Imagewandel sozialer Bewegungen am Beispiel von HIV/Aids

February 13, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Imagewandel sozialer Bewegungen am Beispiel von HIV/Aids Der deutsche Philosoph Alexander Garciá Düttmann sprach bereits 1993 in seinem Buch "Uneins mit AIDS" davon, dass die Epidemie einen "geschichtlichen Bruch"1 darstelle, einen Bruch, der sich auch in der Geschichte der Homosexualitäten widerspiegelt. Ich möchte in meinem Vortrag darlegen, wie aus Selbsthilfe-Initiativen unter dem Eindruck von Aids eine Bewegung wurde, die das gesellschaftliche Klima nachhaltig veränderte. Aber wie begann die Aids-Krise in Österreich? 11. März 1983 Im Ö1-Abendjournal wird erstmals über zwei Fälle von Aids in Österreich berichtet. Ein medialer Sturm bricht los und sofort ist von einer "SchwulenSeuche" die Rede. Reinhardt Brandstätter, Vizeobmann der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien und selbst Mediziner, kontaktierte, von der Hysterie der österreichischen Medien alarmiert, die Universitäts-Professoren Christian Kunz und Klaus Wolff und den Wiener Gesundheitsstadtrat Alois Stacher, um eine erste Informationsbroschüre zu erstellen. In nur zwei (!) Wochen lag diese gedruckt vor. Ein Virus als Verursacher war zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt, es wurde im selben Jahr entdeckt. Ohne Hysterie und betont sachlich versuchten die Autoren, Gefahren zu benennen und Symptome zu erklären. So wurde auch der Punzierung von Aids als “Schwulen-Seuche” in dieser ersten Broschüre bereits vehement widersprochen. Aber wie wurde aus diesen ersten Anfänge, wie es der deutsche Historiker Lukas Engelmann, der sich als einer der ersten der Erforschung der Geschichte von HIV/Aids verschrieben hat, ausdrückt - die "Erfolgsgeschichte einer breiten Allianz zwischen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Akteuren"2?

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Düttmann, Alexander Garciá: Uneins mit Aids. Wie über einen Virus nachgedacht und geredet wird. Frankfurt/M 1993, S. 40ff. 2 Engelmann, Lukas: Homosexualität und AIDS. In: Florian Mildenberger u.a. (Hg.): Was ist Homosexualität? Forschungsgeschichte, gesellschaftliche Entwicklungen und Perspektiven. Hamburg 2014, S. 271-304, Zitat S. 273f. Hier darf ich mir einen Hinweis auf ein aktuelles Projekt von Zentrum QWIEN erlauben. Im partizipativen Webprojekt www.unseraids.at werden wir die Geschichte von HIV und Aids in Österreich erzählen, wobei wir sowohl Archivmaterial als auch persönliche Erinnerungen als Quellen für diese heranziehen.

Wichtige Mitglieder der schwulen Community und an ihrer Seite ihre lesbischen Freundinnen und Mitstreiterinnen hatten den Ernst der Lage erkannt. Es drohte Gefahr von mehreren Seiten: - der Infektion selbst, die bis zur Einführung der Kombinationstherapie 1996 oft tödlich verlief - kaum begannen zarte Pflänzchen einer homosexuellen Emanzipationsbewegung zu sprießen, sahen sich die Aktivist_innen mit einem zu befürchtenden anti-homosexuellen Backflash konfrontiert (man bedenke, die Gründung der Homosexuellen Initiative Wien (HOSI) erfolgt erst 1980, nachdem die Strafbarkeit einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen erst 1971 abgeschafft wurde), - Zwangsmaßnahmen gegen Infizierte und Erkrankte standen im Raum (Stichworte: Tätowierung und Internierungslager für HIV-Positive und Aids-Kranke) - soziale Ausgrenzung drohte - nicht zu vergessen - die persönliche Betroffenheit, entweder durch die eigene Infektion oder durch das Sterben von Partner_innen und Freunden_innen. Von Anbeginn der Aids-Krise an waren daher homosexuelle Männer, eine der Hauptbetroffenengruppen, in die Entwicklung von Strategien gegen die Infektion eingebunden. Sie hatten die "Erfahrungsexpertise", die eine der zentralen Stärken jeder Selbsthilfe-Initiative ist. Vor allem bei der Prävention wussten schwule Männer eben besser, wie man die in den frühen Jahren von Aids hauptbetroffene Gruppe der schwulen Männer ansprechen kann. So entwickelten sich auch die Aidshilfe-Organisationen aus diesen ersten Initiativen zur Selbsthilfe. Bereits 1986 wies der deutsche Gesundheitssoziologie Rolf Rosenbrock in einer sich als wegweisend zeigenden Studie "AIDS kann schneller besiegt werden" hin auf die "Überlegenheit der Wirksamkeit von SelbsthilfeAktivitäten gegenüber restriktiven staatlichen Interventionen"3, wie es sein Kollege Michael Bochow 2010 in einem geschichtlichen Rückblick formulierte., hin. Bochow meinte darin, Grundsatz jeder erfolgreichen Präventionsarbeit wäre "Freiwilligkeit und individuelle Selbstverantwortlichkeit", das Vertrauen auf

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Bochow, Michael: Safer Sex: Der lange Weg einer kurzen Formel. In: Thomas Gerlinger u.a.: Politik für Gesundheit. Fest- und Streitschriften zum 65. Geburtstag von Rolf Rosenbrock. Bern 2010, S. 291-301, Zitat S. 291

"eine gesellschaftliche Lernstrategie"4 seien. Die Selbsthilfegruppen setzten die Devise der WHO um: "Making the healthy choice the easy choice." "AIDS ermöglichte", so Bochow, "die öffentliche Diskussion des Themas 'männliche Homosexualität' in einem Ausmaß und einer Breite, von der die [...] schwulen Emanzipationsgruppen bis 1983 nur träumen konnten." Als unerwartete Folge von Aids" kam es " in den 80er Jahren zu einer erhöhten sozialen Sichtbarkeit schwuler Männer"5, auch weil sie sich im Kampf gegen eine antihomosexuelle, restriktive Sexualpolitik engagierten und ihre Stimme erhoben. Ihr Engagement im Gesundheitssystem aber auch in den mit hoher "sozialer Credibility" ausgestatteten Selbsthilfegruppen veränderte auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der Homosexuellen, die, obwohl als Virusträger eine potentielle Gefahr, plötzlich weniger als "Andere" wahrgenommen wurden. In diesem Zusammenhang spricht der Historiker Lukas Engelmann von einer regelrechten "Aneignung der Epidemie durch die homosexuelle Community", deren Resultat "Entstigmatisierung, [...] politische Sichtbarkeit und [...] Normalisierung"6 waren. Neben den sich etablierenden Aidshilfen, die zu einem Teil des kommunalen oder staatlichen Gesundheitssystems wurden, entstanden zahlreiche Selbsthilfegruppen, die sich unterschiedlichen Anforderungen, die der Umgang mit der Aids-Krise erforderte, stellten. Selbst ein inzwischen weltweit agierendes Charity-Unternehmen wie der Life Ball geht auf eine Selbsthilfe-Initiative schwuler Männer zurück. Mit der sich verbessernden medizinischen Versorgung und der damit steigenden Lebenserwartung der Infizierten änderten sich auch die Aufgabenstellungen für die Selbsthilfe-Gruppen: Hinter dem Schlagwort vom "sozialen Aids" versteckten sich eine Reihe von gesellschaftlichen Faktoren: die Krankheit nicht als gesundheitliche, sondern vor allem als soziale Krise. Die Arbeit der Selbsthilfegruppen führte zu einer Enthysterisierung der Debatte und sie stellten Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, sei es in der Prävention oder Beratung, sei es bei der Bewältigung alltäglicher, auch finanzieller 4

Bochow 2010, S. 293 Bochow, Michael: Hat AIDS die soziale Situation schwuler Männer in Deutschland verändert? In: Andreas Pretzel/Volker Weiss (Hg.): Zwischen Autonomie und Integration. Schwule Politik und Schwulenbewegung der 1980er und 1990er Jahre. Hamburg 2013, S. 161-170 (=Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945, Bd.3), Zitat S. 163 6 Engelmann 2014, S. 273 5

Probleme oder der Pflegeunterstützung. Von simplen Hilfsdiensten für Erkrankte bis zur Sterbebegleitung reichten die Anforderungen an die fast ausschließlich freiwilligen und oft auch nicht für diese Hilfestellungen ausgebildeten "Buddies", womit auch eine der Gruppen beim Namen genannt ist. Bereits 1986 gegründet arbeitet der Buddy Verein bis heute an seinem Ziel, die "psychosoziale Lebenssituation von Menschen mit HIV/Aids zu verbessern"7. HIV/Aids machte auch bewusst, dass homosexuelle Partner_innenschaften keine rechtliche Absicherung genossen. Paare, die vielleicht Jahrzehnte ihr Leben teilten, waren rechtlich gesehen Fremde. Ihnen konnte von Ärzt_innen oder Angehörigen der Besuch im Krankenhaus verweigert werden, im Todesfall hatten sie keine Hinterbliebenenrechte, mussten etwa aus der gemeinsamen Wohnung raus. Sozusagen im "Windschatten von HIV/Aids" wurden Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften immer lauter und führten auch in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft zu einer breiten, auch kontroversiell geführten Diskussion über die Rechte sexueller Minderheiten. Zahlreiche Umfragen bestätigen die stetig wachsende Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen. Doch darf sich die Bewegung die Erfolge alleine auf die Fahnen schreiben? Einspruch kommt gerade vom schwulen Soziologen Michael Bochow, für den die zweite Frauenbewegung die maßgebliche Basis schuf: „Besonders folgenreich dürfte sich jedoch als sozialer Prozess in diesem Zusammenhang die Relativierung der Geschlechterpolarisierung ausgewirkt haben", hält er fest. „Der Rückgang der Prägekraft traditioneller Geschlechterrollen, die Individualisierungsprozesse bürgerlicher postindustrieller Gesellschaften und der Rückgang konservativ-familienzentrierter Wertorientierungen in der Mehrheit der Bevölkerung schaffen Freiräume [...]." 8 Etwas süffisant fügt er noch an, dass "schwule Männer [...] häufig ohne ihr Zutun von den Erfolgen der Frauenbewegung"9 profitierten. Die Erfolge, der gesellschaftliche Fortschritt sind evident, und die Auseinandersetzung mit HIV/Aids hat auch zu dieser Entwicklung beigetragen. 7

siehe: http://www.buddy-verein.org/ (letzter Zugriff: 19.06.2014) Bochow 2013, S. 167 9 Bochow 2013, S. 168 8

Lesben und Schwule und in einem verstärkten Maß auch Transgenders sind, wie immer wieder behauptet wird, in Nordamerika und Europa in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Blickt man auf die rechts-konservativen Protestant_innen während der letzten Regenbogen Parade (14. Juni 2014), die nicht nur gegen jede Gleichstellung Homosexueller sind sondern etwa auch die Abschaffung des Sexualkundeunterrichts in Schulen fordern, mag man den Kopf über eine kleine Minderheit Ewig-Gestriger schütteln. Aber sie waren da und verschafften sich auch medial Gehör. Das ist eine neue Entwicklung, die vor wenigen Jahren begann und in den ersten Jahren der Regenbogen Parade, die seit 1996 jährlich stattfindet, undenkbar war. Und so bleibt die Frage: Wie fragil ist dieser Wandel? Und ist er, wie viele hoffen, unumkehrbar?

Mag. Andreas Brunner, Gründer QWien – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte

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