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January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Religionswissenschaft, Judentum
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Menschenrechte und Grundwerte im Judentum Sammy Jossifoff Menschenrechtliche Denkansätze wurden zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturen entwickelt. Doch erst im Zeitalter der europäischen Aufklärung wurden unveräußerliche und universell geltende Menschenrechte für eine breite Öffentlichkeit formuliert. Sagt man. Aber! Wir finden im Denken des Buddhismus im 6. Jh. v.d.Z. und bei dem indischen Geschichtsschreiber Manu im 2./3. Jh. n.d.Z. Elemente, die menschenrechtliche Mindeststandards definieren. Auch die chinesischen Philosophen Konfuzius (551-479 v.d.Z.) und Menzius (372-289 v.d.Z.) hatten bereits hohe ethische Maßstäbe entwickelt. Wir kennen auch die Gesetze von Hammurabi, dem Babylonier (1728-1686 v.d..Z.), und manche andere. Und jetzt einige Aussagen zu den Menschenrechten und Grundwerten im Judentum. Das Judentum ist die Wurzel und das Fundament der anderen zwei abrahamitischen und monotheistischen Religionen: Christentum und Islam. Nicht umsonst ist der Tanach – die Hebräische Bibel – vom Christentum und vom Islam als heiliges Buch anerkannt. Das Christentum hat die Hebräische Bibel wortwörtlich ganz übernommen, der Islam in wichtigen und zentralen Teilen. Sie, die Hebräische Bibel, ist die Grundlage der jüdischen Religion. Sie ist das geistige Ureigentum des Judentums. Sie ist entstanden Jahrhunderte vor dem Christentum und dem Islam. Die Hebräische Bibel besteht aus der Tora (den fünf Büchern Mose), den Newi’im (den Propheten) und den Ketuwim (den Schriften und Psalmen). Die Tora ist die Verkörperung des jüdischen Glaubens. Sie enthält die Bedingungen des Bundes des jüdischen Volkes mit G’tt. Sie ist es, die den Juden zum Juden macht. Aus dem jüdischen Denken lässt sich auch der Ursprung der modernen Demokratie herleiten. Ein wichtiges demokratisches Element wie die Volksbefragung findet sich im 2. Buch Mose: „Da ging Mose hin und berichtete dem Volke alle Worte des Ewigen und alle Rechtsvorschriften; und das ganze Volk antwortete einstimmig und sprach: »Alles, was der Ewige gesprochen hat, wollen wir tun!«“ (Kap. 24:3). „Darauf nahm er [Mose] das Buch des Bundes und las es dem Volke vor; und sie sprachen: »Alles, was der Ewige geredet hat, wollen wir tun und darauf hören.«“ (Kap. 24:7) Der Erste Grundsatz im Judentum ist das Bekenntnis zu dem einzigen G’tt, zum Monotheismus: „Höre Israel! Der Ewige, unser G’tt, der Ewige ist einzig.“ – Hadewarim (5. Buch Mose, Kap. 6:410). Dieses persönliche Bekenntnis wird beim Morgen – und Abendgebet von jedem Einzelnen gesprochen mit innerer Kraft. Das Grundgesetz des Judentums sind die Zehn Worte (Gebote) des Ewigen – Schemot (2. Buch Mose, Kap. 20:1-17) und Hadewarim (5. Buch Mose, Kap. 5:6—18).

-2Die Zehn Worte G’ttes sind die erste Menschenrechtserklärung. Sie lauten: •

Ich bin der Ewige, dein G’tt, der dich aus dem Lande Ägypten herausführte, aus dem Haus der Knechtschaft.



Du sollst keine anderen Götter vor Meinem Angesicht haben. Du sollst dir kein Steinbild noch ein anderes Bild machen von dem, was im Himmel oben, was auf der Erde unten und was im Wasser unter der Erde ist. Bücke dich nicht vor ihnen, diene ihnen nicht, denn Ich, der Ewige, bin ein eifernder G’tt, Der die Schuld der Väter ahndet an Kindern, am dritten und vierten Geschlecht, bei denen, die Mich hassen, Der aber Liebes tut bis ins tausendste [Geschlecht] denen, die Mich lieben und meine Worte wahren.



Sprich den Namen des Ewigen, deines G’ttes, nicht zum Falschen aus; denn der Ewige lässt den nicht unbestraft, der Seinen Namen zum Falschen ausspricht.



Gedenke des Schabbat-Tages, Ihn zu heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk verrichten. Aber der siebte Tag ist ein Feiertag dem Ewigen, Deinem G’tt, kein Werk darfst du verrichten, weder du, noch dein Sohn, deine Tochter, noch dein Diener, deine Magd und dein Vieh, noch der Fremde, der in deinen Toren weilt. Denn in sechs Tagen hat der Ewige den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was darin ist, und Er ruhte am siebten Tag. Daher segnete der Ewige den Schabbat-Tag und heiligte ihn.



Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit deine Tage lang werden auf dem Boden, den der Ewige, dein G’tt, dir gibt.



Du sollst nicht morden.



Du sollst nicht ehebrechen.



Du sollst nicht stehlen.



Mache keine falsche Zeugenaussage gegen deinen Nächsten.



Begehre nicht das Haus deines Nächsten; begehre nicht die Frau deines Nächsten, seinen Diener, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel und nichts, was deinem Nächsten gehört. (nach dem 2. Buch Mose, Kap. 20:1-17)

Ohne den Glauben an G’tt als den einzigen G’tt und das Befolgen Seiner Worte gibt es kein Judentum. Alle anderen Gesetze sowie alle Gebote und Verbote, die in der schriftlichen als auch in der mündlichen Tora erwähnt sind, sind direkt oder indirekt von den Zehn Worten G’ttes abgeleitet. Entscheidendes Merkmal des Bundes, den G’tt mit dem jüdischen Volk geschlossen hat und der sich in den Zehn Worten (Geboten) manifestiert, ist seine Ewigkeit und Unwiderruflichkeit.

-3Dieser Bund ist Ausdruck von G’ttes Treue gegenüber den Menschen. So steht im 2. Buch Mose, Kap. 31:16-18: „So soll das Volk Israel den Schabbat hüten und halten, auch alle seine nachkommenden Generationen sollen ihn halten als einen ewigen Bund. Er, der Schabbat, ist ein ewiges Zeichen zwischen Mir und dem Volk Israel. Denn in sechs Tagen machte G’tt Himmel und Erde, aber am siebenten Tag ruhte Er und erquickte Sich. Und als G’tt mit Mose zu Ende geredet hatte auf dem Berg Sinai, gab Er ihm die beiden Tafeln des Gesetzes (die zehn Worte), die waren aus Stein und vom Finger G’ttes geschrieben.“ Alle diese Gesetze, Gebote und Verbote regeln die Beziehungen zwischen dem Ewigen und dem Einzelnen sowie die zwischenmenschlichen Beziehungen. Ohne Regeln kann keine Gesellschaft überleben. Die jüdische Gesetzgebung ist die erste Gesetzgebung der Menschheit, die Gültigkeit hat für alle Menschen, den König inbegriffen. Bis dato standen die Könige anderer Nationen über dem Gesetz. Gesetze, Gebote und Verbote sind im Judentum keine Dogmen, sondern Lebensrichtschnur für das Volk. Das Judentum hat es immer geschafft, sich zu erneuern, ohne seine Tora zu ändern, und zwar durch zeitgemäße, lebensnahe Interpretation der Gesetze. Dadurch hat das Judentum Jahrtausende überlebt, auch den Holocaust, wohingegen andere große Kulturen aus der Weltgeschichte verschwanden, wie z.B. die babylonische und die ägyptische. Die Zehn Worte G’ttes beinhalten auch zum ersten Mal in der Geschichte eine soziale Komponente. So ist z.B. der Schabbat Ruhetag in der Woche für Mensch und Tier. Die Zehn Worte G’ttes haben den Menschen die Möglichkeit gegeben zu wählen, selbst zu entscheiden zwischen dem Guten und dem Schlechten und die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. Das bedeutet, dass der Mensch Verantwortung trägt und Rechenschaft über seine Taten gibt. Die jüdische Religion ist eine universale Religion. Als universal erweist sich schon die Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose (Kap. 1 und 2). Adam und Eva sind die Ureltern der ganzen Menschheit. Im 1. Buch Mose (Kap. 5:1) steht: „Dies ist das Buch über die Nachkommen Adams: Am Tage, da G’tt Adam erschuf, bildete Er ihn g’ttähnlich. Männlich und weiblich schuf Er sie und segnete sie und nannte sie Mensch – am Tage, da sie erschaffen wurden.“ Hier zeigt sich auch, dass der Ewige keinen Vorzug dem Mann oder der Frau gibt, sondern Er schuf und behandelte sie beide als gleichberechtigt und sie beide, nur gemeinsam, sind ein Mensch! Das ist eine Ansicht, die man später in der Aufklärung im 18. Jahrhundert in Europa wiederfindet.

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Universal sind auch die sieben Gesetze, die der Ewige Noah gegeben hat, stellvertretend für alle Menschen – 1. Buch Mose (Kap. 9), 5. Buch Mose (Kap. 18:10-12) und Sanedrin (Mischna), Kap. 56 „A“ und „B“, 59 A, 108 B. Sie lauten: 1. Verbot von Götzendienst 2. Segnen des Ewigen und Verbot Ihn zu erniedrigen. 3. Gebot, Richter zu benennen. 4. Verbot von Blutvergießen – Mord. 5. Verbot von Raub. 6. Verbot Fleisch zu essen von noch lebendem Tier. 7. Verbot von Inzest, Homosexualität, Beischlaf mit Tieren, Beischlaf mit einer bereits anderweitig verheirateten Person. Die Noah-Gesetze sind das Ethos für alle Menschen. Die der jüdischen Religion wesentliche Vorstellung der G’ttesbildlichkeit aller Menschen bedeutet für Juden sowie Nichtjuden, dass der Weg G’tt zu erkennen für alle offen steht und alle die Möglichkeit besitzen, die Vernunft als Mittel zur ethischen Vollendung anzuwenden, zum Erreichen des selbstständigen Handelns und der Freiheit. Nach der Auffassung der Hebräischen Bibel kann jeder Mensch auf dem Weg der Offenbarung als auch auf logisch schlussfolgerndem Weg zu philosophisch-religiösen Erkenntnissen gelangen. Denn der Mensch ist ja im Bilde G’ttes geschaffen worden und hat daher Anteil an der g’ttlichen Vernunft. Hier wird somit deutlich, dass Juden keineswegs glauben, die allein selig machende Offenbarung zu besitzen. Mit den Noah-Gesetzen ist die gesamte Menschheit angesprochen. Der Fremdling, der im Judentum als „Sohn Noahs“ betrachtet wird, ist genauso Geschöpf G’ttes wie der Jude. Durch die Befolgung der sieben Noah-Gesetze können alle Menschen ihr Leben untereinander regeln und sich somit dem Schöpfer nähern, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Erwählung Israels durch den Schöpfer kann so erkannt werden als das, was sie ist: die Erwählung für eine bestimmte Aufgabe und eine Funktion im Verhältnis zu G’tt. Das führt aber keineswegs dazu, dass andere Menschen nicht ebenso fromm gegenüber G’tt leben und Gerechtigkeit erlangen können.

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Universell gültig ist auch, was im 3. Buch Mose (Kap. 19) steht: Hier fordert der Ewige Mose auf, zum Volke Israel in Seinem Namen zu sprechen. Mose soll u.a. sagen, wie Juden mit Fremden umgehen sollen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst – Ich bin der Ewige.“ 3. Buch Mose (Kap. 19:18). Oder: „Wenn ein Fremder in eurem Lande weilt, so sollt ihr ihn nicht kränken. Gleich dem Einheimischen unter euch sei euch der Fremde, der bei euch weilt, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremdlinge wart ihr im Lande Ägypten – Ich bin der Ewige, euer G’tt.“ 3. Buch Mose (Kap. 19:33-34). In volkstümlicher Sprache hat es auch Hillel, einer der größten jüdischen Gelehrten, formuliert: „Alles, was dir selbst verhasst ist, tue es deinem Nächsten nicht!“ Von universeller Gültigkeit ist auch die visionäre Aussage des jüdischen Propheten Jesaja zum Weltfrieden. Er sagt: „Dies ist die Offenbarung Jesajas, des Sohnes von Amos. Höret ihr Himmel und horcht auf Erden, denn der Ewige redet … Und geschehen wird es in kommenden Zeiten … Und der Ewige wird richten unter den Völkern und zurechtweisen viele Nationen. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen.“ Jesaja (Kap. 1:1-2 und 2:4-6). So wird es sein, wenn der Messias kommen wird. Er wird aus dem Geschlecht König Davids sein. Das Wichtigste und Universelle dabei ist, dass gute Lebensbedingungen und der Friede auf der ganzen Welt für alle Völker Wirklichkeit werden, wie es die Propheten Jesaja und Micha in der Hebräischen Bibel prophezeit haben. Das Judentum ist erwählt, pflichtgemäß alle Gesetze, die in der Hebräischen Bibel festgeschrieben sind, zu halten, und zwar mit allen Konsequenzen, die daraus folgen. So steht im 3. Buch Mose (Kap. 18:5): „Das Wort des Ewigen: Beachtet meine Gesetze und Rechtsvorschriften; wer nach ihnen lebt, wird durch sie leben.“ Die Ausübung der Frömmigkeit zieht logischerweise die große Wertschätzung von Lernen und Bildung im jüdischen Leben nach sich (vgl. dazu 5. Buch Mose (Kap. 11:18 ff) und Josua, Kap. 1:8). Auch im Buch des Propheten Amos steht das Wort des Allmächtigen: „Nur euch habe ich erwählt von allen Stämmen der Erde, darum will ich an euch ahnden all eure Missetaten.“ Amos (Kap. 3:2). Die jüdische Religion behauptet aber nicht, dass sie besser sei als die anderen Religionen.

-6Das Judentum respektiert alle anderen Religionen. Das Gleiche, nämlich Respekt, wird aber auch von den anderen Religionen dem Judentum gegenüber verlangt. Miteinander leben und Dialog führen kann nur in gegenseitigem Respekt, auf gleicher Augenhöhe und in Akzeptanz funktionieren. So steht im Buch des Propheten Micha: „Denn alle Völker mögen gehen, jegliches im Namen seines G’ttes, und wir werden gehen im Namen des Allmächtigen, unseres G’ttes, immer und für alle Ewigkeit.“ (Kap. 4:5). In Psalm 145 steht: „Der Ewige ist gütig gegen alle und barmherzig gegen alle seine Geschöpfe.“ (Psalm 145:9). Das ist eine eindeutige Ablehnung der Mission und ein Plädoyer für friedliches Zusammenleben. Denn es steht geschrieben: „Auf drei Dingen ruht die Welt: auf der Wahrheit, auf der Gerechtigkeit und auf dem Frieden.“ (Mischna – Sprüche der Väter, Kap. 1:18) Bei dem Propheten Sacharja heißt es: „Diese Dinge sollt ihr tun: Redet Wahrheit einer mit dem anderen, richtet recht und schafft Frieden in euren Toren.“ (Kap. 8:16). Im Judentum gilt: Menschenwürde ist auch eine Verpflichtung des Menschen gegenüber G’tt und der Gesellschaft. Die Grundrechte, das sind die Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes der BRD, sind auch in der Hebräischen Bibel zu finden. In der Präambel des Grundgesetzes der BRD steht: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor G’tt und den Menschen…“ Nach der Hebräischen Bibel schuf G’tt den Menschen nach seinem Ebenbilde. Dieser g’ttliche Ursprung bedingt die prinzipielle Freiheit und Gleichheit aller Menschen. In Artikel 19 (2) steht: In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Auch die Zehn Worte G’ttes in der Hebräischen Bibel dürfen nicht verändert werden. In der jüdischen Lehre steht der Satz: „Deshalb ist nur ein einziger Mensch erschaffen worden, um dich zu lehren, dass, wenn einer eine Person vernichtet, es ihm die Schrift anrechnet, als hätte er eine ganze Welt vernichtet, und wenn einer eine Person erhält, es ihm die Schrift anrechnet, als hätte er eine ganze Welt erhalten.“ (Mischna – Sanhedrin 4:5) Diese jüdische Lehre ist übrigens viele Jahrhunderte später wortwörtlich im Koran übernommen worden. (Sure 5, „Der Tisch“, Vers 32-35)

Mit diesen Aussagen zu den Menschenrechten und Grundwerten im Judentum wollte ich zeigen, wie entscheidend sie das Judentum in seiner über 4000-jährigen Geschichte geprägt haben und weiterhin prägen. Ich wollte zeigen, wie eng die Grundwerte und Menschenrechte mit dem Alltag verbunden sind, welche Standards sie vorgeben, damit Politik und Gesellschaft überall bewahren, was ihre oberste Maxime ist: Die Würde des Menschen zu achten.

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