Funktionale Aspekte der Wortbildung Universität Leipzig

January 18, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
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Universität Leipzig Institut für Germanistik Wintersemester 2003/04 Prof. Dr. Irmhild Barz Seminar: Nomination

Funktionale Aspekte der Wortbildung

Annemarie Fischer Studiengang Magister artium 7. Fachsemester Germanistik Journalistik Ost- und Südosteuropawissenschaften Davidstrasse 5 04109 Leipzig 0341/99 38 180

Ringstraße 4 87757 Kirchheim 08266/1598

[email protected] http://www.annemariefischer.de

Inhaltsangabe I. EINLEITUNG

4

II. HAUPTTEIL

5

1. KONZEPTION DES VORTRAGES UND DER AUSARBEITUNG

5

1.1 KONZEPTION DES REFERATES

5

1.2 ZUSÄTZLICHE PUNKTE IN DER AUSARBEITUNG DES REFERATES

5

2. SYNONYMIE VON WORTBILDUNGSPRODUKTEN

6

TABELLE 1. SYNONYMIE VON WORTBILDUNGSPRODUKTEN

6

3. WORTBILDUNGSARTEN

6

TABELLE 2. WORTBILDUNGSARTEN

6

4. ALLGEMEINE FUNKTIONEN DER WORTBILDUNG

7

TABELLE 3. ALLGEMEINE FUNKTIONEN DER WORTBILDUNG

7

5. SPEZIELLE FUNKTIONEN LAUT EICHINGER

9

TABELLE 4. FUNKTIONEN DER WORTBILDUNGSARTEN LAUT EICHINGER

9

6. MODIFIKATION UND TRANSPOSITION

10

TABELLE 5. MODIFIKATION/TRANSPOSITION TABELLE 6A. AFFIXE: MODIFIKATION UND TRANSPOSITION TABELLE 6B. AFFIXE: MODIFIKATION UND TRANSPOSITION

10 12 13

7. MAURICE KAUFFER: DIE FEINDLICHEN BRÜDER DER WORTBILDUNG

14

7.1 UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND METHODE

14

7.2 ZENTRALE THESEN

14

7.3 KAUFFERS CONCLUSIO

16

III. CONCLUSIO

17

TABELLE 7. FUNKTIONSBEREICHE DER WORTBILDUNGSARTEN IM ÜBERBLICK

19

2

VORTRAGSMATERIALIEN

20

HANDOUT FOLIE 1. BEISPIELE AUS DEM KAUFFER-ARTIKEL

20 22

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

23

INTERNETADRESSEN

24

3

I. Einleitung „Die Sprache verändert sich vor allem durch Lautwandel, d.h. durch Faulheit; durch Wortbildung, d.h. durch das Spiel mit der Grammatik; und durch Übertragung, d.h. durch das Spiel der Phantasie. Die Grammatik wurde vermutlich vor allem durch Priester und Dichter vorangetrieben, an der Phantasie war auch das Volk, an der Faulheit waren alle ziemlich gleich beteiligt.“1

Die Beschreibung des Sprachwandels durch den Journalisten und „Sprachpapst“ Wolf Schneider in seinem Buch Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache mag auf den ersten Blick etwas flapsig und vereinfachend wirken. Dennoch bringt sie uns den Prozess der Veränderung der Sprache näher. Wörter machen Leute, aber Leute machen eben auch Wörter, um die sie umgebende und ständig verändernde Welt zu beschreiben. Wie teilt sich die Wortbildung die Aufgabe auf, die Welt zu versprachlichen? Betrachten wir den Wortschatz mit der Perspektive auf die funktionalen Aspekte der Wortbildung, so sind wir mit folgendem überraschenden Phänomen konfrontiert. Es exisiteren hinsichtlich der Wortbildungsarten

wenige

Beispiele

für

Synonympaare,

die

durch

verschiedene

Wortbildungsarten erzeugt wurden. Während es also zahlreiche Quellen für Synonymie gibt, erweist sich diese in Bezug auf die Wortbildung als wenig ertragreich. In den Nachschlagewerken bzw. in den Einführungen wird meist das Hauptaugenmerk auf eine deskriptive Analyse gelegt, während der funktionale Aspekt der Wortbildung nur gestreift wird. Ziel des Referates war es, die Kursteilnehmer in die funktionalen Beschreibung der Wortbildung einzuführen. Folgende Fragen werden aufgeworfen: Welche Wortbildungsart erfüllt welche Aufgabe(n) in der Wortbildung? Welche Arbeitsteilung existiert zwischen den einzelnen Wortbildungsarten? Sind diese Aufgabenbereiche klar definiert, oder konkurrieren sie miteinander? Ähnlich der von Wolfgang Fleischer begründeten Funktionalstilistik soll hier der Versuch unternommen werden, eine Annäherung an eine „Funktionalwortbildung“ zu entwickeln. Während

sich

die

Funktionalstilistik

auf

die

Kommunikationsabsicht

und

den

Kommunikationsbereich stützt, erfolgt in Anlehnung an die Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache eine Konzentration auf die primäre Dimension der Wortneubildung und Benennungsfunktion, den sekundären grammatischen Bereich und die dritte Dimension der textuellen Funktion.

1

Schneider, Wolf: Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache. 10. Auflage. München: Piper 2002, S. 45f.

4

II. Hauptteil 1. Konzeption des Vortrages und der Ausarbeitung 1.1 Konzeption des Referates Um bei den Zuhörern einen „Höranreiz“ zu schaffen, wurde das Referat unter die globale Frage Wie teilt sich die Sprache die Aufgabe auf, die Welt zu versprachlichen? gestellt. Am Anfang wurden die wenigen Beispiele für Synonymien in der Wortbildung aus einer Vorbesprechung am 5. November 2003 mit Professor Dr. Irmhild Barz genannt. Da das Referat am 11. November 2003 den ersten Vortrag des Hauptseminars bildete und somit eine der ersten Sitzungen darstellte, bildete eine Kurzeinführung in die Wortbildungsarten in Anlehnung an die Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache den Anfang. Nach der Darstellung der allgmeinen Funktionen der Wortbildung, ebenfalls anhand der Kleinen Enzyklopädie, wurden die Funktionen anhand von Ludwig M. Eichingers Einführung in die Deutsche Wortbildung auf die jeweiligen Wortbildungsarten spezifiziert. Als dritter Schritt wurden die funktional-semantischen Beschreibungsdimensionen, also Modifikation und Transposition, für die Kursteilnehmer erläutert. Hierbei wurde insbesondere auf die Vieldeutigkeit von Affixen, die in der Vorbesprechung diskutiert wurden, Wert gelegt – diese wurden den Kursteilnehmern in einer tabellarischen Übersicht illustriert. Der Artikel Die feindlichen Brüder der Wortbildung von Maurice Kauffer bildete den vierten Abschnitt des Referates. Zur Verdeutlichung wurde eine Folie mit Beispielen aus dem Kauffer-Artikel erstellt. Kauffers Fazit der versöhnten Brüder2 der Wortbildung bildete den Schlusspunkt und gleichzeitig den Diskussionsanreiz des Referates. Im Anhang sind beide im Referat gezeigten Folien sowie das Handout einsehbar. Weiterhin sind sie (zusammen mit der Ausarbeitung) online abrufbar unter http://www.annemariefischer.de.

1.2 Zusätzliche Punkte in der Ausarbeitung des Referates Da die Ausarbeitung eines Referates immer einen Schritt weiter gehen sollte als der Vortrag selbst, wurden weitere Tabellen zur Verdeutlichung erstellt. Neben einer einführenden 2

Kauffer, Maurice: Die feindlichen Brüder der Wortbildung. In: Rand und Band. Abgrenzung und Verknüpfung als Grundtendenzen des Deutschen. Festschrift für Eugène Faucher zum 60. Geburtstag. Herausgegeben von René Métrich und Maurice Vuillaume. Tübingen: Narr 1995, S. 212.

5

Tabelle zur Synonymie wurden die allgemeinen Funktionen der Wortbildung nach der Kleinen Enzyklopädie sowie die speziellen Funktionsbereiche nach Eichinger mit jeweils einer Abbildung verdeutlicht. Abschließend wurde versucht, die gewonnenen Weisheiten in einer Tabelle zusammenzutragen.

2. Synonymie von Wortbildungsprodukten Die wenigen Beispiele für Synonymie von Wortbildungsprodukten lassen sich im wahrsten Sinne an wenigen Händen abzählen: Tabelle 1. Synonymie von Wortbildungsprodukten3 Kompositum

Derivat

Fernsehapparat/Fernsehgerät Begleitperson eiskalt Ziegelfabrik/Ziegelwerk Lastwagen Mähdreschmaschine

Fernseher Begleiter eisig4 Ziegelei Laster5 Mähdrescher

3. Wortbildungsarten Da das Referat den ersten Vortrag des Hauptseminars und somit die ersten Sitzungen darstellte, bildete eine Kurzeinführung in die Wortbildungsarten den Anfang. Hierbei wurde eine Orientierung an die Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache vorgenommen:6 Der Ausdruck Derivation bezieht sich auf die explizite Derivation, die heute nicht mehr produktive implizite Derivation werden von der Betrachtung ausgenommen. Tabelle 2. Wortbildungsarten7 Komposition

Derivation

Konversion

Reduktion

· komplexes Wortbildungsprodukt aus (mindestens) zwei selbständigen wortfähigen, freien Bestandteilen (= UK) → Kopulativkomposita → Determinativkomposita

· WBP aus einer worfähigen UK plus Affix → Präfixderivation → Suffixderivation → Kombinatorische Derivation

· merkmalsloser Wortartwechsel ohne Suffigierung (ohne Zuhilfenahme von Affixen)

· Bildung von Kurzwörtern gegenüber Vollformen durch Kürzung verschiedener Segmente

3

Alle Beispiele wurden in einer Konsultation mit Professor Dr. Irmhild Barz in einer Vorbesprechung des Referates genannt. 4 Die Einträge eisig und eiskalt sind nach dem dtv-Wörterbuch-Synonyme getrennt aufgeführt unter S. 238 und 239. 5 Die Beispiele Laster/Lastwagen und Mähdrescher/Mähdreschmaschine wurden aus der DUDEN-Grammatik Band 8, S. 411 hinzugefügt. 6 Das Schema orientert sich an die Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache, S. 197. 7 Barz, Irmhild/Schröder, Marianne: Grundzüge der Wortbildung. In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache. Herausgegeben von Wolfgang Fleischer, Gerhard Helbig und Gotthard Lerchner. Frankfurt a. M.: Peter Lang 2001, S. 197ff.

6

4. Allgemeine Funktionen der Wortbildung Die allgemeinenen Funktionen der Wortneubildung bilden den zweiten Komplex. Das Studienbuch Linguistik nennt die „Lexembildung“ als allgemeine Funktion von Derivation und Komposition.8 Dies reicht für unsere Zwecke nicht aus. Eine differenziertere Aufschlüsselung nach den Kriterien Wortneubildung, grammatische Dimension und textuelle Funktion finden wir in der Kleinen Enzyklopädie Deutsche Sprache: Tabelle 3. Allgemeine Funktionen der Wortbildung Primäre Dimension Benennungsfunktion Erstbenennung Wortneubildungen Zweitbenennung (Wertungskorrektur)

Die

„Ur-Funktion“

Sekundäre Dimension Grammatische Funktion Wortartwechsel

Tertiäre Dimension Textuelle Funktiom

Valenzänderung Univerbierung Formenersatz/Lückenschliessen in Wortschatz

von

Wortneubildungen

ist

Textkonstituierende Funktion → Kohäsion Textdistinktive Funktion

primär

Benennungsfunktion.

Die

Sprachteilnehmer versuchen, ihre sich ständig verändernde außersprachliche Welt zu beschreiben.9 Auffallend ist, dass dieser Benennungsvorgang keineswegs als statischer und einmaliger Vorgang, sondern als dynamischer Prozess zu sehen ist. Hierin wird zwischen Erst- und Zweitbenennung unterscheiden. Während also die Erstbenennung dem neuaufgekommenen Phänomen (Gegenstand, Erkenntnis/Idee, Begriffsdifferenzierung10) einen Namen gibt, existiert bei der Zweitbenennung bereits eine Erstbenennung, die von den Sprachteilnehmer als nicht mehr adäquat empfunden wird. Sie nehmen in einem zweiten Schritt intentional eine Konnotation vor. Diese Korrektur kann sowohl nach oben als auch nach unten erfolgen und kann eine Wertungskorrektur (Altersheim → Seniorenheim), Euphemisierung

(Putzfrau



Raumpflegerin)

Emotionalisierung

und

Ausdrucksintensivierung (Superminister) und Ad-hoc-Begriffe zur Textverflechtung umfassen.11 Sprachteilnehmer benennen die Welt also nicht nur, sie bewerten sie auch. Diese Zweitbenennung entspricht jedoch nicht immer nur einem genuinen Grundbedürfnis der Sprachteilnehmer, sie wird oftmals auch „von oben“ bzw. von spezifischen gesellschaftlichen Gruppen oktroyiert und propagiert, um grundlegende gesellschaftliche Normen auch in der 8

Linke, Angelika/Nussbaumer, Markus/Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. Ergänzt um ein Kapitel „Phonetik und Phonologie“ von Urs Willi. 3., unveränderte Auflage. Tübingen: Niemeyer 1996, S. 63. 9 Barz, Irmhild/Schröder, Marianne: Grundzüge der Wortbildung. In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache S. 181. 10 So wird die Videokassette zur Kaufkassette, Leihkassette etc. 11 Ebd. S. 182ff.

7

Sprache zu reflektieren. Da durch die Sprache versucht wird, einen gesellschaftlichen Wandel zu beschleunigen, kann man hier auch von einer Katalysatorfunktion sprechen.

Die grammatische Funktion umfasst Phänomene, die mit den Wortbildungsprozessen einhergehen, wie z. B. -

Wortartwechsel: → Suffixderivation (vertragen (Verb) > verträglich (Adjektiv)), → Kombinatorische Derivation (schön (Adjektiv) > beschönigen (Verb))

-

Valenzänderung (jemandem dienen – jemanden bedienen)

-

Univerbierung (aus Phrasen werden Wörter/Kompositabestandteile gebildet, z. B. Fünf-Sterne-Hotel)

-

Formenersatz (Lückenschliessen im Lexikon) → Graduierung von Adjektiven (stocksauer)

Den Wirkungsbereich der Wortbildung im Text bildet die textuelle Funktion.12 Im Funktionsbereich liegt zum einen die textkonstituierende Funktion. Wortbildungen tragen zum Textualitätskriterium Kohäsion bei, das den äußeren logischen Zusammenhalt eines Textes darstellt. Mit Hilfe eines verbindenden und sich wiederholenden Basismorphems konstituieren sie die Verflechtung der Oberflächenstruktur eines Textes.13 Gleichzeitig charakterisieren Wortbildungstypen bestimmte „prototypische textlinguistische Merkmale“ und besitzen somit eine textdistinktive Funktion, sie tragen also zur Textidentifikation und Textunterscheidung bei. So finden sich Komposita häufig in Fachtexten, Derivate auf -ung in der Behördensprache, aber auch positiv konnotierte Basismorpheme in der Werbesprache.14 Nachrichten werden mit den spezifischen Formen der Redewiedergabe charakterisiert.15

12

Barz, Irmhild/Schröder, Marianne: Grundzüge der Wortbildung, S. 184. Fix, Ulla/Poethe, Hannelore/Yos, Gabriele: Textlinguistik und Stilistik für Einsteiger. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Unter Mitarbeit von Ruth Geier. Frankfurt am Main: Peter Lang 2001, S. 16. 14 Barz, Irmhild/Schröder, Marianne: Grundzüge der Wortbildung. In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache S. 185. 15 Kurz, Josef/Müller, Daniel/Pötschke, Joachim/Pöttker, Horst: Stilistik für Journalisten. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000. 13

8

5. Spezielle Funktionen laut Eichinger Die beschriebenen Funktionen lassen jedoch auf alle Wortbildungsarten anwenden. Die obigen Ausführungen sind zwar aufschlußreich, jedoch nicht spezifisch genug für alle Wortarten und so für unsere Zwecke eines funktionalen Verständnisses der Wortbildung so nicht ausreichend. Eine neuere Einführung in die Wortbildung von Ludwig M. Eichinger spezifiziert die Funktionen in seiner Deutschen Wortbildung nach Wortbildungsarten. Tabelle 4. Funktionen der Wortbildungsarten laut Eichinger Komposition · Einführung von neuen Objekten

· Aufbau terminologischer Hierarchien und Ordnungsmuster → Benennungsdifferenzierung16 → Kontextverstehen

· Sachliche Differenzierung Determinativkomposita: Subklassenbildung (mit Oberklasse und Typ der Subklassifikation)

Derivation17 · Positionierung · referrierende · Akzentuierung · Überschreitung von Wortartgrenzen der Inhalte und Benennung von bestimmter Sehweisen textuelle Vorgängen in Verbindung mit Organisation Basislexemen Konversion · Flexivische Morphologie → Überschreitung von Wortartgrenzen ohne Affixe Kurzwortbildung: · Ökonomieprinzip und Vereinfachung: Verkürzen von komplexen Wörtern bzw. Wortgruppen (→ Metapher)

Die Funktion der Komposition deckt sich weitgehend mit der Erstbenennung, das heißt der Einführung

von

neuen

Objekten,

der

sachlichen

Differenzierung,

dem

Aufbau

terminologischer Hierarchien und Ordnungsmuster und somit dem Kontextverstehen.18 Determinativkomposita erfüllen die gesonderte Funktion der Subklassenbildung (mit Oberklasse und Typ der Subklassifikation). Die Derivation positioniert Inhalte und trägt zur textuellen Organisation bei, indem sie immer wiederkehrende Basislexemen verwendet. Sie betont Vorgäng undErgebnisse (z. B. mittels deverbaler Derivation auf -ung: Reinigung, Beschichtung).19 Die Hauptaufgabe der Konversion, die Eichinger treffend als eine Art der „flexivischen Morphologie“20 beschreibt, ist die Überschreitung von Wortartgrenzen. Bei der Kurzwortbildung regiert das Ökonomieprinzip. Die Sprachteilnehmer vereinfachen komplexe Wortgruppen, um sie „handlicher“ zu machen – dies kann in Fachtexten oder auch in allgemeinverständlichen Texten als eine Art „Code“ geschehen. Eichinger spricht sogar von einer Affinität der Kurzwortbildung zum „Phraseologismus“ und einer Art „Metapher“.21

16

Eichinger, Ludwig M.: Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen: Gunter Narr-Verlag 2000, S. 181. Eichinger, Ludwig M.: Deutsche Wortbildung, S. 180. 18 Ebd. S. 177ff. 19 Ebd. S. 180. 20 Ebd. S. 34. 21 Ebd. S. 34. 17

9

6. Modifikation und Transposition

Tabelle 5. Modifikation/Transposition Modifikation Beibehaltung der Wortart Bedeutungskategorie Veränderung der lexikalischen Bedeutung

Komposition Präfixderivation

Transposition und Veränderung der Wortart und Bedeutungskategorie Sonderfall Substantiv: auch nur Veränderung der Bedeutungskategorie (unter Beibehaltung der Wortart) möglich Konversion Suffixderivation

Modifikations- und Transpositionstypen werden anhand ihrer Wortbildungsbedeutung bestimmt und beziehen sich auf die „semantische Invariante der Wortbildungstypen“.22 Modifikation läßt sich als als Nuancierung/Abwandlung synonymisieren: Die lexikalische Bedeutung verändert sich, die Wortart und Bedeutungskategorie werden jedoch beibehalten.23 Typisch modifizierend wirken hierbei also die Komposition und die Präfixderivation. Beispiele: Zimmer > Schlafzimmer, Arbeitszimmer Mensch > Menschheit Bei der Transposition werden Wortart und Bedeutungskategorie oder – beim Substantiv auch nur die Bedeutungskategorie – durch einen Wortbildungsprozeß verändert. Typisch transponierend wirken Suffixderivation und Konversion; die Konversion ist ausschließlich transponierend. Wichtig ist also, dass die explizite Derivation sowohl transponierend (bei der Suffixderivation) als auch modifizierend (Präfixderivation) wirken kann; die Konversion ist von ihrem Charakter her nur transponierend, da ein Wortartwechsel zum unabdingbaren Grundcharakteristikum dieser Wortbildungsart gehört.24 Beispiele: klug > Klugheit (Wortartwechsel ohne lexikalisch-semantische Veränderung) lesen > Leser (Wortartwechsel mit lexikalisch-semantischer Veränderung) Buch > Bücher; Stadt > Städter (desubstantivisches Substantiv: lediglich Wechsel der Bedeutungskategorie) Ausgenommen von der Modifikation und Transpositon sind die Kurzwörter, da sie in der Regel über keine gesonderte Worbildungsbedeutung verfügen (da keine semantische 22

Barz/Schröder: Grundzüge der Wortbildung. In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache, S. 190. Ebd. S. 202. 24 Ebd. S. 202. 23

10

Differenz zwischen Ausgangseinheit und Wortbildungsprodukt herrscht).25 Aus dieser Perspektive könnte man also von einer Synonymie zwischen Ausgangswort und Kurzwort sprechen. Bei näherem Hinsehen jedoch ergeben sich auch bei Kurzwörtern Nuancen. Wenn also das Bundesausbildungsförderungsgesetz zu BAföG verkürtzt wird, wird ein Terminus aus der Fachsprache der Juristen in den Allgemeinwortschatz vereinfacht. Häufig erfolgt eine Idiomatisierung: Das Kurzwort verselbständigt sich für die Mehrheit der Sprachgemeinschaft und kann der zugehörigen Wortgruppe/dem Ausgangswort nicht (mehr) zugeordnet werden. Erst nach diesem Prozess/Zustand des Beziehungsverlustes kann man von einer wirklichen neuen „Nominationseinheit“ sprechen.26 Oftmals wird die Abkürzung für die Allgemeinheit jedoch gar nicht erst eingeführt. Als Beispiel fungiert hier die SMS, von der Allgmeinheit als „Kurznachricht auf dem Handy“ verstanden. Deren ursprüngliche Aufschlüsselung, Short Message Service, ist nicht für die allgmeine Sprachgemeinschaft zugänglich. Streng genommen müsste es also *eine SM bekommen heißen – jedoch wurde das Kürzel SM schon mit einer bestimmten Sexualpraktik (Sado-Masochismus) besetzt. Auch trifft die Sichtweise, dass Kurzwörter nichts anderes bezeichnen als das Ausgangswort, in manchen Fällen nicht mehr zu. Das Kurzwort „emanzipiert“ sich nicht nur vom Ausgangswort, sondern entwickelt auch eigene Bedeutungensnuancen. So bezieht sich BAföG beziehen/bekommen nicht mehr auf das eigentliche Gesetz, sondern auf den Geldbetrag, der sich aus dem Gesetz ergibt – es müsste eigentlich Leistungen gemäß dem BAföG beziehen heißen, meist wird dies jedoch verkürzt.27 Auch die Verwendung von Kurzwörtern entspricht nicht immer dem Kriterium von 100-prozentiger Austauschbarkeit, sondern ist häufig restringiert.

So

ist

der

Sprachduktus

von

E-mails,

ganz

besonders

in

der

Firmenkommunikation, (immer noch) überraschend formal. Ein MfG-Kürzel am Ende einer Bewerbungsemail würde als zu informell und als nicht adäquat wirken.28

25

Barz/Schröder: Grundzüge der Wortbildung, In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache, S. 191. Ebd. S. 52. 27 Beim BAföG ist auch die besondere Schreibweise zu beachten – während die offizielle Webpage immer noch die Schreibweise BaföG favorisiert, hat sich im SPIEGEL die Schreibweise Bafög durchgesetzt – vgl. die Artikel „Sie waren jung und brauchten das Geld nicht“ http://www.spiegel.de/unispiegel/geld/0,1518,269663,00.html (13.10.2003) und „Wie das Bafög Ehrgeiz und Mobilität bestraft“ von Julia Maria Bönisch unter http://www.spiegel.de/unispiegel/geld/0,1518,283047,00.html (29.01.2004). 28 In einem Interview mit SPIEGELonline betont der Kommunikationstrainer Christian Püttjer die enge Bezieung zwischen E-mail Bewerbungen und herkömmlichen Briefbewerbungen http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,295528,00.html (19.04.2004). 26

11

Bei der Kategorisierung von Affixen zur Modifikation und Transposition ist außerdem die Vieldeutigkeit der Affixe zu beachten. Hier ein Beispiel: Suffix -heit Schönheit (zu Adjektiv schön) → Transposition vs. Christenheit (Kollektivum – Christen als Gemeinschaft, als „Vielheit“) → Modifikation So gehört das Suffix -heit in Schönheit (abgeleitet vom Adjektiv schön) zum Transpositionstyp, indem mit Schönheit ein Wortartwechsel vom Adjektiv schön erfolgt und Schönheit die Eigenschaft charakterisiert. Doch das Derivationsmorphem29 -heit kann auch modifizierend wirken: Bei der Bildung des Kollektivums Christenheit (von Christ/Christen) ist das Wortbildungsprodukt der Modifikation zuzuordnen, da kein Wortartwechsel erfolgt. In

der

folgenden

Tabelle

wurden

modifizierende

und

transponierende

Affixe

zusammengestellt, die im Referat als 1. Folie gezeigt wurde. Die vieldeutigen Affixe (in dieser Übersicht -heit und -lich) wurden optisch markiert. Tabelle 6a. Affixe: Modifikation und Transposition30 Substantiv

Modifikation • movierend (feminine Personen/Tierbezeichnung): -in: Wirtin, -ice: Directrice • Diminuierung: -lein: Röckchen -chen: Spielchen • Augmentation: Haupt-, Erz-, Un-; Traum-, Spitzen, Riesen-, Mega-; Top-, • taxierende Bewertung: Fehl, Miß-, Un- Mist-, Vize-, Haupt-, Alt-, Ex-, Extra-, Sonder-, • negierende Bewertung Un-, Nicht-, MißPseudo-, Schein• kollektivierend: -schaft, -heit -tum, -al, -iat, -age, -atur, -ik, -werk, -wesen • determinierend (u.a. zeitlich-räumlich-Urheberschaft; konstitutiver Bestandteil/ thematischer Bereich; Anwendungsbereich/Zweck instrumental)

Transposition Suffixderivation/Konversion31 • nomina actionis Deverbale WBP mit Vorgangs- und Handlungsbedeutungen z. B. Bedienung • nomina agentis -er: Mieter -ling: Prüfling • nomina instrumenti Entsafter, Reibe • nomina qualitatis • deadjektivische Eigenschaftsbezeichnungen -heit: Schönheit

29

DUDEN Band 8, S. 104. vgl. Barz/Schröder: Grundzüge der Wortbildung. In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache, S. 207ff. 31 Ebd. S. 207f. 30

12

Tabelle 6b. Affixe: Modifikation und Transposition32

Adjektive

Verben

32

Modifikation • graduierend - Steigerung ur-, erz-, uralt-, hyper-, hoch-, hoch- hochschwanger über-/klugsau-/stink- (emotional konnotiert) - Abschwächung -lich schwächlich - Normüber- bzw. unterschreitung überhyperunÄhnlichkeit (-ähnlich)/ Gleichheit (-gleich) • negierend: un-, miß-, in-, dis-/des-, a-, -los, -frei, nicht-, • determinierend: grippeerkrankt • koordinierend: taubblind • aktionale Modifikation Beginn/Abschluss: an-/ab• räumliche Modifikation Verlaufsrichtung (umkreisen)/Lokalisierung • Zeitliche Modifikation vor-, vorher-, nach-, über-,

Transposition • Suffigierung • deverbal -bar, -lich, -abel • Kombinatorische Derivation ge-lehr-ig • desubstantivisch -lich, -ig • possessiv (ärztlich) • ornativ (frostig)

• desubstantivisch Ereignisverben (hageln) Vergleichsverben (kellnern) ornative Verben (polstern) privative Verben (häuten) instrumentative Verben (filtern) • deadjektivisch inchoativ (verarmen) faktitiv (kürzen)

vgl. Barz/Schröder: Grundzüge der Wortbildung, In: Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache, S. 207ff.

13

7. Maurice Kauffer: Die feindlichen Brüder der Wortbildung

7.1 Untersuchungsgegenstand und Methode Maurice Kauffer untersuchte in seinem Artikel Die feindlichen Brüder der Wortbildung die Speisekarten von 24 deutschen Luxusrestaurants. Die insgesamt 1038 Speisebezeichnungen wurden einer computergestützter Statistik-Analyse unterzogen.33 Für den Untersuchungsgegenstand läßt sich also sagen, dass das Prinzip der positiven Konnotation vorherrscht. Von der Kommunikationsabsicht ist anzunehmen, dass die Exklusivität des Etablissements und Qualität der Produkte herausgestrichen werden sollen. Es soll ein beständiges Vertrauensverhältnis zwischen Restaurantpersonal und Kunden geschaffen werden. Der Restaurantbesucher soll sich jedoch nicht nur exklusiv, sondern auch wohl fühlen. Beim Essen soll eine heimelige Atmosphäre durch Heimat-Assoziationen geweckt werden.34 Kauffer teilt seinen Untersuchungsgegenstand in verschiedene Gruppen (Simplizia, Derivate, Komposita, Wortgrupen) ein, die er in Bezug auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede, aber auch auf ihre Übergangsbereiche gegenüberstellt und untersucht.

7.2 Zentrale Thesen Hinsichtlich der Simplizia unterscheidet Kauffer zwischen stark und schwach lexikalisierten Derivaten und Komposita. Der Pfifferling ist auf dem Weg vom Derivat zum Simplex und verliert seine binäre Struktur, da das Simplex *Pfiffer nicht für den Sprachteilnehmer zugägnlich ist, und auch der Kartoffelpuffer hat sich stark idiomatisiert - den Bezug zum *Kartoffelpuff besitzen die Sprachteilnehmer ebenfalls nicht.35 Hinsichtlich der Gegenüberstellung Komposita versus Wortgruppe sind vor allen Dingen die „Bindestrich-Komposita“, die Kauffer auch als faktorielle Komposita bezeichnet, auffällig. Beispiel: Lachs-Seeteufelcarpaccio

33

Kauffer, Maurice: Die feindlichen Brüder der Wortbildung, S. 197. Ebd. S. 207. 35 Ebd. S. 198. 34

14

Diesen „Bindestrich“-Komposita werden häufig Drittgleider hinzugefügt.36 Beispiel: Apfel-Selleriesalat In vielen Fällen bilden die Komposita gar keine graphische Einheit mehr, sondern ein Distanzkompositum. Beispiel: Baby Ananas Hinsichtlich der für unsere Zwecke sehr wichtigen Gegenüberstellung von Kompositum vs. Derivat folgert Kauffer, dass das Derivat als 1. UK bzw. 2. UK relativ häufig auftritt: · Derivat als 1. UK BURGUNDERbirne · Derivat als 2. UK BrunnenkresserahmSÜPPCHEN Die Tatsache, dass Derivate und Komposita in obigem Beispiel zusammenarbeiten, fungiert als Indiz dafür, dass beide Wortbildungsarten durchaus miteinander kooperieren können.37 Hinsichtlich der Kommunikationsabsicht läßt sich hinzufügen, dass dem Prinzip der Konzentration und der Anschaulichkeit gefolgt wird, d.h. möglichst viele Bestandteile und Zutaten in die Gerichte hineingearbeitet werden, damit sich der Restaurantbesucher die Gerichte und ihr Raffinement bildlich vorstellen kann und somit Appetit auf sie bekommt. Hinsichtlich seiner Ausgangsthese der feindlichen Brüderschaft folgert Kauffer, dass komplexe Zusammensetzung und kompositumsintene Ableitung einander ausschließen. Eine zweite Tendenz ist, dass die Kooperation von Derivaten in Komposita nur bedingt in „leichten“ Komposita funktioniert. Je schwerer das Kompositum wird, desto rascher nimmt die Anzahl der Derivate innerhalb des Kompositums ab.38 Statistisch gesehen übertrifft der Gebrauch der Derivate die gemessene Verwendung der Komposita, vor allem Derivate heimischen Ursprungs (Burgunder, Empfehlung) sowie implizite Derivate wie Gang. Diminutiva, also Derivate auf -chen oder -l wie Böhnchen, Brettl finden sich ebenfalls häufig. Deren Funktion ist neben Klein-und-Fein-Assoziation „mit Raffinement“39 auch ein heimischer Bezug, hier auf Bayern bzw. Schwaben mit Bavarismen und „Schwabismen“. Bei den heimischen Derivaten Spätzle und Flädle wird die binäre

36

Kauffer, Maurice: Die feindlichen Brüder der Wortbildung, S. 200f. Ebd. S. 202. 38 Ebd. S. 205. 39 Ebd. S. 205. 37

15

Struktur im obig beschriebenen Prozess gar nicht mehr erkannt, sie werden zu hochlexikalisierten Derivaten, die schon Simplizia ähneln.

7.3 Kauffers Conclusio Konkurrieren Derivation und Komposition also miteinander? Kauffer verneint diese Frage in seiner Untersuchung und stellt sie als versöhnte Brüder dar: „Wie bequem wären doch eine einwandfreie theoretische Unterscheidung und klare Abgrenzungen. Leider ist es nicht der Fall. Keine scharfen Grenzen für Komposita und Derivate, sondern ein fließendes Kontinuum, sei es in bezug auf ihren Status, ihre Morphologie, ihre Fremdelemente, geschweige denn ihre Semantik.“40

Laut Kauffer gibt es keine scharf abgeteilten Grenzen, vielmehr hat sich eine Rollenverteilung kristallisiert.

Somit

stellt

die

Relation

keinen

Konflikt

um

Territorien

und

Zuständigkeitsbereiche, sondern eine friedliche Koexistenz dar, deren Kompetenzbereiche sich überschneiden – die Rollen sind klar verteilt. Komposita beziehen sich auf den zentralen Bezeichnungskern (Bezeichnung von traditionellen und herkömmlichen Nahrungsmitteln, Speisen, Zubereitungen). Derivate hingegen stellen „Variationen über ein Thema“ dar und spielen mit Konnotationen (z. B. Diminutiva), stellen einen abstrakten Kommentar dar und sollen eine gemütliche bzw. (appetit)anregende Stimmung erzeugen. Sein Fazit – „Kurzum, die Komposita beschreiben die Speisen, die Derivate kommentieren sie.“41

Die Komposita sind die Hauptbestandteile der Speisen, die Derivate sind die Garnierungen, die beim Restaurantbesucher beim Studieren der Menükarte bestimmte Assoziationen wecken sollen.

40 41

Kauffer: Die feindlichen Brüder der Wortbildung, S. 212. Ebd. S. 213.

16

III. Conclusio Als Fazit ist also der Titel von Kauffers Aufsatz irreführend – mit seinem Untersuchungsgegenstand nimmt Kauffer zumindest eine Grundtendenz seines Ergebnisses vorweg. Die von ihm untersuchten Komposita und Derivate beziehen sich ja nicht auf den identischen Gegenstand, sondern jeweils auf verschiedene Gerichte, also verschiedene signifiés. Kauffer beschreibt keinen Alternativfall, bei dem ein und dasselbe Gericht in verschiedenen Menükarten mit einem Kompositum bzw. Derivat bezeichnet wird. Somit kann strenggenommen von keiner Konkurrenzsituation als Ausgangskonstellation gesprochen werden, es können nur die Zuständigkeitsbereiche und allgemeine statistische Tendenzen in einem bestimmten Pool mit einer Anzahl von Elemente n aufgezeigt werden, das heißt welche Wortbildungsart in den Speisekarten überwiegt und in welchem Verhältnis die Wortbildungsprodukte im zu Simplizia und Wortgruppen stehen. Da es insgesamt sehr wenige Beispiele für eine echte Synonymie zwischen verschiedenen Wortbildungsprodukten und somit wenige Alternativmöglichkeiten gibt, ließe sich – als alternativer Untersuchungsgegenstand – nur ein zusammenhängender Text finden, dessen Isotopieketten untersucht werden. Bei der Ersetzung durch Synonyme könnte man die tatsächliche oder nicht-existierende Konkurrenzsituation bewerten. Es müssen also identische Gegenstände und signifiés sein, die durch verschiedene Synonyme bezeichnet werden können. Es ist jedoch anzunehmen, dass man der Kaufferschen Conclusio folgen könnte. Doch warum erscheint den Sprachteilnehmer eine synonymisierte Ersetzung und Austauschbarkeit von verschiedenen Wortbildungsprodukten als unnötig? Grund

könnte

die

mangelnde

Expressivität

von

Ein möglicher

Wortbildungsprodukten

sein.

Übereinstimmung und Synonymie zu 100 Prozent ist selten – Synonyme werden offensichtlich nicht nur zur Ausdrucksvariation verwendet, sondern auch, um eine gewisse Expressivität und Konnotation darzustellen. Vielleicht ist die Wortbildung an sich weniger geeignet, diese Expressivität umzusetzen. Es gibt zwar die diminuierenden Suffixe -l bzw. chen. Expressive, das heißt positiv oder negativ konnotierte Affixe sind jedoch meist an Kompositabestandteile angelehnt (wie z. B. stink-) – sie sind an einen bedeutungstragenden Bestandteil angelehnt. An einem weiteren Beispiel der Konversion Laufen, des Derivats Lauferei und der kombinatorischen Derivation Gelaufe läßt sich ablesen, dass die Wortbildung sehr wohl dafür genutzt werden, um Bedeutungen zu variieren – der Vorgang Laufen wird aber neutraler beschrieben als die negativ konnotierte Lauferei und das Gelaufe. Die Sprachteilnehmer 17

verstehen es also doch, die Wortbildung für die Ausdrucksvariation zu nutzen. Für sie spielt die Expressivität und Emotionalisierung eine Rolle. Das Modell der Arbeitsteilung, die innerhalb abgesteckter Bereiche arbeitet, scheint geeigneter zu sein. Am Schluss bietet sich also an, die von Eichinger und Kauffer gewonnenen Erkenntnisse der funktionalen Aspekte der Wortbildung in eine Tabelle zu vereinen. Auffallend ist, dass sich die Wortbildungsarten Konversion und Reduktion hinsichtlich ihrer Funktionsweise nur relativ eindimensional in die funktionalen Aspekte der Wortbildung einordnen lassen – so erfolgt im Kauffer-Artikel eine Konzentration auf Komposition und Derivation. Zudem läßt sich die Kurzwortbildung nicht unter den Kriterien Modifikation und Transposition einordnen. Die Frage ist jedoch, ob die Reduktion zu Recht von den funktionalen Aspekten der Wortbildung ausgeklammert wurde. Sie ist sehr wohl dazu fähig, neue Nominationseinheiten zu bilden und als Bestandteil eines Kompositums zu fungieren. Selbst mit Kurzwörtern ist mittlerweile ein Wortartwechsel durch Konversion möglich, wie sich am Beispiel SMS und simsen zeigt – wobei hier die lautliche Struktur und Aussprache verändert hat – ein i wurde als Fugenelement zwecks leichterer Aussprache eingefügt.42 Auch der Funktionsbereich für der Konversion ist noch nicht abgeschlossen diskutiert worden und läßt sich am obigen Beispiel Laufen – Gelaufe – Lauferei erläutern. Laufen ist im Vergleich zu Gelaufe und Lauferei relativ neutral und wertfrei und nicht, wie in Gelaufe und Lauferei, negativ konnotiert. Dennoch bleibt die Konversion unser (farbloses) Sorgenkind – es scheint, als hätte sie von ihrem afixlosen Dasein auch ihr charakterlose Existenz geerbt. Es muß also noch viel – insbesondere im Bereich der Konversion und Reduktion – getan und geforscht werden, um eine Funktionale Wortbildung zu begründen.

Bastian Sick hat sich des Themas des deutschen Fugenelements in der Sprachglosse „Bratskartoffeln und Spiegelsei“ angenommen http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,293186,00.html (07.04.2004). 42

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Tabelle 7. Funktionsbereiche der Wortbildungsarten im Überblick Komposition · Benennungsdifferenzierung · Einführung von neuen Objekten · Prinzip der Konzentration

Derivation · Referrierende Benennung von neuen Vorgängen/Ergebnissen

Konversion · nicht möglich, da Rückgriff auf bereits vorhandenes Material

Reduktion · möglich, wenn Vollausdruck nicht eingeführt wurde43

Grammatische Dimension

· Sachliche Differenzierung · Determinativkomposita: → Subklassenbildung (mit Oberklasse und Typ der Subklassifikation)

· z. T. Wortartwechsel · syntaktische Integration des Lexems mit „Begleiterscheinung“ der semantischen Änderung (nach Kauffer)

→ Affixlose Überschreitung von Wortartgrenzen: Flexivische Morphologie (nach Kauffer)

Textuelle Funktion Textkonstituierende und textdistinktive Funktion

→ Differenzierung und Subklassifikation → Aufbau terminologischer Hierarchien und Ordnungsmuster → Kontextverstehen → Konzentration · Derivate, Kurzwörter und Konversionsprodukte als UK

· textuelle Verflechtung Besondere textdistinktive Funktion

· keine besondere textkonstituierende und textdistinktive Funktion

· Vereinfachung · Ökonomie → Idiomatisierung · Besonderheiten der Aussprache (Silbische vs. Buchstabennamenaussprache) · textuelle Verflechtung · besondere textdistinktive Funktion

· Derivate als UK von Komposita

· wertfreie und neutrale Konnotation im Vergleich zu (kombinatorischen) Derivaten

Komposition -

Präfixderivation Suffixderivation

nur Transposition

Benennungsfunktion (Erstbenennung/ Zweitbenennung)

Übergangsbereiche

Modifikation Transposition

· Komposita/Derivate können zu Kurzwörtern werden · Bildung einer neuen Nominationseinheit möglich · Nähe zum Phraseolgismus (eine Art Metapher) -

43

Eine Erstbenennung ist ausdrücklich nur dann möglich, wenn der zugrundegelegte Ausgangsausdruck nicht für die Sprachteilnehmer allgemein eingeführt worden wurde, z. B. SMS. Als Kriterium fungiert die Nichtverbindung von Kurzwort zu Ausgangsausdruck. Damit die Kurzwörter also die Benennungsfunktion wahrnehmen können, wird also zuerst das Kurzwort (ohne die ausführliche Nennung des ganzen Ausdrucks) eingeführt.

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Vortragsmaterialien Handout Prof. Dr. Irmhild Barz Seminar: Nomination Referentin: Annemarie Fischer 11. November 2003

Wie teilt sich die Wortbildung die Aufgabe auf, die Welt zu versprachlichen? Funktionale Aspekte der Wortbildung Phänomen: · Fernsehapparat/Fernsehgerät ↔ Fernseher · Begleitperson ↔ Begleiter · eiskalt ↔ eisig · Ziegelfabrik/Ziegelwerk ↔ Ziegelei

I. Funktionen der Wortneubildung: -

Benennungsfunktion (Wortneubildungen) Grammatische Funktion (Wortartwechsel, Valenzänderung, Univerbierung, Formenersatz) Textuelle Funktion (Textkonstitutive Funktion, Textdistinktive Funktion)

II. Funktional-semantische Grundklassen: Modifikation und Transposition • Modifikation = Nuancierung/Abwandlung: Veränderung der lexikalischen Bedeutung durch einen Wortbildungprozeß unter Beibehaltung der Wortart und Bedeutungskategorie44 → Komposition/Präfixderivation Beispiel: Zimmer > Schlafzimmer, Arbeitszimmer Mensch > Menschheit

• Transposition = Wortart und Bedeutungskategorie oder – nur beim Substantiv – auch nur die Bedeutungskategorie werden durch einen Wortbildungsprozeß verändert45 → Suffixderivation und Konversion Beispiel: klug > Klugheit (Wortartwechsel ohne lexikalisch-semantische Veränderung) lesen > Leser (Wortartwechsel mit lexikalisch-semantischer Veränderung) Stadt > Städter (desubstantivisches Substantiv: lediglich Wechsel der Bedeutungskategorie)

Funktion laut Eichingers „Deutsche Wortbildung“ • Komposition46 · Determinativkomposita: Subklassenbildung (mit Oberklasse und Typ der Subklassifikation) · Einführung von neuen Objekten · Sachliche Differenzierung · Aufbau terminologischer Hierarchien und Ordnungsmuster

• Derivation47 · Positionierung und Akzentuierung der Inhalte und textuelle Organisation · referrierende Benennung von Vorgängen/Ergebnisse z. B. deverbale Derivation mittels –ung (Reinigung, Beschichtung) Fremdsuffix –ion: Desinfektion · Überschreitung von Wortartgrenzen

• Konversion · Überschreitung von Wortartgrenzen

• Kurzwortbildung · Ökonomieprinzip

44

Barz/Schröder: Grundzüge der Wortbildung, S. 202. Ebd. S. 202. 46 Eichinger: Deutsche Wortbildung, S. 177ff. 47 Ebd. S. 180. 45

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Maurice Kauffer: Die feindlichen Brüder der Wortbildung • Komposita und Derivate: Die feindlichen Brüder? • Untersuchungsgegenstand und -methode: Speisekarten mit 24 deutschen Luxusrestaurants mit insgesamt 1038 Speisebezeichnungen werden computergestützter Analyse unterzogen • Prinzip der positiven Konnotation → Exklusivität des Etablissements, Qualität der Produkte, Vertrauen zwischen RestaurantKoch/Kunden, Heimat-Assoziationen48 • Kompositum · Determinativ- vs. Kopulativkompositum · evtl. mit Drittglied · Distanzkompositum • Derivat · Funktion der Ableitung: Änderung der Wortart (syntaktische Integration des Lexems mit „Begleiterscheinung“ der semantischen Änderung) → Beispiel: fremd Fremd-e, Fremd-heit, Fremd-ling, fremd-artig, Fremd-tümelei, fremd-eln, ent-fremd-en, be-fremd-en · Deutsche, d.h. Derivate heimischen Ursprungs: Burgunder; implizite Derivate wie Gang · Diminutiva: Böhnchen, Brettl · Funktion: neben Klein-und-Fein Assoziation („mit Raffinement“49) auch heimische „Bavarismen“ z. T. hochlexikalisierte Derivate, die schon Simplizia ähneln Brettl, Flädle, Spätzle • Fazit: Komposition und Derivation als „versöhnte Brüder“ „Wie bequem wären doch eine einwandfreie theoretische Unterscheidung und klare Abgrenzungen. Leider ist es nicht der Fall. Keine scharfen Grenzen für Komposita und Derivate, sondern ein fließendes Kontinuum, sei es in bezug auf ihren Status, ihre Morphologie, ihre Fremdelemente, geschweige denn ihre Semantik.“50

• Keine scharf abgeteilten Grenzen, sondern Rollenverteilung • Kompositum: zentraler Bezeichnungskern → Bezeichnung von Nahrungsmitteln, Speisen, Zubereitung • Derivat: Variationen über ein Thema, Spiel mit Konnotationen, (abstrakter) Kommentar, Erzeugen einer gemütlichen bzw. anregende Stimmung „Kurzum, die Komposita beschreiben die Speisen, die Derivate kommentieren sie.“51

Literatur u.a.: · Eichinger, Ludwig M.: Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen 2000. (insbesondere S. 34/176-181) · Kauffer, Maurice: Die feindlichen Brüder der Wortbildung. In: Rand und Band. Abgrenzung und Verknüpfung als Grundtendenzen des Deutschen. Festschrift für Eugène Faucher zum 60. Geburtstag. Herausgeber: R. Métrich/M. Vuillaume 1995. · Barz, Irmhild/Schröder, Marianne: Grundzüge der Wortbildung. In: Kleine Enzyklopädie deutsche Sprache. Herausgegeben von Wolfgang Fleischer, Gerhard Helbig und Gotthard Lerchner: Frankfurt am Main: Lang 2001.

48

Kauffer: Die feindlichen Brüder der Wortbildung, S. 207. Ebd. S. 205. 50 Ebd. S. 212. 51 Ebd. S. 213. 49

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Folie 1. Beispiele aus dem Kauffer-Artikel Beispiele aus dem Kauffer-Artikel: „Bressetaube in der Schweinsblase pochiet mit Gänseleber und schwarzen Trüffeln“ „Warme Quarkknödel in der Himbeer-Kaltschale“ · Simplex, Derivat und Kompositum - Suffigierung · Derivate auf –er: Burgunder stark lexikalisiert vs. stark lexikalisiert (Champagner, Kartoffelpuffer) · Derivate auf –ling starke Idiomatisierung: Pfifferling - Implizite Derivation Implizite Derivation (oder Konversion): laufen → Lauf Stellen wir nun Gegensatzpaare auf, so können wir folgendes erkennen. · Kompositum versus Simplex Erstglied ohne freies Morphem: Himbeere

· Kompositum vs. Wortgruppe - Kopulativkompositum (gleichwertige UBs mit Vertauschbarkeitstest, z. B. Dichterkomponist) - Determinativkompositum - faktorielle Komposita: Bindestrich-Komposita Lachs-Seeteufelcarpaccio - häufig: Drittglied, z.B. Apfel-Selleriesalat - Distanzkompositum Kauffer stellt in vielen Fällen fest, daß Komposita keine graphische Einheit mehr darstellen: Baby Ananas Beim Gegensatzpaar Kompositum vs. Derivat

Weiterhin Derivat als 1. UK: relativ häufig BURGUNDERbirne · Derivat als 2. UK BrunnenkresserahmSÜPPCHEN Zu Eichinger: „Die Komposition bietet uns Ordnungsmuster an. Diese ermöglichen eine Vorsortierung, wobei, wie im allgemeinen Teil schon angedeutet, Weltwissen, intertextuelles und textuelles Wissen gemeinsam mit unseren Kenntnissen über übliche Bauformen von Komposita uns helfen, diese neuen Wörter so genau zu verstehen, wie das im jeweiligen Kontext erforderlich ist.“52

52

Eichinger, Ludwig M.: Deutsche Wortbildung, S. 179.

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Literatur- und Quellenverzeichnis · Barz, Irmhild: Wortbildung – praktisch und integrativ. Ein Arbeitsbuch. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Frankfurt am Main: Lang 2003. · DUDEN Band 4: Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von der Dudenredakion. Bearbeitet von Peter Eisenberg, Hermann Gelhaus, Helmut Henne, Horst Sitta und Hans Wellmann. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 1998. · DUDEN Band 8: Sach- und Sachverwandte Wörter. Synonymwörterbuch der deutschen Sprache. Herausgegeben und bearbeitet von Wolfgang Müller. Nach den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung überarbeiteter Neudruck der 2. Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 1997. · Eichinger, Ludwig M.: Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen: Gunter NarrVerlag 2000. · Fix, Ulla/Poethe, Hannelore/Yos, Gabriele: Textlinguistik und Stilistik für Einsteiger. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Unter Mitarbeit von Ruth Geier. Frankfurt am Main: Peter Lang 2001. · Kauffer, Maurice: Die feindlichen Brüder der Wortbildung. In: Rand und Band. Abgrenzung und Verknüpfung als Grundtendenzen des Deutschen. Festschrift für Eugène Faucher zum 60. Geburtstag. Herausgegeben von René Métrich und Maurice Vuillaume. Tübingen: Narr 1995. · Fleischer, Wolfgang, Helbig, Gerhard und Lerchner, Gotthard (Hrsg.): Kleine Enzyklopädie deutsche Sprache. Frankfurt am Main: Lang 2001. · Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer 1995. · Kurz, Josef/Müller, Daniel/Pötschke, Joachim/Pöttker, Horst: Stilistik für Journalisten. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000. · Linke, Angelika/Nussbaumer, Markus/Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. Ergänzt um ein Kapitel „Phonetik und Phonologie“ von Urs Willi. 3., unveränderte Auflage. Tübingen: Niemeyer 1996. · Meibauer, Jörg/Demske, Ulrike/Geilfuß-Wolfgang, Jochen/Pafel, Jürgen/Ramers, Karl Heinz/Rothweiler, Monika/Steinbach, Markus: Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002. · Metzler Lexikon Sprache. Herausgegebe von Helmut Glück. Stuttgar, Weimar: Metzler 1993. · Schneider, Wolf: Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache. 10. Auflage. München: Piper 2002. · Wörterbuch Synonyme. Neu bearbeitet und herausgegeben von Herbert Görner und Günter Kempcke. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999. 23

Internetadressen · http://www.spiegel.de · „Bratskartoffeln und Spiegelsei“ von Bastian Sick http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,293186,00.html (07.04.2004). · „Knappe Sätze, Schlagworte“ (SPIEGELonline-Interview mit dem Kommunikationstrainer Christian Püttjer) http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,295528,00.html (19.04.2004). · „Sie waren jung und brauchten das Geld nicht“ http://www.spiegel.de/unispiegel/geld/0,1518,269663,00.html (13.10.2003) · „Wie das Bafög Ehrgeiz und Mobilität bestraft“ von Julia Maria Bönisch http://www.spiegel.de/unispiegel/geld/0,1518,283047,00.html (29.01.2004) · http://www.annemariefischer.de

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