Die Verbindung von CSO-Therapie unD aTemTherapie in Theorie

January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Biologie, Anatomie
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— Die Verbindung von CSO-Therapie und Atemtherapie in Theorie und Praxis. —

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Inhaltsverzeichnis Einleitung

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Geschichtliche Hintergründe zur Cranialen Osteopathie

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Übersicht relevante Strukturen Craniale Osteopathie Erste Ebene: Knochen und Knorpelgewebe Zweite Ebene: Bindegewebe Dritte Ebene: Flüssigkeiten Vierte Ebene: Organgewebe

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Der primäre Atemmechanismus Welche Beobachtungen von Sutherland führten zu den fünf Hypothesen des primären respiratorischen Mechanismus?

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Die fünf Thesen von Sutherland Die Eigenbewegung des Neuralrohrs Die Fluktuation des Liquors cerebrospinalis Die Bewegungsübertragung der Dura Mater Die freie Beweglichkeit der Schädelknochen Die freie Beweglichkeit des Kreuzbeins zwischen den Beckenknochen Weitere Erklärungsansätze des primären respiratorischen Mechanismus

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Neurophysiologische Grundlagen zur Atmungssteuerung Übersicht der Atmungssteuerung Die Atemmechanik

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Übersicht relevante Strukturen, ergänzt durch die Sicht der Atemtherapie

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Zusammenhänge zwischen dem Cranialen Rhythmus und dem Atemrhythmus?

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Das Nervensystem Das vegetative Nervensystem Die Polyvagal-Theorie

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Wie werden Rhythmen synchronisiert?

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Die Faszien

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Schlussfolgerung

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Literaturverzeichnis

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Und das Zwerchfell sagt: «Durch mich lebst du und durch mich stirbst du. In meinen Händen halte ich die Macht von Leben und Tod. Mach dich vertraut mit mir und fühle dich wohl mit mir.» — Andrew T. Still, Begründer der Osteopathie —

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Einleitung Alles Lebendige ist in Bewegung. Alle Strukturen des Körpers wie die Gelenke, die Knochen, das Bindegewebe, die Hirnhäute, das Gehirn, die inneren Organe und die Zellen bewegen sich. Bewegungseinschränkungen dieser Strukturen verursachen adaptive Veränderungen, um das Gleichgewicht innerhalb des Körpers, die Homöostase aufrechtzuhalten. Diese Kompensation geschieht oft lange unbemerkt, doch je länger diese Anpassungsleistung dauert, desto prägender und dysfunktionaler werden die Auswirkungen für den Organismus. Kann der Körper diese Kompensation nicht mehr bewältigen, werden diese Dysfunktionen zum Beispiel durch Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Schwäche, asymmetrische Haltung oder veränderte Gewebestruktur spür- oder auch sichtbar. Die Bewegungen der Strukturen erfolgen nach gegebenen Gesetzmässigkeiten, die fein aufeinander abgestimmt sind, sofern der Organismus einwandfrei funktioniert. In meiner Arbeit geht es darum, die Wirkungsweise der Cranialen Osteopathie und der Atemtherapie zueinander in Beziehung zu setzen. Beide Methoden sind allerdings nur theoretisch voneinander zu trennen, in ihrer Wirkungsweise gibt es Überschneidungen. «Osteopathisch ist eben nicht nur die Analyse in Einzelbereichen und Fachgebieten wesentlich, sondern auch der Zusammenfluss des gesamten Spektrums des menschlichen Daseins. Da man auf die physiologische Regulation der verschränkten Systeme abzielt, kann man keine Ebene, kein System ausklammern» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S. 3). Die Atmung ist eine lebenswichtige und zentrale Funktion. Sie hat einen interessanten Aspekt, denn sie ist die einzige vegetative Funktion in unserem Körper, die unbewusst über unser vegetatives Nervensystem gesteuert wird, jedoch auch bewusst mit unserem Willen beeinflusst werden kann! Wir können beispielsweise unsere Atmung anhalten, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit oder sie auch bewusst beschleunigen. Die bewusste Steuerung der Atmung wird meistens eingesetzt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wird eine Situation für den Körper bedrohlich, setzt sich die vegetative Steuerung allerdings durch!

Lebensumstände, Stress, Krankheiten, Grad der körperlichen Anstrengung, Entspannung, allgemeine körperliche Konstitution und Beweglichkeit, die Haltung, Gefühle, selbst positive oder negative Gedanken oder innere Vorstellungen beeinflussen kontinuierlich unsere Atmung. Zum Beispiel beschreiben folgende Redewendungen anschaulich, wie Gefühle unsere Atmung beeinflussen: — Diese Aussicht ist atemberaubend — Vor lauter Wut schnauben oder in die Luft gehen — Es verschlägt mir den Atem — Vor Erleichterung seufzen — Vor Trauer schluchzen —D  ie Luft wird immer dünner Verschiedenste Gründe können eine Atmungsstörung oder Atmungsblockade verursachen. Zum Beispiel kann chronischer Stress sich auf die Atmung ungünstig auswirken, da der muskuläre Tonus allgemein erhöht ist und oft parallel dazu die Atmungshilfsmuskulatur übermässig beansprucht wird. Symptome wie Brustkorbenge, «einen Kloss im Hals» oder «Blei in der Brust haben» sind typisch. Atmungsstörungen können auch durch Fehlregulationen innerhalb des Nervensystems oder mit einer Störung der strukturellen oder funktionalen Ebene zusammenhängen oder durch Krankheiten verursacht werden. Diese Arbeit beschränkt sich auf die Strukturen, die bei Atmungsstörungen betroffen sind und die für die Therapie relevant sind. Die Identifizierung des Ursprungs einer dysfunktionalen Entwicklung ist das, was wir uns als Praktizierende wünschen, da sie uns einen Weg zu einer wirkungsvollen Behandlung aufzeigen kann. Um die Methoden Atemtherapie und Craniosacrale Osteopathie zueinander in Beziehung zu setzen, sind folgende Fragestellungen aufgetaucht: Ist die sekundäre (thorakale) Atmung vom Cranialen Rhythmus abhängig und gibt es eine Wechselwirkung zwischen den beiden Systemen? Welche Rolle spielen rhythmische Bewegungen dabei? Gibt es ein übergeordnetes, ein zentrales System, das diese Rhythmen koordiniert? Auf der Suche nach Verbindungen beider Methoden bin ich dabei immer in subtilere Bereiche vorgedrungen.

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Geschichtliche Hintergründe zur Cranialen Osteopathie

Übersicht relevante Strukturen Craniale Osteopathie

Der Begründer der Osteopathie ist Andrew Taylor Still. Er lebte und arbeitete in den Vereinigten Staaten in Lee County Virginia. A.T.Still wurde im Jahre 1828 geboren und verstarb im Jahre 1917. Ein tragisches Ereignis, der Tod drei seiner Kinder innert weniger Tage durch eine Meningitis und kurz darauf eines vierten Kindes, welches an einer Lungenentzündung verstarb, führten ihn dazu, nach neuen Heilmethoden zu suchen. Die medizinischen Möglichkeiten, grassierende Krankheiten wie zum Beispiel Poliomyelitis, Pneumonie, Ruhr, Diphtherie oder Meningitis zu heilen, waren limitiert. Als Sohn eines methodistischen Predigers war er tief religiös verwurzelt und glaubte an die Vollkommenheit der durch die Hand Gottes erschaffenen Natur. Zu dieser Zeit blühten die Naturwissenschaften auf. Still befasste sich mit den Evolutionstheorien von Herbert Spencer. Seine Einstellung zur Natur, sein tiefer Glaube, seine neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse prägten seine Suche nach einer neuen Heilmethode, die die heilende Kraft der Natur mit einer Wissenschaft ohne Medikamente vereinen sollte. Er wurde auch bei den Knocheneinrenkern, den sogenannten Bonesettern und Heilern fündig, die damals praktizierten. Die Arbeit der Bonesetter inspirierte ihn, seine Kenntnisse in der Anatomie und Pathologie zu vertiefen. Er erkannte, dass es genaue anatomische und pathologische Kenntnisse braucht, um Blockaden zu lokalisieren und zu therapieren. Sein wichtigster Leitsatz für seine Studenten war: «find it, fix it, leave it alone» (Still A.T. in Merkel R. 2009: S.3). Dank dem Wissen der Bonesetter und den Heilern und seiner Erfahrung mit der Kraft des Bewusstseins erkannte er, dass die Lymphe, das Blut, die Nerven und das Fluidum uneingeschränkt fliessen müssen, damit Menschen wieder gesund werden. Diese Erkenntnisse bildeten die Basis seines Therapieansatzes. William Garner Sutherland, der Begründer der Cranialen Osteopathie, war ein direkter Schüler von Andrew Taylor Still und wurde im Jahre 1873 geboren und verstarb im Jahre 1954. Die Entdeckung eines «gesprengten» Schädels, den er in Stills Anatomiesammlung vorgefunden hatte, war wegweisend für die Entwicklung der Methode Craniale Osteopathie.

Die Differenzierung der vier strukturellen Ebenen der Cranialen Osteopathie, die diagnostisch und für die praktische Arbeit von Bedeutung sind (Merkel R. 2009: S. 12). Erste Ebene: die Knochen und das Knorpelgewebe Diese Ebene umfasst die Knochen des Cranialsacralen Systems mit ihren Verbindungen zum ganzen Skelett, die 22 Schädelkochen und die Knochen der Wirbelsäule einschliesslich des Sacrums. Zweite Ebene: das Bindegewebe Die zweite Ebene beinhaltet das Bindegewebe, das Stützgewebe und die Faszien. Die Dura mater ist eine derbe, feste Bindegewebehaut und besteht aus zwei Blättern und bildet die äusserste Schicht. «Sie ist die dickste und widerstandsfähigste Hirn- und Rückenmarkshaut» und „auf Dehnungen reagiert sie mit einem nichtlinearen Spannungsanstieg, der typisch für kollagenes Bindegewebe ist» (Paoletti S. 2011: S. 75). Es folgt die Arachnoidea. Unterhalb der Arachnoidea befindet sich der Subarachnoidalraum, welcher den äusseren Liquorraum bildet. Die Pia mater bildet die innerste Schicht, welche direkt auf dem weichen Hirngewebe aufliegt. Die Meningen sind in der Cranialen Osteopathie von zentraler Bedeutung. Die Pia mater, die innerste Schicht, folgt den Hirnwindungen. Die Meningen haben eine Verbindung zum Fasziensystem des gesamten Organismus.

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Dritte Ebene: die Flüssigkeiten Die dritte Ebene beinhaltet alle flüssigen Komponenten des Körpers, den Liquor cerebrospinalis, die Lymphe, das Blut und die Gewebeflüssigkeit zwischen den Zellen (Extrazellularraum) und die Flüssigkeit innerhalb den Zellen (Intrazellularflüssigkeit). Flüssigkeitsbewegungen sind für ein einwandfreies Funktionieren eines Organismus wichtig, denn «jeder Organismus und jedes seiner Organe wird während seiner Entwicklung ein flüssiges Stadium durchlaufen» (Liem T. 2014: S. 323). Laut Liem wächst der Embryo in einem flüssigen Milieu, welches aus 90% Flüssigkeit besteht, heran. Diese gestaltenden Kräfte, die ein Heranwachsen eines Organismus ermöglichen, bleiben zeitlebens aktiv und können therapeutisch genutzt werden (2014: S. 323). Behandlungstechniken, die in Bezug zu dieser Ebene stehen, unterstützen die Physiologie auf fluidaler Ebene. «Die fluidale Ebene besteht nicht allein im arteriellen, venösen, lymphatischen System, sondern drückt sich mehr oder weniger strukturiert in allen Systemen des Körpers aus. Ohne Wasserverbindungen ist ein gewebliches Leben unmöglich» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H.2011: S. 18). Vierte Ebene: die Organgewebe Die vierte Ebene beinhaltet das Organgewebe, das Parenchym. Es beinhaltet die Gesamtheit aller für das jeweilige Organ spezifischen Zellen, wie zum Beispiel die Nervenzellen, die Drüsenzellen und die Muskelzellen. In dieser Ebene ist das Gehirn, welches der wichtigste Teil des zentralen Nervensystems bildet, aufgrund seiner zentralen Funktion sehr bedeutsam.

„Der lebende menschliche Körper ist ein Mechanismus. Dazu gehören die knöchernen Gelenke, der Blutfluss in Arterien und Venen, der feine und komplizierte Mechanismus des Lymphsystems und dieses grosse hydraulische System, die Zerebrospinale Flüssigkeit.“ William Garner Sutherland

Der primäre Atemmechanismus Die Beweglichkeit der Strukturen, die Richtungen der Bewegungsübertragungen werden durch verschiedene Mechanismen beeinflusst, wie zum Beispiel durch aktive Bewegung, durch die Atmung, durch das Blut-/ Kreislaufsystem oder durch die Fluktuationsbewegung des Liquors. Um Bewegungen zu umschreiben und zu definieren, unterscheidet man Motilität von Mobilität. Unter Motilität versteht man die Bewegungsfähigkeit von Strukturen und «die Eigenschaft einer Substanz, ihre Form zu verändern» (Liem T. 2010: S.11). Unwillkürliche Bewegungen wie die Peristaltik oder zelluläre Bewegungsvorgänge werden mit dem Begriff Motilität in Zusammenhang gebracht. Die Bewegungsfähigkeit und die Fähigkeit, aktiv eine Position zu verändern, werden als Mobilität bezeichnet. Welche Beobachtungen von Sutherland führten zu den fünf Hypothesen des primären respiratorischen Mechanismus (PRM)? Nach William Garner Sutherland wird der primäre respiratorische Mechanismus (PRM) «als der Motor bzw. Mechanismus angesehen, der die feinen unwillkürlichen Bewegungen im Organismus ermöglicht» und «bildet die Basis für das innere Millieu des Organismus» (Liem T. 2010: S 19). Innerhalb des Schädels gibt es keine Muskulatur, die das Schädelinnere bewegen kann. «Nur einige exokraniale Muskeln inserieren am Schädel und beeinflussen die Mobilität der Schädelknochen, können aber nicht als eigentlicher Motor ihrer Beweglichkeit angesehen werden» (Liem T. 2010: S. 19). Sutherland entdeckte in Stills Anatomiesammlung einen «gesprengten» Schädel. Die eingehende Betrachtung dieses Schädels war ein Schlüsselerlebnis für Sutherland. Vor allem «die Details an den Gelenkflächen der Sutura spenosquamosa» weckten sein Interesse (Sutherland W.G. 2008: Kapitel 1, S.16). Er leitete daraus ab, dass die Knochen des Schädels sich kontinuierlich bewegen müssten. Die Vorstellung, dass diese Sutur «ein Hinweis auf einen für Bewegung konzipierten Entwurf war, prägte sich mir ein» (Sutherland W.G. 2008: Kapitel 1, S. 16). Die Squama des paarigen Os Temporale erinner-

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ten ihn dabei an die Kiemen eines Fisches, welche der Respiration dieses Tieres dienen. Er leitete daraus die Erkenntnis ab, dass die paarigen Os Temporale auch «atmen» und mutmasste, dass sich alle Schädelknochen sich in einem bestimmten Rhythmus bewegen müssten. Welche unbekannten Mechanismen diese Bewegung ermöglichen könnten, wurde Gegenstand seiner weiteren unermüdlichen Forschungen.

Um diese These zu bekräftigen, bastelte er Helme und andere Konstruktionen, mit denen er an sich selbst experimentierte, obwohl er zuerst selbst eigene Zweifel an der Beweglichkeit der Schädelknochen hegte. Er stellte dabei fest, dass bestimmte Fixierungen einzelner Knochen durch diesen Helm reproduzierbare Beschwerden auslösten, die auch wieder verschwanden, wenn er die fixierenden Hilfsmittel entfernte. Er fasste seine Beobachtungen zusammen (vgl. Merkel R. 2009: S. 4-5): — Der zugeschnürte und feste Helm erzeugte einen Druck auf seinen Schädel. Er beobachtete dadurch indirekt Bewegungen innerhalb seines Schädels. Die Knochen des Schädels bewegen sich in einem bestimmten Rhythmus, so seine Feststellung. Dabei differenzierte er verschiedene Rhythmen, zum Beispiel den Atemrhythmus oder den arteriellen Blutfluss. Er beobachtete zusätzlich einen noch langsameren Rhythmus, welchen er vorerst keinem körperlichen System zuordnen konnte. — Die freie Beweglichkeit der Schädelknochen ist oftmals mit Wohlbefinden verbunden. — Jeder Schädelknochen hat von seinen Schädelnähten her eine definierte Bewegung, zum Beispiel eine Aussen- oder Innenrotation oder eine Bewegung

nach lateral oder medial, die in einem bestimmten Rhythmus erfolgt. — Werden die das Gehirn und Rückenmark umschliessende Strukturen mobilisiert, führte das meist zu einer Symptomverbesserung bei den Patienten. Die Beweglichkeit der Schädelknochen können wir in der Cranialen Osteopathie durch direkte oder indirekte Techniken untersuchen. Die Suturen sind auch für das Schädelwachstum sehr essentiell. Die Schädelnähte sind über Bindegewebe miteinander verbunden. Das Bindegewebe (Periost) der Suturen können Reflexzonen für die Hirnhäute sein, denn oft befinden sich entlang den Suturen schmerzhafte oder druckempfindliche Punkte. «Im Bereich der Suturen verlassen feine, in lockeres Bindegewebe gehüllte Gefäss-Nervenbündel die Dura mater durch sinusartige transossäre Kanälchen in Richtung Kopfhaut» (Paoletti S. 2011: S.77). R. Becker, ein direkter Schüler von Sutherland, hat fünf Thesen von Sutherland zusammengefasst, welche die Arbeitsgrundlage der Craniosacralen Osteopathie bildet. Diese beruhen auf der Annahme, dass das Gehirn eine rhythmische Eigenbewegung hat und dass im Hirnwasser eine rhythmisch fluktuierende Bewegung stattfindet. Das Zusammenspiel dieser Bewegungen bezeichnete Sutherland als Primäres Atemsystem oder «Breath of life». Das primäre Atemsystem unterscheidet er von der sekundären Atmung, der thorakalen Atmung. Der Primäre Respirations-Mechanismus, ein vitaler Ausdruck des Gewebes, der als Bewegungsdynamik gesehen werden kann, und «das System der Primäratmung ist keineswegs auf ein mechanisches Modell beschränkt, welches oft dem kraniosakralen System zugeschrieben wird. Der Versuch, die Mechanik nachzuweisen, ist mehrfach gescheitert. Vielmehr sollte man das Konzept der Primäratmung auf den gesamten Körper ausdehnen und dort Verdichtungen von Struktur sowie fluidale und bioelektrische Felder beobachten, um ein Verständnis des Bewegungseindrucks zu erlangen» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S. 3).

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Die fünf Thesen von William Garner Sutherland Die Eigenbewegung des Neuralrohrs Das Neuralrohr ist die erste Entwicklungsstufe des zentralen Nervensystems und bildet sich im frühen Embryonalstadium. Es besteht aus Gehirn und Rückenmark. Die aus der Embryonalzeit stammende Wachstumsbewegung sollte sich auch nach Abschluss des Wachstums laut Auffassung einiger Osteopathen zeitlebens weiter fortsetzen. Es ist die Eigenbewegung des Hirngewebes. Nach Magoun «findet im Gehirn eine langsame und rhythmische Auf- und Entrollung der Grosshirnhemissphären statt» (Liem T. 2010: S. 20). Diese Bewegung überträgt sich mittels Membranen und über den Liquor auf die Knochen. «Der Breath of life zeigt sich im Körper in wellenartigen Rhythmen, die sich als feine willensunabhängigen Bewegungen der Flüssigkeiten und Gewebe präsentieren» (Kern M. 2011: S. 31). Die Fluktuation des Liquors cerebrospinalis (Gehirn- Rückenmarksflüssigkeit, Cerebrospinalflüssigkeit) und die Kraft der Flüssigkeitsbewegung (Potency) In speziell differenzierten Epithelzellen des Plexus choroideus, ein baumartig verzweigtes Adergeflecht im Hohlraumsystem des Gehirns, wird der Liquor cerebrospinalis gebildet. Die Bildung des Liquors erfolgt im Wesentlichen durch eine Ultrafiltration des Blutes und bildet im gesunden Zustand eine klare und farblose Flüssigkeit. Das gesamte Liquorvolumen beträgt ungefähr 150 ml, wobei sich ca. 30 ml im inneren und ca. 120 ml im äusseren Liquorraum befinden. Täglich wird ungefähr 500 ml Liquor produziert, das heisst, es erfolgt unter normalen physiologischen Bedingungen auch eine kontinuierliche Resorption des Liquors. Die Resorption des Liquors erfolgt zum grössten Teil (ca. 90%) über die Granulationes arachoideales, die in die venösen Sinus und in kleineren Mengen (ca. 10%) über die Nervenscheiden an den Austrittsstellen der Hirn- und Spinalnerven in die Lymphgefässe münden. Pro Tag wird der Liquor in etwa dreimal komplett ausgetauscht. Die Flüssigkeitsbewegung des Liquors wird als Fluktuation bezeichnet. Die Hohlräume des Ventrikelsystems bilden den inneren Liquorraum, bestehend aus den paarigen Seitenventrikel I und II, den unpaaren Ventrikel III und IV. Die Ventrikel I und II sind durch das Foramen interventriculare mit dem 3. Ventrikel, der dritte Ventrikel ist mit dem 4. Ventrikel über den sehr engen Kanal, den Aquaeductus mesencephali Sylvius verbunden. Der Liquor fliesst über die drei Gänge, den paarigen Foramiae Luschkae und dem Foramen Magendie in den äusseren Liquorraum, den Subarachnoidalraum ab. Der Liquor im Subarachnoidalraum umspült das Rückenmark und das Gehirn. Das Hirngewebe schwimmt auf der Liquorflüssigkeit und wird dadurch vor Erschütterungen geschützt. Nach Sutherland besitzt der Liquor eine innere Intelligenz und Kraft und wird durch diese bewegt: «Visualisieren Sie diesen Atem des Lebens als eine Flüssigkeit innerhalb der Flüssigkeit, etwas, das sich nicht vermischt, etwas, was diese Potency hat als die Kraft, die es sich bewegen lässt» (Sutherland W.G. 2008: Kapitel 2, S. 24). Die Flüssigkeitsbewegung selbst verglich er mit der Tide, den Meeresgezeiten von Ebbe und Flut. Der Autor Kern findet diese Worte: «Diese Bewegung ist inhärent, weil sich die Flüssigkeit aus einer inneren Kraft heraus und nicht auf Grund eines äusseren Einflusses bewegt» (Kern M. 2011: S. 63). Ähnlich wie die Tide bewegt sich der Liquor innerhalb der Hirnhäute hin und her. Die Kraft «Potency» überträgt sich so auf das ganze craniosacrale System, welches das Nervensystem, die Hirnhäute, die Schädelknochen, die Wirbelsäule und das Kreuzbein umfasst. Diese Bewegung breitet sich über den gesamten Organismus aus, welche mit zunehmender Übung bis zu den Füssen palpierbar wird. Diese feinste Bewegung bewirkt, dass sich die Füsse in der Inspirationsphase des PRM Rhythmus nach aussen, in der Exspirationsphase nach innen rotieren. Der Autor Kern bezeichnet diese Bewegung als «innere Atmung der Gewebe, die man als Motilität bezeichnet, die alle lebenden Strukturen besitzen, auch scheinbar harte und steife Gewebe wie die der Knochen» (Kern M. 2011: S. 38).

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Die Bewegungsübertragung der Dura Mater im Schädelinnenraum und im Wirbelkanal (reziproke Spannungsmembran) Die Dura kleidet als zusammenhängendes Kontinuum den Schädelinnenraum (Dura cranialis) und die Wirbelsäule (Dura spinalis) von innen aus. Die äusserste Schicht, das periostale Blatt, bildet die zusammenhängende Knochenhaut von den Schädelknochen und der Wirbelsäule. Die innere Schicht, das meningeale Blatt, umschliesst das Hirngewebe wie eine schützende Hülle und im Wirbelkanal das Rückenmark. Das meningeale Blatt der Dura bildet die Hirnsichel, die Falx und das Kleinhirnzelt, das Tentorium. Die Falx wird nochmals räumlich unterteilt in die Falx cerebri (Grosshirnsichel) und Falx cerebelli (Kleinhirnsichel). Die Falx cerebri trennt die beiden Hirnhälften voneinander und die Falx cerebelli trennt die beiden Kleinhirnhälften voneinander. An verschiedenen Stellen bilden die craniale sowie die spinale Dura feste Verbindungen mit den Knochen, die sogenannten articular poles of attachment. Einige wichtige Anheftungsstellen für die Dura im Schädelbereich bilden beispielsweise die Crista Galli, die paarigen anterioren und posterioren Prozessi clinoidei des Os sphenoidale, die Protuberantia occipitalis interna, der Oberrand des Felsenbeins (Pars petrosa ossis temporalis) des Os temporale und die zirkuläre Befestigung am Foramen magnum. Im Bereich der Schädelbasis ist nach Paoletti ist Anheftung sehr stark. An der Halswirbelsäule ist die Dura mit C1, C2 und C3, anterior fixiert. Bei C1 ist die Dura manchmal nur unregelmässig fixiert. Ab dem 3. Halswirbel ist die Dura relativ frei innerhalb der Wirbelsäule beweglich, deshalb wird sie als Duraschlauch bezeichnet. Der Duraschlauch ist schliesslich am 2. Sacralwirbelkörper (S2) anterior im Sacralkanal befestigt und verwächst mit dem dorsalen Steissbeinperiost. Die festen Verbindungen der Dura mit den Knochen bilden ein zusammenhängendes System, das biomechanische Bewegungsübertragungen ermöglicht. Idealerweise erfolgt die Koordination der Bewegungen in verschiedenste Richtungen von einem mobilen und anpassungsfähigen Ruhepunkt, einem Fulkrum aus, welches nach seinem Entdecker, Sutherlandfulkrum bezeichnet wird. Dieser Ruhepunkt bildet eine zentrale Bezugs- oder Koordinationsstelle für die Bewegungen innerhalb der Membranen des Schädels und des Wirbelkanals und befindet sich im Verlauf des Sinus

Rectus, im Kreuzungspunkt der Falx cerebri, der Falx cerebelli und des Tentoriums. Das Sutherlandfulkrum ermöglicht ein inneres Gleichgewicht auf der Membranebene und einwirkende Kräfte auf dieses System werden über diesen Ruhepunkt, der als Bezugspunkt dient, ausgeglichen. Die freie Beweglichkeit der Schädelknochen «Der Schädel besteht aus 22 Schädelknochen (28 inklusive Gehörknöchelchen), die untereinander 100 Verbindungen bilden» (Liem T. 2010: S.22). Das ist eine beeindruckende Zahl und die Möglichkeiten, dass daraus dysfunktionale Bewegungseinschränkungen entstehen können, sind aufgrund der Anzahl der Verbindungen theoretisch gegeben. Sutherland hat der freien Beweglichkeit dieser Knochen und deren Verbindungen ebenfalls eine grosse Bedeutung beigemessen. Die freie Beweglichkeit des Kreuzbeins (Sacrum) zwischen den Beckenknochen (Illium)

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Die freie Beweglichkeit des Kreuzbeines zwischen den beiden Beckenknochen bilden laut Sutherland die wichtigsten anatomischen Strukturen des Craniosacralen Systems. Das Sacrum ist ab Höhe des zweiten Sakralwirbels über den Duraschlauch (Duralsack) mit der Dura des Schädels, welches zirkulär am Foramen Magnum befestigt ist, verbunden und bildet bindegewebsmässig ein zusammenhängendes System, welches sich im Rhythmus der primären Atmung bewegt. Die Richtung der Bewegungsübertragung überträgt sich über den Liquor auf die Dura und von der Dura weiter auf die Knochen. Diese durale Verbindung vom Schädel bis zum Kreuzbein wird als Core Link bezeichnet. Weitere Erklärungsansätze des primären respiratorischen Mechanismus Es existieren nach Liem (2010: S. 38) weitere Erklärungen für den primären respiratorischen Mechanismus: — Rhythmische Bewegung des Gehirns: Es wurden rhythmische Bewegungen der Oligodendroglia des Nervengewebes im zentralen Nervensystem beobachtet. — Embryologischer Bewegungsimpuls: Dieser Ansatz gründet auf der These, dass embryologische Wachstumsbewegungen auch nach Abschluss des Wachstums sich als feinste rhythmische Bewegungen im cranialen Rhythmus wiederspiegeln. — Druckausgleichmodell nach John E. Upledger: Dieses Modell beschreibt, dass mehr Liquor in den Plexus choroidei innerhalb der Ventrikeln produziert wird, als dass es über die Arachnoidalzotten wieder abgebaut werden kann. Durch die Volumenzunahme des Liquors, so nach der These von Upledger, steigt der hydrostatische Druck innerhalb der Ventrikel an. Wird der Druck zu hoch, drosselt oder stoppt ein unbekannter Mechanismus die Liquorproduktion, bis der hydrostatische Druck wieder auf ein tieferes Niveau fällt. Während die Liquorproduktion vorübergehend stoppt, läuft inzwischen die Liquorresorption kontinuierlich weiter (vgl. Liem T. 2010: S. 40). — Atem- und Herzrhythmus: Dieser Erklärungsansatz sieht einen engen Zusammenhang zwischen dem Atem-, dem Herzrhythmus und der Entstehung des kranialen Rhythmus. Die Atmung bewegt, durch die Befestigung des Zwerchfells am Corpus des ersten bis dritten Lendenwirbels und an den unteren Rippen, die Brust- und Lendenwirbelsäule rhythmisch. Diese Bewegung überträgt sich wiederum indirekt auf das Rückenmark. Der Zusammenhang mit der Herztätigkeit ergibt sich aus dem rhythmisch arteriellen Blutstrom in das Schädelinnere, dessen Puls den Liquor indirekt bewegt. Es werden noch weitere Einflüsse vermutet wie muskuläre Einflüsse und die Beeinflussung durch die Lymphe.

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Neurophysiologische Grundlagen zur Atmungssteuerung

che lebenswichtige Funktionen, wie zum Beispiel der Blutdruck und die Herzfrequenz, reguliert. Sutherland erkannte die zentrale Funktion dieses Bereiches. Er stellte fest, dass «sämtliche physiologische Zentren im Bodenbereich des vierten Ventrikels lokalisiert sind, auch das der Atmung» und «ich erkannte, dass dieser Boden die Medulla Oblongata bildet» (Sutherland W.G. 2008: Kapitel 1, S. 17).

„Eingebettet in das vegetative Nervensystem reagiert die unbewusste Atmung auf jeden Eindruck von innen und aussen.“

Zentrale-, Periphere- und Dehnungsrezeptoren ermitteln Messwerte und verändern kontinuierlich die Atmung. In den Chemorezeptoren wird der Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt des Blutes regelmässig ermittelt. Bei der Regulation ist vor allem der CO2– Gehalt des Blutes ausschlaggebend, es ist der deutlich empfindlichere Parameter. Übersteigt der CO2-Gehalt einen gewissen Wert, so erfolgt ein Atmungsreiz automatisch.

Ilse Middendorf

Unsere Atmung wird autonom über das vegetative Nervensystem reguliert. Die Atmungssteuerung ist ein äusserst komplexer Regulationsmechanismus und regelt die Atemspannung, den Atemrhythmus und die Atemfrequenz. Die Atmung wird hauptsächlich im Atemzentrum der Medulla Oblongata gesteuert, welche einen Teil des Hirnstamms bildet. Im Hirnstamm werden neben der Atmungsregulation auch andere wichtige körperli-

Die vegetative Atmungssteuerung garantiert bei gesunden Personen eine für den Körper situativ angepasste Atmung. Wie wir später sehen werden, gibt es innerhalb des vegetativen Nervensystems zwei wichtige Gegenspieler, die die Atmung beeinflussen.

Übersicht der Atmungssteuerung Diese Übersicht stammt aus dem Buch Stimme und Atmung (Antoni Lang, Margarete Saatweber 2011: S.125)

Pfeile nach oben zeigen eine Erhöhung der Atemaktivität | Pfeile nach unten zeigen eine Reduktion der Atemaktivität | S Stoppen der Atemaktivität

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Auf der Grafik wird ersichtlich, wie vielfältig die Einflüsse auf die Atmung sind und welche zentrale Bedeutung das Atemzentrum in diesem Zusammenhang hat. Über zahlreiche Rezeptoren werden über die zum Hirnstamm zuleitenden Nervenbahnen, die afferenten Nervenbahnen, und die vom Hirnstamm wegführenden Nervenbahnen, die efferenten Nervenbahnen, Informationen ausgetauscht. Dank diesem Mechanismus erfolgt ein kontinuierlicher Informationsaustausch von innen nach aussen und umgekehrt. Dieser kontinuierliche Informationsaustausch ist nötig, um die Atmung zu modulieren und dem Sauerstoffbedarf des Körpers anzupassen. Vom Hirnstamm gibt es weitere Verbindungen zum limbischen System und auch zu den übergeordneten Strukturen des Grosshirns. Diese Verbindungen erklären, weshalb wir zusätzlich mit unserem Willen unsere Atmung als einzige vegetativ gesteuerte Funktion beeinflussen können und wie Gefühle auf unsere Atmung wirken. Reize wie zum Beispiel Dehnung, Druck oder Berührung erhöhen die Atemaktivität mittels Mechanorezeptoren. Starke Schmerzen können die Atemaktivität hemmen. Schreckmomente stoppen gar unter dem Einfluss des limbischen Systems die Atmung! Therapeutische Interventionen wie Behandlungen setzen Reize, die über efferente Nervenbahnen die Atmung beeinflussen können. Zusammenfassend können wir sagen, dass die Atmung eine Mittlerrolle zwischen dem vegetativen Nervensystem, dem Willen, den Emotionen, dem Bewegungssystem und dem ganzen Körper spielt. Alles bildet eine zusammenhängende Einheit!

Die Atemmechanik

de.wikipedia.org | Darstellung des Zwerchfells

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Das Zwerchfell (Diaphragma) ist der wichtigste Inspirationsmuskel und bildet das Fundament einer gesunden Atmung! Das Zwerchfell ist der Sitz der Emotionen. Das Weinen oder Lachen beginnt hier, nicht umsonst sagt man, dass Lachen die beste Medizin ist.

— Die dritte grössere Öffnung bildet das Hohlvenenloch, das Foramen venae cavae. Durch dieses Loch zieht der rechte Nervus phrenicus und die untere Hohlvene, die Vena cava inferior, die das Blut aus der unteren Körperhälfte zurück zum Herzen transportiert. — Es gibt noch weitere kleinere Öffnungen.

Das Zwerchfell ist eine grosse Muskel-/Sehnenplatte und trennt die Brust- und die Bauchhöhle voneinander. Die kuppelförmige Form des Diaphragmas bildet den Boden der rechten und linken Pleurahöhle. Das Zentrum des Diaphragmas bildet das Centrum tendineum diaphragmatis, eine herzförmige Aponeurose. Das Zwerchfell hat eine Form einer Kuppel einer Kathedrale, die von Säulen getragen wird. Man unterscheidet drei Teile des Zwerchfells (DocCheck Flexikon): 1. Der Pars lumbalis (Lendenteil) mit seinen Ursprüngen an den Lendenwirbelkörpern 1.- 3. (Chrus mediale sinistrum) und 1.- 4. (Chrus mediale dextrum). 2. Der Pars costalis (Rippenteil): Diese Fasern entspringen an den Innenseiten der Rippenknorpel der unteren 6 Rippen rechts und links. 3. Der Pars sternalis (Brustbeinteil): diese Fasern entspringen an der Hinterseite des Processus xiphoideus des Brustbeins (Sternum) und ziehen bogenförmig in die Zentralsehne ein. Im Zwerchfell gibt es drei grosse Öffnungen, die den Durchtritt lebenswichtiger Körpersysteme ermöglichen: — Durch eine Öffnung (Hiatus aortae) ziehen die Hauptschlagader, die Aorta und ein grosser Lymphsammelstamm, der Ductus thoracicus durch. — Durch eine weitere Öffnung (Hiatus oesophageus) ziehen die Speiseröhre (Ösophagus), der linke Nervus phrenicus mit den beiden Hauptstämmen des Nervus vagus. Der Vagusnerv ist der grösste Nerv des parasympathischen Systems und reguliert die Tätigkeit fast aller innerer Organe und des Verdauungssystems.

Es wird ersichtlich, dass alle diese lebenswichtigen Strukturen, die durch die Öffnungen des Zwerchfells hindurchziehen, direkt von der Funktion des Zwerchfelles abhängig sind! Es besteht eine enge Beziehung zwischen dem Zwerchfell und dem Stoffwechselsystem, den regenerativen Körperfunktionen und dem Lymph- und Blutkreislaufsystem. Bei jeder Einatmung zieht sich das Zwerchfell zusammen und drückt die Abdominalinhalte nach unten. Diese Bewegung wölbt deutlich sichtbar die Bauchwand nach vorne. Fast gleichzeitig oder etwas verzögert, verkürzen sich die Zwischenrippenmuskeln, die den Brustkorb seitwärts und nach vorne oben ausweiten. Durch diese beiden entgegengesetzten Bewegungen wird das elastische Lungengewebe auseinander gedehnt. Durch das Volumen, welches dadurch in der Lunge entsteht, kann die Einatmungsluft einströmen. Alle diese Muskeln kooperieren bei einer idealen Atmung miteinander. Die ökonomischste Form der Atembewegung ist eine Kombination von einer Rippen- und einer Bauchatmung. Steigt der Sauerstoffbedarf an, wie zum Beispiel bei sportlicher Betätigung, können weitere Muskeln, die sogenannten Atemhilfsmuskeln, den Brustkorb noch weiter anheben. Sie unterstützen und verstärken dadurch die Atmung. Bei der Ausatmung entspannen sich das Zwerchfell und die Zwischenrippenmuskeln. Das elastische Lungengewebe zieht sich bei Ausatmung zusammen. Der Bauch wird wieder flacher und der Brustkorb schmaler. Atmen wir vollständig aus, bewegt sich das Zwerchfell nach oben gegen das Herz und die Lunge und belebt und stärkt diese Organe.

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Die Atmungsbewegung erfordert eine grosse Beweglichkeit des Brustkorbes, «der Thorax ist führend, was die Anzahl an Gelenken angeht, denn man zählt dort nicht weniger als 150: Man findet Gelenke an der Brustwirbelsäule, am Sternum, an den Rippen und am Schlüsselbein» und «alle diese Gelenke verleihen dem Brustkorb eine grosse Beweglichkeit» (Barral J.-P. 2011: S. 167). Für Sutherland war die Atmung der Ausgangspunkt, womit er mit seinen Forschungen begann: „Hier fing ich an, etwas herauszufinden in Bezug auf den Atemmechanismus des lebendigen menschlichen Körpers. Ich erlangte Wissen über die Tide Innewohnendes, das ich den Atem des Lebens nenne, nicht das Einatmen von Luft“ (Sutherland W.G. 2008: S. 17). Im Bezug zu den vier strukturellen Ebenen der Cranialen Osteopathie sind nun in der folgenden Übersicht die für die Atemtherapie relevanten Elemente zugeordnet.

de.wikipedia.org. Bild: Darstellung der Alveolen, die kleinsten Einheiten der Lunge, in denen die Diffusion von Sauerstoff und Kohlendioxid stattfindet

Übersicht relevante Strukturen, ergänzt aus der Sicht der Atemtherapie Erste Ebene

Zweite Ebene

Dritte Ebene

Vierte Ebene

Knochen und Knorpelgewebe:

Binde und Stützgewebe:

Flüssigkeitsräume:

Organgewebe:

Wirbelsäule mit HWS, BWS, LWS und Sacrum, Brustkorb, Rippen und Costovertebralgelenke, Sternum, Becken und Knochen der Extremitäten

Longitudinale und Transversale Faszien, obere Thoraxappertur, Zwerchfell und Beckenboden

Die Qualität der Ausbreitung der Atmungsbewegung innerhalb des Körpers, die vom Flüssigkeitszustand des Körpers und des Gewebes abhängig ist. Die Gleitfähigkeit der serösen Schichten.

Atmungs-, Kreislauf- und Verdauungsorgane Mediastinum

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Zusammenhänge zwischen dem Cranialen Rhythmus und dem Atemrhythmus? «Die Frequenz der primären Atmung ist im Vergleich zum Herzschlag und der Atmung relativ stabil und schwankt nicht so stark aufgrund von Einflüssen aus unserer Umgebung» (Kern M. 2011: S. 36). Nach der Osteopathin Dr. Fryman ist die thorakale Atmung schneller veränderbar als die primäre Atmung, welche relativ konstant und stabil sein soll. Dabei soll das sekundäre Atmungssystem als ein Bindeglied zwischen stets veränderlichen äusseren Einflüssen und einem konstanten inneren Milieu funktionieren. «Im therapeutischen Prozess kann oft beobachtet werden, dass die primäre Atmung die Dysfunktion auflöst und reintegriert. Dabei kommt es zur Änderung des sekundären Atmungsmusters wie vertiefte Atmung, Apnoe oder einem seufzenden Atemzugs» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S.41). Spielt dabei der primäre Atemrhythmus bei der Steuerung der sekundären Atmung eine übergeordnete Rolle? Es ist anzunehmen, dass die beiden Rhythmen aufeinander abgestimmt sind, um ein einwandfreies Funktionieren des Organismus zu ermöglichen. Nur so kann das innere Milieu, die Homöostase, aufrechterhalten werden. Was aber bildet ein konstantes inneres Milieu? Patterson beschreibt im Buch Morphodynamik in der Osteopathie, dass «die grossen umfassenden Systeme den Körper in einer solchen funktionellen Weise verbinden, wie z. B. durch das zirkulatorische System, das endokrine System und das Nervensystem.» (Patterson M. in Liem T. 2014: S.169). Es sind Regelsysteme, die vernetzt arbeiten und zusammen ein umfassendes System bilden, welches das innere Milieu aufrecht hält. Die Autoren des Buches, «Osteopathie, -Architektur der Balance», unterscheiden folgende Regelsysteme (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S. 8): — Das Herz-Kreislaufsystem — Den Wärmehaushalt — Die Atmung

— Den Wasser- und Elektrolythaushalt — Das metabolische System —D  as endokrine System —D  as Immunsystem —D  as Nervensystem und andere Systeme Für diese Systeme ist die Flüssigkeit, die sich in Form des Blutes, der Lymphe, des Liquors, der Interzellular- und Extrazellularflüssigkeit zeigt, sehr wichtig, damit sie einwandfrei funktionieren und ihre Wirkung entfalten können. Die Flüssigkeit schafft eine Verbindung zwischen diesen Systemen. «Für die Stabilität des inneren Milieus ist zunächst einmal die richtige Zusammensetzung der Extrazellulärflüssigkeit von Bedeutung. Dies ist die wässrige Umgebung zwischen den Zellen, wozu auch die Flüssigkeit in den Blutgefässen zählt, einschliesslich der in ihr gelösten Stoffe» (Bierbach E. 2002: S. 118).

Bild Bierbach E. 2002: S. 118

A.T. Still und W.G. Sutherland schrieben den Körperflüssigkeiten eine sehr wichtige Bedeutung zu. «Nicht den Kranken zu heilen ist die Pflicht des Maschinisten, sondern einen Teil des ganzen Systems so anzupassen, dass die Lebensflüsse fliessen und die darbenden Felder (withering fields) bewässert werden können» (Still A.T. 2008 in Kursunterlagen Merkel R. 2011: S. 11). Sutherland meinte: «Alle Gewebe des Körpers sind flüssig. Selbst der Knochen besteht aus Flüssigkeit» (Sutherland W.G. 2008: S. 171). Dr. Viola Freeman umschrieb die Wichtigkeit der Körperflüssigkeit folgen-

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dermassen: «Im gesunden Organismus ist der Strom der Körperflüssigkeit nie unterbrochen -intra- und interzellulläre Flüssigkeit, Lymphe und Liquor befinden sich ständig in rhythmisch strömender Bewegung» (Freeman V. in Blum U., S. 4). Wie wichtig der Flüssigkeitsgehalt für das Gewebe ist, bringen die Autoren des Buches, «Osteopathie, -Architektur der Balance» auf den Punkt: «Ist der Flüssigkeitsanteil im Gewebe reduziert, so ist die Formstabilität und Gleitfähigkeit des Gewebes beeinträchtigt. Der spürbare Eindruck von Flüssigkeitsmangel könnte eine reduzierte Elastizität beziehungsweise ein verengtes körperliches Gefühl sein, in dem der hydrostatische Druck weniger wirkt» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S. 24).

„Alle wichtigen, über das zentrale Nervensystem vermittelten Funktionen hängen von der Flüssigkeitsversorgung ab“ (Kern M. 2011: S. 62).

Das Nervensystem Die Strukturen der primären und sekundären Atmung sind innerhalb des Nervensystems nicht voneinander zu trennen! Das Nervensystem übermittelt Befehle über Neurone, welche viel schneller reagieren können als das endokrine System, welches Informationen mittels Hormone über den Blutweg zu den Wirkungsorten überträgt. Dieses System ist langsamer, kann jedoch jede Zelle erreichen. Es ist weniger selektiv als die Nervenimpulse. Es besteht eine enge Verbindung zwischen dem endokrinen System und dem Nervensystem. Zusammen steuern sie den Ablauf innerer Vorgänge und ergänzen sich in ihrer Wirkungsweise. Das Nervensystem wird unterteilt in ein zentrales und ein peripheres Nervensystem. Das zentrale Nervensystem besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Alle ausserhalb des Gehirns und des Rückenmarks liegenden Nervenzellen und -bahnen werden dem peripheren Nervensystem zugeordnet. Diese Unterteilung ist je-

doch nur theoretisch möglich; funktionell lassen sich die beiden Systeme nicht voneinander trennen. Das vegetative Nervensystem Nach funktionellen Gesichtspunkten wird das Nervensystem weiter in das somatische oder willkürliche Nervensystem, welches die quergestreifte, willkürlich beeinflussbare Muskulatur des Bewegungsapparates versorgt, und in das vegetative (autonome) Nervensystem, welches vor allem die glatte Muskulatur steuert, unterteilt. Die glatte Muskulatur kann nicht durch unseren Willen beeinflusst werden; sie funktioniert automatisch ohne unser Bewusstsein. Das vegetative Nervensystem reguliert hauptsächlich die Funktionen der inneren Organe, wie beispielsweise die Atmung, das Herz-Kreislaufsystem, die Verdauung, den Stoffwechsel, den Wasserhaushalt und die Temperaturregulierung. Es gibt zwei wichtige Gegenspieler innerhalb des vegetativen Nervensystems, den Sympathikus und den Parasympathikus. Das dritte System innerhalb dieses Systems ist das Darmnervensystem, das enterische System, auch als Bauchhirn bekannt. Das Darmnervensystem koordiniert vorwiegend die Magen- und Darmaktivität. Die Neurone des Sympathikus liegen im Seitenhorn des Zervikal-, Thorakal-und Lumbalmarks. Die Neurone des Parasympathikus sind in Teilen der Hirnnervenkerne und im Sakralmark angelegt. Der Sympathikus ist der anregende Anteil in uns und befähigt uns zum Kämpfen und Flüchten. Er tritt auch bei Stress in den Vordergrund. Der Sympathikus steigert zum Beispiel die Herztätigkeit, die Durchblutung, erweitert die Bronchien, erhöht den Tonus der Muskulatur und drosselt die Verdauung. Der Parasympathikus, sein Gegenspieler, steht für Ruhe, Verdauung und Regeneration. Der Parasympathikus bewirkt das Gegenteil des Sympathikus, er drosselt zum Beispiel die Herztätigkeit, vermindert die Durchblutung, verengt die Bronchien, senkt den Tonus der Muskulatur und kurbelt die Verdauung an. Der wichtigste Nerv des parasympathischen Systems ist der Nervus Vagus.

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Der Sympathikus und der Parasympathikus beeinflussen sich gegenseitig und ergänzen sich in ihrer Wirkung zu einem vernetzt agierenden System, welches die vegetativen Funktionen ausgleicht. Für ein einwandfreies Funktionieren ist die kontinuierliche Informationszufuhr und -verarbeitung von grosser Bedeutung. Das vegetative Nervensystem agiert eng mit dem Hormonsystem, welches hauptsächlich vom Hypothalamus als oberstem Regler gesteuert wird. Der Hypothalamus befindet sich im Zwischenhirn (Mesencephalon). Die Hormone müssen exakt aufeinander abgestimmt werden. Diese Abstimmung geschieht durch Regelkreise, die sich durch Hemmung und Stimulierung der Hormonproduktion in der Waage halten.

Bild Prometheus, S. 388

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Der Autor Liem fasst die komplexe Steuerung des vegetativen Nervensystems in Form mehrerer Integrationsstufen wie folgt zusammen (Liem T. 2014: S.78): 1. Autonome Peripherie (Grundsystem) 2. Peripher-spinale Stufe («segmentreflektorischer Komplex») 3. Rhombo-mesencephale Stufe (Medulla oblongata, Pons, Formatio reticularis, Tectum u.a.): Herz-Kreislauffunktion, Vigilanz, Rhythmik, Gammamotorik usw. 4. Dienzephale Stufe (Thalamus, das Tor zum Bewusstsein und Hypothalamus) 5. Kortikale Stufe (limbisches System, psychische Phänomene bei somatischen Krankheiten usw.) Erfolgt ein peripherer Reiz, so versucht das System laut Liem diesen Reiz innerhalb dieser Integrationsstufen einem hierarchischen Prinzip folgend zu integrieren. Die Teile dieses Schemas sind allerdings nicht klar voneinander zu trennen, denn «in Wirklichkeit ist wahrscheinlich jedes Teilsystem über alles informiert (holographische Sichtweise)» (Liem T. 2014: S. 78). Interessant ist der Hinweis von Liem, dass die Nervenfasern «nicht direkt an den Organparachymzellen, sondern im Grundsystem» enden und «das vegetative Nervensystem durchdringt mittels feinster Geflechte die Grundsubstanz.» (Liem T. 2014: S. 78 f.). «Es gibt keine exakt definierten vegetativen Nervenendigungen in der Peripherie. Vielmehr handelt es sich nach Stöhr, Reiser und van der Zypen um ein Terminalretikulum; ein endigungsloses, feines, neurofibrilläres Maschenwerk. Dieses scheint fast übergangslos im Grundsystem integriert zu sein»(Liem T. 2014: S. 80). Da das Grundsystem aus vielen Anteilen Flüssigkeiten besteht, ist es demnach denkbar, dass, wie Kern beschreibt, «das Flüssigkeitssystem des Körpers die lebenswichtige Potency des Breath of life verteilt» (Kern M. 2011: S. 39) und es ist eine Art «Flüssigkeit in der Flüssigkeit» (vgl. Sutherland W.G. 2008) wahrzunehmen. Es ist anzunehmen, dass das Bindegewebe eine wichtige Rolle dabei spielt, denn das Bindegewebe und die Grundsubstanz stehen in engem Kontakt zu den Zellelementen des menschlichen Körpers. «Blut-, Lymphgefässe und Nerven enden in der Grundsubstanz und setzen sich nicht weiter in die Zelle hinein fort. All

diese Systeme führen der Grundsubstanz Nährstoffe und Informationen aus der Peripherie zu und nehmen Abbauprodukte des Stoffwechsels und Informationen aus der Zelle wieder mit» (Paoletti S. 2011: S.123). Diese Bereiche spielen eine Schlüsselfunktion bei der Kommunikation von Austauschprozessen innerhalb verschiedener Organsysteme des Körpers. Die Polyvagal-Theorie Herr Prof. St. Porges, ein Psychiater und Psychophysiologe an der Universität of Illinois, erweiterte die Sichtweise, das vegetative Nervensystem nicht nur in das Schema Sympathikus-Parasympathikus zu unterteilen. Er entwickelte 1994 die Polyvagal-Theorie. Dank dem polyvagalen Nervensystem, so seine These, sind wir befähigt, vermeintliche Gefahren zu relativieren und diese in einen grösseren Zusammenhang zu setzen. Dieses Vermögen wird durch mehrere nervale Verknüpfungen möglich, die über das limbische System mit der kortikalen Verarbeitung erfolgt. Das polyvagale System unterteilt er in 3 Regelkreise, nach den Kursunterlagen der Merkelschule «Hirnnerven, Schwindel, Tinnitus», die man sich bildlich mit einer Ampel vorstellen kann: 1. 1 Rote Ampel: Bei Gefahr kann der Körper, wie wir es aus der Tierwelt kennen, mit einem sogenannten «Totstellreflex» reagieren. Dieser Reflex wird durch das alte, nicht myelinisierte vagale System des im dorsal liegenden Motonucleus des Vagus ermöglicht. Dieses System wird bei akuter Gefahr, Schock oder Trauma aktiviert. 2. 2 Orange Ampel: Es ist das sympathische System des vegetativen Nervensystems, welches bei Gefahr und Stress in Aktion tritt. 3  Grüne Ampel: Der ventrale (neue) Vagus, wird aktiv 3. bei sozialen Kontakten (zum Beispiel Mimik, Augenbewegungen, Stimme, Sprache, Ausdruck usw.) oder auch beim Umsorgen der Kinder. Zu den Hirnnerven des polyvagalen Systems gehören der Nervus Trigenimus V, der Nervus Facialis Vll, der Nervus Glossopharyngeus lX, der Nervus Vagus X sowie der Nervus Accessorius XI.

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Wie werden Rhythmen synchronisiert? „Wir sind polyrhythmische Systeme“ Michael Kern

«Herz und Lunge funktionieren rhythmisch und sorgen so für das versorgende Gleichmass. Einschränkungen der Fähigkeit zu rhythmischem Bewegungsausdruck stehen der Homöostase entgegen» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S.9). «Der primäre respiratorische Mechanismus (PRM) bzw. die primäre Respiration ist ein grundlegendes Modell in der klassischen kranialen Osteopathie. Seine Bestandteile bestimmen nach Sutherland einen inhärenten, am ganzen Körper palpablen Rhythmus, der relativ unabhängig von der Herz- und Lungenaktivitäten und in einem etwas langsameren Rhythmus als die Atmung in Erscheinung treten soll» (Liem T. 2014: S. 51). Laut Liem wurden Phasenkopplungen des PRM- Rhythmus mit der Atmung registriert, doch scheint es nur spärliche Untersuchungen auch in Bezug zu anderen Rhythmen und deren Wechselwirkungen dazu zu geben. «Es sollte vermieden werden», so empfiehlt Liem, «die sog. PRMRhythmen als isolierte, von anderen Rhythmen entkoppelte rhythmische Erscheinung darzustellen oder ihnen ohne jeden wissenschaftlichen Nachweis gegenüber anderen rhythmischen Erscheinungen eine höhere physiologische Bedeutung zuzuweisen» (Liem T. 2014: S. 51).

«abschwellen» und «verschmälern»bei der Exspiration (Kern M. 2011: S. 56). Langwellige Rhythmen, welche komplexere Systeme wie den Gesamtorganismus steuern, werden durch die Hormone gesteuert. Mittelwellige und kurzwellige Frequenzen werden durch das Nervensystem gesteuert. Körpereigene Rhythmen (endogene Rhythmen) werden von exogenen Rhythmen, von der Umwelt auf den Körper einwirkenden Faktoren und verschiedenen weiteren Stimuli, beeinflusst. Um die Homöostase aufrechtzuerhalten, muss auch in dieser Beziehung eine Anpassungsleistung zwischen inneren und äusseren Einflüssen stattfinden. «Langsame Eigenbewegungen (Long Tides) wurden beobachtet. Diese freien und rhythmischen Eigenbewegungen sind Ausdruck eines grösseren Selbstregulierungs- und Selbstheilungspotenzials» (Merkel R. 2009: S. 8). Nach Crisera sollte sich «ein sogenannter zentraler Rhythmus, eine Resonanz in den Zellen bilden» und dieser bezeichnet er «als primäre Respiration» (Liem T. 2014: S. 61). Der Autor bezeichnet die primäre Respiration als eine Bewegung, eine Vibration, die durch verbundene Neurone gebildet wird, als zentrale endogene «Mustergeneratoren» (central pattern generators; CPG). Diese Vibration ist wiederum von der Entwicklung des Zentralen Nervensystems abhängig.

Rhythmische Prozesse und Bewegungen sorgen für eine Integration «räumlich-zeitlicher» Einflüsse auf körperlicher Ebene (Liem T. 2014: S. 52).

Paoletti schreibt, dass wir «Rhythmen aus dem embryologischen Gedächtnis im Schädel, in den Faszien und Organen wiederfinden» (Paoletti S. 2011: S. 11). Es gibt mehrere Hinweise, dass die langsamen Eigenbewegungen, die «Long Tides» von den Einflüssen des Alltags nicht beinflussbar sind, im Gegensatz zu den schnelleren Rhythmen. «Die Long Tide ist die Grundlage aller Regulationsmechanismen des Körpers, und wenn sie erscheint, ist dies ein Hinweis darauf, dass wir uns mit den tiefsten Quellen unserer Gesundheit wieder verbinden.» (Kern M. 2011: S. 41).

Der Autor unterscheidet verschiedene Rhythmen wie langwellige, mittelwellige und kurzwellige Rhythmen. Langwellige Rhythmen haben einen Zyklus von Tagen bis Jahren, mittelwellige einen Zyklus von Minuten bis Stunden und kurzwellige einen Zyklus zwischen Millisekunden bis Sekunden. Das Atmungssystem ist dem mittelwelligen Bereich (Bereich der Organe) zugeordnet. Körperlich zeigt sich der Ausdruck des «Mid-Tide» in den Geweben bei der Inspiration als eine «anschwellende» und «weitende» Bewegung zu den Seiten hin, gefolgt von einem

Die Suche nach der Synchronisation verschiedener Rhythmen liesse sich wohl beliebig erweitern. Es ist anzunehmen, dass dieses komplexe Zusammenspiel immer nur annäherungsweise erfasst und erklärt werden kann. Grundsätzlich sind «Rhythmen von grösserer Wellenlänge in der Regel allen schnelleren Funktionen übergeordnet und beeinflussen auch diese, so kann der Tagesrhythmus den Kreislaufrhythmus beeinflussen oder ein unregelmässiger Tagesrhythmus zu Kreislaufinstabilität führen» (Merkel R. 2011: S.15).

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Kern bezeichnet die Ebenen der «Mid Tide» und der «Long Tide» als «tiefer liegende organisierenden Kräfte» (Kern M. 2011: S. 59). Der körperliche Ausdruck, die körperliche Übertragung dieser Rhythmen ist abhängig von ihren Frequenzen. Es handelt sich um wellenartige Bewegungen innerhalb des Körpers, die für einen Therapeuten spür- oder tastbar sind. Mit zunehmender Schulung des Tastsinnes können oft mehrere Rhythmen gleichzeitig wahrgenommen werden! Diese Bewegungsübertragung erfolgt über das fasziale Netzwerk und die Flüssigkeit des Körpers. Die Faszien bilden ein wichtiges Kommunikationssystem, welches therapeutisch und funktionell von Bedeutung ist. «Die osteopathische Medizin schreibt dem ganzen Fasziensystem eine grosse Bedeutung zu. Es ist ein Kommunikationssystem, welches strukturelle Probleme auf den ganzen Organismus übertragen kann» (Merkel R. 2010, S. 6). Die verbindende Eigenschaft der Faszien kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass «die Faszien ein Interaktionsfeld zwischen fluidalen und mechanischen Einflüssen bilden» (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S. 26).

Die Faszien Der Begriff Faszie stammt vom lateinischen Wort Fascia ab und bedeutet Band, Bündel. «Faszie bezeichnet die Weichteil-Komponenten des Bindegewebes, die den ganzen Körper als ein umhüllendes und verbindendes Spannungsnetzwerk durchdringen» und «die Faszien sind an der Formgebung und - erhaltung des Körpers beteiligt» (Wikipedia). Sie spielen eine wichtige Rolle zum Beispiel bei «hämodynamischen, biochemischen Prozessen, bei Abwehrfunktionen des Körpers» (Wikipedia) und «bilden die Matrix für die interzelluläre Kommunikation». «Faszien spielen eine wichtige Rolle in der Kraftübertragung und der Bewegungskontrolle» (Paoletti S. 2011: S. 117). Faszienbestandteile, Paoletti Serge 2011: S. 102

Man unterscheidet oberflächliche, tiefe und viscerale Faszien voneinander. Die oberflächlichen Faszien befinden sich im Unterhautgewebe in den meisten Teilen des Körpers und vermischen sich mit der retikulären Schicht der Lederhaut (Dermis). Die oberflächlichen Faszien bestehen zum grossen Teil aus lockerem Bindegebe und Fettgewebe. Sie umhüllen Organe, Drüsen und neurovaskuläre Leitbahnen und speichern Fett und Wasser, die den Durchgang für die Lymphe, die Nerven und die Blutgefässe ermöglichen. Sie bilden auch Verschiebeschichten und ermöglichen ein Gleiten verschiedener Gewebeschichten übereinander. Es gibt Vermutungen, dass in dieser Schicht die neurale körperweite Kommunikation stattfindet und die Energie der Meridiane hindurchfliesst. Die tiefen Faszien bilden dichte, faserreiche Bindegewebsschichten und befinden sich in den Muskeln, in den Knochen, in den Nervenbahnen und in den Blutgefässen, durchdringen und umhüllen sie. Die Hauptstämme der Arterien, Venen und Nerven verlaufen laut Paoletti in der Ebene der tiefen Faszien, wo sie besser vor Kompressionen oder Zerrungen geschützt sind. Sie bilden dichte, faserreiche Bindegewebsschichten und - stränge. Lokale Zugkräfte nehmen

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Einfluss auf die Festigkeit der Faszien. Sie erhöhen deren Dichte durch Einlagerung von Kollagenfasern, die dem Gewebe eine höhere «viskoelastische Zugbelastbarkeit» verleihen. Sehnenplatten wie Aponeurosen, grosse flächenhafte Faszien, Ligamente, Sehnen, Gelenkkapseln sind typische fasziale Strukturen. Die Knochen umhüllende Faszie wird als Periosteum, die Knorpel umhüllende als Perichondrium und die Nerven umhüllende Schicht als Perineurium bezeichnet.

dient dem Stoffaustausch zwischen den Zellen und dem Blut» (Paoletti S. 2011: S. 89). Kollagene Fasern sind im Körper sehr weit verbreitet. Sie sind eiweissreich, biegsam und ungeordnet angelegt, jedoch in alle Richtungen leicht nachgebend. Kollagene Fasern sind zugfest. Elastische Fasern sind in Längsrichtung angeordnet und nur in dieser Richtung elastisch dehnbar. Retikuläre Fasern sind auch elastisch, jedoch ist die Zugqualität deutlich schlechter.

Die viszeralen Faszien umhüllen die inneren Organe, bewahren ihre anatomische Form, schützen sie vor Erschütterungen und verleihen ihnen einen räumlich begrenzten Bewegungsspielraum. Organspezifisch werden die Faszien zum Beispiel beim Gehirn als Meningen, beim Herz als Perkardium, bei der Lunge als Pleura und beim Bauch als Peritoneum bezeichnet.

Interne und externe Spannungskräfte, die auf das Bindegewebe einwirken, werden auf der Bindegewebsebene durch plastische und adaptive Prozesse beantwortet. Zum Beispiel reagieren die Faszien auf Überstreckung mit Schmerz und Zusammenziehen. So beschreibt Paoletti, dass «anatomische Strukturen wie die reziproke Spannungsmembranen wie die Dura mater spinalis und die Dura mater cranialis, Ligamente, Gelenkkapseln, Sehnen, Aponeurosen, Knorpel, also letztendlich alle Bindegewebe des Körpers imstande sind, sich unter erhöhtem Druck minimal zusammenzuziehen und sich wieder entspannen, wenn der Umgebungsdruck wieder physiologisch wird» (Paoletti S. 2011: S. 125). Ein lebendiges gesundes Gewebe mit einem intakten Zellstoffwechsel versucht, ungünstige einwirkende Faktoren abzufangen. Chronische Belastungen, Traumen oder ungünstige Zugkräfte hinterlassen jedoch Spuren im Gewebe, die ungünstige strukturelle Veränderungen wie Verdichtungen der Faszien verursachen und die im Tastbefund als verhärtete, schmerzhafte Strukturen auffallen. So zählen laut Paoletti Adhäsionen (Verwachsungen oder Fixierungen) zu den häufigsten Erkrankungen des Bindegewebes. Auch die organspezifische Dicke von Kollagenfasern nehme im Alter zu, die Elastizität von Faszien verringere sich, so der Autor weiter. Die Faszien sind wichtige Leiter der Körperenergie. Kontraktionen oder Überstreckung beeinträchtigen den energetischen Fluss.

„Faszien sind in der Körperperipherie in Zonen stärkster Belastung dicker und robuster. Das führt zu einem äusserst dicken Faszienüberzug in Gelenkbereichen, vor allem an stabilisierenden Strukturen wie den Bändern“ (Paoletti S. 2011: S.118).

Das Bindegewebe besteht hauptsächlich aus drei Anteilen, den Zellen, den Fasern und der Grundsubtanz. Von den Bindegewebszellen werden drei verschiedene Faserarten, kollagene, elastische und retikuläre Fasern und die Grundsubstanz, bestehend aus Mucopolysaccharide und Hyaluronsäure gebildet. Die Zusammensetzung, das Mischverhältnis des Bindegewebes und der Flüssigkeitsgehalt der Grundsubstanz verleihen dem Gewebe verschiedenste mechanische und energetische Eigenschaften. Die Zusammensetzung hat einen grossen Einfluss auf die Elastizität, Viskosität, Plastizität, Widerstandsfähigkeit und Biegsamkeit des Bindegewebes. Die Grundsubstanz hat eine flüssige Konsistenz und «kann in Ihrer Dichte von völlig wässrig bis dickflüssig, eher gel-ähnlich sein» (Kern M. 2011: S.101), «die veränderliche Beschaffenheit (Viskosität) ermöglicht, Wasser im Gewebe zu binden, verhindert eine Infektionsausbreitung und beeinflusst den Zellstoffwechsel» (Paoletti S. 2011: S.101). «Die Grundsubstanz wird teilweise von Gewebezellen gebildet und

Für die Behandlung der Faszien ist die Erkenntnis wichtig, dass eine heftige Zerrung vorwiegend nur den elastischen Anteil streckt. Bleibt die einwirkende Zugspannung dosiert und arbeitet man mit dem Faktor Zeit und nicht mit dem Faktor Kraft, werden die kollagenen Fasern genügend Zeit haben, um mit adaptiven Veränderungen in die erwünschte Richtung zu reagieren. Für die Betrachtung des Fasziensystems, welches den ganzen Körper wie ein grosses, zusammenhängendes

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Netz verbindet, ist die Unterscheidung der longitudinalen Faszien von den Querfaszien bedeutsam. Laut Kern sind «der Grossteil der Faszien in längsgerichteten Bahnen angeordnet» (Kern M. 2011: S. 103). Folgende Querfaszien, auch transversale Faszien oder Diaphragmen genannt, sind in der Cranialen Osteopathie von Bedeutung und bilden störungsanfällige Übergangsregionen: — Tentorium (Craniales Diaphragma) — Obere Thoraxappertur — Zwerchfell (Diaphragma) — Beckenboden (Diaphragma Pelvis) Querfaszien mit einer lockeren Muskel- und Bindegewebsstruktur ermöglichen den freien Durchtritt der longitudinalen verlaufenden Bindegewebsstrukturen.

Schlussfolgerung „Zur Reintegration strebt man wieder freien Ausdruck den verschiedenen Systemen im einzelnen wie im Ganzen an“ (Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: S. 84).

Auf die Fragen, die am Anfang dieser Arbeit gestellt wurde, gibt es keine allgemeingültigen Antworten dazu. Auf der Suche nach Antworten wurde jedoch klar, dass die komplexe Regulation der körperlichen Funktionen im therapeutischen Setting nicht nur funktional, sondern ganzheitlich betrachtet und angegangen werden sollte. Die Fokussierung auf den Atemrhythmus lässt sich mit einem weiteren Rhythmus, dem Cranialen Rhythmus, erweitern. Der Atemrhythmus ist kräftiger und deutlicher erkennbar. Mit zunehmender Übung können jedoch beide Rhythmen oder mehrere weitere Rhythmen gleichzeitig miteinander wahrgenommen werden. In der Praxis ist es unumgänglich, alle in der Arbeit erwähnten Ebenen, die Knochen, die Faszien, die Flüssigkeiten und die Organe voneinander zu unterscheiden und zu differenzieren. Diese Differenzierung erfordert genaue anatomische Kenntnisse und ist hilfreich für

eine Orientierung im Körper während den Behandlungen. Eine dysfunktionale Struktur sollte jedoch nicht isoliert, sondern immer als einen Teil des gesammten Organismus betrachtet werden, ganz im Sinne von A.T. Stills Leitsatz „find it, fix it, leave it alone“ (Still A.T. in Merkel R. 2009: S.3). Mit „leave it alone“ sind die körperlichen Fähigkeiten und Prozesse gemeint, die als körperliche Selbstheilungs- und Selbstregulierungskräfte in Erscheinung treten, die nach einer Behandlung folgen. Die Atmung ist über unseren Willen direkt oder über das vegetative Nervensystem indirekt auf der unbewussten Ebene beeinflussbar. Die primäre Atmung ist ein unbewusster Vorgang. Diese Unterscheidung ist auch in der praktischen Arbeit und bei der Anwendung der Atemtherapie und der Cranialen Osteopathie von Bedeutung. Diese Methoden ergänzen sich, da sie gemeinsam das gesamte Spektrum abdecken, da auf der bewussten und der unbewussten Ebene die Atmung beeinflusst werden kann. Der komplexen Regulation der Atmung kann somit ganzheitlich und nachhaltig begegnet werden. Auf der unbewussten Ebene mit der Atmung zu arbeiten, berücksichtigt die natürlichen Vorgänge des Körpers, da die Atmungsfunktion mit allen Organ- und Steuerungsfunktionen des Körpers und des Gehirns in Verbindung steht.

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Literaturverzeichnis Lang Antoni, Saatweber Margarete 2 2011 (2010): Stimme und Atmung. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH. Barral Jean-Pierre 2011: Die Sprache der Gelenke. München: Südwest Verlag. Bierbach Elvira 2 2002 (2000): Naturheilpraxis heute. München: Urban & Fischer Verlag. Blum Udo: Kursunterlagen Merkelschule. Die Behandlung des Flüssigkeitsorganismus, Manual A. Dräger K., van den Heede P., Klessen H. 2011: Osteopathie -Architektur der Balance. München: Urban und Fischer. Kern Michael 2011: Die Weisheit im Körper. München: Pflaum Verlag. Liem Torsten 2010: Checkliste Kraniale Osteopathie. Stuttgart: Hippokrates Verlag. Liem Torsten 5 2010 (1998): Kraniale Osteopathie. Stuttgart: Hippokrates Verlag. Liem Torsten 2 2014 (2006): Morphodynamik in der Osteopathie. Stuttgart: Haug Verlag. Merkel Rudolf 2009: Schulungsunterlagen Grundkurs. Obfelden: Stillpoint Verlag, Schule für Craniale Osteopathie. Merkel Rudolf 2010: Schulungsunterlagen 2. Teil. Bindegewebe und Hirnhäute. Obfelden: Stillpoint Verlag, Schule für Craniale Osteopathie. Merkel Rudolf 2011: Schulungsunterlagen 5. Teil. Energie/Biodynamik. Obfelden: Stillpoint Verlag, Schule für Craniale Osteopathie. Merkel Rudolf 2011: Hirnnerven, Schwindel, Tinnitus. Obfelden: Stillpoint Verlag, Schule für Craniale Osteopathie. Merkel Rudolf 2011: Von der Struktur zur Biodynamik. Obfelden: Stillpoint Verlag, Schule für Craniale Osteopathie. Paoletti Serge 2 2011 (1998): Faszien. München. Urban und Fischer. Schünke Michael, Schulte Erik, Schuhmacher Udo, Voll Markus, Wesker Karl 2 2009 (2006): Prometheus. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag Sutherland William Garner 2 2008: Das grosse Sutherland-Kompendium. Pähl: JOLANDOS.

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