Leseprobe - BUDDHISMUS aktuell

January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Religionswissenschaft, Buddhismus
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AUSGABE Juli, August, September

Gender

3 2015

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, Der Buddhismus hat sich in Asien in durchweg patriarchalen Gesellschaften entwickelt, und mit diesen kulturellen Prägungen ist er in den Westen gelangt. In unseren Begegnungen damit haben wir es mit diesem Erbe zu tun – in den Lehren wie in den Institutionen. Aber wir beziehen uns darauf auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Prägungen, zudem neigen wir dazu, unsere Präferenzen und Sichtweisen begeistert in anderen Kulturen oder spirituellen Traditionen „wiederzufinden“. Einem Freund zeigte ich ein gerade erschienenes englisches Buch über Frauen im Buddhismus. Er warf einen kurzen Blick darauf und sagte höflich: „Für Frauen ist das sicher ein wichtiges Buch.“ Dass es auch für ihn interessante Aspekte enthalten könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Bücher, in denen es schwerpunktmäßig um die weibliche Hälfte der Menschheit geht, gelten immer noch als Frauenbücher; solche, in denen nur oder fast nur die männliche Hälfte zu Wort kommt, aber keineswegs als Männerbücher. Sie stehen für das Allgemeine, sind Bücher über den Buddhismus oder einfach Dharma-Bücher. Noch immer spricht man im Zen vielfach von den ZenPatriarchen, auch wenn der japanische Begriff busso richtigerweise mit Buddha-Ahne zu übersetzen wäre und sich der „Patriarch“ einzig den Bemühungen christlicher Missionare verdankt, den Status der Buddha-Ahnen so auszudrücken, dass er sich für den christlichen Abendländer einordnen ließ. „Frauen können genauso gut wie Männer Erleuchtung erlangen“, heißt es oft, auch von westlichen Lehrenden, doch beinhaltet das „genauso gut“ nicht, dass Männer hier immer noch als Maßstab gelten? Eine der buddhistischen ethischen Richtlinien beinhaltet das Absehen von sexuellem Fehlverhalten. Einigen klassischen tibetisch-buddhistischen Schriften zufolge gehören dazu gleichgeschlechtliche Sexualität, wie auch – sogar bei verheirateten (heterosexuellen) Menschen – der Oral- und Analverkehr sowie die Masturbation. Zum Teil wird dies

auch von heutigen Lehrern noch vertreten. Warum sollte der Buddhismus hier auch anders werten als der Vatikan, mag man einwenden, wo gerade von dort die mehrheitliche Zustimmung der Iren zur Homo-Ehe als „Niederlage für die Menschheit“ bezeichnet wurde. Sexismus und Heterosexualität als soziale Norm sind sicherlich Bestandteile patriarchaler Religionen, aber sie gehören auch zu unserer westlichen Kultur. Und das, was einem zutiefst selbstverständlich geworden ist, nimmt man oft gar nicht mehr wahr als etwas, das auch ganz anders sein könnte. Dies wollen wir mit dem vorliegenden Heft zum Schwerpunkt „Gender“ ändern und einige der blinden Flecken sichtbar und durchlässiger machen. Der ursprünglich englische Begriff gender betont, im Unterschied zu sex, dass Geschlecht auch eine soziale Kategorie ist. Als Menschen sind wir vor allem soziale Wesen, und die Biologie ist, wie neuere Forschungen zeigen, weit weniger eindeutig als weithin angenommen. Auch in traditionellen Kulturen gab und gibt es sexuelle Mehrdeutigkeit, so bei den Hijras, die in Südostasien als Mitglieder eines „dritten Geschlechts“ angesehen werden; in Albanien, wo Frauen unter bestimmten Umständen als Männer leben, in Afghanistan, wo zum Teil Mädchen als Jungen aufgezogen werden. Normativität ist eine sehr moderne Erfindung und verdankt sich der Idee, dass der statistische Durchschnitt die Norm bestimmt. Verstehen wir Geschlecht als soziales Konstrukt, öffnet das den Blick auf Fragen von Macht und Hierarchie, von Deutungshoheit, aber auch von möglicher Freiheit – für Frauen und für Männer. Und in dieser Freiheit können wir uns in der Fülle unserer Lebendigkeit und in Wertschätzung begegnen – von Mensch zu Mensch, jenseits von begrenzenden Geschlechterkonstrukten, die bei genauer Betrachtung oft wie ein schlecht sitzender Anzug oder ein zu knapp geratenes Kleid wirken.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre und viele schöne, warme Sommertage Ihre Ursula Richard Chefredakteurin

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Inhalt

SCHWERPUNKTTHEMA

GENDER

Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union Buddhistische Religionsgemeinschaft Traditionsübergreifender Dachverband buddhistischer Gruppen in Deutschland Netzwerk buddhistischer Gemeinschaften

© Olivier Adam

© dharmarobert

Neutrale Auskunftsstelle

AKTUELL

7

Hilfe für Nepal Zusammengestellt von Traudel Reiß

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BuddhaGarten 2015 auf der Landesgartenschau Rheinland-Pfalz in Landau Von Anna Elisabeth Bach P O RT R Ä T

12 Vom Bauernkind zum Superstar Zum 80. Geburtstag S. H. des Dalai Lama

15 „Seine größte Erfüllung ist, anderen zu dienen“ Gespräch mit Christof Spitz, der seit über 20 Jahren für den Dalai Lama dolmetscht

17 „Sich um den Geist kümmern und nicht um die Religion“ Birgit Stratmann über S. H. den Dalai Lama

GENDER

19 Worte des Buddha Zusammengestellt und übersetzt von Alfred Weil

20 Wie das Festhalten an der Geschlechteridentität die Erleuchtung untergräbt Von Acharya Rita M. Gross

26 Geschlecht ist vor allem ein soziales Konstrukt Von Karmapa Ogyen Trinley Dorje

30 Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Mann … Von Sylvia Wetzel

33 Sprache und Geschlecht – oder gibt es nichts Wichtigeres? Von Ursula Richard

34 Und manche Leute mögen beides … Von Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche

52 Ruth Denison, Pionierin des Buddhismus im Westen Eine Würdigung von Frank Leder und Annabelle Zinser

64 Aus dem tibetischen Hochland ins Exil: Auf verschlungenen karmischen Wegen in ein Schweizer Pflegeheim Von Mirjam Lüpold

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46 Alles fließt Von Susanne Billig

59 Mannomann! Beobachtungen von Uwe Spille

62 Die fünf verborgenen Yoginis von Andrea Liebers

© www.tsoknyirinpoche.org

© Pasquale Vitiello

GESPRÄCHE

36 Buddhismus und lesbischfeministische Identität sind kein Widerspruch Mit Frauen des Netzwerks „Lesben und Buddhismus“

MAGAZIN

75 Nachrichten 96 DBU-Mitgliedsgemeinschaften 98 DBU-Rat | Impressum

40 Erleuchtung ist Intimität mit allen Dingen Mit der Zen-Lehrerin Diane Musho Hamilton

47 Es geht ums Mitgefühl

Mit dem buddhistischen Mönch Ajahn Brahm

60 Mit Geduld und Verständnis ist vieles möglich Mit Bhante Analayo

WA S U N S N Ä H RT

Vorschau Buddhismus aktuell 4|15 66 Vom Teilen Von Marietta Schürholz E LT E R N S E I T E

68 Haushälters Schweigen Von Uwe Spille A U S D E R W E LT D E R M E D I E N

69 Buchrezensionen

HANDELN / NICHT-HANDELN

Niko Paech über die Dosis, die das Gift macht Roshi Pat Enkyo O‘Hara über Handeln aus innerer Verbundenheit heraus

Matthieu Ricard über Altruismus und Glück Wilfried Reuter über den richtigen Zeitpunkt, zu handeln und nicht zu handeln Auch an ausgewählten Kiosken und fast überall im Bahnhofsbuchhandel erhältlich! Abo-Bestellungen: [email protected]; Einzelheft, Print und Digital, sowie Probeheft: [email protected] (siehe Impressum S.98)

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— PORTRÄT —

80.

ZUM GEBURTSTAG S. H. DES XIV. DALAI LAMA

VOM BAUERNKIND ZUM

SUPERSTAR

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FOTOS: OLIVIER ADAM

— PORTRÄT —

80.

ZUM GEBURTSTAG S. H. DES XIV. DALAI LAMA

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er heute weltbekannteste Buddhist und Tibeter, der XIV. Dalai Lama Tenzin Gyatso, wurde am fünften Tag des fünften Monats im weiblichen Holz-Schwein-Jahr (entsprechend am 6. Juli 1935) als Sohn einfacher Bauern in Taktser in Amdo (Nordosttibet) geboren. Sein Geburtsname war Lhamo Dhöndup (wunscherfüllende Göttin). Dass Jungen Mädchennamen bekommen, war in jenem Teil Tibets nicht unüblich. Seine Mutter, Dekyi Tsering (1900–1981), die der Dalai Lama immer als eine der gütigsten Personen in seinem Leben bezeichnet, hat 16 Kinder zur Welt gebracht, von denen neun jung starben. Seinen Vater, Chökyong Tsering (1899–1947), hat der Dalai Lama als jähzornig beschrieben. Über ihn wissen wir sonst wenig. Feststeht, dass er jung starb, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem „Staatsstreich“ vom Frühjahr 1947. Um das Gleichgewicht der Machtverhältnisse unter den Elitenfamilien aufrechtzuerhalten, wurden früher in Tibet die Verwandten eines lebenden Dalai Lama von öffentlichen Ämtern bewusst ausgeschlossen. Mangels geeigneter Führungskräfte im Exil bekleideten Angehörige des XIV. Dalai Lama, so auch die meisten seiner sechs Geschwister, jedoch öffentliche und auch Regierungsämter.

war den neuen „Herren“ Tibets gar nicht genehm, denn aus ideologischen Gründen beanspruchten sie für sich das alleinige Recht zur Durchführung von Reformen. Im Winter 1949 fiel die Volksbefreiungsarmee in Amdo ein, im Oktober 1950 dann in Kham. Anschließend wurde Tibet 1951 das „17-Punkte-Abkommen zur Friedlichen Befreiung“ aufgezwungen. Vorerst existierten das traditionelle und das kommunistische System parallel nebeneinander. Der junge Dalai Lama schloss seine religiöse Ausbildung ab und verteidigte während des Großen Mönlam-Festes im Frühjahr 1959 erfolgreich öffentlich seine Geshe-Prüfung. Als die chinesische Militärkommandantur ihn ohne seine bewaffnete Leibgarde zu einer chinesischen Theateraufführung einlud, löste diese Nachricht Panik in der Bevölkerung aus. Am 10. März 1959 brach ein Volksaufstand aus. Am 17. März verließ der Dalai Lama dann mit seinem Gefolge das Land in Richtung Indien. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes war das alte Tibet schon Ende März nur noch Geschichte. So schmerzhaft dies für die Tibeter gewesen sein mag, bot es doch eine Gelegenheit, die tibetische Gesellschaft zu erneuern. Weil dem größeren Teil der konservativen Kräfte entweder die Flucht nach Indien nicht gelang oder sie sich freiwillig für eine 1939, im Alter von 4 Jahren in Zusammenarbeit mit China entschieden, Kumbum, Amdo, Tibet Nach dem Tod des XIII. Dalai Lama kam der konnte der aufgeschlossene junge Dalai Regent Reting Rinpoche nach zahlreichen Visionen und Deu- Lama nun nach dem Zerfall der alten Ordnung seine Vision tungen zu dem Schluß, dass die Reinkarnation in Nordostti- eines modernen Tibets im indischen Exil verwirklichen. Klug bet zu suchen sei. Eine Suchkommission traf in Taktser den und entschlossen nutzte er die Gunst der Stunde, um die tibeJungen und war sofort davon überzeugt, dass er später als tische Gesellschaft zu demokratisieren. 2011 war es dann die gesuchte Reinkarnation anerkannt werden würde. Schon soweit. Dr. Lobsang Sangay wurde durch allgemeine Wahl damals, in den 1930er-Jahren, stand die Heimat des gegen- zum Sikyong, dem Premierminister der Tibetischen Zentralwärtigen Dalai Lama unter der Herrschaft eines chinesi- verwaltung, gewählt und der Dalai Lama übertrug ihm vollschen Militärmachthabers, und das Ergebnis der Suche blieb ständig die politische Verantwortung. nicht unentdeckt. Erst nach Zahlung von 300 000 SilberDollar konnte Lhamo Dhöndup 1939 nach Lhasa ziehen. Die Lebensaufgabe des Dalai Lama lässt sich in drei VerNach seiner Inthronisierung als XIV. Dalai Lama unter dem pflichtungen zusammenfassen: Als Mensch fördert er eine Namen Tenzin Gyatso führte er ein Leben nur unter Erwach- säkulare Ethik oder menschliche Werte wie Mitgefühl, Vergesenen; abgeschieden und streng erzogen absolvierte er das bung, Toleranz, Zufriedenheit und Selbstdisziplin; als budtraditionelle Studium. dhistischer Mönch fördert er Harmonie und Verständnis Angesichts der Drohung seitens der eben ausgerufenen unter den großen Weltreligionen sowie den Dialog zwischen Volksrepublik China, Tibet ins „Mutterland“ zurückzuholen, Wissenschaft und Religion; und als Dalai Lama setzt er sich musste der minderjährige Dalai Lama 1950 frühzeitig die für das Anliegen Tibets und des tibetischen Volkes sowie für Regierungsgeschäfte übernehmen. Als Erstes setzte er eine den Erhalt der tibetisch-buddhistischen Kultur ein, eine KulKommission ein, die eine Reihe von Reformen einleitete. Das tur des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Die Maxime der

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— GENDER —

GESCHLECHT IST VOR ALLEM EIN SOZIALES KONSTRUKT Das Geschlecht formt zutiefst unsere Erfahrungen und unser Selbstbild. Aber es ist ein Konstrukt, so der Karmapa Ogyen Trinley Dorje, ein Produkt unseres Geistes. Wir sollten uns dadurch nicht beschränken lassen.

„Für mich zählt die Fähigkeit, vom Herzen her zu sprechen und sanft und fürsorglich zu sein. Ob sie als männlich oder weiblich kategorisiert wird, interessiert mich nicht.“

© pixabay.com | qiye

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eschlechteridentitäten durchdringen so viele unserer Erfahrungen, und man könnte leicht vergessen, dass es sich nur um Vorstellungen handelt − Vorstellungen, um Menschen zu kategorisieren. Männlich und weiblich werden oft wie Kategorien mit ewiger Gültigkeit eingesetzt. Doch das sind sie nicht. Sie besitzen keine objektive Realität. Geschlecht ist ein Konzept und daher ein Produkt unseres Geistes − es hat keine absolute und vom Geist, der es erdacht hat, unabhängige Existenz. Geschlechteridentitäten haben keine inhärente, aus sich selbst heraus existierende Wirklichkeit. Nichtsdestotrotz formt das Geschlecht unsere Erfahrungen und unser Selbstbild. Wir konstruieren unterschiedliche Identitäten für Mann und Frau und halten an ihnen fest. Obwohl sie keine objektive Realität besitzen, haben unsere Geschlechteridentitäten Konsequenzen für unseren Platz in der Gesellschaft. Sie beeinflussen, wie viel Lohn wir für eine Arbeit bekommen und welche Rolle wir zu Hause in der Familie spielen. Sie nehmen Einfluss darauf, welche Aspekte unserer Persönlichkeit wir gern ausdrücken und welche nicht. Sie können die Kleidung bestimmen, die wir tragen, und sie haben Konsequenzen für unsere Beziehung zu unserem eigenen Körper. Die Gesellschaft nimmt die Unterscheidung von männlich und weiblich sehr ernst. Ganze Industrien verstär-

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