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February 20, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Musik, Historische Musikwissenschaft
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SWR2 Musikstunde mit Karl Dietrich Gräwe Louis Spohr zum 150. Todestag (3)

Sendung:

Mittwoch, 21. Oktober 2009, 9.05 – 10.00 Uhr

Redaktion:

Ulla Zierau

Manuskript ____________________________________________________________________

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie bestellen unter der Telefonnummer 07221 / 929-6030 ____________________________________________________________________

SWR 2 Musikstunde Mittwoch, 21.10.2009 9.05 – 10.00 Uhr NICHT NUR DER „VATER DES MUSIKALISCHEN WOHLWOLLENS“ Louis Spohr zum 150. Todestag († 22.10.1859) Folge 3 Karl Dietrich Gräwe Louis Spohr: Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der auffälligsten Erscheinungen im deutschen Musikleben: Geiger, Komponist und Dirigent. Das Klavierkonzert ist, soweit ich sehe, die einzige Gattung, die Spohr als Komponist nicht berücksichtigt hat. 10 Opern hat er auch komponiert, in seiner frühen Zeit das große romantische Zaubermärchen „Alruna, die Eulenkönigin“. Hier ist die Ouvertüre. Musik 1

5’09“

„Alruna, die Eulenkönigin“ war die zweite Oper des jungen Louis Spohr. Die Ouvertüre hörten Sie mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Christian Fröhlich. Bevor Spohr die Partitur vollendet hatte, stellte er einige Stücke daraus schon einmal bei Hofkonzerten in Gotha seinem Publikum vor und erntete soviel Beifall, dass er sich ein Herz fasste und Goethe in Weimar aufsuchte, um ihn, der auch Intendant des Hoftheaters war, für eine Aufführung zu gewinnen. Einige Proben zu „Alruna“ wurden abgehalten, Goethe und einige andere Gutachter fanden auch Gefallen an der Musik, aber das Textbuch eines bis heute unbekannt gebliebenen Autors hatte zu viele Mängel, als dass die Oper je zur Premierenreife gediehen wäre. Die Ouvertüre lässt ermessen, wie viel Mozart noch durch Spohrs Musik geistert, aber wie hartnäckig er auch seine eigenen Wege verfolgt. Der erste Einsatz des Orchesters lässt sogleich an „Don Giovanni“ denken, obwohl es-moll die Tonart ist und nicht d-moll. Dann folgt ein chromatischer Gang über die Tonarten C-dur, f-moll, b-moll, Fis-dur, G-dur eigenwilliger geht es nicht, und das ist kein einmaliger Zufall. Die Vorliebe für bizarre Chromatik würde sich in allen künftigen Werken Spohrs auswirken. Dann aber macht er auch kein Hehl daraus, dass Mozart sein großes Vorbild ist und die Ouvertüre zur „Zauberflöte“ bei der „Alruna“ Pate gestanden hat, Spohr selbst hat es freimütig bekannt. Allerdings setzt sich dann auch die Eigenart durch, die von Anfang bis Ende sein Komponieren weiterhin beherrschen würde: Von einem emsig bearbeiteten Thema nicht wieder loslassen zu können. Johann Friedrich Reichardt bedachte einmal eines von Spohrs Quartetten mit einem Tadel, den man gegen seine Musik immer wieder erheben könnte: „Sie ruheten nicht eher, als bis Sie die Figur zu Tode gehetzt hatten.“ Hier die Ouvertüre zu „Alruna, die Eulenkönigin“ aus dem Jahre 1808. Die Mängel des Textbuches waren aber der Grund, weshalb „Alruna“, trotz beifälliger Urteile über die Musik, zur Aufführung am Weimarer Hoftheater nicht angenommen wurde. Auch Spohrs Interventionen bei der Schauspielerin und Sängerin Karoline Jagemann, einer der hervorragenden Bühnenkünstlerinnen ihrer Zeit, blieben ohne Erfolg, obwohl der Komponist gehofft hatte, sie als Mätresse des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach könnte ihren Einfluss zu Gunsten seiner Oper geltend machen. Vom notorischen Frauenfeind Arthur Schopenhauer ist übrigens ein einziger Liebesbrief überliefert, und den hat er in unglücklicher Verliebtheit der angebeteten Karoline Jagemann geschrieben. So weit ist Spohr nicht gegangen, aber er hat ihr einen Zyklus von 6 Liedern gewidmet, darunter ein „Zigeunerlied“ auf Verse von Goethe, das auch vom Unglück verlorener Liebe weiß: „Im Nachtgeriesel, im tiefen Schnee, im wilden Wald in der

-2Winternacht, ich hört der Wölfe Hungergeheul, ich hörte der Eule Geschrei. Wils wau wau wau! Wito hu!“ Musik 2

1’03“

Hermann Prey, am Klavier begleitet von Michael Krist, sang das „Zigeunerlied“ op. 25 Nr. 5 von Louis Spohr auf Verse von Goethe. Den ganzen sechsteiligen Liedzyklus hat Spohr der Weimarer Hofschauspielerin und Sängerin Karoline Jagemann gewidmet. In knapp 40 Jahren seines Lebens, von 1806 bis 1845, hat Spohr sich immer wieder auch der Musikbühne gewidmet und immerhin zehn Opern komponiert. Von „Faust“ und Jessonda“ sind heute wenigstens die Titel noch in Erinnerung. Die ersten Opern, „Die Prüfung“ und „Alruna“, schrieb er in der Zeit, als er Hofkapellmeister und Konzertmeister in Gotha war, in Diensten des höchst liberalen Herzogs Emil Leopold August von Sachsen-Gotha-Altenburg, der die Ideale der Aufklärung mit solcher Entschiedenheit verfocht, dass er sich bei den konservativeren Fürsten der meisten anderen deutschen Kleinstaaten missliebig machte. Dieser Regent und oberste Dienstherr war ganz und gar nach dem Herzen des republikanisch gesonnenen Spohr, und in der Herzogin Caroline Amalie hatte er eine leidenschaftliche Musikliebhaberin auf seiner Seite, die für das Musikleben in Gotha ideale Bedingungen schuf und nur ein Dilemma heraufbeschwor, das sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge tolerieren musste: Spohr wurde als Geiger, als Komponist und als Dirigent so berühmt, dass er sich der wachsenden Nachfrage kaum noch erwehren konnte und seine Abwesenheiten vom Hof in Gotha immer häufiger und immer ausgedehnter wurden. Die Herzogin gönnte ihrem Musikchef diese Triumphe, aber sie selbst hatte ehr und mehr unter Musikentzug zu leiden. Bevor Spohr sich auf das Opernabenteuer mit Alruna einließ, war er seiner angeborenen Leidenschaft gefolgt und hatte im Frühjahr 1807 sein 5. Violinkonzert Es-dur op. 17 vollendet, nur wenige Wochen nachdem Beethoven mit seinem Violinkonzert D-dur bestenfalls gemischte Kritiken geerntet hatte. Die glücklichen Bedingungen in Gotha ließen es zu, dass Spohr sein Orchester überaus reichhaltig besetzen und eine ungewöhnliche Klangfülle erzeugen konnte. Im 2. Satz, Adagio ma non troppo, überließ er allerdings der Solovioline, also sich selbst, die Melodieführung und reduzierte die Orchesterbegleitung allein auf die Streicher – eine geschickte Kontrastwirkung, erzielt durch die Kunst des Aussparens. Musik 3

4’’18“

Ein erster Höhepunkt in der Reihe von insgesamt 15 Violinkonzerten: das fünfte in Es-dur op. 17 aus dem Jahr 1807. Ulf Hoelscher und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Christian Fröhlich spielten den 2. Satz, Adagio ma non troppo. Gegen Ende des nächsten Jahres, im Herbst 1808, lernte er den Klarinettisten Johann Simon Hermstedt kennen. Was Stadler für Mozart gewesen war und Mühlfeld für Brahms werden sollte, war Hermstedt für Spohr: Seine außergewöhnliche Kunst hat Spohr vier Beiträge zur Gattung des Klarinettenkonzerts abverlangt, und das fand umso mehr Beachtung, als die berühmten Geiger und das Violinkonzert Anfang des 18.Jahrhunderts in Hochblüte standen, die Klarinette aber noch nicht sehr verbreitet war und das Repertoire an Klarinettenstücken noch recht schmal. Hermstedt war als Klarinettist Autodidakt, und Spohr kannte sich in der Technik der -3-

Klarinette noch gar nicht aus. Den vier Klarinettenkonzerten ist das nicht anzumerken. Das erste verzichtet sicher noch auf ausschweifende virtuose Sensationen, die leistet sich Spohr erst im dritten. Aber auch das erste ist auf Anhieb ein Exemplar aus Meisterhand. Eine Kostprobe: der 3. Satz, Rondo. Vivace. Musik 4

5’51“

Ernst Ottensamer, Klarinette, und die Staats-Philharmonie Kosice unter der Leitung von Johannes Wildner spielten aus dem 1. Klarinettenkonzert c-moll op. 26 von Louis Spohr den 3. Satz: Rondo. Vivace. Es liegt nahe, dass ein Geiger vom Range Spohrs auch der Gattung des Streichquartetts nahe steht. Er hat in nicht weniger als 35 Quartette komponiert, sie haben ihn sein Leben lang begleitet, dazu schrieb er einbeträchtliche Zahl Doppelquartette und Quintette, was mit er Produktivität Haydns zwar nicht Schritt halten kann, aber bemerkenswert ist für einen Komponisten des 19.Jahrhunderts, der ja auch die anderen Genres verschwenderisch bedient hat. Im Herbst 1817 wurde Spohr als Operndirektor nach Frankfurt am Main berufen und bald nach einem Amtsantritt gebeten, auch eine Quartettformation aus Musikern des Opernorchesters zu gründen und die Aufführung von Streichquartetten zu einer regelmäßigen Institution zu machen. Spohr leistete selbst gleich seinen ersten Beitrag zur künftigen Programmgestaltung: mit den der Quartetten op. 45. Zum ersten dieser Quartette hat sich der Dichter Jean Paul geäußert: Er schrieb eine hohe poetische Bedeutung zu, an die er - so gab der Komponist offenherzig zu – während des Schreibens gar nicht gedacht hatte. Aus dem ersten der 3 Streichquartette op. 45, dem in C-dur, spielt das Neue Budapester Quartett den Schluss-Satz: Finale – Presto. Musik 5

7’11“

Louis Spohr, Streichquartett C-dur op. 45 Nr. 1. Den Schluss-Satz, Finale – Presto, spielte das Neue Budapester Quartett. Carl Maria von Weber hatte 1816 in Prag die Oper „Faust“ von Louis Spohr aus der Taufe gehoben. Als ihm, Weber, die Stelle des kurfürstlichen Hofkapellmeisters in Kassel angeboten wurde, hatte er gerade die Option auf eine Anstellung in Dresden und verzichtete auf Kassel, aber er entsann sich seines Freundes Spohr und empfahl ihn dorthin. Spohr nahm an und sollte für den Rest seines Lebens, 37 Jahre lang, in der kurfürstlichen Residenz bleiben. Kurz bevor er die Stellung antrat, Mitte 1821, komponierte er eine Messe a cappella in C-dur für 5 Solisten und zwei jeweils 5-stimmige Chöre. Als Nicht-Katholik und Freimaurer fühlte Spohr sich wohl nicht allzu eng und streng an die liturgische Ordnung gebunden. Im Sanctus mit seiner zentralen Doppelfuge lässt er die Texte des „Pleni sunt coeli“ und des „Hosanna in Excelsis“ gleichzeitig singen, so dass sich die Wörter gegenseitig überdecken, und im Benedictus verzichtet er auf die Wiederholung des „Hosanna“. Spohr schreibt hier eine Musik, die ohne Rücksicht auf die Messordnung ein Glaubenszeugnis von reiner, schlichter Schönheit ist. Musik 6

4’58“

Spohr schrieb seine Messe in C-dur für Solisten und zwei fünfstimmige Chöre op. 54 um die Mitte des Jahres 1821, kurz bevor er nach Kassel ging, um in der hessischen Residenzstadt -4-

sein Amt als kurfürstlicher Hofkapellmeister anzutreten. Das Sanctus und das Benedictus aus Spohrs Messe sang der Philharmonische Chor Prag unter der Leitung von Jaroslav Brych. Zu den Glanzpunkten seines kompositorischen Fleißes in Kassel gehörte eine seiner Spezialitäten, gehörten die Doppelquartette. Sie sind tatsächlich nicht als eine Musik für Oktett zu verstehen, sondern als Formation einer Doppelchörigkeit, die den Raum in zwei Klangzentren aufteilt, als dreidimensionales Pro- und Kontra-, Frage- und Antwortspiel. Sir George Smart, ein englischer Freund von Spohr, kam 1825 nach Kassel, erlebte eine Aufführung des Doppelquartetts Nr. 1 d-moll op. 65 und hielt in seinem Tagebuch fest: „Die Wirkung war gut. Spohr spielte wunderbar. Das Quartett war sehr schwierig für die vier Hauptinstrumente.“ George Smart, der Freund aus London, meint natürlich: sehr schwierig für die jeweils vier Hauptinstrumente beider Quartette. Was die Sache noch schwieriger macht: Spohr steigert den Stereo-Effekt noch ein weiteres Mal: Er lässt in jeder der getrennten Gruppen die Violine und das Cello sich betont einen weiteren Widerpart liefern. Das Kammerensemble der Academy of St Martin-in-the-Fields spielt aus dem Doppelquartett Nr. 1 d-moll op. 65 den 1. Satz: Allegro. Musik 7

9’31“

Das Kammerensemble der Academy of St Martin-in-the-Fields spielte aus dem Doppelquartett Nr. 1 d-moll op. 65 von Louis Spohr den 1. Satz: Allegro. Gleich nach seinem Amtsantritt in Kassel widmete sich Spohr der Komposition einer neuen Oper: „Jessonda“. Man kann nicht behaupten, dass er sich da mit einem Thema befasst hätte, dass für die Oper typisch und üblich ist. Die Handlung spielt im fernen Indien, der Text polemisiert energisch gegen die Vorherrschaft der Priesterkaste und gegen den Brauch der Witwenverbrennung. Darüber wird morgen, in der vierten Folge der „Musikstunde“, zu reden sein. Nach der Uraufführung, Mitte 1823 im Kasseler Hoftheater, jubelte das Publikum in aller Welt einem „Meisterwerk“ zu. Heute noch ein Vorgeschmack auf die Musik, wir blenden uns ein in den Schluss der Ouvertüre, gespielt vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Christian Fröhlich. Musik 8

7’37“ auf Zeit

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