen. In (deinem) Körper befinden sich die sieben Himmel Und die sieben Unterwelten. Wandere durch (diese) vierzehn Welten. In diesem Körper gibt es die vierundzwanzig Tattvas. Aber du hast dich vom Guru Nicht unterweisen lassen, und (sie) nicht gesehen, Weil du ins Ich-Gefühl vernarrt bist.

114 Erläuterung: Die vierundzwanzig Tattvas sind: Die vyakta Prakriti, Buddhi (Intellekt), auch Mahat genannt (der kosmische Intellekt), Ahankara (Ich-Bewußtsein), fünf Tanmatras (Feinelemente des Geräusches, Tastens, Geruchs, der Form und Geschmacks), Manas (Geist), fünf Jnanendriyas (Sinnesorgane: die Funktion vom Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Berühren), fünf Karmendriyas (Tatenorgane: Zunge, Füße, Hände, Ausscheidungsorgane und Reproduktionsorgane) und fünf Dhatus, auch Bhutas und Mahabhutas genannt (Großelemente: Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther). Die vierundzwanzig Tattvas mit Purusha (Bewußtsein) bilden den Körper (s. Kapitel 4). 78 Wenn die vierundzwanzigeinhalb Gurus In deinem Körper sind, (Welcher von denen) wird der Hauptguru? Wessen Anweisungen folgst du? Lerne die vierundzwanzigeinhalb Lieben, Sei der Wagenlenker des Gurus, Dessen Sitze der Weg des Dharmas Und der Weg der Befreiung sind. Erläuterung: Die vierundzwanzigundeinhalb Gurus sind die obengenannten vierundzwanzig Tattvas und der Purusha. Warum der Purusha ein halbes Tattva genannt wird, konnten die Bauls der Autorin nicht erklären. 79 Sie gehorchen mir, dem Herrn, nicht. Sie haben mich ignoriert und weggeschickt. Die sechs Bewohner des Palastes. Sie sind keine einfachen Leute. Sie erkennen mich nicht als ihren König Und verbringen ihre Zeit mit sinnlosen Gesprächen. Auf dem guten Acker Tanzen sie mutwillig grob. Erläuterung: Der Palast ist der menschliche Körper, in dem die sechs Ungehorsamen wohnen. Dieses sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). Der Baul möchte die Yogaübungen durchführen, aber die sechs Feinde machen seine Bemühungen zunichte. 80 Du hast dich in die Betrüger Bis zu den Ohren verliebt! Die Tage vergehen, Und du bleibst blind. O, die Leidenschaft, der Zorn Die sechs Ripus - winken mir zu (Und) führen mich zum falschen Weg. 81 Als ich nach Hugli fuhr, Band ich das Boot an Kalnas Ufer fest. Am Ufer hatte ich fest geankert.

115 (Aber) sechs Räuber taten sich zusammen, (Und) plünderten das Lager im Boot. Das dicke Seil schnitten sie in Stücke, (Und) setzten das Boot in die Yamuna. Erläuterung: Die drei Flüsse die die drei Menstruationstage einer Frau. Während der Menstruation seiner Partnerin kann der Baul durch den Tantrayoga Gott erleben (s. Kapitel 5). Er muß aber bei der Übung sehr achtsam sein und sich nicht von der Sinnlichkeit oder weltlichen Gedanken verleiten lassen. Die sechs Feinde sind die sechs Ripus (s. 72) 82 O (du mein) Geist, (du) Kaufmann, Wenn (du) wach bleibst, Geschieht kein Diebstahl in (deinem) Gebäude. Sechs Räuber kommen, (Und) nehmen mit Gewalt alles mit. Wenn (du) wach bleibst, Wird kein Diebstahl geschehen, O (du mein) Geist, (du) Kaufmann. 83 Mein Geist ist das Boot. Seine sechs Ruderer tun immer schlechte Taten. In der Nähe des Ufers versenken Sie mich heute. 84 Mit fünf Elementen (s. oben) ist dieses Haus gebaut. An neun Türen (wachen) neun Torwächter. Trotzdem haben sechs Mäuse alles zerstört. O (mein) Geist, sag', was soll ich tun. 85 Dieser mein Körper ist das Boot. Es hat neun Löcher. Es fährt (dorthin, Wohin) der Strom der Welt es trägt. Es gibt sechs ungehorsame Ruderer. Sie kümmern sich nicht um die Richtung. Ich sterbe vor Angst, Ob sie das Boot mitten im Ganges sinken lassen! (Mein) Geist, der Steuermann, Ist blind auf beiden Augen. Er kann das Steuer nicht in die Gegenrichtung lenken. Die (Ruderer) haben das Segel der Guru-bhakti zerrissen Und meine Gedanken berauscht. Der Zorn hat das Steuer aus Bhakti zerstört, Und nun schwimme ich ohne Stütze. (Aber) die zwei (weiteren) Ruderer Das Mitgefühl und die Rechtschaffenheit (dharma) -

116 Haben meinen Zweifel beseitigt. (So) ist die Habgier (lobha) weggelaufen Und die Verblendung (moha) am Ufer gestorben. 86 Nicht nur ein Loch, sondern neun Löcher gibt es. Ohne die Lebenskraft ist das Innere gespalten. Kein Tropfen Wasser bleibt erhalten, Mag ich mit Klebstoff (die Löcher) reparieren, Soviel wie ich will. 87 Sechs Mäuse nagen an meinem Haus. Von vier Richtungen kommt der Wind herein, Die neun Türen sind nicht fest verschlossen. 88 Die neun Türen des Hauses sind offen. Drinnen im Hause wohnt der Mensch (d. h. Gott), Der ein Genießer ist. Nun halte deine Torwächter wach, Wirf die Falle und fange den Menschen (d. h. Gott). 89 Dreiundsechzig Flüsse voller Saft (nari) Fließen kräftig das Weltei (d. h. den Menschen) durchbohrend. Hierin, in diesem Menschen, Scheint ununterbrochen die Schönheit (d. h.Gott). 90 Mein Geliebter spielt im Manipura(-cakra). Dreihundertundsechzig Flüsse voller Saft (nari) Fließen durch dieses Weltei (d. h. den Körper). Wenn man in diesem Fluß die Lebenskraft festbindet, kann man den Menschen (d. h. Gott) fangen. 91 Die Grundlage des Hauses sind die drei Grundstöcke. Wie (gut sind sie) geordnet! Seile (d. h. Naris), die miteinander verknüpft sind, Zählen dreieinhalb Millionen. Das Haus hat neun Türen, es ist bewiesen. Erläuterung: Die drei Grundstöcke sind die drei Gunas (s. Kapitel 4). Die Kundalini-shakti und Cakras 92 O (mein) Geist, warum wanderst du noch draußen. Komm doch zu dir selbst.

117 Der, den du da draußen suchst, befindet sich ständig im Ajña-cakra. Die Kulakundalini-shakti befindet sich im Muladhara(-cakra). Wecke sie auf mit Liebe. Wenn die Shakti aufwacht, Empfindet man die vollkommene Freude. Schau dir doch einmal dein wahres Wesen an, Das die reine Glückseligkeit ist. Links ist die Ira-nari, rechts die Pingala(-nari). Sie spielen (versunken) im Raja- und Tama-guna. In der Mitte befindet sich die Sushumna(-nari). Warum hältst du dich nicht liebevoll fest an ihr? (Tue es,) dann wird durch das Wissen Die Wahrheit über dein (wahres) Wesen In dir selbst aufgehen. (Die Wahrheit,) die du draußen suchst. 93 Die sechs Feinde, das Kama und die anderen, Sind freundlich geworden. Sie haben die Betrügerei aufgegeben Und sich vollständig Den roten Füßen ergeben. In der Blume mit zwei Blütenblättern, Am heiligen Ort, wo die drei Flüsse sich treffen, Sitzt Shashanka-shekhara mit Gauri auf (seiner) linken Seite. Wenn ich dieses Radha-und-Shyam-(Bild) sehe, Füllen sich meine Augen voller Freude mit Tränen. Im Muladhara, im Lotus mit vier Blütenblättern, Schlief die Schlange mit dem Kopf nach unten. Geweckt und erschrocken durch heftiges Schaukeln, Blickt sie liebevoll mit dem Kopf nach oben. Erläuterung: Zeile 1-4: Der Baul hat die sechs Feinde (ripus, s. 72) besiegt. Sie stören ihn nicht mehr beim Yoga. Zeile 5-9: Die Blume mit den zwei Blütenblättern ist das Ajña-cakra (s. Kapitel 3), wo die drei Kanäle Ira-nari, Pingala-nari und Sushumna-nari (s. Kapitel 3), die hier mit drei Flüssen verglichen werden, sich treffen. Im Ajña-cakra treffen sich Shiva und Shakti bzw. Krishna und Radha (s. Kapitel 4). Shashanka-shekhara und Gauri sind weitere Namen Shivas und Durgas. Shyam ist ein weiterer Name Krishnas. Der Verfasser freut sich über das Treffen von Gott und seiner Shakti im Ajña-cakra, das er im Yoga wahrnimmt. Zeile 10-13: Diese Zeilen sagen, daß der Baul mit seiner Yogaübung die Kundalini-Shakti erweckt hat und daß sie jetzt nach Gott im Sahasrara-cakra (s. Kapitel 3 und 4) schaut. 94 O (mein) Geist, warum suchst du ihn Hier und da? Schau dir dein Haus Mit sieben Etagen an. Im Haus selbst wirst du

118 Die Wahrheit finden. Muladhara, Svadhisthana und Manipura Folgen einander, wisse dies; Anahata, Vishuddha und Ajña, Diese sechs muß sie durchqueren. Vom Muladhara steigt die Treppe hinauf, In der Mitte befindet sich die Sushumna-nari Auf die sechste (Etage) gestiegen, Wirst du ihn oben sehen. Du wirst die siebente Etage sehen, Hier ist die Blume mit Tausend Blättern. 95 Wenn du in die entgegengesetzte Richtung gehen willst, Dann sollst du deine Schätze pflegen. Von diesen Schätzen wirst du ernten. In deinem inneren Raum Gibt es sieben Etagen, Suche dir den Schüssel dafür. Schließe das Schloß auf, gehe geradeaus Und du wirst den Geliebten (d. h. Gott) finden. Das Boot sollst du selbst rudern, So wirst du die Zeit angenehm verbringen. Wenn du gute Ware hast, Wirst du im Lagerraum auf dem Aufsehersitz gut sitzen. Die sechs Ruderer sind ungehorsam. Die mußt du auf dem richtigen Weg halten. Der demütige Phatik sagt: „Wenn sie unehrlich werden, Töte sie mit dem Messer des Wissens“ Erläuterung: Der Baul geht die entgegengesetzte Richtung, da er seine Samen nicht verliert, sondern ihn zurückhält (s. Kapitel 5). Der Samen ist sein Schatz, die gute Ware, der von der sexuellen Liebe unbefleckt ist. Die sechs ungehorsamen Ruderer sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). 96 Wenn du Hari fangen willst, Dann nimm die Hilfe von Shakti. Parama-brahma(n) und Hari sind ein und derselbe. Der Unfaßbare sitzt im Herzen der Menschen. Im Muladhara ist die Mutter des Universums, Im Sahasrara ist der Vater des Universums. Wenn man diese beiden vereinigen kann, Ist man frei von der Wiedergeburt und vom Tod. 97 Das Muladhara gehört dem Bewußten (d. h. Gott) selbst. Sag nun, wer soll es denn aufwecken? Das Muladhara gehört Gott selbst. Wenn du weißt, wer du bist

119 Wirst du befreit. In diesem Topf befinden sich alle Welten. Warum suchst du sie draußen umsonst? In diesem Körper, der vierzehn Poya groß ist, Leben alle groben und feinen Lebewesen. Sie haben in diesem Haus ihre Häuser gebaut. Sie trinken Kondensmilch im Wasser. Im Bewußtsein weilen der Schwan und die Schwänin. Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther Haben diesen Körper gebaut. Vergiß niemals Diese fünf Elemente Und die fünfundzwanzig Sachen (gemeint sind die vierundzwanzig Tattvas + der Purusha). Die mystische Kraft, die im Ajña-cakra wohnt, Macht alles dunkel mit ihrer Zauberkraft. Nur der menschliche Körper ist für den Mahayoga geeignet, daher ist die Menschgeburt (manav-janma) wertvoll 98 Als Ergebnis welch (glücklichen) Schicksals, Weiß ich nicht, O (mein) Geist, hast du dieses Menschenboot erlangt! In diesem Menschen(körper) Wird die spirituelle Übung Für die Glückseligkeit durchgeführt. Nur deshalb schuf Gott den Menschenkörper. 99 Der Wunsch nach Menschgeburt Vieler Götter wird nicht erfüllt! (O mein Geist,) der Barmherzige, Hat dir eine so wertvolle Geburt geschenkt! Warum willst du sie vergeuden? Durch wieviele hunderttausend Geburten (In der Tier- und Pflanzelwelt) Bist du gewandert (Bis du als ein Mensch geboren bist)! O (mein) Geist, was machst du Jetzt, wo du im Menschengeschlecht geboren bist? 100 Die Menschgeburt ist für einen ohne Nutzen, Dessen Geist die Lehre nicht lernt. Du bist durch achtmillionenundvierhunderttausend Geburten Gewandert, Und trotzdem, o Geist, nicht aufgewacht. Als ein Baum bist du Dreimillionenmal geboren.

120 Neunhunderttausendmal bist du Als ein Insekt im Wasser geschwommen. Eine Million Geburten hast du In der Form einer Made verbracht. Eine Million und hunderttausend Geburten Bist du (als ein Vogel) am Himmel geflogen. Zwei Millionen Geburten hast du Unter Tieren verbracht. Von einer Kalbgeburt hast du dich Zu einer Menschgeburt hochgearbeitet, Dies sagen die heiligen Schriften. Vierhunderttausendmal bist du Im Menschengeschlecht geboren, (Und) immer noch hast du die Erleuchtung Nicht erlangt! 101 Der menschliche Körper ist der Acker, Den man sich nur wünschen kann! Wird er gepflegt, erbringt er Juwelen. Der Wunsch, weshalb man in diese Welt gekommen ist, Wird erfüllt, Wird (der Körper) zum günstigen Zeitpunkt beackert. Halte den Pflug des Karma Und beackere mit Hilfe von sechs Bullen. Wurde zur rechten Zeit die Saat gesät, Erntet man Juwelen, wenn die Zeit reif ist. Erläuterung: Die sechs Bullen sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). Der Baul muß sie zähmen und für sich arbeiten lassen, allerdings wird in dem Lied nicht gesagt wie. 102 Gedanke, ich sehe keinen so dummen Bauern wie dich. Dein Körper-Acker liegt brach, (du) hast ihn nicht bestellt! Was machst du, Wenn die Laufburschen des (Totengottes) Samana Kommen, Dich peinigen, dich an deinen Haaren fassen. Wie willst du da die Rechnung begleichen? Hast du dir Gedanken darüber gemacht? Lieder über Gott Gott als Krishna, die Muttergöttin Kali, Shiva, Vater und Gott anderer Religionen Die beliebtesten Namen Krishnas in West Bengal sind: Gadadhara, Gopal, Govinda, Hari, Kala, Kaliya, Kanai, Kanu, Krishna, Krishna-candra, Madan-mohan, Madhusudan, Mohan, Mukunda, Murari, Nander nandan, Narayan, Rama, Shyam, Vanamali, Vraja-balak etc.

121 Die beliebtesten Namen von Kali in West Bengal sind: Annapurna, Bhadra-kali, Bhagavati, Bhavani, Bhuvaneshvari, Camunda, Candi, Candika, Dasbhuja, Devi, Digambari, Elokeshi, Gauri, Jagattarini, Kali, Kalika, Maha-kali, Mahamaya, Mahisha-mardini, Narayani, Nrimunda-malini, Parbati, Shivani, Shyama, Tara und Uma. Die beliebtesten Namen von Shiva in West Bengal sind: Bhairav, Candra-sekhar, Mahadeva, Mahakala, Mahayogi, Maheshvar, Nataraj, Pasupati, Rudra, Shashanka-shekhar, Shiva etc. 103 (Krishna,) wen gibt es noch wie dich auf dieser Welt? Wer kann so lieben wie du? Wie die liebende Mutter des Universums Trägst du die Welt in deinem Schoß. Wie reichlich hast du die Welt Mit Reichtum und Getreide versorgt, Hast alles für die Lebewesen bereitgestellt! Mit wieviel Liebe! Du bist Gott zu Hause, Der den Lauf aller (Dinge) bestimmt. Du wohnst in jedem Haus. Wie schön ist das! Du hast das Kind, Den Alten und den Jugendlichen Durch dieSchnur der Liebe miteinander verbunden. Wie eine Mutter! Ergebenst bitte ich dich, o du barmherziger Hari, (Gib mir die Fähigkeit,) daß ich in Freude und Leid dich sehe; Daß ich dich in meinem Herzen trage, Daß ich dich mit Herzensfreude sehe Und in deine Schönheit eintauche. 104 Der Anfang des Anfangslosen ist Das Juwel Krishna, Wo gab es da jemals wirklich ein Kuhhirtenspiel? Als Brahman ist er unbeweglich. Der Spielende ist seine Inkarnation. Krishna, der Vollmond, ist der Meister im Genießen. In seinem Körper erwacht die Shakti. Zwischen Shakti und Kopf besteht Die große Anziehungskraft. Sie wird in den Veden und Agamas Vishnu genannt. Die Weisen stützen sich auf die Wahrheit Und verkünden in den Veden und Agamas: „Das vollkommene Brahman ist Das reine Bewußtsein und die Glückseligkeit. (Für ihn) gibt es keine Geburt, Keinen Tod auf dieser Welt.“ Aber trotzdem ist der Sohn von Nanda (d. h. Krishna) Nicht das formlose Brahman.

122 Erläuterung: Hier wird auf die Inkarnationstheorie (Bhagavadgita IV, 7-8) zurückgegriffen. Krishna, die Inkarnation Vishnus verbrachte seine Kindheit und Jugend als Kuhhirte. Der Verfasser meint, da Krishna eigentlich das formlose Brahman ist, war sein Kuhhirtendasein nur eine Erscheinung. In einem menschlichen Körper wohnt Shakti im Beckenplexus und Krishna in der Fontanelle. Da sie sich treffen wollen, besteht eine Anziehungskraft im menschlichen Körper (s. Kapitel 3 und 4). Der Verfasser meint, daß diese Anziehungskraft in den heiligen Schriften Agamas0 Vishnu genannt wird. Hier darf erwähnt werden, daß diese Ansicht nicht dem konventionellen Bild von Vishnu in Vishnu-purana entspricht. Zeile 11-18: Krishnas Pflegeeltern waren der Kuhhirte Nanda und seine Frau Yasoda. Krishna ist zwar essentiell identisch mit dem formlosem Brahman, aber gleichzeitig ist der Körper Krishnas keine reine Erscheinungsform, er ist real existent. Hier widerspricht der Verfasser seiner Behauptung in den Zeilen 3-4. 105 Ich habe mit meiner Mutter (gemeint ist die Göttin Kali) Großen Streit. O! Sie hört allen zu, Nur meinen Aussagen schenkt (sie) kein Gehör. Sie liebt mich überhaupt nicht. Erschöpft wandere ich stets durch die Straßen. Sie versorgt jeden Haushalt mit Reis, nur in meinem Haus habe ich keinen Reis. Meine Mutter ist schwarz wie die Dunkelheit Sie spendet der Welt Licht! O! Obwohl ich so dicht am Licht mich befinde, Verschwindet nicht die Dichte meiner Unwissenheit. Erläuterung: Zeile 7 deutet auf den Namen Annapurna (reich an Speise) der Göttin Kali. Als Annapurna ernährt sie die Welt. 106 Beschwere dich bei der Mutter. Dazu brauchst du keine Zeugen Oder Beweismaterialien. Ihr ist alles bekannt, Denn die beiden Augen der Mutter Sind wie die Sonne und der Mond. Sie brennen Tag und Nacht. Um den bösen (Todsesgott) Samana zu besiegen, Hat die Mutter noch ein Auge. Nimm deinen Guru als deinen Anwalt. Die Gerichtskosten zahlst du mit Tränen. Shyama sitzt (auf ihrem Thron), Um die Könige der Könige Zu bestrafen. 107 Mutter, du selbst bist dein Ebenbild. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich (Deine) bezaubernde Schönheit!

123 Deine unbegrenzte, unübertreffliche Form Erscheint in der Welt der Beweglichen und Unbeweglichen. Du bist in dem Vedanga und Vedanta. Als das formlose Ebenbild, Bist du vollständig formlos, Als das Formvolle manifestierst du dich Wiederum als die Welt, Du existierst in dir selbst. Mein verwirrter Gedanke beschreibt, Mutter, deine Ebenbilder. Wo besteht der Unterschied zwischen Uma Und den anderen Göttern? O du omnipräsente (Mutter)! Du erscheinst selbst als Shiva. In den Veden bist du das formlose Brahman, In der Vielfalt das Ichbewußtsein. Im Menschenkörper bist du das Bewußtsein. Als die goldene Mutter bist du Mahishamardini, Bei der Tötung von Nishumbha Erscheinst du als Nrimundamalini. Du existierst in dir selbst. Erläuterung: Uma, Mahisamardini (Vernichterin des Büffeldämons) und Nrimundamalini (Trägerin der Halskette aus Menschen-, eigentlich Dämonen-köpfen) sind weitere Namen der Göttin Kali. Die Geschichten in Devi-mahatmya 108 O Menaka, verhülle dein Gesicht! Nach solch sorgfältiger Auswahl Hast du gerade den ewigen Nackten Zu deinem Schwiegersohn gemacht! Das goldene junge Mädchen Hast du mit einem alten Mann verheiratet! Beim Gehen fällt er um auf der Straße, Bei (starkem) Wind wackeln seine Zähne, O Menaka, das sieht toll aus!, Wie die (niedliche) Kuhglocke am Hals eines Elefanten! Er trägt an der Lende das Tigerfell. Der Kerl ohne Eigenschaften raucht Hanf. Er hält einen Dreizack in der Hand. Er trägt verklettete Haare (als Frisur). Er stellt sich an wie ein Bettler (Er) wohnt im Krematorium, Er ist der Herr der Gespenster.“ Der Vater der Welt sagt nach einigem Nachdenken: „Menaka, du hast dich von der weißen Hautfarbe (Shivas) Verblenden lassen!“ Erläuterung: Dies ist ein beliebtes Lied der Bauls. Die Autorin hat es auf mehreren Melas (Treffen, s. Kaüpitel 5), an denen Bauls von verschiedenen Wohngemeinschaften

124 teilnahmen, gehört. Es erzählt von der Hochzeit von Göttin Parvati, auch Uma genannt, und Gott Shiva. Zeile 1-6: Nach ihrem Freitod wurde Sati, die Gemahlin Shivas, als die Tochter vom Himalaya und seiner Frau Menaka geboren. Sie hieß nun Parvati. Da der Ehebund auch nach dem Tod gilt, war sie weiterhin mit Shiva verheiratet. Daher wollte sie auch in diesem Leben Shiva heiraten, obwohl sie durch die Wiedergeburt jetzt wesentlich jünger war als Shiva. Sie überzeugte ihre Eltern von ihrer Liebe zu Shiva und die Eltern verheirateten sie mit ihrem Auserwählten. Zeile 7-10: Hier werden die Altersschwächen Shivas übertrieben. Zeile 11-17: Diese Zeilen beschreiben Shivas Aussehen und Gewohnheiten im tieferen Sinne. Shiva hat keine Eigenschaften, da er über den drei Eigenschaften (guna) der Prakriti (s. Kapitel 4) steht. Diese Eigenschaften sind Reinheit (sattva), Aktivität (rajas) und Trägheit (tamas). Alle Dinge, die wir wahrnehmen, beinhalten diese Eigenschaften. Er ist der Herr aller Gespenster, d. h. er ist der Herr der Welt. Zeile 18-20: Der Verfasser nennt Gott Brahma an dieser Stelle den Vater der Welt, da er der Schöpfer der Welt ist. Shivas Hautfarbe ist weiß, was in Indien bekanntlich als schön gilt. 109 Shiva im Berg Kailasa ist ein Verrückter. (Er ist) verrückt geworden, Nachdem er (den Nektar der Liebe) getrunken hat (Nun hat) er (auch noch den Saft von) Hanf und Datura Alba bis aufs Letzte ausgetrunken! 110 Herr, unbeschreiblich ist Deine Barmherzigkeit. Wenn ich daran denke, Fließen mir unaufhaltsam die Tränen. Auch wenn ich Taten vollbringe, die dir nicht gefallen, Liebst du mich. Herr, ich vergesse dich, Aber du vergißt mich nicht! Herr, ich verliere dich aus meinen Augen, Aber du behältst mich immer im Auge! Du möchtest mir ein freudiges Leben schenken, Aber ich bleibe undankbar! 111 O Vater des Universums, Auf deinem großen Thron sitzend hörst du Deine selbstverfaßte Hymne, Das Lied des großen Universums. Ich, der Unbedeutendste auf der Erde, Bin gekommen mit meiner Stimme An deine Tür Ich habe nur einen Wunsch. Ich bitte dich um Audienz, Damit ich dir ein Lied vorsingen kann. Ich bin gekommen, um dort in dem Hof Wo die Sonne und der Mond (deine Glorie) singen, In einer Ecke Platz zu nehmen.

125 Hier möchte dein Ergebener dein Loblied singen. 112 Er ist formlos. Er ist ohne Form. Gelobt sei er in dieser Welt. Er ist der Vater von allen - von Göttern, Gandharvas und Menschen. 113 Kali, Krishna, God, Khoda In keinem Namen finde ich ein Hindernis. Nur die Streitsüchtigen Sehen hier einen Unterschied. Laß' dich davon nicht beeinflussen. O mein Herz, rufe Kali, Kali, God, Khoda. Erläuterung: Die Christen in Indien nennen Gott nicht Ishvar oder Bhagavan, wie die Hindus es tun, sondern in Anlehnung an Englisch God. Über die Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen 114 Wenn es mich nicht gäbe, worauf wärest du denn stolz? Nun sage mir, ich will es wissen, wer ist groß und wer ist klein? Solange ich nicht da bin, Wer spricht dich an als du? Was soll (die Diskussion über) deine Existenz oder meine Existenz Ohne mich gibt es dich nicht. Wenn du sagst, du bist der Ursprung, Dann werde ich sagen: ‘Du siehst die halbe Wahrheit. Gibt es einen Baum, so gibt es auch seine Blumen (Und) gibt es Feuer, so gibt es auch Asche.’ Wenn du mich eines Tages verläßt, So werde ich sehen, wie du ohne mich existieren kannst. Will ich dich loswerden, klammerst du dich an mich. Nun bin ich verpflichtet, (dich zu lieben). Gott wohnt im Menschenkörper, und ist daher dort zu suchen 115 In (diesem) Menschen weilt der (andere) Mensch (d. h. Gott). Suche (Gott im eigenen Körper). In einer Menschengeburt Wird diese Wahrheit erkannt. 116 Das größte Juwel läßt du (ungeachtet) in deinem Hause, o du Narr, (Und) suchst es draußen. Du tanzst nach der Pfeife fremder Leute. Im Tageslicht verhältst du dich wie ein Einäugiger

126 (Und) findest es nicht. Du hättest es in deiner Nähe finden können, Hättest du beim Suchen Deine Augen aufgemacht! 117 Der andere Mensch (d. h. Gott) wohnt in diesem Menschen. Wieviele Weisen suchen ihn seit vier Yugas draußen! Wie wenn der Mond sich im Wasser spiegelt, (Und) man will ihn dort fassen! So sitzt er immer Im Licht (und nicht im Spiegelbild). Er wohnt in der unbekannten Blume (gemeint ist das Sahasrara-cakra). In der Blume mit zwei Blütenblättern (gemeint ist das Ajña-cakra)hält er sich auf. Wer die Blumen kennt, Wird ihn ohne Schwierigkeit sehen. Was bin ich nur verwirrt, o mein Herz, Daß ich draußen meinen eigenen Schatz suche. 118 Man findet ihn im eigenen Körpertempel. Dort spricht der Vater des Universums Mit einer sehr süßen, angenehmen Stimme. Er kennt das Versteckspiel gut. Keiner sieht ihn. Er ist formlos, geehrt von der Welt. Er ist das Leben des Universums. Er wohnt im Lotus mit tausend Blütenblättern (gemeint ist das Sahasrara-cakra). Er verkehrt im Lotus am Nabel (gemeint ist das Manipura-cakra). Man kann ihn nicht leicht fassen. Augenblicklich zerstört er (alle Bemühung). Lerne dich selbst kennen, Sei wachsam Tag und Nacht. Vielleicht wird dann der Schatz seine Gnade zeigen. 119 Glaube an diesen Menschen. Wisse, daß dieser Mensch der Wohnort der Wahrheit ist. Ohne diesen Menschen Kann der reine Mensch (d. h. Gott) Nicht erreicht werden. In diesem Menschen wohnt Der andere Mensch (d. h. Gott). Seine Natur ist unerreichbar. (Er ist) das tranzendentale Brahman, Der höchste Purusha. An diesem Menschen festhaltend wirst du (Den Ozean der Wiedergeburten) überqueren.

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120 Fünf Elemente Haben diesen Bungalow gebaut. Er steht (und) ist vierzehn Ellen lang. O, dieses Haus hat neun Türen - Oh, ho, ho ! Der Bewohner ist kein Fremder. Er wohnt da drinnen. Die höchste Person Ist hier immer anwesend. 121 Man findet ihn, wenn man ihn im eigenen Körper, Der dem Tempel gleicht, sucht! Dort spricht der Vater des Universums In lieblichen Tönen! Er kann sich gut verstecken, So daß keiner ihn findet. Er ist formlos, verehrungswürdig, Das Leben der Welt. 122 Der andere Mensch Lebt in diesem Menschen. Die Weisen und Heiligen suchen ihn vergeblich Seit vier Yugas dort draußen. O mein Herz, ich bin dem Irrtum verfallen Und suche den Schatz, der in mir steckt, draußen! Das Sahasrara-cakra, der genaue Wohnort Gottes im menschelichen Körper 123 Das Haus ist kompakt (gebaut), (Und) hat sechs Etagen. Darüber gibt es noch eine Etage, (Sie) heißt die Etage der Edelsteine, Hier leuchten Tag und Nacht Edelsteine, Der Hausherr wohnt hier. Ananta denkt nach: „wie erfasse ich das Haus? Obwohl ich in diesem Haus wohne, Habe ich den Hausherrn Nicht kennengelernt!“ 124 Das Haus hat sieben Etagen Sein Amtsgericht ist in Alipur. Wenn du diesen Bau begriffen hast, Wirst du ein vornehmer Herr werden.

128 Erläuterung: Der Ort Alipur liegt in der Nähe von Kalkutta. Das zuständige Amtsgericht befindet sich hier. Das Sahasrara-cakra wird hier mit dem Amtsgericht, und damit Gott mit dem Richter verglichen. 125 Wie schön ist der Lotus mit zwei Blütenblättern (gemeint ist das Ajña-cakra)! Das Leuchten von einem Berg von Juwelen blitzt hier. Dieser ewige Himmel ist wie die Nicht-Welt. Hier existiert die ungeteilte Brahma-Welt. Wenn der Lotus mit zwei Blütenblättern erkannt ist, Ist alles erkannt. 126 Wie willst du ihn fangen? Er transzendiert die Lehre der Veden Über der siebten Etage. In einem schwer begehbaren Zimmer wohnt Gott. Der Mond und die Sonne haben hier keinen Zutritt. Mit seinem eigenen Licht leuchtend Sitzt er im Tempel. Er hat keine Hände, kann (aber) fangen. (Er hat) keine Augen, sieht (aber) alles. (Er hat) keine Füße, kann (aber) gehen, Wohin er will. Leute die Cakras durchqueren können, Könnten ihn möglicherweise fangen. Candi sagt: „O du Ungläubiger, Du hast (noch) nicht in das Zimmer eintreten können!“ 127 Das Zimmer ist Auf allen vier Seiten Mit Spiegeln dekoriert. In der Mitte sitzt der Vogel, Und ist glückselig. Brüder, schaut euch das an! Man kann ihn nicht fangen Mit der ausgestreckten Hand. Wenn einer (ihn) sehen möchte, Dann soll er den Guru erkennen Und ihn (um die Führung) bitten. Er wird ihm (den Weg) zeigen. 128 Er kennt das Verstecken gut. Keiner kriegt ihn zu sehen. Formlos (ist es), das von der Welt verehrte, Das Leben der Welt! Er wohnt im Lotus mit tausend Blütenblättern (d. h. Sahasrara-cakra) Und bewegt sich in dem Lotus am Nabel (d. h. Manipura-cakra).

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Über Gottes Vereinigung mit Shakti und den Mahayoga 129 In der Mündung der drei Flüsse Kommt die Flut. In dem Meer der Freude spielt der Mensch (d. h. Gott) Sich vergessend. Das Meer der Freude schwappt über. Im Behälter ist der Nektar. Im Wasser der Freude Schwimmt er spielerisch. Um die Menschen zu befreien, Kommt der Mensch (d. h. Gott) und schwimmt. Der Neumond (amavasya) ist hierfür ungeeignet. Der Tag der Flut ist der richtige Zeitpunkt. Der Neumond, der erste Tag nach dem Neumond Und der zweite Tag nach dem Neumond, Diese drei Tage sind (für das Ritual) vorgesehen. O mein Herz, wenn du den Unfaßbaren Menschen (d. h. Gott) fassen willst, So bleibe diese drei Tage neben dem Fluß. Wenn die Ebbe die Flut ablöst, Geht der Mensch (d. h. Gott) in das unbekannte Land (zurück). Heimlich vergnügt (er sich) drei Tage lang, Dann leuchtet seine eigene Natur Und der Mensch (d. h. Gott) kehrt nach Goloka zurück. Der Liebende Sieht die Mündung der drei Flüsse. Er faßt den Unfaßbaren Und löst sich in seinen Füßen. Sai Hiricada sagt: „Panja, Du suchst den Menschen (d. h. Gott) Umsonst draußen.“ Erläuterung: Die drei Flüsse sind in diesem Zusammenhang die drei Menstruationstage, sowie die drei Mondtage, Neumond (amavaysa), der erste Tag nach dem Neumond (pratipada) und der zweite Tag nach dem Neumond (dvitiya). Nach dem indischen Mondkalender ist der Neumond der Nullpunkt. Dieser Tag heißt Amavasya, = Finsternis. Die Zählung fängt erst ab dem ersten Tag nach der Finsternis (amavasya) an. Goloka ist der Himmel der Caitanya-Vaisnavs in West Bengal. Das Muladhara-cakra der Frau wird für drei Tage der Menstruation mit dem Zusammenfluß der Flüsse Ganges, Yamuna und Sarasvati veglichen (triveni). Gott befindet sich zu dieser Zeit am Zusammenfluß und kann gefangen werden 130 In der jungen Frau treffen sich (die Flüsse) Ganges, Yamuna und Sarasvati. In (regelmäßigen) Abständen kommt die Flut Am Treffpunkt dreier Strömungen. Wenn das Wasser im Fluß steigt, spielen drei Frauen. Die erste ist dunkel, die zweite weiß und die dritte rot.

130 Wer kann da die Tugenden der Frauen beschreiben? Mahesvara, Gott aller Wesen, Trägt die erste auf dem Haupt, Und die zweite auf der Brust. Die dritte Frau ist die Genießerin Und erlebt in ihrem eigenem Zimmer Die ganze Welt. Die treue Frau in Gokula ist ihre Zeugin. Auch wenn sie einen Liebhaber hat, Bleibt sie dennoch (ihrem Mann) treu. Im nächsten Leben möchte ich als eine Frau geboren werden, Damit ich (einfacher) die Gesellschaft Gottes genießen kann. Der Diener Kamala sagt: „Er wird keinen Stammhalter mehr haben.“ Erläuterung: Zeilen 4-6: Die Ida-Nari, Pingala-Nari und Sushumna-nari werden mit drei Frauen verglichen, die jeweils schwarz, weiß und rot sind. Die Farben deuten auf die mystischen Farben des Blutes, die es an den verschiedenen Tagen erhält. Zeilen 7-9: Am ersten und zweiten Tag kann Gott vom Baul nur äußerlich genossen werden, wie Gott Shiva die Flüsse Ganges auf seinem Haupt, und Yamuna, auf seiner Brust trägt und so sie äußerlich genießt. Zeile 10-12: Der dritte Fluß, die Sarasvati, vereinigt sich mit Gott und genießt ihn innerlich. Damit will der Verfasser des Liedes sagen, daß er am dritten Tag Gott spirituell genießen kann. Zeile 13-15: Gokula ist ein weiterer Name Vrindavans. Die Frau in Gokula ist Radha, die Geliebte Krishnas. Ihr eigentlicher Mann war Krishna, dessen weibliche Energie sie war. Sie war zwar mit dem Kuhhirten Aihan verheiratet, blieb aber trotzdem ihrem eigentlichen Mann treu. Radha, die selbst Krishna erlebte, kann das Gotteserlebnis der Sarasvati bezeugen. Zeile 16-17: Der Verfasser des Liedes möchte im nächsten Leben als eine Frau geboren werden, damit er Gott während seines Besuches im Muladhara-cakra automatisch ohne besondere Anstrengung im eigenen Körper erleben kann (s. Kapital 4). Zeile 18: Mit der Aussage, daß er keinen Stammhalter mehr haben wird, möchte der Verfasser Kamala sagen, daß er den Mahayoga mit Erfolg praktiziert und daher den Samen nicht verliert. 131 Der Mensch (d. h. Gott) schwimmt Im gewaltigen Fluß Narmada. Auf seiner linken Seite ist (Seine Shakti) Kula-kundalini. Sie ist die Göttin des Yoga, (sie ist) Yoga selbst. Sie spielt ununterbrochen Das Spiel, das sie (früher einmal) In Vraja gespielt hat. Zum glückverheißendem Zeitpunkt für Yoga Findet man den geeigneten Weg. Man placiert sich in dieser Blume, Die vier Blütenblätter hat (d. h. Muladhara-cakra). Östlich der Blume befinden sich Die weltliche Freude und die sexuelle Liebe (kama). Sie versuchen einen abzulenken Und die Konzentration zu schwächen. Gehorche denen nicht, sondern sei aufmerksam.

131 Beherrsche die Sinnesorgane und übe Yoga mit Entschiedenheit. Die Maschine läuft mit der Atemübung. Die Atemübung ist das, was die Maschine zum Laufen bringt. Wenn die Atemübung korrekt geübt wird, Findet man den Menschen. Erläuterung: Die Kundalini-shakti im Körper des Bauls wird mit Radha, der Geliebten Krishnas, gleichgesetzt. Das Liebespaar par excellence, Krishna und Radha, haben in Vraja ihre mystische Liebe erlebt. Die Menstruation wird mit Blumen verglichen, in denen Gott sich befindet 132 In Vrindavan (gemeint ist der Körper der spirituellen Partnerin) blühen drei Blumen. Sie sind blau, weißlich und weiß. Bitte sage mir, in welcher Blume Krishna weilt Und in welcher Radha. Der Genießer (gemeint ist Gott) ist versunken In der Blume. (Auch) der Mensch (gemeint der Yogi) ist versunken In der Blume. Wenn ich dir die Sache mit den Blumen erkläre, Wirst du nur verwirrt sein! 133 Mitten in dem farbigen (Fluß) blüht die Blume. Diese formlose Blume ist wunderschön. Die Wurzel der Blume und ihr Betrachter befindet sich oben. Der Zeitpunkt des Treffens ist festgelegt, Und der Erhalter der Welt paßt darauf auf. Wer ist in der Lage, Diese wunderschöne unbezahlbare Blume zu pflücken! Auch der größte Yogi und Gott Indra halten sich Außerhalb der Blume. Nur die Hummel tanzt in der Blume. Der Vollmond sitzt in der Blume. Götter und andere haben Über die Blume geschrieben. Aber wer hat sie verstanden? Auf allen vier Seiten der Blume ist Gift. Wo wohnt der Yogi, Der es verdauen kann? Ich habe Angst. In diesem Ort blühen zwölf Blumen In zwölf Monaten. 134 Im großen See blüht die Blume. In ihr befinden sich Gott Brahma, Gott Vishnu und Gott Shiva. Wer die Einigkeit dieser drei Götter verstanden hat,

132 Der hat keine Sorgen. 135 Im Treffpunkt der drei Flüsse Kommt die Flut des Nektars. In diesem Ozean der Freude Spielt der Mensch (d. h. Gott) Sich selbst vergessend. Der Ozean des Nektars tritt über die Ufer. Hier gibt es nur den Nektar. In diesem Ozean der Freude Spielt und schwimmt er.“ Die Erscheinung Gottes während der Menstruation im Muladhara-cakra in einem weiblichen Körper wird mit der Erscheinung des Vollmondes während der Erscheinung des Neumondes verglichen 136 Der Vollmond versteckt sich hinter den Wolken. Du mußt die Wolken beseitigen, Sonst kannst du den Mond nicht sehen. Wenn die Wolken sich verziehen, Erscheint der Mond. Du wirst im Licht des Monds des Wissens sehen, Daß die beiden Monde sich vereinigt haben. Madan sagt: „Unwissend bin ich In der Dunkelheit allein geblieben. Nur der findet den Mond, Dem der Guru seine Gnade Schenkt.“ Erläuterung: Zeile 6-7: Die zwei Monde sind der Vollmond und der Neumond. Der Vollmond repräsentiert Gott und der Neumond die Tage der Menstruation. In dieser Zeit ist die sexuelle Liebe in der Frau dominant. Gleichzeitig ist dies die Zeit, in der Gott sich mit seiner Shakti vereinigt. Deshalb sieht der Verfasser keinen Widerspruch zwischen Neumond und Vollmond und meint, daß man durch das richtige Wissen die Vereinigung der beiden erkennt. 137 Bei den Gottsuchenden herrscht die Freude. Hier erscheint der Vollmond am Neumond. Man braucht viel Glück, um den Mond zu finden. Und hat man ihn gefunden, So ist man vom Kreislauf der Wiedergeburten frei. 138 Bevor man darüber redet, muß man die Gefühle (der Gottesliebe) kennen. Am Neumond erscheint der Vollmond Und der Neumond existiert im Vollmond.

133 Der Neumond ist der Zeitpunkt Für die Erscheinung des Vollmondes. Hat man dieses unmögliche Zusammentreffen Erkannt, So ist man vom weltlichen Leid befreit Und man kommt in die Welt der Alleinheit. Gott erscheint im Samen 139 Brahman, die Glückseligkeit, Leuchtet im Sahasrara(-cakra). Dies ist Brahmans Wohnort, Der Ort der Freude, wo der Nektar fließt. Das größte Yantra existiert in der Form eines Dreiecks(d. h. Muladhara-cakra), Die wundervolle Darstellung der Wahrheit. Hier leuchtet die Schönheit der Vereinigung von Mann und Frau, Von Shivas und Shakti, Von Samen und der Flüssigkeit. (Der Baul) ist der Schwan. Er übt. Sein Ziel ist die Erkenntnis seiner Identität mit Brahman. In der Basis der (Sushumna-)nari Sitzt Shiva auf seinem wunderschönen Sitz Mit dem Dreizack in der Hand. Die Mutter Shakti ist rot. Ihre Schönheit ist unbeschreibbar. Die Farbe des Purusha ist weiß. Er lenkt die Vereinigung. Erläuterung: Das Yantra, das in den tantrischen Büchern mit einem Dreieck gezeichnet wird, symbolisiert Shakti in der Kundalini, die sich im Muladhara-cakra befindet. Im Muladhara-cakra ist Shiva, dessen Hautfarbe weiß ist, jetzt als Samen anwesend. Die Farbe der Shakti, die sich auch im Muladhara-cakra befindet, ist rot. Die Frabe charakterisiert die Menstruation der spirituellen Partnerin. Gott wird hier als Shiva und Purusha bezeichnet, deren Farbe weiß ist, wie die des Samens. 140 Im menschlichen Körper wohnt er als der Samen. Er erfühlt das ganze Universum. Er heißt Krishna. Man nennt ihn auch Purusha (Mann). Er ist Radhas Ziel. Der Samen und das Sekret der Frau werden jeweils mit dem Vater und der Mutter des Universums verglichen 141 Lerne das Geheimnis des eigenen Körpers kennen. In deinem Körper ist das höchste Gut versteckt. Wie kannst du es draußen finden? Das Blut und der Samen sind Mutter

134 Und Vater des Universums. Der Samen ist der höchste Vater. Warum verehrst du es nicht? Nimm die Hilfe von Kundalini und ziehe den Atem hoch. Mache die zehn Sinnesorgane zu deinen Schülern Und fange ihn (d. h. Gott) mit der Angel des Wissens. 142 Hari wohnt in jedem Menschen als die Seele (atma). Was rennst du draußen herum? Siehst du ihn nicht in dir selbst? Wem das Auge des Wissens aufgeht, Nur der befreit sich von der Fessel. Höre (auf deinen Guru)! Aber das tust du nicht, hörst (auf ihn) nicht. Wenn du die Wahrheit über den Samen, Des Vaters des Universums nicht kennst, Kannst du Hari nicht finden, nicht finden. 143 O mein Herz, sei ehrlich und versuche Der Herr deiner Sinnesorgane zu sein, Dies ist die Basis der spirituellen Übungen. O mein Herz, ich warne dich immer wieder, Sei vorsichtig, Daß der Dieb dir das väterliche Erbe nicht stiehlt. Bei der Übung müssen Mann und Frau Wie die lebendigen Leichen sein. Erläuterung: Das väterliche Erbe ist der Samen im menschlichen Körper. Daher ist der menschliche Samen der Samen Gottes. Der Mahayoga muß genau zum richtigen Zeitpunkt geübt werden 144 O mein Herz, wenn der Zeitpunkt verstrichen ist, Kannst du nicht mehr (Yoga) üben. Ohne Bemühung und Eifer Wirst du das Juwel der Liebe nicht finden. Wenn du zu spät (Yoga) übst, Das ist so, als ob du den Deich baust, Nachdem das Wasser abgeflossen ist. Der Kluge baut den Deich, Wenn das Feld voll Wasser ist. 145 Die Tage der Flut sind (für den Yoga) geeignet. Der Tag des Neumondes, der erste und zweite Tag Nach dem Neumond sind die Tage, An denen (der Yoga) geübt werden muß.

135 O mein Herz, wenn du den unfaßbaren Menschen (gemeint ist Gott) Fassen willst, Mußt du diese drei Tage lang am Ufer des Flußes Wache halten. Wenn nach der Flut die Ebbe herrscht, Kehrt der Mensch (d. h. Gott) ins unbekannte Land zurück, Nachdem er drei Tage lang Heimlich (die Vereinigung) genossen hat. Am (dritten) Tag läßt der Mensch (d. h. Gott) Seine eigentliche höchste Natur dominieren Und kehrt ins Goloka zurück. Wer Gott lieben will, Soll das Erscheinungsbild der Triveni (s. Kapitel 3 und 4) beobachten. In dieser Zeit kann er ohne große Schwierigkeiten Den Unfaßbaren fassen Und mit seinen Füßen verschmelzen. Guru Hirucada sagt: „Panja, Umsonst suchst du den Menschen ( d. h. Gott) dort draußen.“ Erläuterung: Goloka ist der Himmel Krishnas für die Caitanya-Vaisnavs in West Bengal. 146 Am Neumond erscheint das Gift. Aber durch das Kommen Gottes wird der Tag wertvoll. In dieser Zeit üben die Genießer vorsichtig. Wenn der erste Tag nach dem Neumond zu Ende geht Und der zweite Tag anfängt, Findet man das Juwel, Das sich in der Mischung der Säfte der drei Tage befindet. Panja sagt: „Den, der das Juwel gefunden hat, Faßt der Todesgott Shamana nicht an.“ 147 Die Verehrung der Urexistenz (d. h. Gottes) In seinem Hause (gemeint ist der menschliche Körper) ist schwierig. Die Methode der Verehrung Der Urexistenz Kann nicht schriftlich Festgehalten werden, Denn sie ist viel schwieriger Als die Lehre der Veden. Sie ist schwierig zu verstehen. Die Urexistenz muß Durch die Fixierung der Augen verehrt werden. Man muß in einer Leiche leben. Nur mit dem Feuer Kann Gott gefangen werden. Erläuterung: Die Fixierung der Augen, Nehara genannt, ist ein Teil des Tantrayoga der Bauls (s. Kapitel 5). Der Erfolg des Tantrayoga wird mit dem Leben in einer Leiche

136 verglichen, da der Körper des Bauls in diesem Falle leblos wird, während seine Seele Glückseligkeit empfindet. Die aufgeweckte Kundalini-shakti, ohne die der Yogi Gott nicht erreichen kann, erzeugt das Feuer im Körper des Übenden. Sie bewegt sich vom Muladhara-cakra zum Ajña-cakra oder Sahasrara-cakra und erzeugt Hitze dort im Körper, wo sie sich gerade befindet. 148 Siehe den Menschen (d. h. Gott) Und fange ihn. O (mein) Geist, verbinde deine Augen Mit (seinen) Augen. Durch Anschauen wird er gefangen. Werde, sei eins. Stelle Fallen In vierundzwanzigeinhalb Distrikten, Wohin soll er da weglaufen? O (mein) Geist, sei schnell du Oberpolizist Und nimm (ihn) fest Im Tempel deines Herzens. Erläuterung:Zeile 3-6: Der Verfasser deutet hier auf die Übung Nehara, Fixierung der Augen, hin, die er während des Yoga praktiziert (s. Kapitel 5). Die vierundzwanzigeinhalb Distrikte sind die Monde im eigenen Körper(s. Kapitel 3). 149 Der heilige Arzt, der König aller Genießer Bereitet den Saft (des Genusses) auf natürlicher Weise. Es gibt vierundzwanzigeinhalb Monde und elf Knospen. Die acht Monde erscheinen manchmal. Erläuterung: Die letzte Zeile deutet darauf hin, daß beim Tantrayoga auch mit einer Teilzahl der Monde gearbeitet wird (s. Kapitel 5). 150 Bruder, bevor du die Schlange fassen willst, Lerne den Mantra. Ich hänge mir den Rosenkranz, Um den Hals und gehe in den Garten. Der Schatz liegt unter der Erde. Die Schlange bewacht ihn. Sechs Mäuse befinden sich unter der Erde. Es gibt keine Erde zum Sitzen. Der Frosch tanzt vor der Schlange. Die Schlange versteckt sich unter dem Schatz. Der Frosch wird zum Herrn, Man kann ihn nicht fassen. Schmiert man den Körper mit dem Gewürz der Namen, Flieht die Schlange, wenn sie den Geruch riecht.

137 151 O mein Herz, wenn du mit dem Fahrrad Fahren willst, Dann binde deine Unterwäsche eng und fest Und befreie dich von Falschheit. Vergiß die Lehre der Veden. Siehe geradeaus Und lenke exakt mit dem Lenkrad. O mein Herz, setze dich fest auf den Sattel. Du darfst das Gleichgewicht auf keinen Fall verlieren. Übe Kumbhaka und ziehe den Atem nach oben. Sieh’ nicht nach rechts oder links Und kümmere dich nicht um die sechs (Feinde) Und die zehn (Öffnungen). Rezitiere deinen Mantra und trete in die Pedale. Konzentriere dich auf die richtige Richtung Und laß’ dich nicht durch falsche Argumente ablenken. Sei dein eigener Lehrer und fahre schnell. Vereinige dein Äußeres mit deinem Inneren und sei ein Experte. Klingele bei Bedarf mit dem Gewissen. Svami Madhavananda sagt: „Bhavani, es ist dein schlechtes Karma, Daß du gerade bei voller Geschwindigkeit plötzlich gebremst hast. Nun bist du auf die Nase gefallen. Wie kann man so dumm, so unaufmerksam sein!“ Erläuterung: Zeile 13-14: Die sechs Feinde und die zehn Öffnungen sind jeweils die Ripus (s. 72) und die Körperöffnungen. Die Öffnungen sind: die Ohren, Augen, Nasenlöcher, der Mund, die Fontanelle, das Geschlechtsorgan und der Anus. Die meisten Lieder zählen nur eine Öffnung für das Geschlechtsorgan. 152 Wie kannst du an das Ziel kommen, Wo du doch auf dem Weg der Liebe Dich unehrlich verhältst? In Vrindavan( gemeint ist der menschliche Körper), in der Stadt der Freude Wird Gott geliebt. Hier muß man das Wasser von der Milch trennen Mit großer Konzentration. In diesem Ort sind die Frauen die Könige Und die Bauls, die Genießer, das Volk. Der gierige, von sexueller Liebe befangene Dieb wird hier bestraft. Nun wohnt der Schwan im (Muladhara-)cakra Und die sexuelle Liebe entwickelt sich zur Gottesliebe. Man findet die Freude, Indem man das Gut ins Feuer wirft Und beide vereinigt. In diesem Lande herrscht eine andere Sitte. Nicht dem Mann passiv treu bleiben, Sondern die Treue üben ist das Prinzip dieses Landes. Hier gibt es keine egoistische Freude,

138 Und daher ist der Bewohner (dieses Landes) immer glücklich. Zwei Gestalten üben Liebe, Ohne sich ineinander zu verstricken. Im Herzen, In der Strömung der Freude Spielt der Unfaßbare, Der höchste Samen. 153 Du redest immer von der Übung daher! So einfach ist die Übung nicht. Wie viele Weise und Seher Haben vor der Übung zurückgeschreckt, Als sie sich näher damit befaßten! Die Tagelöhner Berauben mich des väterlichen Erbes. Wenn ich es geschafft habe, Auch nur etwas davon zu behalten, Kann auf dem Boden die Pflanze der Liebe gedeihen. Wenn aber das Gesparte verlorengegangen ist, Kann man den Verlust nur beweinen. Fange ihn schnell, solange er mit dem Liebesspiel beschäftigt ist. Übe Yoga zusammen mit deiner Partnerin, Mit ihrer Hilfe. Du leidest unter Magenkrankheit, Was willst du da noch Gehaltvolles? Reinige zunächst den Magendarmtrakt Mit der bitteren Medizin. Töte zunächst die falschen Wünsche. Ich verrate dir die Regeln der Übung. Nimm dir die treue Partnerin Und gehe mit ihr den Weg des Feuers. Gemeinsam müßt ihr es tun, Wenn ihr es überhaupt schaffen wollt! Wenn du dann den Menschen, (d. h. Gott) gefunden hast Und seine Gesellschaft genießt, Hast du den Krieg gewonnen. Gosai Atalacãd sagt: „Naran, Umsonst suchst du ihn draußen in der Welt!“ Erläuterung: Der Baul betrachtet seinen Samen als das Erbgut, das er von Gott, seinem Vater, geerbt hat, denn der menschliche Samen ist gleichzeitig der Samen Gottes, der die Welt erschuf. Die Tagelöhner sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). Sie machen die Sinnesfreude stark und schwächen die Konzentration des Yogis, so daß er seinen Samen nicht mehr zurückhalten kann. Der Übende darf ihn aber nicht verlieren. Um die Yogaübung zu üben benötigt der Baul eine willige Frau. Nur mit ihrer Hilfe kann er Gott fangen. 154 Alle reden von ihm, Vom Menschen (d. h. von Gott) (ohne ihn zu kennen).

139 Nur der, welcher den Menschen fangen kann, Kann ihn erleben. Wenn man es nicht schafft, in einer Leiche zu leben, Wird Caitanya nicht gnädig. Da Gott während seiner Vereiniguing mit der Shakti ein Mann ist, muß der Baul sich für den Mahayoga wie eine Frau fühlen und ihn als den Geliebten lieben 155 O mein Geist, verwandle dich In eine Frau (Prakriti). Nimm die Natur einer Frau an, trainiere dich, So wird die Liebe nach oben steigen. und du wirst mit ihr An Krishnas Weilort ankommen. Diese Frau ist eine Genießerin. Sie hat ein attraktives Aussehen. Sie schenkt dem Lebewesen Die schönste Liebe Und läßt es dadurch Krishna Als Ehemann gewinnen. 156 In deinem Herzen mußt du dich Wie eine Gopi fühlen. Rezitiere den Namen Gaur (d. h. Caitanya), So wird der Samen der Liebe In deinem Herzen sprießen. Und du wirst die Liebe in Vraja (d. h. Vrindavan) genießen. 157 Der Gottsuchende versucht wie die Gopis zu sein. Er versucht, sich wie die Gopis zu fühlen Und Caitanya zu verehren. Er will die Liebe zwischen Gott und Shakti genießen Und nicht in Brahman aufgehen. 158 O mein Herz, sei eine Frau. Lege dir die Eigenschaften einer Frau auf, Und übe die spirituellen Übungen. So wird deine Liebe nach oben (zum Sahasraracakra) steigen. Der Geschlechtsverkehr während des Mahayoga ist keine sexuelle Liebe 159 Nicht wenn Frau und Mann sich (Sexuell) vereinigen, Sondern wenn die Seele (des Mannes) Sich mit der Seele (der Frau) vereinigt,

140 Wird er Genießer genannt. 160 Wie, wenn trotz des Vorhandenseins des Mundes Das Wort nicht ausgesprochen wird, Trotz der Augen (Man) blind ist. Kein Geruch von der sexuellen Liebe (kama) Im Gedanken. Durch reines Prem wird er diesmal (Den Ozean der Wiedergeburten) überqueren. 161 Wie willst du ins Zimmer der Liebe (raga) Eintreten, Wenn du die Liebe Nicht kennst? Der Gierige, Sinnenfreudige Kann dort nicht hinein. Er wandert herum Sein Leben lang. (Nur) der Liebende findet (vor sich) Das Schloß der Tür zum Zimmer der Liebe offen. Durch des Gurus Mitgefühl ohne große Mühe Tritt er ein ins Zimmer des Formvollen und fängt ihn. Beschreibung des Gotteserlebnisses, das die Bauls Leben in einer Leiche nennen (jyante mara, jiyante mara) 162 Nach drei Tagen, hinter drei Eigenschaften Im Wasser ist die Figur der Göttin versunken. Der Zustand am zehnten Tag Ist der des vollkommenen Gleichgewichts. Ich kann es mit Wörtern nicht beschreiben. Parvati ist zum Kailash zurückgekehrt. Sati ist in den Mann auf dem Berg eingegangen. Welches Ich ist jenes, das Freude und Leid, Gefahr und Gefahrlosigkeit erfährt? Dieses Ich bin nicht ich. Wenn der Wunsch erfüllt ist, Erreicht man die Vollkommenheit. Nun hat die Glückseligkeit die höchste Stufe erreicht. Man sieht keinen Unterschied zwischen Gut und Böse Und fühlt sich weder geschmeichelt noch beleidigt. Der Zustand, den man am Ende der Übung erreicht, Kann nicht mit Worten beschrieben werden. Die Übenden verstehen es jedoch, Wenn ich sage, daß am Tag des Sieges der Sieg errungen Und der Wunsch erfüllt sind.

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Erläuterung: Zeile 1-12: Die drei Eigenschaften sind Reinheit (sattva), Aktivität (rajas) und Trägheit (tamas) der Prakriti, auch Maya genannt, ohne die die Welt nicht entstehen kann. In allen Dingen, die wir wahrnehmen, sind diese Eigenschaften vorhanden. Brahman steht über Maya. Der Verfasser des Liedes vergleicht den Tantrayoga mit dem Fest Durgapuja. Die Muttergöttin Durga, die Frau Shivas, wird jedes Jahr im Monat Ashvin (SeptemberOktober) drei Tage lang mit großer Feierlichkeit verehrt. Für diese Zwecke wird kurz vor dem Fest aus Stroh und Lehm die Durga-Figur hergestellt. Nach dreitägiger Verehrung wird die Figur der Göttin in den Fluß geworfen. Dies symbolisiert die Vergänglichkeit aller Dinge. Der Tag, an dem die Figur ins Wasser geworfen wird, ist der zehnte Tag nach Vollmond. Der Baul erlebt Gott in der letzten Phase des dreitägigen Tantrayoga. Der Verfasser nennt diesen Zeitpunkt in Anlehnung an die Durgapuja den zehnten Tag. Am zehnten Tag nach Vollmond kehrt Durga, die auch Parvati und Sati genannt wird, zu ihrem Mann Shiva, der auf dem Berg Kailasa im Himalaya wohnt, zurück und vereinigt sich mit ihm. Der Baul vereinigt sich mit Gott am dritten Tag der Menstruation seiner Partnerin. Wahrscheinlich vereinigt sich der Verfasser dieses Lieds am Ende des dritten Tages, also am Anfang des vierten Tages, mit Gott, und zieht daher die Parallele zur Durgapuja. Ein Yogi, der Gott erlebt hat, steht Gut und Böse gleichgültig gegenüber, da er in beiden Gott sieht. Er lebt in der Glückseligkeit. Zeile 13-20: Diese Zeilen beschreiben den Zustand nach dem erfolgreichen Yoga, der das vollkommene Glück ist. Da alle Menschen Prakritis Manifestation sind, sind alle Menschen, auch Männer, Frauen 163 O (mein) Gedanke, bist du ein Mann oder eine Frau? Trotz Nachdenken finde ich (die Antwort) nicht. Dies ist eine erstaunlich lustige Sache. Die Heiligen sagen, da der Purusha ohne Gunas ist, Hat die Prakriti aus sich selbst die Welt erschaffen. Deshalb sage ich, keiner von denen, die in dieser Welt leben, Ist ein Mann. (Alle Lebewesen)sind in ihrer Natur weiblich. Es gibt einen Purusha. Der ist gleichmütig, der Genießer. O du Armer, übe Yoga und erkenne dich voller Freude als eine Frau. Dann wirst du das Ziel erreichen. O, du wirst deinen Ehemann finden. Du wirst die treue Ehefrau sein. (Und) du wirst die Freundin von Radha.

Lieder über den Guru 164 Ohne des Gurus Hilfe Wird es nicht klappen. Nur mit des Gurus Gnade Wird deine Suche nach Krishna erfolgreich!

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165 Nur derjenige, auf den des Gurus Gnade fällt, Kommt ans Ufer als Sieger. Er hat keine Zweifel mehr und lebt in Harmonie. Der unsterbliche Mensch (d. h. Gott) leuchtet in ihm. 166 Derjenige, welcher seinen Guru nicht achtet, Aber Govinda (d. h. Krishna) verehrt, Wird nicht gerettet. Der hat für das Leben jenseits des Flusses Nicht vorgesorgt. Der Guru ist das unbezahlbare Juwel. Des Gurus Worte sind die heiligen Schriften. Der Guru ist Krishna selbst. Der Guru ist der (größte)Vishnu-Verehrer. Der Guru ist der unvergängliche Schatz. Nimm Asyl an des Gurus Füßen Und überquere den weltlichen Ozean. Wer seinen Guru nicht achtet Aber die Namen Haris rezitiert, Begießt die Äste, nachdem er die Pflanze entwurzelt hat. Dein Körper ist der Acker, auf dem der Guru gesät hat. Ohne deinen Guru, Der dir die Initiation erteilt hat und dich unterrichtet Kannst du nicht ernten. 167 Er bringt (seinem Schüler) zuerst den ersten Teil bei, Und macht ihn mit der sexuellen Liebe (kama) vertraut. Ist die Liebe reif geworden, Lehrt er ihn die Gleichgültigkeit. Dann brandmarkt er sein Herz mit der Weltentsagung Und lehrt ihn die Lehre der Gottesliebe. Wenn der Schüler das Alphabet gut gelernt hat, Sieht er in der Welt keine Zweiheiten mehr. Er lebt nun in der Ekstase, daß die ganze Welt Krishnas Manifestation ist. 168 Wenn der Schüler Die Lehre des Gurus begriffen hat, (Weiß er), daß seine Seele (atma) Mit der des Gurus identisch ist. Wer die Wahrheit erkannt hat, weiß, Daß der höchste Atman (paramatma) Sich in beiden manifestiert hat.

143 169 Wenn der Guru und Schüler eins sind, Enthüllt sich die Wahrheit. 170 Guru, in welcher Form Schenkst du der Welt deine Gnade! Unendlich, unzählig sind deine Spiele. Wer kennt deine Größe! Du bist Radha, du bist Krishna. Du gabst mir den Mantra. Du bist Gott. 171 Der Guru ist Krishna, die ewige Existenz, Gott. Der Guru ist Brahman. In ihm existiert die Welt. Der Guru ist Brahman, der Guru ist Shiva. Der Guru existiert in allem. Über die spirituelle Partnerin 172 Die Frau ist nichts Gewöhnliches. Sie erleuchtet die ganze Welt. Millionen Monde bescheinen die Füße Der Frau. Ohne die Frau kann man Gott nicht suchen, Kann man den Yoga nicht üben. 173 Die geheime Lehre von Radha und Krishna ist In Vrindavan versteckt. Ohne sich der Gopi unterzuwerfen, Kannst du sie nicht begreifen. Erläuterung: Hier wird der menschliche Körper mit dem Ort Vrindavan verglichen, wo Krishna und Radha ihre göttliche Liebe erlebten. Die Gopis, die Kuhhirtinnen, waren die Freundinnen Radhas, die ebenfalls Krishna liebten und von ihm geliebt wurden. Der Verfasser vergleicht seine Partnerin mit den Gopis. 174 Wem soll ich die Schuld geben? Meine eigene Natur ist am Scheitern schuld! Die Vernunft und gute Eigenschaften Habe ich verworfen. Mein Gedanke hat sich Die Gewohnheiten eines Raben angeeignet. Er hat den Nektar weggeworfen Und berauscht sich an geschmacklosen Fruchtsorten.

144 175 Der Guru sagt wiederholt: „Höre Lalan, ich sage es dir, Es ist nicht die Schuld deiner Partnerin! Du suchst bei ihr nur die sexuelle Liebe (kama). Wie willst du da die Gottesliebe erreichen?“ 176 Die weibliche Energie (shakti) Ist der unbezahlbare Schatz. Das weiß Nandas Sohn (d. h. Krishna). Deshalb singt er die Glorie Radhas, Faßt ihr die Füße. Dann ist er (gemeint ist Krishna) In Nariya (als Caitanya) geboren. Hier warf er sich auf den Boden Und weinte nach Radha. Und siehe, Mahesvara Trägt die Füße Shaktis auf seiner Brust Die Menschen verstehen diese Liebe nicht Sie suchen die sexuelle Liebe Und drehen sich im Kreise der Wiedergeburten. 177 Beleidige deine Partnerin nicht. Das wäre so, als ob du deinen Guru beleidigtest. Gosai Caitanya hat sie Die Ahladini genannt. Erläuterung: Die Vaisnavs im Bundesstaat West Bengal glauben, daß Krishna drei Shaktis (weibliche Energien) hat. Diese sind: Svarupa-shakti, Samvita-shakti und Hladini bzw. Ahladini-shakti. Die drei Shaktis entsprechen den drei Eigenschaften Brahmans nämlich, Sat (Existenz), Cit (Bewußtsein) und Ananda (Glückseligkeit). Die Hladini-shakti, die höchste Shakti von allen dreien, wird mit Radha, der Geliebten Krishnas, gleichgesetzt. Da Caitanya die spirituelle Partnerin pauschal Ahladini nannte, wird die Partnerin des Verfassers automatisch mit Ahladini-shakti gleichgesetzt. Allerdings war Caitanya ein Asket und hatte keine Partnerin (s. Kapitel 2).

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Index zu den Baul-Liedern Alle in dieser Welt fragen 20 Alle reden von ihm 154 Alle wollen nur das Geld 23 Als ich nach Hugli fuhr 81 Als Ergebnis welch (glücklichen) Schicksals 98 Als es keinen Himmel, Wind und keine Wolken gab 42 Am Neumond erscheint das Gift 146 Bei den Gottsuchenden herrscht die Freude 137 Beleidige deine Partnerin nicht 177 Beschwere dich bei der Mutter 106 Bevor man darüber redet 138 Brahman, die Glückseligkeit 139 Brüder, bevor du die Schlange fassen willst 150 Brüder, seht euch nur den Markt an 26 Bruder, wen verwirfst du 16 Das größte Juwel läßt du (ungeachtet) in deinem Hause, o du Narr 116 Das Haus hat sieben Etagen 124 Das Haus ist kompakt (gebaut) 123 Das Muladhara gehört dem Bewußten (d. h. Gott) selbst 97 Das Volk stirbt erbarmungslos 28 Das Zimmer ist 127 Der andere Mensch 122 Der andere Mensch (d. h. Gott) wohnt in diesem Menschen 117 Der Anfang des Anfanglosen ist 104 Der Gottsuchende versucht wie die Gopis zu sein 157 Der Guru ist Krishna, die ewige Existenz, Gott 171 Der Guru sagt wiederholt 175 Der heilige Arzt, der König aller Genießer 149 Der Mensch (d. h. Gott) schwimmt 131 Der menschliche Körper ist der Acker 101 Der modebewußte Herr Raya 25 Der Vollmond versteckt sich hinter den Wolken 136 Der Wunsch nach Menschgeburt 99 Derjenige, welcher seinen Guru nicht achtet 166 Die anstrengende Pilgerfahrt 14 Die Frau ist nichts Gewöhnliches 172 Die geheime Lehre von Radha und Krishna ist 173 Die Grundlage des Hauses sind die drei Grundstöcke 91 Die heiligen Schriften beinhalten 9 Die Liebe zu Krishna ist wie der Ozean des Nektars 58 Die Menschgeburt ist für einen ohne Nutzen 100 Die Natur (der Liebe der Gopis) in Vraja war rein 64 Die neun Türen des Hauses sind offen 88 Die Regierenden meinen mit Stolz 29 Die sechs Feinde, das Kama und die anderen 93 Die Tage der Flut sind (für den Yoga) geeignet 145 Die Veden kennen 4

146 Die Veden lehren nicht 5 Die Verehrung der Urexistenz (d. h. Gottes) 147 Die weibliche Energie (shakti) 176 Dieser mein Körper ist das Boot 85 Dreiundsechzig Flüsse voller Saft (nari) 89 Du bist gekommen in diese Welt 72 Du hast dich in die Betrüger 80 Du hast die lebendige Kali in deinem Hause, (gemeint ist die spirituelle Partnerin) 12 Du hast die vier Veden, die vierzehn heiligen Schriften 3 Du redest immer von der Übung daher 153 Durch welche spirituellen Übungen kann ich 11 Er bringt (seinem Schüler) zuerst den ersten Teil bei 167 Er ist formlos. Er ist ohne Form 112 Er kennt das Verstecken gut 128 Freundin, ich habe es nicht geschafft zu lieben 69 Fünf Elemente (panca bhuta) 120 Gedanke, ich flehe dich an und fasse deine Füße 71 Gedanke, ich sehe keinen so dummen Bauern wie dich 102 Glaube an diesen Menschen 119 Gott Hari hat sich als Mensch manifestiert 2 Gott Hari manifestiert sich in mir 7 Guru, in welcher Form 170 Hari, wann habe ich denn Zeit 22 Hari wohnt in jedem Menschen als die Seele (atma) 142 Haris Name (hari-nama) ist prima, paff, paff 57 Heil, heil Jayadeva 68 Herr, unbeschreiblich ist 110 Hier habe ich dieses Glück erlangt 6 Ich habe mit meiner Mutter (gemeint ist Kali) 105 Ich möchte den Zucker kosten 53 Im großen See blüht die Blume 134 Im menschlichen Körper wohnt er als der Samen 140 Im Treffpunkt der drei Flüsse 135 In deinem Herzen mußt du dich 156 (In dem Zimmer) mit der siebten Tür sitzt der König 55 In der jungen Frau treffen sich Ganges, Yamuna und Sarasvati 130 In der Mündung der drei Flüsse 129 In (diesem) Menschen weilt der (andere) Mensch (d. h. Gott) 115 In erster Linie ist der Mensch ein Mensch 15 In Vrindavan blühen drei Blumen 132 In Vrindavan hat Nandas Sohn 62 Jagannatha, Gott des Dharma 21 Kali, Krishna, God, Khoda 113 Komm, gehen wir zur Gaurngas Schule 37 Komme, o Gaur-candra (d. h. Caitanya) 35 Kommt, schaut es euch an 39 Könnte der Unfaßbare erfaßt werden 44 Krishna, den sogar der größte Yogi und der größte Asket 65 (Krishna,) wen gibt es noch wie dich auf dieser Welt 103 Lerne das Geheimnis des eigenen Körpers kennen 141

147 Man findet ihn im eigenen Körpertempel 118 Man findet ihn, wenn man ihn im eigenen Körper 121 Man hat das Kastensystem erschaffen 17 Maya schluckt die Lebewesen der Welt 47 Mein Gedanke hat den Maya-Wein getrunken 49 Mein Gedankenvogel wird nicht zahm 70 Mein Geist ist das Boot 83 Mein Geliebter spielt im Manipura 90 Mein Zopf bleibt so 45 Mit fünf Elementen ist dieses Haus gebaut 84 Mitten in dem farbigen (Fluß) blüht die Blume 133 Mutter, du selbst bist dein Ebenbild 107 Nach drei Tagen, hinter drei Eigenschaften 162 Nicht alle kennen die (wahre) Liebe 63 Nicht nur ein Loch, sondern neun Löcher gibt es 86 Nicht wenn Frau und Mann sich 159 Nur derjenige, auf den des Gurus Gnade fällt 165 Nur mit reinem ungeteiltem Geist 36 Nur weil (Indien) mit dem Kastensystem 19 O Brüder, warum habt ihr euch fortwährend so verändert 27 O du Kanai, warum bist du als Gaur geboren 33 O (du mein) Geist, (du) Kaufmann 82 O du mein goldenes Bengal 31 O du unaufmerksam gewordene Hausfrau 46 O Gaur, fahre mich zum Ufer dieser Welt 41 O (mein) Gedanke, bist du ein Mann oder eine Frau 163 O (mein) Geist, erkundige dich zu allererst 75 O (mein) Geist, informiere dich zu allererst 77 O (mein) Geist, suche die sieben Himmel- 76 O mein Geist, verwandle dich 155 O (mein) Geist, warum suchst du ihn 94 O (mein) Geist, warum wanderst du noch draußen 92 O mein Herz 59 O (mein) Herz, (alles ist) Einbildung 51 O mein Herz, du weißt nicht 66 O mein Herz, lasse dich nicht vom Kastensystem 18 O mein Herz, sei ehrlich und versuche 143 O mein Herz, sei eine Frau 158 O mein Herz, warum suchst du ihn 73 O mein Herz, wenn der Zeitpunkt verstrichen ist 144 O mein Herz, wenn du mit dem Fahrrad 151 O mein vernarrtes Herz 43 O Menaka, verhülle dein Gesicht 108 O Vater des Universums 111 Ob Gaur jemals wieder 40 Ob Gaur noch einmal geboren wird 34 Ohne Gurus Hilfe 164 Sechs Mäuse nagen an meinem Haus 87 Sie gehorchen mir, dem Herrn, nicht 79 Siehe den Menschen (d. h. Gott) 148

148 Shiva im Berg Kailasa ist ein Verrückter 109 Shyam (d. h. Krishna), mache dich nicht lächerlich 61 Trinke nicht unnötig den Maya-Wein 50 Übe nicht die Liebe mit wilder Hast 67 Um ihn zu erlangen 13 Warum leidest du unnötig 60 Was für eine Sitte hat Gaur 38 Was wissen die Veden vom tiefen Sinn 8 Welche Lebensart wird als 1 Wem gehörst du 48 Wemm soll ich die Schuld geben 174 Wenn der Guru und Schüler eins sind 169 Wenn der Schüler 168 Wenn die vierundzwanzigeinhalb Gurus 78 Wenn du Hari fangen willst 96 Wenn du in die entgegengesetzte Richtung gehen willst 95 Wenn es mich nicht gäbe, worauf wäresr du denn stolz 114 Wer außer Krishna nichts anderes begehrt 54 Wer den Weg der Gottesliebe geht 56 Wer hat dieses Haus gebaut 74 Wer weiß, was unser Karma fruchtet 24 Wie kannst du an das Ziel kommen 152 Wie schön ist der Lotus mit zwei Blütenblättern 125 Wie soll ich den unerfaßbaren Menschen 52 Wie, wenn trotz des Vorhandenseins des Mundes 160 Wie willst du ihn fangen 126 Wie willst du ins Zimmer der Liebe (raga) 161 Wir sind die Bauls aus (West) Bengal 32 (Wisse,) daß heilige Schriften (sastra) 10 Wohin bist du gegangen, Ramamohana 30

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Lieder von Candidas über die Liebe zwischen Krishna und Radha 1 Die gefährliche Flöte kann ich nicht beschreiben. Mit ihrem Ruf holt sie die ehrbare Frau (aus dem Hause) heraus. Der Ruf faßt mich am Haar und zerrt mich zu Shyam, Wie wenn die durstige Rehkuh in Schwierigkeit gerät. Freundin, wenn ich die Melodie der Flöte höre, Vergesse ich meinen Haushalt und mein Herz wird unruhig. Die treue Gattin vergißt ihren Gatten, der Asket vergißt sein Gelübde, Die Pflanzen und die Kletterpflanzen freuen sich, Wenn sie (die Melodie) der Flöte hören. Was soll dann das schwache Geschlecht tun, das natürlich und einfach ist? Candidas sagt: „Kala ist der Meister aller Liebhaber.“ 2 Freundin, wer hat mir den Namen Shyam zugeflüstert? Durch das Ohr ist er in mein Innerstes eingedrungen Und hat mein Herz unruhig gemacht. Ich weiß nicht, welche Freude der Name Shyam in sich verbirgt! Das Rezitieren des Namens macht mich regungslos. Wie bekomme ich ihn? Wenn die Berührung mit (seinem) Namen Mich in diesen Zustand versetzt hat, Was wird geschehen, wenn ich seinen Körper berühre? Wo ich doch seinen Weilort gesehen habe, Wie kann ich denn dann noch meine jugendliche Unschuld bewahren? Ich möchte ihn berühren, aber (er) läßt (sich) nicht berühren. Was soll ich nun tun? Brahmane Candidas sagt: „Die Frau aus dem guten Hause Verwirft ihren guten Ruf, (Und) erprobt ihre Jugend.“ 3 Ah! Was für einen Schmerz empfindet Radha! Sie sitzt in einem menschenleeren Ort Und hört niemandem zu. Meditierend schaut sie in die Wolken. Ihre Pupillen bewegen sich nicht. Sie hat keinen Appetit und zieht sich das rote Gewand an, Als ob sie eine Asketin ist Sie macht ihren Zopf auf und läßt die Haare fallen, Und sie betrachtet sie. Lächelnd schaut sie zum Mond hinauf, Streckt (ihre beiden) Hände hoch und redet mit ihm. Sie stellt einen männlichen und einen weiblichen Pfau zusammen Und betrachtet ihre Hälse.

150 Candidas sagt: „Die Bekanntschaft mit dem geliebten Kaliya ist neu.“ Erläuterung: Zeile 6: Mit dem roten Gewand meint der Verfasser das Gewand der Mönche, dessen Farbe von gelb bis rot sein kann. Zeile 14: Kaliya, der Dunkle, ist ein weiterer Name Krishnas.

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Wort- und Namensindex Die Wörter sind ohne Deklination angegeben worden. Sie können sowohl einzeln als auch in Komposita vorkommen

Ãcla: 10, 13 Advaitacarya: 25, 28, 30, 31, 32, 62, 63, 80 Ajña od. Ajña-cakra: 41, 43, 44, 45, 46, 49, 52, 73 Akhra: 14, 19, 20 Barayi: 50, 51 Bhagavadgita:24, 42, 50, 80 Bhagavan: 33, 48, 53 Biraha-macchab: 75 Cakra: 36, 43, 44, 45, 46, 49, 52, 81 Caitanya: 7, 9, 10, 14, 17, 20, 21, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 35, 41, 46, 47, 50, 51, 53, 54, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 66, 68, 69, 73, 74, 77, 78, 80, 82, 83, 84 Caitanya-tattva: 69 Candidas: 36, 46, 50, 54 Candra od. Cãd: 46 Cari-candra: 68, 83 Caryapada: Darja od. Duyar: 41 Deha-tattva: 36, 47 Dharmashastra:8, 9, 20, 21, 22, 24, 64, 65, 66, 69, 75 Diksha: 25, 73, 74, 76 Ektara: 12, 22 Gitagovinda: 36, 82 Gõsai: 15, 29, 30 Gotra: 14, 15, 66 Granthi: 45 Grihi: 10, 20 Guna: 40, 41, 81 Guru: 13, 15, 16, 17, 28, 54, 58, 63, 64, 65, 66, 68, 71, 73, 74, 75, 76, 77 Hathayoga-pradipika: 43, 44, 71 Ira: 43, 44, 71 Ishvar: 33, 45, 46, 47, 48, 53 Jagannatha: 25, 27 Jayadeva: 36, 50, 54, 55, 56, 58, 82 Jiyante od. jyante mara: 70 Kada-macchab: 75

Kali: 48, 49, 53 Kama: 35, 70, 71 Kartabhaja: 57, 58, 59, 82, 83 Kistidhari: 10, 13, 21, 79 Krishna: 25, 26, 27, 28, 29, 31, 34, 35, 36, 46, 49, 51, 53, 55, 56, 57, 60, 62, 69, 71, 73, 77, 80, 81, 82 Krishnadas Kabiraj:7, 25, 30, 35, 51 Krishna-prem: 8 Kundalini: 42, 44, 45, 46, 70, 81 Kundalini-shakti: Macchab od Mahotsab: 18, 19, 29, 32, 60, 61, 83: Mahanirvana-tantra: 50, 72 Mahaprabhu: 10, 31, 60, 62, 68 Mahasukh: 70 Mahayoga: 22, 69, 70, 71, 72, 73, 78 Maithun: 62, 72 Malsa-bhog: 62, 63, 64, 66, 73, 74, 75 Mahotsab: s. Macchab Maluidhari: 10, 21, 79 Mantra: 25, 26, 64, 66, 71, 73, 74, 80 Manusmriti: 22, 65, 69, 75, 84 Maya: 34, 35, 41, 47, 81 Mela: 11, 18, 54, 55, 57, 58 Mukta-beni: 43 Muladhara: 41, 42, 43, 44, 45, 72, 81, 82 Nabadvip: 25, 60, 61 Nadriya: 25, 30 Nari: 36, 37, 42, 44, 45, 81 Nityananda: 14, 15, 25, 28, 29, 31, 32, 60, 63, 80 Pañca-tattva: 62, 63, 72 Pingala: 43, 44, 71 Prakriti: 40, 41, 52 Prem: 31, 35, 47, 70, 71 Purana: 24, 36, 37, 38, 39, 40, 48, 50, 53, 82 Puri: 30, 80

152 Purnadas od. Purnacandradas Baul: 6, 10, 11, 12, 14, 15, 16, 17, 19, 55, 59, 62, 82 Purusha: 40, 52, 53 Radha: 15, 35, 36, 46, 50, 51, 55, 56, 57, 60, 62, 69, 71, 77, 80, 81, 82 Raja: 40, 41 Ray Ramananda: 27, 31, 32 Ripu: 41 Sadhana-sangini: 15, 16, 67, 77 Sahasrara: 43, 44, 45, 46, 49, 50, 52, 70, 72, 73, 81 Shakti: 24, 34, 35, 41, 44, 45, 46, 49, 50, 51, 53, 70, 77, 81, 82 Sankirtan: 26, 27, 29, 59 Sharira-tattva: 36, 47 Sharada-tilaka-tantra: 42, 45 Sattva: 40, 41 Shiva: 38, 42, 48, 49, 50, 53 Shiva-samhita: 42 Shri-krishna-kirtan: 50

Shri-shri-caitanya-caritamrita: 7, 25, 26, 29, 30, 31, 32, 35, 51 Shudra: 4, 9, 16, 20, 23, 24, 25, 27, 28, 79, 80, 82, 83, 84 Sushumna:43, 44, 45, 48, 49, 66, 70, 75 Tama: 40, 41 Tantra od. tantrisch od. Tantrik: 11, 29, 32, 36, 42, 46, 47, 49, 50, 53, 54, 63, 65, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 79, 81, 83, 84 Tattva: 40, 81 Tulsi: 10, 13, 62, 63, 66, 73 Udasi: 10, 20 Vaishnava od. Vaishnavismus: 7, 17, 20, 21, 24, 26, 27, 28, 31, 32, 34, 35, 36, 41, 50, 51, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 68, 69, 74, 77, 78, 80, 82, 84 Vishnu: 24, 45, 48, 50, 56, 62, 80 Vrindavan: 25, 28, 30, 50, 56, 57, 77, 81 Yukta-beni: 43

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