Morphologie und Syntax (BA) - Uni-bielefeld

January 14, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
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Morphologie und Syntax (BA)

Morphologie und Syntax (BA) Typologie, Templates und Prosodische Morphologie

PD Dr. Ralf Vogel Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Universität Bielefeld [email protected]

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Morphologie und Syntax (BA)

Gliederung

1 Übungsaufgabe 2 2 Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung 3 Morphologische Typologie 4 Ablaut und Umlaut 5 Templates

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Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2 (1)

Neben dem Partizip Perfekt bzw. Passiv (auch Partizip II genannt) wie bspw. ‘gelaufen’, ‘gelacht’, ‘geklopft’, gibt es im Deutschen noch das Partizip Präsens (oder Partizip I), wie bspw. ‘laufend’, ‘lachend’, ‘klopfend’. Auch das Partizip I kann adjektivisch flektiert werden wie in ‘der singende Seeelefant’. a. Bestimmen Sie das Affix für die Bildung des Partizip I. b. Handelt es sich bei der Bildung des Partizip I um Derivation oder um Flexion? Begründen Sie Ihre Antwort. 4 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

• Das Affix ist -end. • Genau wie bei der Bildung des Partizip II wird hier aus

einem Verb ein adjektivisch flektiertes Wort gebildet. Morphologisch gesehen wird also durch -end-Suffigierung ein Wortartenwechsel ausgelöst. Es entsteht ein neues Lexem: es handelt sich also um Derivation.

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Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2

(2)

Welches Problem werfen die Komposita ‘Jahrhundert’, ‘Nimmersatt’ und ‘Dreikäsehoch’ für die Right Hand Head Rule auf? Wie lässt sich dieses Problem beheben?

• Die RHHR besagt, dass der rechte Teil eines Kompositums

seine Wortart bestimmt. • Dies sind hier die Adjektive ‘hundert’, ‘satt’ und ‘hoch’. • Folglich müssten die drei Komposita ebenfalls Adjektive

sein, sie sind aber Nomen.

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Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2

• Für ‘Nimmersatt’ und ‘Dreikäsehoch’ könnte man eine

Nomen-Ableitungsregel postulieren, die aus einem beliebigen Wort einen Namen macht. • Dafür eignet sich bspw. die Annahme eines Null-Affixes:

[ Adj Dreikäsehoch] + [ Nom -Ø] = [ Nom Dreikäsehoch-Ø] • ‘-Ø’ wäre dann ein phonetisch unsichtbares

Namensbildungssuffix.

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Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2 • Mit unsichtbaren Elementen muss man sparsam umgehen:

da man sie nicht sehen kann, kann der Linguist ihnen alles zuschreiben, was er will. Sie sind deshalb sehr gut geeignet, eine falsche Theorie zu ‘retten’. • ‘Jahrhundert’ hingegen ist eine echte Ausnahme zur

RHHR, weil das Kompositum Kategorie und Genus vom linken Teil bekommt: ‘das Jahr’ — ‘das Jahrhundert’. • Hier bleibt uns zunächst nichts anderes übrig, als Begriffe

wie ‘Jahrhundert, Jahrtausend, Jahrzehnt’ als (möglicherweise historisch zu erklärende) Ausnahmen zu notieren. 8 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2 (3)

Ein sehr produktives Derivationsaffix des Deutschen ist das Suffix ‘-ung’ wie in ‘Übertreibung’. Was ist seine Funktion, mit welchen Wortarten kann es verbunden werden, und welche weiteren Einschränkungen gibt es diesbezüglich?

• Das Suffix -ung ist das Derivationssuffix, mit dem aus

einem Verb ein Nomen gebildet wird, das die durch das Verb ausgedrückte Tätigkeit bezeichnet. • prüfen — Prüfung ; beleidigen — Beleidigung ; erfinden —

Erfindung • -ung ist sehr produktiv. • Es wird vor allem mit Tätigkeits-Verben gebildet, die

entweder ein Akkusativ-Objekt haben oder kein Objekt: 9 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2

(4)

a. b.

Karl prüfte/beleidigte/erfand einen Schüler. Das Flugzeug landete/Peter erblindete/Sie einigten sich — Die Landung/Erblindung/Einigung

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Morphologie und Syntax (BA) Übungsaufgabe 2

Übungsaufgabe 2

• -ung-Suffigierung ist nicht möglich unter zwei

Bedingungen: 1

2

Es gibt bereits ein Lexem mit der intendierten Bedeutung, Beispiel: ‘leben’ — Leben, *Lebung Das Verb hat ein Dativ-Objekt und kein Akkusativ-Objekt, Beispiel: ‘danken’ — *Dankung; nur möglich bspw. als Danksagung

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildungs-Operationen • Bislang haben wir zwei Methoden der Wortbildung

kennengelernt: Affigierung LEXEM+Affix(e) Eine Wurzel wird mit einem oder mehreren Präfixen, Suffixen und/oder Infixen verbunden. Komposition LEXEM+LEXEM Zwei oder mehr Lexeme werden miteinander kombiniert. • Ein dritter Fall ist die Konversion. • Hierbei handelt es sich genaugenommen darum, dass

dasselbe Morph für zwei verschiedene Lexeme steht, die sich in ihrer Wortkategorie unterscheiden. 13 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildungs-Operationen – Konversion

• Konversion ist typischerweise in Sprachen mit wenig

Derivations-Morphologie wie dem Englischen zu finden: (1)

a. b.

The head of the village school has arrived. “Der Leiter der Dorfschule ist angekommen“ She will head the village school „Sie wird die Dorfschule leiten“

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion

• Ob das Wurzel-Morphem ‘head’ ein Nomen ist oder ein

Verb, kann man ihm nicht ansehen. Es ergibt sich aus dem syntaktischen Kontext. • Den in Übungsaufgabe 2.2 besprochenen Fall der

Namens-Derivation aus einem Adjektiv wie in „Dreikäsehoch“ kann man ebenfalls als Konversion beschreiben. • Wie in der Lösung der Aufgabe angedeutet, lässt sich

Konversion auch als Affigierung mit einem unsichtbaren Derivations-Morphem auffassen.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion

• Das englische Beispiel zeigt uns aber, dass wir eine ganze

Reihe solcher unsichtbarer Affixe bräuchten: • walk (Verb) — (take a) walk (Nomen) = walk+ØV walk+ØN • head (Nomen) — head (a school) (Verb) = head+ØN

head+ØV • fast (men) (Adjektiv) — (run) fast (Adverb) = fast+ØAdj

fast+ØAdv

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion

• Mit Null-Affixen ist im Grunde wenig gewonnen. • Sie machen nur Sinn, wenn man annimmt, dass jede

Wortableitung eine Affigierung sein muss. Dafür besteht erst einmal keine Notwendigkeit. • In Sprachen mit wenig Affigierung finden wir häufig

Konversion. • Stattdessen zu sagen, Sprachen mit wenig Affigierung

hätten eben viel Null-Affigierung, läuft zunächst auf das Gleiche hinaus.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion

• Es gibt aber die enge Verbindung von Morphologie und

Phonologie auf, und erzeugt eine gewisse Konfusion mit dem Begriff des Morphs: • -Ø ist ein Affix, also ein Morph. • ‘head’ ist eine Wurzel, also ein Morph. • ‘head-ØN ’, ‘head-ØV ’ und ‘head’ sind homophon, aber

morphologisch verschieden.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion

• Bislang haben wir ein Morph als die kleinste Änderung in

der phonetischen Gestalt eines Wortes aufgefasst, die mit einer Änderung in der Bedeutung oder grammatischen Funktion einhergeht. • Das können wir jetzt nicht mehr. • Ein Morph wäre nun die kleinste Änderung in der

morphologischen Gestalt des Wortes. • Diese morphologische Gestalt ist hier aber abstrakt und,

wegen der Null-Affigierung, nicht beobachtbar.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion

• Damit ist der Begriff ‘Morph’ nicht mehr empirisch, also

durch Beobachtung bestimmt. • Wenn wir ein Wort wie ‘head’ vor uns haben, können wir

nicht einmal mehr sagen, ob es eine einfache Wurzel ist, oder ob es morphologisch komplex ist. • Da multiple Affigierung möglich ist, müsste sie auch mit

Null-Affigierung möglich sein. • Wieviele Nullaffixe ein Wort wie ‘head’ hat, sehen wir ihm

aber nicht an.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion • Es gibt hier ein Problem mit der Auffassung, dass eine

Grammatik eine wissenschaftliche Theorie über die Regeln einer Sprache ist. • Stellen Sie sich vor, zwei Linguisten streiten sich darüber,

welche Wortart für „__“ in folgendem syntaktischen Kontext stehen darf: (2)

She will __ the village school

• Linguist A: „Für __ darf nur ein Verb stehen, also bspw.

auch head-ØV , aber nicht head-ØN .“ • Linguist B: „Für __ darf ein Verb stehen, oder Wurzeln mit

dem Null-Affix ØN , also head-ØN oder head-ØV .“ 21 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie — Strategien der Wortbildung

Wortbildung — Konversion (3)

She will __ the village school

• Linguist A: „Für __ darf nur ein Verb stehen, also bspw. auch

head-ØV , aber nicht head-ØN .“ • Linguist B: „Für __ darf ein Verb stehen, oder Wurzeln mit

dem Null-Affix ØN , also head-ØN oder head-ØV .“ • Auch wenn die Auffassung von Linguist B unplausibel ist, so

können wir seine Formulierung doch nicht anhand von Beobachtungen widerlegen, da sich Null-Affixe nicht beobachten lassen. • Die beiden verschiedenen Theorien hätten die gleiche empirische Gültigkeit. • Unter solchen Bedingungen ist aber eine Theorie vorzuziehen, in der es nichts oder weniger Unbeobachtbares gibt. 22 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Morphologische Typologie

• Die Sprachen der Welt lassen sich im Hinblick auf ihre

Wortbildungsmuster in fünf verschiedene Typen einteilen: 1 2 3 4 5

analytische (oder auch isolierende) Sprachen, agglutinierende Sprachen, flektierende (synthetische oder fusionierende) Sprachen, polysynthetische (inkorporierende) Sprachen, templatische Sprachen.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Analytische Sprachen • Analytische Sprachen haben wenige gebundene

Morpheme. (4)

Mandarin Chinesisch: ˇ ta¯ baˇ shu¯ mai-le er OM Buch kaufen-perf. (OM = Objekt-Markierer; perf.= perfektiver Aspekt)

• Objekt-markierung wird in vielen anderen Sprachen durch

Affixe ausgedrückt. • Hier haben wir ein freies Morphem, ein Funktionswort. • In einer analytischen Sprache sind die meisten Wörter

einfache Wurzeln. 25 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Analytische Sprachen

(5)

Mandarin Chinesisch: ˇ ta¯ baˇ shu¯ mai-le er OM Buch kaufen-perf. (OM = Objekt-Markierer; perf.= perfektiver Aspekt)

• Wie man an dem Perfektiv-Markierer ‘le’ sieht, gibt es in

analytischen Sprachen auch gebundene Morpheme. • Aber sie sind sehr selten. • Allerdings sind sehr viele chinesische Wörter Komposita

aus Wurzel-Morphemen.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Agglutinierende Sprachen • In agglutinierenden Sprachen finden wir fast eine

1-zu-1-Entsprechung von Morphemen und Morphen. • Ein Morph erfüllt hier meist auch nur genau eine Funktion. (6)

(7)

Türkisch: el ‘die Hand’ elim ‘meine Hand’ eler ‘die Hände’

elimde ellerim ellerimde

‘in meinen Händen’ ‘meine Hände’ ‘in meinen Händen’

Morphem: ‘Hand’ PLURAL 1.P.-P OSS ‘in’ Morph: el ler im de (1.P.-P OSS= erste Person, possessiv, besitzanzeigend)

• Die Morphe werden eins nach dem anderen zu einem Wort

zusammengesetzt, „agglutiniert“ (wörtlich: verklumpen). 27 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Flektierende Sprachen • Vergleichen wir die Kasusflexion im Lateinischen mit dem

Türkischen: (8)

Latein: Singular Plural ¯ ¯ Nominativ: mensa mensæ ‘Tisch/Tische’ ¯ ¯ ¯ arum Genitiv: mensæ mens ‘des Tischs/der Tische’ ¯ ¯ Ablativ: mensa mensis ‘von dem Tisch/den Tischen’

• Die hier dargestellten Suffixe stehen für bestimmte

Merkmalskombinationen aus Kasus und Numerus. • Es ist unmöglich, bspw. im Suffix -is einen Teil zu

bestimmen, der den Plural repräsentiert. 28 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Flektierende Sprachen

• Auch fehlt eine 1-zu-1-Entsprechung von Morphen und

Morphemen. Das Suffix -æ bspw. steht zugleich für Genitiv Singular und Nominativ Plural. • Latein ist, wie übrigens auch Deutsch, eine flektierende

Sprache.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Polysynthetische Sprachen • In polysynthetischen Sprachen stehen Wörter oft für ganze

Sätze. (9)

(10)

Grönländisch (Inuktitut): „illuminiippuq“ illu- miniip- puq haus 3.P.Sg.Poss.Pron. in-sein 3.P.Sg.Ind ‘Er ist in seinem (eigenen) Haus’ Grönländisch (Inuktitut): „tuttusivuq“ tuttu- sivuq Karibu begegnen 3.P.Sg.Ind ‘Er begegnete einem Karibu’ (3.P.Sg.Poss.Pron. = 3. Person Singular Possessiv-Pronomen; 3.P.Sg.Ind = 3. Person Singular Indikativ) 30 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Polysynthetische Sprachen

• In (10) und (9) sind die grammatischen Objekte in das Verb

inkorporiert. • Polysynthese bezeichnet Wortbildungsprozesse, bei denen

eine grosse Zahl sehr verschiedener Morpheme, lexikalischer oder grammatischer Art, zu einem Wort verbunden werden.

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Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Morphologische Typologie • Greenberg (1954) machte den weithin akzeptierten

Vorschlag, Sprachen danach zu klassifizieren, wieviele Morpheme ein Wort im Durchschnitt hat (ermittelt anhand einer repräsentativen Zusammenstellung von Sätzen): • Hat eine Sprache zwischen 1,00 und 1,99 Morpheme pro

Wort, ist sie analytisch — Englisch: 1,68 Morpheme/Wort • Hat eine Sprache zwischen 2,00 und 2,99 Morpheme/Wort,

ist sie synthetisch (flektierend), sofern die Realisierung verschiedener Morpheme mit demselben Morph geschieht (Latein). • Hat eine Sprache zwischen 2,00 und 2,99 Morpheme/Wort, ist sie agglutinierend, sofern jedes Morphem durch ein anderes Morph realisiert wird (Türkisch). • Eine Sprache ist polysynthetisch, wenn sie im Schnitt mehr als drei Morpheme per Wort hat. 32 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Morphologische Typologie

Morphologische Typologie

• Kaum eine Sprache verfolgt eine der Strategien in

Reinform. In der Regel beobachten wir eine Mischung aus alledem. • Ein Sprachtyp, der hier nicht genannt ist, sind die

templatischen Sprachen. Ihnen wenden wir uns im übernächsten Abschnitt zu.

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Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Wortbildungs-Operationen

• Bislang haben wir vier verschiedene

Wortbildungs-Operationen kennengelernt: 1 2 3 4

Affigierung Komposition Konversion Polysynthese

• Ein Phänomen, das nicht so richtig hier hineinpasst, sind

die Vokaländerungen in Wortwurzeln, die wir im Deutschen und anderen Sprachen häufig vorfinden. • Wir unterscheiden hierbei Ablaut und Umlaut.

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Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Ablaut

• Unter Ablaut verstehen wir Änderungen im Stammvokal

eines Lexems, wie sie im deutschen besonders bei starken Verben zu finden sind: (11)

trinken — trank — getrunken sprechen — sprach — gesprochen

• Ablaut signalisiert hier eine Änderung im grammatischen

Wort (bzw. bei Partizip-Bildung auch eine Änderung in der Wortkategorie).

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Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Ablaut

• Ablaut ist ein Relikt aus dem Althochdeutschen und

Mittelhochdeutschen. • Im Germanischen gibt es sieben Ablautgruppen, die

vorgeben, wie Stammvokale ablauten. • Der ursprüngliche Hintergrund war einmal der

phonologische Kontext, der sich aber in der Sprachentwicklung gewandelt hat, so dass er nur noch bedingt rekonstruierbar ist. • (Für eine Auflistung der Ablautreihen im Germanischen siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Ablaut)

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Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Umlaut • Umlaut ist eigentlich eine spezielle Form der Ablautung. • Auch dieser Vorgang ist ein Relikt aus früheren

Sprachstufen des Germanischen, aber er ist im Deutschen noch immer produktiv. • Unter Umlaut verstehen wir die Veränderung eines Vokals

zu einem vorderen Vokal (Aufhellung). • Ursprünglich handelte es sich dabei um Vokalassimilation: • Ein /i/ oder /j/ löst diese Assimilation in dem Vokal der vorangehenden Silbe aus. • In der Folge verschwanden aber -i/-j in den Suffixen. • Der Umlaut blieb trotzdem bestehen. 38 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Umlaut

• Im Früh-Germanischen war das Plural-Suffix bei Nomen -i

bzw. -ir: Proto-Germanisch ¯ fot+i man+ir

/fe:ti/ /menir/

Alt-Englisch /fe:t/ /men/

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Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Umlaut

• Einige Kontexte für Umlaut im heutigen Deutsch:

Verbflexion: Plural: Verkleinerungsform: Adjektivierung:

ich gebe — du gibst, er gibt ich laufe — du läufst, er läuft Vater — Väter Mutter — Mütter Rad — Rädchen Boot — Bötchen kaufen — käuflich Bruch — brüchig

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Morphologie und Syntax (BA) Ablaut und Umlaut

Ablaut und Umlaut – Zusammenfassung

• Ablaut ist ein morphologisch motivierter Vorgang, bei dem

eine Änderung im Stammvokal genutzt wird, um eine grammatische Änderung anzuzeigen. • Umlaut ist demgegenüber zumindest historisch als

phonologisch ausgelöster Vorgang zu sehen. • Im heutigen Deutsch ist Umlaut allerdings ähnlich wie

Ablaut eng mit morphologischer Modifikation verbunden.

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Morphologie und Syntax (BA) Templates

Templates

• Variationen im Stammvokal, wie wir sie hier beboachten,

finden sich in noch viel größerem Umfang in den semitischen Sprachen. • Die wesentlichen Wortbildungs-Operationen finden hier

innerhalb der Wurzel statt. • Infigierung und Modifizierung der Wurzel sind die Regel. • Eine Segmentierung eines Wortes in eine lineare Abfolge

von Morphemen ist nicht möglich. • Betrachten wir die folgenden Beispiele aus dem

Arabischen: 43 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Templates

Templates (12) a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. l.

kataba kattaba kaataba takaatabuu ktataba kitaabun kuttaabun kitaabatun maktabun maktaatibu kutiba nkatab

‘er schrieb’ ‘er liess schreiben’ ‘er korrespondierte (mit)’ ‘sie hielten eine Korrespondenz aufrecht’ ‘er schrieb, kopierte’ ‘Buch’ ‘Koranschule’ ‘das Schreiben’ (Handlung) ‘Büro’ ‘Büros’ ‘etwas wurde geschrieben’ (Passiv) ‘abonnieren’ 44 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Templates

Arabische Binyanim

• Die Wurzeln der arabischen Verben sind zumeist

dreikonsonantisch. • Bei der Wortbildung werden diese mit Vokalen und evtl.

weiteren Konsonanten ergänzt. • Diese Ergänzung vollzieht sich nach bestimmten Mustern,

sogenannten Binyanim (Einzahl: Binyan). • In unserem Beispiel ist die Wurzel ‘ktb’. • Für manche Binyanim kann man annehmen, dass sie aus

anderen abgeleitet sind.

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Arabische Binyanim Erster Binyan kaðab waqafa qatala

‘lügen’ ‘stehen(bleiben)’ ‘töten’

Zweiter Binyan kaððab waqqafa qattala

‘für einen Lügner halten’ ‘jmd. arrestieren/stoppen’ ‘massakrieren’ Dritter Binyan

katab qatala

‘schreiben’ ‘töten’

kaatab qaatala

‘korrespondieren’ ‘kämpfen mit’

• Der erste Binyan ist die infinitivische Form eines Verbs. • Der zweite Binyan drückt Kausativität oder Intensivierung

aus. Die Tätigkeit, die das Verb beschreibt, wird als besonders intensiv oder als verursacht beschrieben. • Der dritte Binyan drückt Reziprozität aus. Zwei Personen führen die Tätigkeit, die das Verb beschreibt, wechselseitig aus.

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Arabische Binyanim

• Es handelt sich also beim zweiten und dritten Binyan um

Derivation: eine neue Form des Verbs mit einer aus ihm abgeleiteten Bedeutung entsteht.

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Arabische Binyanim

• Die Beschreibungsmittel der traditionellen Morphologie

sind für die Behandlung der Binyanim nicht hinreichend: • Bei Affigierung, Flexion und Polysynthese werden Morphe,

die bereits eine interne phonetische Struktur besitzen, aneinandergereiht. • Die Wortwurzeln in den semitischen Sprachen, drei Konsonanten, sind bloss die Skelette, um die herum die phonetische Struktur erst morphologisch erzeugt werden muss.

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Arabische Binyanim

• McCarthy (1979/1981) hat vorgeschlagen, eine aus der

autosegmentalen Phonologie bekannte Repräsentation zu verwenden, wie sie bspw. für die Verteilung von Tönen oder für die Behandlung der Vokalharmonie verwendet wird. • Das Wort wird in drei Schichten (engl. ‘tiers’) repräsentiert,

einer Wurzelschicht (‘root tier’), einer Skelettschicht (‘skeletal tier’), und einer Vokalmelodieschicht (‘Vocalic melody tier’).

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Arabische Binyanim (13)

/kutiba/ — ‘etwas wurde geschrieben’ Wurzelschicht:

k

Skelettschicht:

C

V

Vokalmelodieschicht:

u

t C

b V i

C

V a

• Die Wurzelschicht steht für das, was bspw. im Deutschen

die Wurzel eines Lexems ist. • Skelettschicht und Vokalmelodieschicht

zusammengenommen stehen für das, was bspw. im Deutschen Derivations- und Flexionsaffixe machen. 50 / 67

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Prosodische Morphologie Wurzelschicht eine normalerweise dreikonsonantische Sequenz von Konsonanten, die die Bedeutung des Lexems signalisiert. Skelettschicht wird auch prosodic template tier genannt – die prosodische Schablone. Sie bestimmt die charakteristische Gestalt, die mit einem Binyan verbunden ist, eine Sequenz aus Vokalen (V) und Konsonanten (C), z.B. : CVCCVCV = ‘kausativ’. /kattaba/=‘schreiben lassen’. Vokalmelodieschicht signalisiert Information, die üblicherweise mit Flexion ausgedrückt wird, wie etwa Tempus, Numnerus, Aspekt beim Verb, oder derivationelle Affixe: /kataba/ ‘er schrieb’ ~ /kitab/ ‘Buch’. 51 / 67

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Prosodische Morphologie • Wenn die eingefügten Vokale identisch sind, wird nur ein

Vokal auf der Vokalmelodieschicht repräsentiert, der sich dann auf die anderen Vokalpositionen in der Skelettschicht ausbreitet (angedeutet durch die gestrichelten Linien). (14)

/kataba/ — ‘er schrieb’ Wurzelschicht:

k

Skelettschicht:

C

V

Vokalmelodieschicht:

a

t

b

C

V C V n nf f f f f n n f f fn nf f

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Arabische Morphologie

• Einige Wurzeln haben nur zwei Konsonanten:

zr – ‘ziehen’ sm – ‘vergiften’ • zarara – ‘er zog’ ; samama – ‘er vergiftete’

zarrara – ‘er liess (jmd.) ziehen’ ; sammama – ‘er liess (jmd.) vergiften’ einf. Vergangenheit: Template: CVCVCV ; Vokalmelodie: /a/ kausativ: Template: CVCCVCV ; Vokalmelodie: /a/

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Arabische Morphologie (15)

/zarara/ — ‘er zog’ Wurzelschicht: z Skelettschicht:

rF

F

F

F

C V C V C rV ¤ r ¤r

¤ r ¤r r

Vokalmelodieschicht: a

• Nicht nur die Vokale der Vokalmelodieschicht, sondern

auch die Konsonanten der Wurzelschicht breiten sich nach rechts auf die noch freien Plätze in der Skelettschicht aus. 54 / 67

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Arabische Morphologie

(16)

/sammama/ — ‘er ließ jemanden vergiften’ Wurzelschicht: s mN3 3N N 3 NN

Skelettschicht:

C V C C pV C iV i p pi i pi pi

i

Vokalmelodieschicht: a

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Arabische Morphologie • Warum nehmen wir nicht an, dass die Wurzeln

dreikonsonantisch sind, also *zrr und *smm? • McCarthy (1986): zwei identische Konsonanten hintereinander sind nicht erlaubt. Obligatory Contour Principle (OCP) – Prinzip der obligatorischen Kontur Adjazente identische Elemente sind nicht erlaubt. • Die ursprüngliche Motivation für dieses Prinzip war es,

abzuleiten, warum es Wörter gibt mit den drei Tönen LHL (‘low high low’ – hoch, tief, hoch), aber nicht HLL. • Es wurde durch die Verwendung autosegmentaler Repräsentationen für die arabische Morphologie mit übernommen.

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Arabische Morphologie

• Arabisch hat auch vierkonsonantische Wurzeln, bspw.

/dhrj/, ‘rollen’. • Für die kausative Derivation /dahraja/ stellt die Wurzel

/dhrj/ genug Konsonanten für die C-Positionen zur Verfügung, so dass es nicht nötig ist, einen der Konsonanten zweimal zu verwenden, wie wir das bei drei-konsonantischen Wurzeln beobachten.

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Arabische Morphologie (17)

Syrisches Arabisch: /ddaxala/ — ‘er schlichtete’ ; /daxala/ — ‘er trat ein’ Wurzelschicht: d x l Skelettschicht:

®

®

®

C C V C V C rV ¤ r

Vokalmelodieschicht:

¤r

¤ r ¤r r

a

• Verknüpfungen zwischen den Positionen der Schichten

verlaufen immer von links nach rechts, also müsste eigentlich *daxalla herauskommen. 58 / 67

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Arabische Morphologie

• um *daxalla auszuschliessen muss man annehmen, dass

/d/ vorab mit der zweiten C-Position im Skelett fest verknüpft ist, per lexikalischer Regel. • Damit erzwingen wir die Ausbreitung nach links, um die

erste C-Position mit einem Konsonanten zu verknüpfen. • Überkreuzungen sind gar nicht gestattet, was etwa

*xdaxala ausschliesst.

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Die „Morphemschicht“-Hypothese

• Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes sieht Wurzeln und

Vokalmelodien als diskontinuierliche Morpheme und repräsentiert dies mit einem zusätzlichen Knoten für jedes Morphem (= M).

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Die „Morphemschicht“-Hypothese (18)

/kataaba/ — ‘er korrespondierte’ M

Vokalmelodieschicht:

a[ X U U[X [X [ U UX [X [X [ [ [ U U X X [ [ [ [ V C V V C V

Skelettschicht:

C

Wurzelschicht:

kVV

t b VVVV ffff f f f VVVV f VVfffffff M

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Die „Morphemschicht“-Hypothese (19)

/kutiba/ — ‘etwas wurde geschrieben’ MP nnn PPPPP n n PPP n PPP nnn nnn Vokalmelodieschicht:

u

Skelettschicht:

C

Wurzelschicht:

kTT

V

i C t

V

a C

V

b

hh TTTT TTTT hhhhhhhh Thh M

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Die „Morphemschicht“-Hypothese • Das Reflexiv-Morphem im Syrischen Arabisch ist /t/ als

Infix. (20)

smP – ‘hören’ samiPa – ‘etwas hören’ stamaPa – ‘für sich hören’

• Das Reflexiv-Morphem /t/ bekommt seine eigene Schicht. • Zuerst wird es mit /samaPa/ verbunden, das ergibt:

/tsamaPa/. • Dann findet Metathese der beiden initialen Konsonanten statt, sie tauschen die Plätze: /stamaPa/ • Das lässt sich zusammengefasst wie folgt repräsentieren. 63 / 67

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Die „Morphemschicht“-Hypothese (21) M t-Morphem-Schicht:

t-

M

C>

aXR X R RX X X R R X X X R R X X X X V C V C V

---Vokalmelodieschicht: ---

Skelettschicht:

Wurzelschicht:

C

>> >> >>

m P RRR nnn n RRR n nn RRR RRnnnnn

sRR

M

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Die „Morphemschicht“-Hypothese

• Mittels der Verteilung der Morpheme auf je eigene

Schichten im Rahmen einer autosegmentalen Darstellung lassen sich auch kompliziertere morphologische Prozesse wie die semitischen Binyanim oder Morphem-Infigierung darstellen. • Diese Repräsentation ist natürlich auch für die rein

sequentiellen morphologischen Operationen der Affigierung und Polysynthese möglich.

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Übungsaufgabe 3 (22)

Betrachten Sie die folgenden deutschen Flexionsbeispiele: Sg Pl Sg Nom Gen Dat Akk

Tag

– es – –

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1.Pers. 2.Pers. 3.Pers.

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• Welche Hinweise bekommen Sie hier für die Beurteilung,

ob das Deutsche eine analytische, agglutinierende oder flektierende Sprache ist? 66 / 67

Morphologie und Syntax (BA) Templates

Übungsaufgabe 3

(23)

Auch im Deutschen könnten Morphemschichten hilfreich sein, um Umlaut und Ablaut zu erfassen. a. Versuchen Sie, für ‘Boot — Bötchen’ eine Repräsentation zu entwerfen, die das Verkleinerungsmorphem so repräsentiert, dass der Umlaut mit erfasst wird! b. Versuchen Sie das Gleiche für den Ablaut ‘singen — sang’!

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