Krisengebiet Soldatenfamilie

February 18, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Nummer 44 · 2. November 2014

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HH 13

Thema: Militärseelsorge

Krisengebiet Soldatenfamilie

Wandel zur Einsatzarmee birgt private Konflikte für die Bürger in Uniform Von Marco Heinen

Auslandseinsätze der Bundeswehr stellen für die Frauen und Männer in Uniform eine hohe Belastung dar. Erst recht, wenn sie einen Partner oder eine eigene Familie zurücklassen. Die Militärseelsorge bietet Hilfe an, muss sich aber auch neuen Herausforderungen stellen. „Einsatz herrscht nicht nur in Kriegs- und Krisengebieten. Einsatz herrscht auch zu Hause, hinter verschlossenen Türen, und niemand weiß, wie schlimm es ist.“ Dieses Zitat ist auf den Internetseiten der Bundeswehr zu finden. Partnerinnen und Partner der Einsatzkräfte im Ausland waren aufgerufen, ihre Erfahrungen zu schildern. Eine Frau beschreibt folgende Situation: „Wir haben ferngesehen. Auf einmal waren in der Nachrichtenvorschau so viele Männer in Uniform, und da dachte ich mir schon: Irgendwas ist passiert. Dann sah ich den Beitrag, und plötzlich war alles anders. Bisher hatte mir mein Verlobter immer gesagt, alles sei ok, wie Urlaub. Doch jetzt bekam meine Vorstellung Risse. Ich stand weinend vorm Fernseher und dachte mir nur: Bitte mach, dass meiner da nicht dabei war! Bitte mach, dass es ihm gut geht!“ Es war jener Karfreitag 2010, als in Afghanistan drei deutsche Soldaten bei einem Anschlag ums Leben kamen. Und vor Ort am Hindukusch? „Tot. Das Unerwartete ist geschehen, bisher ging doch immer alles gut. In meinem und sicher nicht nur in meinem Bauch breitet sich eine lähmende Leere aus“, schrieb ein Oberstabsarzt in einem Brief

nach Deutschland, als 2009 der erste Kamerad fiel. Dann ist da noch der Alltag auf dem Stützpunkt: „Die Sterne glühen prächtig über der Steppe, und die Milchstraße fließt in die Unendlichkeit. Die Zikaden zirpen, und an die Skorpione denke ich gerade mal nicht“, schreibt ein Soldat. Ein anderer ist weniger begeistert: „Afghanistan, hier stinkt’s. Überall Sand und Staub, Trümmer und Wracks…, Afghanistan, hier gibt es schon lange keinen Gott mehr.“ Diese Zitate stammen aus dem preisgekrönten Buch „Feldpost: Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan.“

Bundeswehr und Familie: ein Widerspruch in sich? Es sind nur Schlaglichter, die diese Aussagen auf das Erleben deutscher Soldaten im Auslandseinsatz und die Situation ihrer Angehörigen daheim werfen. Die Frage nach dem Sinn von Kampfeinsätzen treibt Soldaten und ihre Angehörigen um. Manche Soldaten, manche Familien zerbrechen an den Folgen solcher Einsätze. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen weiß, dass der Beruf des Soldaten nicht eben ideal ist, wenn man eine Familie gründen will. Anfang des Jahres kündigte sie an, die Bundeswehr solle einer der attraktivsten Arbeitgeber im Land werden. „Das wichtigste Thema ist dabei die Vereinbarkeit von Dienst und Familie“, sagte sie und knüpfte damit an ein Dauerthema ihrer Vorgänger an. Teilzeit und Elternzeit schrieb sich die Ministerin ebenso auf die Fahne wie Lebensarbeitszeitkonten für die Soldaten. Und unter

der Überschrift „Balance Familie und Dienst“ wirbt die Bundeswehr im Internet: „Beruf und Familie schließen sich auch in der Bundeswehr nicht aus. Als familienfreundlicher Arbeitgeber unterstützt die Bundeswehr bei entsprechendem Bedarf eine altersgerechte und flexible Kinderbetreuung, abgestimmt auf die Dienstzeiten der Eltern. Auch wird die Möglichkeit zur Unterstützung bei der Pflege von Familienangehörigen angeboten.“ Doch haben Armeeangehörige die Chance, wie eine ganz normale Familie zu leben? Das kürzlich erschienene Fachbuch „Soldatenfamilien in Stress – Kriegseinsätze als Herausforderung für die Militärseelsorge mit den Familien“ des Flensburger Militärdekans Dr. Dr. Michael Gmelch und des Pastoraltheologen Prof. Dr. Richard Hartmann von der Theologischen Fakultät Fulda lässt daran Zweifel aufkommen. Denn tatsächlich geht es ja nicht allein um die drei, sechs oder noch mehr Monate im Einsatz. Bereits die Vorbereitung verlangt den Betroffenen sehr viel ab, weil die Soldaten an Seminaren und Lehrgängen an anderen Standorten teilnehmen müssen. Einen anderen Apsekt beschreibt Militärseelsorger Gmelch so: „Die Verflechtung zwischen Privatem und Militärischem bis hinein in die 1980er Jahre hat sich inzwischen aufgelöst. Die Bereitschaft von Ehepartnern und Kindern, bei jeder Versetzung nachzuziehen, ist massiv gesunken. Heute pendeln etwa 70 Prozent der Soldaten. Aufgrund der vielen Versetzungen und der stärkeren Einbindung der Frauen in den Arbeitsmarkt, sehr oft auch durch die Schul- und Ausbildungssituation der Kinder, wohnt die

Ein intaktes Familienleben ist für Soldaten nicht selbstverständlich.  Familie nicht mehr kasernennah.“ Kein Wunder also, dass überdurchschnittlich hohe Trennungsund Scheidungsraten längst ein zusätzliches „Berufsrisiko“ darstellen und kaum ein anderer Beruf so beziehungs- und familienfeindlich ist wie der der Soldaten.

Emotional schlecht auf den Einsatz vorbereitet Die ohnehin schwierige Ausgangssituation der Familien verschärft sich enorm, wenn die Gefahren, Zweifel und Ängste eines Auslandseinsatzes hinzukommen. Die Auswertung einer für das Buch vorgenommenen Befragung von rund 200 Soldaten und noch einmal so vielen Partnern, Angehörigen und Kindern, beschreibt eindrücklich, vor welchen Sorgen und Problemen diese Familien stehen. Es wird deutlich, wie emotional unvorbereitet viele Soldaten in einen Einsatz gehen. Die Umfrage belegt aber auch:

„Sehr viele Soldatenfamilien kennen das Angebot der Militärseelsorge für Einsatzfamilien nicht.“ Nicht zuletzt wird deutlich, wo die Militärseelsorge der großen Kirchen ansetzen muss, wenn sie ihre Aufgaben der Einsatzbegleitung und der Familienseelsorge an die geänderten Einsatzbedingungen unserer Armee anpassen will. So gibt es zwar viele Internetforen zum Thema Auslandseinsatz, doch eine kirchliche Seelsorge im Internet gibt es für die Soldaten laut Gmelch nicht. „Kirchliche Social-Media-Akteure brauchen nicht nur pastorales, sondern auch publizistisches Know-how“, konstatiert der Autor. Die Seelsorge sei dabei zu lernen, „das Gesamtpaket ‘Einsatz und Familie’ im Horizont der Gesellschaft und der Politik aufzuschnüren“, heißt es in einem der Beiträge. „Seelsorge kann und muss nicht auf alle Fragen Antworten geben. Sie muss allerdings den (sich stets verändernden) Fra-

Foto: Bundeswehr/Bienert

gehorizont kennen, in dem sie sich selbst situiert und in dem sich ihre Adressaten ja neu befinden“, so die selbstkritische Analyse. „Nur so wird sie in Zukunft von ihrer Zielgruppe angenommen und von Seiten des Militärs als hilfreicher Begleiter, kritisch-loyaler Partner und pastoraler ‘Dienstleister’ weiterhin wertgeschätzt werden.“

Zum Weiterlesen Michael Gmelch, Richard Hartmann (Hrsg.): Soldatenfamilien im Stress. Kriegseinsätze als Herausforderung für die Militärseelsorge mit den Familien. Fuldaer Hochschulschriften Bd. 56, Echter-Verlag Würzburg, 239 Seiten, 16,80 Euro Marc Baumann, Mauritius Much, Bastian Obermayer, Franziska Storz (Hrsg.) u.a.: Feldpost: Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan. Rowohlt-Verlag Reinbek, 208 Seiten, 17.95 Euro

„Eine alltagstaugliche Ethik ist gefragt“ Militärdekan Dr. Dr. Michael Gmelch erläutert, warum die Militärseelsorge ihre Angebote für die Soldaten und ihre Familien überdenken sollte Der Flensburger Militärdekan Michael Gmelch ist Autor und Mitherausgeber des Buches „Soldatenfamilien im Stress“. Er fordert eine Art „ethischen Akutservice“, damit Soldaten, Familien und Seelsorger bei neuen Krisen Argumente haben, warum ein Einsatz im Krisengebiet moralisch und ethisch vertretbar ist. Dekan Gmelch, rund 200 Soldaten und noch einmal so viele Familienangehörige haben sich an Ihrer Umfrage zum Spannungsfeld von Familie und Bundeswehr beteiligt. Ist das nicht ein Thema, das die Bundeswehr selbst aufarbeiten sollte? Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Anmerkung d. Red.: früher Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr) befragt Soldaten zu den verschiedensten Themen. Uns ging es darum, ein wichtiges Standbein der Militärseelsorge unter die Lupe zu nehmen. Ansprechpartner der Familien zu sein, lebenskundliche Unterrichte zu halten und die Soldaten auf Auslandseinsätzen zu begleiten, diese Aufgaben begründen die Legitimation der Militärseelsorge. Mit Blick auf die

Militärdekan Dr. Dr. Michael Gmelch.  Foto: Marco Heinen

Ich denke, dass es an der Zeit ist, sich von antiquierten Begriffen und Formen der Betreuung zu verabschieden. Coaching heißt für die Militärseelsorge, die tatsächlichen Probleme der Familien aufzunehmen und professionell zu lösen. Das können ethische Fragen zum Einsatz sein, aber auch Tabuthemen wie Sexualität und Treue, mit denen die durch einen Auslandseinsatz voneinander getrennten Paare umgehen müssen. Auch die Frage, wie viel zu Hause vom tatsächlichen Erleben im Einsatz erzählt wird, gehört dazu.

Familien heißt das: Was brauchen sie in einer gewandelten Gesellschaft und bei veränderten Einsatzbedingungen?

Bislang kommt die Militärseelsorge zumindest bei den von Ihnen befragten Soldaten und Familien nicht gut weg.

Und was sind die Bedürfnisse?

Das stimmt. Im Blick auf die Einsatzvorbereitung kommt die Militärseelsorge tatsächlich schlecht weg. Entweder wurde dazu am jeweiligen Standort nichts angeboten oder das Angebotene wurde als nicht hilfreich empfunden. Da gibt es dringenden Handlungsbedarf.

Es hat sich gezeigt, dass Soldaten und ihre Familien von der Kirche etwas annehmen würden, wenn das Angebot innovativ und hilfreich ist. Und das gilt auch für diejenigen, die sonst nichts mit Kirche am Hut haben. Statt Dinge anzubieten, die nicht wahrgenommen werden, sollten wir die Menschen fragen, was sie denn brauchen. Sie sprechen von Familiencoaching.

Woran hakt es? Bei der Vorbereitung auf Einsätze gibt es ganz starke strukturelle Hemmnisse. Die Soldaten, die in einen Einsatz gehen, sind vorher meist auf vielen Seminaren, die

quer durch die Republik stattfinden. Sie leben in der Regel auch nicht am Standort, wo die Militärseelsorger sind, sondern sind am Wochenende bei der Familie, die viele Kilometer entfernt lebt. Das ist ein Problem. Wir müssen überlegen, ob sich etwa durch Koordination der Militärpfarrämter ein Programm anbieten lässt, das die Soldaten und ihre Familien an ihren Wohnorten erreicht.

Das ist eine spannende Frage. Durch die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen werden Fragen aufgeworfen, zu denen die Antworten nicht in Lehrbüchern stehen. Man kann ethische Fragen nicht ein für alle Mal beantworten. Ich merke, dass ich als Theologe, Ethiker und Seelsorger genauso meine Fragen zu den Einsätzen habe wie die Soldaten. Ein Beispiel?

Inwieweit werden Auslandseinsätze hinterfragt? Die Frage nach dem Sinn eines Einsatzes wird oft gestellt. Die Akzeptanz von Auslandseinsätzen sinkt ja nicht nur in der Bevölkerung insgesamt. Manchmal herrscht darüber schon innerhalb einer Familie Uneinigkeit. Der Ehemann oder die Ehefrau ist nicht für oder gegen einen Einsatz, bloß weil die Partner miteinander verheiratet sind. Kinder wiederum müssen vor Schulkameraden Stellung beziehen und sich rechtfertigen: Dein Papa ist im Krieg. Schießt der da auch Leute tot? Auf solche und ähnliche Fragen müssen Kinder und Partner reagieren können. Fühlen Sie sich selbst gerüstet für solche Gespräche? Hält die Ethik, die Sie vertreten, solchen Fragen stand?

Ich sage mal so: Auslandseinsätze müssen stets neu begründet werden. Da sind zur Beurteilung manchmal Spezialkenntnisse gefordert, über die weder ich verfüge noch ein Soldat. Hinzu kommt: Was sagt die Politik, wie stellen sich die Parteien zu einem Einsatz und warum? Was bedeutet es für Soldaten, wenn sich nur eine knappe Mehrheit im Bundestag für einen Auslandseinsatz entscheidet? Was wir benötigen, ist so etwas wie einen „ethischen Akutservice“, eine Art Dienstleister, der aktuelle Problemstellungen sofort aufarbeitet und Informationen und Argumente bereitstellt. Ohne abstrakte philosophische Ausführungen, die Monate später als dickes Buch erscheinen, wenn der Konflikt längst beendet ist. Eine alltagstaugliche Ethik ist gefragt.

Wer könnte so etwas leisten?

Ich denke da zum Beispiel an das „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (Zebis)“ und das „Institut für Theologie und Frieden“ hier in Hamburg. Letztlich müssen die Soldaten und ihre Familien mit den Entscheidungen der Politik umgehen, aber auch mit ihrer eigenen Entscheidung, sich in den Dienst der Bundeswehr zu stellen. Sind die Soldaten in der Lage, das abzuschätzen?

Eine wichtige Frage, die sich Soldaten stellen müssen ist: Wenn es nicht gut geht, wenn Du stirbst oder einen Arm verlierst, war die Entscheidung für die Teilnahme am Auslandseinsatz dann immer noch richtig? Ist die Partnerin oder der Partner dann auch im Nachhinein noch dafür? Sagt der Soldat, dass es ihm das wert war? Kaum ein Soldat oder eine Soldatin hat darauf eine ethisch gut begründete Antwort.  Michael Gmelch (55) ist Dienststellenleiter des kath. Militärpfarramtes in Flensburg. Der Militärdekan hat in Theologie und Psychologie promoviert. 

Interview: Marco Heinen

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