Gattungstheorie in der Populärmusikforschung

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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Gattungstheorien in der Popmusikforschung Kategorien, Genres, Stile

Übersicht Die Notwendigkeit von Kategorien Welche Arten von Kategorien gibt es?

Kategorien in der Musik: Genre Stil Zusammenfassung

Ohne geht nicht... Das Denken und Sprechen über Musik ist untrennbar mit Begriffen wie „Typ“, „Stil“ oder „Genre“ verbunden. Stets wird auf (mehr oder weniger genaue) Taxonomien Bezug genommen.

Und warum...?  In Kategorien fassen wir Objekte und Geschehnisse aller Art, nach bestimmten Kriterien zusammen.  Sie helfen uns die Komplexität unserer erlebten Welt zu reduzieren. > Kognitive Hilfe!  Anders gesagt: Wir können nur mit und aufgrund dieser Kategorien überhaupt denken!

Wie muss ich mir das vorstellen?

Perception Empirical cases

Cognitive Type

Recognition Cultural cases

Nuclear Content (nach Umberto Eco)

Kategorisieren - aber wie...? Kategorisierung können sehr unterschiedlich aufgebaut sein, je nachdem, welchem Zweck sie dienen sollen. Die Große Frage: Welche Art von Kategorisierung ist überhaupt für Musik geeignet?

Wissenschaftliche Taxonomien Sie ordnen Objekte wie in einem Stammbaum hierarchisch. Beispiel: Spinnen sind Spinnentiere. Spinnentiere sind Gliederfüßler. Gliederfüßler sind Häutungstiere. ...

Wilde Kategorien (savage categories)  Unsere Wahrnehmung funktioniert über diese Art von Kategorisierung.  Die Ordnung richtet sich nach der Brauchbarkeit der Information und ihrer Relevanz für unsere Überleben.  Sie kann sich ständig ändern und neu strukturieren.  Beispiel: Spinnen sind Insekten.

Enzyklopädische Einträge  Hier ist alles verfügbare Wissen über ein Objekt zusammengetragen. Es verbindet die wissenschaftliche Taxonomie mit den persönlichen Kategorien der Wahrnehmung und dem gesamten Wissen der Gemeinschaft.  Beispiel: Die Spinne ist ein Spinnentier, wird im Volksmund allerdings auch als Insekt bezeichnet.

Prototype Kategorisierung anhand eines Beispiels aus der Kategorie, das als besonders „typisch“ gesehen wird. Der Prototyp dient als Vorlage mit dem alle zu kategorisierenden Objekte verglichen werden.

Kategorisierung von Musik - wie? Wissenschaftliche Taxonomien werden in Spezialistenkreisen vielfach verwendet. Musiken Musik Genre

Musik

Genre Genre

Stil Stil Stil Stil

Musik

Genre

Musik

Kategorisierung von Musik - wie? Der durchschnittliche Musikhörer interessiert sich aber eventuell weniger für hierarchische Strukturen, sondern denkt vielleicht eher in Kategorien, die völlig unabhängig sind. R‘n‘B

Fahrstuhlmusik

Musik Oper

Jazz

Kinderlieder

Kategorisierung von Musik - wie?  Wir nehmen Musik einerseits als Ereignisse einer bestimmten musikalischen Art wahr, als auch als individuelle Ereignisse.  Musik wird sowohl auf dem persönlichen Level - dem cognitive type - erlebt, wie auch auf sozialer Ebene - als nuclear content.

 Eine Kategorisierung von Musik muss beide Aspekte verbinden.

Kategorisierung von Musik - wie? Eine Lösung wäre allein eine Kategorisierung, die wie enzyklopädische Einträge alle Aspekte der Musik berücksichtigt!

Genre - Eine Definition »A genre is a kind of music, as it is acknowledged by a community for any reason or purpose or criteria. i.e. a set of musical events whose course is governed by rules (of any kind) accepted by a community.«

Genre - Ein historischer Rückblick  Ursprüngliche Bedeutung nach Aristoteles:  „What is predicated according to the essence of many which differ specifically.“

Genre fasst viele einzelne Dinge zusammen, die sich jedoch untereinander spezifisch unterscheiden. (Beispiel: „Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier“)

Genre - Ein historischer Rückblick Nach Aristoteles: Die Funktion einer Sache definiert ihre Genre. Starke Verbindung zum Stil, da der Stil der Funktion entsprechen sollte. (Bezug vor allem auf künstlerisches Schaffen)

Genre in der Musik »A set of musical events whose course is governed by rules (of any kind) accepted by a community.«

»Set«  Das Genre setzt sich auch zahllosen Elementen zusammen und kann auch „subsets“ oder „sub-genres“ beinhalten.  Ein „sub-set“ kann ein Element mehrerer Genres gleichzeitig sein.  Ein musikalisches Ereignis kann daher auch zur selben Zeit mehreren Genres angehören.

»Musical Event«  „Any type of activity performed around any type of event involving sound.“  Diese sehr breite Definition von musikalischem Ereignis ermöglicht es auch Konstrukte die eher als „über-Genre“ verstanden werden könnten zusammenzufassen (musikalische Systeme, ethnologische Musik, oder auch „terrestrische“ Musik oder „galaktische“ Musik).

»Course« „Ablauf“ umfasst die formalen Aspekten in der Aufführung klassischer Musik genauso wie die Reaktion der Fans bei einem Rock Konzert oder die zeremoniellen DankSagungen nach der Uraufführung zeitgenösischer Kunstmusik etc.

»Definite Rules« Das Genre wird von klar bestimmten Regeln begrenzt. Ohne sie wären unendlich viele Variationen möglich und die Grenzen blieben völlig unklar. Es gibt verschiedene Arten von Regeln, die ein Genre definieren.

Arten von Regeln Formale und technische Regeln Semiotische Regeln

Verhaltensregeln Soziale und Ideologische Regeln Ökonomische und juristische Regeln Hyper-Regeln bzw. Ideologien

Formale und Technische Regeln  Typische Form  Typischer Stil  Aufführungs-Techniken  Instrumentale Besonderheiten  Regeln zum Text/ Text-Musik-Verhältnis  Notensysteme  Das Können der Musiker  Konzept der musikalischen Zeit  Gewichtung der Wichtigkeit bestimmter Teile

Semiotische Regeln  Unterschiedliche Kommunikations-Funktionen, die bei verschiedenen Genres stärker betont werden. Beispiel: emotionale - Filmmusik imperative - Tanzmusik phatische - Hintergrundmusik meta-linguale - Avantgarde poetische - Prog Rock, Chanson D‘Autore

Semiotische Regeln (außerhalb der Musik) „Spacing“ - Die räumlichen Begebenheiten und Konventionen in einem Genre weisen ebenfalls auf die Bedeutung der Musik hin. Gestisch-mimische Kodes Regeln im Bezug auf Mode & Dress Code

Verhaltensregeln Konversationsregeln Rituale

„Ernsthaftigkeit“ der Musiker

Soziale und Ideologische Regeln Soziale Strukturen im Genre Soziale Bedeutung des Genres eventuelle Verknüpfung von Genre und sozialer Klasse oder Altersgruppen Soziale und Ideologische Überzeugung im Genre

Ökonomische und juristische Regeln Regeln die größtenteils schon zu Gesetzen wurden (Urheberrecht etc)

Finanzielle Aussichten und Erwartungen die sich mit einem Genre verknüpfen

„Hyper-Regeln“ bzw. Ideologien So genannte „Hyper-Regeln“ setzen die Hierarchie der einzelnen Regeln eines Genres fest. Sie bilden eine Art Ideologie eines Genres

»Community«  Die Musik-Gemeinschaft umfasst mehr als nur das „Publikum“ - keine Knüpfung an physische Präsenz etc.  Unterschiedliche Rollenverteilungen innerhalb unterschiedlicher Genre  Andere Fragen: Mit welchem Nutzen formt sich die Gemeinschaft? Gibt es Parallelen/ Verbindungen zur Gesellschaft?

»Codification«  Ein neues Genre basiert stets auf den Regeln eines älteren. Das neue Genre bildet sind somit größtenteils durch den Verstoß gegen „alte“ Regeln. Aus diesen Verstößen entstehen durch „Codification“ die neuen Regeln. Sie werden als Codes in das neue Genre übernommen.  „Codification“ stellt somit der Veränderung von Genres in der Zeit dar.

Bewusstsein von »Codification«  Man kann Codes lernen ohne sie analytisch zu verstehen, aber Analytisches Verständnis hilft dem Lernen.  Es gibt „reicher“ und „ärmere“ musikalische Codes.  Je „reicher“ ein Code ist, desto mehr Variationen ermöglicht er. - mögliche längere „Herrschaft“ des Genres.  Sind die Mitglieder der Gemeinschaft sich der „Codification“ bewusst?

Genre - noch mal allgemein...  Die Regeln, die ein Genre definieren können sich sowohl auf musikalische, wie auch auf außermusikalische Faktoren beziehen.  Die Hierarchie der Regeln drückt sich in der Ideologie des Genres aus.  Das Konzept eines Genres kann Kommunikation beschleunigen, genauso wie beinahe völlig zum Erliegen bringen.

Stil - eine Definition „A recurring arrangement of features in musical events which is typical of a individual (composer, performer), a group of musicians, a genre, a place a period of time.“

Das bedeutet...  Stil kann sich sowohl auf die individuell Arbeit als auch auf ein ganzes Genre oder einen Zeitraum beziehen.  Stil ist „die Art und Weise wie...“  Es bezieht sich allein auf die musikalischen Aspekte des Ereignisses (muss aber deshalb keine Untergruppe von Genre sein)  Es hat eine stärkere ästhetische Konnotation.

Der Unterschied zwischen Stil und Genre  „In the end, the difference between genre and style remains in the wider scope of genre, which accounts for „non-musical“ properties; both genre and style can be articulated at different levels, covering just the nuclear content and basing on prototypes, (...) or expanding over the molar content.“  „Genre is closer to common musical competence while style is closer to a more elaborated musical competence“

Zusammengefasst...  Kategorien wie Genre and Stil sind wichtig um überhaupt mit der Informationsflut fertig zu werden.  Zur Definition eines Genres gehört sehr viel mehr als nur ein Blick auf den musikalischen Klang.  Sowohl Genre als auch Stil entstehen sowohl durch individuelle Kategorisierung von Eindrücken, als auch auf sozialer oder globaler Ebene.

Literatur F. Fabbri: Browsing Music Spaces: Categories And The Musical Mind (1999). F. Fabbri: A Theory Of Musical Genres: Two Applications (1982).

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