Ethik in der amtstierärztlichen Praxis.

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Philosophie, Ethik
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Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. Ein Wegweiser

Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. Ein Wegweiser

Vorwort

Als Verantwortlicher für Verbraucher_innengesundheit und Veterinärwesen am Bundesministerium für Gesundheit freue ich mich über den erfolgreichen Abschluss des ­Projekts zur Ethik in der amtstierärztlichen Praxis, das in Zusammenarbeit mit dem Messerli Forschungsinstitut durchgeführt wurde. Der Wandel des Verhältnisses von M ­ enschen und Tieren und die ­ damit verbundenen Widersprüchlichkeiten und Werteumbrüche stellen für das Berufsfeld der Amtstierärzt_innen eine zentrale Herausforderung dar. Besonders Dilemmata wie etwa die Tötung von gesunden Tieren zur Tierseuchen­ bekämpfung, aber auch Fragen zur Vermenschlichung von Tieren haben in unserer ­Gesellschaft eine intensive Debatte über den richtigen Umgang mit Tieren angefacht. Impressum

Amtstierärzt_innen stehen hier im Spannungsfeld zwischen Tierschutz, ö ­ konomischen Fragen, Politik, Recht und Öffentlichkeit. Für die Bewältigung ­ ihrer amtstierärztlichen

Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik in

Aufgaben sind neben der fachwissenschaftlichen Expertise weitere F ­ähigkeiten wie

der amtstierärztlichen Praxis’. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Gesundheit

der Umgang mit schwierigen Entscheidungssituationen, Medienkompetenz, psycho-

gefördert und am Messerli Forschungsinstitut (­Veterinärmedizinische Universität Wien,

logisches Gespür, der Blick fürs Wesentliche in Stresssituationen und insbesondere

Medizinische Universität Wien und ­Universität Wien), Abteilung Ethik der Mensch-Tier-­

ethische Fragestellungen relevant. Dies bleibt für das Berufsbild der ­Amtstierärzt_­innen

Beziehung von 2012 bis 2015 durchgeführt.

nicht folgenlos. Deshalb freut es mich, dass das Bundeministerium für Gesundheit ein Projekt unterstützen konnte, in dem gemeinsam mit Amtstierärzt_innen Hilfestellungen

Projektteam:

für ethische K ­ onfliktfelder in der amtstierärztlichen Praxis erarbeitet wurden. Sei es im

Univ. Prof. Dr. Herwig Grimm (Projektleitung)

Kontext der Tierseuchenbekämpfung oder der landwirtschaftlichen Nutzung von ­Tieren,

MMag. Kerstin Weich (wissenschaftliche Koordination)

in der Konfrontation mit Euthanasie oder Animal Hoarding — Amtstierärzt_innen tragen

Dr. Stefano Saracino (wissenschaftliche Mitarbeit)

Verantwortung und sind aktiv an der Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung

Mag. Christian Dürnberger (wissenschaftliche Mitarbeit und Auswertung)

der Mensch-Tier-Beziehung beteiligt. So ist es das längerfristige Ziel, mit Projekten wie

Hannah Kranz, B. A. (Organisation und Dokumentation)

Vethics for Vets die Amtstierärzt_innen dabei zu unterstützen, ihre Verantwortung strukturiert wahrzunehmen und mit normativen Konflikten besser umgehen zu können.

Herausgeberschaft und Redaktion:

Es freut mich, dass eine große Anzahl an Amtstierärzt_innen und Wissenschaftler_innen

Herwig Grimm, Christian Dürnberger, Kerstin Weich

an den Workshops am Messerli Forschungsinstitut teilgenommen hat und der Einladung

Text: Christian Dürnberger

gefolgt ist, gemeinsam über ethische Fragestellungen nachzudenken. Das große Interesse

Layout: Flora Klonner

an den öffentlichen Veranstaltungen hat zudem gezeigt, dass dieses Projekt nicht nur zur

Wien 2015

Reflexion der Verantwortung von Amtstierärzt_innen beigetragen hat, sondern ­gewiss

ISBN: 978-3-200-04267-4

auch zur Sichtbarkeit des Berufsstandes und seiner Bedeutung in der Öffentlichkeit.

Zitationsvorschlag:

Dr. Ulrich Herzog

Dürnberger, C. / Grimm, H. / Weich, K.: Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. ­­Ein Wegweiser.

Leiter der Abteilung Verbraucher_innenschutz und Veterinärwesen,

Wien 2015

Bundesministerium für Gesundheit, Wien 5

Vorwort

Vorwort

Als Ausbildungs- und Forschungsstätte trägt die Veterinärmedizinische Universität Wien

Wer sich gegenwärtig mit ethischen Fragen zum Umgang mit Tieren auseinandersetzt,

eine hohe Verantwortung für die Gesundheit und das Wohlergehen von Tieren. Gegründet

stößt auf die Notwendigkeit, nicht nur die Tiere in den Blick zu nehmen – sondern e ­ benso die

1765 von Maria Theresia feiert unsere Universität 2015 ihr 250-jähriges Bestehen. Das

menschlichen Akteur_innen. Diese Überzeugung spiegelt sich nicht zuletzt in der Benen-

Jubiläumsmotto „250 Jahre Verantwortung für Tier und Mensch“ umreißt das vielfältige

nung der Abteilung „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“ am Messerli Forschungsinstitut ­wider.

Aufgabenfeld von Tierärztinnen und Tierärzten sowie die besondere gesellschaftliche Be-

Zentrale Akteur_innen der m ­ odernen Mensch-Tier-Beziehung sind dabei unzweifelhaft­

deutung der Veterinärmedizin. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist ein breites

Amtstierärzt_innen. Sie ­waren es daher, die im Fokus des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik

Kompetenzprofil der Tierärztinnen und Tierärzte unabdingbar. Auch die ethische Reflexion

in der amtstierärztlichen Praxis’ standen: Mit welchen ethischen Schwierigkeiten sind sie in

und Bewusstseinsbildung ist Teil dieses Profils. Die tierärztliche Arbeit ist eingebettet in

ihrem Berufsalltag konfrontiert? Welche Werte können dieser Berufsgemeinschaft Orientie-

einen gesellschaftlichen Wertewandel der Mensch-Tier-Beziehung, der somit stets neue

rung geben? Und wie können sie einen professionellen Umgang mit den ­Herausforderungen

ethische Herausforderungen mit sich bringt.

ihrer Profession finden? Fragen dieser Art wurden über drei Jahre im Dialog zwischen Amtstierärzt_innen und Veterinärmediziner_innen sowie Ethiker_innen diskutiert. Zent-

Die Auseinandersetzung mit Ethik in der Veterinärmedizin hat sich in den vergangenen

rale Ergebnisse, Erkenntnisse und Hilfestellungen werden in dem vorliegenden Wegweiser

Jahren maßgeblich intensiviert und auch in der Wissenschaft und Forschung wurden neue

zusammengefasst.

Handlungsfelder geschaffen. Seit der jüngsten Studienplanreform ist die tierärztliche Ethik fixer Bestandteil der Ausbildung. Mit der Etablierung eines Lehrstuhls für die Ethik in der

Der Dank des Messerli Forschungsinstituts geht im Besonderen an das Bundesministerium

Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut bearbeiten seit 2012 Ethikerinnen

für Gesundheit für die Förderung des Projekts sowie an die Teilnehmenden der z­ ahlreichen

und Ethiker gemeinsam mit Veterinärmediziner_innen vor allem praxisrelevante Frage-

Workshops und Veranstaltungen. Ohne ihre Bereitschaft, sich Zeit zu nehmen und sich in

stellungen aus dem tierärztlichen Berufsfeld. Um sich genau mit diesen Fragestellungen

den interdisziplinären Austausch einzubringen, wäre die ethische Begleitung im „luftleeren

auseinandersetzen zu können, ist der enge Austausch mit Tierärzt_innen Voraussetzung.

Raum“ verblieben. In diesem Sinne sei an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich den

‚Vethics for vets — Ethik in der amtstierärztlichen Praxis’ ermöglichte einen mehrjährigen

zuständigen Behörden und Institutionen gedankt, die es ihren Mitarbeiter_innen ermög-

und intensiven Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis mit Fokus auf die amtstierärztliche

licht haben, an den Veranstaltungen teilzunehmen. Darüber hinaus gilt unser Dank allen, die

Tätigkeit. Ich bedanke mich beim Bundesministerium für Gesundheit für die Unterstützung

das Projekt unterstützt haben und auch weiterhin mit uns gemeinsam Debatten über eine

und Ermöglichung dieses Projekts und die gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten.

Ethik in der amtstierärztlichen Praxis führen werden.

Mit den oben genannten Maßnahmen und dem Vethics for vets-Projekt hat Österreich

Prof. Dr. Herwig Grimm

im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle eingenommen. Der Wertewandel in u ­ nserer

Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut,

Gesellschaft wird sich auch in Zukunft fortsetzen, sodass neue Konfliktfelder auftreten

Veterinärmedizinische Universität Wien, Medizinische Universität Wien und Universität Wien

­werden, die einen kontinuierlichen Diskurs zwischen Praxis und Theorie erfordern. Dafür sind wir bestens gerüstet. Dr. Sonja Hammerschmid Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien

6

7

Inhalt 10

Warum ein Wegweiser für eine Ethik



in der amtstierärztlichen Praxis?

63

Schwerpunkt 2: Tiere — lebendiger Rohstoff?

65

Verdinglichung ohne Rücksicht?

67

Moralische Praktiken im Umgang mit Tieren

69

Der Responsibility Check

72

Rhetorik – Wie ist besseres Argumentieren möglich?

80

Kommentierte Auswahlbibliografie

87

Schwerpunkt 3: Der überforderte Mensch

13

Schwerpunkt 1: Tiere töten

14

Besser Sterben. Tiergerechtes Töten.

16

Die Ethical Matrix

20

Zwei Normen amtstierärztlicher Praxis

25

Normenkonflikte als Normalfall

28

Kommentierte Auswahlbibliografie

34

Kadaver — Kreatur — Kotelett. Schlachten

87

Der Mensch als Maß aller Tiere

36

Begriffswolke als Mapping

90

Animal Hoarding — Wenn Tiere überhand nehmen

41

Über Ethik und Tugenden

92

Der ethische Entscheidungspfad

46

Kommentierte Auswahlbibliografie

98

Kulturelle Hintergrundfolien der Mensch-Tier-Beziehung

49

Kadaver — Kreatur — Kotelett. Keulen

50

Animal Disease Intervention Matrix

56

Die Vielfalt amtstierärztlicher Rollen

61

Kommentierte Auswahlbibliografie

101

Kommentierte Auswahlbibliografie

111

Auf dem Weg zu einer Ethik in der amtstierärztlichen Praxis

Warum ein Wegweiser?

Warum ein Wegweiser?

Warum ein Wegweiser für eine Ethik in der amtstierärztlichen Praxis?

und ­informierten Umgang mit ethischen Fragestellungen zu verhelfen sowie argumentative Fähigkeiten in moralischen Streitfragen einzuüben.

Das Verhältnis von Menschen und Tieren ist im Wandel: Nie zuvor wusste der Mensch mehr über die Tiere als heute, nie zuvor wurden mehr Tiere als Nutztiere gehalten als in den ver-

Das Projekt war auf einen intensiven Dialog zwischen Theorie und Praxis ausgerichtet. Im

gangenen hundert Jahren und wohl auch nie zuvor in der Geschichte waren Heimtiere dem

interdisziplinären Austausch trafen ATÄ auf Vertreter_innen der Philosophie, der Rechtswis-

Status eines Familienmitglieds näher als in unseren Zeiten und unseren Breiten. Ein der-

senschaften, der Geschichtswissenschaften oder auch der Psychologie, um in z­ ahlreichen

artiger Wandel zeitigt dabei stets auch Widersprüchlichkeiten und offene Fragen: Warum

Workshops und öffentlichen Veranstaltungen entscheidende Fragen des amtstierärztlichen

werden manche Tiere in unüberschaubarer Zahl geschlachtet und andere als Heimtiere

Berufsfelds zu diskutieren. Im Mittelpunkt der Debatten standen nicht abstrakt konstruierte

gestreichelt? Findet die Mensch-Tier-Beziehung zunehmend zwischen Verdinglichung und

Szenarien, sondern Fallbeispiele aus der täglichen amtstierärztlichen Praxis. Ethische Kon-

Vermenschlichung statt? Stehen Tierschutz und Nutztierhaltung in einem notwendigen

flikte wurden innerhalb von drei Themenschwerpunkten behandelt:

Widerspruch? Und inwieweit kann auch gut gemeinte Fürsorge eine Art von Tierquälerei Tiere töten

bedeuten?

Tiere nutzen Tiere lieben

Diese Widersprüchlichkeiten der modernen Mensch-Tier-Beziehung treten dabei an e ­ inem Ort in besonderer Deutlichkeit zutage: in der amtstierärztlichen Praxis. Sei es bei der Frage nach der Euthanasie von Heimtieren, sei es bei der Betreuung und Kontrolle von

Der vorliegende Wegweiser versteht sich als auswertende Zusammenfassung der in den

­landwirtschaftlichen Tierbeständen, sei es bei der Tierseuchenbekämpfung oder beim Um-

Workshops durchgeführten Arbeiten und Diskussionen. Er soll dazu beitragen, die ethische

gang mit Phänomenen wie Animal Hoarding: Bei all diesen Fragen zeigt sich, dass für die

Reflexion von ATÄ zu fördern, ihnen konkrete und praxistaugliche Hilfestellungen an die

Bewältigung amtstierärztlicher Aufgaben neben der fachwissenschaftlichen Expertise stets

Hand zu geben, unübersichtliche Kontroversen rund um das amtstierärztliche Berufsfeld

auch eine ethische Orientierung in Entscheidungssituationen erforderlich ist. Diese D ­ ia-

zu strukturieren und auf diesem Wege Grundlagen für einen professionellen Umgang mit

gnose war Ausgangspunkt des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik in der amtstierärztlichen

den beschriebenen Spannungsfeldern zu schaffen. Der Wegweiser wendet sich daher im

Praxis’. Wenn Amtstierärzt_innen (im weiteren Verlauf: ATÄ) laufend mit Problemen von

Besonderen an ATÄ selbst — zugleich sind die diskutierten Fragen für jede_n von Relevanz,

moralischer Relevanz konfrontiert sind, ist es ein notwendiges Unterfangen, die ethischen

der_die sich für die ethischen Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung interessiert.

Herausforderungen des amtstierärztlichen Berufsfelds explizit zu machen. Der Begriff „Wegweiser“ im Titel macht deutlich, dass die hier dargestellten Debatten als Das ­Projekt sollte dabei nicht zuletzt für ATÄ den Freiraum schaffen, über Fragen nach-

Schritte auf dem Weg zu einer ‚Ethik in der amtstierärztlichen Praxis’ verstanden werden

zudenken, für die im täglichen Berufsalltag vielleicht kaum Zeit bleibt, die jedoch ohne

können. Ihre Notwendigkeit wird im Spiegel der stattgefundenen Workshops und dem Wi-

Zweifel von besonderer Bedeutung für eine verantwortliche Erledigung ihrer Aufgaben sind.

derhall, den das Projekt über die österreichischen Landesgrenzen hinaus erfahren hat, un-

Auf der Grundlage der Erfahrungen von ATÄ wurden daher in einem ersten Schritt r­ elevante

zweifelhaft.

Zwangslagen und ethische Schwierigkeiten ihres Berufsalltags benannt, um darauf aufbauend unter der Leitung von Ethiker_innen die identifizierten Konfliktfelder ­gemeinsam zu diskutieren. Ziel war, eine selbstständige Reflexion wie einen professionellen Umgang mit den Dilemmata des amtstierärztlichen Berufsfelds zu fördern, zu einem strukturierten 10

11

Warum ein Wegweiser?

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Um die Lesefreundlichkeit zu erhöhen und den Zugriff auf relevante Informationen schnell und gezielt zu ermöglichen, finden sich im Wegweiser folgende wiederkehrende Elemente: Fallbeispiel

Schwerpunkt 1

Tiere töten

Konkrete Fallbeispiele aus der amtstierärztlichen Praxis Aus dem ethischen Werkzeugkasten Instrumente und Hilfestellungen für eine eigenständige, fundierte Diskussion und Bewertung ethischer Fragestellungen Im österreichischen Tierschutzgesetz wird ein „vernünftiger Grund“ für die Tötung von TieAuf dem Weg zu einem amtstierärztlichen Ethos

ren gefordert. Insofern keine konkreten Gründe angeführt werden, bedarf es eines steten

Überlegungen zum amtstierärztlichen Selbstverständnis:

gesellschaftlichen wie von Expert_innen gestützten Aushandlungsprozesses, der darüber

Welche Werte geben in diesem Berufsfeld Orientierung?

reflektiert, inwiefern ein Grund als „vernünftig“ gelten kann — oder nicht. Die Tötung von Tieren wird dabei in höchst unterschiedlichen Kontexten vollzogen. Um das Themenfeld zu

Kommentierte Auswahlbilbliografie

begrenzen, wurden im Rahmen des Projekts Schwerpunkte auf drei Formen der Tiertötung

Weiterführende und vertiefende Literatur

gelegt, die zum einen im amtstierärztlichen Beruf wichtig sind, zum anderen die angesprochenen Widersprüchlichkeiten der Mensch-Tier-Beziehung klar zutage treten lassen und entsprechend oftmals für Polarisierung wie für moralische Empörung sorgen. Diskutiert wurden: die Euthanasie von Heimtieren das Schlachten von Nutztieren das Keulen von Tierbeständen Bei allen drei Kontexten handelt es sich um etablierte Formen der Tiertötung, die unter veterinärmedizinischer Überwachung stattfinden und dem Ideal einer angst- wie schmerzlosen Tötung folgen. Wie im Folgenden gezeigt, zeichnen sich die Kontexte durch ­spezifische ethische Fragestellungen aus, die nach einem professionellen und reflektierten Umgang seitens der ATÄ verlangen.

12

13

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Besser Sterben. Tiergerechtes Töten.

Fallbeispiel A: Bissiger Hund

Der Begriff „Euthanasie“ stammt aus dem Griechischen (eu: gut, leicht; thánatos: Tod) und

 „aus dem Nichts“ heraus seine Besitzerin ins Gesicht gebissen hat

lässt sich als „leichter, guter Tod“ übersetzen. Auch wenn der Begriff in aller Regel im Kontext

und sie dadurch schwer verletzt wurde, wird das Tier in amtstier-

der Heimtierhaltung seine Verwendung findet, ist festzuhalten, dass die Zielsetzung eines

ärztlichen Gewahrsam genommen – und euthanasiert.

„leichten und guten Todes“ ebenso im Kontext von Schlachtung und Keulung Geltung hat. Auch dort soll der Tod eines Tieres angst- und schmerzlos herbeigeführt werden. Gemeinhin jedoch wird mit der Euthanasie von Tieren der durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt

Fallbeispiel B: Überzählige Katzen

herbeigeführte Tod (etwa durch Injektion einer tödlichen Dosis eines Narkotikums) eines

In einem Tierheim, das zu großen Teilen durch öffentliche Gelder un-

Heimtieres aufgrund bestimmter klinischer Indikationen, oftmals wegen Leid und Krankheit,

terstützt wird, herrschen tierschutzwidrige Bedingungen. Obwohl in

assoziiert. Die Einschläferung eines alten, an einer schweren Krankheit leidenden Hundes

den Räumen maximal 30 Katzen gehalten werden können, sind über

kann hierfür als idealtypisches wie wirkmächtiges Beispiel genannt werden: Die Abwägung

60 Tiere untergebracht. Die Tiere sind verwildert und können unter

zwischen ­Lebensschutz und Leidensbeendung kann in diesem Fall so ausfallen, dass der

den herrschenden Umständen nicht tiergerecht versorgt werden.

Schutz des Wohlbefindens des Tieres über den Schutz seines Lebens gestellt wird — und

Anrainer_innen des Tierheims, die die Probleme jeden Tag vor Augen

es daher im Interesse des Tieres zu einer Euthanasie kommt (ein idealtypisches Beispiel,

haben, treten schließlich an die amtstierärztliche Behörde ­heran. Eine

das im Übrigen noch kritisch zu diskutieren sein wird). Die Kategorisierung von bestimmten

im Folgenden diskutierte Strategie zur Lösung des Problems der

Tieren als „Heimtieren“ ist dabei freilich alles andere als eindeutig und präzise. Im öster-

Überbelegung ist eine Reduktion der Katzenanzahl via E ­ uthanasie.

reichischen Tierschutzgesetz werden Heimtiere u.a. als „Gefährten“ beschrieben, als Tiere, die „aus Interesse am Tier“ im Haushalt gehalten werden (§4, 3 TSchG). Ohne näher auf die definitorischen Schwierigkeiten des Begriffs eingehen zu wollen, genügt für den vorliegen-

In beiden Fällen geht es um eine amtstierärztlich angeordnete Euthanasie von weitge-

den Kontext der Befund, dass solche tierischen Gefährten zu zig Millionen in der westlichen

hend gesunden Heimtieren. Wie sind diese beiden Fallbeispiele aus ethischer Perspektive

Welt leben. Die Frage nach dem „guten Tod“ eines Heimtieres ist damit alles andere als ein

zu diskutieren? Stellt man sich die Aufgabe, derartige Szenarien moralisch zu bewerten,

Nischenphänomen. Welche ethischen Implikationen sind der Praxis der Euthanasie nun

verlaufen die Debatten, so die Erfahrungswerte im Besonderen bei Gruppendiskussionen,

inhärent und was ist ihre Bedeutung für den amtstierärztlichen Berufsalltag? Um sich

in aller Regel unstrukturiert: Argumente treffen auf Anekdoten, die Diskussion verliert sich

­diesen Fragen zu stellen, wurden zwei Fallbeispiele bearbeitet.

in Detailfragen oder man kommt auf „Gott und die Welt“ zu sprechen. Um diesem Durcheinander zu entgehen, werden in der angewandten Ethik simple wie intuitiv zugängliche ­Instrumente zur Strukturierung ethischer Diskussionen entwickelt. Eines dieser Instrumente ist die ­Ethical Matrix.

14

15

FALLBEISPIEL

Ein Hund ist mehrfach verhaltensauffällig geworden. Nachdem er

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

DIE ETHICAL MATRIX

Wer mit der Ethical Matrix arbeitet, ist aufgefordert, ein konkretes Szenario unter der Berücksichtigung der drei Prinzipien hinsichtlich

Die Ethical Matrix ist ein Werkzeug zur Analyse ethischer Problem-

ihrer Konsequenzen für die von ihm identifizierten Betroffenen zu

stellungen. Mit ihr soll eine strukturierte Diskussion in moralischen

diskutieren und die Matrix auf diesem Weg schrittweise zu füllen.

Konfliktsituationen ermöglicht werden (Mepham et al. 2006). Die Ethical Matrix wurde Mitte der 1990er vom Bioethiker Ben Mepham

Output

entwickelt und im Rahmen von Vethics vor vets in folgendes

Die Ethical Matrix vermag verworrene Debatten zu ordnen, ethisch

Format adaptiert:

strittige Fragen deutlich zu machen sowie eine Grundlage für eine begründete Entscheidungsfindung zu stellen. Konfliktfelder lassen

Berücksichtigung von

Nutzen

Schaden

Entscheidungsfreiheit

Mithilfe der Ethical Matrix lassen sich die beiden skizzierten ­Fall-

Betroffene a

beispiele diskutieren: Welche Betroffenen sind zu identifizieren und

Betroffene b

sich identifizieren, Kompromisse vergleichen.

wie werden sie von den jeweiligen Entscheidungen berührt? Welche Gründe sprechen für eine Euthanasie? Welche dagegen? Nun

...

besteht die Pointe eines Instruments wie der Ethical Matrix nicht Vorgehen

zuletzt in der selbstständigen Bewertung der Optionen bzw. in den

Die Matrix ist tabellarisch aufgebaut. In einer ethischen Diskussion

hierzu notwendigen Diskussionen innerhalb einer Gruppe. Dennoch

wird nach den Betroffenen gefragt. Dazu ist die Frage zu klären, wer

werden zur Illustration zwei ausgefüllte Matrizen abgebildet, die in

bei der anstehenden Entscheidung zu berücksichtigen ist. In der ­

den Workshops des Projekts erarbeitet worden sind.

linken Spalte werden als Betroffene diejenigen gelistet, die in der ­einen oder anderen Weise von der strittigen Frage berührt werden. So soll sichergestellt werden, dass alle relevanten Interessen und ­Gruppen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Neben diesem ­Aspekt wird in der Matrix ein möglichst breites und intuitiv ­zugängliches Spektrum an ethischen Prinzipien für die Bewertung berücksichtigt: Welchen Nuzzen hat eine bestimmte Strategie für welche Betroffenen? Welchen Schaden verursacht sie? Und schließlich stellt sich die Frage, inwieweit die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen eingeschränkt oder geachtet wird. Die Matrix schließt damit lose an die von Beauchamp / Childress (2001) als zentral erachteten ethischen Prinzipien der Autonomie, des Nichtschadens, der Wohltätigkeit und der Gerechtigkeit an. 16

17

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Teil des Jobs erledigt

Vermeidung von Kosten; Platz für andere Tiere Sicherheit; weniger Arbeitsaufwand Öffentliche Sicherheit

ATÄ

Tierheimmanagement

Tierheimpersonal

Öffentlichkeit /Bürger_innen

„Gute“ Story

Katzen Berücksichtigung von

Überleben Nutzen

Job erfüllt? Schwierige Lösungssuche für Haltungsprobleme Keine tiergerechte Haltung ob der zu großen Zahl Schaden

Vorgabe durch Gesetze; Möglichkeit, Alternativen bereitzustellen Keine Entscheidungsfreiheit

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

 Fallbeispiel B: Keine Euthanasie von überzähligen Katzen

ATÄ

Evtl. „Freude“, nicht 30 gesunde Katzen euthanasieren zu müssen

Keine

19 Weiterhin Kosten für zu viele Tiere

Medien

Keine

Keine

Evtl. Kosten für bessere Haltung

Keine

Wahrschl. dennoch Mitleid

Keine

Keine

Statuten; behördliche Anordnung

Vorgabe durch Gesetz, aber Ermessensspielraum

Keine

Keiner

Evtl. weiterhin „Pflegenotstand“

Besitzerin

Weniger Kosten; Steuergeld für andere Bereiche

Evtl. Mitleid

Evtl. Mitleid

Evtl. Mitleid; evtl. Anfeindungen durch Dritte

Tod

Entscheidungsfreiheit

Steuerzahlende

Evtl. Freude, dass Katzen überleben

Steuerzahlende

Problem gelöst

Keiner (evtl. Vermeidung eines Lebens in „Einzelhaft“)

Hund

Schaden

Katzenpensionspersonal

„Gute“ Story

Katzenpensionsmanagement

Medien

18 Behörde

Nutzen

Berücksichtigung von

Fallbeispiel A: Euthanasie — Bissiger Hund

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Zwei Normen amtstierärztlicher Praxis

dass nicht nur die Interessen der Tiere (und / oder ihrer Besitzer_innen), sondern ebenso Interessen der Öffentlichkeit wie zum Beispiel die öffentliche Sicherheit, die Verwendung

Im Anschluss an das Ausfüllen einer Ethical Matrix können diverse Analysefragen gestellt

von öffentlichen Geldern oder Belange der öffentlichen Gesundheit eine Rolle spielen.

werden: Welches Gut oder Interesse stellt das bedeutsamste in der Abwägung dar? Für

Auch diese Interessen, so wurde deutlich, müssen in bestimmten Fällen als „vernünftiger

­welche Betroffenen und Konsequenzen sind ATÄ überhaupt verantwortlich? Auf welche

Grund“ in Bezug auf Tiertötungen berücksichtigt werden. Andernfalls würden die han-

­können sie einwirken? Im Folgenden sollen jedoch weniger die Diskussionspunkte en ­détail

delnden ATÄ ihren Beruf nicht in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Gesetzeslage

wiedergegeben, sondern der rote Faden der gesamten Auseinandersetzung mit den beiden

und den entsprechenden Aufgaben ausüben. In diesen Normenkonflikten liegt demnach

­Fallbeispielen verfolgt werden. Was zeigen die Diskussionen und der Vergleich der ausgefüllten

eine wesentliche Quelle für die moralische Belastung von ATÄ. Wie auch immer Strategien

Matrizen? Welche Erkenntnisse konnten aus den Diskussionen in den Workshops mit Blick

­einer Entlastung aussehen mögen — die Reflexion auf die leitenden Prinzipien der eigenen

auf das amtstierärztliche Berufsfeld gewonnen werden? Zunächst zeigt sich, dass sowohl

­Arbeit ist unentbehrlich. Mit ihr wird beispielsweise deutlich, dass auch die Norm öffentliche

eine Entscheidung für wie auch gegen eine Euthanasie moralisch herausfordernde Frage-

Interessen auf zentralen ethischen Wertorientierungen der Gesellschaft basiert: Die F ­ rage

stellungen mit sich bringt: Während die Strategie des Euthanasieverzichts das Leben der

nach einem rechtfertigbaren Umgang mit

Tiere rettet, entspricht diese Entscheidung nicht unbedingt dem öffentlichen Interesse, das

öffentlichen Geldern beispielsweise mag

die öffentliche Sicherheit wie auch Fragen eines effizienten wie rechtfertigbaren Umgangs

im ­ Szenario der „überzähligen Katzen“

mit Steuergeldern im Blick hat. In beiden Fallbeispielen werden damit die Schwierigkeiten

noch keine Euthanasie begründen, sie kor-

und das Selbstverständnis des amtstierärztlichen Berufsbilds deutlich: ATÄ haben nicht nur

respondiert jedoch mit dem Prinzip der Ge-

das Wohlergehen des Tieres zu berücksichtigen, sondern ebenso etwaige öffentliche Inter-

rechtigkeit. Öffentliche Gelder sollen nicht

schließlich und über die gesetzlichen

essen miteinzubeziehen. Idealtypisch konnten in den Diskussionen damit zwei Normen frei-

verschwendet werden, sie sollen fair und

Anforderungen hinaus für Tierschutz

gelegt werden, die für die amtstierärztliche Arbeit eine bedeutsame Rolle spielen:

auch wirksam hinsichtlich gesellschaftlicher

zuständig angesehen würden. ­ Gerade

„Selbstbild – Fremdbild?“ Nicht wenige Teilnehmende nannten es ein „gesellschaftliches M ­issverständnis“ ihres Berufs, dass ATÄ als aus-

in der medialen Berichterstattung über-

Zielvorstellungen ihre Verteilung finden. Norm 1 stellt die Frage nach dem individuellen Wohlergehen des



Tieres und der Achtung seines Lebens. Norm 2 stellt die Frage nach den öffentlichen Interessen. Während praktische Tierärzt_innen hauptsächlich mit ethischen Fragen der ­Euthanasie

wiege ­ oftmals der Fokus auf Norm 1

Norm 2 – Öffentliche Interessen in den Blick

– Wohlergehen des Tieres, während

zu nehmen, gleicht demnach keineswegs

Norm 2 – Ö ­ ffentliche Interessen gerin-

einer blinden, bürokratisch angeleiteten

gere Beachtung erfahre. Zugleich ist

Pflichterfüllung — auch hier geht es viel-

zu ­ attestieren, dass derartige Selbst-

mehr um Werte und moralische ­ Grund

und Fremdbilder von Professionen in

überzeugungen.

einem Wechselverhältnis stehen; sie verändern sich und entwickeln sich

im Sinne von Norm 1 – Wohlergehen des Tieres in Berührung kommen, sie also vor allem

weiter. Differenzen — sowohl zwischen

dann mit der Frage der Euthanasie konfrontiert werden, wenn es darum geht, das Leid

ATÄ als auch zwischen Selbst- und

­eines kranken Tieres zu beenden, sind ATÄ mit anders gelagerten ethischen Problemen von

Fremdbild — können Ausgangspunkte

­Euthanasie konfrontiert, da sie ebenso explizit Norm 2 – Öffentliche Interessen in Betracht

für ­Diskussionen und Reflexionen über

zu ziehen haben. Daher ist der Verantwortungsbereich von ATÄ ein tendenziell anderer als

Auftrag und ­ Herausforderungen des

jener von praktischen Tierärzt_innen. Die Teilnehmenden an den Workshops haben deutlich

Berufs sein.

gemacht: Die entscheidende Schwierigkeit in der amtstierärztlichen Praxis liegt eben darin, 20

21

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Von den problematischen Fällen zum Ideal

Zugespitzt ließe sich behaupten, dass die Geschichte von Paula nicht die Geschichte eines moralischen Problems erzählt. Wenn alle Beteiligten übereinstimmen und sich z­wischen

Die Debatten entlang der beiden vorgestellten Fallbeispiele machen Schwierigkeiten

der angestrebten Entscheidung und den persönlichen Überzeugungen kein Widerspruch

­deutlich und legen Defizite offen. Aus der Rede vom Defizit ergibt sich eine Anschlussfrage:

regt, hält sich die ethische Herausforderung in Grenzen. Daraus folgt nicht, dass man die

defizitär vor welchem Hintergrund? Anders gefragt: Wie würde denn ein „idealer Fall“ von

­anstehende Entscheidung nicht „besser“ oder „schlechter“ gestalten könnte: Im vorliegen-

Euthanasie eines Heimtieres aussehen? Im Rahmen des Projekts wurde ein solcher „Ideal-

den Fall von Paula wählen die Tierärztin oder der Tierarzt und die Familie eben nicht nur die

fall“ entworfen.

Option „­Euthanasie“, sondern überlegen sich darüber hinaus, wie diese Entscheidung zum Wohle der Hündin wie auch der Familie am besten umgesetzt werden kann (zum Beispiel

FALLBEISPIEL

durch eine Euthanasie in der vertrauten Umgebung). In der Reflexion wurde deutlich, dass Fallbeispiel C – Paula als Idealfall einer Euthanasie?

eine „­ideale Euthanasie“ im Besonderen dadurch charakterisiert ist, dass „niemandem die

Paula, eine Labradorhündin, ist seit sechzehn Jahren Teil der Familie.

Schuld gegeben werden kann.“ Die Entscheidung für eine Euthanasie liegt „quasi auf der

Eines Tages verhält sie sich auffällig und wird daher in die Tierarzt-

Hand“ und vollzieht sich „ohne viele Worte“, da jedem_jeder Beteiligten klar ist, dass „die Zeit

praxis gebracht. Dort wird Krebs diagnostiziert. Glücklicherweise

gekommen ist“. In diesen Beschreibungen deutet sich eine „wohltuende Schicksalshaftigkeit“

spürt Paula keine Schmerzen. Die Hündin kehrt nach Hause zurück.

der Ereignisse an, die nicht zuletzt einen tiefgehenden Konsens aktueller Moralvorstellungen

Nach ein paar Tagen versammeln sich alle im Wohnzimmer und ver-

zu Mensch und Tier wie auch Leben und Tod signalisiert. Die Entscheidungsträger_innen

abschieden sich von der Hündin. Danach wird Paula im Hausbesuch

­haben weniger den Eindruck, eine Entscheidung zu treffen, als dass sich die Entscheidung

euthanasiert – sie schläft friedlich ein.

von selbst versteht. Die Euthanasie wirkt wie ein notwendiges Schicksal, in das man sich fügt, und weniger wie eine freie Entscheidung zwischen verschiedenen Optionen, die gegen-

Was macht die Geschichte von Paula zu einem Idealfall? Es können

einander abzuwägen wären. Wo die Kategorie „Schicksal“ im Raum steht, lösen sich ein-

verschiedene Aspekte genannt werden, die sowohl den Grund der

deutige Verantwortungen auf.

Euthanasie als auch das spezifische Vorgehen betreffen: Blickt man auf die geschilderten Fallbeispiele A und B zurück, zeichnen sich die Diffe—

das ­fortgeschrittene Alter der Hündin, die auf ein „gutes“ Leben

renzen in aller Deutlichkeit ab: In beiden Fällen spielen die Bedürfnisse des i­ndividuellen



zurückblicken kann

Tieres durchaus eine Rolle, müssen jedoch stärker mit anderen Interessen abgeglichen



ihre Krankheit, die zugleich weitgehend schmerzfrei verläuft

­—

der Krankheitsverlauf, der keine akute Entscheidung notwendig

bzw. das Bedürfnis nach Sicherheit würden den Ausschlag für eine Euthanasie geben.



macht, so dass Zeit für einen Abschied durch die Familie bleibt

Zwar m ­ ögen derartige ökonomische Zwangslagen und gesetzliche Vorgaben in manchem



die vertraute Umgebung, in der die Euthanasie vollzogen wird

Fall auch als eine Art „Schicksal“ empfunden werden, nichtsdestotrotz braucht es hierbei



die Entscheidung für eine Euthanasie, die frei von ökonomi-



schen Zwängen getroffen werden kann

werden. Bei den „überzähligen Katzen“ wie beim „bissigen Hund“ handelt es sich um weitgehend gesunde Tiere. Nicht eine etwaige Krankheit, sondern ökonomische ­Zwänge

­immer noch eine bewusste Entscheidung — andere Optionen wären ebenso denkbar. So kann beim „bissigen Hund“ die Frage gestellt werden, ob durch Erziehungsmaßnahmen das verhaltensauffällige Beißen in den Griff zu bekommen wäre. im Szenario der „überzähligen ­Katzen“ kann, ja muss aus Sicht der Beteiligten gefragt werden, ob alle Alternativen

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

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Normenkonflikte als Normalfall

der_die handelnde Akteur_in tatsächlich für eine Euthanasie entscheiden, wird mit dem

Das altgriechische Wort ethos bedeutete den Griechen einst Sitte

Moment der „bewussten Entscheidung“ eine konkrete Verantwortung greifbar, die im Fall

und Charakter, sprich jene tradierten Gewohnheiten, die einen

der „wohltuenden Schicksalshaftigkeit“ bei „Paula“ zwar auch vorhanden ist, aber ob des

adäquaten Umgang mit Situationen und Problemen des Alltags

allgemeinen Konsenses in den Hintergrund tritt. Verantwortung kann hierbei im ursprüng-

erlaubten. In der Gegenwart findet der Begriff oftmals im Wort

lichen Wortsinn gelesen werden: Gerade wenn eine Entscheidung strittig genannt werden

Berufsethos Verwendung. Gemeint ist damit eine ­grundsätzliche

darf, kann damit gerechnet werden, dass man dafür Rede und Antwort stehen muss.

Orientierung, die das Handeln einer bestimmten Berufsgruppe prägt. Wenn hier wiederholt nach einem amtstierärztlichen Ethos

In den Differenzen zwischen „Paula“ und den Fallbeispielen A und B treten damit noch ein-

gefragt wird, ist die Zielsetzung weniger die Erstellung eines Grund-

mal die beschriebenen Normen in den Vordergrund: „Paula“ kann gerade deswegen als

satzkatalogs im Sinne eines „Du sollst“ bzw. „Du sollst nicht“, son-

Idealfall verstanden werden, da es hier zu keinem Normenkonflikt kommt. Die ­Geschichte

dern vielmehr soll ein reflektiertes Selbstverständnis hinsichtlich

erlaubt einen alleinigen Fokus auf Norm 1 — Wohlergehen des Tieres. Die Entscheidung

zentraler Fragen gefördert werden, die es fallspezifisch in immer

für die Euthanasie ist damit gewissermaßen eine „Privatentscheidung“ und berührt nicht

neuen A ­ nläufen zu d ­ iskutieren gilt: Welche Fragen sind für die

Norm 2 — Öffentliche Interessen, während eben diese bei den Fallbeispielen A und B den

amtstierärztliche Berufsgemeinschaft bedeutsam? Wofür steht

Konflikt ­wesentlich ausmachen. Grundsätzlich zeigen sich in der Geschichte von „Paula“

man in ­seinem Beruf ein? Nach w ­ elchen Prinzipien wird gehandelt?

spiegelbildlich Vorstellungen eines „guten Sterbens“, wie es sich viele Menschen auch für

Welche Werte geben dem B ­ erufsstand Orientierung?

sich selbst wünschen. Die Idealvorstellungen von einem schmerzlosen, friedlichen Tod sind

Was kann nun aus der Diskussion der drei Euthanasie-Fallbeispiele

dabei normativ wirksam, sprich: Auch wenn im Grunde jeder weiß, dass es sich hierbei um

für einen amtstierärztlichen Ethos gewonnen werden? ­Vorweg ist

ein Idealbild jenseits der üblichen Realität handelt, prägen diese Ideale als Norm unsere

eines festzuhalten: Die freigelegten Normen (Wohlergehen des Tie-

Entscheidungen und Erwartungen. Wenn weiter oben nach der Bezugsgröße des Defizits

res und öffentliche Interessen), die für die amtstierärztliche A ­ rbeit

gefragt wurde, dann lautet eine Antwort also: Die beiden Fallbeispiele A und B erscheinen

handlungsleitend sind, können konfligieren — und tun es in der Regel

eben vor dem Hintergrund normativer Idealvorstellungen wie jener von „Paula“ als defizitär.

auch. Darüber hinaus können berufliche Verpflichtungen mit per-

Es sind nicht zuletzt Kontrastfolien von gewünschten Soll-Zuständen, die — explizit oder

sönlichen Einstellungen und moralischen Überzeugungen in Wider-

implizit — unsere Beurteilungen prägen und deren Aufzeigen zu einer höheren Transparenz

spruch geraten. Wo Normen auf diese Art und Weise konfligieren,

der Meinungsbildung aller im Entscheidungsprozess Beteiligten beitragen kann.

dort beginnt nicht nur die Notwendigkeit ethischer Reflexion, dort hat man es auch mit schwierigen Entscheidungen zu tun. In anderen Worten: Normen sind Normen, weil sie sich im gesellschaftlichen Zusammenleben bewährt haben — widersprechen sie einander, haben damit meist beide Standpunkte gute Argumente auf ihrer Seite. Die beiden handlungsleitenden Normen „Wohlergehen des Tieres“ und „öffentliche Interessen“ — auch das machten die Diskussionen in den Workshops deutlich — können hierbei nicht endgültig und nicht im Abstrakten gewichtet werden. Eine Entscheidung, inwieweit nun das

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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

wie etwa das Organisieren von Ersatzunterbringungen geprüft worden sind. Sollte sich

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Tierwohl oder etwaige öffentliche Interessen schwerer wiegen,

Umfeld nicht gerade erleichtert. Wenngleich die einzelne Amtstier-

kann nur fallweise und kontextsensitiv erfolgen. Der Ort der

ärztin oder der einzelne Amtstierarzt nur bedingt Möglichkeiten

­Amtstierärztin oder des Amtstierarztes ist demnach grundsätzlich

hat, die öffentliche Debatte und mediale Thematisierung zu prä-

zwischen ­beiden Normen. Stets muss ob eines konkreten Einzel-

gen, ist das Erkennen und Aufzeigen dieses Defizits — ebenso wie

falls auf Basis der amtstierärztlichen Expertise abgewogen ­werden.

die ­skizzierte Reflexion über die Normen der eigenen Profession

Darüber definiert sich nicht zuletzt eine verantwortungsvolle ­

— ein erster wie unabdingbarer Schritt.

Expertentätigkeit: Gäbe es klar vorgegebene Richtlinien, die automatisiert auf den Einzelfall angewendet werden können, spräche man kaum von einer Aufgabe, die Expertise und Kompetenz verlangt. Eine Ethik für ATÄ ist demnach nicht als Ausbildung zu „­mora-

Weiterführende Fragen

lischen Superhelden“, die immer und überall die einzig ­wahre ­Lösung zu komplexen Problemen kennen, zu verstehen. Vielmehr geht

Der „tötende Arzt“: Inwieweit steht die Tötung als amtstierärztliches Instrument in einem

es um das Einüben einer bestimmten Selbstreflexion, da sich die

Widerspruch zu Ihrer ursprünglichen Motivation, ein Studium der Veterinärmedizin zu

Notwendigkeit einer fallweisen Entscheidung bei k­ onfligierenden

beginnen?

­Normen nicht aus der Welt schaffen lässt. So sehr sich ATÄ angesichts des geschilderten Dilemmas auch wünschen mögen, eine

Inwieweit wandelt sich Ihrer Wahrnehmung nach nicht nur das Verhältnis zum Tier – son-

eindeutige Lösung zu finden, die jeden Dissens in Wohlgefallen

dern auch zum Tod? Die Soziologie geht von einer zunehmenden Tabuisierung des Todes in

­auflöst und ihre Entscheidung jeder möglichen Kritik enthebt, sind

unserer Gesellschaft aus. Welche Auswirkungen hat das auf den Umgang mit Heimtieren

sie demnach besser beraten, die grundsätzliche Schwierigkeit, es

und Tiertötungen?

in zahllosen Situationen mit Normenkonflikten zu tun zu haben, in einem ersten Schritt schlicht als Teil ihres Berufs zu akzeptieren:

Inwieweit beeinflussen die (normativ wirksamen) Idealvorstellungen aus der kurativen

Diese Schwierigkeit ist als essentieller Bestandteil ihrer Profession

­Praxis die amtstierärztliche Wertelandschaft? Wie viel „Arzt“ steckt im „Veterinärpolizist“

zu verstehen — und nicht als ein Mangel individueller Kompetenz.

oder sollte in dieser Rolle stecken?

Eine Aussicht, wie der Arbeitsalltag von ATÄ zu verbessern wäre, wurde dabei in den Diskussionen der Workshops deutlich: Wünschenswert wie notwendig ist, dass beide Normen — Wohlergehen des ­Tieres und öffentliche Interessen — stärker noch als bisher in der ­ öffentlichen Wahrnehmung und medialen Thematisierung des amtstierärztlichen Berufs aufgegriffen werden. So kann die v ­ erbreitete Vorstellung, ATÄ seien ausschließlich für Tierschutz um jeden Preis und über die gesetzlichen Anforderungen hinaus z­ uständig, als ein zentrales Missverständnis des Berufsbilds bezeichnet werden — ein Missverständnis, das die Arbeit gerade im Kontakt mit dem sozialen 26

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Interesse am Leben begründen können, und weist Positionen zurück, die von der Unversehrbarkeit des Tieres durch Tötung ausgehen.

The Animals Studies Group: Killing Animals. Urbana 2006. Geisteswissenschaftliches Überblickswerk zu den etablierten Praktiken der

Law, J: Care and Killing: Tensions in Veterinary Practice. In: Mol, A 

Tiertötung aus philosophischer, soziologischer, anthropologischer, kultur-

/ Moser, I / Pols, J (Hrsg.): Care in Practice: on Tinkering in Clinics,

wissenschaftlicher und historischer Perspektive. Analyse und Diskussion

­Homes and Farms. Bielefeld 2010, 57–69.

verschiedener Tötungspraktiken in Vergangenheit und Gegenwart unter

Der Autor veranschaulicht unter soziologischen Gesichtspunkten die Grat-

Rückgriff auf Fallbeispiele und Statistiken.

wanderung zwischen Fürsorge und Tötungsmaßnahmen nach Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im Jahr 2001 in England unter besonderer Berück-

Birnbacher, D: Lässt sich die Tötung von Tieren rechtfertigen?

sichtigung der Rolle involvierter Veterinärmediziner_innen.

In: Wolf, U. (Hrsg.). Texte zur Tierethik. Stuttgart 2008, 212–231. Rechtsphilosophische Überlegungen zur Ambiguität der Rechtslage in Bezug

Rippe, KP: Ein Lebensschutz für Tiere? In: Michel, M / Kühne, D / 

auf Nutzung und Tötung von Tieren. Skizzierung und Bewertung thematisch

Hänni, J (Hrsg.): Animal Law — Tier und Recht. Entwicklungen und

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­Perspektiven im 21. Jahrhundert. Zürich / St. Gallen 2012, 87–115. Darstellung der philosophischen und rechtlichen Diskussion über das

Etzold, S: Hängt das Schwein auf!

­Modell des Würdeschutzes im Schweizer Tierschutzgesetz. Der Autor dis-

http://www.zeit.de/1999/46/Haengt_das_Schwein_auf (8. 8. 2015).

kutiert dies als rechtliche Alternative zum Lebensschutzkonzept, das im

Journalistischer Beitrag zur Geschichte der Tierjustiz vom Mittelalter bis zur

deutschen und österreichischen Tierschutzrecht durch das Konzept des

Neuzeit und über die Rolle des Tieres in der Rechtsprechung.

„vernünftigen Grundes“ gesetzlich festgelegt ist.

Huth, M: Ihr Tod geht uns an. Eine Phänomenologie des Sterbens

Simmons, A: Do Animals Have an Interest in Continued Life? In

von Tieren. In: Tierstudien. 2014 / 5, 59–74.

­Defense of a Desire-Based Approach. In: Environmental Ethics: An

Eigen- und Fremderfahrung von Tod und Sterben bei Mensch und Tier wer-

Interdisciplinary Journal Dedicated to the Philosophical Aspects of

den in diesem Artikel aus phänomenologischer Sicht analysiert. Zentrales

Environmental Problems. 2009 / 31(4), 375–392.

Argument ist, dass die Versehrbarkeit des Tieres den Menschen bei seiner Fremderfahrung des Tiertodes betrifft und in die ethische Verantwortung

Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz, e.V.

nimmt. Problematisiert wird vor allem die Nichtbeachtung der tierischen

http://www.tierschutz-tvt.de/m/index.php?id=merkblaetter (10.8.2015).

Sterbeerfahrung in der Nutztierhaltung und Fleischproduktion.

Direkter Zugriff auf Merkblätter des TVT, u.a. zur ethischen Beurteilung der Tiertötung und zu Tötungsmethoden.

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Die Autorin argumentiert, dass tierische Grundbedürfnisse ein subjektives

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE

Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

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Eine Untersuchung utilitaristischer Argumente zur Tötungsfrage und zu

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­einer tiergerechten Tierhaltung. Die leitende Frage ist, ob sich Tiertötung und Massentierhaltung durch utilitaristische Theorien rechtfertigen oder

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nary Clinical Context. In: Johnston, J / Probyn-Rapsey, F (Hrsg.): Animal Death. Sidney 2013, 205–220.

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http://www.avma.org/KB/Policies/Documents/euthanasia.pdf

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Umschau 2005 / 60 (12), 694–698.

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In: The Veterinary Record. 2009 / 165 (10): 275–276.

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Rechtfertigungsstrategien und Argumente mit Fokus auf die Mensch-

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Kadaver — Kreatur — Kotelett. Schlachten

und in ihrer moralischen Bedeutsamkeit begründet werden. Diese Reflexion mag dabei im Besonderen für jene Gruppen naheliegend sein, die beruflich mit der Nutztierhaltung zu tun haben — relevant aber ist sie für die gesamte Gesellschaft. Die amtstierärztliche Profession ist vom Agieren an den Knotenpunkten derartiger Widersprüche und ihrem gesellschaftlichen

Die am häufigsten durchgeführte Tiertötung erfolgt zum Zwecke der Lebensmittelgewin-

Widerhall gekennzeichnet. ATÄ kommen mit „Einzelschicksalen“ von Tieren ebenso in Berüh-

nung. Während bei der Euthanasie von Heimtieren in aller Regel ein einzelnes Tier oder

rung wie mit Tieren als Ressource in der Nutztierhaltung und haben in der Folge nicht nur

­einige wenige Tiere betroffen sind, geht es hier um ein massenhaftes Töten. So wurden laut

innerhalb dieser Kontexte einen adäquaten Umgang mit ethischen Dilemmata zu finden. Sie

Statistik Austria im Jahr 2014 über 5 Millionen Schweine und 77 Millionen Hühner allein in Ös-

werden darüber hinaus auch von Unvereinbarkeiten und ­Missverhältnissen zwischen diesen

terreich geschlachtet. Trotz dieser hohen Zahlen gilt, dass das Schlachten weitgehend unter

Kontexten herausgefordert. In der Diskussion der Vielfalt der amtstierärztlichen Rollen wird

Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet: Die Schlachtung vollzieht sich in gesellschaftlich

näher darauf eingegangen, welcher Umgang mit diesen W ­ idersprüchlichkeiten zwischen

ausgelagerten Einrichtungen, die durchschnittlichen Bürger_innen bekommen — wenn sie

den Kontexten möglich und gewinnbringend ist. Im Folgenden jedoch soll der Blick auf ATÄ

nicht gerade eine Fernsehdokumentation zum Thema sehen — von den Schlachtprozessen

und ihre Rolle bei der Schlachtung gerichtet sein.

wenig zu Gesicht. Dieses „Unsichtbarwerden“ der Schlachtung — das im Vergleich mit vorangegangenen Jahrhunderten besonders deutlich wird — geht einher mit einer zunehmenden Professionalisierung und Intensivierung (plakativ: Die genannten Zahlen wie auch

Schlagworte, Eindrücke, Assoziationen

die vorgeschriebenen Hygienestandards legen es nahe, dass die Schlachtung nicht mehr im eigenen Hinterhof stattfindet). Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit die Trennung

ATÄ überwachen die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in Schlachtbetrieben. Sie kontrol-

des fertigen Fleischprodukts von der vorangegangenen Tötung Ausdruck eines bewussten

lieren die einzelnen Schritte vom Transport und Entladen der Tiere über ihre Betäubung bis zur

Verdrängens als mentale Strategie ist.

Schlachtung und der Verarbeitung des Fleisches. Wie erleben sie dabei dieses Arbeitsumfeld, das großteils aus den Augen der Öffentlichkeit und — frei nach Norbert Elias — „hinter die

Intuitiv empfinden viele Menschen die zwischen Heim- und ­Nutztierkontext bestehenden

Kulissen der Zivilisation“ verdrängt worden ist? Mit welchen Assoziationen und Eindrücken

Differenzen als spannungsgeladen: Wenige auserwählte Tiere w ­ erden in den Stand von

verbinden sie diese Tätigkeit? Wie wird die eigene Rolle wahrgenommen und beschrieben?

­Familienmitgliedern erhoben, während die große Masse zum Zwecke der Nahrungsmittel-

Diese Fragen wurden den ATÄ in dem Vethics for vets-Workshop zur Schlachtung gestellt.

produktion im Akkord geschlachtet wird. Die marginale biologische ­Differenz etwa zwischen

Ihre Antworten werden in Form einer Begriffswolke visualisiert.

Hunden und Schweinen kann diese unterschiedliche Behandlung nicht erklären. Deutet sich hier, so fragen viele, nicht ein eklatanter Widerspruch in der Mensch-Tier-Beziehung an, der als „moralische Schizophrenie“ bezeichnet werden muss? Aus ethischen Perspektive können derartige Widersprüche Ausdruck von U ­ ngerechtigkeit sein. Wer einen Widerspruch erkennt, kann sich in diesem Sinn dazu aufgerufen fühlen, an seiner Beseitigung zu arbeiten. Zugleich aber vermag eine intuitiv empfundene Überzeugung die ethische Reflexion nicht zu ersetzen: Nicht jede Ungleichbehandlung ist notwendigerweise ein moralischer Skandal. Widersprüche müssen vielmehr konkretisiert, reflektiert 34

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

BEGRIFFSWOLKE ALS MAPPING Die Begriffswolke ist eine Methode der Informationsvisualisierung. Sie dient dazu, größere Mengen an Daten intuitiv zugänglich darzustellen. Die Begriffswolke (oder Schlagwortwolke) gehört zu den bekanntesten derartigen Methoden und entstammt maßgeblich der Sphäre des Internets. Die Methode ist anschlussfähig an verschiedene Formen des Mappings, das Erstellen einer „Landkarte“ von Texten, Diskussionen und Prozesse, die im Besonderen in der ­Soziologie entwickelt wurden. Vorgehen Zentrale Begriffe, Schlagworte und Assoziationen zu einem ­Thema,

Die atmosphärischen Beschreibungen der befragten ATÄ skizzieren das Arbeitsumfeld

einer Frage oder einer Erfahrung werden notiert und zu einer

„Schlachthof“ als herausfordernd: Es sei steril und abweisend, laut und oft kalt, es rieche

­Begriffswolke versammelt. Die Möglichkeiten der strukturierenden

unangenehm, alles müsse schnell gehen, es sei oftmals hektisch. Ihre eigene Rolle in diesem

Ausgestaltung sind vielfältig: Verbindungen und Verästelungen

Umfeld beschreiben sie als stark von äußeren Zwängen bestimmt: Die Arbeit wird als Exe-

können sichtbar gemacht, verschiedene Gruppierungen angelegt

kution von bestehenden Rechtsvorgaben geschildert, der Ermessensspielraum als gering

werden, Relevanzen von Begrifflichkeiten durch Schriftgröße ge-

eingeschätzt. Neben den rechtlichen Vorgaben, deren Einhaltung überwacht werden muss,

kennzeichnet sowie Unterteilungen in Rubriken durch verschiede-

seien die ökonomischen Zwänge des gesamten Produktionsprozesses zu jedem Moment

ne Farbgebungen vorgenommen werden.

spürbar. Als jene Instanz, die eine „Kontrolle der Kontrolle“ durchführt, können ATÄ dabei eine Irritation des eingespielten Produktionsablaufs darstellen: jede ihrer Entscheidungen

Output

kann den Prozess verzögern. In dieser Situation eine Entscheidung zu treffen, die im Betrieb

Visualisierungsmethoden sind simpel, ermöglichen jedoch eine

als unpopulär gelten könnte, kann als belastend empfunden werden und benötigt zwei-

­intuitiv zugängliche Kartografie der Wahrnehmung und Bewertung

fellos Konfliktfähigkeit. Der Handlungsspielraum von ATÄ im Kontext der Schlachtung ist

von Themen oder Kontexten. In diesem Sinne können Begriffswol-

demnach stark eingeschränkt. Allenfalls können sie ihre Rolle unterschiedlich — zwischen

ken als eine Art „visualisiertes Brainstorming“ gelesen werden,

restriktiver Kontrolle und konstruktiver Partizipation — auslegen. Die Relevanz von ­äußeren

das eine hilfreiche Grundlage für Diskussionen und die Entwick-

Zwängen betrifft dabei nicht nur sie, sondern auch das Schlachtpersonal, dessen Arbeit

lung von Fragestellungen bietet. Die plastische Wiedergabe und

psychisch und physisch hochanstrengend ist, genauso wie auch die übrigen Mitarbeiter_in-

das Einfangen spontaner Assoziationen ermöglichen, auf Distanz

nen im Schlachtbetrieb: Alles unterliege den „Gesetzen“ der Ökonomie, die ein Höchstmaß

zum Eigenen, Selbstverständlichen und Unmittelbaren zu treten.

an Rentabilität ­einfordern. Wenn überhaupt, so die Diskussionen, hätten der Konsument

Damit ist eine wichtige Voraussetzung für eine ethische Reflexion

und die Konsumentinim gesamten System noch die größte Entscheidungsfreiheit durch ihr

geschaffen.

Einkaufsverhalten.

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Mittelpunkt das Tier steht, als auch als Kontrollorgan von Produktionsstandards, die die ­Qualität des Endprodukts gewährleisten sollen. In den Worten der Teilnehmenden: ATÄ ­stehen im Schlachthof „zwischen den Fronten.“ Ein Strang der geführten Debatten lässt sich zu folgendem Statement verdichten: „In der gegenwärtigen Maschinerie der Schlachtung kommt das Tier als Tier nicht vor. Es ist bloß ein Mittel für ökonomische Interessen. Ich, als Amtstierärztin, bin nur ein ­kleines RädBegriffswolke: Amtstierärztliche Praxis im Kontext der

chen in dieser gut geölten Maschine.“ In dieser Interpretation des eigenen B ­ erufs deutet sich die Selbstanklage einer „Komplizenschaft“ an. Es stellt sich jedoch die Frage: Kom-

Schlachtung aus Sicht

plizenschaft mit wem? Als Reaktion auf die Selbstanklage wurde aus den ­Kreisen der

der Teilnehmenden der

ATÄ zurückgefragt: Greift die Antwort „mit Konzernen der Fleischindustrie“ in d ­ iesem

Vethics for vetsWorkshops

Fall nicht zu kurz? Ließe sich nicht ebenso argumentieren, dass ATÄ weniger „Komplizen“ eines bestimmten ökonomischen Systems und ihrer A ­kteur_innen, sondern vielmehr der gesamten Gesellschaft sind? Die herrschenden Bedingungen in den Schlacht-

Die Begriffswolke weist darüber hinaus auf die Gleichzeitigkeit von Schutz und Verzwe-

betrieben, seien es die hohen hygienischen Standards oder auch das serielle ­Töten großer

ckung des Tieres hin: Tierethische Verantwortung für den Bestand und das Einzeltier trifft

Zahlen, sind dieser Interpretation gemäß wesentlich auf die Wünsche und ­Erwartungen

auf massenhafte Verwertung des Tieres als Ressource. Von dem grundlegenden ­Paradox

der Nahrungsmittelkonsument_innen zurückzuführen. Auch wenn der Umgang mit dem

des Schlachthofes sind ATÄ aufgrund ihrer umfassenden Zuständigkeit besonders betrof-

Nutztier wie eingangs skizziert weitgehend an Orten geschieht, die ­abgeriegelt sind, und

fen. Tierschutzaspekte wie tiergerechte Transportbedingungen und Vermeidung von Stress

von professionalisierten Berufsgruppen erledigt wird, ist dieser Umgang doch immer noch

spielen eine bedeutsame Rolle und werden von den ATÄ kontrolliert — zugleich ist das Tier

Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Überzeugungen. Beide Perspektiven haben etwas für

ein Faktor in einem Produktionsprozess, der mit Begriffen wie „Fließband“ beschrieben

sich: Das Statement „nur ein kleines Rädchen in einer gut geölten Maschinerie“ weist auf

wird. Das Tier auf dem Weg zur Schlachtbank ist weitgehend ent-individualisiert. Es tritt vor

die unzweifelhafte Bedeutsamkeit ökonomischer Dynamiken hin — der Tonfall jedoch klingt

allem als Teil einer unüberschaubaren Masse bzw. als Element einer Serie auf.

desillusioniert. Das Gegenargument, man sei „Komplize der Gesellschaft“, ist Ausdruck der Überzeugung, dass gesetzliche Vorgaben den Konsens der Gesellschaft widerspiegeln.

In den amtstierärztlichen Kontrollvorgaben von Schlachtbetrieben schlagen sich dem-

­Dabei allerdings gilt es, einen naiven Tonfall zu vermeiden: Gesetzliche Regulierungen basie-

nach konträre Perspektiven nieder: die Tierschutzdebatte der letzten Jahrzehnte, die ein

ren immer auch auf einem Interessensausgleich, dessen Ergebnis kritisch diskutiert werden

höheres Tierwohl des individuellen Nutztieres fordert, sowie die aus industrieller Sicht

kann. Die hierbei auftretende Spannung begegnet uns in der Reflexion über die Vielfalt der

­nahezu perfektionierte, serielle Schlachtung großer Tierbestände, die auf günstige und

amtstierärztlichen Rollen wieder.

unbedenkliche Produkte in ausreichender Menge ausgerichtet ist. Die tierethische Verantwortung der ATÄ besteht — in Auslegung des Tierschutzgesetzes — darin, das ­Wohlbefinden

Die ethische Frage, inwiefern der Mensch überhaupt Tiere töten darf, ließe sich bei der Eut-

des Tieres zu schützen, es vor Leid zu bewahren und Schäden und Ängste zu minimieren.

hanasie von Heimtieren ebenso stellen wie bei der Keulung von Tierbeständen angesichts

Zugleich sind die Tiere im geschilderten Prozess zuallererst Ressource für einen Indust-

von Seuchen. Drängend wird diese Frage jedoch nicht zuletzt im Kontext der Schlachtung,

riezweig. ATÄ fungieren damit sowohl als Kontrollorgane tierethischer Standards, in d ­ eren

wo die Zahlen in die Milliarden gehen.

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

es zu töten (Singer 1980). Die Frage nach der Zulässigkeit der Tiertötung wird dann entlang

Exkurs: Tiere töten in der Philosophie

der Vermögen jeweiliger Tierarten differenziert. Für Delfine, Menschenaffen und Elefanten In der philosophischen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier spielt der

stehen die Chancen gut, in die Kategorie der zukunftsbewussten und damit sterblichen Tie-

Tod eine wichtige Rolle. Die heute wohl bekannteste Formulierung des Zusammenhangs

re aufgenommen zu werden. Die darf man dann auch nicht mehr töten (Birnbacher 2008).

findet sich im Werk des Freiburger Philosophen Martin Heidegger: „Die Sterblichen sind die

Die mühsame Konstruktion solcher Ausnahmen bestätigt vor allem eines: Tiere haben in

Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heißt: den Tod als Tod

der Moderne das Sterben verlernt. Dabei gehört das Unvermögen zu sterben genauso zum

vermögen. Nur der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es hat den Tod als Tod weder vor sich

Tier wie das Vermögen zu leiden. Beides bestimmt sowohl die Auffassung von Tieren als

noch hinter sich“ (Heidegger 1950, 180). Heidegger bestimmt den Menschen in Abgrenzung

auch den Umgang mit ihnen. Der Fokus auf die Leidensfähigkeit, wesensbestimmend für

zum Tier anhand des Kriteriums der Sterblichkeit. Mit der Abgrenzung des Menschen vom Tier

Tiere in der Moderne, ermöglicht so auch tierethische Argumentationen, die den Tod und

reiht er sich in eine lange Tradition der Philosophiegeschichte ein, in der die Frage nach dem

die Tötung von Tieren als moralisch und tierethisch irrelevant kennzeichnen (Luy 1999, eine

Wesen des Menschen über diverse Alleinstellungsmerkmale beantwortet wurde. Demnach

Gegenposition formuliert Wolf 2014). Wenn Tiersein bedeutet, nicht sterben zu können, ist

sind Menschen dadurch von anderen Tieren geschieden, dass sie etwa sprechen können oder

Tiertötung höchstens ein Problem unter Menschen, die Tiertötungen rechtfertigen müssen

Verträge schließen, vernunftbegabt sind oder Werkzeuge benutzen – Oder eben dadurch,

oder wollen. Die Frage, ob man Tiere töten darf oder sollte, ist mit weitreichenden Fragen

dass sie sterben können. Gerade der Tod – darin hat die Heidegger’sche ­­Perspektivierung

nach Sterblichkeit, Humanität und Existenz verbunden. Vielleicht befragt gerade das Tier in

recht – verträgt sich von den in der Tradition vorgeschlagenen Mensch-Tier-Unter-

singulärer, einzigartiger Weise die Menschen in ihrer Sterblichkeit – durch ihre Ähnlichkeit

scheidungen wohl am besten mit dem modernen Selbstverständnis des Menschlichen.

und Andersartigkeit. Vielleicht mussten die Tiere auch deshalb aus dem Kreis der Sterbli-

Heute ein Mensch zu sein, heißt, ein Subjekt zu sein, und zu dem wird, wer sich des eigenen

chen ausgeschlossen werden.

Todes bewusst ist. Der Mensch als Subjekt, das meint gemeinhin, dass jeder Mensch eine unersetzliche Einzigartigkeit darstellt. Diese subjektive, individuelle Existenz verschwindet unwiderruflich mit dem eigenen Tod. Der Tod selbst, bzw. das Bewusstsein davon, sind fun-

Über Ethik und Tugenden

damentale Bezugspunkte für das, was es heißt, ein Subjekt zu sein. Faktisch ist nicht von

Das Schlachten von Tieren wird gegenwärtig zunehmend in ethi-

der Hand zu weisen, dass die Grenze zwischen Subjekt und Nicht-Subjekt, zwischen

scher Perspektive diskutiert: Ist es moralisch rechtfertigbar? Wenn

Sterben und Verenden als Grenze zwischen Mensch und Tier gezogen wird. Die Tötung e ­ ines

ja, welche Standards sollen dabei gelten? Welche ­Konsequenzen

­Menschen ist ein Verbrechen, dessen unbedingte Aufklärung Stoff für unzählige ­Krimis

hat das serielle Schlachten von Milliarden von Tieren für die

­bietet. Nur Menschen können ermordet werden. Tiere hingegen verenden oder werden

Mensch-Tier-Beziehung? Der Ruf nach Ethik wird regelmäßig dann

­getötet — routiniert bis industrialisiert, so fachgerecht wie unproblematisch.

laut, wenn sich moralische Gewissheiten auflösen und bis dato ­unhinterfragte Selbstverständlichkeiten zu bröckeln beginnen. Erst

Diese Normalität und die ihr zugrundeliegenden Zuschreibungen bestimmen auch­­weite

wenn man nicht mehr weiß, was zu tun ist, sprich wenn die Alltags-

Teile der tierethischen Debatte um die Tiertötung. Auch hier wird den Tieren, mehr oder

moral nicht mehr greifen will, setzt die Notwendigkeit ethischer

weniger explizit, das Vermögen zu sterben abgesprochen. Ein Großteil der (interessensba-

Reflexion ein. Damit ist eine grundsätzliche Situation beschrieben,

sierten) Argumentationen, ob man Tiere töten darf, folgt dieser Perspektive. Dabei wird die

die der Ethik in ihrer Wahrnehmung oftmals schadet: Insofern sie es

Antwort auf diese Frage an biologischen / kognitiven Fähigkeiten einzelner T ­ ierarten fest-

nämlich mit komplexen, in einem Wandel aufbrechenden m ­ oralischen

gemacht: Nur wenn ein Tier eine Vorstellung von Tod und Leben besitzt, kann es falsch sein,

Streitfragen zu tun hat, auf die es in aller Regel ­keine einfachen Ant-

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

worten gibt, wird ihr vorgeworfen, dass ihre ­­Diskussionen einem

sche Frage von höchster Brisanz, der sich jedoch viele Menschen

bloßen Austausch von Befindlichkeiten ohne E ­ rgebnis gleichen.

weitgehend entziehen. Nicht wenige schaffen beispielsweise be-

Dem ist jedoch zu widersprechen: Schon Aristoteles (384–322 v.

wusst eine mentale Distanz zur Fleischproduktion. Sie ­wollen ­lieber

Chr.) votierte dafür, dass der menschliche Geist sich nicht nur

nicht so genau wissen, welche Prozesse ­stattgefunden haben, bis

mit Beschreibungen und Kategorisierungen der Welt aufhalten

das Fleisch im Supermarkt die Kühlregale auffüllt. Was demnach

­dürfe, sondern dass er über dieses empirische Wissen hinaus die

fehlt, ist eine breite gesellschaftliche Debatte über die Haltung

Frage nach dem Guten und Richtigen zu stellen habe. In diesen

und das Schlachten von (Nutz-)Tieren. Das Ausbleiben d ­ ieser of-

beiden Bereichen — Empirie auf der einen und Ethik auf der anderen

fenen Diskussion ist dabei zum Schaden all jener ­Akteur_innen,

Seite — ist freilich nicht derselbe Präzisionsgrad von Wissen möglich.

die beruflich mit der Nutztierhaltung zu tun haben. Berufsgrup-

Exemplarisch: Die Verdauung eines Tieres vermag ich wissen-

pen wie Landwirt_innen oder auch ATÄ können in dieser Strategie

schaftlich präziser zu beschreiben als eine Antwort auf die Frage zu

der Ausblendung nämlich irritierend wirken. Darüber hinaus lau-

­finden, in welchem Fall Euthanasie moralisch geboten ist — nichts-

fen sie Gefahr, als moralische Sündenböcke herhalten zu müssen.

destotrotz, so Aristoteles, müssen wir in beiden Bereichen dasselbe ­Engagement unserer Vernunft aufbringen.

Insofern eine breite gesellschaftliche Debatte zwar wünschenswert,

Ethik versteht sich demnach als ein wissenschaftliches Projekt.

aber nur schwer zu initiieren ist, wird die Förderung der Selbstreflexi-

Es geht ihr nicht um den bloßen Austausch von „Bauchgefühlen“,

on dieser Berufsgruppen über ihren gesellschaftlichen Auftrag, ihre

­vielmehr orientiert sich ethisches Nachdenken an den methodi-

Verantwortung und die Grenzen ihrer Verantwortung — wie bereits

schen Idealen der Rationalität, Nachvollziehbarkeit, Kohärenz und

weiter oben betont — umso bedeutsamer. Zu dieser Selbstreflexion

Systematik. Noch in einem weiteren Punkt gleicht Ethik den (Na-

gehört auch die F ­ rage nach dem eigenen Handlungsspielraum. Diesen

tur-)Wissenschaften: Es gibt für sie keinen endgültigen Abschluss

beschreiben ATÄ — konkret im Kontext der Schlachtung — als weitge-

in ihrem Erkenntnisstreben. Aus jeder Debatte lassen sich neue

hend von ­äußeren Zwängen bestimmt. Eigener Spielraum erscheint

Fragestellungen gewinnen, wie auch jede Antwort, die heute even-

ob der gesetzlichen Vorlagen, deren Einhaltung zu kontrollieren ist,

tuell common sense ist, damit zu rechnen hat, aus guten Gründen

und ob des ökonomischen Drucks, der die gesamte ­Fleischindustrie

morgen widerlegt zu werden. Die Fragen nach dem Guten und in

durchwirkt, äußerst gering. Zugleich aber wissen ATÄ darum,

welcher Welt wir eigentlich leben wollen, sind demnach notwen-

dass sie ihre Rolle unterschiedlich auslegen können: Gesetzliche

digerweise immer wieder aufs Neue zu diskutieren — ohne diesen

Vorgaben und Kontrollen sind das eine — die Art und Weise, wie sie

fortlaufenden Prozess als defizitär zu verstehen.

kommuniziert und exekutiert werden, etwas anderes. Hier eröffnet

Mit dem Gesagten ist klar, dass es in der Ethik nicht um das Erhe-

sich Gestaltungsfreiraum. An dieser Stelle wurde im Rahmen des

ben des moralischen Zeigefingers geht. Ihr Ziel ist es ­weniger, mo-

Workshops das ethische Konzept der Tugenden vorgestellt und

ralische Gewissheiten zu predigen, als strukturiert über m ­ oralische

auf seine Tauglichkeit für eine reflektierte Gestaltung von Hand-

Ungewissheiten nachzudenken. Eine entscheidende m ­ oralische

lungsspielräumen diskutiert. Auch wenn der Begriff der Tugend in

Ungewissheit unserer Zeit lautet dabei: Wie wollen wir als Einzelne

vielen Ohren ­einen ­altmodischen und verstaubten Klang aufweisen

und als Gesellschaft mit Tieren umgehen? Diese F ­ rage ist eine ethi-

mag, ­erlebt die ­Tugendethik seit einigen Jahrzehnten eine Renais-

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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

sance. Ein wesentlicher Grund wird in der Komplexität der m ­ odernen

leg_innen — immer geht es auch darum, die eigene Position kommu-

Welt gesehen, die auch hier schon angesprochen wurde: Angesichts

nikationsstark einzunehmen, ohne Feedback oder andere Meinun-

komplexer E ­ ntscheidungsfindungen in ­einem a ­ rbeitsteiligen, hoch-

gen auszublenden. Stets ist man herausgefordert, sich in ­Dialoge

vernetzten und globalen Gesellschaftssystem ­­ scheint es oftmals

einzubringen, Entscheidungen zu begründen und ­Konflikte, so sie

nahezu unmöglich, klare und eindeutige H ­ andlungsanweisungen

nicht zu lösen sind, zumindest zu moderieren und zu ­befrieden.

in abstracto zu erarbeiten. Tugendethiken stellen daher weniger

Welche Tugenden aus Sicht von langjährigen ATÄ darüber hinaus

moralische Imperative auf, sondern richten den Fokus auf den

vonnöten sind, um ein guter Amtstierarzt oder eine gute Amtstier-

Handelnden selbst: Was braucht es, um mit K ­ onflikten ­umzugehen

ärztin zu sein, und inwieweit sich die erwünschten ­ Tugenden

und gute Entscheidungen zu treffen?

­eventuell je nach Kontext (Kontrolle in S ­ chlachtbetrieben, ­Euthanasie

Was als tugendhaft angesehen wird, unterliegt dabei einem

­eines Heimtieres, Keulung von Nutztierbeständen, Konfrontation

­historischen Wandel. In der Antike und im Mittelalter galten die vier

mit Animal Hoarding, …) unterscheiden, ist ein Forschungsdesiderat:

­sogenannten Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit

teamfähig, einfühlsam, entschlussfreudig, flexibel, lernbereit, ­loyal

und Mäßigung als bedeutsam (was dann im konkreten Fall unter

gegenüber dem Staat, ehrlich, humorvoll, professionell ­distanziert,

einem gerechten Handeln oder einem gemäßigten Lebensstil ver-

selbstkritisch  …? Die Antwortmöglichkeiten sind vielfältig. Eine

standen wurde, war freilich noch einmal eigens auszudiskutieren

­zentrale weiterführende Frage liegt auf der Hand: Inwieweit können

und oft genug Anlass für Dissens). Von Rittern wurde unter anderem

bedeutsame amtstierärztliche Tugenden im Ausbildungslehrgang

aufrichtige Treue oder heitere Gelassenheit erwartet; als bürgerliche

vermittelt werden? Wenn nur bedingt, wo ist der Ort ihrer Aneig-

Tugenden gelten nach wie vor Sparsamkeit oder auch Fleiß. Die ge-

nung? G ­ eschieht sie durch Vorbilder, durch Erlebnisse im Beruf, die

schichtliche Bedingtheit darf jedoch nicht als Beliebigkeit missver-

sich wie Niederlagen anfühlen, aus denen man jedoch lernt, wie

standen werden: Welche Tugenden als maßgeblich eingeschätzt

man besser hätte vorgehen können, oder bräuchte es hierzu Wei-

werden, gibt durchaus Auskunft über eine Epoche — oder eben

terbildungsangebote, die nicht in der Ausbildungsphase, sondern

auch über die zentralen Herausforderungen eines Arbeitsfelds. Eine

erst später greifen, wenn ATÄ bereits eingehende ­ Erfahrungen

­gewinnbringende Frage lautet demnach, welche Tugenden in einer

mit den Schwierigkeiten ihres Berufsfelds gemacht haben? Die

bestimmten Profession dienlich sind. Was braucht es, um ein guter

­explizite Benennung amtstierärztlicher Tugenden ist ein Auftrag,

Amtstierarzt oder eine gute Amtstierärztin zu sein? Die Workshop-

der aus den Workshops hervorging und das Projekt überdauern

Arbeiten zur Schlachtung zeigen, dass eine wissenschaftlich und

wird.

gesetzlich fundierte Expertise die Basis der amtstierärztlichen Tätigkeit darstellt — aber dass diese längst nicht ausreicht, „um den Job wirklich gut zu erledigen.“ Über das Fachwissen hinaus ­ fordert die Arbeit hohe Konflikt- und ­Kommunikationsfähigkeit. Die amtstierärztliche Arbeit ist demnach nicht zuletzt eine ­kommunikative: Sei es im Umgang mit Tierhalter_innen, Bürger_innen, ­Behörden, Schlachtbetrieben, Tierärzt_innen oder auch mit Kol44

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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Weiterführende Fragen

Wageningen 2013, 379–385. rungsprozesse von Schlachthöfen in gegenwärtigen Mediendiskursen ein

dürfen sich ATÄ im Gegenzug von der Gesellschaft erwarten?

und h ­ interfragt vor allem das in den Medien transportierte Bild einer „verantwortungsvollen Schlachtung“.

Welche Tugenden sind im amtstierärztlichen Beruf vonnöten? Hat sich die Bedeutsamkeit bestimmter Tugenden für die tägliche Arbeit über die Jahrzehnte verändert? Welche Tugend

Humane Slaughter Association

ist heute eventuell entscheidender als früher?

http://www.hsa.org.uk/publications/publications (1.8. 2015). Literatur und Material zum tierschutzgerechten Schlachten

Inwieweit können bedeutsame amtstierärztliche Tugenden im Ausbildungslehrgang Huth, M: The ‚secret of killing animals’ In: Röcklingsberg, H / Sandin,

­vermittelt werden?

P (Hrsg.): The Ethics of Consumption. The Citizen, the Market, the Law. Wageningen 2013, 268–272.

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schlachten

Nieradzik, L: Die Ausgrenzung der Grausamkeit: Wiener Tierschlachtung im 19. Jahrhundert. In: Seifert, M (Hrsg.): Die mentale

Brantz, D: Recollecting the Slaughterhouse. In: Cabinet, A Q ­ uarterly

Seite der Ökonomie. Gefühle und Empathie im Arbeitsleben. ­Dresden

Magazine of Art and Culture. 2001 / 09, 118–23.

2014, 197–208.

Der Beitrag gibt einen Einblick in die Geschichte der Schlachthäuser als

Aus historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive wird der Einfluss von

Attraktionen im 19. Jahrhundert in den USA. Das Thema „Tierschlachtung“

Technisierung und Rationalisierung auf die Abeitserfahrung in den Schlachtbe-

wird in kulturellen und historischen Kontexten erörtert und in Beziehung zu

trieben des 19. Jahrhundert am Beispiel des Wiener Fleischgewerbes dargestellt.

Entwicklung, Wandel und Kontinuität moderner Zivilisation gesetzt. D ­ abei

Die These ist eine Verschiebung professioneller und öffentlicher Wahrnehmung

wird auch die Entwicklung von Schaustellung bis zur Unsichtbarkeit der

auf „Grausamkeit“ bei der Tötung von Tieren durch die Industrialisierung des

Schlachthöfe in der Industrialisierung thematisiert.

Schlachtbetriebes.

Burt, J: Conflicts around Slaughter in the Modernity. In: Animal

Pachirat, T: Every Twelve Seconds. Industrialized Slaughter and the

­Studies Group (Hrsg.): Killing Animals. Urbana 2008, 69–99.

Politics of Sight. New Heaven / Connecticut 2001.

Untersuchung der sozialen Dimensionen und kulturellen Hintergründe un-

Innenperspektive auf die Arbeitsprozesse und Kontrollmechanismen im

terschiedlicher Schlachtmethoden in Vergangenheit und Gegenwart.

Großschlachthof. Politische Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Außenwahrnehmung und Sichtbarkeit der Schlachthöfe und Tötungspolitiken in

Gutjahr, J: The Reintegration of Animals and Slaughter into

modernen Gesellschaften.

­Discourses of Meat Eating. In: Röcklingsberg, H/Sandin, P (Hrsg.): The Ethics of Consumption. The Citizen, the Market, the Law. 46

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Die Autorin geht auf die Strukturen der Darstellungs- und Revisualisie-

Die Gesellschaft erwartet von ATÄ als Kontrollorgan, Schlachtungen zu überwachen – was

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Sebastian, M: Tierliebe im Schlachthof? Das Interesse am Wohl der Tiere als Verarbeitungsstrategie von Gewalt im Schlachthof. In: ­Tierstudien. 2013 / 3, 102–113.

Kadaver — Kreatur — Kotelett. Keulen

Gestützt auf empirische Untersuchungen beschreibt Sebastian, welche ­psychischen Strategien Arbeiter_innen anwenden, um die Ausübung ihrer

Die nutztierhaltende Landwirtschaft ist immer wieder mit Tierseuchen konfrontiert. Um

Tätigkeit in Schlachtbetrieben zu rechtfertigen und zu normalisieren. Der

­ihnen Herr zu werden, kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz: von vorbeugenden

­Autor zeigt die Widersprüchlichkeiten zwischen Vorstellungen über Tier-

Maßnahmen bis zu akuten Bekämpfungsstrategien nach Ausbruch einer Seuche. Ein In-

schutz und Tierliebe und den Praktiken der Tiertötung auf.

strument, das immer wieder für aufgeregte gesellschaftliche Debatten sorgt, ist die Keulung von Tierbeständen. Keulen meint das Töten von (auch gesunden, aber erregeranfälligen) Tieren, um die weitere Verbreitung einer Seuche zu verhindern. Von Keulungsmaßnahmen sind dabei in der Regel alle Tierbestände in epidemiologisch definierten Risikozonen betroffen; die Tierzahlen können entsprechend hoch ausfallen. Zur Diskussion stehen d ­ abei nicht nur tierisches Leid bzw. Wohlergehen, sondern ebenso die ökonomischen Auswirkungen. Tierseuchen, so hält der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim deutschen ­Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft exemplarisch fest, sind eine „allgegenwärtige Gefahr für die Fleischmärkte.“ Sie „können nicht nur das Produktionspotenzial und den Handel deutlich einschränken, sondern auch erheblichen Einfluss auf die Nachfrage h ­ aben“ (WBA 2015, 14). Die ökonomische Relevanz wird auch in den gesetzlichen Vorlagen explizit. In der Richtlinie 2003 / 85 EG zur Tierseuchenbekämpfung heißt es in a ­ llgemeiner Form: „Eine der Aufgaben der Gemeinschaft im Veterinärbereich besteht darin, die Tiergesundheit in der Gemeinschaft zu verbessern, um auf diesem Wege die ­Rentabilität der Tierhaltung zu steigern und den Handel mit Tieren und tierischen Erzeugnissen zu e ­ rleichtern. Hierbei ist die Gemeinschaft auch eine Wertegemeinschaft, die sich in der T ­ ierseuchenbekämpfung nicht allein von kommerziellen Interessen leiten lassen darf, sondern auch ethische Grundsätze gebührend zu berücksichtigen hat.“ Eine gebührende Berücksichtigung ethischer Grundsätze – was bedeutet dies im ­ vorliegenden Kontext? Fragen, wie sie auch in der öffentlichen Debatte vermehrt gestellt ­werden, drängen sich auf: Ist es grundsätzlich moralisch vertretbar, gesunde Tiere massenhaft zu töten, um Seuchen einzudämmen, menschliche Gesundheitsrisiken einzuschränken und Ökonomien zu sichern? Die Reflexion hinsichtlich der Rolle von ATÄ in der ­Bekämpfung von Seuchen kann hierbei auf den vorangegangenen Überlegungen aufbauen: Erneut ­konfligieren auf den ersten Blick Norm 1 – Wohlergehen des Tieres und Norm 2 – Ö ­ ffentliche

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Interessen. Welche konkreten Zielsetzungen aber sind hierbei im Besonderen und en ­détail

3  Bewertung der Methoden – Wie wirken sich die möglichen

shop zur Keulung auf Basis eines Tools diskutiert, das ausdrücklich für eine f­ achgerechte ­Beurteilung seuchenrechtlicher Maßnahmen entwickelt wurde: die sogenannte­­Animal

4  Vergleichen der verschiedenen Szenarien

­Disease ­Intervention Matrix (ADIM). Entlang der Debatten um die ADIM werden schnell die ­Schwierigkeiten ersichtlich, mit denen ATÄ bei der Umsetzung der Seuchenbekämpfung

Die ADIM nennt hierbei in Schritt 3 fünfzehn bedeutsame Ziele und

konfrontiert sind. An dieser Stelle taucht dabei erneut eine Frage auf, wie sie in den vo-

Güter, die in der Seuchenbekämpfung zu berücksichtigen sind.

rangegangenen Kontexten und Fallbeispielen bereits formuliert wurde: Wie können ATÄ mit den gegebenen und oftmals als eng empfundenen Rahmenbedingungen umgehen? Wie kann es ihnen gelingen, von den unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen nicht

—  Die Gesundheit der Nutztierhalter_innen wie der Kontrollieren

den muss gewährleistet sein.

— Die öffentliche Gesundheit muss geschützt werden.

„zerrissen“ zu werden?

— Die Tiergesundheit muss geschützt werden. — Das Wohlergehen der Tiere ist sicherzustellen.

ANIMAL DISEASE INTERVENTION MATRIX AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

— Schäden an der Umwelt sind zu begrenzen. Die Animal Disease Intervention Matrix (ADIM), entwickelt vom

— Die negativen psychischen Auswirkungen für die Nutztierhalter-

belgischen Ethiker Stefan Aerts (2006), ist ein anwendungsorientiertes

Tool

zur vergleichenden

Beurteilung

konkreter

Seuchenbekämpfungsmaßnahmen. Die Arbeit mit ihr setzt relevantes Fachwissen voraus. Das Tool eignet sich also nicht für Laien, sondern adressiert vielmehr Expert_innen wie ATÄ.

­



_innen müssen so weit wie möglich minimiert werden.

— Die negativen psychischen Auswirkungen für die Kontrollieren

den müssen so weit wie möglich minimiert werden.

— Der Respekt in der Mensch-Tier-Beziehung ist sicherzustellen. — Die wirtschaftlichen Verluste in der Landwirtschaft sind zu be-

Vorgehen Die ADIM ist ein computerbasiertes Kalkulationsprogramm, das

grenzen.

auf eine transparente, reflektierte (prospektive oder r­ etrospektive)

— Die wirtschaftlichen Verluste außerhalb der Landwirtschaft sind

Entscheidungsbewertung im Seuchenfall abzielt. Sie weist vier



­übergeordnete Arbeitsschritte auf:

— Eine tiefergehende Beunruhigung des öffentlichen Lebens

zu begrenzen.

1 Beschreibung des Problems – Konkretisierung des Seuchenfalls 2 Identifizieren von Methoden – Welche Optionen und Szenarien

sind denkbar? (Keulung? Impfung? Etc.)

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(bis hin zur Panik) ist zu vermeiden.

— Besonders „wertvolle“ Tiere (wie z.B. vom Aussterben bedrohte

Arten) müssen geschützt werden.

— Die Wertschätzung von Nahrung muss berücksichtigt werden.

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AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

Methoden auf zentrale Güter und Zielsetzungen aus?

zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen? Diese Frage wurde in dem Work-

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten



Die Nahrungsmittelsicherheit muss gewährleistet sein.



Die Praktikabilität muss bedacht werden.

Output Die ADIM ermöglicht eine strukturierte Diskussion verschiedener Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung. Die Teilnehmenden der

Die fünfzehn Zielsetzungen werden in jedem Szenario auf den

Workshops sehen vielfältige Einsatzmöglichkeiten für die amtstier-

Grad ihrer Erfüllung hin geprüft. Die Beurteilung wird mithilfe

ärztliche Praxis: Das Tool eignet sich, um prospektiv u ­ nterschiedliche

vorgegebener Fragen vorgenommen. Beispielsweise wird für die

Bekämpfungsmaßnahmen zu vergleichen, auch nach e ­rfolgten

Erfüllung des Zieles der Minimierung psychischer Auswirkungen

Seucheninterventionen die unter zeitlichem Druck getroffenen­­

bei Kontrollorganen gefragt, wie lange die jeweilige Maßnahme

Entscheidungen objektivierend zu bewerten sowie einen opti-

grundsätzlich andauert oder wie viele Arbeitsstunden pro Tag not-

mierenden Vergleich mit Alternativen zu fördern. Ausführliche

wendig sind. Die Erfüllung der Forderung nach Sicherstellung des

­Erläuterungen und Anwendungsbeispiele der ADIM finden sich in

tierischen Wohlergehens wird u.a. durch Fragen nach dem Ausmaß

der ­zugehörigen P ­ ublikation von Stefan Aerts (2006).

an Schmerz, Angst oder Hunger und Durst der betroffenen Tiere beurteilt. Das Programm führt die gegebenen Antworten zusam-

Beurteilung konkreter Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung

men und liefert für den Schritt (4) Balkendiagramme, welche die Vor- und Nachteile der Maßnahmen auf einen Blick verdeutlichen.

Mithilfe der ADIM lassen sich konkrete Seuchenbekämpfungsstrategien strukturiert bewerten und objektiviert miteinander vergleichen. Die Methode geht von Normenkonflikten als Normalfall aus: Jedes genannte Ziel korrespondiert mit einem erstrebenswerten Gut und verdient im Rahmen einer Seuchenintervention Berücksichtigung. Bei der Realisierung ­einer Seuchenbekämpfungsmaßnahme kommt es jedoch notwendigerweise zu Konflikten zwischen diesen Gütern. So kann der Schutz der öffentlichen Gesundheit schwerwiegende Beispieldiagramm einer

Konsequenzen für landwirtschaftliche Betriebe haben. Ein Seuchenfall ist ein Krisenfall:

Diskussion von vier

Eine Lösung, die allen Zielsetzungen gleichermaßen entspricht, gibt es nicht. Gesucht wird

Szenarien der

vielmehr die bestmögliche Lösung innerhalb des Handlungsspielraums, der gesetzlich eng

Seuchenbekämpfung (Aerts 2006, 125)

abgesteckt ist. Vor diesem Hintergrund gilt es, Optionen gegeneinander abzuwägen, um ein best possible in einem worst case zu finden. Die ADIM ermöglicht eine konkrete Detaillierung bestehender Optionen. Beispielsweise können drei verschiedene Keulungsstrategien verglichen werden, die sich in der Tötungsmethode oder unterschiedlichen Maßnahmen in

Rechts in der Abbildung sind die fünfzehn Zielsetzungen ­moderner

den definierten Risikozonen unterscheiden. Auch eine vergleichende Analyse verschiedener

Seuchenbekämpfung als Schlagworte samt Legende ­gelistet. Via

Strategien, etwa Keulung versus Impfung, kann vorgenommen werden.

Farb- und Mustergebung lässt sich übersichtlich erkennen, wie die einzelnen, vorher festgelegten Szenarien (S 1 bis S 4) hinsichtlich

Während der Arbeit mit der ADIM wurde betont, dass eine Keulung eine belastende ­­Aus-

der Erfüllung dieser Güter zu beurteilen sind.

nahmesituation für alle Beteiligten darstellt. So besteht Konsens, dass Tiertötungen —

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

­unabhängig, in welchem Kontext sie durchgeführt werden — angst- und schmerzlos zu

ventionen liegt aus Sicht der ATÄ dabei besonderes Potenzial. So kann die Methode eine

erfolgen haben. Im Falle der akuten Seuchenbekämpfung im Betrieb kann das aber eine

aussagekräftige Grundlage für die interne Qualitätskontrolle liefern, indem Punkte aufge-

besondere Herausforderung darstellen. ATÄ sind hierbei mit der Problemlage konfrontiert,

zeigt werden, bei denen durch alternative Ausgestaltung der Intervention die negativen

„gleichzeitig für die Seuchenbekämpfung (schnellstmögliche Tötung von Tieren, um eine

Konsequenzen für manche Betroffene minimiert werden hätten können. Darüber hinaus

weitere Erregerausbreitung zu verhindern) und die Durchführung oder Überwachung der

sind die Ergebnisse der Bewertung ohne großen Aufwand Kolleg_innen mitteilbar. Der

tierschutzkonformen Tiertötung (die notwendigerweise Zeit für jedes einzelne Tier kostet),

Einsatz der ADIM kann in dieser Perspektive Debatten eröffnen und den fachlichen

verantwortlich zu sein“ (Hartnack 2012, 354). Norm 1 – Wohlergehen des Tieres konfligiert

Austausch intensivieren. Schließlich, so die Teilnehmenden, sind auch ethische Betrach-

hier gewissermaßen in Echtzeit mit Norm 2 – Öffentliche Interessen.

tungen von­­Zukunftsvisionen möglich. So kann mit der ADIM analysiert werden, inwieweit die Entwicklung bestimmter Marker-Impfstoffe eine maßgebliche Verbesserung der ­aktuell

Betroffene Landwirt_innen leiden nicht nur an den ökonomischen, sondern auch — wie die

zur Verfügung stehenden Maßnahmen bei Seucheninterventionen brächte. Wenn ja, dann

ADIM explizit macht — an den psychosozialen Folgen. Sie beschreiben neben ihrer ­eigenen

hätte man „handfeste“ Argumente, um beispielsweise eine entsprechende Forschung

Ohnmacht oftmals eine „Angst vor Veterinären, die den Staat verkörpern“ und die „Ver-

­voranzutreiben.

nichtung“ einfach „durchdrücken“ (Jürgens 2002, 48). Doch auch für die ATÄ stellt eine Keulung eine enorme Belastungsprobe dar. Wichert von Holten, Seelsorger im Rahmen der

Die ADIM visualisiert nicht zuletzt die bereits vielfach beschriebenen S ­ chwierigkeiten

MKS-Taskforce des Landes Niedersachsen, hat Tierärzt_innen bei der Seuchenbekämpfung

amtstierärztlicher Praxis. Sie übersetzt die Notwendigkeit des Abwägens zwischen

begleitet und beschreibt seine Eindrücke in drastischen Worten: „Kein Tierarzt studiert Tier-

konfligierenden Normen in Diagramme und veranschaulicht, dass das Erreichen eines

medizin, um Tiere möglichst effektiv zu töten. Die allermeisten Tierärzte und Tierärztinnen

­gerechtfertigten Zieles auf Kosten eines anderen, ebenso gerechtfertigten Guts gehen

stehen mit ihrem Gewissen und mit ihren Neigungen in der Fürsorge und Hilfe in Verant-

kann. Außenstehende, die noch nicht mit dem Programm gearbeitet haben sowie mit den

wortung gegenüber der leidenden Kreatur, die sich selbst in ihrem Schmerz und Leid nicht

Schwierigkeiten amtstierärztlicher Praxis nicht vertraut sind, mag das positive Feedback

äußern kann. Hier nun müssen sie Gewaltanwendung durchsetzen, sind Arm des Gesetzes.

überraschen. Polemisch zugespitzt könnte kritisch gefragt werden, weshalb die Visualisie-

[…] Innerhalb des Geschehens haben sie eine isolierte Position […] sie erleben die größte

rung von Ausweglosigkeiten und Kompromissen so viel Zustimmung erfährt. Was bringen

Form von Desolidarisierung, wo sie Ziel aller ohnmächtigen Wut werden“ (zit. nach Hartnack

­Diagramme, die zeigen, dass die eine gute Entscheidung nicht möglich ist?

2012, 354). Auch wenn die Wortwahl dieses Zitats dramatisch zu nennen ist, können die ­Bedingungen der Keulung als ein idealtypisches Beispiel für die vielfältigen körperlichen

Eine thesenhafte Antwort muss mindestens zweifach ausfallen: Zum einen visualisiert die

und mentalen Belastungen des amtstierärztlichen Berufs gelten.

ADIM die Komplexität sowie die ethische Brisanz von anstehenden Entscheidungen im ­Kontext der Keulung und sorgt allein damit für eine gewisse Entlastung der handelnden ­Akteur_innen. Zum anderen — und entscheidender — erlaubt das Tool einen analytischen Blick

Wenn „das Gute“ schwer fällt… wird dann „das Bessere“ umso wichtiger?

auf Details der Ausgestaltung einer Seuchenintervention: von der Wahl der Tötungsart bis zur Frage, ob die Tierhalter_innen im Rahmen der Möglichkeiten — wenn gewünscht — in

Die teilnehmenden ATÄ stellten der Animal Disease Intervention Matrix ein positives Z ­ eugnis

die Prozesse vor Ort eingebunden werden. Als These ließe sich formulieren, dass gerade in

aus: Die ADIM ermöglicht eine Objektivierung von Kriterien einer komplexen Entscheidung.

Situationen, die das eine wahrhaft Gute nicht erlauben, in denen also jede Entscheidung

Die innerhalb der rechtlichen Vorgaben erstellten Szenarien können auf ihr Potenzial, die

bedeutsame Güter und Interessen verletzt, die Suche nach kleinen Verbesserungen in der

relevanten Ziele zu erreichen, überprüft werden. Im Vergleich verschiedener Seucheninter-

Ausgestaltung ein gangbarer Weg ist, um die Schwierigkeit der Situation zu handhaben. In

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Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Im bisherigen Gang der Argumentation wurden derartige Fragen

zu „schrauben“, um zumindest „ein Besseres“ zu realisieren. Folgt man dieser These, so er-

nicht dem unmittelbaren amtstierärztlichen Aufgabenfeld zuge-

fährt ein Tool wie die ADIM ein positives Feedback, weil sie eine detaillierte Beschreibung

ordnet. Wie ist das gemeint? Um dies zu veranschaulichen, kann die

der Schwierigkeiten liefert, die im Anschluss von den ATÄ selbst als Ausgangspunkt für eine

Frage nach den unterschiedlichen Rollen gestellt werden, die ATÄ

Verbesserung ­herangezogen werden kann. Aus ethischer Perspektive zeigt sich hierbei die

in ihrem beruflichen Agieren einzunehmen haben. In den Vethics

Bedeutsamkeit einer adäquaten Deskription, wie sie gerade in Debatten der angewandten

for vets-Workshops wurden von den ATÄ — nicht nur mit Blick auf

Ethik, ob einer vermeintlich dringenderen normativen Beurteilung, oft genug vernachlässigt

den Kontext der Keulung, sondern generell — folgende ­Rollen als be-

wird.

deutsam benannt:

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

Die Vielfalt amtstierärztlicher Rollen

Sachverständiger

Jede der diskutierten Tötungsformen vollzieht sich in einem ­bestimmten Kontext mit spezifischen Wertorientierungen als Hin-

Beamter

tergrundfolie: Bei der Euthanasie eines kranken Tieres geht es

Mediator

­primär um Erlösung von Leid, bei der Euthanasie eines aggressiven ­Hundes um die öffentliche Sicherheit und um einen r­ echtfertigbaren Umgang mit Steuergeldern. Das Schlachten dient der Produktion von Nahrungsmitteln; die Tierseuchenbekämpfung schließlich fo­­ kussiert auf die Sicherung der öffentlichen Gesundheit sowie auf das Wohlergehen eines Pfads der (nationalen) Ökonomie.

Vielfalt amtstierärztlicher Rollen nach Einschätzung

Vollzugsbehörde

Psychologe

der teilnehmenden ATÄ (Für eine höhere

Kadaver – Kreatur – Kotelett. Immer taucht das Tier in e ­ inem bestimmten Kontext auf. Und immer haben ATÄ mit den s­ pezifischen

­Lesbarkeit des Schaubilds ­Verzicht auf gendergerechte Sprache.)

?

Sozialarbeiter

ethischen Schwierigkeiten der jeweiligen Entscheidungsfindung umzugehen. An verschiedenen Stellen der Debatten stellt sich ­dabei die Frage nach alternativen Rahmenbedingungen: Was wäre, wenn es noch weitere Möglichkeiten beim Umgang mit aggressiven

ATÄ sind demnach selbstverständlich Sachverständige, die bei-

­Hunden gäbe — auch wenn sie bereits mehrmals einen ­Menschen

spielsweise Tierleid zu diagnostizieren haben. Sie sind Beamt_innen

gebissen haben? Was, wenn in der Nutztierhaltung höhere, auf

einer Vollzugsbehörde und damit Vertreter_innen des Staats, seiner

Tierethik basierte Standards als jene der gesetzlichen Vorgaben

Gesetze und Regularien. In ihrer Tätigkeit sind sie aber nicht nur mit

gelten würden? Was, wenn die nutztierhaltende Landwirtschaft

Tieren und ihrem Wohlergehen konfrontiert, vielmehr müssen sie

kleinteiliger strukturiert wäre und Keulungen damit weniger wahr-

den gesamten Kontext der Mensch-Tier-Beziehung, also stets auch

scheinlich mit massenhaften Tötungen korrespondierten?

den Menschen, in den Blick nehmen. Hierbei fielen immer wieder

56

57

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

kurzen Worten: Wenn „das Gute“ nicht möglich ist, kann es umso wichtiger sein, an Details

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

die Begriffe Sozialarbeiter_in, Psycholog_in und Mediator_in: Tier-

tierärzt_in im Fallbeispiel auch Staatsbürger_in — eine Rolle, die in

ethische Probleme korrespondieren oftmals mit Menschen in

den Workshops von den ATÄ überraschenderweise nicht genannt

Problemlagen. Aus diesem Grund haben ATÄ es immer auch mit

wurde, die jedoch entscheidend sein kann. Ein_e Amtstierärzt_in,

­zwischenmenschlichen Herausforderungen zu tun. Diese Vielfalt

der _die mit den gegenwärtigen Strategien der Tierseuchenbekämp-

der Rollen wurde von ATÄ als Diskrepanz beschrieben, als etwas,

fung ­unzufrieden ist, kann diese als Expert_in für Tierseuchenbe-

­zwischen dem man zerrieben wird und das einen zerreißt. In den

kämpfung in ihrer_seiner Arbeitszeit kontrollieren und umsetzen —

Workshops wurde darüber hinaus jedoch auch noch eine andere

zugleich jedoch kann als Staatsbürger_in der Versuch unternommen

Perspektive eröffnet: Rollen einzunehmen bedeutet stets auch, ­

werden, die geltenden Rahmenbedingungen in der Nutztierhaltung

­Distanz zu schaffen und Freiheitsräume zu gewinnen. Ein p ­ lakatives

generell zu verändern, etwa durch eine aktive Beteiligung an gesell-

Beispiel liefert die amtstierärztliche Rolle bei der Keulung von ­

schaftlichen und politischen Diskussionsprozessen. Ja, es stellt sich

Nutztierbeständen. Folgendes Szenario ist denkbar: „Ein_e Amts-

die Frage, inwieweit ATÄ ob ihrer Expertise und Erfahrungen nicht im

tierärzt_in veranlasst angesichts einer S ­euche auf Basis der

Besonderen dazu aufgerufen sind, sich derartigen demokratiepoli-

­rechtlichen Regulierungen sowie der fachlichen Einschätzung der

tischen Prozessen bewusst zuzuwenden (Coleman 2010).

Situation die Keulung gefährdeter Tiere. Der gesamte Nutztierbestand der landwirtschaftlichen Betriebe in einer d ­efinierten Risikozone muss exekutiert werden. Bei der Umsetzung der

Sachverständiger

Keulungsmaßnahmen bekommt der_die Amtstierärzt_in die Schwierigkeiten hautnah mit und beginnt zu zweifeln: Wären ­kleinere Betriebsgrößen in der Landwir schaft für den ­Seuchenfall

Beamter

Mediator

nicht von Vorteil? Wäre es nicht notwendig, Landwirt_innen noch besser über Seuchengefahren aufzuklären? Spielt die Sicherung ökonomischer Interessen in der Tierseuchenbekämpfung eine zu dominante Rolle? Und überhaupt: Wäre eine andere Form der

Vollzugsbehörde

Psychologe

Landwirtschaft nicht wünschenswert?“ In diesem Fallbeispiel zweifelt der_die Amtstierärzt_in an den vorgegebenen Rahmenbedingungen, die zwar nicht unmittelbar ­ Teil des amtstierärztlichen Aufgabenfelds sind, aber dieses selbstverständlich prägen. Mit Blick auf die Vielfalt ­amtstierärztlicher

Sozialarbeiter

Bürger

Rollen kann gesagt werden: Ein_e Amtstierärzt_in ist für die ­ ­­­Keulung von Beständen im Seuchenfall zuständig — zugleich aber ­erschöpft sich eine Person nicht alleine in ihrer beruflichen ­Rolle. Vielmehr n ­ ehmen wir stets verschiedene Rollen ein, durch die wir

Gerade die Schwierigkeit, dass ATÄ nicht nur mit ethischen Her-

an der Gesellschaft partizipieren. Beispielsweise ist der_die Amts-

ausforderungen innerhalb bestimmter Bereiche, sondern ­darüber

58

59

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

Keulen

denen Kontexten der Mensch-Tier-Beziehung konfrontiert sind, kann auf diese Art und Weise fruchtbar gestaltet werden. Die

Aerts, S / Boonen, R / Bruggemann, V / De Tavernier, J / ­Decuypere, E:

­zunehmende Spannung zwischen Heim- und Nutztierhaltung bei-

Culling of day-old chicks: Opening the debates of Moria? In: ­Millar,

spielsweise ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gesellschaftli-

K / Hobson-West, P (Hrsg.): Ethical Futures: Biosciensces and Food

ches „Megathema“ der kommenden Jahre. ATÄ agieren dabei zwar

Horizons. Nottingham 2009, 117–122.

direkt an den Schnittstellen dieser Widersprüche, eine Lösung ­ oder auch Bearbeitung, wie mit dieser Kluft umzugehen ist, ist

Brantz, D: Risky Business’. Disease, Disaster and Unintended Con-

von ­ihnen in ihrer Rolle als ATÄ jedoch nicht zu erwarten und käme

sequences of Epizootics in Eighteenth- and Nineteenth-Century

einer Überforderung gleich. Sehr wohl aber können ATÄ, gerade

France and Germany. In: Environment and History. 2011 / 17  (1), 35–51.

weil sie eine der wenigen Berufsgruppen darstellen, die an diesen ­

Im Text werden Methoden und Strategien im Umgang mit Seuchen am

Schnittstellen arbeiten, sich als Bürger_innen dazu aufgerufen

­Beispiel des Ausbruchs der Rinderpest im 18. und 19. Jahrhundert in Frank-

fühlen, für dieses Thema in der öffentlichen Agenda noch mehr

reich und Deutschland untersucht. Es folgt die Auseinandersetzung mit den

Aufmerksamkeit zu generieren sowie auch Lösungsvorschläge zu

Konsequenzen seuchenpräventiver Maßnahmen für die Entwicklung von

den ihrer ­Wahrnehmung nach drängenden Konflikten in den demo-

­Risiko-und Kontrollmanagement in modernen Gesellschaften.

kratiepolitischen Raum zu stellen. In kurzen Worten: Die Differenzierung ­verschiedener Rollen hilft, den Bereich der eigenen Profes-

Brown, K / Gilfoye, D (Hrsg.): Healing the Herds. Disease, Livestock

sionsverantwortung schärfer einzugrenzen und einen adäquaten

Economies, and the Globalization of Veterinary Medicine. Athens /

Umgang mit Erwartungen zu finden, die oftmals als „Zerreißproben“

Ohio 2010.

­beschrieben werden.

Historische und ökonomische Perspektiven auf die Entwicklung und Verbreitung von Mensch- und Tierkrankheiten werden in diesem Beitrag in Zusammenhang mit der Geschichte der Veterinärmedizin und dem Aufkommen veterinärmedizinischer Tätigkeitsbereiche wie Präventions- und

Weiterführende Fragen

Kontrollprogramme zur Bekämpfung von Krankheiten und Seuchen in Verbindung gesetzt und in globalen Zusammenhängen erörtert.

Welche Gemeinsamkeiten lassen sich zwischen den Kontexten der Einzel- und Massentötung von Tieren finden? Welche Unterschiede?

Coleman, JG: Educating the Public. Information or Persuasion? In: Journal of Veterinary Medical Education. 2010 / 42 (2), 74–82.

Wo sind in diesen Fällen die zentralen Hindernisse, wenn es um die Realisierung von Tier-

Der Artikel setzt sich kritisch mit der Aufklärungspolitik tierschutzrelevan-

schutzaspekten geht?

ter Probleme in den Medien und der Öffentlichkeit auseinander und fordert eine einvernehmliche Informationspolitik, die sich auf veterinärmedizini-

Welche Hilfestellungen und Rahmenbedingungen würden ATÄ dabei helfen, die „Ausnah-

sches und wissenschaftliches Faktenwissen stützt.

mesituation Keulung“ besser zu bewältigen? 60

61

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

hinaus ebenso mit den Widersprüchlichkeiten zwischen verschie-

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 1  |  Tiere töten

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Davis, M: Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien. Berlin / Hamburg 2005. Journalistische Darstellung der Ausbreitungsformen und virologischen Zusammenhänge der Vogelgrippe. Polemische Auseinandersetzung mit dem

Schwerpunkt 2

Tiere — lebendiger Rohstoff?

politischen, wirtschaftlichen und medialen Umgang mit der Seuche.

Hartnack, S / Grimm, H / Doherr, MG / Kunzmann, P: Bericht von ­einem Ethik-Workshop in der Schweiz 2007 zur Massentötung im Tierseuchenfall. In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift. Niemals zuvor in der Geschichte hielt der Mensch so viele Nutztiere wie in der Gegenwart.

2009 / 116, 152–157.

Sie finden als Mast- und Schlachttiere, Milchtiere oder auch als Fett-, Leder-, Daunen- und Jones, S: Animal Diseases (Zoonoses). In: Byrne, J (Hrsg.): Encyclo-

Felllieferanten Verwendung. Die Zahlen sind beeindruckend: In Österreich wurde für den

pedia of Plagues, Pestilence and Pandemics. Westport 2008 / 1,

1. Dezember 2014 ein Gesamtbestand von 1,9 Millionen Rindern und 2,87 Millionen Schweinen

19–23.

festgestellt. Die meldepflichtigen Geflügelbrütereien wiesen für dasselbe Berichtsjahr eine

Der Beitrag dokumentiert die Entstehung und Verbreitung von Zoonosen

Gesamteinlage von 114,4 Millionen Stück Hühner-Bruteiern aus (die Angaben stammen von

am Beispiel von Beulenpest und Grippe vor dem Hintergrund ökologischer

Statistik Austria). Auch im Nachbarland Deutschland ist die Nutztierhaltung von b ­ esonderer

und evolutionärer Entwicklungen.

Bedeutung: Mehr als 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe halten dort gegenwärtig Nutztiere. Eine Zählung für den März 2013 ergab, dass in diesem Monat über 220 Millionen

Law, J: Culling, Catastrophe and Collectivity. In: Scandinavian

Nutztiere in deutschen Ställen standen (WBA 2015, 15). Mit Blick auf die globale Entwicklung

­Journal of Social Theory 2008, 16, 61–76.

ist festzustellen, dass die Nutztierhaltung einer der am schnellsten wachsenden landwirt-

Soziologische Untersuchung zu Verbreitung, Ursachen und Folgen der

schaftlichen Sektoren ist. Ob des Bevölkerungswachstums, zunehmender Urbanisierung,

Maul- und Klauenseuche 2001 in England und ethische Auseinanderset-

steigender Einkommen und Änderungen der Essgewohnheiten ist gerade die weltweite

zung mit den unterschiedlichen Strategien und Politiken, die im Zuge der

Fleischproduktion in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Eine Veränderung der

Seuchenbekämpfung entwickelt und umgesetzt wurden.

Dynamik ist nicht in Sicht (WBA 2015, 5ff.). Die beschriebene Verwertung nutzt dabei nicht nur die Tiere, sie gestaltet durch gezielte Züchtung auch den tierischen Körper um. Die

Woods, A: A historical synopsis of farm animal disease and ­public

­vorgegebenen Abläufe und Räumlichkeiten in der Nutztierhaltung haben demnach auch die

policy in twentieth century Britain. In: Philosophical ­Transactions

Tiere verändert.

of the Royal Society of London, Series B: Biological Sciences. 2011 / 366 (1573), 1943–1954.

Die verwendeten Begrifflichkeiten zeigen in aller Deutlichkeit an, dass Tiere hierbei

Der Artikel dokumentiert und analysiert das sich wandelnde Verständnis im

maßgeblich als Rohstoff gesehen werden: Man spricht von Bestandsgrößen, Produk-

Umgang mit Krankheiten und Seuchen in britischen Viehbeständen im 20.

tionseinheiten und Produktivitätsraten, von Erzeugungsvolumen und ­Produktionsfaktoren.

Jahrhundert auf landwirtschaftlicher, veterinärmedizinischer und national-

Zugleich wird mit Blick auf die letzten Jahrzehnte von vielen Stimmen ein Wertewandel

politischer Ebene.

­innerhalb der Gesellschaft diagnostiziert: Tierwohl, so die These, ist den ­Bürger_innen 62

63

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

gegenwärtig ein weit höheres Anliegen als noch in früheren Zeiten. (Polemisch ­gefasst

­zurückführen. Nun aber, in Zeiten und in Breiten, in denen wie angesprochen die meisten

ließe sich ergänzen: Inwieweit dieser Wertewandel nicht nur Bürger_innen, s­ ondern auch

Menschen eher mit Heimtieren denn mit Nutztieren in Kontakt kommen und sich ganz

Konsument_innen umfasst, ist umstritten.)

­generell eine verstärkte moralische Perspektive auf Fragen der Mensch-Tier-Beziehung diagnostizieren lässt, wird gefragt, inwieweit diese unterschiedliche Behandlung ethisch rechtfertigbar ist. Zugespitzt formuliert: Sollen die ethischen Standards, die gemeinhin für Heimtiere angewandt werden, auch für Nutztiere gelten? Dies würde im Mindesten eine Revolution der Landwirtschaft bedeuten, die vielen als Utopie (oder gegebenenfalls auch als Dystopie) erscheinen mag. Oder sind Fragen dieser Art ein Anzeichen dafür, dass wir als Gesellschaft dabei sind, den Bezug zum Nutztier wie zur Landwirtschaft allgemein zu verlieren? Anders gefragt: Ist Nutzung und moralische Wertschätzung per se ein Widerspruch?

Verdinglichung ohne Rücksicht? Der Mensch ordnet Tiere seinen Interessen unter und setzt sie zur Erfüllung seiner Z ­ wecke ein. Was in aller Regel geschieht, wenn Tiere diese Zwecke nicht mehr erfüllen, davon erzählt Es tritt ein Spannungsfeld zutage, das besonders deutlich wird, wenn man sich die verschie-

unter anderem das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten: Der Esel, der jahrelang die

denen gesellschaftlichen Dynamiken der letzten Jahre und Jahrzehnte vor Augen führt: Die

schweren Säcke zur Mühle getragen hat, ist entkräftet und taugt nicht mehr zur Arbeit – sein

gesellschaftlichen Erwartungen an Tierschutz sind auch und gerade in der Nutztierhaltung

Besitzer will ihn daher töten. Der Hund, der ob seines Alters nicht mehr mit zur Jagd kann,

stark gestiegen; gleichzeitig wissen immer weniger Menschen um die reelle Praxis in der

soll erschossen werden. Die Katze, die für das Mäusejagen zu langsam ­geworden ist, soll

Landwirtschaft Bescheid. Das System der Tiernutzung ist für die meisten Verbraucher_in-

von ihrer Besitzerin ertränkt werden. Und der Hahn, für den Weckruf nicht mehr ­notwendig

nen weitgehend unsichtbar, es findet verstärkt gesellschaftlich abgekapselt statt. Immer

und fürs Eierlegen ohnehin nie zuständig, soll in der Suppe enden. Die Tiere im Märchen

mehr Menschen kommen mit Tieren nur noch im Kontext der Heimtierhaltung in Kontakt;

sind durch den Verlust ihrer Leistungskraft ihren Besitzer_innen nutzlos geworden. Das

der Konsum tierischer Produkte wie Fleisch sinkt in den Industrieländern nur geringfügig.

­Kümmern und die Sorge enden mit dem Tag, an dem sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Es

Zugleich haben sich viele Menschen an die vergleichsweise günstigen Produkte aus der

sind also die Interessen des Menschen, die handlungsleitend sind. Ab wann ist eine solche

Nutztierhaltung gewöhnt. Gerade die bereits öfter angesprochene Kluft zwischen Heim-

Verdinglichung oder Instrumentalisierung ethisch unerlaubt?

und Nutztierhaltung wird dabei immer stärker zum Thema öffentlicher Debatten. Exemplarisch gefasst: Hunde sind in der Regel Gefährten des Menschen, während Schweine in

Eine Philosophin, die sich näher mit Praktiken der Verdinglichung auseinandergesetzt hat,

der Regel im Stall und in der Folge auf dem Teller zu finden sind. Diese Unterscheidung

ist Martha Nussbaum (Nussbaum 2002, 102). Ihre Differenzierungen folgen graduellen Ab-

lässt sich weniger auf biologische Unterschiede der Tiere denn auf kulturelle Bedingungen

stufungen: Nutzen wir ein anderes Wesen als Werkzeug für unsere eigenen Zwecke, spricht

64

65

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

sie von Instrumentalisierung. D ­ iese Instrumentalisierung kann jedoch verschiedene Di-

Moralische Praktiken im Umgang mit Tieren

mensionen annehmen, wie folgende ­Fragen klar machen: Behandeln wir dieses andere­ Wesen im Rahmen unserer Instrumentalisierung, als fehle ihm jegliche Autonomie und Selbstbestimmung? Behandeln wir es, als fehle ihm Handlungsfähigkeit? Gehen wir mit ihm

Über den Schlüsselbegriff Verantwortung

um, als wäre es austauschbar? Nehmen wir auf die Verletzbarkeit des ­Wesens Rücksicht, oder ­behandeln wir es als etwas, das man quasi zerbrechen und zerschlagen darf? Ist unser

Gerade in den Debatten zu Tieren als „lebendigem Rohstoff“ im Kontext der Nutztierhaltung

­Umgang mit ihm, als fehle ihm jegliche Subjektivität, als hätte es kein Erleben und Fühlen?

tauchte ein Begriff prominent auf, der grundsätzlich von besonderer Relevanz ist, für ATÄ wie für jede Profession, und der daher im Folgenden im Mittelpunkt stehen soll: Die Rede ist vom Begriff der Verantwortung. Um die Diskussionen und Argumentationen nachzuzeich-

Die Differenzierungen von Nussbaum erlauben die Argumentation, dass der Einsatz von Tieren für eigene Zwecke nicht per se ethisch problematisch ist. Selbst der Einsatz von Mitmenschen zur Erfüllung der eigenen

Rechtfertigbare Instrumentalisierung? ATÄ können in ihrer Kontrollfunktion von landwirtschaftlichen Tierbeständen gewissermaßen als „Agent_innen g ­ egen

nen, soll ein Fallbeispiel geschildert werden, das als Problemanzeige dem weiten Feld der „Nutzung von Tieren“ zugerechnet werden kann, zugleich aber auch verdeutlicht, inwieweit bei ethisch relevanten Fragen zum Umgang mit Tieren stets auch der Mensch in den Blick zu geraten hat.

eine rücksichtslose Verdinglichung – für

sein – und ist ein alltäglicher Fall. Man ­denke

eine ethisch rechtfertigbare Instrumen-

Fallbeispiel D: Rücksichtsloser / überforderter Tierhalter

an das Bestellen eines Getränks in einem

talisierung“ beschrieben werden. Was

Ein Amtstierarzt ist wiederholt mit einem landwirtschaftlichen

Kaffeehaus. In dieser Situation instrumentalisiert man den Kellner oder die Kellnerin zur Erfüllung des eigenen Wunsches, den

hierbei gegenwärtig als ethisch rechtfertigbar gilt, ist gesetzlich vorgegeben und unterliegt damit einem offenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess.

Betrieb konfrontiert, in dem die Standards tierethisch betrachtet im Argen liegen. Die schlechten Haltungsbedingungen sind nicht ­zuletzt auf die Alkoholkrankheit des Tierhalters zurückzuführen.

Durst zu stillen oder einen Kaffee zu ge-

Die „rücksichtslose Verdinglichung“ geschieht also weniger aus

nießen. Zugleich aber kommt es in diesem

dem Ziel einer effizienten Produktionsmaximierung heraus denn

­Szenario – in aller ­Regel – zu keiner vollständigen Verdinglichung: Nicht nur werden der

aus Überforderung. Nichtsdestotrotz werden die Tiere bloß als aus-

Kellner oder die Kellnerin für ihre Tätigkeit bezahlt, entscheidend ist, dass sie in diesem

tauschbarer Rohstoff behandelt, ohne dass ihre Verletzbarkeit oder

Prozess weiterhin als Menschen wahrgenommen werden, über die die Kund_innen nicht

Subjektivität eine Rolle spielen würden. Der Amtstierarzt trifft eine

in ihrer Gesamtheit verfügen dürfen. Es kommt also zu einer Instrumentalisierung, in der

Entscheidung und schließt den Betrieb endgültig. Die Familienan-

jedoch die Autonomie, Subjektivität und Verletzbarkeit des Gegenübers nicht geleugnet

gehörigen des Tierhalters gehen mit dem Amtstierarzt in der Folge

werden. Genau diese Balance, so ein breiter Strang der Kritik, ist in der Nutztierhaltung in

hart ins Gericht: Er müsse doch wissen, dass sich die Situation des

vielen Fällen aber nicht mehr gegeben.

Mannes damit bloß weiter verschärfe. Ihr Vorwurf: Der Amtstierarzt handelt verantwortungslos.

Das Fallbeispiel zeigt exemplarisch, was auch weiter oben an anderen Stellen der Debatten bereits deutlich wurde: Tierethische Probleme korrespondieren oftmals mit Menschen 66

67

FALLBEISPIEL

Interessen kann durchaus gerechtfertigt

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

DER RESPONSIBILITY CHECK

in Problemlagen. Aus diesem Grund haben ATÄ wie erwähnt immer auch mit zwischenvon manchen ATÄ als Beschönigung empfunden werden, wissen doch nicht ­wenige davon

Vor dem Hintergrund, dass Verantwortung vielfach diskutiert wird,

zu berichten, wie sie bei derartigen Fällen von aggressiven Tierhalter_innen b ­ edroht wur-

zugleich aber doch oft ein nebulös verwendeter Begriff bleibt,

den oder wie betroffene Landwirt_innen wenige Tage nach Schließung des Betriebs den

­führte der Philosoph Günter Ropohl eine Strukturierung von Ver-

­Suizid wählten. Derartige Geschehnisse stellen die Frage, inwieweit eine Supervision ­gerade

antwortungstypen ein. Der sogenannte Responsibility Check baut

für ATÄ ein hilfreiches wie notwendiges Angebot darstellt. (Der Wunsch nach einer solchen

auf dieser Struktur auf.

Begleitung des Berufs wurde von Teilnehmenden wiederholt geäußert.) Im ­skizzierten Fallbeispiel kommt erschwerend hinzu, dass die Familienangehörigen ihre Kritik durch einen zentralen Terminus der Gegenwart vorbringen: Verantwortung ist ein Schlüsselbegriff in zahllosen Debatten, der auch im Laufe der Workshops mit den ATÄ in nahezu j­eder ­Diskussionsrunde fiel. Verantwortungsloses Handeln ist einer der heftigeren V ­ orwürfe, die man einem_einer Vertreter_in eines Berufsstandes machen kann. Überall eingefordert bleibt jedoch oft unklar, wer eigentlich wofür verantwortlich ist bzw. sein kann. Um das Ver-

1

2

3

A Wer   verant  wortet

Individuum

Korporation

Gesellschaft

B Was

Handlung

Produkt

Unterlassung

C Wofür

Folgen voraussehbar

Folgen unvoraussehbar

Fern- und Spätfolgen

D Weswegen

Moralische Regeln

Gesellschaftliche Werte

Staatliche Gesetze

E Wovor

Gewissen

Urteil anderer

Gericht

F Wann

Vorher (prospektiv)

Momentan

Nachher (retrospektiv)

G Wie

Aktiv

Virtuell

Passiv

antwortungsprofil zu schärfen, kann unter anderem auf das Tool des Responsibility Checks zurückgegriffen werden.

Verantwortungstypen nach Ropohl (1994)

Vorgehen Bestimmte Typen von Verantwortung ergeben sich, indem man anhand der Grundsatzfragen (linke Spalte) aus jeder Zeile ein Element auswählt bzw. darüber diskutiert, inwieweit im entsprechenden Fall eine derartige Auswahl möglich ist bzw. schwer fällt und warum.

68

69

AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

menschlichen Herausforderungen zu tun. Die Begrifflichkeit „Herausforderung“ mag dabei

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Output

Davon unterschieden werden kann eine Professionsverantwortung, die jede ­ Person

Das Modell ist hilfreich, um die praktischen Dimensionen der Ver-

ob ihres Aufgabenfelds in ihrer beruflichen Rolle übernimmt. Weiter oben wurde

antwortung zu benennen und auch zu unterscheiden und sich auf

festgehalten, dass wir an der Gesellschaft nicht nur, aber doch auch im Besonderen ­­­

diese Art und Weise der komplexen Frage nach der eigenen Verant-

via ­unserer beruflichen Rolle partizipieren. Eine Lehrerin hat dabei andere Aufgaben zu

wortung und ihren Grenzen strukturiert anzunähern.

­verantworten als ein Bäckermeister, eine Experimentalphysikerin andere als ein Landwirt. In allen ­genannten Fällen korrespondiert die entsprechende Professionsverantwortung mit den Kompetenzen und der erworbenen Expertise, die diesen Berufsbildern zugespro-

Verantwortung zu übernehmen heißt allgemein, sich für eine bestimmte Aufgabe z­ uständig

chen werden. Eine Professionsverantwortung auszugestalten und ihr ­ nachzukommen,

zu erklären bzw. angesichts der Folgen des eigenen Tuns Rede und Antwort zu stehen.

bedeutet ­dabei weder, „nur eine Rolle zu spielen“, – sie ist also nicht als eine „Maske“ mis-

Schon die erste Frage des Responsibility Checks macht dabei deutlich, dass Verantwortung

szuverstehen, die wir a ­ ufsetzen und damit verbergen, „wer wir wirklich sind“, – noch ist

nicht nur als Individuum, sondern auch als Kooperation oder als gesamte Gesellschaft über-

sie als ein steter G ­ egensatz zur individuellen ­­ Verantwortung zu verstehen. Eine berufli-

nommen werden kann.

che Verantwortung ist in diesem Sinne k­ eineswegs amoralisch, vielmehr basiert auch sie auf ­ bestimmten Wertüberzeugungen. Im

Im Fallbeispiel steht der Amtstierarzt eben nicht als Privatperson in den Stallungen des

Fall von Vertreter_innen des Staats kommt

rücksichtslosen bzw. überforderten Tierhalters, sondern als Vertreter des Staats. Er vertritt ­­

durch die Professionsverantwortung auch

also weniger seine eigenen moralischen Anschauungen als den moralischen Konsens der

eine gesellschaftliche Mitverantwortung ins

Gesellschaft, der sich in den gesetzlichen Vorgaben zur Nutztierhaltung abbildet. In d ­ ieser

Spiel: Berufe wie ATÄ, die gesetzliche Vor-

Funktion verantwortet er die Handlung der Schließung des Betriebs insofern, als er – nicht

gaben exekutieren, agieren eben nicht

schaubar und eng verwoben. Sich für

zuletzt im Wissen um die vorausgegangenen Warnungen an den Tierhalter – die ­absehbaren

„bloß“ aus ­eigenem Gewissen heraus, son-

alles verantwortlich zu fühlen, kann da-

Folgen derart einschätzt, dass keine Besserung der Zustände mehr eintreten wird. Seine

dern auf Basis ­gesellschaftlicher Interessen

bei in einer moralischen Überforderung

Verantwortung speist sich dabei weniger aus persönlichen moralischen Überzeugungen und

wie geteilter Werte. Wer mit d ­ iesen Vorga-

dem eigenen Gewissen als vielmehr aus den vorgegebenen Gesetzen. (Die eigenen Überzeu-

ben als Bürgerin oder Bürger unglücklich ist,

gungen und die gesetzlichen Vorgaben müssen einander dabei nicht n ­ otwendigerweise wi-

der kann wie weiter oben ­explizit angespro-

dersprechen; handlungsleitend sind im Fall einer Verantwortung, die man ob der Berufsrolle

chen, daran ­mitwirken, sie zu ändern – und

wusst auch die Grenzen dieser Verant-

zugesprochen bekommt, jedoch die definierten Vorgaben des Berufsfelds.) Die ­Debatten

damit auch die amtstierärztliche Professi-

wortung in den Blick zu nehmen.

entlang des Responsibility Checks machten an mehreren Stellen deutlich, dass eine Dif­­

onsverantwortung.

Grenzen der Verantwortung Gerade in komplexen Gesellschaften sind

Wirkzusammenhänge

unüber-

enden. Im Nachdenken über die eigene Verantwortung – im Besonderen über die eigene Professionsverantwortung – ist es daher erlaubt wie sinnvoll, be-

ferenz zwischen einer individuellen Verantwortung und einer beruflichen V ­ erantwortung (oder Professionsverantwortung) sinnvoll sein kann. Mit individueller ­­Verantwortung

Aus amtstierärztlicher Sicht müssen einander die individuelle Verantwortung und die

soll dabei jene Verantwortung gemeint sein, die jeder Mensch ganz generell für seine

Professionsverantwortung nicht widersprechen, sie können aber durchaus in bestimmten

­Mitmenschen und andere Lebewesen übernimmt: etwa wenn es heißt, dass ich ­niemandem

­Situationen in Spannung zueinander treten: Welche Handlungen ich persönlich mit meinen

Schaden zufügen soll oder dass ich, wo dies möglich ist, das Wohlergehen anderer zu för-

eigenen Überzeugungen nicht in Einklang bringe, ist eine Frage, die stets aufs Neue zu re-

dern habe. Diese individuelle Verantwortung gestalte ich als Person ob meiner eigenen

flektieren ist. Gerade das Gefühl, „ohnehin nichts ändern zu können“ und „nur ein kleines

Grundüberzeugungen aus.

Rad im großen, unüberschaubaren System“ zu sein, darf dabei zu keiner Erosion der Verant70

71

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Kniff an, im Zentrum seiner Darlegung steht aber eine überzeugende

individuelle Verantwortung sind demnach gedanklich zu differenzieren – zugleich aber ist

Argumentation.

es ein lohnendes Unterfangen, den Brückenschlag zu versuchen, sprich daran zu arbeiten, die Dinge nicht nur korrekt, sondern auch richtig zu machen.

In den Gesprächen mit den ATÄ war ein wiederkehrendes Thema, dass die Debattenkultur zu Fragen der Mensch-Tier-Beziehung

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

durchaus verbesserungswürdig sei. Deshalb werden im ­Folgenden Rhetorik – Wie ist besseres Argumentieren möglich?

— in einem etwas ausführlicheren Block — acht typische Argu-

Für welche Fragen bin ich verantwortlich? Wann handle ich verant-

mentationsfehler vorgestellt, die in hitzigen Diskussionen häu-

wortungslos? Wie kann ich meine Entscheidungen ­begründen? All

fig vorkommen. Die vorliegende Guideline ist eine Adaption auf

diese Fragen spielen in der amtstierärztlichen Praxis eine wesent-

Fragen der Mensch-Tier-­ Beziehung einer Argumentationshilfe,

liche Rolle. Zugleich aber genügt die ethische Reflexion gerade mit

die im Rahmen der ethischen Begleitforschung des Bayerischen

Blick auf den beruflichen Alltag nicht: Ich kann eine ethisch schlüssige

Forschungsverbundes F ­orPlanta (Hochschule für Philosophie,

Argumentation auf meiner Seite h ­ aben; wenn ich diese aber nicht

­Christian ­Dürnberger) für ein besseres Diskutieren in der Gentech-

ebenso schlüssig kommunizieren kann, wird sie mir in Debatten nur

nikdebatte entwickelt wurde. Mit fehlerhaften Argumentations-

wenig helfen. An dieser Stelle zeigt sich das ­Naheverhältnis von

figuren beschäftigen sich auch Bleisch und Huppenbauer (2011,

Ethik und Rhetorik: Einerseits muss ethische Auseinandersetzung

130–147) sowie zahlreiche Blogs im Web wie etwa ratioblog.de. Die

notwendigerweise auf Wort und Argument zurückgreifen, um in ei-

angeführten Beispiele sind als idealtypische Verdichtungen von

ner moralischen Streitfrage zu überzeugen. Zugleich sperrt sich die

­Argumentationsweisen zu ­verstehen und unabhängig von ihrem

Gegenüberstellung dieser Begriffe ein Stück weit: Der Ethik geht es

spezifischen Inhalt zu ­lesen. In einem ­adäquaten Kontext können

um das „Richtige“ und das „Unbedingte“; Rhetorik hingegen erinnert

die Exempel zwar durchaus gewinnbringende ­Aspekte in die Dis-

viele an „Manipulation“ und „sprachliche Tricks“. Ein_e rhetorisch

kussion einbringen, als alleinstehende Argumente jedoch sind sie

Begabte_r kann in eleganter Wortwahl und mit s­ tarken Metaphern

kritisch zu betrachten.

­jene_n in Grund und Boden reden, der_die aus ­moralphilosophischer Sicht vielleicht im Recht wäre. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass Rhetorik als Redekunst nicht überall hoch angesehen wird. Wer gegenwärtig Rhetorik nicht als Schmähbegriff verwendet, der steht in der Regel in loser Tradition von Aristoteles. Dieser unterscheidet zwischen „Überredung“ und „Überzeugung“: Wer bloß überredet, der setzt alle erlaubten wie unerlaubten Mittel ein und zielt vor allem auf die Emotionen seines Publikums ab. Wer ­hingegen überzeugt, der wendet zwar den einen oder anderen rhetorischen

72

73

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

wortung führen und nicht in blinder Pflichterfüllung enden. Professionsverantwortung und

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

1. Die Person anstelle der Position attackieren – „Ad hominem“

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Beispiel 2:

„Die Keulung von gesunden, erregeranfälligen Tieren wird vom

Philosophen und Biologen Max Mustermann abgelehnt. Ein ExBei der Argumentationsfigur „Ad hominem“, also „auf den Menschen gerichtet“, wird nicht

perte mit gleich zwei Studienabschlüssen wird recht haben.“

der Standpunkt zum Thema, sondern die Person, die diesen Standpunkt vertritt. Es ist an zahllosen Stellen in Debatten ohne Zweifel sinnvoll und notwendig, sich auf ArguBeispiel 1:

„Dass der Amtstierarzt in diesem Stall kein relevantes Tierleid dia gnostiziert, ist klar. Der ist ja selbst auf einem Bauernhof aufge-

mente, Studien und Ergebnisse von Expertinnen und Experten zu berufen – der Hinweis auf eine Autorität allein ist jedoch keine Garantie für die Richtigkeit einer Position.

wachsen und mit den Bauern gut Freund.“ Beispiel 2:

„Kein Wunder, dass diese Tierärztin den kranken Hund mit immer

3. „Das war schon immer so!“ – Der Sein-Sollen-Fehlschluss

neuen Therapien und Schmerzmitteln durchschleppt statt end-

lich eine Euthanasie vorzunehmen – für die ist ein todkrankes

Der Sein-Sollen-Fehlschluss gehört zu den meist diskutierten Argumentationsfiguren der

Tier doch bloß eine Gelddruckmaschine.“

Philosophiegeschichte. Im Folgenden soll eine simple Form dieser rhetorischen Figur dargelegt werden, die im Wesentlichen besagt: Eine ethische Forderung, wie etwas sein soll,

In beiden Beispielen wird auf Akteur_innen fokussiert, die eine Entscheidung getroffen

lässt sich nicht allein aus deskriptiven Beschreibungen gewinnen, wie etwas ist.

und dabei – wir nehmen es im vorliegenden Fall an – Argumente vorgebracht haben. Diese Argumente aber werden von der Kritik nicht in den Blick genommen. Das hierbei häufig zu

Beispiel 1:

„Wieso sollen wir auf fleischlose Ernährung umsteigen? Der

vernehmende „Interessensargument“ ist insofern zu problematisieren, als in der Regel alle

Mensch hat schon immer Fleisch gegessen.“

Beteiligten an einer Diskussion Interessen aufweisen und das Aufweisen von Interessen noch keinen ethischen Skandal per se bedeutet. Das Sichtbarmachen von impliziten Inte-

Beispiel 2:

„Kein anderes Tier verschlingt so viel Fleisch wie wir. Wir sollten

ressen kann einen Gewinn an höherer Transparenz bedeuten, die Kritik an Akteur_innen

uns mäßigen. Alles andere ist unnatürlich.“

darf jedoch nicht mit Kritik an deren Argumentationen verwechselt werden. In beiden Beispielen wird aus einer Deskription eine unmittelbare Norm abgeleitet: Im ­ersten Fall dient die Geschichte, im zweiten Fall die Natur als Ausgangspunkt. Kritische 2. Ehrfurcht vor Autoritäten – „Ad verecundiam“

Gegenstatements hätten u.a. auf Folgendes hinzuweisen: Nur weil etwas immer schon so gemacht wurde, ist daraus nicht zu schließen, dass man es weiterhin so machen soll. Im

Das Gegenteil der erstgenannten Argumentationsfigur, dabei jedoch ebenso diskussions-

zweiten Beispiel zeigt sich darüber hinaus die oft zu diagnostizierende Gleichsetzung von

würdig, ist das Argument „Ad verecundiam“, also das Argument „aus Ehrfurcht“. Hier wird

„natürlich“ und „gut“. Nicht zuletzt bereits John Stuart Mill hat aber zu Recht darauf hinge-

der eigene Standpunkt durch die Berufung auf eine Autorität bewiesen bzw. erhärtet.

wiesen, dass „die Natur“ oder „das Natürliche“ in ihrer Widersprüchlichkeit nicht als moralisches Vorbild taugt. Darüber hinaus kann in beiden Fällen gefragt werden, inwieweit die

Beispiel 1:

„In der Nutztierhaltung ist ethisch alles in Ordnung. Das hat die

vorgebrachten Deskriptionen überhaupt stimmig sind.

hierfür eingesetzte Ethikkommission klar gemacht. Daher gibt es daran nichts zu rütteln.“ 74

75

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

4. Das „Strohmann-Argument“

5. „Wenn wir das tun, dann …“ – das „Dammbruch-Argument“

Beim sogenannten „Strohmann-Argument“ stellt man die Gegenposition verzerrt und über-

Beim sogenannten „Dammbruch-Argument“ wird wie folgt argumentiert: Ein (relativ

zeichnet dar, um den eigenen Standpunkt in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.

­kleiner) erster Schritt wird zu einer Kettenreaktion an ähnlichen Ereignissen führen und am Ende werden wir uns in einer moralisch nicht akzeptablen Situation wiederfinden. Im Engli-

Beispiel 1:

„Wer gegen die moderne Fleischindustrie ist, sehnt sich nach den

alten Zeiten zurück, in denen niemand genug zu essen hatte.“

schen wird dieses Argument „Slippery Slope“ genannt, also rutschiger Abhang. Das Bild soll den Kern der Argumentationsfigur kommunizieren, der besagt: Wenn wir nur diesen einen Schritt auf den Abhang setzen, gibt es kein Halten mehr.

Beispiel 2:

„Amtstierärzte machen uns glauben, dass es immer noch mehr

Verbote braucht. Die würden am liebsten sogar gesetzlich regeln, zu welcher Stunde ich meinen Hund füttere.“

Beispiel 1:

„Wenn wir erst einmal erlauben, dass Hunde und Katzen auf einem

Friedhof bestattet werden, wird bald gar kein Unterschied mehr In beiden Statements wird die Position der Gegenseite karikiert, um die eigene Argumen-

gemacht werden zwischen Menschen und Tieren. Und irgendwann

tationsweise als die reflektierte und adäquate darzustellen. Die kritische Rückfrage hat

wird man als Mensch vergeblich auf ein Spenderorgan warten, weil

hier zu problematisieren, inwieweit die dargestellte Position tatsächlich jemand vertritt

eine Katze vor einem auf der Liste steht.“

bzw. gegebenenfalls in einem zweiten Schritt, inwieweit es – plakativ gefasst – klug und angemessen ist, sich stets mit den „dümmsten“ Vertreter_innen der Gegenseite auseinan-

Beispiel 2:

„Die Tierschützer fordern immer noch höhere Standards in der

derzusetzen, oder ob es einer Diskussion – und auch der Schärfung der eigenen Position



Nutztierhaltung. Irgendwann wird jedes Schwein im Stall besser

– nicht eher hilft, sich den reflektierten und klugen Kommentator_innen der Gegenseite zu



umsorgt sein als unsere Kinder und die Produktionskosten werden

widmen.



derart explodiert sein, dass es keinen einzigen Bauern mit Nutz-



tieren mehr in Österreich geben wird, weil es sich niemand mehr



leisten wird können, diesen Beruf auszuüben.“

Die Argumentationsfigur des „Slippery Slope“ bezieht seine rhetorische Kraft aus der ­Illustration einer meist düsteren Zukunft, die mit einer Entscheidung in der Gegenwart in Zusammenhang gebracht wird. Die Rückfragen lauten hierbei: Führt der erste Schritt tatsächlich notwendigerweise zur skizzierten Endsituation? Welche Regulierungen sind denkbar, um das „Hinunterrutschen am Abhang“ nicht Realität werden zu lassen? In manchen Fällen ist auch zu fragen: Ist die Zukunftsprognose tatsächlich unter allen Umständen ­abzulehnen, und wenn ja, warum?

76

77

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

6. „Entweder … oder“ – das „Falsche Dilemma“

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

deren kann sie über einen zu geringen Kenntnisstand verfügen, als dass für sie ein sachgerechtes Urteil möglich wäre. Darüber hinaus kann stets gefragt werden, ob die Mehrheiten

Bei der Argumentationsfigur des „Falschen Dilemmas“ wird suggeriert, es gäbe nur eine

überhaupt derart klar verteilt sind wie behauptet.

limitierte Anzahl an möglichen Handlungsoptionen. Beispiel 1:

„Entweder wir setzen auf großstrukturierte Betriebe in der Nutz-

8. „Ich kenne jemanden, der …“ – Anekdote statt Argument

tierhaltung, oder wir werden im Jahr 2030 verhungern.“ Eine beliebte rhetorische Figur ist schließlich der Rückgriff auf Erzählungen von Anekdoten

Beispiel 2:

„Entweder wir euthanasieren aggressive Hunde rigoros, oder in

und Beschreibungen von Einzelfällen.

den Parks der Stadt wird man bald nicht mehr sicher sein.“ Beispiel 1:

„Ich habe einmal den Amtstierarzt angerufen, aber der meinte

In beiden Fällen werden nur zwei Möglichkeiten präsentiert; die Entscheidung wird zu

bloß, er könne erst in vier Wochen kommen. Das sind doch alles

­einem schlichten „Entweder–oder“ pauschalisiert. Insofern sich die Argumentationsfigur in



faule Beamte, die sich nicht um die Tiere kümmern wollen.“

der Regel auf zukünftige Prozesse richtet, ist sie oftmals mit Dammbruch-Argumentationsweisen angereichert. Bei derartigen „Falschen Dilemmata“ bedarf es stets der kritischen

Beispiel 2:

„Ich kenne eine Frau, die ist mit ihrem kranken Hund von einem

Rückfrage nach weiteren Handlungsoptionen bzw. nach Szenarien, die Graustufen jenseits

Tierarzt zum nächsten und alle haben ihr geraten, ihn einschläfern

der bloßen „Ja oder Nein“-Fragestellung zulassen.

zu lassen. Gott sei Dank hat sie nicht darauf gehört. Der Hund ist nämlich wieder gesund geworden und lebt noch immer. Man kann den Medizinern einfach nicht vertrauen.“

7. „So viele können nicht irren“ – „Ad populum“ Derartige Erzählungen führen zu einer Fragestellung, die bereits Aristoteles ­beschäftigte, Bei der Argumentationsfigur „Ad populum” wird die eigene Position durch den Hinweis

nämlich: Inwieweit darf man in Debatten die Emotionen des Publikums ansprechen? Die

­gestärkt, dass eine Mehrheit diesen Standpunkt teilt.

Antwort des antiken Philosophen scheint auch heute noch tauglich: Emotionen etwa durch Anekdoten zu wecken, ist ein erlaubtes Mittel, jedoch dürfen derartige Einzelfallbeschrei-

Beispiel 1:

„In den meisten Ländern der nördlichen Hemisphäre ist es völlig

bungen nicht mit Argumenten verwechselt werden, sprich: Die Diskussion darf sich nicht in

üblich, Pelz zu tragen. Die sind nicht so übersensibilisiert wie wir.“

­einem Austausch solcher Anekdoten erschöpfen, allenfalls können E ­ inzelfallbeschreibungen empirisch belastbares Material von durchgeführten Studien ­veranschaulichen.

Beispiel 2:

„Nur 20 Prozent der Österreicher sind mit den Standards in der

Nutztierhaltung zufrieden. Das sagt doch schon alles.“ Die Tatsache, dass eine Mehrheit einen Standpunkt vertritt, ist selbst noch keine Aussage über die Qualität dieses Standpunktes. Zum einen kann die Mehrheit schlicht irren, zum an78

79

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Weiterführende Fragen

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Food Quality Required by the Public. Journal of Veterinary Medical Vor dem Hintergrund aktueller Tierschutzdebatten über landwirtschafliche

sichtslose Verdinglichung“ der Tiere zu verstehen?

Tiernutzung und Produktion wird in diesem Beitrag eine klare Definition des Tierschutzkonzepts in der öffentlichen Informationspolitik gefordert. ­­Da-

Welche weiteren diskussionswürdigen Argumentationsfiguren begegnen Ihnen im amtstier-

rüber hinaus wird die Notwendigkeit diskutiert, tierschutzrelevante Fragen,

ärztlichen Arbeitsumfeld? Welche generellen Schwierigkeiten stellen sich bei der Kommuni-

Ethik und gesetzliche Vorgaben in die veterinärmemedizinsche Ausbildung

kation oftmals ein – sei es mit Kolleg_innen, Nutztierhalter_innen, Behörden etc.?

zu integrieren.

Welche anderen Berufe lassen sich finden, deren Professionsverantwortung jener der

Candace, CC.: Words Matter: Implications of Semantics and Imagery

amtstierärztlichen Verantwortung ähnelt? Woraus ergeben sich Gemeinsamkeiten?

in Framing Animal-Welfare Issues. Journal of Veterinary Medical Education. 2010 / 37 (1), 101–106. Studie zum Einfluss von Sprache und Begriffswahl auf die Wahrnehmung und Bewertung von Tierschutzfragen in unterschiedlichen Kontexten.

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Tiere — lebendiger Rohstoff Carlson, LW: Cattle: An Informal Social History. Chicago 2001. Animal Ethics Dilemma. An Interactive Learning Tool for University

Soziologisch-historische Analyse zum Einfluss von Wissenschaft, Techno-

and Professional Training.

logie und Wirtschaft auf die Mensch-Nutztier-Beziehung am Beispiel der

http://www.aedilemma.net (28.7.2015).

Rinderhaltung. Die Autorin untersucht die wechselseitige Prägung der

Ermöglicht die Bearbeitung von Fallbeispielen ethischer Dilemmata in

­Beziehung von (Rind-)Vieh und Mensch von ihren Anfängen bis hin zur

Entscheidungssituationen und bietet prägnante Darstellungen relevanter

­Entwicklung der kommerziellen Rinderindustrie in den USA.

­ethischer Positionen.

Empel, W: Das Tier im Spannungsfeld zwischen Leistung, AnpasThe Animal Welfare Science, Ethics and Law Veterinary Association

sung und Bedürfnis. In: Busch, B / Joerden, JC (Hrsg.): Tiere ohne

http://www.awselva.org.uk (28.7.2015).

Rechte. Berlin / Heidelberg 1999, 103–108.

Materialien zu tierschutzrelevanten Informationen aus unterschiedlichen

Grimm, H: Tiere. Lebendiger Rohstoff? Zur Rekonstruktion der Ver-

Wissenschaftsbereichen, Ethik und Recht.

dinglichung als moralisch problematische Haltung. In: Fehlmann, Busch, RJ / Kunzmann, P: Leben mit und von Tieren. Ethisches

M / Michel, M / Niederhauser, R (Hrsg.): Tierisch! Das Tier und die

­Bewertungsmodell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft. München

Wissenschaft. Ein Streifzug durch die Disziplinen. Zürich 2015. (In

2006.

press)

Broom, DM: Animal Welfare: An Aspect of Care, Sustainability, and 80

81

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Education. 2010 / 37 (1), 83–88. Welche Praktiken der Nutztierhaltung und welche Ziele der Tierzucht sind / wären als „rück-

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Grimm, H: Ethik in der Nutztierhaltung: Der Schritt in die Praxis. In:

Macho, T: Der Aufstand der Haustiere. In: Fischer-Kowalski, M /

Grimm, H / Otterstedt, C (Hrsg.): Das Tier an sich? Disziplinüber-

 Haberl, H / Hüttler, W / Payer, H / Schandl, H / Winiwarter, V / Zangerl-

greifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten

Weisz, H: Gesellschaftlicher Stoffwechsel und Kolonisierung von

Tierschutz. Göttingen 2012, 276–296.

Natur. Ein Versuch in sozialer Ökologie. Amsterdam 1997, 177–200.

In diesem Text werden Möglichkeiten und Methoden erörtert, tierethische Pro-

In kulturhistorischer Perspektive nimmt der Autor die Beziehung zwischen

bleme in der Landwirtschaft adäquat abzubilden und umsetzbare Lösungs-

Mensch und Tier unter dem Aspekt der Modernisierung und Umwälzung

ansätze zu formulieren. Die pragmatistische Methode in Anlehnung an John

menschlicher Lebensformen durch die industrielle Revolution in den Blick.

Dewey wird als möglicher Lösungsansatz für eine praxisorientierte Ethik

Veranschaulicht wird der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft

vorgestellt.

und der Vernutzung von Mensch, Tier und Umwelt im Sinne der Rohstoffgewinnung.

Janiszewska, J: Ethische Aspekte bei der Zucht von Nutztieren. In: Busch, B / Joerden, J (Hrsg.): Tiere ohne Rechte. Berlin / Heidelberg

Maisack, C: Tierschutzrecht. Haltung von Nutztieren, dargestellt an

1999, 109–113.

den Beispielen ‚Schweine’, ‚Hühner’, ‚Enten’. In: Grimm, H / ­Otterstedt, C (Hrsg.): Das Tier an sich? Disziplinübergreifende Perspektiven für

Jürgens, K: Das Mensch-Nutztier-Verhältnis in der ­konventionellen

neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz. Göttingen 2012,

und ökologischen Landwirtschaft – vielgestaltig, komplex und wi-

198–235.

dersprüchlich. In: Hofmeister, G (Hrsg.): Hofgeismarer ­Protokolle.

Der Artikel untersucht den Zusammenhang zwischen gesetzlichen Vor-

Mit Tieren leben — Tiere erleben. Soziale Dimensionen der

schriften, Rechtsverordnungen, Haltungsvereinbarungen und Haltungs-

Mensch-Tier-Beziehung. Hofgeismar 2007, 49–62.

praktiken auf deren Konsistenz und thematisiert strukturelle Schwächen des Tierschutzes im Allgemeinen und des Tierschutzgesetzes im Speziellen.

Jürgens, K: Die Mensch-Nutztier-Beziehung in der heutigen Landwirtschaft – Agrarsoziologische Perspektiven. In: Otterstedt, C / 

Hunt, A: Death by Birth. In: English Studies in Canada. 2013 / 39 (1),

Rosenberger, M (Hrsg.): Gefährten — Konkurrenten — Verwandte.

97–124.

Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs. Göttin-

Kulturwissenschaftliche und kritische Perspektive auf den Bereich der indus-

gen 2009, 215–235.

triellen Nutztierhaltung und Fleischproduktion. Der Autor beschreibt das Pa-

Die Autorin liefert einen kompakten Überblick zum aktuellen Forschungs-

radox der Produktion tierischer Körper zum Zwecke der Tötung und weist da-

stand der Mensch-Nutztier-Beziehung und erörtert die Möglichkeiten

mit auf den biopolitischen Zusammenhang von Produktion und Reproduktion

empirischer Forschung und interdisziplinär ausgerichteter sowie agrar­

in der Agrarindustrie hin: Die Bedingungen für eine Vernutzung von Tieren als

soziologischer Studien als weiterführende Untersuchungsmethoden auf

lebendigem Rohstoff in der Massentierhaltung werden deutlich.

­diesem Gebiet.

Petrus, K: Die Verdinglichung von Tieren. In: Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal-Studies (Hrsg.): Tiere — Bilder — ­Ökonomien. ­Bielefeld 2013, 43–62. 82

83

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Im Beitrag werden soziale Praktiken der Verdinglichung in der modernen

unterschiedlichen kulturellen und historischen Hintergründen. Die Inter-

Gesellschaft erläutert und problematisiert. Aus tierethischer Sicht wird

aktion zwischen Mensch und Tier und der Einfluss dieser Beziehung auf

­erörtert, wie Prozesse der Verdinglichung und Objektivation von Tieren

die Wandlung und Änderung menschlicher Wertevorstellungen wird unter

besonders im Nutztierbereich zu Instrumentalisierung und Legitimation

­Berücksichtigung empirischer Forschungsmethoden in verschiedenen Kon-

menschlicher ­Interessen und Besitzansprüche führen.

texten wie Schlachthöfen, landwirtschaftlichen Betrieben, Tierheimen oder veterinärmedizinischen Tätigkeitsfeldern beleuchtet.

Rollin, BE: An Introduction to Veterinary Medical Ethics. Theory and Cases. Oxford 22006.

Zeitelhofer, S: Vom Umgang mit dem Vieh. Eine qualitative Unter-

Der erste Teil dieses Überblickwerks bietet eine systematische Einführung

suchung zur Mensch-Nutztier-Beziehung in Niederösterreich. Wien

in die Ethik der Veterinärmedizin. Verschiedene Bereiche der veterinärmedi-

2009.

zinischen Praxis und Lehre werden in Bezug zu einer anwendungsorientier-

Qualitative Studie zur Mensch-Nutztier-Beziehung auf Grundlage der Befra-

ten Ethik gesetzt. Im zweiten Teil werden ethische Probleme und Dilemmata

gung von Landwirt_innen und Analyse ihrer ­subjektiven Erfahrungswerte

anhand konkreter Fälle bearbeitet und analysiert und mögliche Hilfestellun-

und Wahrnehmungen. Im theoretischen Teil der Arbeit werden darüber hi-

gen und Lösungsansätze aufgezeigt.

naus die historisch und gesellschaftlich geformten Beziehungsdimensionen und Verhaltensweisen zwischen Mensch und Nutztier vor sozial- und kultur-

Sandoe, P / Christiansen, S / Rollin BE (Hrsg.): Ethics of Animal

anthropologischem sowie agrarsoziologischem Hintergrund abgebildet.

Use. Oxford 2008. In dieser Publikation werden Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von

Ventura, BA / Keyserlingk, von MAG: The Welfare of Dairy Cattle:

­Tieren unter den Gesichtspunkten unterschiedlicher tierethischer Ansätze

Perspectives of industry stakeholders. In: Röcklingsberg, H / ­Sandin,

diskutiert. Die Lektüre bietet einen allgemeinen Überblick zu vorherrschenden

P (Hrsg.): Ethics of Consumption, the Citizen, the Market and the

ethischen Konzepten und setzt diese in Bezug zu unterschiedlichen F ­ ormen

Law. Wageningen 2013, 221–224

der Nutzung von Tieren.

Woods, A: Rethinking the History of Modern Agriculture: British Steiger, A: Die Würde des Nutztieres. Nutztierhaltung zwischen

Pig Production, c. 1910–65. In: Twentieth Century British History.

Ethik und Profit. In: Liechti, M: Die Würde des Tieres. Erlangen 2001,

2012 / 23 (02), 165–191.

221–232.

Im Artikel werden einseitige Sichtweisen auf die Entwicklung moderner

Allgemeiner Überblick zu Tierschutzproblemen in der Nutztierhaltung unter

Landwirtschaft hinterfragt und es wird für eine historisch reflektierte Aus-

Berücksichtigung tierschutzrelevanter und tierethischer Kriterien zu Hal-

einandersetzung mit landwirtschaftlicher Modernisierung plädiert.

tung und Zucht sowie ökonomischen Zwängen in der Landwirtschaft.

Woods, A: The farm as clinic: Veterinary expertise and the transTaylor, N / Hamilton, L: Animals at Work. Identity, Politics and

formation of dairy farming, 1930–50. In: Studies in History and

­Culture in Work with Animals. Boston 2013.

­Philosophy of Science Part C: Studies in History and Philosophy of

Ethnografische Studie zum Arbeitsverhältnis von Mensch und Tier vor

Biological and Biomedical Sciences. 2007 38 (2), 462–487.

84

85

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Schwerpunkt 2  |  Tiere – lebendiger Rohstoff?

Historische Analyse der Veränderungen landwirtschaftlicher Methoden und Organisationstrukturen in England nach dem zweiten Weltkrieg. Der Fokus des Beitrags liegt auf dem Wandel des veterinärmedizinischen Berufs vom Selbstbild des individuellen Tierdoktors zum_zur hochprofessionalisierten

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3

Der überforderte Mensch

Expert_in über Gesundheit und Produktivität von Tierbeständen.

Der Mensch als Maß aller Tiere Die Rede von einer Vermenschlichung von Tieren setzt vielfältige Assoziationen frei: In ­Animationsfilmen und Kinderbüchern erleben Tiere menschenähnliche Abenteuer; sie können sprechen und agieren, wie man es sonst nur von Menschen gewöhnt ist. Bei d ­ iversen Veranstaltungen werden Tiere zu Belustigungszwecken etwa als Clowns oder als Hochzeitspaare verkleidet; sie werden zum Gaudium des Publikums geschminkt und maskiert. ­Tendenzen einer Vermenschlichung finden sich jedoch nicht nur im Unterhaltungssektor, sondern ebenso in der Heimtierhaltung: Hunde werden in Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung geschickt; nach Ableben eines Tieres wird eine Trauerfeier organisiert. Operationen, die f­ rüher nur in der Humanmedizin stattgefunden haben, werden nun auch an Tieren durchgeführt und mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt Schönheitssalons mit Stylist_innen für Heimtiere. Fällt in diesen Kontexten der Begriff der Vermenschlichung, wird er in aller ­Regel n ­ egativ verwendet: Er will eine Tierliebe anprangern, die jedes Maß verloren hat. ­Zugleich aber zeigt sich bereits in den genannten Beispielen, dass es einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess und einem historischen Wandel unterliegt, was als übertrieben empfunden wird – und was als angebracht. Für den einen mag es beispielsweise als maßlose Tierliebe gelten, für einen verstorbenen Hund eine Begräbnisfeier abzuhalten; für den anderen wäre jeder alternative Umgang mit dem Tod seines Tieres undenkbar. Was vor einigen Jahrzehnten noch als übertrieben gegolten hat, etwa kostspielige Operationen bei Kleintieren, kann heute bereits größtenteils Standard sein. So schaffte es die Operation eines Goldfisches wegen Verstopfung im Jahr 2015 noch in die Zeitungen und rief dort 86

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Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

­durchaus kontroverse Reaktionen hervor: Auf der Website der österreichischen T ­ ageszei-

Zuneigung und um das Wohlergehen des Einzelnen. Dass jedoch beispielsweise auch gut

tung derStandard.at lauteten entsprechende Kommentare von Leser_innen etwa, eine

gemeinte Fürsorge tierschutzrelevante Auswirkungen haben kann, weiß wohl kaum eine

­solche Operation sei doch „krank“, ein typisches „First World Problem“, „eine Klospülung“ wäre

Berufsgruppe so gut wie jene der ATÄ.

„wesentlich günstiger gewesen“ oder auch, dass man für das investierte Geld „einen ­Blinden in Afrika wieder sehend“ hätte machen können. Betrachtet man die Dynamiken in den ­letzten Jahrzehnten, könnte ein derartiger Eingriff in naher Zukunft jedoch bereits als all-

Amtstierärztliche Erfahrungen mit Vermenschlichung von Tieren

täglich gelten und keine Meldung mehr wert sein. Welche Erfahrungen mit Vermenschlichung von Tieren machen ATÄ in ihrem Berufsalltag? Derartige Debatten über die Frage, an welcher Grenze der adäquate Umgang mit dem Tier

Welche Assoziationen verbinden sie mit diesem Begriff? Die folgende Begriffswolke zeigt

zu einer übertriebenen Liebe wird, sind dabei kein Alleinstellungsmerkmal des 21. Jahr-

zentrale Gedanken und Termini der am Vethics for vets-Projekt Teilnehmenden.

hunderts. Knigge prangerte beispielsweise bereits im Jahr 1787 Tendenzen einer – seines Erachtens – maßlosen Tierliebe an: „Ich kenne Damen, die ihre Katze zärtlicher umarmen als ihre Ehegatten; junge Herrn, die ihren Pferden sorgsamer aufwarten als ihren Oheimen und Basen, und Männer, die gegen ihre Hunde mehr Zärtlichkeit, Schonung und Nachsicht beweisen als gegen ihre Freunde, die sich von jenen müssen mit Flöhen bevölkern lassen“ (Knigge 2013, 278). Was Knigge anspricht, nämlich inwieweit maßlose Tierliebe mit einer Abwendung von anderen Menschen einhergeht, ist eine immer wieder diskutierte Frage. Das Zusammenleben mit tierischen Weggefährten scheint manchem jedenfalls leichter zu fallen als die Beziehung zu Mitmenschen: In ihrer Sprachlosigkeit geben Tiere keine Widerworte. Sie taugen als Projektionsfläche für eigene Gedanken und Gemütszustände, sind zugleich aber biografiefähige Akteure, die ihren eigenen Charakter entwickeln und deren Lebensgeschichten sich vom_von der Tierbesitzer_in erzählen lässt.

Begriffswolke: Amtstierärztliche Erfahrungen mit Tendenzen der Vermenschlichung in der Heimtierhaltung aus

Wie auch immer man die Grenze zwischen „übertrieben“ und „adäquat“ zieht, die Schwer-

Sicht der Vethics for vets-Teilnehmenden

punktsetzung einer Vermenschlichung von Tieren auf grundsätzlicher Ebene macht ­deutlich, dass (tier-)ethisch relevante Problemstellungen nicht nur in der Nutztierhaltung bzw. in Ausnahmesituationen wie bei einer anstehenden Euthanasie, sondern durchaus

Ein zentraler Topos der Diskussion war, dass Tiere oftmals als Kinder- und ­Partnerersatz

auch in der täglichen Heimtierhaltung auftreten. Diese Diagnose widerspricht dabei einem

Verwendung finden. In diesen – aber auch anderen – Fällen kann es vorkommen, dass die

breiten Konsens in der öffentlichen Wahrnehmung: Während bei der Diskussion der Nutz-

eigenen Bedürfnisse dem Tier übergestülpt werden. Um hierfür ein plakatives Beispiel zu

tierhaltung nämlich ein Klima des Misstrauens auszumachen ist, geprägt von Vorwürfen der

bringen: Ein Tierhalter geht nur ungern spazieren; er bewegt sich wenig und zieht es vor,

Gier, der bloßen Produktionsmaximierung wie der Verdinglichung von Lebewesen, finden

daheim zu bleiben. „Mein Hund“, so seine Aussage hierzu, „ist mir da Gott sei Dank ä ­ hnlich.

Debatten über Heimtierhaltung gemeinhin vor einer gänzlich anderen, nämlich unver-

Der bleibt auch lieber zu Hause und macht es sich gemütlich.“ Eine derartige Projektion der

dächtigen Hintergrundfolie statt. Hier, so die verbreitete Wahrnehmung, geht es um Liebe,

eigenen Vorlieben auf das Tier kann dabei tierschutzrelevante Ausmaße annehmen. Ein

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Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

weiterer Punkt, der gerade im Kontext einer Vermenschlichung von Tieren immer wieder

den und Disziplinen. Erneut wird an dieser Stelle also die bereits weiter oben beschriebene

angesprochen wurde, ist die Schwierigkeit der Kommunikation. Der amtstierärztliche Hin-

Herausforderung deutlich, dass amtstierärztliche Praxis oft mit menschlichen Tragödien und

weis auf die medizinisch und biologisch feststellbaren Bedürfnisse eines Tieres verhallt nur

Schwierigkeiten umzugehen hat. Dieses Faktum wird sich nicht vermeiden lassen – umso

zu oft. Die Tierhalter_innen zeigen sich beratungsresistent und nehmen den Standpunkt

notwendiger ist es allerdings, dass ATÄ mit derartigen Fällen nicht alleine gelassen werden.

ein, ihr eigenes Tier doch besser zu kennen als irgendwelche Expert_innen, die ihr Wissen aus Schulbüchern haben. Ein als „kalt“ empfundenes Expertenwissen prallt also hierbei auf eine Art intuitives Wissen im Sinne von: „Nur ich weiß, was meinem Tier wirklich gut tut.“

Tiere in menschlichen Rollen Im Rahmen des Vethics for vets-Projekts wurden die teilnehmenden ATÄ immer wieder dazu aufgefordert, ethisch relevante Problemstellungen aus ihrem Berufsalltag aufs Tapet zu ­bringen. Ein hierbei genanntes Fallbeispiel taugt durchaus, um Tendenzen einer Vermensch-

Animal Hoarding — Wenn Tiere überhand nehmen

lichung – in diesem Fall zum Zwecke der Unterhaltung bzw. einer Leistungsschau – aus einer ethischen Perspektive zu diskutieren. Genauer wurde von einem Teilnehmer folgendes Szenario beschrieben.

Eine Sonderform übertriebener Tierliebe – die jedoch zugleich exemplarisch für die amtstierFallbeispiel E: „Miss Euter“

lich das Phänomen Animal Hoarding dar. Der Begriff meint das krankhafte Sammeln und

Auf einer Landwirtschaftsmesse soll die Kuh mit dem größten ­Euter

­Halten von Tieren und kann allgemein durch vier Charakteristika näher beschrieben werden

prämiert werden. Damit die Euter zum Zeitpunkt der Preisentschei-

(­Patronek et al. 2006): (a) Durch die Zahl der Tiere bzw. die Enge der Räumlichkeiten wer-

dung prall gefüllt sind, melken die Besitzer_innen die Tiere vorher

den die Mindestanforderungen an Hygiene, Platz, Ernährung und tierärztlicher Versorgung

nicht mehr — wie lange vorher, ist schwer zu eruieren. Der Amtstier-

unterschritten. (b) Die Tierhorter_innen sind unfähig, die Defizite ihres Tuns zu erkennen.

arzt vor Ort ist sich ob der gesamten Veranstaltung unsicher: Wie

(c) Sie unternehmen Anstrengungen, ihre Sammlung aufrechtzuerhalten oder ­auszubauen.

ist eine solche Prämierung zu beurteilen?

(d) Die Probleme für die Tiere und ihre Umwelt werden von ihnen geleugnet oder klein geredet (Patronek et al. 2006). In Deutschland zeigte eine Studie (Sperlin 2011), dass bereits 86 Prozent der Ämter mit derartigen Fällen von Animal Hoarding zu tun hatten.

Das gebrachte Beispiel mag auf den ersten Blick erstaunen, vielleicht auch – nicht zuletzt ob des zugespitzten Titels – amüsieren, es weist jedoch auch spannende Facetten auf. Wett-

Diese Form maßloser Tierliebe hat vor allem psychische Ursachen aufseiten der Tier-

bewerbe, bei denen Körper zur Schau gestellt und prämiert werden, gibt es viele: Bei Body-

halter_innen. Und eben darin liegt ein Problem für die amtstierärztliche Praxis: Insofern die

building-Wettbewerben gewinnt die beeindruckendste Muskulatur, bei Schönheitswahlen

gehorteten Tiere oft an Erkrankungen und Mangelernährung leiden sowie Verhaltensstö-

einigt sich die Jury auf den schönsten Mann oder die schönste Frau. Bei diesen Wettbe-

rungen zeigen, fällt das Phänomen Animal Hoarding in den Zuständigkeitsbereich von ATÄ.

werben stehen allerdings Menschen im Fokus, die sich, so ist zu hoffen, freiwillig dieser

Sie sind es, die an die Türen der Betroffenen klopfen und das Gespräch zu suchen haben.

Konkurrenzsituation aussetzen. Wenn Vermenschlichung – weit gefasst – als ein Verkennen

Zugleich aber sind sie weder ausgebildet noch verantwortlich für einen adäquaten Umgang

der tierischen Bedürfnisse verstanden wird, bei dem Tiere gezwungen werden, Rollen zu

mit psychischen Erkrankungen. Hierfür braucht es den Austausch mit zuständigen Behör-

übernehmen, die typischerweise ansonsten von Menschen übernommen werden, so ist

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91

FALLBEISPIEL

ärztlichen Herausforderungen in diesem Kontext genannt ­werden kann – stellt schließ-

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

eine „Miss Euter“-Show durchaus in diesem Kontext zu verorten. Werden die Kühe also im – und dies nur zum Zwecke der Unterhaltung des Publikums bzw. für eine Leistungsschau? Inwieweit ist eine derartige Show ethisch problematisch? Um diese Frage zu diskutieren,

3. 2 Sind die Belastungen dem Tier zumutbar? 4. Welcher Nutzen entsteht für wen? 5. Stehen Belastungen und Nutzen in einem plausiblen ­Verhältnis?

kann auf ein weiteres Tool der angewandten Ethik zurückgegriffen werden: auf den ethi6. Gibt es realisierbare Alternativen?

schen Entscheidungspfad.

Anhand dieser sechs Schritte wird eine konkrete moralisch r­ elevante AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

DER ETHISCHE ENTSCHEIDUNGSPFAD

Fragestellung diskutiert. Dabei besteht die Möglichkeit, dass die ethische Reflexion frühzeitig abbricht – beispielsweise wenn das

Der sogenannte ethische Entscheidungspfad ist ein Diskussions-

diskutierte Vorgehen nicht den rechtlichen Mindestanforderungen

modell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft (Busch und Kunzmann

entspricht oder wenn es unzumutbare Belastungen für das Tier mit

2006). Das Modell wurde am Institut TTN an der LMU München

sich bringt. Eine ethische Rechtfertigung ergibt sich dann, wenn

­entwickelt und stellt zwei grundsätzliche Fragen: Wie kann man zu

die Belastungsgrenzen des Tieres nicht überschritten werden, der

einem begründeten Entscheidungsweg für moralische Fragen in

Nutzen einen „guten Grund“ darstellt und nicht anders (mit weniger

der landwirtschaftlichen Tierhaltung gelangen? Und wie könnte ein

Belastungen) erreicht werden kann.

solcher Entscheidungsweg konkret aussehen? Trotz seines Fokus auf Landwirtschaft taugt das Modell auch für eine strukturierte De-

Output

batte von ­Fragen abseits der Nutztierhaltung.

Der Entscheidungspfad strebt danach, den ethisch fundierten Dialog über moralische Fragen der Tierhaltung zu strukturieren und zu

Vorgehen

unterstützen. Das Modell erlaubt es, anhand weniger, übersichtlicher

Das Modell umfasst folgende aufeinander aufbauende Diskussions-

Schritte eine konkrete Fragestellung selbstständig zu diskutieren

schritte:

und idealerweise auf diesem Weg zu einer begründeten Entschei-

1. Welche konkrete Frage soll diskutiert werden?

dung zu gelangen.

2. Entspricht die Praxis den rechtlichen Mindestanforderungen? 3. 1 Inwieweit ist das Tierwohl – in Anbetracht der Dauer und Tiefe

des Eingriffs – beeinträchtigt?



Sind die Tiere frei von



a  Hunger und Durst, b Unbehagen, c Schmerzen, ­­­­Verletzungen



und Krankheiten, d Angst und Stress? e Sind sie frei, um ihre



normalen Verhaltensmuster ausleben zu können? 92

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AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN

vorliegenden Fall gezwungen, eine Rolle zu spielen, die nichts mit ihnen als Tiere zu tun hat

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schritt 1 …  Schritt 2  Schritt 3  Schritt 4  Schritt 5  Schritt 6

Schritt 1  Schritt 2  Schritt 3  Schritt 4 …  Schritt 5  Schritt 6

… ist mit dem Fallbeispiel „Miss Euter“ klar umrissen. Die konkrete Fragestellung lautet:

… stellt die Frage, welcher Nutzen durch die Praxis für wen entsteht. Hierbei ist die Antwort

Ist die überdimensionale Stauung von Eutern im Rahmen einer derartigen Veranstaltung

insofern eindeutig, als der Nutzen auf Seiten des Menschen und nicht des Tieres liegt. Der

­moralisch vertretbar? (Nachgelagert kann die Frage diskutiert werden, welche Handlungen

Nutzen der Veranstaltung kann ökonomischer Natur sein (etwa für den Veranstaltenden

ATÄ in diesem Szenario ergreifen können bzw. sollten.)

oder auch für die Tierhalter_innen im Falle eines Preisgeldes und im Fall, dass die Prämierung den Zuchtwert einer Kuh erhöht). Er kann sich als Vergnügen und Spaß für die Besucher_innen des Festes beschreiben lassen; auch können die Lust am Wettstreit und der

Schritt 1  Schritt 2 …  Schritt 3  Schritt 4  Schritt 5  Schritt 6

Ruhm für den_die Sieger_in manchen Tierhaltenden veranlassen, eine Kuh ins Rennen zu ­schicken. Für die Kühe selbst j­edenfalls stellt sich kein unbedingter Nutzen ein – allenfalls,

… stellt die Frage, inwieweit die Praxis den rechtlichen Mindestanforderungen entspricht.

so ein A ­ rgument, könnten Kühe, die bei derartigen Veranstaltungen regelmäßig reüssieren,

Tut sie dies nicht, handelt es sich um einen Missstand. Im vorliegenden Fall verstößt die

im Alltag mit besonderer Pflege bedacht werden.

Prämierung der Kuh mit dem größten Euter, so die Teilnehmenden, nicht prinzipiell gegen geltendes Recht. Problematisch allerdings ist, dass die Melkzeiten vom Amtstierarzt vor Ort nur schwer überprüft werden können. Der Wettbewerb lädt demnach zumindest zu Miss-

Schritt 1  Schritt 2  Schritt 3  Schritt 4   Schritt 5 …  Schritt 6 

brauch ein. … stellt im Anschluss die Frage, ob die Belastungen für die Tiere und der beschriebene Nutzen in einem plausiblen Verhältnis zueinander stehen. Jeder Eingriff in das ­Wohlbefinden Schritt 1  Schritt 2  Schritt 3 …  Schritt 4  Schritt 5  Schritt 6

eines Tieres bedarf einer Rechtfertigung. Hierbei muss gefragt werden, ob der Grund auch als „guter Grund“ taugt. Der hauptsächliche Grund für die Existenz der Veranstaltung

… diskutiert Fragen des Tierwohls. Hierbei stellt sich die Frage nach der Tiefe und der Dauer

„Miss-Euter“ ist das Vergnügen am Wettstreit und das Messen von Werten, die eventuell für

der Praxis: Wie lange dauert die Handlung an, die sich auf das Tierwohl auswirkt? Und wie

die Züchtung relevant sein könnten. (Ob ein prall gefülltes Euter bei einem derartigen Wett-

„tief“ geht sie? Das Modell nennt fünf Freiheiten, die hierbei eine Rolle spielen. Mit Blick auf

bewerb tatsächlich ein belastbarer Faktor zur Ermittlung der Milchleistung einer Kuh ist, war

die „Miss-Euter“-Show ist festzuhalten, dass die Dauer der Veranstaltung überschaubar

dabei in den Debatten umstritten.) Inwieweit diese Zwecke die Belastungen für die Tiere

ist. Sie ist stark zeitlich begrenzt, darüber hinaus ist davon auszugehen, dass derartige

rechtfertigen, kann – so der grundsätzliche Tenor der ATÄ in den Workshops – durchaus

Prämierungen im Leben einer Kuh nicht jeden Tag stattfinden. Über einen bestimmten Zeit-

umstritten genannt werden – noch vielmehr, da die Regeln wie oben beschrieben zu einem

raum hinweg nicht gemolken zu werden, ist den Tieren durchaus zumutbar. Eine überdi-

Missbrauch einladen, der den Kühen Schmerzen verursacht.

mensionale Stauung des Euters kann jedoch Schmerzen verursachen und zu Krankheiten führen. Auch kann diskutiert werden, inwieweit der Lärm des Volksfestes Angst und Stress verursacht.

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95

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schritt 1  Schritt 2  Schritt 3  Schritt 4  Schritt 5   Schritt 6 …

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

entlastend, Probleme und Möglichkeiten derartiger Veranstaltungen – etwa die geänderten Spielregeln für die Prämierung – im Vorhinein zu debattieren.

… stellt schließlich die Frage, ob es realisierbare Alternativen zur bestehenden Praxis gibt – eine Frage, die in moralisch geführten Debatten oftmals zu kurz kommt, jedoch von

Über die vom Modell vorgeschlagenen Fragen zum Tierwohl kann darüber hinaus gefragt

­entscheidender Bedeutung ist. Gibt es Alternativen, die bei vergleichbarem Nutzen ­weniger

werden, inwieweit es im Rahmen einer derartigen Veranstaltung zu einer Herabwürdigung

Belastungen erzeugen und darüber hinaus den Akteur_innen (zum Beispiel auch ökono-

der Tiere kommt, indem man sie zu Belustigungszwecken zur Schau stellt. Eine ­derartige

misch) zumutbar sind? Im vorliegenden Szenario zeichnet sich eine solche Alternative ab:

Würdeverletzung ist zwar empirisch kaum zu fassen – und daher auch für ATÄ alles an-

Wenn man unbedingt die Kuh mit dem größten Euter prämieren möchte, könnte man die

dere als eine einfache Diagnose – ,nichtsdestotrotz aber lohnt die Frage, ob das Zumuten

Spielregeln dieser Veranstaltung derart ändern, dass etwaiges Tierleid minimiert wird – ohne

mancher Rollen nicht auch dann ethisch problematisch sein kann, wenn die fünf genann-

die Veranstaltung abzusagen. Was spricht dagegen, dass die Kühe unter Aufsicht einer Jury

ten Freiheiten nicht verletzt werden. Ein zugespitztes Beispiel kann den Gedanken ver-

beispielsweise um acht Uhr vormittags gemeinsam und zeitgleich gemolken ­werden – und

anschaulichen: Geschminkte und als Clowns verkleidete Tiere erregen auch dann oftmals

ein paar Stunden später jene Kuhe prämiert wird, welche nun das größte Euter aufweist?

unser Unbehagen, wenn die Kostümierung keine Schmerzen, keine Verletzungen und kei-

Diese Spielregel würde das Grundprinzip der Veranstaltung nicht aushebeln, zugleich aber

nen Stress verursacht, ja wenn sie eventuell auch beim Tier keinen sichtbaren Missmut

Missbrauch vorbeugen. Der wie auch immer zu beschreibende Nutzen – eine Veranstaltung,

hervorruft und es zu keiner Einschränkung des normalen Verhaltensmusters kommt. Was

die Menschen anzieht, Erheiterung, sportlicher Wettstreit – wäre nach wie vor gegebenen,

ist es, was sich hier in uns regt? Ein ästhetisches Geschmacksurteil? Finden wir derartige

das potenzielle Tierleid zugleich wesentlich minimiert.

Maskeraden einfach nur peinlich und unschicklich? Oder ist es doch auch eine moralische Empörung? Manche Stimmen greifen in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Würde zurück. Auch wenn der Begriff der Würde in der abendländischen Ideengeschichte eng mit

Anhand des ethischen Entscheidungspfads wurde von einem Großteil der Teilnehmenden

„Menschenwürde“ gekoppelt ist und es philosophisch durchaus anspruchsvoll ist, eine

also argumentiert, dass die Veranstaltung einer „Miss-Euter“-Show in ihrer gegenwär-

­Würde des Tieres näher zu begründen und auszuarbeiten, kann festgehalten werden, dass

tigen Form ethisch problematisch ist, insofern der Nutzen auch anders erreicht werden

die Rede von einer Würde in Bezug auf Tiere eine bedeutsame Intuition und Überzeugung

könnte und hierbei die Belastungen für die Tiere limitiert würden. Das Modell lieferte also

vieler Menschen auf den Punkt bringt. Manches Verhalten gegenüber Tieren empfinden

nicht nur eine strukturierte Diskussion des Problems, es führte darüber hinaus auch zur

viele auch dann als falsch und unrichtig, wenn es kein unmittelbares Leid hervorruft. Ein

Erarbeitung einer Alternative, deren Realisierung machbar und aus moralischen Gründen

­Wesen, dem wir eine bestimmte Würde zusprechen, kann entwürdigt und gedemütigt wer-

wünschenswert wäre. Wenn es dabei heißt, dass die Realisierung machbar ist, darf eines

den, ohne dass Schmerzen im Spiel sind.

nicht unterschätzt werden: Die Entscheidung, die Show stattfinden zu lassen oder doch zu verbieten, findet im skizzierten Szenario nicht am Schreibtisch, sondern mitten im Trubel eines Volksfestes statt. Es wird musiziert, gelacht und gefeiert; hochrangige Politiker_innen ­halten eventuell ihre Eröffnungsreden, vielleicht sind auch Medien vor Ort, um über die Messe zu berichten, etc. Dieser Volksfestcharakter der Veranstaltung erschwert eine rationale Debatte zu diesen Fragen vor Ort. In anderen Worten: Die Prämierung absagen zu lassen, ­erfordert hohe Konfliktfähigkeit. Aus amtstierärztlicher Sicht wäre es dabei vorteilhaft wie

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Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Kulturelle Hintergrundfolien der Mensch-Tier-Beziehung

gesteuert ab, der Melkstand ist High-Tech, Drohnen überfliegen die

Das diskutierte Szenario rund um die Prämierung einer „Miss ­Euter“

Wiesen und Felder, um sie punktuell und präzise zu düngen. Wichtig

mag gerade bei einer fachfremden Leserschaft ein ­bestimmtes

für das Gedankenbeispiel ist, dass dieser Betrieb die zuvor genann-

Amüsement aufkommen lassen, zugleich jedoch verdeutlicht

ten Erwartungen erfüllt, dass er also unbedenkliche, ja gesunde

es einen wesentlichen Punkt amtstierärztlicher Praxis: ATÄ sind

Produkte abliefert, er eine sehr gute Ökobilanz aufweist und seine

­Sachverständige für wissenschaftlich basierte und gesetzlich re-

tiergerechten Standards im Vergleich mit anderen Höfen sehr hoch

levante Detailfragen, in diesem Fall für die Frage, inwieweit die

sind. Wenngleich der Betrieb also die Erwartungen erfüllt, löst die

Stauung des Euters tierisches Leid verursacht und dieses Leid dem

Vorstellung eines derartigen Hofes bei vielen Menschen dennoch

Tier zumutbar ist. Indem sie sich zu dieser Detailfrage äußern, stel-

eine Art „Verlustgefühl“ im Sinne von „Da ist etwas verloren gegan-

len sie jedoch weit mehr zur Diskussion. Im vorliegenden Fall etwa:

gen, da stimmt etwas nicht“ aus. Wie lässt sich dies erklären?

Welchen Wert haben Veranstaltungen dieser Art? Mitunter können sie für einen Berufsstand wie nutztierhaltende Landwirt_innen

Viele Menschen neigen dazu, Landwirtschaft mit einer gewissen

oder Züchter_­innen identitätsstiftend sein oder zur Folklore einer

„Ursprünglichkeit“ oder „Beschaulichkeit“ zu assoziieren. Denken

Region beitragen. Bereichern sie also das kulturelle Leben? Sind

sie an einen Bauernhof, so sehen sie eher jenen familiär ­geführten

sie Zeichen einer lebendigen wie traditionsbewussten Gemein-

Betrieb vor ihrem geistigen Auge, wie er ihnen auf der Milchpackung

schaft? Oder zeigt sich in ihnen ein Superlativ-Denken im Sinne

oder im Bilderbuch begegnet, in dem die Anzahl der Kühe über-

von ­Bigger – Better – Faster – More, das durchaus kritisch gesehen

schaubar ist und in dem Technisierung im Grunde k­ eine Rolle spielt.

werden kann? Die f­undierte amtstierärztliche Einschätzung zur

Insofern diese Art der Betriebe gemeinhin große Wertschätzung

überdimensionalen Stauung von Eutern findet demnach in einem

genießt, werden landwirtschaftliche Produkte entsprechend selten

bestimmten kulturellen Setting statt.

mit dem Hinweis auf Innovation und Fortschritt verkauft – oder

Allgemein kann festgehalten werden, dass Debatten über die

wer kennt eine Milch, die den Slogan „Wir haben die ­modernsten

adäquate Mensch-Tier-Beziehung ihren Platz vor bestimmten

Melkanlagen der Welt“ abgedruckt hat? Die Konsument_innen

­kulturellen Hintergrundfolien einnehmen, die Erwartungen, ­Argu-

scheinen sich bei Fragen der Landwirtschaft eher nach technik-

mente und Urteile prägen. Um diesen Gedanken zu veran-

ferner Idylle denn nach Fortschritt und Wandel zu sehnen – das

schaulichen, kann auf ein Beispiel verwiesen werden (Dürnberger

­Agrarmarketing bedient diese Sehnsüchte mit großem Erfolg (wie

2013). Gefragt, was sie von einem landwirtschaftlichen B ­ etrieb mit

auch das M ­ arketing vice versa wohl nicht ohne Auswirkungen auf

Nutztierhaltung erwarten, a ­ntworten B ­ürger_innen gemeinhin:

die Erwartungen an die Landwirtschaft bleibt).

gesunde, unbedenkliche und ­ leistbare P ­rodukte, Tierschutz,

Nach dem Dargelegten mag auch verständlicher sein, warum die

Umweltschutz oder auch die Sicherung von Arbeitsplätzen im

Vorstellung, dass es Tieren in großen Betrieben notwendiger-

ländlichen Raum. (Eurobarometer 2010, 70) Stellen wir uns nun

weise schlechter geht als in kleinen Ställen mit ­­überschaubarem

­einen hochtechnisierten landwirtschaftlichen Betrieb mit Nutztier-

Bestand, in vielen Debatten so prominent ist. Hierbei stehen

haltung vor: In seinem großen, g ­ eräumigen Stall werden tausende

eben nicht die tierethischen Standards im Fokus der Beurteilung

Rinder ­gehalten, die gesamte Fütterung der Tiere läuft computer-

– denn diese sind in großen, modernen Ställen k­ einesfalls ­notwen-

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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

digerweise schlechter bestellt (WBA 2015, 118f.). Vielmehr sind

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Der überforderte Mensch

verstehen, wenn man die agesprochenen kulturellen Hintergrund-

Camenzind, S / Steiger, A: Heimtierhaltung — ein bedeutender, aber

folien rund um eine Ursprünglichkeit und B ­ eschaulichkeit von

vernachlässigter Tierschutzbereich. In: Grimm, H / Otterstedt, C

Landwirtschaft nicht ausblendet. Für die ­amtstierärztliche Praxis

(Hrsg.): Das Tier an sich? Disziplinenübergreifende Perspektiven für

bedeutet dies, dass ATÄ um diese kulturellen ­ Muster, Erzähl-

neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz. Göttingen 2012,

ungen und Bilder, die die Debatten über Tierhaltung wesentlich

236–259.

prägen, zumindest Bescheid wissen sollten, ansonsten werden

Im Aufsatz werden die Tierschutzprobleme in der Heimtierhaltung und

sie immer wieder erstaunt darüber sein, wie Diskussionen über die

Tierzucht vor dem Hintergrund der sich verändernden Mensch-Heimtier-­

Mensch-Tier-Beziehung – sowohl im Kontext der Nutztier- als auch

Beziehung in jüngster Zeit skizziert und es wird auf Lücken in der Regelung

der Heimtierhaltung und gerade an den „Fronten“ dazwischen – im

des Tierschutzgesetzes bei Heimtieren hingewiesen.

Konkreten ablaufen. Corr, SA: Companion Animals. In: Wathes, WM / Corr, SA / May, SA/McCulloch, SP  /  Whiting, MC: Veterinary & Animal Ethics. ­Proceedings of the First International Conference on Veterinary and Weiterführende Fragen

Animal Ethics. London 2011, 188–200. Im Artikel wird aufgezeigt, welche ethischen Probleme aufgrund der

Was heute vielfach Standard der Mensch-Heimtier-Beziehung ist, wäre noch vor wenigen

­Gleichsetzung der Lebenskonzepte von Mensch und Tier im Heimtierbe-

Jahrzehnten als maßlose Tierliebe kritisiert worden. Von welchen gesellschaftlichen Bedin-

reich entstehen können. Dies stellt vor allem Veterinärmediziner_innen vor

gungen hängt es ab, ob diese Entwicklung in die eingeschlagene Richtung weitergeht?

besondere Herausforderungen und wirft Fragen der Verantwortung gegenüber Mensch und Tier auf.

Inwieweit können Fälle und Tendenzen einer „Vermenschlichung von Tieren“ auch als positive Entwicklungen verstanden werden? Wenn ja, als welche?

Grimm, H / Hartnack, S: Maßloser Tierschutz? Die Mensch-Tier-­ Beziehung. In: Berliner und Münchner tierärztliche W ­ ochenzeitschrift.

Inwieweit kann der Begriff der „Würde“ und der „Entwürdigung“ für die amtstierärztliche

2013 / 126, 370–377.

Praxis hilfreich sein? Hens, K: Ethical Responsibility Towards Dogs: An Inquiry into the  Human-Dog-Relationship. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics. 2009 / 22 / (1), 3–14 Nimmt das Mensch-Haustier-Verhältnis am Beispiel der Hundehaltung in den Blick und benennt Aspekte und Dimensionen der Verantwortung aus Sicht des Tierschutzes.

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

diese gesellschaftlich weit verbreiteten Überzeugungen nur zu

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Irvine, L: Pampered or Enslaved? The Moral Dilemma of Pets. In:

Podberscek, AL: Positive and Negative Aspects of Our Relationship

International Journal of Sociology and Social Policy. 2004 / 24 (9),

with Companion Animals. In: Veterinary Research Communications.

5–17.

2006 / 30 (1), 21–27.  

Kritische Sicht auf die Kultur des Mensch-Haustier-Verhältnisses. Es werden Fragen über „Welfare“ hinaus gestellt und es wird auf Tierrechtsargumente ­verwiesen, nach denen Haustierhaltung problematisch zu sehen ist.

Yeates, J: Ethics of Animal Enhancement. In: Wathes, WM / Corr, SA / May, SA / McCulloch, SP / Whiting, MC: Veterinary & Animal Ethics. Proceedings of the First International Conference on Veterinary and

Jones, S: Valuing Animals: Veterinarians and their Patients in Mo-

Animal Ethics, September 2011. London 2013, 100–112.

dern America. Baltimore / London 2003.

Ziel des Artikels ist es, unterschiedliche Bedeutungsebenen des Begriffs

Im Buch wird die Rolle der veterinärmedizinischen Profession in Bezug auf

„Animal Enhancement“ in den Bereichen Tierhaltung, Tierzucht und medi-

den Wandel des Mensch-Tier-Verhältnisses im 20. Jahrhundert untersucht.

zinische Betreuung von Tieren aufzuzeigen und die jeweils zugrunde lie-

Die Autorin beleuchtet kritisch, wie kontroverse Praktiken und das Setzen

genden Kriterien und Vorstellungen von Normalität und tierlichem Wohl-

neuer Standards in der veterinärmedizinischen Praxis einen entscheiden-

befinden vor dem Hintergrund ethischer und philosophischer Normen

den Beitrag zur Optimierung und Industrialisierung der landwirtschaftli-

abzubilden. Der Autor argumentiert, dass die moralische Frage des „Animal

chen Tierhaltung leisteten und die Etablierung der Haustierindustrie vor-

Enhancement“ grundsätzlich nur unter Berücksichtigung des jeweiligen

antrieben. Es wird gezeigt, wie sich unter dem Einfluss sozioökonomischer

Anwendungskontextes geklärt werden kann.

Prozesse und veterinärwissenschaftlicher Expertise das gesellschaftliche Verständnis vom „Wert der Tiere“ veränderte, das Tier als Gefährte, Partner und Patient einen neuen Stellenwert in Medizin und Gesellschaft erreichte

Der Mensch als Maß aller Tiere

und wie die soziokulturellen Entwicklungen eine neue Definition des Berufszweigs der Veterinärmedizin ermöglichten.

Benz-Schwarzburg, J: Affen, die sich zum Affen machen: Eine ethische Betrachtung von Tieren als Schau- und Belustigungsobjekte

Mayr, P: Das pathozentrische Argument als Grundlage einer

mit Blick auf problematische Haltungsbedingungen und mögliche

­Tierethik. Münster 2003.

Verbesserungsoptionen. In: Vet-Journal. 2014 / 5, 55–67.

Detaillierte Monografie, die einen Überblick über Funktionsweise und

Diskutiert kritisch die Zurschaustellung von Schimpansen im Schwabenpark (D).

Grundlagen pathozentrischer und anthropozentrischer Theorien bietet. Die ­Argumente für und wider den Pathozentrismus werden systematisch ent-

Böhme, H (Hrsg.): Tiere. Eine andere Anthropologie. Schriften des

lang prominenter philosophischer Positionen aufgearbeitet. Mayr legt die

Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd. 3. Köln 2004.

Schwachstellen anthropozentrischer Positionen dar und argumentiert für

Der Band bietet einen Überblick zum geisteswissenschaftlichen Forschungs-

eine pathozentrische Tierethik.

stand zu Tieren mit Beiträgen aus Kultur-, Medien- und Geschichtswissenschaften sowie der Verhaltensforschung. Die ethische Diskussion wird vor dem Hintergrund der Analyse des ambivalenten Verhältnisses ­ zwischen Menschen und Tieren geführt.

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Cronin, J: `Can´t you talk´? Voice and Visual Culture in Early Ani-

Eitler, P: Tierliebe und Menschenführung. Eine genealogische Pers-

mal Welfare Campaign. In: Early Popular Visual Culture. 2011 / 9 (3),

pektive auf das 19. und 20. Jahrhundert. In: Tierstudien. 2013 / 3,

202–203.

40–50. Der Beitrag setzt sich mit der Geschichte einer Emotionalisierung der

Rosen, A: Die ‚Zirkustier‘-Mensch-Verhältnisse. Zwischen Anthro-

Mensch-Tier-Beziehung seit dem 19. Jahrhundert auseinander. Beschrieben

pomorphisierung und Othering. In: Tierstudien. 2012 / 2, 121–133.

wird, wie die anthropomorphe Zuschreibung von Gefühlen und die Voraus-

Untersucht werden die Machtbeziehungen in der komplexen Arbeitsbe-

setzung von Gefühlsfähigkeit bei Tieren den gesellschaftlichen Zweck der

ziehung von Mensch und Tier in der Geschichte des Zirkus. Prozesse von

Pädagogisierung und Disziplinierung des Menschen erfüllte und wie der Be-

Vermenschlichung und „Othering“ von Tieren werden als effektvolle Mecha-

griff der „Tierliebe“ mit dem Tierschutzgedanken in Verbindung steht.

nismen zum Zwecke der Sensation und Schaustellung beschrieben; sowie die Auswirkung dieser Praktiken auf das tierische Individuum im Bereich des Zirkus, aber auch in Kontexten der Heim- und Nutztierhaltung werden

Animal Hoarding

­kritisch hinterfragt.

Avery, L: From Helping to Hoarding to Hurting: When the Acts of Serpell, JA: People in Disguise: Anthropomorphism and the ­Human-Pet-Relationship. In: Daston, L / Mitman, G (Hrsg.): Thinking

 `Good Samaritans´ Become Felony Animal Cruelty. In: Valparaiso University Law Review. 2005 / 39 (4), 815–858.

with Animals: New Perspectives on Anthropomorphism. New York Bratiotis, C / Sorrentino-Schmalisch, C / Steketee, G: The Hoarding

2005, 121–36.

Handbook: A Guide for Human Service Professionals. Oxford / New Stephany, M: Der Mensch im Tier – Anthropomorphisierung und

York 2011.

Funktionalisierung von Tieren im Zeichentrickfilm. In: Stephany, M /

Anwendungsorientierte Einführung und Leitfaden für Bewertung und

Ach, JS (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier: Interdisziplinäre Perspekti-

­Umgang mit Animal Hoarding. Mit Fallbeispielen, Tipps, Strategien und An-

ven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. München 2009, 95–109.

wendungsvorschlägen für Fachleute, die mit Animal-Hoarding-Situationen

Die Autorin untersucht unterschiedliche Praktiken und Funktionen der

konfrontiert sind.

­Anthropomorphisierung von Tieren in Zeichentrickfilmen und Literatur. Sie beschreibt Formen der Funktionalisierung und Instrumentalisierung von

Patronek, GJ / Loar, L / Nathanson, JN (Hrsg.): Animal Hoarding:

Tieren in der medialen Darstellung, bezieht Überlegungen aus Philosophie,

Structuring Interdisciplinary Responses to Help People, Animals

Literaturwissenschaft und Verhaltensbiologie mit ein und weist auf die

and communities at Risk. Boston 2006.

ethischen Probleme von Vermenschlichungstendenzen in den Medien hin.

Praktisch orientierte Erläuterung psychologischer und soziologischer ­Perspektiven auf die Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer Zusammenarbeit im Umgang mit Animal Hoarding.

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

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Sperlin, TS: Animal Hoarding. Das krankhafte Sammeln von Tieren.

len von Animal Hoarding zwischen 2000 und 2003, die ein pathologisch

Aktuelle Situation in Deutschland und Bedeutung für die Veterinär-

geprägtes Bild der Tierhalter_innen transportieren. Demgegenüber wer-

medizin. Gießen 2012.

den die Rechtfertigungsstrategien systematisch beschrieben, die „Animal

Empirische Studie und systematische Erhebung amtlich verzeichneter Fälle

Hoarder“ anwenden, um dieses negative Bild zu neutralisieren.

von Animal Hoarding in Deutschland. Neben der psychologischen Definition des Phänomens widmet sich ein umfangreicher Teil der Publikation den Möglichkeiten und Folgen veterinärmedizinischer Maßnahmen und

Tierschutzkonzepte jenseits der Vermeidung von

setzt diese in Bezug zu psychologischen, rechtlichen und ökonomischen

Schmerz und Leid

­Faktoren.

Balzer, P / Rippe, KP / Schaber, P: Menschenwürde versus Würde Campbell, C / Robinson, J: Animal Hoarding. In: Bryant, C (Hrsg.):

der Kreatur. In: Wolf, U: Texte zur Tierethik. Stuttgart 2008, 61–72.

Encyclopedia of Criminology and Deviant Behaviour II. Philadelphia

Der Begriff der „Würde der Kreatur“ wird in diesem Artikel im Kontrast zum

2001, 11–15.

Begriff der Menschenwürde untersucht. Vor dem Hintergrund einer biozentrischen Sichtweise werden Möglichkeiten zur Begründung eines neuen

Deininger, E: Wenn Menschen zu viele Tiere haben – das Phäno-

Würdekonzepts aufgezeigt, mit dem jedem Lebewesen gleichermaßen ein

men des Animal Hoarding. In: Buchner-Fuhs, J (Hrsg.): Tierische ­

inhärenter moralischer Wert zugesprochen werden kann.

Sozialarbeit. Ein Lesebuch für die Profession zum Leben und ­Arbeiten mit Tieren. Wiesbaden 2012, 185–201.

Benz-Schwarzburg, J: Verwandte im Geiste – Fremde im Recht?

Kompakter Überblick zu Begriffsdefinition und psychologischen sowie em-

­Sozio-kognitive Fähigkeiten bei Tieren und ihre Relevanz für Tier-

pirischen Daten und Fakten zum Animal Hoarding. Der Beitrag geht auf die

ethik und Tierschutz. Erlangen 2012.

Vielschichtigkeit der Probleme im Umgang mit dem Phänomen ein und

Gestützt auf Ergebnisse empirischer Forschung analysiert die Autorin

berücksichtigt dabei die Rolle von Veterinär- und Sozialämtern sowie Tier-

dieser umfangreichen Monografie, inwiefern sich Erkenntnisse über die

schutzvereinen.

Ähnlichkeit menschlicher und tierischer sozio-kognitiver Fähigkeiten auf tierethische Debatten auswirken. Die Analyseergebnisse werden mit mo-

Patronek, GJ / Nathanson, JN: A Theoretical Perspective to Infor-

ralischen Fragen zu Menschenpflichten und Schutzansprüchen verknüpft.

med Assessment and Treatment Strategies for Animal Hoarders. In:

Dadurch ergeben sich auch Fragen nach der Notwendigkeit eines Perso-

­Clinical Psychology Review. 2009 / 29, 274–281.

nenstatus bestimmter Tiere im rechtlichen Kontext.

Vaca-Guzman, M / Arluke, A: Normalizing Passive Cruelty: The Ex-

Camenzind, S: Dignity of Creature: Suffering and Further. In:

cuses and Justifications of Animal Hoarders. In: Anthrozoös.

­Röcklingsberg, H / Sandin, P (Hrsg.): The Ethics of Consumption. The

2005 / 18 (4), 338–357.

Citizen, the Market, the Law. Wageningen 2013, 279–284.

In einer deskriptiven Studie analysiert der Aufsatz mediale Berichte zu Fäl-

Der Autor argumentiert, dass die Aufnahme des Würdebegriffs in das

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schweizer Tierschutzgesetz zu einem paradigmatischen Wandel in der

In der Praxis auftretende Konflikte bezüglich der Rechtfertigung von Abgren-

Mensch-Tier-Beziehung geführt hat, da er über die Tragweite herkömmli-

zungskriterien zwischen Mensch und Tier werden in dieser Publikation aus

cher tierethischer Konzepte hinausgeht. Am Beispiel der Fleischindustrie

rechtswissenschaftlicher Sicht geprüft. Die Autorin zeigt die ­Widersprüche

wird aufgezeigt, dass eine konsistente Anwendung des Verständnisses tier-

und Unzulänglichkeiten im rechtlichen Umgang mit Tieren auf und fordert

licher Würde fundamental die Sicht auf und die Haltung gegenüber Tieren

eine neue rechtliche Ordnung, in der die Stellung des Tieres als Rechts-

erschüttert.

subjekt und -objekt klar definiert ist.

Camenzind, S: Auf zu neuen Ufern – Übermäßige Instrumentali-

Rippe, KP: „Würde des Tieres“ aus rechtsphilosophischer Sicht. In:

sierung im Sinne des TSchG aus philosophischer Sicht. In: Michel,

TIERethik. 2011 / 3, 8–31.

M /Kühne, J / Hänni, D (Hrsg.): Animal Law – Tier und Recht. Zürich

Der Beitrag bietet einen Überblick zum schweizerischen Rechtskonzept,

2012, 173–201.

­befragt das Konzept der Menschenwürde als relativen Wert zur tierlichen

Im Aufsatz wird das Kriterium der übermäßigen Instrumentalisierung im

Würde und bildet die kontroverse Diskussion zu diesem Konzept ab. Dabei

Sinne des Schweizerischen Tierschutzgesetzes aus rechtsphilosophischer

liegt der Fokus auf der Untersuchung der Kohärenz des Rechtssystems.

Sicht bewertet. Die „Würde der Kreatur“ wird als moralisch relevantes ­Kriterium einer biozentrischen Ethik skizziert und von anderen ethischen

Rutgers, B / Heeger, R: Inherent Worth and Respect for Animal

Positionen unterschieden. Das Konzept der Würde wird kontextspezifisch

­Integrity. In: Dol, M / Fentener van Vlissingen, M / ­Kasannmoentalib,

in Bezug auf die entsprechende Bestimmung in der Schweizerischen Bun-

S / Visser, T / Zwart, H (Hrsg.): Recognizing the Intrinsic Value of

desverfassung und deren Konkretisierung im Schweizerischen Tierschutz-

­Animals. Beyond Animal Welfare. Assen 1999, 41–51.

gesetz sowie der Tierschutzverordnung untersucht.

In diesem Beitrag wird erörtert, welche Art der menschlichen Verantwortung die Voraussetzung eines inhärenten Wertes für Tiere mit sich bringt, wie

Liechti, M (Hrsg.): Die Würde des Tieres. Erlangen 2001.

eine moralische Haltung des Menschen gegenüber Tieren ­charakterisiert

In diesem Sammelband werden praxisbezogene Fragen zum Würdebe-

und in den Kontexten der Veterinärmedizin und Tierzucht begründet wer-

griff für Tiere aus philosophischer, anthropologischer, psychologischer und

den kann. Die Annahme eines inhärenten Wertes wird durch das Argument

rechtlicher Perspektive gestellt. In den Beiträgen wird das Hauptaugenmerk

der­Integrität des Tieres fundiert. Respekt gegenüber der Integrität des Tie-

auf die unterschiedlichen Konzepte von Menschen- und Tierwürde und die

res ­bedeutet, dessen Ganzheit und Vollkommenheit nicht zu schädigen, die

daraus resultierende Ungleichbehandlung gelegt.

Möglichkeit zum artspezifischen Erhalt nicht zu beeinflussen und dem Tier die Ausübung seiner Fähigkeiten zuzugestehen.

Raspé, C: Die tierliche Person. Vorschlag einer auf der Analyse der Tier-Mensch-Beziehung in Gesellschaft, Ethik und Recht basieren-

Von der Pfordten, D: Tierwürde nach Analogie der Menschen-

den Neupositionierung des Tieres im deutschen Rechtssystem.

würde. In: Brenner, M (Hrsg.): Tiere beschreiben. Erlangen 2003,

­Berlin 2013.

105–123. Im Beitrag wird gefragt, inwiefern ethische und rechtspolitische ­Aspekte zum Konzept der Tierwürde in Analogie zur Menschenwürde begriffen

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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

Schwerpunkt 3  |  Der überforderte Mensch

­werden können. Grundlegende ethische Positionen werden in Beziehung zu

Ausblick

Auf dem Weg zu einer Ethik in der amtstierärztlichen Praxis

konkreten Bereichen der Tierhaltung gesetzt. Der Autor äußert sich kritisch zur Aufnahme des Konzepts der Tierwürde ins Verfassungsrecht als grund-

Eine Ethik für die amtstierärztliche Praxis fordert zu selbstständiger Reflexion und zu

sätzlichen Bewertungsmaßstab schützenswerter Interessen des Tieres.

­einem Blick über den Tellerrand des Alltags auf. Sie ist damit nicht zuletzt als ein Akt der (Selbst-)Bildung zu verstehen: Sie meint nicht nur die Aufnahme und Verarbeitung von Sachinformationen, sondern auch das Erkennen von Zusammenhängen, das Hinterfragen von vorgegebenen Bedingungen, den ­argumentativen Austausch zu strittigen Fragen und die Vertiefung des Verständnisses der eigenen Rolle. Die im Rahmen des Vethics for vets-­Projekts stattgefundenen Diskussionen haben d ­ abei nicht nur ­verdeutlicht, dass eine ­ethische Reflexion der amtstierärztlichen Tätigkeit für die Philosophie Herausforderungen bei der Erprobung von Theorien und Modellen in einem verantwortungsvollen Feld der Praxis birgt; sie ist auch und gerade für ATÄ selbst ein lohnendes Unterfangen, um sich strukturiert über ­Werte, Verantwortung, ­Normen und moralische Schwierigkeiten ihres ­Berufsfelds auszutauschen. In der angewandten Ethik gilt es, Theorien zu bilden, sie in der Tätigkeit zu prüfen und weiterzuentwickeln, neue Forschungsfragen zu generieren, die Nöte und Schwierigkeiten der handelnden ­Akteur_innen begrifflich einzufangen sowie praxistaugliche H ­ ilfestellungen zu erarbeiten. In Bezug auf diese Ziele steckt eine Ethik der ­Veterinärmedizin — im Vergleich mit der Medizinethik und keineswegs a ­ usschließlich im deutschsprachigen Raum — noch in den Kinderschuhen. So sehr der Wandel der Mensch-Tier-Beziehung z­ unehmend moralisch diskutiert wird und die Disziplin der Tierethik dabei ist, akademisch wie gesellschaftlich Fuß zu fassen, so gering ist bislang die Aufmerksamkeit für die Belange einer veterinärmedizinischen Ethik. Wünschenswert wie notwendig sind vor diesem ­Hintergrund der Ausbau von Forschungs- wie ­Begleitprojekten, eine verstärkte internationale Vernetzung sowie die Förderung des öffentlichen Interesses an veterinärmedizinischen Fragestellungen. Das Projekt Vethics for vets hat hierbei einen wichtigen Beitrag geleistet. An der besonderen Relevanz und Dynamik der amtstierärztlichen Praxis im Rahmen einer Ethik der Veterinärmedizin hat das Projekt dabei keinen Zweifel gelassen. Der amtstierärztliche Beruf trat in den Workshops, sowie ihrer Vorbereitung und ­Aufarbeitung als ein Prototyp einer ethisch herausfordernden Expertenaufgabe zutage: Daten und Fakten bilden die G ­ rundlage der Entscheidungen, die sich dennoch nicht von selbst ­verstehen, sondern

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Verwendete Literatur

Ausblick

auf Basis einer selbstständigen Abwägung von ­Gütern getroffen werden ­müssen. Normen-

Verwendete Literatur

konflikte sind dabei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. ATÄ handeln an ­Schnittstellen von sozialen Bereichen, die emotional diskutiert werden und von ­Widersprüchlichkeiten

Aerts, S: Practice-oriented ethicals models to bridge animal production, ethics and society.

­ esetzliche Vorgaben, als Exgeprägt sind. Als Vertreter_innen des S ­ taats ­exekutieren sie g

Leuven 2006.

pert_innen und Bürger_innen sind sie zugleich dazu a ­ ufgerufen, ­diese ­Vorgaben mitzugestalten. Und schließlich sind sie nicht nur h ­ erausgefordert, Entscheidungen zu treffen

Beauchamp, T / Childress, J: Principles of Biomedical Ethics. New York 2001.

und zu begründen, sondern sie sollen darüber ­hinaus in zahllosen Situationen moderie-

Birnbacher, D: Lässt sich die Tötung von Tieren rechtfertigen? In: Wolf, U. (Hrsg.): ­Texte zur

rend und vermittelnd wirken. Eine Ethik für einen ­­derartigen „Prototypen“ ­eines ethisch

Tierethik. Stuttgart 2008, 212–231.  

herausfordernden ­ Berufsfelds hat k­ontextspezifisch, problemorientiert und praxisnah zu sein: Es müssen Angebote ­entwickelt werden, die den Handelnden einen adäquaten

Busch, R / Kunzmann, P: Leben mit und von Tieren. Ethisches Bewertungsmodell zur

­Umgang mit den Abwägungen und Schwierigkeiten ermöglichen. Die ­verständliche wie

­Tierhaltung in der Landwirtschaft. München 2006.

­strukturierte Darstellung der e ­ ntsprechenden K ­ onflikte, in der die normativen Grundlagen

Coleman, GJ: Educating the Public: Information or Persuasion? In: Journal of Veterinary

explizit gemacht ­werden, ist dafür Voraussetzung: Oftmals ist die präzise Beschreibung eines m ­ oralischen Dilemmas ein entscheidender Schritt, um mit ihm u ­ mzugehen.

­Medical Education. 2010 / 37 (1), 74–82. Dürnberger, C: Was erwartet die Gesellschaft von der Landwirtschaft? Auf der Suche nach

Der vorliegende Wegweiser zielt demnach nicht auf das Erarbeiten eines Ethikcodex’ ab,

einem besseren Verständnis von gegenwärtigen Debatten. In: Bayerisches Staatsministe-

sondern auf das Einüben e ­ iner ethischen Reflexionsfähigkeit. Ziel war nicht, eine H ­ andvoll

rium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.): Schule und Beratung. 2013 / 6 (7),

Regeln aufzustellen, die zwar durchaus zentrale Werte zu fassen ­vermögen, dabei jedoch

12–15.

immer ein Stück weit abstrakt zu ­bleiben haben, sondern eine bestimmte Art des Nachdenkens und des ­Miteinander-ins-Gespräch-Kommens zu kultivieren: strukturiert und sachgerecht, am Konsens orientiert, ohne Konflikte zu kaschiren. Bei all dem, so wurde eingangs

Eurobarometer: Europäer, Landwirtschaft und Gemeinsame Agrarpolitik. Special Eurobarometer 336. European Opinion Research Group EEIG. Brüssel 2010.

festgehalten, versteht sich der Wegweiser als ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer

Hartnack, S: Tierseuchenbekämpfung. In: Grimm, H / Otterstedt, C (Hrsg.): Das Tier an

Etablierung einer amtstierärztlichen Ethik in der Philosophie wie in der amtstierärztlichen

sich. Disziplinenübergreifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tier-

Ausbildung und Praxis. Weitere Schritte im Austausch mit ATÄ zu unternehmen, ist dabei ein

schutz. Göttingen 2012, 347–359.

festes Ziel der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli ­Forschungsinstitut.

Heidegger, M: Das Ding. In: Ders.: Vorträge und Aufsätze. Martin Heidegger G ­ esamtausgabe, Bd. 7, Frankfurt am Main 2004, 165–187. Jürgens, K: Tierseuchen in der Landwirtschaft. Die psychosozialen Folgen der Schweinepest für betroffene Familien – untersucht an Fallbeispielen in Nordwestdeutschland. Würzburg 2002. Knigge, AF: Über den Umgang mit Menschen. Berlin [1788] 2013.

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Verwendete Literatur

Ethik trifft Praxis

Luy, J: Die Tötungsfrage in der Tierschutzethik. Diss. med. vet. Berlin 1999. Mepham, B / Kaiser, M / Thorstensen, E / Tomkins, S / Millar, K (Hrsg.): Ethical Matrix. Den ­Haag 2006.

Ethik trifft Praxis | Ausgewählte Vethics for vets-Veranstaltungen Während des Projekts fand in den Workshops eine Zusammenarbeit von Amtstierärzt_innen aus allen österreichischen Bundesländern und aus Bayern sowie ­Tierschutzombudsleuten

Nussbaum, M: Konstruktionen der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge. Stuttgart 2002. Patronek, GJ / Loar, L / Nathanson, JN: Animal Hoarding Structuring interdisciplinary ­responses to help people, animals and communities at risk. In: Tagungsband des Hoarding of Animals Research Consortium. 2006, 19–20.

mit Vertreter_innen verschiedener (geistes-)wissenschaftlicher Disziplinen statt. Die Projektarbeit und Resultate wurden und werden vom Projektteam auf (tier-)ethischen und (amts-)tierärztlichen Konferenzen präsentiert und für eine breitere akademische Diskussion zugänglich gemacht.

Singer P: Practical Ethics. Cambridge [1980] 2011.

4. Juni 2012: Präsentation „Professional Ethics für Amtstierärztinnen und Amtstierärzte“.

Ropohl, G: Das Risiko im Prinzip Verantwortung. Kritiken und Replik. In: Ethik und Sozial-

nen und Amtstierärzte (ÖVA), Melk

Herwig Grimm, 12. Fortbildungstagung des Österreichischen Verbands der Amtsstierärztin-

wissenschaften. 1994 / 5, 109–120. Sperlin, TS: Animal Hoarding. Das krankhafte Sammeln von Tieren. Aktuelle Situation in Deutschland und Bedeutung für die Veterinärmedizin. Hannover 2011.

27.  Februar und 10. April 2013: „Besser Sterben. Tiergerechtes Töten“. Messerli Forschungsinstitut, Wien

WBA – Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für

18.  April 2013: Vortrag „Vethics for vets – Euthanasie in der Kleintierpraxis“. Kerstin

­Ernährung und Landwirtschaft: Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhal-

Weich / Svenja Springer, Arbeitskreis Mensch-Tier-Beziehung, Veterinärmedizinische Uni-

tung. Berlin 2015.

versität Wien

Wolf, JC (2014): Das Beraubungsargument gegen die Tötung von Tieren. In: TIERethik. 2014 / 1 (8), 7–13.

22. April 2013: Präsentation „Vethics for vets – Amtstierärzt_innen im Spannungsfeld ­zwischen Politik, Öffentlichkeit, Ökonomie und Tierschutz“. Herwig Grimm, 31. Internationaler Veterinärkongress des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte, Bad Staffelstein 2.  Mai 2013: Vortrag „Vethics for vets – Euthanasie in der Kleintierpraxis“. Kerstin Weich / Svenja Springer, Jahrestagung der ÖTT, Veterinärmedizinische Universität Wien 2.  Mai 2013: Vortrag „Die Ethik des Tötens“. Herwig Grimm, 13. Fortbildung der ÖVA, ­Gaschurn / Montafon 14.  Mai 2013: Präsentation „Vethics for vets. Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. Tiertötung“. Herwig Grimm / Kerstin Weich, Schleißheimer Forum, LGL, Bayern

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Ethik trifft Praxis

Ethik trifft Praxis

12.  September 2013: Vortrag „Vethics for vets“. Kerstin Weich, EurSafe Conference,

2. Dezember 2014: Vortrag „Ethik und Tierschutz in der Veterinärmedizin“. Herwig Grimm,

­Uppsala, Schweden

KELDAT-Ringvorlesung, Ludwig-Maximilians-Universität, München

18.  September und 6. November 2013: „Kadaver – Kreatur – Kotelett. Schlachten und

4.  Dezember 2014: Vortrag „Produktive Körper: Zur Ästhetik von Nutztieren“. Kerstin

­Keulen“. Messerli Forschungsinstitut, Wien

Weich, 27. IGN-Tagung „Tierzucht und Tierschutz“, Celle

30.  September und 1. Oktober 2013: Vortrag zu Ethik und Geschichte der Tiermedizin und

27. Jänner 2015: Vortrag: „Vermenschlichung von Tieren – Ein- und Ausblicke zur Rolle von

Projektvorstellung Vethics for vets. Herwig Grimm, Kerstin Weich & Martin Huth, Forum

Amtstierärzt_innen in aktuellen Debatten“. Kerstin Weich / Christian Dürnberger: Vortrag:

Tiere und Geschichte, Naturhistorisches Museum, Wien

„Animal Hoarding zwischen psychologischer Pathologie, Rechtsdelikt und ethischem Dilemma“. Birgit U. Stetina, Öffentliche Abendveranstaltung, Universität Wien

13. März 2014: Vortrag „Tiere: Lebendiger Rohstoff?“. Herwig Grimm, Interdisziplinäre Ringvorlesung „Tierisch! Das Tier und die Wissenschaft“, Universität Zürich

3. März 2015: Vortrag „Tiermedizin und Tierschutz – eine Frage der Ethik.“ Kerstin Weich, Keldat-Ringvorlesung, Ludwig-Maximilians-Universität, München

13.  Mai und 27. Mai 2014: „Tiere – lebendiger Rohstoff? Verdinglichung ohne Rücksicht“. 22.  April 2015: Vortrag „Amtstierärzt_innen im Spannungsfeld“. Christian Dürnberger,

Messerli Forschungsinstitut, Wien

Anschlussseminar der Jahrestagung des Bundesverbands der beamteten Tierärzte in 24. Juni 2014: Vortrag „Verdinglichung ohne Rücksicht? Moralische Praktiken im Umgang

Deutschland, Österreich und der Schweiz, Bad Staffelstein

mit Tieren“. H. Grimm; Vortrag: „Zu den ethischen Dimensionen amtstierärztlicher Praxis in der Tiernutzung“. Kerstin Weich / Stefano Saracino, Öffentliche Abendveranstaltung,

25. April 2015: Vortrag „Recht und Moral in der Tiermedizin“. Kerstin Weich, Fortbildung der

­Universität Wien

Tierärztekammer Berlin „Gleiches Recht für Alle?“, Berlin

21. September 2014: Vortrag „Tierschutzethik: Positionen und Schwierigkeiten der Positio-

24. April 2015: Gastvorlesung „Tierärztliche Ethik“. Kerstin Weich, Freie Universität Berlin,

nierung“. Herwig Grimm, 29. VÖK-Jahrestagung, Salzburg

Fachbereich Veterinärmedizin, Berlin

19.  Oktober 2014: Vortrag „Ergebnisse aus dem Projekt Vethics for vets – Ethik in der

30.  Mai 2015: Vortrag „Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit. Zur Repräsentation von Nutz-

amtstierärztlichen Praxis“. Kerstin Weich, Tagung „Der Doktor und das liebe Vieh – im

tieren“. Kerstin Weich, Tagung „Ökonomien tierischer Produktion“, Institut für Europäische

Spannungsfeld von Tierschutz, Verbraucherschutz und Ökonomie“, Lutherstadt Wittenberg

Ethnologie, Universität Wien

4. November und 18. November 2014: „Der überforderte Mensch. Der Mensch als Maß aller

18. Juni 2015: Präsentation „Vethics for vets“. Herwig Grimm, VetNEST Annual Meeting

Tiere / Animal Hoarding: Wenn Tiere überhand nehmen“. Messerli-Forschungsinstitut, Wien

2015, Veterinärmedizinische Universität Wien 19. Juni 2015: Vortrag „Ethik in der Nutztierhaltung“. Christian Dürnberger, ZAG-Länderkonferenz, Rabenstein

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Ethik trifft Praxis

17. und 18. September 2015: Internationale Abschlusstagung: Keynote: „Companion ­Animal Welfare and Ethics – What is the Role of the Veterinary Profession?“ Prof. Peter Sandoe; Keynote: „The Foundations of Veterinary Medical Ethics“. Prof. Bernard E. Rollin, Tagung „Vethics for vets. Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. Animal Welfare and Veterinary Medicine“, Veterinärmedizinische Universität Wien 12. November 2015: Vortrag „Ergebnisse aus dem Projekt Vethics for vets – Ethik in der amtstierärztlichen Praxis“. Christian Dürnberger, VetLeb-Tagung, Berlin. 14. November 2015: Vortrag „Ergebnisse aus dem Projekt Vethics for vets – Ethik in der amtstierärztlichen Praxis“. Christian Dürnberger, Tierärzteforum 2015 der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Rostock.

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Der vorliegende Wegweiser will einen Beitrag zur Förderung der ethischen Reflexion der amtstierärztlichen Praxis leisten. Anliegen ist es, Amtstierärztinnen und Amtstierärzte dabei zu unterstützen, mit den Konflikten ihres Berufsfeldes s­ trukturiert und fundiert umzugehen.

Der Wegweiser entstand im Rahmen des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik in der amtstierärztlichen Praxis‘.

Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Gesundheit ­gefördert und an der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung des Messerli Forschungsinstitutes (­Veterinärmedizinische Universität Wien, Medizinische Universität Wien und ­Universität Wien) von 2012 bis 2015 durchgeführt.

ISBN: 978-3-200-04267-4

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