Lutz Hübner | Mitarbeit Sarah Nemitz

February 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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Frau Müller Lutz Hübner | Mitarbeit Sarah Nemitz

muss weg

„Mehr kann man von einer Lehrerin nicht erwarten.“

Jessica in „Frau Müller muss weg“

Premiere 06. Dezember 2013, 20.00 Uhr Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele

Frau Müller muss weg

Komödie von Lutz Hübner, Mitarbeit Sarah Nemitz Patrick Jeskow, Ingenieur Uwe Zerwer

Marina Jeskow, Übersetzerin Karin Klein

Katja Grabowki, Museumspädagogin Gabriele Drechsel

Jessica Höfel, Verwaltungsbeamtin Christina Kühnreich Wolf Heider, Ex-Fernmeldetechniker Andreas Vögler Sabine Müller, Grundschullehrerin Stephanie Theiß Regie Judith Kuhnert

Bühne Judith Kuhnert | Nora Johanna Gromer Kostüme Veronika Sophia Bischoff Dramaturgie Caroline Zacheiß

Regieassistenz Carola Schiefke Soufflage Sigrid Schütrumpf

Abendspielleitung Judith Kunert

Regiehospitanz Matthias Thorner

Technische Einrichtung Mandy Mielitz | Dirk Wiegleb Produktionsassistenz Sonia Thorner-Vela

Beleuchtungs- und tontechnische Einrichtung Mandy Mielitz |

Nils Rogge | Dirk Wiegleb

Veranstaltungstechnik Stephan Tschunt | Hüseyin Uygun

Requisiteneinrichtung Mitarbeiter der Requisite Kleines Haus Aufführungsrechte Hartmann & Stauffacher GmbH

Uraufführung 22. Januar 2010, Staatsschauspiel Dresden Aufführungsdauer etwa 70 Minuten, keine Pause

Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet. Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon vor der Vorstellung aus.

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Karin Klein, Andreas Vögler, Christina Kühnreich, Uwe Zerwer

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„Bei Kindern hört der Spaß auf “

Bei Kindern hört der Spaß auf. Da zeigt sich, wie solidarisch eine Gesellschaft wirklich ist und wie sie mit Erfolg und Niederlagen umgeht. Da werden keine Gefangenen gemacht und keine Konzessionen. Denn die Aufzucht von Kindern beschränkt sich nicht auf satt und sauber plus Erziehung. Eltern warten nicht lächelnd mit Milchschnitten in der Hand auf der sonnigen Terrasse, bis ihre Sprösslinge vom Toben kommen, Eltern leben vom Tag der Geburt an in ständiger Angst. Vor plötzlichem Kindstod, Fenstersturz, Kapuzenkordeln und Rechtsabbiegern verlagern sich die Ängste über die Jahre ins Soziale. Wird mein Kind tyrannisiert? Ist es ein Tyrann? Zu stur, zu nachgiebig? Ist mein süßer Fratz ein still vor sich hinbastelnder Autist oder der Schrecken der Kita? Spätestens mit Beginn der Schulzeit werden die Ängste konkreter, ohne dabei aber an emotionaler Wucht zu verlieren. Jetzt beginnt das Rattenrennen um die Poleposition für den Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Ein natürlicher Pessimismus paart sich mit der unverrückbaren Überzeugung, ein besonderes Kind zu haben. Das ist normal, das muss so sein. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so, spätestens mit dem ersten Zeugnis werden alle erzieherischen Ideale über Bord geworfen, falls das Ergebnis nicht mit den eignen Erwartungen übereinstimmt. Die Drei in Mathematik hat nichts damit zu tun, dass das eigene Kind ein Spätzünder ist, faul, unkonzentriert oder einfach mathematisch unbegabt (obwohl man dunkel ahnt, dass es daran liegen könnte). Nein! Es ist ein Angriff, eine n ­ arzisstische Kränkung oder ein Zusammenspiel von Schicksalsmächten, die bei der Notenvergabe nicht berücksichtigt wurden. Die Grundhaltung dem Lehrerkollegium gegenüber ist latente Empörung und beständige Alarmbereitschaft wegen drohender Kabalen, pädagogischer Kardinalfehler, untragbarer Bedingungen und natürlich beschränkter, zickiger, boshafter, verzogener und verwahrloster Mitschüler. Diese Probleme lösen sich natürlich in Luft auf, sobald die erwünschte Note erreicht wird.

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Richtig Schwung bekommen diese Verschwörungstheorien, wenn es um die weiterführende Schule geht. Wer den falschen Schultypus erwischt, kann einpacken, ist aussortiert und kommt nicht mehr hoch. Zehnjährige, die noch an den Weihnachtsmann glauben, finden sich auf einer Schulbank mit Kindern, die von der Polizei aus dem Unterricht geholt werden. Höhere Töchter nennen ihre Klavierlehrerin eine verfickte Hure, und Jungs, die eigentlich die Kanzlei ihres Vaters übernehmen sollten, schmeißen mit Schuhen, wenn sie ihren Nintendo ausschalten sollen. Das ist der Albtraum aller Eltern, und dagegen wird gekämpft, mit allen Mitteln, über und auch gerne unter der Gürtellinie. Sachlichkeit und Objektivität spielen keine Rolle, es geht schließlich um alles: um das eigene Kind. Ein moderner neuer Mensch soll aus ihm werden, flexibel, kommunikativ, immer lernbereit, teamfähig, kreativ und durchsetzungsfähig. Kein Mensch weiß, wie man diesen Übermenschen heranzüchten soll. Weder die Schulen noch die Eltern. Die Schulen arbeiten weiterhin nach Prinzipien, die einer untergegangenen Arbeitswirklichkeit verpflichtet sind, und die Eltern, die das Produkt ebenjener versunkenen Zeit sind, haben nur diffuse Vorstellungen davon, wie ihr Kind optimal vorbereitet in diese bedrohliche neue Welt eintreten soll. Also muss das Kind auf alles vorbereitet sein. Das Kind wird zum Versuchskaninchen, man schreitet nicht mehr mit gusseisernem Wertekanon zur hohen Erziehungsaufgabe, man dreht hier an einer Schraube und da an einem Rädchen und sieht angstvoll zu, was dabei herauskommt. Deshalb geht es bei Elternabenden ans Eingemachte. Wann trägt man sonst außerhalb von Familie und Freundeskreis einen existenziellen Konflikt aus?

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Einen richtigen Konflikt, keine berufliche Meinungsverschiedenheit oder anderen Kokolores. Nein, einen Konflikt, der einen nächtelang wach gehalten hat, wo man in ohnmächtiger Wut frühmorgens vor dem Kühlschrank Volksreden konzipiert, Rachefantasien hat und Panikattacken. Und dann sitzen alle zusammen im Klassenzimmer und vorne steht der Feind. Jetzt könnte man alles loswerden, jetzt muss man zeigen, dass man seine Brut mit Zähnen und Klauen verteidigen kann, man hat so große Töne gespuckt. An Elternabenden kämpfen nicht nur Eltern um ihre Kinder, sondern auch immer die Eltern für sich selbst. Ein Scheißjob, aber, das sollte man nichtvergessen: Frau Müller muss weg! Lutz Hübner

Stephanie Theiß, Christina Kühnreich, Karin Klein

Stephanie Theiß, Karin Klein, Uwe Zerwer, Andreas Vögler, Gabriele Drechsel, Christina Kühnreich

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Schule kann mehr

Gibt es die optimale Schule? Natürlich nicht! Eine optimale Schule wäre eine Schule, die von jedem Lehrer und jedem Schüler als perfekt ­empfunden wird. Das ist nicht möglich. Was also wäre eine gute Schule? Und wie können wir unsere Schulen besser machen? Das Leistungsniveau steigern, bedeutet vor allem eines: nicht schneller lernen und nicht mehr Schulstoff, sondern langsamer lernen, tiefer, eindringlicher, und in jenen Wissensgebieten, die dafür geeignet sind, individueller.

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Trainiert die Konzentration

Man stelle sich also eine Schule vor, bei der unsere Kinder und Jugendlichen von den 100 Prozent Wissensstoff ein paar Jahre später mehr als nur ein Prozent in Erinnerung haben. Eine Schule, in der man so lernt, dass man statt loser Brocken und toter Phrasen Zusammenhänge behält. Es geht um ein höheres Bildungsniveau!

Je mehr es in der Welt unserer Kinder und Jugendlichen „Piept, ploppt, twittert und livetickert“ (Die Zeit), umso wichtiger wird es, die Kunst zu beherrschen, sich vor solchem Aufmerksamkeitsraub zu schützen. Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden heranwachsende Gehirne von so vielen Reizen bestürmt und überflutet wie heute. Dass viele Kinder damit so überfordert sind, dass sie die Fähigkeit verlieren, sich dem zu entziehen, darf nicht verwundern. Sie verlernen, Nein zu sagen und länger bei einer Sache zu bleiben. Und je mehr Elternhäuser hier versagen oder aufgeben, umso wichtiger wird die Aufgabe der Schule, für Konzentration und Stille zu sorgen. Dringend erforderlich ist ein Training, das vom ersten Schuljahr an unseren Kindern hilft, sich zu sammeln, zur Ruhe zu kommen, ihr eigenes Tun zu reflektieren, sich selbst besser zu verstehen.

Verschönert die Lernorte

Schafft die Noten ab

Die meisten Schulgebäude erinnern heute an Krankenhäuser, Finanzämter oder Kasernen. Lange, fantasieverlassene Flure, von denen in Reih und Glied die Zimmer abgehen. Als man solche Schulen baute, wusste man nahezu nichts über das Lernen und fast ebenso wenig über die Psychologie von Kindern. Vorbild waren die Verwaltung und das Militär. Eine moderne Schule dagegen orientiert ihre Architektur an den Bedürfnissen lernender Menschen. Die Unterteilung der Schule in Lernhäuser beinhaltet, dass die Schularchitektur dezentral ausgerichtet ist, organisiert rund um einen Campus als Mittelpunkt. Sie schafft Nischen und Rückzugsorte, aber auch Begegnungsräume. Eine moderne Schule ist keine Verwaltungseinheit, sondern bildet die Wissensgesellschaft ab. Sie ist ein Netzwerk an architektonischen Beziehungen.

Die Bewertung nach Ziffern wird der Persönlichkeit unserer Kinder nicht gerecht. Das Notensystem stammt aus einer psychologisch und pädagogisch uninformierten Epoche. Es dient der Selektion, korrumpiert die Schüler und gehört definitiv nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Hat der Schüler an Motivation zugelegt? Ist er interessierter geworden? Hat er gelernt, mit einem Misserfolg besser umzugehen? Wie viele neue Ideen hat er entwickelt? All diese Fragen lassen sich nicht durch ein Dokument mit Ziffern beantworten. Es ist deshalb höchste Zeit, die Notenzeugnisse zu ersetzen. An ihre Stelle sollte ein sorgsames, auf die Individualität des Kindes bezogenes Monitoring treten. Statt Zensuren zu vergeben, sollten Lehrer schriftliche Beurteilungen verfassen über den Lern- und Entwicklungsweg ihrer Schüler, über ihr Können und ihre Persönlichkeit. Die organisatorischen Strukturen einer solchen Zukunftsschule sehen wie folgt aus: Eine gemeinsame Schule für alle bis einschließlich des zehnten Schuljahrs. Eine Auflösung der Jahrgangsklassen nach dem vierten oder sechsten Schuljahr. Ein Abenteuerprojekt-

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jahr im achten Schuljahr. Eine Trennung nach dem zehnten Schuljahr in die gymnasiale Oberstufe oder in eine Lehre mit weiterer schulischer Begleitung. Und eine eigene Berufsförderschule mit Lehre für diejenigen, die den Anforderungen des zehnten Schuljahres nicht gerecht wurden, mit dem Ziel, den gleichen Abschluss auf diese Weise zu schaffen. Auch auf Lehrpläne, die auf amtliche Vorschriften, wie Schulen ihr Kollegium zusammenstellen oder wie sie ihre Lehrer befördern (wenn möglich, nicht nach Dienstjahren, wird man in der neuen Schule verzichten können). Natürlich wird es Einwände geben: von Pädagogikprofessoren, Bildungspolitikern und Journalisten. Man sollte die Debatte doch bitte „unaufgeregter“ führen, „weil es doch sonst nichts bringt“. Aber das Argument ist falsch. Große Veränderungen werden nicht durch ewig gesuchte Mittelwege und jahrelang abgewogene Gedanken erreicht. Wer das glaubt, möchte im Grunde, dass die Schule bleibt, was sie ist: ein Relikt des 19. Jahrhunderts. Ohne Leidenschaft, Emotion und mitunter auch ohne die eine oder andere Zuspitzung wird es nicht gehen, wenn es tatsächlich zu strukturellen Veränderungen kommen soll. Es lohnt sich, im Interesse unserer Kinder, unserer Lehrer und unseres Landes dafür zu kämpfen, dass die Bildungspolitik den Blick auf die Bewahrung des Gestern verliert und ihn endlich gemeinsam auf die Zukunft richtet. Richard David Precht

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Zum Autor

Geboren am 16. Januar 1964 in Heilbronn | 1983/1984 Studium der Germanistik, Philosophie und Soziologie in Münster | Schauspielausbildung von 1986 bis 1989 an der Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater | Zunächst Schauspieler in Karlsruhe | 1990 bis 1993 Engagements am Rheinischen Landestheater Neuss und von 1993 bis 1996 am Theater der Landeshauptstadt Magdeburg, jeweils als Schauspieler und Regisseur | Seit 1996 freiberuflicher Schriftsteller und Regisseur in Berlin | Mit Stücken wie „Gretchen 89 ff.“, „Ehrensache“, „Blütenträume“ oder „Frau Müller muss weg“ seit Ende der Neunziger Jahre einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker auf deutschen Bühnen | Januar 2010 Uraufführung von „Frau Müller muss weg“ als Auftragswerk für das Staatsschauspiel Dresden | Seine Stücke sind in über ein Dutzend Sprachen übersetzt worden und werden weltweit gespielt. Hübner lebt mit seiner Frau Sarah Nemitz und seiner Tochter in Berlin.

Die Klasse R6c der Wilhelm-Leuschner-Schule Darmstadt hat mit ihrer Lehrerin Ilona Schorlemmer die Inszenierung als Patenklasse begleitet. Wir danken ihr für die Unterstützung bei der Gestaltung des „Herbstprojekts“ für die Bühnendekoration.

Stephanie Theiß, Karin Klein, Andreas Vögler, Uwe Zerwer, Christina Kühnreich, Gabriele Drechsel

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Anfertigung der Dekorationen und Kostüme in den Werkstätten des Staatstheaters Darmstadt. Technische Gesamtleitung Bernd Klein Bühneninspektor Uwe Czettl Leiter der Werkstätten Gunnar Pröhl Assistent des Technischen Direktors | Technischer Leiter der Kammerspiele Jonathan Pickers Technische Assistenz Konstruktion Christin Schütze Leiterin Kostümabteilung Gabriele Vargas-Vallejo Leiter des Beleuchtungswesens Dieter Göckel Leiter der Tontechnik Alfred Benz Chefmaskenbildnerin Tilla Weiss Leiterin der Requisitenabteilung Ruth Spemann Leiter des Malsaals Armin Reich Kaschierwerkstatt Lin Hillmer Leiter der Schreinerei Matthias Holz Leiter der Schlosserei Jürgen Neumann Leiter der Polster- und Tapezierwerkstatt Roland Haselwanger Gewandmeisterei Lucia Stadelmann, Roma Zöller (Damen),

Brigitte Helmes (Herren) Schuhmacherei Anna Meirer

I mpressum Spielzeit 2014|15, Programmheft Nr. 9 Herausgeber: Staatstheater Darmstadt Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt,

Textnachweise

Lutz Hübner: Warum Frau Müller weg muss, Köln 2010.| Richard David Precht: Schule kann mehr, Die Zeit, 11. April 2013. Biografie Lutz Hübner, http://www.hsverlag.com/seite/?autoren/detail/a44, Zugriff am 2.12.2013. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden gebeten, sich zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung zu melden.

Telefon 06 15 1 . 28 11-263 www.staatstheater-darmstadt.de Intendant: Karsten Wiegand Geschäftsführender Direktor: Jürgen Pelz Redaktion: Caroline Zacheiß | Sophie Holzberger Fotos: Barbara Aumüller Grafik: sweetwater | holst, Darmstadt Herstellung: Drach Print Media, Darmstadt

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