Minarette, Muezzine, Melodien

January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Religionswissenschaft, Islam
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Brauchen Muezzine eine Ausbildung?

Minarette, Muezzine, Melodien Brauchen Muezzine eine Ausbildung?

Silke Stern

Der Ruf des Muezzins - er ist weltberühmt. Allahu Akbar – Gott ist unvergleichlich groß schallt der Gebetsruf aus den Minaretten. Fünfmal täglich ruft der Adhan weltweit über eine Milliarde Muslime zum Gebet. Mehr als 30 000 Moscheen gibt es im Großraum Kairo. Fünfmal am Tag ertönen auch hier die Stimmen der zahlreichen Muezzin‘ der 20 Millionen Metropole am Nil. Mit ihrem Gesang rufen Sie ihre Glaubensbrüder zum Gebet. Durch ständiges Reproduzieren hat der Klang des Adhan eine mystische Aura bekommen. Ich will mich aufmachen, hinter die Anonymität der Klänge blicken, die so viele faszinieren. In islamischen Ländern ruft der Muezzin die Gläubigen mit dem Gebetsruf zu den Pflichtgebeten auf. Der Ruf ist seit der Übersiedlung der ersten Gemeinde von Mekka nach Medina der gleiche geblieben und gehört zu der unabänderlichen liturgischen Tradition aller muslimischen Gruppen. Wo der Ruf nicht öffentlich erschallen kann, wie in den meisten Gemeinden im deutschsprachigen Raum, wird mit ihm innerhalb des Moscheeraumes zunächst dazu aufgefordert, sich zum gemeinsamen Gebet bereit zu machen. Der islamische Gebetsruf Adhan ertönt in arabischer Sprache. Der Gebetsruf hat den Wortlaut: Adhan 4x 2x 2x 2x 2x 2x 2x

Allāhu akbar Ašhadu an lā ilāha illā llāh Ašhadu anna Muḥammadan rasūlu llāh Ḥayya ʿalā ṣ-ṣalāh Ḥayya ʿalā l-falāḥ aṣ-ṣalātu ḫayrun mina n-naum Allāhu akbar

Übersetzung Gott ist unvergleichlich groß Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah Ich bezeuge, dass Muhammad Allahs Gesandter ist Eilt zum Gebet Eilt zur Seligkeit Das Gebet ist besser als Schlaf Gott ist unvergleichlich groß

Wobei die vorletzte Zeile nur vor dem Aufruf zum Morgengebet rezitiert wird

Wann er erklingt, entscheiden Mondphasen sowie Sonnenaufgang und –untergang. Das musikalische System ist komplex: Die fünf über den Tag verteilten Gebetsrufe sind je nach Muezzin und Tageszeit unterschiedlich in Tonleiter, Melodietypus und Lautstärke. Muslime wissen heute auch ohne öffentlichen Adhan, wann die Gebetszeiten sind, etwa durch das Internet. Was die Gebetsrufe freilich nicht zu sinnentleerten Ritualen macht: „Das ist Teil des Prozesses, genauso wie die Waschung. Es ist Pflicht!“, betonten alle Befragten „Wir Muslime nutzen die technischen Errungenschaften, doch sie verdrängen nichts Religiöses.“ Gesänge des Muezzins seien eine

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sehr emotionale Sache, die man nicht einfach durch das Schauen auf die Uhr ersetzen könne. Und so spielt der Muezzin in der islamischen Tradition weiterhin eine wichtige Rolle. Eines gleich vorne weg - eine Ausbildung zum Muezzin gibt es nicht. Doch zählt der Muezzin in der islamischen Welt zu den angesehenen Personen. Der Muezzin (arabisch mu'adhdhin) ist ein Ausrufer, der die muslimische Gemeinde zu den Pflichtgebeten in die Moschee ruft. Angeblich hat Mohammed mit seinen Freunden darüber beraten, wie man die Leute zum Gebet bringt. Die Christen haben ihre Glocken, die Juden die Trompete - die Muslime wollten etwas anderes - sie wollten die Stimme. Und die schönste Stimme hatte Bilal al Habashi, ein freigelassener abessinischer Sklave. „Nur darum - und nicht etwa darum, welcher Klasse er angehörte - ging es.“ Dazu der Islamwissenschafter Elsayed Elshahed: „Dem Propheten Mohammed war das wichtig. Er verweigerte dem zweiten Kalifen diese Aufgabe mit der Begründung, dass seine Stimme zu rau sei. So wurde Bilal, ein enger Vertrauter des Propheten Mohammed, der erste Muezzin und bekam den Ehrentitel „Gebetsrufer des Propheten“. Seine Stimme soll von unvergleichlicher Schönheit gewesen sein. Wer heute regelmäßig zum Gebet einladen will, muss deshalb noch immer über eine besondere Stimme verfügen. Schön und gefühlvoll soll sie sein. Es verwundert nicht, dass viele Berufskollegen dem ersten Muezzin auch heute noch nacheifern und in ihm ihr großes Vorbild sehen. Der Muezzin hat eine herausragende Rolle im Islam. Viele Familien sind sehr stolz einen Muezzin unter Ihren Angehörigen zu haben. Ernannt werden sie in der Regel vom Mufti, der höchsten religiösen Autorität. Der Muezzin muss kein Geistlicher sein, aber er sollte einen reinen Glauben haben und nach den Regeln des Islam leben. Um Muezzin zu werden, gibt es wie gesagt, keine spezielle Ausbildung. Das Handwerk des Muezzins kann man an keiner Fachschule lernen, seine Kunst an keiner Universität studieren. Eigeninitiative ist also gefragt. Viele Muezzin‘ haben Islamische Schulen besucht und üben sich ständig in Koranrezitation (s. u.) und dem Singen von Koranversen. Wenn man Talent hat bekommt man ggf. musikalischen Unterricht. Für die meisten sind besagte schöne Stimme und das entsprechende Talent aber die wesentlichste Voraussetzung um ein guter Muezzin zu werden. Nicht jeder hat die Gabe dazu, vieles kann man nicht antrainieren. Es ist schwierig immer den richtigen Ton zu treffen. Damit die Stimme nicht versagt haben die Muezzins ihre kleinen Tricks Viele ölen sie vor ihrem „Auftritt“ mit einem Löffel Honig. Auch ein kräftiges Räuspern ist typisch. Im Minarett, bereits vor dem Mikrofon stehend, geht der Muezzin i.d.R. kurz in sich. Dann legt er seine Hände an die Ohren, atmet einmal tief ein und stimmt kraftvoll den unvergleichlichen Gesang an: „Allahu akbar“, tönt es aus den Lautsprechern über die umliegenden Häuser. Der Adhan, der Ruf zum gemeinschaftlichen Gebet, fängt immer mit der Lobpreisung an, die man in etwa mit „Gott ist unvergleichlich groß“ übersetzen kann. Jeder Muezzin arbeitet selbstverständlich daran seine Fertigkeiten zu perfektionieren. Jahrelang hat auch Scheich Mohammad Badr an der renommierten Al Azhar Moschee Koranrezitation studiert um den Gebetsruf richtig auszusprechen und harmonisch zu intonieren. Dazu braucht es vor allem eines - sehr viel Übung. Bei den vielen Moscheen in Kairo vereinen sich die Gebetsrufe der Muezzine, von denen nicht alle so gepflegte Stimmen haben wie der Scheich, nicht zwangsläufig zu einem harmonischen Vielklang. Viele hatten das chaotische Stimmengewirr zur Gebetsstunde satt. In Ägypten ist der Gebetsruf deshalb seit 2009 zentralisiert. Er schallt nicht mehr von Tausenden Moscheen aus, wo jeweils einer unten am Mikrofon steht und oben scheppert es raus. Der Live-Ruf wird per Radio an alle

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staatlichen Moscheen in Kairo übertragen. Dies ermöglicht es den Gläubigen auch wieder den Adhan im Stillen mitzusprechen, was als etwas Besonderes angesehen wird, aber bei so vielen gleichzeitig ertönenden Stimmen einfach unmöglich war. Für das Zentralisierungsvorhaben hatte die ägyptische Regierung das Einverständnis des Muftis, der höchsten religiösen Autorität des Landes eingeholt. Seine einzige Bedingung war, dass der Gebetsruf nicht aufgezeichnet werden darf, sondern immer direkt gesprochen und verbreitet wird. Dies gilt allerdings nur für die staatlichen Moscheen. In den nicht weniger zahlreichen privaten Moscheen wird weiterhin mit eigener Stimme zum Gebet gerufen. Damit lässt die Qualität der Gebetsrufer im Land z.T. auch nach der Zentralisierung noch viel Luft nach oben. Trotzdem - wen ich auch frage, auf den Muezzin verzichten will niemand. „Eine Moschee ohne Muezzin ist doch wie Süßigkeiten ohne Zucker.“ Freilich gibt es bei der Qualität der Gebetsrufer erhebliche Unterschiede, so der Tenor der Befragten, besonders die musikalische Schulung könne mehr Raum einnehmen, um das Klangbild zu verbessern. Eindeutig aber ist, der Ruf des Muezzins ist eine zutiefst emotionale Angelegenheit und eine rationale Herangehensweise der Sache nicht dienlich. Übrigens ist in vielen islamischen Ländern der Muezzin ein eigener bezahlter Berufsstand. An einer Moschee angestellt, sind Muezzine Staatsangestellte, die ein Ritual vollziehen, für das sie eine religiöse Ausbildung benötigen, die allerdings kaum über das hinausgeht, was ein durchschnittlicher Muslim im Koranunterricht gelernt hat. Der Muezzin ist kein Imam, er hält also keine Freitagsgebete. In einer Moschee fallen aber dennoch genug unterschiedlichste Aufgaben an. Der Muezzin übernimmt dort meist mehrere Funktionen. Oft ist er auch noch so etwas wie ein Hausmeister, der sich um das Gebäude kümmert und in der Nähe wohnt. Da beim Beten der Boden mit dem Gesicht berührt wird, sind Reinigungsarbeiten in Moscheen sehr wichtig. Er ist auch so etwas wie der Pförtner der Moschee. Bissweilen gibt er Koranunterricht für die Kinder in der Umgebung, und manche nehmen auch die Schuhe am Eingang in Empfang und passen auf, dass sie nicht geklaut werden. Das kommt ziemlich häufig vor. Alles in allem haben Muezzins, trotz der schlechten Bezahlung, einen relativ prestigeträchtigen Job. Einige sagen, dass der Muezzin im Paradies so viel Platz bekommen wird wie er Fläche mit seiner Stimme abdeckt. So viele Menschen er zum Beten gebracht hat, „so hoch wird dann sein Hals sein“. Die für den zentralisierten Gebetsruf Adhan ausgewählten Gebetsrufer - es sind ungefähr 30 - dürften im Paradies also einen Riesenhals haben. Man kann dieses transzendentale Versprechen natürlich auch als willkommenen Trost sehen für die miese irdische Bezahlung. Fairerweise sollte auch erwähnt werden, dass es unter den Muezzin‘ auch richtige Stars gibt. Wer beispielsweise mit einem Titel bei den Weltmeisterschaften im Koranzitieren aufwarten kann, wird zu Ramadanfeiern weltweit eingeladen, um seine Kunst vorzutragen. Bei den Events der High Society den Koran zu zitieren, damit verdient man gutes Geld. Aber es gibt einen viel gewichtigeren Grund weshalb Koranrezitation so wichtig ist für einen guten Muezzin. Der „ehrwürdige Koran“ ( al-Quran al-karim) ist Gottes ureigenes Wort. Muslime bemühen sich deshalb, ihn beispielsweise beim fünfmaligen Gebet nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Aussprache stets korrekt wiederzugeben. Er ist für die Muslime die grundlegende Quelle ihres Glaubens. Der Klang seiner Rezitation begleitet jeden Muslim. Von klein auf wächst er mit der in ihm enthaltenen umfassenden „Rechtleitung“ für Glauben und Leben auf. Der Koran wird als offenbartes Wort Gottes, des Herrn der Welten, verehrt. Die Segensmacht seiner Worte (baraka) ja jeder seiner

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Buchstaben, macht den Koran zu einem erhabenen Buch, das mit höchster Ehrfurcht und unter Beachtung ritueller Reinheitsregeln (wudu) in die Hand genommen wird. Auch nichtarabische Muslime sind angehalten den Koran in der arabischen Sprache zu lesen, möglichst mit lauter Stimme. Durch die Gebete und Lesungen in dieser Sprache fühlen sich alle Muslime in einer weltweiten Gemeinschaft verbunden. Mit dem Imperativ des Verbs qara´a (lesen, rezitieren, vortragen) beginnt der älteste Text, den Mohammed als Offenbarung vortrug (Sure 96, 1-5). Das dazugehörige Hauptwort ist „Koran“, im Arabischen qur´an, also „Lesung, Rezitation“. Der Koran wird auch kitab Allah (Buch Gottes) oder einfach al- kitab (das Buch) genannt. Er ist das Buch an dem kein Zweifel besteht. Ihn durch Rezitation vernehmbar zu machen, bleibt eine wichtige religiöse Aufgabe, die der qari´(Rezitator) nach den Regeln der Kunst erlernt. Muslime sind davon überzeugt das Gott sich Mohammed offenbarte, indem er den Erzengel Gabriel als Übermittler von göttlichen Nachrichten zu ihm schickte. Qura´a befahl der Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed in der Höhle Hira nahe Mekka nach muslimischem Glauben. Damit begann die Herabsendung des heiligen Buches der Muslime. Die ersten Muslime überlieferten die Worte des Koran mündlich, dabei wurde großer Wert darauf gelegt die Rechtleitungen Gottes, die Mohammed empfangen hatte nicht nur im Wortlaut exakt wiederzugeben, sondern auch auf die korrekte Aussprache zu achten. Erst der Dritte Kalif Uthman ibn Affan (644- 656) - ein Schwiegersohn Mohammeds - machte sich daran, den Koran zu Kanonisieren. Er wurde in einer standardisierten und von da ab einzig offiziell gültigen Version aufgezeichnet. Mindestens zwei Männer mussten bei jedem Vers bezeugen, dass sie diesen direkt aus dem Mund des Propheten Muhammad so gehört hätten. Da neben dem Wortlaut auch die genaue Aussprache so wichtig ist, macht verständlich, dass in der muslimischen Welt der Koranrezitation eine so bedeutende Stellung zu Teil und warum so viel Mühe und Aufmerksamkeit auf die korrekte Aussprache gelegt wird und sich die Koranrezitation zu einer Kunstform entwickelt hat. Es gilt im muslimischen Kulturkreis als etwas ganz Besonderes, wenn man den Koran vollständig auswendig rezitieren kann. Diese Experten bekommen den Namen Hafis, das bedeutet Kenner. Und so wird möglichst schon in jungen Jahren damit begonnen, die vielen Verse des Korans auswendig zu lernen. In der islamischen Welt gibt es viele Gelegenheiten vom Pflichtgebet über Radio- und Fernsehsendungen bis hin zu Koranlesewettbewerben, um von der ästhetischen Dimension des rezitierten Korans einen lebendigen Eindruck zu bekommen.

Quellen: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Muezzin&oldid=136018303“, letzter Zugriff 11.8.15 https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Adhān&oldid=141529101“, letzter Zugriff 11.8.15 http://de. TAZ-online / Berliner Regisseur über Muezzins/ „Oben scheppert es heraus“ letzter Zugriff 11.8.15 http://at. Wiener Zeitung Online/ Die mystische Aura des Gebetsrufes 22.06.2015, letzter Zugriff 11.8.15 Was jeder vom Islam Wissen muss Hrsg. Martin Affolderbach und Inken Wöhlbrand, Gütersloher Verlagshaus. Der Islam für Kinder und Erwachsene erklärt von Lamya Kaddor und Rabeya Müller, DTV Verlag 2011 Verwendung gemeinfreier Bilder bzw. Silke Stern, privat

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