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January 14, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Endokrinologie
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Klinische Pathophysiologie

Bearbeitet von Walter Siegenthaler, Hubert Erich Blum, Beatrice Amann-Vesti, Christian Arnold, Robert Bals, Felix Beuschlein, Michael Böhm, Ulrich Büttner, Rainer Düsing, Fikret Er, Michael Fromm, Steffen Gay, Michael Geißler, Roland Gärtner, Michael Hallek, Sigrid Harendza, Ulrich Hoffmann, Reinhard Hohlfeld, Dieter Häussinger, Lothar Kanz, Stefan Kaufmann, Michael Kindermann, Jürgen Kohlhase, Karl-Anton Kreuzer, Ulrich Laufs, Andreas Link, Michael Ludwig, Christoph Maack, Stephan Martin, Darius Moradpour, Ulf Müller-Ladner, Peter P. Nawroth, Christoph Neumann-Haefelin, Wolfgang H. Oertel, Oliver G. Opitz, Rolf Ostendorf, Ulf Panzer, Eberhard Passarge, Hans-Hartmut Peter, Werner J. Pichler, Martin Reincke, Werner O. Richter, Felix Rosenow, Tom Schaberg, Bruno Scheller-Clever, Karsten Schepelmann, Werner A. Scherbaum, Andre Schneider, Jochen Schopohl, Henning Schwacha, Abdul Nasser Semmo, Konstanze Spieth, Rolf A.K. Stahl, Peter Staib, Eggert Stockfleth, Christian Strasburger, Federico Tató, Rudolf Tauber, Friedrich Thaiss, Robert Thimme, Claus Franz Vogelmeier, Katja C. Weisel, Ulrich Wenzel, Walter Zidek, Reinhard Ziegler, Michael Zimmermann, Marek Zygmunt, Arnold von Eckardstein

überarbeitet 2006. Buch. 1232 S. Hardcover ISBN 978 3 13 449609 3 Format (B x L): 19,5 x 27 cm

Weitere Fachgebiete > Medizin > Sonstige Medizinische Fachgebiete > Pathologie, Cytopathologie, Histopathologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei

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Schilddrüse R. Gärtner und M. Reincke Frühere Bearbeitung: H. Gerber und H. Studer

11.1

Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie ... 271 Hormonsynthese und -transport ... 271

Die kleinste funktionelle Einheit: der Schilddrüsenfollikel ... 271 Hormonsynthese ... 271 Transport der Schilddrüsenhormone im Blut ... 273

Wirkung der Schilddrüsenhormone ... 274 Wirkung auf Sauerstoffverbrauch und Wärmeproduktion ... 274 Wirkung auf Wachstum und Entwicklung ... 274 Wirkung auf das Nervensystem ... 274 Wirkung am Muskel ... 275 Wirkung am Gastrointestinaltrakt ... 275 Wirkung auf Niere und Wasserhaushalt ... 275

Metabolismus der Schilddrüsenhormone ... 275

11.2

Spezielle Pathophysiologie ... 278 Die Struma (= der Kropf) ... 278

Diffuse Struma ... 278 Iodmangelstruma ... 279 Nodöse, benigne Struma ... 279 Schilddrüsenkarzinome ... 282

Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse ... 283 Subakute granulomatöse Thyreoiditis de Quervain ... 284 Fibrös invasive Thyreoiditis Riedel ... 285 Eitrige Thyreoiditis (akute Thyreoiditis) ... 285

Schilddrüsenfunktionsstörungen: Hyperthyreose ... 285 Autonomie ... 286 Immunogene Hyperthyreose (Morbus Basedow) ... 286 Seltenere Hyperthyreoseformen ... 286 Thyreostatische Medikamente ... 287

Schilddrüsenfunktionsstörungen: Hypothyreose ... 288

Laboruntersuchungen ... 276 Schilddrüsenhormone und TSH im Serum ... 276 Ergänzende Laboruntersuchungen ... 276

Bildgebende Verfahren ... 277 Szintigraphie ... 277 Ultraschall (Sonographie) ... 277

Siegenthaler, Blum, Klinische Pathophysiologie (ISBN 3134496097), 䊚 2006 Georg Thieme Verlag KG

11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

11.1

Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie Hormonsynthese und -transport

Die kleinste funktionelle Einheit: der Schilddrüsenfollikel Follikel. Die Schilddrüse setzt sich aus mikroskopisch kleinen Bläschen (Follikeln) zusammen, die umgeben sind mit einem feinen Netzwerk aus Blutkapillaren und Bindegewebe (basolaterale Membran). Die Follikel bestehen aus einem einschichtigen, polarisierten Epithel, gefüllt mit Kolloid. An der der basolateralen Membran zugewandten Seite der Thyreozyten sind die Rezeptoren für die spezifische Funktion und das Wachstum sowie den Substrattransport lokalisiert, an der apikalen Membran die Transport-und Enzymsysteme für die Schilddrüsenhormonsynthese, -speicherung und -sekretion (Abb. 11.1). Das Kolloid besteht im Wesentlichen

aus hoch konzentriertem Thyreoglobulin (Tg), dem Synthese- und Speicherprotein der Schilddrüsenhormone.

Hormonsynthese Schilddrüsenhormone. Schilddrüsenfollikel synthetisieren und sezernieren das Prohormon Thyroxin (T4) und das stoffwechselaktive 3,3',5-Triiodthyronin (T3) im Verhältnis von etwa 10 : 1. Durch Iodierung von Tyrosin im Tg-Molekül an der apikalen Zytoplasmamembran entstehen Monoiodtyrosin (MIT) und Diiodtyrosin (DI). Aus MIT + DIT wird T3 oder das biologisch inaktive „reverse 3,5,5'-T3“ (rT3, s. u.), aus DIT + DIT wird T4 gebildet (Abb. 11.2). Sie werden im TgMolekül synthetisiert und erst nach Aufnahme in den Thyreozyten durch lysosomale Enzyme freigesetzt. Bei

Abb. 11.1 Morphologie und Funktion der Follikelepithelzelle. Uniodiertes Thyreoglobulin (Tg) wird im rauen endoplasmatischen Retikulum (RER) synthetisiert, im GolgiApparat (G) glykosiliert und wird dann an der apikalen Zellmembran ins Kolloid abgegeben. Iodid wird über NIS entgegen einem Gradienten ins Zellinnere und dann an der apikalen Membran über Pendrin/ hAIT aktiv transportiert. Die Iodierung von Tyrosin am Tg und die Kopplung von MIT und DIT zu T3 und T4 erfolgen direkt an der apikalen Zellmembran, an der alle dafür notwendigen Enzyme, die TPO und die NADPH-Oxidasen ThOx1 und 2 verankert sind. TSH-abhängig wird Kolloid (iodierte Tg) pinozytiert. Nach Verschmelzung des Kolloidtröpfchens mit Lysosomen (Ly) werden durch saure Proteolyse T3 und T4 freigesetzt. T3 und T4 werden über einen bisher unbekannten Mechanismus sezerniert. B = Basalmembran, M = Mitochondrien, N = Nukleus, Mv = Mikrovilli, NIS = Natrium-Iodid-Symporter, hAIT = human apical iodide transporter, ThOx1/2 = NADPH-Oxidase 1 bzw. 2.

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Schilddrüse

ausreichender Iodversorgung überwiegt die T4-Synthese und -sekretion; T3 entsteht vorwiegend durch periphere Monodeiodierung des T4 in den einzelnen Organen (44, 75). Das von der Hypophyse gebildete Thyreotropin (TSH) reguliert die Iodaufnahme, Thyreoglobulin-und Schilddrüsenhormonsynthese sowie -sekretion. Das TSH wird durch Schilddrüsenhormon gehemmt (negativer Feed-back), wodurch die physiologische Hormonhomöostase gewährleistet wird. Natrium-Iodid-Symporter (NIS). Iodid wird über den Ionensymporter NIS zusammen mit Natrium entgegen einem elektrochemischen Gradienten von der Kapillare ins Innere der Thyreozyten aktiv und TSH-abhängig transportiert. Da Iodid immer zusammen mit Natrium transportiert wird, nennt man es den Natrium-IodidSymporter (9). Das NIS ist in der basolateralen Zytoplasmamembran lokalisiert (Abb. 11.1). ➤ Das über 20 kB große NIS-Gen ist auf Chromosom 19 p12-p13.2 lokalisiert, besteht aus 15 Exons und kodiert für eine mRNA von 3,9 kB (9). ➤ Das NIS-Protein umfasst 643 Aminosäuren, wird posttranslational mehrfach glykosiliert und in der SDS-PAGE als Glykoprotein von 70 – 80 kDA nachgewiesen (9, 12). ➤ NIS wird nicht nur in der Schilddrüse, sondern auch in vielen anderen Organen exprimiert so z. B. in den Speicheldrüsen, im Magen, im Epithel der Brustdrüse, im Kolon und im Ovar. In diesen Organen kommt es aber nicht zu der anschließenden Iodorganifizierung wie im Thyreozyten (15). Pendrin. Das für die Schilddrüsenhormonsynthese notwendige Iodid wird an der apikalen Zellmembran durch den apikalen Halogenidtransporter Pendrin oder hAIT

Abb. 11.2

(human apical iodide transporter) aktiv in das Follikellumen transportiert (44, 50). Der Iodidtransport ist natriumunabhängig, Pendrin kann aber auch Chlorid transportieren (daher der Name Halogenidtransporter), ist also nicht spezifisch für Iodid. ➤ Das Pendrin-Gen ist auf Chromosom 7 q22 – 31.1 lokalisiert, das Protein besteht aus 760 Aminosäuren und hat ein Molekulargewicht von 86 kDa. ➤ Es wird auch in der Cochlea exprimiert und ist dort infolge von Mutationen verantwortlich für das nichtsyndromische Pendred-Syndrom (33). Thyreoglobulin. Nur die Schilddrüsenzelle besitzt die Fähigkeit, Thyreoglobulin, ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 660.000, zu synthetisieren (18), und nur in der Schilddrüse ist die NIS mit der Thyreoglobulinsynthese und den Mechanismen der organischen Iodbindung an dieses Riesenmolekül gekoppelt (Abb. 11.1): ➤ Das rund 260 kB große Thyreoglobulin-Gen ist auf Chromosom 8 q24 lokalisiert, besteht überwiegend aus Introns – die über 40 Exons machen weniger als 2% in der 3'-Region und rund 10% in der 5'-Region aus – und kodiert für ein Protein von rund 2800 Aminosäuren (18). ➤ Die Expression von Thyreoglobulin-, Peroxidase(s. u.) und anderen Genen wird durch verschiedene Transkriptionsfaktoren gesteuert, die auch für die Entwicklung der Schilddrüse während der Embryonalphase wichtig sind, wie z. B. TTF1, TTF2 (thyroid transcription factor 1 und 2) und Pax 8 (18, 44). Thyreoperoxidase. Das an der apikalen Zellmembran verankerte Enzym Thyreoperoxidase (TPO) katalysiert die oxidative Iodierung der Tyrosinreste am Thyreoglobulin zu den Iodthyrosinen sowie die anschließende

Biosynthese der Schilddrüsenhormone (vgl. Abb. 11.1).

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11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

Koppelung zweier Iodtyrosine zu den Iodthyroninen (75) (Abb. 11.2): ➤ Das rund 150 kB große TPO-Gen ist auf Chromosom 2 pter-p12 lokalisiert, kodiert für 2 mRNA von 4,0 und 3,2 kB, die wiederum in 100 bzw. 107 kDa große Glykoproteine translatiert werden. ➤ Im aktiven Zentrum der TPO ist ein essenzieller Häm-Rest als prosthetische Gruppe lokalisiert, für die Synthese ist somit auch Eisen notwendig. Das aktive Zentrum kann beispielsweise durch gezielte Mutagenese oder Spontanmutationen inaktiviert werden. NADPH-abhängige Oxidase (ThOx). Die Breitstellung von H2O2 für die Oxidierung in Iodid geschieht mithilfe der an der apikalen Membran der Follikel vorhandenen NADPH-abhängigen ThOx, die erst kürzlich identifiziert wurde (8). Glutathionperoxidasen (GPx). Bisher sind 6 unterschiedliche GPx bekannt, die GPx3 ist an der Regulation der Schilddrüsenhormonsynthese beteiligt. Die GPx3 ist an der apikalen Zellmembran lokalisiert und reduziert H2O2. Unter TSH-Stimulation wird weniger GPx3 an der apikalen Membran exprimiert, was eine erhöhte Iodidoxidation ermöglicht, während in unstimulierten Follikeln mehr GPx3 exprimiert wird und somit die Iodoxidation verhindert werden kann (2). Da die Aktivität der GPx allein durch das mit der Nahrung zugeführte Selen reguliert wird, kann ein Selenmangel und damit eine verminderte GPx3-Aktivität die Thyreozyten oxidativ schädigen, mit der Folge einer erhöhten Mutationsrate der Thyreozyten (49) oder auch der Initiierung einer Autoimmunthyreoiditis (s. u.) (2, 28). Schilddrüsenhormonsekretion. Vor der Sekretion von Schilddrüsenhormonen müssen diese vom Tg abgespalten werden (Abb. 11.1): ➤ Der erste Schritt ist die Pinozytose von Kolloid, vermittelt durch sog. „coated vesicles“, endozytotische Membranvesikel, die sich an der apikalen Membran einstülpen. Im Zellinnern verschmelzen die Kolloidtröpfchen mit Lysosomen und bilden die sekundären Lysomen, in deren saurem Milieu die Hydrolyse des hormonhaltigen Tg stattfindet und sowohl MIT und DIT als auch Iodthyronine freigesetzt werden (18). ➤ Auf welchem Weg freies T3 und T4 aus dem Thyreozyten in die Blutkapillaren gelangt, ist bisher nicht bekannt. Es muss aber Schutzmechanismen geben, die verhindern, dass die Thyreozyten sie mit Hormonen überschwemmen, denn sie besitzen auch T3Rezeptoren (44). ➤ Wahrscheinlich werden auch MIT und DIT aus der Zelle ins Blut sezerniert, wo sie sehr rasch deiodiert werden. Der größte Teil der MIT- und DIT-Moleküle wird aber schon in der Schilddrüsenzelle deiodiert, und das Iod wird zur Neusynthese von Schilddrüsenhormonen verwendet (18).

Auch wird intaktes Tg wahrscheinlich durch Exozytose in die Schilddrüsenlymphe abgegeben und gelangt damit ins Blut (18).

Genetische Defekte und pharmakologische Effekte können jeden einzelnen der zahlreichen Schritte, angefangen vom Iodidtransport in die Schilddrüsenzellen bis hin zur Sekretion der fertigen Hormone in die Blutbahn, erschweren oder ganz blockieren (9, 15, 18, 33, 40). Die Konsequenz ist, wie beim schweren Iodmangel (s. u.), eine TSH-Erhöhung und Strumabildung.

Transport der Schilddrüsenhormone im Blut Transportproteine. Die beiden Schilddrüsenhormone T3 und T4 sind nicht wasserlöslich und deshalb im Blut zum größten Teil reversibel an 3 Transportproteine mit spezifischer Affinität zu T3 und T 4 gebunden (69): ➤ Thyroxinbindendes Globulin (TBG): TBG ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von etwa 50.000, das in der Leber synthetisiert wird. Die normale Konzentration beträgt 170 – 510 nmol/l und die biologische Halbwertszeit des TBG beträgt 5 Tage. ➤ Thyroxin bindendes Präalbumin (= Transthyretin, TTR), ➤ Albumin. Hormonbindung. Nur 0,3% des T4 und 0,3% des T3 zirkulieren als sog. freies T4 und freies T3 in nicht eiweißgebundener Form. Etwa 75% des T4 im Serum sind an TBG gebunden; kleinere Mengen wandern mit dem Transthyretin (15%) und mit dem Albumin (10%). Obwohl das Serumalbumin bei weitem die größte T4-Transport-Kapazität hat, ist biologisch das TBG weit wichtiger, weil seine Affinität zu den Schilddrüsenhormonen viel größer ist (69).

Normabweichungen der Transportproteinkonzentrationen. Sie führen zu entsprechenden Abweichungen der Serumspiegel von Gesamt-T4 und weniger auch von Gesamt-T3, nicht aber der freien Hormonspiegel (69). Durch angeborene oder erworbene Erhöhung oder Erniedrigung von TBG erhöht oder erniedrigt sich auch der Serumspiegel von Gesamt-T4 (s. u.). Daher sollten für die Diagnostik heute nur noch die freien Hormonspiegel bestimmt werden. Beispielsweise ist TBG im Serum erhöht bei: ➤ Schwangerschaft, Ovulationshemmereinnahme, ➤ akuten Lebererkrankungen, ➤ akuter intermittierender Porphyrie, ➤ Applikation von Östrogenen, Tamoxifen, Clofibrat, 5Fluorouracil, Heroin und Methadon. Es ist erniedrigt bei: ➤ nephrotischem Syndrom, ➤ Enteropathie mit Proteinverlust, ➤ Morbus Cushing, ➤ chronischen Lebererkrankungen, Applikation von Androgenen, Corticosteroiden und L-Asparaginase. Selten sind angeborene Anomalien von TBG, Transthyretin und Albumin (40).

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Schilddrüse

Hormontransport in die Zellen: Sowohl T4 als auch T3 werden über den MCT8 (monocarboxylate transporter 8) energieabhängig in die Zelle transportiert (23). Hohe Konzentrationen von MCT8-Protein werden im Gehirn, Leber, Niere und Herz exprimiert. Kürzlich konnte als Ursache eines Syndroms, charakterisiert durch psychomotorische Entwicklungsstörung und abnorm hohe Schilddrüsenhormonwerte, eine Mutation im MCT8Promoter nachgewiesen werden (17, 37).

Wirkung der Schilddrüsenhormone Konversion von T4 zu T3. T3 ist das stoffwechselaktive Schilddrüsenhormon, die Zellkerne haben nur T3-Rezeptoren. Das T4 wird intrazellulär zu T3 deiodiert, die einzelnen Organe sind somit in der Lage, den Hormonbedarf in gewissen Grenzen selbst zu regulieren (43, 51). Wirkung über T3-Rezeptoren. T3-Rezeptoren (TR; thyroid hormone receptors) gehören zur Großfamilie der Steroid-Schilddrüsenhormon-Rezeptoren, die u. a. auch Rezeptoren für Vitamin D und Retinsäure umfasst (1, 77). Es existieren verschiedene TR-Isoformen, namentlich TR-α1, TR-α2, TR-β1 und TR-β2, die je nach Gewebe unterschiedlich exprimiert werden. In der Ontogenese werden die TR-α schon in frühen Entwicklungsstadien exprimiert, während TR-β erst später erscheinen. In der Hypophyse werden z. B. mehr TR-β2 und -β1 als TR-α1 exprimiert, im Gehirn nur TR-α1 und -β1, im Herzmuskel mehr TR-α1 als -β2, in der Leber mehr TR-β1 als TRα1, in der Niere gleich viel von TR-α1 und -β1. Die T3Wirkung ist umso stärker, je mehr Rezeptoren exprimiert sind. Die TR interagieren nach Bindung von T3 mit spezifischen DNA-Sequenzen, den sog. TRE (TR response elements), aber auch verschiedenen Transkriptionsfaktoren und anderen Rezeptoren der o. g. Superfamilie (1, 40). Direkte Wirkungen. Zusätzlich zum nukleären Effekt via TR haben Schilddrüsenhormone aber auch zusätzliche, direkte Effekte z. B. auf den Energieumsatz der Mitochondrien, die Ca-ATPase der Zellmembran, den Glucosetransport bestimmter Zellen und auf die Typ-II-Thyroxin-5'-Deiodinase (5'DII s. u.) (1).

Wirkung auf Sauerstoffverbrauch und Wärmeproduktion Sauerstoffverbrauch. T3 vermehrt den O2-Konsum vieler, aber nicht aller Gewebe (1). Besonders empfindlich sind Herz, Muskel, Leber, Niere, Haut, während der O2-Verbrauch von Gehirn und Gonaden kaum auf T3 und T4 reagiert. Die Variabilität der T3-Empfindlichkeit kann erklären, warum sich leichtere Hypo- und Hyperthyreosen oft nur an einzelnen Organen auswirken. Wärmeproduktion. Die Schilddrüse ist eines der Erfolgsorgane, an denen die Efferenzen der hypothalamischen

Thermoregulationszentren über eine vermehrte TSHSekretion der Hypophyse zur Wirkung kommen. Erhöhte Wärmeproduktion ist eine typische T3-Wirkung, die Hyperthyreose geht mit Hyperthermie, die Hypothyreose mit Hypothermie einher. Auch zeigt der TSH-Spiegel typische, jahreszeitlich abhängige Schwankungen, er ist im Winter höher als im Sommer (68). Der erhöhte O2-Verbrauch und die vermehrte Thermogenese bei Hyperthyreose beruhen nicht, wie noch in den 50er Jahren vermutet, auf der Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung, sondern entstehen, weil die Schilddrüsenhormone die mitochondriale und nukleäre Genexpression beeinflussen. Typische Folgen sind die vermehrte Synthese von Na+-K+-ATPase mit vermehrtem transmembranösem Na+-Transport, vermehrter ADP-Bildung und dadurch gesteigerter mitochondrialer oxidativer Aktivität (1).

Wirkung auf Wachstum und Entwicklung Die schweren Störungen des Wachstums, die ein T3/T4Mangel bei vielen Säugetieren nach sich zieht, weckt die Assoziation an die Abhängigkeit der Amphibienmetamorphose von Schilddrüsenhormonen. Beim Menschen hat der T3/T 4-Mangel folgende Wirkungen: ➤ Knochenwachstum und Epiphysenschluss sind verzögert (60). ➤ In bestimmten kritischen Zeiten der embryonalen Entwicklung kann es zu irreversiblen Störungen der Gehirnreifung kommen, denn die Wirkung des NGF (nerve growth factor) ist abhängig von T3. ➤ Die Entwicklung anderer Organe wie z. B. der Lungen – besonders der für die Surfactant-Bildung zuständigen Alveolarepithelien Typ II – ist gestört. ➤ Der periphere Effekt und die Sekretion des Wachstumshormons sind gestört (1). Die beste klinische Illustration für die vielfältigen Wirkungen der Schilddrüsenhormone auf die Entwicklung bietet der Kretinismus, ein Krankheitsbild, das durch schweren Iod- und konsekutiven T3/T4-Mangel während der Fetalzeit verursacht wird und im klassischen Fall durch irreversible Intelligenzschwäche mit neurologischen Störungen, Taubstummheit, Gangstörungen und/oder Hypothyreose mit Kleinwuchs gekennzeichnet ist (1, 33). Der Kretinismus gehört in Ländern, in denen der Iodmangel behoben ist, der Vergangenheit an.

Wirkung auf das Nervensystem Obwohl der O2-Verbrauch des Gehirns kaum messbar von T3 und T4 beeinflusst wird, hängt die Funktion des ZNS in unbekannter Weise vom Angebot der Schilddrüsenhormone ab. Sowohl bei schwerem Mangel wie bei massivem Überangebot kann das Bewusstsein erlöschen (hypo- bzw. hyperthyreotes Koma). Ein T3-Mangel führt zu Apathie und „slow cerebration“, ein T3-Über-

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11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

angebot zu mannigfachen Formen der Übererregbarkeit. Schwere neurologische Ausfälle sind bei Hypothyreose beschrieben worden (1).

Wirkung am Muskel Skelettmuskulatur. Bei langdauernder, ausgeprägter Hyperthyreose kann das klinische Bild der schweren myasthenischen Muskelschwäche auftreten. Aber auch das Fehlen von T3 und T4 äußert sich am Muskel: Typisch sind besonders der verlangsamte Ablauf des Sehnenreflexes und beim Kind eine merkwürdige Form der muskulären Hypertrophie. Das Muskelenzym Kreatin-Phosphokinase ist bei Hypothyreose häufig im peripheren Blut erhöht (1). Myokard. Die Expression und damit Wirkung der βadrenergen Rezeptoren ist im Wesentlichen abhängig von den Schilddrüsenhormonen.

Die Wirkung der Schilddrüsenhormone auf die β-Rezeptoren erklärt nicht nur die bei einer Hyperthyreose immer bestehende Ruhetachykardie, sondern auch die Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern, sowie das gesteigerte Herzminutenvolumen und bei länger unbehandelter schwerer Hyperthyreose eine dilatative Kardiomyopathie bis hin zum hyperdynamischen Herzversagen. Die gesteigerte β-adrenerge Wirkung führt auch zur peripheren Vasodilatation, erniedrigtem diastolischem und erhöhtem systolischem Blutdruck und warmer Haut. Umgekehrt ist bei Hypothyreose die Pulsfrequenz verlangsamt, die Muskelkontraktion vermindert, der diastolische Blutdruck gesteigert und der systolische erniedrigt, und bei länger unbehandelter Hypothyreose kann sich eine biventrikuläre Herzinsuffizienz entwickeln (42).

Wirkung am Gastrointestinaltrakt Magen-Darm-Trakt. Schilddrüsenhormone induzieren eine beschleunigte intestinale Resorption von Kohlenhydraten, eine Steigerung der Glukoneogenese und Glykogensynthese sowie einen beschleunigten Kohlenhydratabbau und Glykogenolyse. Infolge einer Hyperthyreose kann eine latent diabetische Stoffwechsellage klinisch manifest werden. Insbesondere LDL-Cholesterin wird bei Hyperthyreose schneller, bei Hypothyreose langsamer abgebaut (19). Leber. Schilddrüsenhormone erhöhen den Sauerstoffverbrauch in den Mitochondrien mit der Folge einer Gewebshypoxie, die für die erhöhten Transaminasen bei Hyperthyreose verantwortlich gemacht wird. Spezifisch wird auch die Synthese des SHBG (Sexualhormon bindendes Globulin) gehemmt und ist bei Hypothyreose erhöht.

Wirkung auf Niere und Wasserhaushalt Durch die gesteigerte Na+-K+-ATPase-Aktivität (10) ist die Natrium- und Wasserretention bei Hyperthyreose erhöht. Die Calciumausscheidung ist infolge einer erhöhten GFR (glomeruläre Filtrationsrate) gesteigert, was zu einem Calciumverlust aus dem Knochen mit der Entwicklung einer Osteoporose führen kann.

Metabolismus der Schilddrüsenhormone Deiodasen. Der wichtigste Stoffwechselweg für Schilddrüsenhormone ist deren Aktivierung bzw. Inaktivierung durch 3 bisher bekannte und klonierte Selenoenzyme, die Deiodasen (43, 51). Die Typ-I-Deiodase (5'DI) deiodiert T4 zu T3 am phenolischen Ring in 5'-Position unter Bildung des stoffwechselaktiven T3. Es deiodiert aber auch das inerte rT3 in 5'-Position unter Bildung von 3,3'-T2. Die Typ-II-Deiodase (5 'DII) deiodiert ebenfalls T4 in Position 5', hat aber gegenüber 5'DI eine geringere Affinität zu rT3. Die Typ-III-5 Deiodase (5 DIII) deiodiert T4 und T3 am Tyrosyl-Ring unter Bildung der inerten Metabolite rT3 oder 3,3'-T2 beim Abbau von T3. Somit ist 5 DIII das wichtigste Enzym im Abbau sowohl von T4 als auch T3 . Die 5'DI ist vorwiegend in Leber, Niere, Schilddrüse und Hypophyse lokalisiert und wohl hauptsächlich für die Bildung des im Blut zirkulierenden T3 verantwortlich, wohingegen die 5'DII hauptsächlich für die lokale Bildung von T3 verantwortlich ist. ➤ Das 5'DI-Gen ist auf Chromosom 1 p31 – 32 lokalisiert, besteht aus 4 Exons und ist ca. 20 kB groß. ➤ Das 5'DII-Gen ist auf Chromosom 14 q24.3 lokalisiert und hat 2 Exons. Das Enzym besteht aus 3 Untereinheiten, einem p29-Protein, einer cAMP-responsiven Untereinheit und einer bisher unbekannten Untereinheit. ➤ Das 5 DIII-Gen ist auf Chromosom 14 q32 lokalisiert. Eine 2,1-kb-mRNA kodiert für ein 32-kDa-Protein. Über das Holoenzym ist noch wenig bekannt.

Niedrig-T3-Syndrom (low-T3-syndrome). Bei allen schweren Allgemeinerkrankungen, die mit einem katabolen Metabolismus einhergehen (z. B. schwere Infektionen, Tumorerkrankungen, schlecht eingestellter Diabetes mellitus), oder längerem Fasten fällt das T3 ab, während das rT3 ansteigt (3, 48, 53). Man spricht in diesen Fällen vom Niedrig-T3Syndrom oder Non-thyroidal-illness-Syndrome (NTIS) (43, 51). Es erklärt sich durch die schnelle Abnahme der 5' DI-Aktivität in der Leber. Dadurch wird der Energiestoffwechsel eingeschränkt, was offenbar physiologisch sinnvoll ist, denn eine Substitution mit T3 hat keine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf. In schweren Fällen ist auch TSH erniedrigt und die Laborkonstellation ist vergleichbar mit einer sekundären Hypothyreose (s. u.). Die TSH-Suppression wird durch Zytokine induziert (80).

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Schilddrüse

Medikamente. Der Metabolismus der Schilddrüsenhormone wird auch durch verschiedene Medikamente modifiziert (44, 51, 57): 1. durch Hemmung einzelner Deiodasen, z. B. durch Röntgenkontrastmittel, Amiodaron, Propylthiouracil, Propranolol oder hochdosierte Glucocorticoide; 2. durch hepatische Enzyminduktion, z. B. Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin.

Tabelle 11.1 Normalwerte von Schilddrüsenhormonen und TSH im Serum* Hormon

Normalwert (SI)

Normalwert (w/v)

Gesamt-T4 Freies T4 (FT4) Gesamt-T3 Freies T3 (FT3) TSH

58 – 160 nmol/l 9 – 23 pmol/l 1,2 – 2,7 nmol/l 3,5 – 7,7 pmol/l 0,3 – 4,0 mU/l

4,5 – 12,6 µg/dl 0,7 – 1,8 ng/dl 80 – 180 ng/dl 0,2 – 0,5 ng/dl

* sind geringfügig abhängig vom verwendeten Testsystem

Laboruntersuchungen Schilddrüsenhormone und TSH im Serum Der wichtigste Parameter für die Beurteilung der Schilddrüsenfunktion ist die Konzentration des hypophysären Hormons TSH im Serum, unter der Voraussetzung einer normalen Hypophysenfunktion (intakter hypohysärer Regelkreis) (13). Rationale hierfür ist die große Seltenheit hypophysärer (sekundärer) Störungen im Vergleich zu primären Störungen der Schilddrüsenfunktion. Sekundäre Störungen. Bei hypophysärer Insuffizienz (sekundäre Hypothyreose) oder dem Niedrig-T3-Syndrom bei Schwerstkranken ist TSH inadäquat normal oder erniedrigt bei niedrigen T4- und T3-Spiegeln. Bei sekundärer Hypothyreose können auch erhöhte TSH-Werte vorkommen, wobei das sezernierte TSH eine reduzierte biologische Wirkung hat. Bei sekundärer Hyperthyreose, z. B. durch ein TSH-produzierendes Adenom, sind T3 und T4 erhöht bei normalem oder erhöhtem TSH.

Diagnostik der Schilddrüsenfunktion. Ist TSH im Normbereich, liegt eine euthyreote Stoffwechsellage vor, nur bei pathologischen TSH-Werten ist die Messung von FT3 und FT4 erforderlich (13). Eine Erhöhung der TSH-Konzentration im Serum zeigt bereits eine drohende Unterfunktion der Schilddrüse an, auch wenn die FT3- und FT4-Konzentrationen noch innerhalb des Normbereiches liegen; man spricht dann von einer latenten oder „subklinischen“ Hypothyreose. Bei manifester Hypothyreose ist FT4 er-

Tabelle 11.2

niedrigt bei meist noch normalem FT3. Umgekehrt liegt bei supprimiertem TSH und noch normalen freien Hormonspiegel eine latente oder „subklinische“ Hyperthyreose vor, eine manifeste Hyperthyreose geht dann mit einem erhöhten FT3 (bei relativem Iodmangel) oder erhöhtem FT3 und FT4 einher (Tab. 11.1 u. 11.2). Ein TRH-Test zur genaueren Untersuchung eines intakten Regelkreises ist nur bei V. a. sekundäre Hypothyreose erforderlich, in Ausnahmefällen auch bei NTIS und dem V. a. eine Hyperthyreose. Immunoassays. Die immunometrischen Bestimmungsmethoden sowohl für TSH als auch die freien Hormone haben heute die früher ausschließlich verfügbaren Radioimmunoassays abgelöst; daher können TSH, FT3 und FT4 mit hoher Präzision in allen Routinelabors bestimmt werden (13).

Ergänzende Laboruntersuchungen Thyreoglobulin Der Thyreoglobulinnachweis dient als Parameter für noch vorhandenes Schilddrüsengewebe nach Thyreoidektomie wegen eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms und in der Tumornachsorge zum Nachweis bzw. Ausschluss eines Rezidivs oder von Metastasen. Thyreoglobulin ist aber kein „Tumormarker“, da es von allen differenzierten Schilddrüsenzellen freigesetzt wird, und hat bei benignen Schilddrüsenerkrankungen keinen diagnostischen Stellenwert (13).

Beurteilung der Schilddrüsenhormon- und TSH-Werte im Serum

FT4

FT3

TSH

Beurteilung

normal niedrig

normal niedrig

hoch hoch

niedrig

niedrig

niedrig

normal hoch normal hoch

normal hoch hoch hoch

niedrig niedrig niedrig hoch

präklinische (subklinische) Hypothyreose primäre Hypothyreose (meistens Zerstörung der Schilddrüse durch eine Immunthyreoiditis mit sekundärer Mehrsekretion von TSH) sekundäre Hypothyreose (Erkrankung der Hypophyse), oder bei NTIS (Non-thyroidalillness-Syndrom) präklinische (subklinische) Hyperthyreose klassische Hyperthyreose sog. „T3-Hyperthyreose“ (bei Iodmangel) T3-Rezeptor-Resistenz oder TSHom

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11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

Antikörper

Biologische Wirkung

Typisch für HashimotoMorbus Base- Thyreoiditis dow

TSH-Rezeptor-stimulierende Antikörper (TSI) TSH-Rezeptor-blockierende Antikörper (TBII) TSH-Rezeptor-bindende Antikörper (TRAK) TPO-Ak

Stimulation der Funktion

+



Hemmung der Funktion



(+)

Summe aller TSH-Rezeptor-Antikörper Zytotoxizität zusammen mit Komplement keine, Epiphänomen unklar

+

(+)

(+)

+

+ (+)

+ (+)

TgAk NIS-Ak

Schilddrüsenspezifische Autoantikörper Verschiedene schilddrüsenspezifische Autoantikörper können bei immunogenen Schilddrüsenerkrankungen (s. u.) im Serum nachgewiesen werden (13, 53) (Tab. 11.3). Diese können unterteilt werden in biologisch aktive und biologisch inaktive. Die TSH-RezeptorAntikörper (TSI) sind ursächlich für die Entstehung der immunogenen Hyperthyreose, aber auch der endokrinen Orbitopathie (Morbus Basedow) verantwortlich und für die Aktivität der Erkrankung diagnostisch bedeutsam (13, 31, 41, 53). Autoantikörper gegen TPO und Tg sind biologisch inaktiv und kommen bei allen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse vor (79).

Feinnadelpunktion Diese für den Patienten kaum belastende Methode stellt hohe Anforderungen an die Entnahmetechnik, insbesondere aber an den Zytologen. Um einen Strumaknoten zytologisch zu charakterisieren, ist die Probe, die bei einer durch Ultraschall gesteuerten Feinnadelbiopsie entnommen wird, am besten geeignet; sie hat aber abhängig von der Erfahrung der Untersucher nur eine Treffsicherheit von 70 – 90% (35, 56).

Bildgebende Verfahren Die hochauflösende Sonographie ist die beste Methode zur Bestimmung des Schilddrüsenvolumens und zum Nachweis von Knoten sowie entzündlichen Schilddrüsenerkrankungen und hat in den letzten Jahren die Szintigraphie an die zweite Stelle der bildgebenden Verfahren gerückt. Ohne Sonographie ist ein Szintigramm nicht eindeutig beurteilbar (36).

Szintigraphie Prinzip. Differenzierte Schilddrüsenzellen haben die besondere Eigenschaft, Iodid über den NIS aufzunehmen und zu organifizieren, NIS transportiert aber auch Technetium und dies er-

Tabelle 11.3 Verschiedenartige Schilddrüsenantikörper bei Morbus Basedow und Hashimoto-Thyreoiditis (53)

möglicht die bildliche zweidimensionale Darstellung von Schilddrüsengewebe mit Isotopen dieser beiden Substanzen (dem kurzlebigen I123 und dem Technetium-Isotop 99 mTc-Pertechnetat, beides reine γ-Strahler), aber auch eine gezielte Bestrahlung und Destruktion von Iod anreichernden Geweben mit dem langlebigen I131 (97% β-Strahler, 3% γ-Strahler) (55). Letzteres wird routinemäßig für die Therapie von funktionell aktiven Knoten (autonomen Adenomen) und differenzierten Schilddrüsenkarzinomen in der Klinik angewandt. 99 m Tc-Pertechnetat(Technetium-)Szintigraphie. Dies ist die Routinemethode zur Darstellung von Knotenstrumen. Man kann damit funktionell aktive Knoten bzw. Bezirke („heiße Knoten) von inaktiven („kalte Knoten“) unterscheiden. Die Menge des aufgenommenen 99 mTc ist proportional zur Aktivität der Knoten und invers zum Iodgehalt des Gewebes.

I123-Szintigraphie. Diese wird nur noch bei bestimmten Fragestellungen eingesetzt, z. B. wenn es darum geht, Iod-Organifizierungsdefekte nachzuweisen, oder bei großen retrosternalen Strumen oder dem V. a. ektopes Schilddrüsengewebe, da I123 ein stärkerer γ-Stahler als 99 m Tc ist (55). Nachteil der Szintigraphie. Mit szintigraphischen Methoden erhält man nur ein zweidimensionales Bild (Abb. 11.3), und Knoten, die kleiner als 1 cm sind, werden wegen der schlechten Auflösung nicht erfasst. Die enorme Heterogenität zwischen den einzelnen Follikeln kranker Schilddrüsen entgeht der Szintigraphie (70, 72) (Abb. 11.6).

Ultraschall (Sonographie) Bedeutung. Mit den heute zur Verfügung stehenden Geräten ist die dreidimensionale Abbildung der Schilddrüsenmorphologie mit hoher Detailauflösung möglich. Herdbefunde bis zu einem Durchmesser von 2 – 3 mm können damit erfasst werden. Wegen der Einfachheit der Durchführung und der fehlenden Belastung für den Patienten ist die Sonographie der Schilddrüse das wichtigste und beliebig oft wiederholbare bildgebende Ver-

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11

Schilddrüse

b

a Abb. 11.3 Euthyreoter Knotenkropf einer 69-jährigen Patientin. Das Szintigramm zeigt die heterogene Verteilung des 131I mit „kalten“ und „warmen“ Bezirken außerhalb und auch innerhalb der

fahren (36). Allerdings ist die Interpretation abhängig von der Erfahrung des Untersuchers und der Qualität der Geräte. Mithilfe der ultraschallgesteuerten Feinnadelpunktion lässt sich präziser die Zytologie auch aus kleineren Knoten gewinnen (56).

Prinzip. Schallwellen werden an der Grenzfläche von Medien unterschiedlicher Dichte reflektiert. Da die normale Schilddrüse aus kolloidgefüllten Bläschen (Follikeln) zusammengesetzt ist, erscheint die normale Schilddrüse sehr echoreich und homogen, während eine Schilddrüse mit lymphozytärer Infiltration und kleinen Follikeln (immunogene Hyperthyreose) echoarm erscheint. Bezirke oder Kno-

11.2

Knoten. Eine präzise Zuordnung zu histologischen Follikelstrukturen ist aber nicht möglich.

ten mit kleineren oder fehlenden Follikeln (z. B. Karzinom, Bindegewebe) sind echoarm, Zysten echofrei, Verkalkungen erzeugen eine Schallauslöschung. Das Volumen eines Schilddrüsenlappens oder auch Knotens kann nach der Formel eines Rotationsellipsoids berechnet werden (max. Länge (cm) · Breite (cm) · Tiefe (cm) · 0,5 = Volumen in ml). Duplexsonographie. Mithilfe der Duplexsonographie kann der Grad der Durchblutung der Schilddrüse und auch der einzelnen Knoten abgeschätzt werden. Erste größere Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich aus der Kombination des Ultraschallmusters und des Perfusionsgrades die Malignitätswahrscheinlichkeit eines Knotens besser abschätzen lässt (67).

Spezielle Pathophysiologie Die Struma (= der Kropf)

Eine Vergrößerung der Schilddrüse ist ein Symptom unterschiedlichster Ätiologie. Grundsätzlich unterscheidet man eine diffuse von einer nodösen Struma. Die bei weitem häufigste Ursache ist der Iodmangel. Die Iodmangelstruma ist die weltweit häufigste Erkrankung eines endokrinen Organs (27, 78).

Diffuse Struma Ursachen. Eine diffuse Struma entsteht entweder durch eine Hypertrophie (Größenzunahme der Thyreozyten und/oder des Follikelvolumens), eine Hyperplasie (Proliferation der Thyreozyten und des Bindegewebes) oder eine diffuse Infiltration des Organs mit Lymphozyten.

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