Kaukasische Sprachen

January 15, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
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KAUKASISCHE SPRACHEN Prof Dr Ernst Kausen © 2001 Inhalt 1 2 3 4 5

Einleitung Übersicht über die kaukasischen Sprachen Klassifikation Externe Beziehungen Sprachliche Charakterisierung

1 Einleitung Unter dem Begriff 'kaukasische Sprachen' oder auch 'altkaukasische Sprachen' werden die Sprachen des Kaukasusgebietes zusammengefasst, die dort schon vor der Einwanderung indogermanischer, turkischer und semitischer Bevölkerungsgruppen gesprochen wurden. Über die Zuwanderung der Sprecher dieser kaukasischen Sprachen in den Kaukasus gibt es weder archäologische noch historische Belege. Sie muss also vor einem sehr langen Zeitraum erfolgt sein, so dass man von 'autochthonen' Bevölkerungsgruppen sprechen kann, die ihre linguistische Identität gegen spätere Zuwanderer behaupten konnten. Alternative Bezeichnungen für die kaukasischen Sprachen sind 'ibero-kaukasisch' und 'paläokaukasisch'; die erstere erklärt sich aus der griechischen Bezeichnung 'Iberer' für die Südkaukasier, ist aber heute wegen ihres scheinbaren Bezuges zur iberischen Halbinsel missverständlich, zumal auch noch gewisse Hypothesen eine baskisch-kaukasische Sprachverwandschaft postulieren. In dieser Darstellung wird auschließlich der Terminus '(alt)kaukasische Sprachen' - im oben definierten Sinne - verwendet. Der Kaukasus war seit dem Altertum für seine unglaubliche Sprachen- und Völkervielfalt bekannt (Belege bei Herodot, Strabo, Plinius u.a.), die Angaben schwanken zwischen 70 und 360 Sprachen und Dialekte. Als Ursache für die Vielfalt auf engstem Raum ist sicherlich zurecht die starke Zerklüftung des Kaukasusgebiets in viele kleine, schwer zugängliche Täler angeführt worden, in die sich die verschiedensten Gruppen zurückziehen konnten und ihre angestammten Sprachen behielten; darüber hinaus trägt die geographische Situation zur Abspaltung von Dialekten bei, aus denen sich nach einiger Zeit - begünstigt durch erschwerte Kommunikation selbständige Sprachen entwickelten. Der Kaukasus gehörte bis zum Jahre 1991 ganz zur Sowjetunion, während nach deren Zerfall die Staaten Russland, Georgien, Armenien und Aserbaidschan ihren Anteil daran haben.

Die heutige sprachliche Situation im Kaukasus Wie sieht heute die sprachliche Situation im Kaukasusraum aus? Außer den eigentlichen kaukasischen werden Sprachen aus drei Familien gesprochen: dem Indogermanischen, Turkischen und Semitischen. Das Indogermanische ist mit dem Armenischen, den iranischen Sprachen Ossetisch (einem Nachfolger des Skythischen), Kurdisch, Tatisch und Talysisch, und den slawischen Sprachen Russisch und Ukrainisch vertreten. Turksprachen im Kaukasusgebiet sind Aserbaidschanisch, Kumykisch, Karatschai-Balkarisch und Nogaisch. Die einzige semitische Sprache ist das neuostaramäische Aisor, das von etwa 13.000 Menschen in Georgien und Armenien gesprochen wird. Übrig bleiben die 38 autochthonen kaukasischen Sprachen mit zusammen fast 9 Mill. Sprechern, um die es in diesem Abschnitt ausschließlich geht. Diese 38 Sprachen zerfallen in über hundert Dialekte, wobei die Dialekte mancher kaukasischer Sprachen kaum wechselseitig verständlich sind, obwohl nur einige Kilometer Luftlinie zwischen ihren zu Lande schwer erreichbaren Dörfern liegen. Die antiken Schätzungen mit 300 Sprachen, die zunächst übertrieben erscheinen, könnten also doch nahe an der Wahrheit gelegen haben. Um jedes Missverständnis von vornherein auszuschließen: es ist nach heutigem Forschungsstand äußerst unwahrscheinlich, dass die 38 altkaukasischen Sprachen eine genetische Einheit (eine Sprachfamilie) bilden. Die Mehrheit der Forscher geht heute von drei unabhängigen genetischen Einheiten oder kaukasischen Sprachfamilien aus, die wie folgt bezeichnet werden:

(1) (2) (3)

Kartwelisch Abchaso-Adygisch Nacho-Dagestanisch

Südkaukasisch Westkaukasisch (Nordwestkaukasisch) Ostkaukasisch (Nordostkaukasisch)

Neben den linguistischen Namen der Familien - Kartwelisch, Abchaso-Adygisch, NachoDagestanisch - werden auch die geographischen Bezeichnungen Süd-, West-, und Ostkaukasisch verwendet. Die südkaukasischen Sprachen werden südlich, die west- und ostkaukasischen Sprachen hauptsächlich nördlich des von Nordwest nach Südost verlaufenden Kaukasus-Hauptkamms gesprochen. Manche Forscher fassen das West- und Ostkaukasische zu einer genetischen Einheit 'Nordkaukasisch' zusammen. Die früher oft vertretene Hypothese einer Einheit aller kaukasischen Sprachen findet heute nur noch wenige Anhänger. Einige Wissenschaftler halten sogar die Einheit der ostkaukasischen Sprachen für fraglich und teilen sie in eine nachische und dagestanische Familie auf. Diese Fragen werden unten ausführlicher diskutiert.

2 Übersicht über die kaukasischen Sprachen Die genetische Gliederung der drei kaukasischen Sprachfamilien ist in Tab 1 dargestellt (sie wird im Abschnitt 'Klassifikation' ausführlich diskutiert), die Verteilung der Sprecherzahlen kaukasischer Sprachen auf die Staaten Georgien, Russland, Aserbaidschan und Türkei in Tab 2, ihre geographische Verteilung ist der Karte zu entnehmen. Tab 3 enthält eine Übersicht über die zahlreichen Dialekte kaukasischer Sprachen. Tab 1

Die altkaukasischen Sprachfamilien

KARTWELISCH SÜDKAUKASISCH GEORGISCH SANISCH SWANISCH

ABCHASO-ADYGISCH WESTKAUKASISCH

[4, H 0; 4.5 Mio]

Georgisch (Grusinisch, Kartuli) (4 Mio) Mingrelisch (500 T), Lasisch (Tschanisch) (35 T) Swanisch (35 T)

[5, H 1; 1.1 Mio]

TSCHERKESSO-UBYCHISCH TSCHERKESSISCH UBYCHISCH ABCHASISCH

NACHO-DAGESTANISCH OSTKAUKASISCH

Adygeisch (West-Tscherkessisch) (300 T) Kabardinisch (Ost-Tscherkessisch) (650 T) Ubychisch H Abchasisch (105 T), Abasinisch (45 T)

[29, H 0; 3 Mio]

NACHISCH VEINACHISCH BATSISCH

Tschetschenisch (1 Mio), Inguschisch (230 T) Batsisch (Batsbi, Tsova-Tush) (3 T)

DAGESTANISCH LAKO-DARGINISCH AWARO-ANDO-DIDOISCH AWARISCH ANDISCH

DIDOISCH

LESGISCH SAMUR ARTSCHINISCH UDISCH SHAH DAGH CHINALUGISCH

Lakisch (Kazikumykisch) (110 T) Darginisch (Hürkilinisch) (370 T) Awarisch (600 T) Andisch (10 T), Godoberisch (3 T), Botlichisch (1 T), Karataisch (6 T), Achwachisch (5 T), Bagwalalisch (6 T), Tindisch (5 T), Tschamalalisch (6 T) Didoisch (Tsesisch) (7 T), Chwarschinisch (2 T), Hinuchisch (0.2 T), Bezhitisch (Kaputschinisch) (3 T), Hunsibisch (2 T) Lesgisch (Kürinisch) (450 T), Tabassaranisch (95 T), Agulisch (20 T), Rutulisch (20 T), Tsachurisch (20 T) Artschinisch (1 T) Udisch (9 T) Krytsisch (Dschekisch) (6 T), Buduchisch (2 T) Chinalugisch (1.5 T)

Tab 2

Kaukasische Sprachen - geographische Verteilung Sprecherzahlen in Tausend Georgien Russland

AR

Aserbd.

Türkei

Total

15 -

40 30 -

4.500 500 35 35

Ady/Kar Kab-Bal

-

100 200

300 650

Kar

-

4 10 -

105 50 H

SÜDKAUKASISCH Georgisch Mingrelisch Lasisch Swanisch

3.900 500 2 35

130 -

-

125 450

101 -

35 -

Tschetschenisch Inguschisch Batsisch

3

950 230 -

Tschet Ingusch

-

10 -

1.000 230 3

Lakisch Darginisch

-

110 370

Dag Dag

2 -

-

112 370

Awarisch Andische Spr. Didoische Spr.

-

550 42 15

Dag Dag Dag

45 -

-

600 42 15

Lesgisch Tabassaranisch Buduchisch Krytsisch Tsachurisch Udisch Sonst. Lesgisch

5 -

260 100 7 4 40

Dag Dag

170 2 6 13 5 -

1 -

450 2 6 20 9 40

Chinalugisch

-

-

1

-

1

WESTKAUKASISCH Adygeisch Kabardinisch Abchasisch Abasinisch Ubychisch OSTKAUKASISCH

Dag Dag Dag

Die Abkürzungen für die Namen der russischen Autonomen Republiken (AR) sind: Ady = Adygeja; Kar = Karatschai-Tscherkessien; Kab-Bal = Kabardino-Balkarien; Tschet = Tschetschenien; Ingusch = Inguschetien; Dag = Dagestan

Tab 3 Georgisch

Die Dialekte der kaukasischen Sprachen

Mingrelisch Lasisch Swanisch

Kartlisch, Kachisch, Pschawisch, Chewsurisch, Tuschisch, Mochewisch, Mtiulisch, Ingiloisch, Fereidanisch; Imeretisch, Ratschisch, Gurisch, Atscharisch, Imerchewisch Samurzaqanisch, Senakisch Chopa, Atina, Vice-Archavi Balisch, Laschchisch, Lentechisch

Adygeisch Kabardinisch Ubychisch H Abchasisch Abasinisch

Abadschechisch, Tschemguisch, Bdschedugisch, Schapsugisch Kabarda, Mozdok, Besleney, Kuban unbekannt Abdschuj, Bzyb Tapanta, Aschcharwa

Tschetschenisch Inguschisch Batsisch

Plostkostnisch, Akkisch, Tscheberloisch, Melchisch, Itumkalisch, Galanzosisch, Kistisch -

Lakisch Darginisch

Vicchinisch, Kumuchisch, Vichlisch, Aschti-Kulisch, Balcharisch Hürkilinisch, Akuschisch, Cudacharisch, Chajdakisch, Kubatschinisch

Awarisch

Zakatalisch, Ancuchisch, Karachisch, Hidisch, Andalalisch, Kachibisch, Batluchisch; Ostawarisch, Hunzachisch, Salatawisch

Andisch Botlichisch Godoberisch Karataisch Achwachisch Bagwalalisch Tindisch Tschamalalisch

Oberandisch, Niederandisch Botlichisch, Miarsisch Godoberisch, Zibirchalisch Karata, Tokita Süd-, Nordachwachisch Kwanada-Hemersoisch, Tlondoda-Chuschtadisch, Tlissi-Tlibischoisch Tindisch, Aknada-Angidisch Gakwarisch, Hihatlisch

Didoisch Chwarschinisch Hinuchisch Bezhitisch Hunsibisch

Kiderisch, Schaitlisch, Asachisch, Schapichisch, Sagadisch Chwarschinisch, Inchokarisch Bezhta, Tlädalisch, Chotscharchotisch -

Lesgisch Tabassaranisch Agulisch Rutulisch Tsachurisch Krytsisch Buduchisch Udisch Artschinisch

Güneisch, Samurisch, Kubisch Süd-, Nordtabassaranisch Agulisch, Kerenisch, Burkichanisch, Koschanisch Rutulisch, Schinazisch, Muchrek-Ichrekisch, Bortschisch-Chinawisch Krytsisch, Dschekisch, Chaputlisch, Alykisch Buduchisch, Chatschmassisch Vartaschenisch, Nidschisch -

Chinalugisch

-

Die 38 altkaukasischen Sprachen zerfallen in fast 120 Dialekte; dabei sind die Dialekte einer Sprache oft nicht wechselseitig verständlich.

Die drei kaukasischen Sprachfamilien Das Südkaukasische oder Kartwelische besteht aus vier nahverwandten Sprachen mit insgesamt 4.5 Mio. Sprechern, die schwerpunktmäßig in Georgien, also südlich des Kaukasus-Hauptkamms gesprochen werden. Die mit Abstand wichtigste kartwelische - und wohl auch kaukasische Sprache ist das Georgische (Selbstbezeichnung Kartuli, daher die Bezeichnung der ganzen Familie; russische Bezeichnung Grusinisch). Mit 4 Mio Sprechern ist das Georgische die einzige kaukasische Sprache mit eigener alter Schrift- und Literaturtradition, die ins 6. Jhd. zurückreicht, und es ist die Staatssprache des seit 1991 wieder unabhängigen Georgiens. Die Sprecher des Mingrelischen (500 Tsd) und Swanischen (35 Tsd) leben ebenfalls in Georgien und nutzen das Georgische als Schriftsprache (allerdings nicht die georgische Schrift für ihre Sprache). Lediglich das Lasische - besonders eng mit dem Mingrelischen verwandt - wird hauptsächlich außerhalb des heutigen Georgiens an der angrenzenden türkischen Schwarzmeerküste gesprochen (35 Tsd Sprecher). Das Westkaukasische oder Abchaso-Adygische besteht aus fünf Sprachen mit zusammen etwas über 1 Mio Sprechern. Eine dieser fünf Sprachen - das Ubychische - ist in den 1990er Jahren ausgestorben. Der letzte Sprecher lebte im westlichen Anatolien und wurde zu einer wichtigen Quelle für mehrere Kaukasologen. Die Ubycher waren ursprünglich im Nordwestkaukasus an der Schwarzmeerküste - südlich der Adygejer - ansässig, sind aber zusammen mit den Tscherkessen nach der russischen Invasion in den Kaukasus von 1864 in die Türkei und den Nahen Osten geflohen. Die abchaso-adygischen Sprachen teilen sich in drei Gruppen auf: (1) das alleinstehende ausgestorbene Ubychische, (2) die beiden tscherkessischen Sprachen Adygeisch und Kabardinisch mit zusammen 1 Mio Sprechern und (3) die beiden nahverwandten Sprachen Abchasisch und Abasinisch (zusammen 150 Tsd). Das Abchasische wird an der Schwarzmeerküste in einer eigenen Autonomen Republik (AR) des Staates Georgien gesprochen (105 Tsd), das Abasinische (45 Tsd) hauptsächlich in der russischen AR KaratschaiTscherkessien. Die Nachfahren der nicht im 19. Jhd geflohenen Tscherkessen leben in russischen Autonomen Republiken, die Adygejer in den AR Adygeja und KaratschaiTscherkessien, die Kabardiner in der AR Kabardino-Balkarien. Mehr als 300 Tsd Sprecher des Tscherkessischen leben heute in der Türkei, über 70 Tsd im Nahen Osten, vor allem in Syrien, Jordanien und dem Irak. Das Ostkaukasische oder Nacho-Dagestanische besteht aus 29 Sprachen mit 3 Mio Sprechern und zerfällt in zwei geographisch und linguistisch deutlich getrennte Gruppen, die nachischen (zentralkaukasischen) und dagestanischen Sprachen. Zum Nachischen gehören drei Sprachen mit zusammen 1.2 Mio Sprechern, nämlich das Tschetschenische (AR Tschetschenien, 1 Mio) und das nahverwandte Inguschische (AR Inguschetien, 230 Tsd); diese beiden werden auch als Veinachisch zusammengefasst. Die dritte nachische Sprache ist das abweichende Batsische oder Tsova-Tusch mit nur 3 Tsd Sprechern, die in dem georgischen Dorf Zemo Alvani leben und als Schriftsprache das Georgische benutzen. Alle anderen ostkaukasischen Sprachen gehören zur dagestanischen Gruppe mit 26 Sprachen und rund 1.8 Mio Sprechern. Ihr Sprachgebiet ist der Süden der russischen AR Dagestan und das nördl. Aserbaidschan. Die Sprecherzahlen der dagestanischen Sprachen variieren von 600 Tsd (Awarisch) bis hinunter zu 200 (Hinuchisch). 17 dagestanische Sprachen haben weniger als 10 Tsd Sprecher und werden wohl in einigen Jahrzehnten ausgestorben sein, zumal sie nicht über eine Schriftform verfügen. Das Lesgische, Tsachurische und Udische werden teilweise, das Chinalugische, Buduchische und Krytsische ganz in Aserbaidschan, alle anderen dagestanischen Sprachen in Süd-Dagestan gesprochen. Ob das Dagestanische eine gültige genetische Einheit darstellt - also alle dagestanischen Sprachen von einer proto-dagestanischen Sprachform abstammen - ist umstritten.

Einige Forscher betrachten es vielmehr lediglich als eine areale Gruppe innerhalb des Ostkaukasischen mit drei klar definierten genetischen Einheiten, nämlich Lako-Darginisch, Awaro-Ando-Didoisch und Lesgisch. Chinalugisch wird entweder zu den lesgischen Sprachen gerechnet, oder als separate dagestanische Untereinheit betrachtet. (Siehe Tab 1, die auf der Annahme einer dagestanischen Einheit basiert). Die wichtigsten dagestanischen Sprachen sind Awarisch (600 Tsd Sprecher, auch als Lingua franca für die Sprecher kleinerer kaukasischer Sprachen in der Umgebung benutzt), Lesgisch (450 Tsd), Darginisch (370 Tsd), Lakisch (110 Tsd) und Tabassaranisch (100 Tsd). Wie schon erwähnt, hat von allen kaukasischen Sprachen nur das Georgische eine lange Schriftund Literaturtradition. Die Georgische Schrift wurde vermutlich im 6. Jhd aus einer aramäischiranische Vorlage unter Einfluss der griechischen Schrift entwickelt. Von zwei Varianten konnte sich im 12. Jhd die heutige (mchedrulische) weitgehend durchsetzen. Die Georgische Schriftsprache wird auch von den Sprechern des Mingrelischen, Swanischen und Batsischen benutzt, die Lasen verwenden neuerdings die (türkische) Lateinschrift. Weitere 11 kaukasische Sprachen besitzen heute eine standardisierte Schriftform auf kyrillischer Basis. Nachdem zunächst - meist im 19. Jhd, teilweise früher - die arabische Schrift favorisiert wurde (viele kaukasische Völker sind muslimisch), wurde in den 1920er Jahren von den Sowjets für einige kaukasische Sprachen die lateinische Schrift eingeführt; 1936-38 erfolgte dann die Umstellung auf die kyrillische Schrift, erweitert um die erforderlichen Sonderzeichen. Die kaukasischen Schriftsprachen auf kyrillischer Basis sind: Adygeisch, Kabardinisch, Abchasisch, Abasinisch; Tschetschenisch, Inguschisch; Lakisch, Darginisch, Awarisch, Lesgisch und Tabassaranisch. Weitere Verschriftungen sind wohl nicht zu erwarten, da die größten kaukasischen Sprachen ohne Schrift nur noch 20 Tsd Sprecher aufweisen (Agulisch, Rutulisch, Tsachurisch). Während das Georgische in allen Funktionen einer modernen Sprache (Kultur, Literatur, Wissenschaft, Technik, Ausbildung, Kommunikation) verwendet wird, führen die meisten anderen kaukasischen Schriftsprachen ein bescheideneres Dasein und treten in Technik und Wissenschaft deutlich hinter das Russische zurück. Allerdings gibt es durchaus eine bemerkenswerte Literatur auch in den neuen Schriftsprachen (Schmidt 1992).

3 Die Klassifikation der kaukasischen Sprachen Als erster untersuchte der Deutsche J.A. Güldenstädt in der zweiten Hälfte des 18.Jhd die damals bekannten kaukasischen Sprachen und schlug eine Einteilung vor, die nicht sehr weit von den heute allgemein akzeptierten Vorstellungen abwich. Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jhd. wurden einzelne kaukasische Sprachen intensiver studiert und eine Reihe von grammatischen Skizzen veröffentlicht. Insbesondere ist dabei der Russe P.K. Uslar hervorzuheben, der die Beschreibung von sechs bis dahin unbekannten dagestanischen Sprachen lieferte. Er schuf auch für einige kaukasische Sprachen ein erstes Alpahabet auf kyrillischer Grundlage. R. von Erckert gab 1895 einen umfassenden Überblick über nahezu alle heute bekannten kaukasischen Sprachen, dessen wissenschaftliche Qualität aber eher als bescheiden angesehen wird. Der deutsche A. Dirr publizierte 1904 bis 1913 wichtige Monographien über neun kaukasische Sprachen und 1928 eine Einführung in die kaukasische Linguistik mit Skizzen von 35 Sprachen. (Weitere Details der kaukasologische Forschungsgeschichte findet man in Klimov 1994). In der Tat ist es nicht verwunderlich, dass bereits die ersten Forscher, die einen gewissen Überblick über einige kaukasische Sprachen hatten, zu einer Klassifikation kamen, die noch heute Bestand hat. Selbst aus geringem und phonetisch vereinfacht dargestelltem Wortmaterial erkennt jeder Laie sofort die eng zusammengehörigen Gruppen. Tab 4 enthält die kaukasischen Wörter für die Pronomina ich und Du (Anrede) und die Zahlwörter für 1, 3 und 5 in 27 der 38 kaukasischen Sprachen (nach Catford 1991).

Tab 4

Kaukasisch: ich, Du; eins, drei, fünf ich

Du

Georgisch Mingrelisch Swanisch

me ma mi

šen si si

Adygisch Kabardinisch Ubychisch Abchasisch

se se s? sa

we we w? wa

Tschetschenisch Inguschisch Batsisch

suohuo suohuo so ho

Lakisch Darginisch

na nu

ina hu

ts? tsa

šam häb

xo še

Awarisch

dun

mun

tso

lab

šu

Andisch Botlichisch Karataisch Tindisch Tschamalalisch

din den den de di

min min men me mi

tse tse

lob habu lab lab

di

mi

Didoisch Hinuchisch Hunsibisch

de d?

me m?

eins erti arti ešχu z? z? za za

drei sami sumi semi

χuti χuti wo-χušd

c? s? sa χ-

tsha? tsha? tsha

se tse

sis

tf? txwe cx? χw

qo? qo? qo

se

hes h?s

fünf

pχi? pχi? pχi

išdu išdu išdu ištu lala išu

lo? lo lv

lo le li

Lesgisch Tabassaran. Tsachurisch Artschinisch Udisch

zun wun sa pu wa uzu uvu sa šubu xu z? vu sa xeb xo zon un os leb lo zu un sa χib qo

Chinalugisch

zu'

vu'

sa

pšo

pxu

Vereinfachte phonetische Notation

Auf den ersten Blick erkennt man - dazu vergleiche man auch Tab 1 - die Einheiten KARTWELISCH, ABCHASO-ADYGISCH, NACHISCH, ANDISCH, DIDOISCH und LESGISCH. Auch die umfassendere Gruppierung AWARO-ANDO-DIDOISCH ist gut identifizierbar. Die Einheit KARTWELISCH wird durch die Heranziehung einiger Wörter aus dem Grundwortschatz und der Zahlwörter eindrucksvoll unterstrichen (Tab 5), die man so oder ähnlich auch für die anderen Einheiten mit dem selben Erfolg aufstellen könnte.

Tab 5

Kartwelischer Grundwortschatz Georgisch

Mingrelisch

Swanisch

Herz Zunge Kopf

gul ena tav

gur nina (ti)

gwi n?n šta

Sonne Meer Tag

mze zgva dge

b a zgva dga

m? ug'wa deg

Bruder Tochter

zma asul

ima asur

?m haswiš

Bär Ochse Insekt Wolle

datv χar mc'er mat'ql

tunt χodš 'and mont'qor

däštw qän mer mät'q

graben kochen

tχar

tχor

štχar

gb

dšb

gib

1 2 3 4 5

erti ori sami otχi χuti

arti iri sumi otχi χuti

ešχu jori semi woštχw wo-χwišd

6 7 8 9 10

ekvsi švidi rva cχra ati

amšvi škviti ruo χoro viti

usgva išgwid ara χara ješd

20 100

oci asi

e i oši

jerw-ešd ašir

Auffällig ist die scharfe Trennung der drei Gruppen KARTWELISCH, ABCHASO-ADYGISCH und der gesamten Restgruppe, die sich aus Tab 4 ergibt. Auch wenn man wesentlich mehr Material heranzöge, wären kaum mehr Gemeinsamkeiten zu entdecken. Man kommt also durch bloße heuristische Inspektion einer minimalen Wortliste genau bei dem Resultat an, das heute in der kaukasischen Sprachwissenschaft unstrittig ist. Alle darüber hinausgehenden Fragen zur Klassifikation der kaukasischen Sprachen sind immer noch nicht abschließend geklärt und werden je nach Forscher unterschiedlich beantwortet. Es ist klar, dass nach einer solchen heuristischen Vorarbeit der sprachwissenschaftliche 'Beweis' in Form der Erstellung und Überprüfung von Lautgesetzen und möglichst die Rekonstruktion einer ProtoSprache für jede etablierte Einheit erfolgen sollte. (Eine Aufgabe, die die Kaukasologie bisher keineswegs vollständig erfüllt hat, glaubt man den intensiven Klagen eines Fachmanns in Klimov 1994.)

Aktueller Stand der Klassifikation Was lässt sich also über den heutigen Stand der Klassifikation der kaukasischen Sprachen sagen? Versuchen wir, die Ergebnisse 'von unten her' zu erarbeiten. Der Leser sollte dabei die Tab 1 - also das Ergebnis dieser Diskussion - vor Augen haben. Die unstrittige Einheit KARTWELISCH enthält die genannten vier Sprachen, wobei offensichtlich das Mingrelische und Lasische besonders eng verwandt sind (vgl. Tab 5). Manche Forscher betrachten deswegen das Mingrelische und Lasische als die Dialekte einer Sprache, des Sanischen. Die ebenfalls unbestrittene Einheit ABCHASO-ADYGISCH besteht - das legt die folgende Liste der Zahlwörter nahe (Tab 6) - aus drei Untereinheiten: dem Abchasisch-Abasinischen, dem Tscherkessischen (Adygeisch und Kabardinisch) und dem alleinstehenden Ubychischen. Tab 6

Westkaukasische Zahlen Abchasisch/ Abasinisch

1 2 3 4 5

ak'?/zak'? 'ba xpa pš'-ba x0ba

6 7 8 9 10

f-ba b? -ba a-ba 0 -ba 0 a-ba

Adygeisch/ Kabardinisch

Ubychisch

z? t'0?

za tq'0a

s?

sa pl'? tš?/tx?

pl'? šx'?

x?

f? bl?

j? bg'? ps'?

bl? g'0a bg'0? 0 ?

Dabei sind die Zahlwörter bei den beiden Sprachpaaren nahezu identisch, so dass nur jeweils eine Spalte erforderlich ist. Offensichtlich steht das Ubychische den tscherkessischen Sprachen näher als dem Abchasischen. Damit ergibt sich die anerkannte Untergliederung des AbchasoAdygischen. Wenden wir uns nun den ostkaukasischen Sprachen zu. Das Nachische zerfällt offensichtlich in die eng verwandten veinachischen Sprachen Tschetschenisch und Inguschisch einerseits und das isolierte Batsisch andererseits. Da genügt ein Blick auf einige Wortgleichungen. Bei der Feingliederung der lesgischen Sprachen folge ich Catford 1991, obwohl es sich offensichtlich um eine geographische Einteilung handelt, die zB. Klimov 1994 nicht unterstützt. Problematisch ist die Position des stark vom umgebenden Aserbaidschanischen beeinflussten Chinalugischen. Es gibt drei Ansätze: Kibrik 1994 hält es für eine lesgische Sprache, die allerdings in der Gruppe isoliert sei; Klimov 1994 und Catford 1991 halten das Chinalugische für einen selbständigen Zweig des Ostkaukasischen. Eine dritte mittlere Möglichkeit gibt es, wenn man von einer genetischen Einheit DAGESTANISCH ausgeht (s.u.): dann kann das Chinalugische ein selbständiger Zweig des Dagestanischen sein. Für diese letzte Version habe ich mich in dieser Darstellung entschieden (vgl Tab 1). Auch die Position des Artschinischen als lesgische Sprache ist nicht unumstritten.

Allgemein wird das Lakische und Darginische als eine Einheit LAKO-DARGINISCH betrachtet, obwohl die Verwandtschaft nicht allzu nah zu sein scheint. Klimov 1994 sagt, diese Einheit sei 'bisher noch nicht in ausreichendem Maße wissenschaftlich begründet', dennoch hält er wie alle anderen mir bekannten Klassifikationen daran fest. Beim Darginischen besteht der begründete Verdacht, dass seine 'Dialekte' in Wirklichkeit separate Sprachen sind. Während bisher nur kleinere Unterschiede deutlich wurden, die keinen großen Einfluss auf die Gesamtklassifikation haben, kommen wir nun zu einer wichtigeren Frage, nämlich ob die vier Spracheinheiten Dagestans - LAKO-DARGINISCH, AWARO-ANDO-DIDOISCH, LESGISCH und CHINALUGISCH ein genetische Einheit DAGESTANISCH bilden. Auch hier gehen die Meinungen deutlich auseinander. Trubetzkoi 1922, Deeters 1963, Voegelin & Voegelin 1977 und Klimov 1994 lehnen die genetische Einheit der dagestanischen Sprachen ab, dagegen bejahen Erckert 1895, Dirr 1928, Dumezil 1952, Klimov 1965 (!), Gamkrelidze & Gudava 1974 und Hewitt 1992 eine Familie DAGESTANISCH. Letzterem schließe ich mich hier an. Die nächste Frage zielt eine Stufe höher: bilden NACHISCH und DAGESTANISCH (oder - falls man DAGESTANISCH nicht anerkennt - seine vier Bestandteile) eine genetische Einheit NACHISCH-DAGESTANISCH oder OSTKAUKASISCH? Auch hier gibt es strittige Ergebnisse. Klimov 1994: 'Dass die ostkaukasischen oder nachisch-dagestanischen Sprachen in genetischer Hinsicht eine geschlossene Gruppe bilden, kann seit langem als allgemein anerkannt gelten und wird in der vorliegenden Darstellung vorausgesetzt.' Belege oder Literaturhinweise werden nicht geliefert. Auch Catford 1991 ist diskussionslos dieser Auffassung, während Catford 1977 noch gegenteiliger Meinung war. Eine separate Einheit NACHISCH vertritt auch HEWITT 1981 und 1991. Ich habe mich hier für die 'seit langem anerkannte' Meinung einer Einheit NACHISCHDAGESTANISCH entschieden, obwohl dies 'bisher noch nicht in ausreichendem Maße wissenschaftlich begründet' zu sein scheint. Damit sind wir bei drei genetischen Haupteinheiten KARTWELISCH, ABCHASO-ADYGISCH, NACHISCH-DAGESTANISCH angelangt. Die nächste - entscheidende - Frage, die sich zwangsläufig stellt: sind diese Familien genetisch unabhängig, oder sind sie Bestandteil größerer Einheiten? Klimov 1994 nennt diese Frage 'nach wie vor eine der wichtigsten und interessantesten Fragestellungen in der kaukasischen Sprachwissenschaft überhaupt'. Theoretisch gibt es fünf Möglichkeiten: die Unabhängigkeit der drei Familien, die drei Paarbildungen Ost-West, Süd-West, Ost-Süd und die Gesamteinheit aller kaukasischer Sprachen. Klimov 1994 untersucht ausführlich (S. 175-216) die Wortgleichungen, die üblicherweise für Hypothesen einer der Paarbildungen oder der gesamtkaukasische Einheit herangezogen werden, um in allen vier Fällen vor allem auch aus methodologischen Gründen zu einem klar ablehnenden Votum zu gelangen. Dagegen gehen einige andere Forscher allerdings von einer Einheit NORDKAUKASISCH aus, die West- und Ostkaukasisch verbindet. So auch Gudava 1979, Starostin 1982, Ruhlen 1987 und 1991, Catford 1991 und andere. Die einzige ausführliche Untersuchung dieser Frage mit positivem Resultat (nordkaukasische Einheit) ist Abdokov 1976, die von Klimov wegen ihrer methodischen Schwächen (Nichtverwendung rekonstruierter Vorformen, sondern einzelsprachlicher Lexeme, Zerschneidung des Materials in einkonsonantige Elemente, Vergleich nur kurzer Wurzeln, anachronistische Semantik) gänzlich abgelehnt wird. Somit bliebe nur die Unabhängigkeit der drei kaukasischen Sprachfamilien, wie sie auch Hewitt 1992 favorisiert. Wenn schon alle Paarbildungen abzulehnen sind, muss die gesamtkaukasische Hypothese eigentlich nicht mehr gesondert untersucht werden. Allerdings fand gerade der gesamtkaukasische Ansatz lange Zeit die meisten Anhänger. Die gesamtkaukasische Hypothese konnte sich vor allem bei russischen Kaukasologen halten, da diese primär mit typologischen Argumenten gearbeitet haben, die natürlich keinerlei Beweiskraft für die genetische Frage besitzen.

4 Externe Beziehungen der kaukasischen Sprachen Wenn man von der Existenz mehrerer genetisch unabhängiger kaukasischer Sprachfamilien ausgeht - ein Standpunkt, der sich weitgehend durchgesetzt hat - , sind sämtliche Hypothesen, die sich auf eine Verwandtschaft einer anderen Sprachfamilie mit 'dem Kaukasischen' als Ganzem beziehen, von vornherein auszuschließen. Damit könnte man 90% aller Hypothesen und Spekulationen über externe genetische Beziehungen der kaukasischen Sprachen ohne weitere Diskussion ablehnen. Dennoch sollen hier wenigstens einige der wichtigeren Vorschläge tabellarisch aufgezählt werden, um die Kreativität zu beleuchten, die diesem Thema in den letzten hundertfünfzig Jahren gewidmet wurde (Tab 7).

Tab 7

Hypothesen zur externen Verwandtschaft kaukasischer Sprachen

Autor

Jahr

Hypothese genetischer Verwandtschaft

F. Bopp F. Lenormant H. Sayce F. Hommel V. Thomsen

1847 1871 1882 1884 1899

Kartwelisch ist indogermanisch Urartäisch - Kaukasisch Urartäisch - Kaukasisch 'Alarodisch' - Kaukasisch Etruskisch - Kaukasisch

A. Trombetti H. Winkler N.J. Marr H. Winkler

1902 1907 1908 1909

Afro-Asiatisch - Kaukasisch Elamisch - Kaukasisch Semitisch - Kartwelisch Baskisch - Altmediterran - Kaukasisch

F. Bork R. Bleichsteiner E. Forrer u.a. R. Lafon A. Pajazat

1924 1930 1934 1934 1936

Sumerisch - Kaukasisch Burushaski - Kaukasisch Hattisch - Westkaukasisch 'Mediteraneisch' - Kaukasisch Urartäisch - Sino-Tibetisch - Ostkaukasisch

K. Bouda K. Bouda A. Tovar R. Lafon K. Bouda J. Braun O.G. Tailleur

1949 1950 1950 1951/52 1952/54 1954 1958

Baskisch - Kaukasisch Tibetisch - Kaukasisch Baskisch - Kaukasisch Baskisch - Kaukasisch Burushaski - Kaukasisch Urartäisch - Kaukasisch Baskisch - Jenisseisch (Ket) - Kaukasisch

V. Illich-Svitych M. Cereteli S. Mufti I.M. Djakonov J. Braun S.A. Starostin S.A. Starostin S. Nikolajew

1964ff 1966 1978 1978 1981 1982 1984 1989

Kartwelisch ist nostratisch Sumerisch - Kartwelisch Indogermanisch - Westkaukasisch Hurrisch-Urartäisch - Ostkaukasisch Baskisch - Kartwelisch Jenisseisch - Nordkaukasisch Sino-Tibetisch - Jenisseisch - Nordkaukasisch Nordkaukasisch Bestandteil des 'Dene-Kaukasischen'

Klimov 1994 äußert zu den meisten dieser Hypothesen: 'Charakteristische Züge der erwähnten Arbeiten sind ungenügende Kenntnis der Spezialliteratur, ungenaue Aufzeichnung des verwendeten Materials, willkürliche Gliederung der Lexeme, fehlerhafte Rekonstruktion von Vorformen, nicht selten auch das Operieren mit nicht echt kaukasischem Sprachmaterial,...'. Keine andere Hypothese wurde häufiger vertreten als die baskisch-kaukasische (vgl. Winkler, Bouda, Tova, Lafon, Tailleur, Braun, Nikolajev u.a). Insbesondere mit den Arbeiten Lafons und Boudas setzt sich Klimov näher auseinander, indem er die baskisch-kaukasischen Gleichungen ihrer Arbeiten untersucht. Fazit: Beide Autoren verfehlen den Nachweis einer genetischen Beziehung, da sie auf die Aufstellung systematischer Lautentsprechungen verzichten, zum Vergleich keine Vorformen der kaukasischen Sprachfamilien heranziehen, sondern baskische Wörter mit heutigen Formen beliebig ausgewählter Einzelsprachen vergleichen (was bei 38 kaukasischen Sprachen und kurzen Wurzeln immer zu einem Treffer führen kann), etliche anachronistische Vergleiche anstellen (sie betreffen Gegenstände und Begriffe, die es im vermutlichen Zeitraum einer baskisch-kaukasischen Sprachgemeinschaft noch nicht gegeben hat), statt baskischer Wörter teilweise indogermanische Lehnwörter im Baskischen heranziehen. Eine Demonstration des geringen gemeinsamen Potentials baskisch-kaukasischer Gemeinsamkeiten zeigt die Zusammenstellung von Zahlwörtern und Pronomina (kaukasische Vorformen der beiden Sprachfamilien nach Klimov). Tab 8

Fehlende baskisch-kaukasische Gemeinsamkeiten baskisch

kartwelisch

westkaukasisch

1 2 3 4 5

bat bi(ga) hirur laur bortz

sχwa jor sam otχo χut

za t'q'0a s'a pl'a tx0a

6 7 8 9

seiz zazpi zortzi bederatzi

eksw šiwid arwa cχra

x'a bla ?'a 0 a(?)

ich du wir ihr

ni hi gu zu-ek

me še wen tkwen

sa-ra wa-ra ha-ra š0a-ra

Die baskisch-kaukasische Hypothese findet auch sonst in der seriösen kaukasologischen (Vogt, Dumezil, Deeters) und baskologischen Literatur (Lacombe, Etxaide, Mitxelenia) deutliche Ablehnung, das große baskische etymologische Lexikon von Löpelmann (1968) verzichtet völlig auf baskisch-kaukasische Gleichungen. Fazit Klimovs: 'So kann es nicht verwundern, dass die baskisch-kaukasische Hypothese nur noch von Journalisten (...) oder Sprachforschern, die mit den Fakten des Baskischen oder den kaukasischen Sprachen nicht vertraut sind, aufrecht erhalten wird.' I.M. Djakonov legte 1978 eine Arbeit über die Beziehung des Hurritisch-Urartäischen (dessen genetische Einheit er maßgeblich belegt hatte) mit den ostkaukasischen Sprachen vor. Nach seinen eigenen Worten kann seine Arbeit die genetische Beziehung des Hurritischen zum Ostkaukasischen zwar noch nicht beweisen, aber doch wahrscheinlich machen. Einige hurritischkaukasische Gleichungen Djakonovs (phonetisch vereinfacht): Hurritisch it'gehen' al-ay 'Herrin' ker 'lang' xil 'sprechen' saw-ala 'Jahr' seri 'Tag, Abend'

Ostkaukasisch id äla *q'är * χil * šaw-n seritschet.

tschet. 'laufen' tschet. 'Fürst' ostkauk. 'groß, alt' ostkauk. 'sagen' ostkauk. 'Jahr' 'Abend'

Klimov hält das Material nicht für ausreichend, um eine genetische Beziehung Ostkaukasisch Hurritisch zu etablieren. V.M. Illich-Svitych und A. Dolgopolsky sind seit 1964 die Hauptvertreter einer sog. nostratischen Makrofamilie, die die Sprachfamilien Indogermanisch, Uralisch, Altaisch, Kartwelisch, Drawidisch und Afro-Asiatisch vereinen soll. Eine aktuelle Darstellung ist Dolgopolsky 1998 (siehe auch Kap 6). Für die kaukasischen Sprachen ist diese These insofern relevant, als das Kartwelische ein Bestandteil dieser 'Überfamilie' sein soll. Illich-Svitych berücksichtigt in der Erstfassung seines nostratischen Wörterbuchs 105 Wortgleichungen, davon enthalten 57 einen kartwelischen Anteil, in der überarbeiteten Fassung entfielen - möglicherweise wegen des frühen Todes des Autors 22 kartwelische Bezüge, von den verbleibenden 35 wurden 21 vom Autor selbst als fraglich bezeichnet. Die übrigen 14 'sichersten' nostratischen Gleichungen mit kartwelischem Material werden von Klimov 1994 als teilweise falsch bzw. wenig zuverlässig eingeschätzt. Dolgopolsky 1998 bringt insgesamt 124 nostratische Gleichungen, davon enthalten nur 32 kartwelisches Material, von denen etliche mit einem oder zwei Fragezeichen versehen sind. Zitiert werden in der Regel keine rekonstruierten ur-kartwelischen Formen, sondern heutiges einzelsprachliches Material, oft nur in Nebendialekten des Georgischen belegt. Es ist also sehr verständlich, dass die meisten Kaukasologen der nostratischen Hypothese skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Noch knapper und deutlicher fällt mehrheitlich die Zurückweisung der sino-kaukasischen Makrofamilie aus, die Starostin 1984 begründen wollte. Dabei geht er von einer genetischen Beziehung des - als Einheit aufgefassten - Nordkaukasischen mit dem sibirischen Jenisseischen (Ket) und dem Sino-Tibetischen aus, die auf seinen Rekonstruktionen der jeweiligen Protosprachen beruht. Später wurde diese Makrofamilie um einige altorientalische Komponenten (Hurritisch-Urartäisch, Hattisch u.a.), das Baskische (!) und durch Nikolajev 1988 um die nordamerikanischen Na-Dene-Sprachen zur dene-kaukausischen Makrofamilie erweitert. Shevoroshkin 1991 zitiert acht sino-jenisseisch-nordkaukasische Gleichungen, von denen nur eine alle drei Sprachengruppen enthält; gerade diese (das Wort für 'Herz') weist aber klare Bezüge zum Kartwelischen und Indogermanischen auf.

Die Zukunft wird zeigen, ob in den nostratischen und dene-kaukasischen Hypothesen noch Potential für externe Beziehungen der kaukasischen Sprachen steckt. Sieht man diese Hypothesen im Zusammenhang - in der Tat sind sie vereinbar, da die Schnittmenge der Makrofamilien leer ist - haben sie einen interessanten Nebeneffekt: da das Kartwelische zur nostratischen, das Nordkaukasische zur Na-Dene-Familie gerechnet wird, muss man sich - bei Akzeptanz dieser Großeinheiten - von einer gesamtkaukasischen Hypothese verabschieden. (Aufälliger Weise hat Ruhlen 1991 seinen in der Erstauflage von 1987 noch konstatierten gesamtkaukasischen Ansatz fallen lassen und sich für die Zweiteilung Kartwelisch Nordkaukasisch entschieden, da er die beiden Makrofamilien stark favorisiert.)

5 Sprachliche Charakterisierung der kaukasischen Sprachen Obwohl die kaukasischen Sprachen keine genetische Einheit darstellen, weisen sie doch eine Reihe gemeinsamer typologischer und struktureller Eigenschaften auf, die teilweise als gegenseitige Beeinflussung und durch wechselseitige Substrate zu erklären sind. Ob es sich bei den kaukasischen Sprachen - eventuell unter Einbeziehung des Ossetischen und Armenischen um einen Sprachenbund handelt, ist keineswegs abschließend geklärt. Zu den Gemeinsamkeiten der kaukasischen Sprachen gehört - mit unterschiedlicher Verbreitung im einzelnen - eine agglutinierende Morphologie, Ergativität, mehrfacher Personalbezug beim finiten Verb (Multipersonalität: Bezug auf Subjekt, direktes und indirektes Objekt u.a.), Markierung der wörtlichen Rede, relativ wenige Vokale (manchmal nur zwei), zahlreiche Konsonaten (60 bis 80 in den westkaukasischen Sprachen) und das Vigesimalsystem. Phonetik Zur äußerst komplexen Phonetik der kaukasischen Sprachen können hier nur einige Andeutungen gemacht werden, zumal der Leser nicht mit der komplizierten Notation belastet werden soll, die für die eindeutige Darstellung kaukasischer Phoneme nötig wäre. Ich verweise auf Klimov 1994 und Catford 1991. Zum Kernbestand des Konsonantensystems aller kaukasischen Sprachen gehören (1) labiale, dentale, velare und uvulare Verschlusslaute, (2) dentale und alveolare Affrikaten und (3) labiale, dentale, alveolare und uvulare Frikative. Die Verschlusslaute können stimmhaft, stimmlosaspiriert und stimmlos-glottalisiert artikuliert werden, die Frikative nur stimmlos und stimmhaft. Neben diesen Obstruenten verfügen alle kaukasischen Sprachen über einige Sonanten. Dieses Konsonanten-Kernsystem ist ziemlich exakt in den kartwelischen Sprachen realisiert, die das einfachste Konsonantensystem der drei kaukasischen Sprachfamilien aufweisen. Die Tabelle 9 zeigt das georgische Konsonantensystem. Die glottalisierten Konsonanten (auch Ejektive) sind Explosivlaute, die mit leicht verzögerter Lösung des Glottisverschlusses gebildet werden. ( wie j in Journal, š wie sch, z wie stimmhaftes s, χ = ch, v stimmhaft) Tab 9

Georgische Konsonanten lab dent

Verschlusslaute Stimmlos Stimmhaft Glottalisiert

p b p'

Affrikaten Stimmlos Stimmhaft Glottalisiert Frikative Stimmlos Stimmhaft Nasale Vibranten Laterale Halbvokale

alveo palat

t d t'

velar

k g k'

ts dz ts'

tš d tš'

f v

s z

š

m

n r l

w

IEL 1992 uvular glott

q'

χ γ

j

h

Die anderen kaukasischen Sprachen enthalten ebenfalls diesen Kernbestand, wie er im Georgischen realisiert ist, der aber in verschiedenen Richtungen bis auf 80 Konsonanten (im Ubychischen) erweitert sein kann. Dabei werden die Artikulationsmöglichkeiten wesentlich ausgebaut, neue Kategorien sind vor allem Labialisierung (Laterallaute) und Palatalisierung. Im Rahmen dieser Darstellung ist eine detaillierte Diskussion der äußerst komplexen Systeme nicht möglich. Als Beispiel ist das Konsonantensystem des Bzyb-Dialekts des Abchasischen mit 67 Konsonanten in Tab 10 zusammengestellt, deren Artikulation hier nicht im einzelnen beschrieben werden soll. Tab 10

Abchasische Konsonanten (Bzyb-Dialekt) lab alveo retro

Verschlusslaute Stimmlos Einfach Labialiiert Palatalisiert Stimmhaft Einfach Labilasiert Palatalisiert Glottalisiert Einfach Labialisiert Palatalisiert

Nasale Vibranten Laterale Halbvokale

velar

uvular phary

p

t t0

k k0 k'

b

d d0

g g0 g'

p'

t' t'0

k' k'0 k"

q' q'0 q"

x x0 x'

X X0

Affrikaten Stimmlos Einfach Labialisiert Stimmhaft Einfach Labialisiert Glottalisiert Einfach Labialisiert Frikative Stimmlos Einfach Labialisiert Palatalisiert Stimmhaft Einfach Labilasiert Palatalisiert

alveo- palat palat

IEL 1992

c

ç

tc tc0 dz dz0

f

v

m

w

c'

ç'

tc' tc'0

s

ş

c c0

z

z

z z0

j

'

š š0

0

n r l y/y0

γ γ0 γ'

0

Eine weitere Eigenart insbesondere der Kartwelsprachen sind Konsonantencluster. Am Wortanfang sind bis zu sechs, am Wortende bis zu 5 Konsonanten möglich. Häufig sind tch, pk, tkr, pkn, brdz u.a., ein Beispiel ist das georgische Wort mc'vrtneli 'Trainer'. Zu den Vokalen lassen sich wenig gemeinkaukasische Aussagen machen. Es gibt kaukasische Sprachen mit nur zwei Vokalen (Abchasisch ? und a), andere wie das Tschetschenische haben 15, darunter 6 Kurz-Lang-Paare. Typisch in den dagestanischen Sprachen ist ein fünfvokaliges System (i-e-a-o-u), das Udische bringt es allerdings auf acht Vokale. Auch die kartwelischen Sprachen haben fünf- oder sechsvokalige Systeme. Zusammenfassend: die westkaukasischen Sprachen sind vokalarm, die nachischen relativ vokalreich, alle anderen Gruppen bewegen sich im Mittelmaß. Zur kartwelischen Morphologie Die Nominalmorphologie des Kartwelischen ist sehr überschaubar, allerdings sind die syntaktischen Funktionen der einzelnen Fälle kompliziert. Die Nominalflexion arbeitet ausschließlich mit Suffixen. Die kartwelischen Sprachen haben mindestens sechs Fälle: Kasus

syntaktische Funktion

Absolutiv

Subjekt bei intransitiven, direktes Objekt bei transitiven Verben Subjekt bei transitiven Verben in einem Tempus der Aorist-Serie (s. unten) Possessivus indirektes Objekt; direktes Objekt bei transitivem Verb in der Präsens-Serie (s. unten) Trennung, Herkunft, Mittel Handlungsziel

Ergativ Genetiv Dativ-Akkusativ Ablativ-Instrumental Direktiv

Darüberhinaus gibt es etliche sekundäre Lokativ-Fälle. Die Kategorie Genus existiert im Kartwelischen nicht. Es gibt keine Artikel. Die folgende Tabelle 11 zeigt die Deklination von georgisch k'ac und mingrelisch k'o 'Mann': Tab 11

Kartwelische Nominalflexion

Kasus

Georgisch

Absolutiv Ergativ Dativ-Akkusativ Genetiv Instrumental Direktiv

k'ac-i k'ac-ma k'ac-s(a) k'ac-is(a) k'ac-it k'ac-ad(a)

Mingrelisch k'o -i k'o -k k'os k'o -iš k'o -it k'o -iša

Der Pluralmarker ist georgisch -eb- , lasisch -epe-, mingrelisch -ep- und swanisch -är-. Sie folgen dem Stamm und gehen den Kasussuffixen voraus. Beispiele

georg. mingrel.

k'ac-eb-ma k'o -ep-iš

Ergativ pl. von k'ac Genetiv pl. von k'o

Die Kartwelischen Sprachen sind Ergativsprachen wie das Baskische (vgl. 2.4), d.h. das Subjekt steht in unterschiedlichem Kasus - Absolutiv oder Ergativ - in Abhängigkeit davon, ob das Verb transitiv oder intransitiv ist. Gekoppelt daran sind auch verschiedene Fälle für die direkten Objekte. Im Georgischen und Swanischen wird die Lage dadurch kompliziert, dass die Ergativkonstruktion nur für Tempora aus einer bestimmten Gruppe, der sog. Aorist-Serie (s.u.) greift. Beispiele mit und ohne Ergativ (georgisch): (1) k'ac-i (Abs) midis der Mann geht (intransitiv) (2) k'ac-ma (Erg) mokla (Aorist) datv-i (Abs) der Mann tötete den Bären (transitiv, Aorist-Serie) (3) k'ac-i (Abs) klavs (Präsens) datv-s (Dativ-Akk.) der Mann tötet den Bären (transitiv, Präsens-Serie) Im scharfen Kontrast zur einfachen Nominalflexion steht die Komplexität des kartwelischen Verbums. Als Beispiel sei die Situation im Georgischen grob skizziert, um einen kleinen Eindruck von der Reichhaltigkeit der Verbalmorphologie zu vermitteln. Zunächst sind die Kategorien statisch-dynamisch und transitiv-intransitiv von Bedeutung. Alle statischen Verben sind intransitiv, dynamische Verben können sowohl transitiv als auch intransitiv sein. Die Tempora eines Verbums werden in drei Serien eingeordnet (georg. mc'krivi, engl. screeves): Serie I

Präsens-Futur-Serie mit den Tempora-Modi Präsens, Futur, Imperfekt, Konditional, Konjunktiv Präsens, Konjunktiv Futur

Serie II

Aorist-Serie mit Aorist, Optativ (Konjunktiv II)

Serie III

Perfekt-Serie mit Perfekt, Plusquamperfekt, Konjunktiv III

Bestimmte Vokale vor der Wurzel (i, u, a) präzisieren die 'Version' der Handlung: Ø-c'er-s i-c'er-s u-c'er-s a-c'er-s

er schreibt er schreibt für sich er schreibt etwas für ihn er schreibt über etwas

neutral (Nullmorphem) für sich selbst für einen dritten über etwas

Aspekt und Richtung der Handlung werden durch präverbale Marker präzisiert, z.B. a-, ga-, da-, gada-, mi- u.a. Konjugationsparadigma des Präsens von c'er 'schreiben' (me, šen u.s.w. sind die unabhängigen Personalpronomina):

1 2 3

Singular

Plural

me v-c'er 'ich schreibe' šen c'er is c'er-s

ven v-c'er-t tkven c'er-t isini c'er-en

Das georgische Verbalparadigma in der 3. Person Singular von c'er 'schreiben' mit den drei Tempus-Serien (statt da- können je nach Funktion auch andere präverbale Marker auftreten): Serie I

Präsens Futur Imperfekt Konditional Konjunktiv Präs. Konjunktiv Fut.

c'er-s da-c'er-s c'er-d-a da-c'er-d-a c'er-d-e-s da-c'er-d-e-s

Serie II

Aorist Optativ

da-c'er-a da-c'er-os

Serie III

Perfekt Plusquamperfekt Konjunktiv Perf.

da-u-c'er-i-a da-e-c'er-a da-e-c'er-os

Zur westkaukasischen Morphologie Auch die abchaso-adygischen Sprachen besitzen ein sehr komplexes Verbalsystem, während das Nominalsystem äußerst einfach ist. Im Abchasischen (und Abasinischen) gibt es gar keine, in den tscherkessischen Sprachen und dem Ubychischen nur zwei Fälle, nämlich den Absolutiv (Nominativ) und einen obliquen Kasus für alle anderen Funktionen einschließlich des Ergativs. Die Suffixe für Absolutiv und casus obliquus sind -r und -m im Tscherkessischen, -n und -Ø im Ubychischen. Im Abchasischen existiert ein Zweiklassensystem - personal und nicht-personal -, in das alle Substantive eingeteilt sind. Die Klassen haben Bedeutung für die Konjugation. (Vgl. das umfangreiche ostkaukasische Klassensystem.) Die Verbalbildung ist polysynthetisch, d.h. durch zahlreiche Erweiterungen eines Verbums können komplexe Sachverhalte durch die finite Verbalform ausgedrückt werden, das Verbum kann so für einen ganzen inhaltsreichen Satz stehen. Die meisten der zahlreichen Verbalkategorien werden durch Präfixe ausgedrückt, allerdings können Tempora und Modi auch durch Suffixe markiert werden. Wichtige Verbalkategorien sind: dynamisch-statisch, transitivintransitiv, Person, Numerus, Klasse (des Nomens), Tempus, Modus, Kausativ, Richtung der Handlung, Aktionsart (iterativ, semelfaktiv = einmalig, exzessiv, intensiv etc.), Komitativität (mit wem eine Handlung ausgeführt wird), Reflexivität, Reziprozität, Freiwilligkeit u.a. Die Präfixkette eines Verbums kann bis zu neun Morpheme enthalten. Ein abchasisches Beispiel verdeutlicht, wieviele personale Bezüge ein solch komplexes Verbum aufnehmen kann (Multipersonalität). Das Beispiel zeigt vier personale Bezüge und acht Präfixe: Abchasisch:

iuzdaas?rgan, gegliedert: i-u-z-d-aa-s?-r-g-an

'das-(Sache)-du-(Mann)-für-sie-hierher-ich werde machen-bringen', d.h. 'ich werde sie (pl.) dazu veranlassen, es für dich (männl.) hierher zu bringen'

Zur ostkaukasischen Morphologie Ein wichtiges Merkmal etlicher nacho-dagestanischer Sprachen sind die Nominalklassen, bei der (fast) sämtliche Substantive einer Sprache in verschiedene Klassen eingeteilt werden. Im Ostkaukasischen erfolgt diese Einteilung meist verdeckt, das heißt es gibt keine Klassenmarker am Substantiv, an denen man festmachen könnte, zu welcher Klasse es gehört. (Das ist z.B. bei den Bantu-Sprachen anders, vgl. Abschnitt x.y.) Die Klasse eines Substantivs hat unmittelbar Auswirkungen auf die Konstruktion zugehöriger Verbalformen und Attribute (Klassenkongruenz). Es gibt acht Klassen im Batsischen, sechs im Tschetschenischen, Inguschischen und Andi, fünf im Tschamalalischen, vier im Lakischen, drei im Awarischen und zwei im Tabassaranischen. In den anderen ostkaukasischen Sprachen ist die Klasseneinteilung nicht mehr vorhanden. Ein Beispiel aus dem Awarischen zeigt die Kongruenz zwischen Substantiv, Verb und Adverbiale bezüglich der Klasse: Awarisch:

emen w-a ana hani-w-e (Klassenmarker -w- für Männer) 'Vater ist-gekommen hierher' ebel j-a ana hani-j-e (Klassenmarker -j- für Frauen) 'Mutter ist-gekommen hierher'

Die acht Klassen des Batsischen sind in der folgenden Tabelle 12 aufgeführt (nach Holisky 1994). Dabei ist nur die Zugehörigkeit zu den ersten beiden Klassen (M männliche Personen, F weibliche Personen) aus der Bedeutung des Wortes vorhersagbar. Die Zugehörigkeit der anderen Substantive muss lexikalisch erfasst werden. Klassenmarker beim Verbum sind die worteinleitenden Präfixe j,v,b und d, die für Singular und Plural unterschiedlich ausfallen können. Tab 12

Klassen im Batsischen

Klasse

Marker sg. pl.

Beispiele

M

v

b

F

j

d

D J BD X Y Z

d j b b d b

d j d j j b

männliche Personen, z.B. dad 'Vater', mar 'Ehemann', voh 'Sohn' weibliche Personen, z.B. nan 'Mutter', pst'u 'Frau', ag 'Großmutter' bader 'Kind', k'uiti 'Katze', dok 'Herz', nek 'Messer' cark 'Zahn', maiqi 'Brot', q'ar 'Regen' phu 'Hund', korto 'Kopf', matx 'Sonne' 15 Substantive, alles Körperteile: bak 'Faust', kok' 'Bein' u.a. 4 Substantive: bat'r 'Lippe', lark' 'Ohr', t'ot 'hand', č'amağ 'Wange' 3 Substantive: borag 'geknüpfter Schuh', čekam 'Stiefel', kakam 'Wolle'

Beispiele: Batsische Verbalkonstruktion mit Klassenkongruenz (1) Intransitives Verb, Kongruenz mit dem Subjekt: vašo v-axen jašo j-axen bader d-axen phu b-axen

der Bruder ist gegangen (M-Klasse sg.) die Schwester ist gegangen (F-Klasse sg.) das Kind ist gegangen (D-Klasse) der Hund ist gegangen (BD-klasse sg.)

(2) Transitives Verbum, Kongruenz mit direktem Objekt: nanas vašo v-ik'en nanas jašo j-ik'en nanas bader d-ik'en nanas phu b-ik'en

Mutter nahm den Bruder Mutter nahm die Schwester Mutter nahm das kind Mutter nahm den Hund

Die Nominalflexion der ostkaukasischen Sprachen ist umfangreich mit bis zu 40 Kasus. Hauptfälle sind Nominativ (Absolutiv), Ergativ, Genitiv, Dativ-Akkusativ und diverse Lokative. Die Nomina haben für den Absolutiv einerseits und die anderen Fälle andererseits häufig verschiedene Stämme ausgebildet: awarisch batsisch

'Stein' 'Mond'

gamač (Absolutiv); but (Absolutiv);

ganč-i-ca (Ergativ) batav (Ergativ)

Die Verbalkategorien der ostkaukasischen Sprachen sind Klasse (des zugehörigen Nomens), Tempus-Modus, Genus, Person (1. und 2. Person). Die Klassenmarker sind Präfixe (siehe obige Beispiele), alle anderen Marker sind Suffixe.

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