mozart - Münchner Philharmoniker

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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MOZART

10. Serenade »Gran Partita« Requiem »Ave verum«

MEHTA, Dirigent ERDMANN, Sopran VON DER DAMERAU, Mezzosopran SCHADE, Tenor FISCHESSER, Bass PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN Dienstag 22_03_2016 20 Uhr Donnerstag 24_03_2016 20 Uhr Samstag 26_03_2016 19 Uhr

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WOLFGANG AMADÉ MOZART Serenade für 12 Bläser und Kontrabass B-Dur KV 361 »Gran Partita« 1. Largo – Allegro molto 2. Menuetto – Trio I – Trio II 3. Adagio 4. Menuetto. Allegretto – Trio I – Trio II 5. Romance. Adagio – Allegretto – Adagio 6. Tema con variazioni 7. Finale. Rondo. Allegro molto

WOLFGANG AMADÉ MOZART Requiem für Soli, Chor, Orgel und Orchester d-Moll KV 626 (Fragment) 1. Introitus: Requiem aeternam (Adagio) 2. Kyrie: Kyrie eleison (Allegro) 3. Sequenz: Dies irae (Allegro assai) – Tuba mirum (Andante) – Rex tremendae – Recordare – Confutatis (Andante) – Lacrimosa (Gespielt werden nur die von Mozart skizzierten und von Franz Xaver Süßmayr vervollständigten Sätze 1–3 bis zum Takt 8 des Lacrimosa.)

WOLFGANG AMADÉ MOZART »Ave verum corpus« KV 618

ZUBIN MEHTA Dirigent MOJCA ERDMANN Sopran OKKA VON DER DAMERAU Mezzosopran MICHAEL SCHADE Tenor CHRISTOF FISCHESSER Bass PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN Einstudierung: Andreas Herrmann

118. Spielzeit seit der Gründung 1893 VALERY GERGIEV, Chefdirigent PAUL MÜLLER, Intendant

Das wohl berühmteste Mozart-Portrait von Barbara Krafft 1819 angefertigt

Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«

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Ares und Aphrodite WOLFGANG STÄHR

WOLFGANG AMADÉ MOZART (1756–1791) Serenade für 12 Bläser und Kontrabass B-Dur KV 361 »Gran Partita«

1. Largo – Allegro molto 2. Menuetto – Trio I – Trio II 3. Adagio 4. Menuetto. Allegretto – Trio I – Trio II 5. Romance. Adagio – Allegretto – Adagio 6. Tema con variazioni 7. Finale. Rondo. Allegro molto

ENTSTEHUNG Mozart, seit 1781 als »freier Künstler« in Wien beheimatet, komponierte die B-DurSere­nade KV 361 in der ungewöhnlichen Besetzung mit je zwei Oboen, Klarinetten, Bassett­hörnern und Fagotten, vier Hörnern und einem Kontrabass offenbar 1783/84 für ein Konzert, eine »Musikalische Akademie«, seines Freundes, des Klarinettisten Anton Stadler. Die Serenade gehört in die Tradition der reinen Bläsermusik, der »Harmonie«, wie sie damals genannt wurde, zu der Mozart auch ein Sextett und zwei Oktette beitrug. Überdies wurden im Wien des späten 18. Jahrhunderts viele »Hits« aus seinen neuesten Opern »auf die Harmonie gesetzt«.

URAUFFÜHRUNG

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg; gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.

Am 23. März 1784 in Wien im Rahmen einer von Mozarts Freund und (Freimaurer-) Logen­bruder Anton Stadler organisierten »Musika­lischen Akademie«; allerdings wurden damals im Wiener National-Hoftheater, dem alten Burgtheater, aus zeitlichen Gründen nur vier der insgesamt sieben Sätze musiziert.

Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«

4 MOZARTS MUSIKALISCHE DIALEKTIK Harmoniemusik – der Begriff klingt wie ein Pleonasmus, ein »weißer Schimmel« oder »alter Greis«. Jedenfalls nach dem Maßstab der Musiker von ehedem. Denn in vergan­genen Zeiten wurde Musik als eine Wissenschaft begriffen, »geschickte und angenehme Klänge klüglich zu stellen, richtig an einander zu fügen, und lieblich he­ raus zu bringen, damit durch ihren Wollaut Gottes Ehre und alle Tugenden befördert werden«: So steht es im »Vollkommenen Capellmeister«, einem wegweisenden Lehrwerk des 18. Jahrhunderts. Und so verstand auch M ­ ozart seine Kunst, erklärtermaßen, als er schrieb, dass »die leidenschaften, heftig oder nicht, niemal bis zum Eckel ausge­drücket seyn müssen, und die Musick auch in der schaudervollsten lage, das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabey vergnügen muß, folglich allzeit Musick bleiben Muß«. Und deshalb blieb gerade Wolfgang Amadé Mozart allzeit das Vergnügen der Theologen, ihr Lieblingskomponist und Kronzeuge, da seine Musik, allen Widrigkeiten des menschlichen Alltags zum Trotz, die Harmonie der Schöpfung reflektiert, wenn nicht gar unter Beweis stellt. »Was ich Ihnen danke, ist schlicht dies, daß ich mich, wann immer ich Sie höre, an die Schwelle einer bei Sonnenschein und Gewitter, am Tag und bei Nacht guten, geordneten Welt versetzt finde«, bekannte Karl Barth 1955 in einem imaginären Dankesbrief an Mozart. »Mit Ihrer musikalischen Dialektik im Ohr kann man jung sein und alt werden, arbeiten und ausruhen, vergnügt und traurig sein, kurz: leben.« Und nicht anders als seinerzeit der protestan­tische Theologe Karl Barth begründet der emeritierte

Papst Benedikt XVI. seine geradezu existentielle Liebe zu Mozarts Musik: »Das Dasein ist nicht verkleinert, nicht falsch harmonisiert. Nichts von seiner Schwere und Größe ist ausgelassen, aber alles zu einer Ganzheit geworden, in der wir die Erlösung auch des Dunklen unseres D ­ aseins spüren und das Schönsein der Wahrheit vernehmen, an dem wir so oft zweifeln möchten. Die Freude, die Mozart uns schenkt und die ich in der Begegnung mit ihm immer wieder spüre, beruht nicht auf dem Auslassen eines Teils der Wirklichkeit, sie ist Ausdruck einer höheren Wahrnehmung des Ganzen.« Der Papst und der Protestant, konfessionell hochgradig verschieden, aber als bekennende Mozartianer zweifellos eines Geistes, berufen sich auf »Gottes gute Schöpfung« – und beleben damit zugleich den ursprünglichen, den antiken Begriff der Harmonie als einer Vermittlung der Gegensätze: Sonne und Gewitter, Tag und Nacht, in Mozarts »Harmoniemusik« vereint, versöhnt und aufgehoben. Nicht von ungefähr gilt die Harmonia in der griechischen Sage als Tochter des Ares und der Aphrodite, des rohen Kriegsgottes und der schaumgeborenen Schönheit.

AUF STRASSEN UND PLÄTZEN Ja, Mozart komponierte »Harmoniemusik«. Doch diese Feststellung hält nicht nur theologischer, sondern auch musikologischer Überprüfung stand. Denn »Harmoniemusik« – oder auch einfach nur »Harmonie« – so nannten Mozarts Zeitgenossen ein reines Bläserensemble, Hörner kombiniert mit Holzbläsern, prinzipiell paarweise besetzt und zum weithin schallenden Spiel unter freiem Himmel bestimmt. Ihren Ursprung nahm die »Harmonie« (ausgerechnet !) beim Militär, wenn ein Sextett den

Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«

5 Marsch blies oder ein Oktett hoch zu Ross die Parade übertönte: Krieg und Kunst, Armee und Anmut, musikalisch versöhnt – Ares und Aphrodite. Allerdings gab die schöne Tochter »Harmonie« bald friedlicheren Aktivitäten den Vorzug, gastierte bei Hofe und im Gasthof, mischte sich unters Volk und glänzte vor gekrönten Häuptern. Auf Straßen und Plätzen konkurrierten Hornisten, Fagottisten und Oboisten um die Gunst des Publikums, sie musizierten sogar in Wirtshäusern zum Amüsement der versammelten Zecher. Andererseits erklang die »Harmoniemusik«, insbesondere die allerorten beliebten Opernpotpourris, auch in Schlössern und Adelspalästen, als Tafelmusik für verwöhnte Aristokraten. Zum Beispiel für Mozarts Don Giovanni, der sich, kurz vor der Höllenfahrt, von einem Bläseroktett aufspielen lässt, während er den Fasan verspeist und dem Rotwein zuspricht: »I suonatori cominciano a suonare«, heißt es lakonisch im Libretto.

EINE SERENADE UNTER FREUNDEN Von Spekulationen und – vielleicht sogar liebgewonnenen – Legenden heißt es Abschied zu nehmen, wenn es um die Werkgeschichte der Mozart’schen ­B -Dur-Serenade KV 361 (370a) geht. Diese unorthodox ­b esetzte »Harmonie« entstand nicht in München, wie einmal angenommen, war folglich auch nicht auf die vielgerühmten Bläser der Münchner Hofkapelle zugeschnitten und kann deshalb auch nicht als Komposition mit spürbarer Nähe zum »Idomeneo« interpretiert werden. Die Vermutung, dass ursprünglich zwei unabhängige Serenaden zu einer neuen verschränkt worden seien, ist nach genauer Überprüfung der originalen Handschrift nicht aufrechtzuerhalten. Die so sympathische Vorstellung, die Serenade habe Mo-

zarts Hochzeits­essen umspielt, hat Con­ stanze Mozarts zweiter Ehemann, der ­dänische Diplomat Georg Nikolaus Nissen, aus unbekannten Motiven in Umlauf gebracht. Der überaus vertraute Titel »gran Partitta« schließlich stammt nicht von ­Mozart, er wurde nach seinem Tod in bislang nicht identifizierter, auffallend kalli­ graphischer Schrift hinzugefügt, frühestens 1792, spätestens 1799. Die erste überlieferte Erwähnung der Serenade, die höchstwahrscheinlich zugleich das Datum der Uraufführung benennt, findet sich in einer Anzeige des »Wienerblättchen« vom 23. März 1784: »Musikalische Akademie. Heut wird Herr Stadler der ältere in wirklichen Diensten Sr. Majestät des ­Kaisers, im k.k. National-Hoftheater eine musikalische Akademie zu seinem Vortheil geben, wobey unter anderen gut gewählten Stücken eine große blasende Musik von ganz besonderer Art, von der Composition des Hrn. Mozart gegeben wird.« In diesem Konzert kam es – wohl aus Gründen der ­L änge – lediglich zur Wiedergabe von vier Sätzen der B-Dur-Serenade (einiges spricht für eine Auswahl der Sätze 1, 2, 5 und 7), so jedenfalls hat es ein Zeitzeuge aus der Erinnerung dokumentiert. Sollte dieses Konzert tatsächlich der Serenadenkomposition als Anlass gedient haben, müsste das Werk nicht als ein Unikum, ein isoliertes Experiment mit einer durch vierfache Hörner, ­Bassetthörner und Kontrabass unkonven­tionell erweiterten »Harmoniemusik« verstanden werden. Es wäre vielmehr bestens geeignet, Mozarts ausgeprägt kombinierfreudigen Umgang mit Bläsern in der Zeit von 1783 bis 1785 zu bestätigen: Mit den Klarinettisten Anton und Johann Stadler und den böhmischen Bassetthornspielern Anton David und Vincent Springer war er von Musikern umge-

Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«

6 ben, die neuartige klang­liche Versuche ermöglichten und inspirierten.

EIN KONZERT FÜR DREIZEHN SOLISTEN Eröffnet wird die B-Dur-Serenade für zwölf Bläser und Kontrabass mit einer feier­ lichen »Largo«-Einleitung: Ein Ankündi­ gungsmotiv im Tutti, dessen Wiederholungen von Überleitungsfiguren der solistisch exponierten Klarinette verbunden werden (möglicherweise gleich am Anfang eine Reverenz an den Musikerfreund und Logenbruder Anton Stadler), findet eine zurückhaltende, nachdenkliche Fortsetzung, ehe mit zunehmender Verbreiterung sich das ganze Klang­spektrum entfaltet. Nach einem erneuten zeremoniellen Tutti beginnt das bewegliche Wechselspiel der Instrumente, »Allegro molto« überschrieben. Zwei Menuette, an zweiter und vierter Stelle der Satzfolge, bezeugen – neben der Vielsätzigkeit – die Vorgeschichte der schwer definierbaren Sere­nadenform, die wesentlich auf die barocken Suiten mit ihren stilisierten Tänzen zurückweist. Das erste der beiden Trios im zweiten Satz ist ausschließlich den Klarinetten und Bassetthörnern vorbehalten – vielleicht ein weiteres Indiz für die zeitliche Nachbarschaft zu den experimentellen Bläserstücken zwischen 1783 und 1785. Die zwei

Trios des vierten Satzes unterscheiden sich mit atemberaubendem Kontrast: Während das erste durch unvermuteten, beinahe erschreckenden Ernst aus dem Rahmen der Konvention fällt, verbreitet das zweite die Gemütlichkeit einer behäbigen Tanzweise. Im dritten Satz, dem bewegenden »Adagio«, verdichtet Mozart ostinate Figuren (von »Begleitung« mag man gar nicht reden) zu einem Klanggeflecht, aus dem sich die hochexpressiven Phrasen der Oboe, der Klarinette und des Bassetthorns wie selbstverständlich herauslösen. Denkbar verschiedene Ausdruckswelten begegnen sich in der »Romance«, dem fünften Satz: Die elegische Ruhe des »Adagio«, die von der Coda noch vertieft wird, umrahmt einen verspielten und leicht grotesken »Allegretto«-­Teil. Die sechs Variationen des vorletzten Satzes offenbaren eine Phantasie der Klang­farben und der Instrumentation, die auch nach zwei – auf dem Gebiet der Orchestrierung wahrlich nicht enthaltsamen – Jahrhunderten verblüffen muss. Am Ende des Werkes steht ein kurzes Finalrondo, das von einem sich schier überstürzenden und geradezu explosiven Re­ frain vorangetrieben wird: ein idealer »Rausschmeißer« und zugleich ein Phänomen konzertanter Virtuo­sität der dreizehn Solisten.

Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«

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Opus summum et ultimum VERA BAUR

WOLFGANG AMADÉ MOZART (1756–1791) Requiem für Soli, Chor, Orgel und Orchester d-Moll KV 626 (Fragment) 1. Introitus: Requiem aeternam (Adagio) 2. Kyrie: Kyrie eleison (Allegro) 3. Sequenz: Dies irae (Allegro assai) – Tuba mirum (Andante) – Rex tremendae – Recordare – Confutatis (Andante) – Lacrimosa Gespielt werden nur die von Mozart skizzierten und von Franz Xaver Süßmayr vervollständigten Sätze 1-3 bis zum Takt 8 des Lacrimosa.

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg; gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.

ENTSTEHUNG Mozart begann die Arbeit an seinem Requiem wahrscheinlich Anfang Oktober

1791, musste sie aber mehrere Male zugunsten anderer Verpflichtungen unterbrechen. Da ihn ab dem 20. November eine (zuletzt tödliche) Krankheit ans Bett fesselte, konnte Mozart sein letztes Werk nicht mehr vollenden. Er scheint aber vom Krankenbett aus die Fortführung der Komposition mit seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr besprochen zu haben; zumindest geht dies aus einem Brief Süßmayrs vom 8. Februar 1800 an den Verlag Breitkopf & Härtel hervor, wo es heißt: »Endlich kam dieses Geschäft an mich, weil man wusste, daß ich noch bey Lebzeiten Mozarts die schon in Musik gesetzten Stücke öfters mit ihm durchgespielt und gesungen, daß er sich mit mir über die Ausarbeitung dieses Werkes sehr oft besprochen und mir den Gang und die Gründe seiner Instrumen­ tirung mitgetheilt hatte.«

URAUFFÜHRUNG Am 2. Januar 1793 in Wien »im Jahn’schen Saale« (im Rahmen eines von Baron Gottfried van Swieten veranstalteten Benefizkonzerts zugunsten von Mozarts Witwe Constanze und ihren beiden Söhnen).

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

8 Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne, jedem Ende, könnte man mit Blick auf das Schaffen großer Komponisten ergänzen, jedoch weit mehr. Mit mystischer Verzückung fühlt sich die Nachwelt vor allen zu jenen Werken ihrer Idole hingezogen, die ihre letzten sind. Von Bachs »Kunst der Fuge«, über Beethovens letzte Streichquartette und Tschaikowskys »Pathétique« bis zu Bruckners »Neunter« und Mahlers »Zehnter«: Den letzten Worten eines Komponisten wird stets die besondere Bedeutung der vermeintlich gespürten Todes­ nähe, der ahnungsvoll formulierten Essenz eines ganzen schöpferischen Lebens beigemessen. Von allen letzten Werken der Musikgeschichte jedoch hat keines die Hinterbliebenen und Nachgeborenen so beschäftigt, so fasziniert und verzaubert wie Mozarts Requiem, sein Fragment gebliebenes opus summum et ultimum, dessen Vollendung der Tod ihm und der Menschheit unerbittlich verweigerte.

LEGENDENBILDUNG UND MYSTIFIZIERUNG Die Legenden, die sich um dieses Werk von der Zeit seiner Entstehung an rankten, sind, nicht zuletzt durch Miloš Formans genialen – historisch aber unhaltbaren – Film »Amadeus« von 1984, allgemein bekannt. Der mysteriöse »anonyme« Auftrag, übermittelt durch einen »grauen Boten«, Mozarts Krankheit, seine angebliche Behauptung, er schreibe das Requiem für sein eigenes Begräbnis, bis hin zu der Vergiftungstheorie – all dies hat nicht dazu beigetragen, dass die Entstehungsumstände des Requiems nüchtern betrachtet wurden. Dabei gibt es wenig Anlass, die Dinge zu mystifizieren. Mozarts Totenmesse war ein Auftragswerk wie andere Werke seines letzten Lebensjahres auch, die »Deutschen

Tänze« etwa oder »La clemenza di Tito«. Dass der Besteller unerkannt bleiben wollte, scheint Mozart nicht sonderlich irritiert zu haben, der Auftrag war finanziell vielversprechend, und auch künstlerisch dürfte ihn die Möglichkeit, ein repräsentatives Werk im hohen Kirchenstil zu komponieren, sicherlich sehr gereizt haben – war doch die geistliche Musik, die ihm immer besonders am Herz gelegen hatte, während seiner Wiener Jahre mangels passender Aufführungsmöglichkeiten fast völlig in den Hintergrund getreten. So nahm Mozart den Requiem-­ Auftrag an und erfüllte ihn – wie er es in jedem anderen Fall auch tat – auf der Höhe des Stils und der Höhe seiner persönlichen Meisterschaft.

TRAGISCHER ZUFALL DER MUSIKGESCHICHTE Mozarts Requiem wäre auch dann unsterblich geworden, wenn es seinem Schöpfer vergönnt gewesen wäre, es zu vollenden und weiterzuleben. Dass Mozart über der Arbeit an seiner Totenmesse erkranken und sterben würde, dürfte ihm, zumindest zu Beginn der Komposition, selbst kaum in den Sinn gekommen sein. Noch Mitte Novem­­ber 1791, knapp drei Wochen vor seinem Tod, schlug er in der »Kleinen Freimaurer-­ Kantate« KV 623, seinem letzten vollendeten Werk, für das er die Arbeit am Requiem für kurze Zeit unterbrach, einen ganz und gar unbekümmerten und heiteren Ton an. Auch dies lässt schwerlich darauf schließen, dass er zu diesem Zeitpunkt glaubte, seine Totenmesse für sich selbst zu schreiben. Nein: Mozarts Tod nach der Niederschrift der ersten acht Takte des »Lacrimosa« seines Requiems ist nichts weiter als ein tragischer Zufall der Musikgeschichte – ein nicht allzu unwahrscheinlicher dazu, war doch der Tod für einen Menschen des 18.

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

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Joseph Lange: Constanze Mozart kurz nach der Eheschließung am 4. August 1782

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

10 Jahrhunderts (zumal vor der Erfindung des Penizillins) eine allgegenwärtige Bedrohung. Woran Mozart genau gestorben ist – rheumatisches Fieber, chronisches Nierenleiden oder eine akute Infektion –, wird sich wohl nie mehr definitiv klären lassen. Sicher ist, dass ihm mit den damals verfügbaren medizinischen Mitteln nicht mehr – oder besser: noch nicht – geholfen werden konnte. Natürlich haben sich im Zusammenhang mit Mozarts Requiem Dinge zugetragen, die nicht ganz dem Rahmen des Alltäglichen entsprachen – so vor allem die etwas ungewöhnlichen Umstände des Auftrags und der kommerzielle Ehrgeiz, den Mozarts Witwe Constanze bezüglich der »Vermarktung« des letzten Werkes ihres Mannes an den Tag legte.

EIN EITLER AUFTRAGGEBER… Im Sommer 1791 bestellte Franz von Walsegg, ein musikliebender Graf, der auf Schloss Stuppach am Semmering residierte, über einen Mittelsmann bei Mozart eine Totenmesse für seine im Februar verstorbene Gemahlin. Er gewährte eine großzügige Anzahlung und stellte die Bedingung, äußerste Verschwiegenheit zu wahren und, was ihn selbst betraf, zur Gänze anonym zu bleiben. Er hatte nämlich vor, das fertige Requiem abzuschreiben und bei der geplanten Aufführung im Rahmen der Gedenkmesse für die Gräfin als sein eigenes Werk auszugeben – ein eitler Schwindel, den er auch mit anderen fremden Partituren häufig trieb und den seine Musiker unter Vortäuschung respektvoller Anerkennung geduldig mitspielten. Tatsächlich erhielt der adlige Hochstapler 1792 aus den Händen Constanzes ein vollständiges Manuskript des Requiems und ließ Mozarts Werk als Schöpfung des »Conte Walsegg« am 14. Dezember 1793 zu Ehren seiner toten Gattin

in der Neuklosterkirche in Wiener Neustadt aufführen. Dass das Werk keineswegs ausschließlich aus der Feder Mozarts stammte, ahnte er nicht, ebenso wenig dass es bereits ein knappes Jahr zuvor, nämlich am 2. Januar 1793, im Rahmen eines in Wien veranstalteten Konzerts zugunsten der Witwe Mozarts und ihrer Kinder erklungen war, und zwar expressis verbis als Requiem von Wolfgang Amadé Mozart. Was war geschehen ?

…UND EINE GESCHÄFTSTÜCHTIGE WITWE Sehr rasch nach Mozarts Tod hatte Con­ stanze begriffen, dass sie, wenn sie die ausstehende zweite Hälfte des Requiem-­ Honorars erhalten wollte, dem Auftrag­ geber ein f­ ertiges Werk übermitteln musste – und zwar möglichst eines, das an der alleinigen ­ Autorschaft Mozarts keinen Zweifel ließ. Damit nahm der zweite Betrug im Zusammenhang mit Mozarts Requiem seinen Anfang. Constanze hatte beschlossen, das Werk von fremder Hand ergänzen zu lassen und vorzugeben, Mozart habe es noch vor seinem Tod selbst vollendet. Schon am 21. Dezember übergab sie das Fragment an Mozarts Schüler Joseph ­Eybler, der zwar mit der Vervollständigung der fehlenden Instrumentalstimmen begann, aber ganz offenbar davor zurückschreckte, die Sätze, zu denen Mozart in seinem Autograph keine Eintragungen hinterlassen hatte, neu zu schreiben. So nahm er von dem Auftrag recht bald wieder Abstand und gab Constanze die Partitur zurück. Danach dürfte für kurze Zeit der mit der Familie Mozart ­befreundete Komponist Abbé Maximilian Stadler im Spiel gewesen sein, bis sich Anfang des Jahres 1792 Franz Xaver Süßmayr, ein weiterer Schüler und enger Vertrauter Mozarts, der Sache annahm und

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

11 das Requiem innerhalb der ersten Jahreshälfte 1792 komplettierte. Constanze band die Manuskriptseiten von Mozart mit denen Süßmayrs zusammen und konnte sie, da die Handschriften kaum zu unterscheiden waren, dem Grafen von Walsegg – dessen Incognito inzwischen gelüftet war – als angebliches Original Mozarts überreichen. Ihr Geschäftssinn war allerdings so ausgeprägt, dass sie keine Bedenken hatte, gleichzeitig Kopien von dem Gemeinschaftswerk anfertigen zu lassen und diese auch an anderer Stelle als Werk Mozarts anzubieten – womit sie nicht nur die Forderung des Auftraggebers nach alleinigen Aufführungsrechten missachtete, sondern auch den Anteil Süßmayrs unterschlug. Erst acht Jahre nach Mozarts Tod, 1799, räumte sie in einem Brief an den Verlag Breitkopf & Härtel, der sich ebenfalls eine Kopie des Werkes erhandelt hatte und den Erstdruck vorbereitete, einen gewissen Anteil Süßmayrs an der Vollendung des Requiems ein – ein Anteil, auf den Süßmayr wenig später, ebenfalls in einem Brief an Breitkopf & Härtel, unmissverständlich Anspruch erhob.

MOZARTS VOLLENDER Wie groß ist der Anteil Franz Xaver ­Süßmayrs an Mozarts Requiem tatsächlich ? Diese Frage beschäftigt Musikliebhaber und Forscher bis auf den heutigen Tag, und zumindest den Laien beschleicht ein leichtes Unwohlsein bei dem Gedanken, sich mit ­ Liebe und Ehrfurcht einer Musik hinzugeben, die Mozart, in einigen Teilen, so vielleicht gar nicht geschrieben hätte. So wurde vor allem darüber spekuliert, wie nah Süßmayr mit seinen Ergänzungen den künst­lerischen Vorstellungen des Lehrers gekommen ist, ob es ihm gelungen ist, sich die musikalische Gedankenwelt Mozarts so sehr zu Eigen zu machen, dass man das

vollendete Werk ohne allzu große Einschränkung als eine Schöpfung Mozarts betrachten und verehren darf. Halten wir uns zunächst an die nüchternen Tatsachen, die die erhaltenen Manuskripte offenbaren: Mozart hinterließ von seiner Totenmesse nur einen vollständig ausgeführten Satz, das Introitus »Requiem aeternam«; zumindest der ergreifende Eröffnungssatz also ist authentischer Mozart. Die folgende »Kyrie«-Fuge, die sechs Teile der »Sequenz« – das grimmige »Dies irae«, das »Tuba mirum« mit dem großen Posaunen-Solo, das eherne »Rex tremendae«, das innig-beseelte »Recordare«, das aufwühlende »Confutatis« und die unbeschreiblichen ersten acht Takte des »Lacrimosa« – sowie die zwei Sätze des »Offertoriums«, das flehentliche »Domine Jesu« und das trostvolle »Hostias«, lagen dagegen nach Mozarts Tod nur im vierstimmigen Vokalsatz mit beziffertem Bass sowie Hinweisen zur Orchestrierung und zu einzelnen Instrumentalmotiven vor. Alle übrigen Sätze des Requiems – das »Sanctus«, »Benedictus«, »Agnus Dei« und die »Communio« – fehlten völlig und wurden von Süßmayr komplett neu geschrieben.

ORCHESTRIERUNG UND NEUKOMPOSITION Während Süßmayr also im Falle der fragmentarisch erhaltenen Sätze in erster Linie als Instrumentator gefordert war, hatte er im Fall der fehlenden Teile eine weit schwierigere Aufgabe zu bewältigen. Inwieweit er dabei auf Entwürfe oder mündliche Erläuterungen Mozarts zurückgreifen konnte, an dessen Krankenbett er wachte und mit dem er in den letzten Wochen und Tagen häufig über das Requiem sprach, entzieht sich unserer Kenntnis. Immer wieder war im Zusammenhang mit den nachkomponierten

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

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Die Besprechung des Requiems in der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung«, in der erstmals – 1801 ! – Süßmayrs Name genannt wird

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

13 Teilen des Requiems von gewissen »Zettelchen« die Rede, auf denen Mozart weitere Ideen notiert haben soll und die Constanze, nach dem Bericht des Abbé Stadler, Süßmayr nach Mozarts Tod übergeben habe. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich Süßmayr durchaus auf konkrete Hinweise stützen konnte. Auf jeden Fall war es ein geschickter und der Sache dienlicher Schachzug von Süßmayr, an zwei Stellen seiner Neukomposition Musik, die bereits von Mozart vorlag, wieder aufzugreifen, »um dem Werk«, wie er selbst schrieb, »mehr Einförmigkeit zu geben«: Die Communio »Lux aeterna« knüpft an das »Requiem aeternam« des Beginns an, und die anschließende »Cum sanctis«-Fuge entspricht der »Kyrie«-Fuge. Auf diese Weise spannen Mozart’sche Originalklänge einen Bogen über das ganze Werk. Überhaupt hat sich Süßmayr streng an die von Mozart entworfene Klanglichkeit gehalten: Die noch vom Komponisten selbst festgelegte Instrumentierung mit ihrem charakteristisch dunkel und warm gefärbten Ton – mit Bassetthörnern, Fagotten, Trompeten, Posaunen, Pauke, Streichern und Orgel, aber ohne Flöten, Oboen, Klarinetten und Hörner – hat Süßmayr an keiner Stelle geändert oder erweitert, auch hat er alle Motive, die Mozart in Skizzen andeutete, verwendet.

betreute. Und auch der Herausgeber der »Neuen Mozart-Ausgabe«, Leopold Nowak, beantwortet die Frage, ob es Süßmayr ­möglich war, »seine eigene Schreibweise zu vergessen« und »ein anderer [zu] werden«, zurückhaltend positiv: »Mit aller gebotenen Vorsicht sei hier die Meinung vertreten, dass dies Süßmayr bei der Vollendung von Mozarts Requiem gelang.« Bei aller Kritik, die Süßmayrs Bearbeitung wegen ihrer angeblichen Schwächen bei der Fortführung Mozart’scher Motive und vor allem in den von Süßmayr neu geschriebenen Teilen im Fachurteil schon immer aushalten musste und wahrscheinlich auch weiterhin aushalten muss, steht jedoch eines außer Zweifel: Ohne Süßmayr – so äußerte sich einmal Bernhard Paumgartner – wäre Mozarts Fragment niemals »zur lebendigen Anschaulichkeit des Kunstwerks emporgestiegen«; dafür, dass es schon 13 Monate nach Mozarts Tod aufgeführt werden konnte und die »Daseinskraft der endgültigen Schöpfung« erreicht habe, müsse die Nachwelt Süßmayr für immer dankbar sein.

»DASEINSKRAFT DER ENDGÜLTIGEN SCHÖPFUNG« Alles in allem wird man wohl zu dem Schluss kommen müssen, dass Süßmayr ein treuer Anwalt seines Lehrers war, dass er die aufrichtige Absicht verfolgte, in Mozarts Sinne zu handeln. »Er hat die Anlage Mozart’s sorgsam kopirt und sie mit soviel Fleiß wie Pietät ergänzt«, befand einst kein Geringerer als Johannes Brahms, der die Edition des Requiems für die »Alte Mozart-Ausgabe«

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

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»Requiem« I. INTROITUS Requiem aeternam dona eis, Domine: et lux perpetua luceat eis. Te decet hymnus, Deus, in Sion, et tibi reddetur votum in Jerusalem: exaudi orationem meam, ad te omnis caro veniet.

I. INTROITUS Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen. O Gott, Dir gebührt ein Loblied in Zion, Dir erfülle man sein Gelübde in Jerusalem. Erhöre mein Gebet; zu Dir kommt alles Fleisch.

II. KYRIE Kyrie, eleison. Christe, eleison. Kyrie, eleison.

II. KYRIE Herr, erbarme Dich unser. Christus, erbarme Dich unser. Herr, erbarme Dich unser.

III. SEQUENZ Dies irae, dies illa Solvet saeclum in favilla: Teste David cum Sibylla.

III. SEQUENZ Tag der Rache, Tag der Sünden, Wird das Weltall sich entzünden, Wie Sibyll’ und David künden.

Quantus tremor est futurus, Quando judex est venturus, Cuncta stricte discussurus !

Welch’ ein Graus wird sein und Zagen, Wenn der Richter kommt, mit Fragen Streng zu prüfen alle Klagen !

Tuba mirum spargens sonum Per sepulcra regionum, Coget omnes ante thronum.

Laut wird die Posaune klingen, Durch der Erde Gräber dringen, Alle hin zum Throne zwingen.

Mors stupebit et natura, Cum resurget creatura, Judicanti responsura.

Schaudernd sehen Tod und Leben Sich die Kreatur erheben, Rechenschaft dem Herrn zu geben.

Liber scriptus proferetur, In quo totum continetur, Unde mundus judicetur.

Und ein Buch wird aufgeschlagen, Treu darin ist eingetragen Jede Schuld aus Erdentagen.

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

15 Judex ergo cum sedebit, Quidquid latet, apparebit: Nil inultum remanebit.

Sitzt der Richter dann zu richten, Wird sich das Verborg’ne lichten; Nichts kann vor der Strafe flüchten.

Quid sum miser tunc dicturus ? Quem patronum rogaturus, Cum vix justus sit securus ?

Weh ! Was werd’ ich Armer sagen ? Welchen Anwalt mir erfragen, Wenn Gerechte selbst verzagen ?

Rex tremendae majestatis, Qui salvandos salvas gratis, Salva me, fons pietatis.

König schrecklicher Gewalten, Frei ist Deiner Gnade Schalten: Gnadenquell, lass’ Gnade walten !

Recordare, Jesu pie, Quod sum causa tuae viae: Ne me perdas illa die.

Milder Jesus, wollst erwägen, Dass Du kamest meinetwegen, Schleud’re mir nicht Fluch entgegen.

Quaerens me, sedisti lassus: Redemisti Crucem passus: Tantus labor non sit cassus.

Bist mich suchend müd’ gegangen, Mir zum Heil am Kreuz gehangen, Mög’ dies Müh’n zum Ziel gelangen.

Juste judex ultionis, Donum fac remissionis Ante diem rationis.

Richter Du gerechter Rache, Nachsicht üb’ in meiner Sache, Eh’ ich zum Gericht erwache.

Ingemisco, tamquam reus: Culpa rubet vultus meus: Supplicanti parce, Deus.

Seufzend steh’ ich schuldbefangen, Schamrot glühen meine Wangen, Lass’ mein Bitten Gnad’ erlangen.

Qui Mariam absolvisti, Et latronem exaudisti, Mihi quoque spem dedisti.

Hast vergeben einst Marien, Hast dem Schächer dann verziehen, Hast auch Hoffnung mir verliehen.

Preces meae non sunt dignae: Sed tu bonus fac benigne, Ne perenni cremer igne.

Wenig gilt vor Dir mein Flehen, Doch aus Gnade lass’ geschehen, Dass ich mög’ der Höll’ entgehen.

Inter oves locum praesta, Et ab haedis me sequestra, Statuens in parte dextra.

Bei den Schafen gib mir Weide, Von der Böcke Schar mich scheide, Stell’ mich auf die rechte Seite.

Confutatis maledictis, Flammis acribus addictis: Voca me cum benedictis.

Wird die Hölle ohne Schonung Den Verdammten zur Belohnung, Ruf’ mich zu der Sel’gen Wohnung.

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

16 Oro supplex et acclinis, Cor contritum quasi cinis, Gere curam mei finis.

Schuldgebeugt zu Dir ich schreie, Tief zerknirscht in Herzensreue, Sel’ges Ende mir verleihe.

Lacrimosa dies illa, Qua resurget ex favilla Judicandus homo reus.

Tag der Tränen, Tag der Wehen, Da vom Grabe wird erstehen Zum Gericht der Mensch voll Sünden !

Huic ergo parce, Deus.

Lass’ ihn, Gott, Erbarmen finden.

(An dieser Stelle des Requiemtextes bricht Mozarts Komposition ab.)

Die letzten Takte des Lacrimosa in Mozarts Handschrift

Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«

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Seraphische Schönheit MICHAEL KUBE

WOLFGANG AMADÉ MOZART (1756–1791) »Ave verum corpus« KV 618

TEXTVORLAGE Der Text des spätmittelalterlichen Reim­ gebets »Ave verum corpus« stammt aus der Sequenz »In honorem SS. Sacramenti« und taucht ab etwa 1300 in vielen religiösen Liedsammlungen auf. Als möglicher Textdichter wird in einer Quelle aus dem 14. Jahrhundert Papst Innocenz IV. genannt.

ENTSTEHUNG Die auf den 17. Juni 1791 datierte und am folgenden Tag von Mozart in sein autographes Werkverzeichnis eingetragene Komposition entstand während eines kurzen Besuchs in Baden bei Wien, wo sich seine Frau Constanze, abseits der Großstadt, auf die Geburt ihres sechsten (!) Kindes vorbereitete. Mit der nur 46 Takte umfassenden Motette bedankte sich Mozart beim ­Badener Chorleiter Anton Stoll für dessen vielfache organisatorische Hilfe.

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg; gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.

URAUFFÜHRUNG Vermutlich am 23. Juni 1791 in Baden bei Wien (im Rahmen der jährlichen Fronleichnamsprozession).

Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«

18 MOZARTS LIEBLINGSFACH Im Gegensatz zum reglementierten Dienst in der Salzburger Hofkapelle bot sich für Mozart in Wien ein vergleichsweise breites wie offenes Betätigungsfeld – und dies aus seiner Sicht auch ohne die ökonomische Absicherung durch eine feste Anstellung. Zudem konnte er sich in der Donaumetro­ pole ganz auf das Klavier konzentrieren, das sich in adeligen und bürgerlichen Kreisen größter Beliebtheit erfreute: »Hier ist doch gewiß das Klavierland !«, berichtet er in einem Brief vom 2. Juni 1781 dem besorgten Vater. Damit aber vollzog sich auch ein entscheidender Wandel hinsichtlich der schöpferischen Aktivitäten, in deren Zentrum fortan Konzerte, Kammermusik und Sonaten standen. Entsprechend komponierte Mozart in den letzten zehn Jahren seines Lebens kaum mehr Kirchenmusik – und was vorliegt, ist auf eigenartige Weise nur fragmentarisch: sowohl die offenbar groß angelegte, auf eigene Initiative hin begonnene Messe c-Moll KV 427, in der sich stilistisch Mozarts Begegnung mit der M ­ usik Georg Friedrich Händels widerspiegelt, wie auch im Requiem KV 626, das bekanntermaßen ein Auftragswerk des Grafen Franz von Walsegg ist. Die Entstehung weiterer Werke verhinderten über mehrere Jahre die strengen josephinischen Reformen, die kaum mehr einen Anlass zu solemner Kirchenmusik boten. Dazu passt auch eine wohl von Con­ stanze vermittelte Einschätzung, die sich in der 1798 in Prag gedruckten Mozart-­ Biographie von Franz Xaver Niemetschek findet: »Kirchenmusik war das Lieblingsfach Mozarts. Aber er konnte sich demselben am wenigsten widmen.« Noch ausführlicher berichtet Georg Nikolaus Nissen 1828: »Mozart’s liebste Unterhaltung war

Musik; wenn ihm daher seine Gemahlin eine recht angenehme Ueberraschung an einem Familienfeste machen wollte, so veranstaltete sie im Geheim die Aufführung e iner neuen Kirchen-Composition von ­ ­Michael oder J ­ oseph Haydn.« Vor diesem Hintergrund erscheinen zahlreiche Fragmente (darunter auch das gewichtige Kyrie c-Moll KV 341) wie auch Mozarts im Frühjahr 1791 eingereichte Bewerbung um die Nachfolge des ernsthaft erkrankten Leopold Hofmann, K ­ apellmeister am Stephansdom, nur konsequent. Zurecht verwies er dabei darauf, dass er »auch im kirchenstyl ausgebildete känttnisse« hätte. Doch während sich Hofmanns Gesundheit wieder erholte, starb Mozart am Ende des Jahres, noch bevor er das ihm zugesprochene Amt antreten konnte.

KLEINOD MIT WIRKUNG In diesem Kontext betrachtet, erscheint die kleinformatige Motette »Ave verum corpus« nicht mehr bloß als ein in ihrer Art vollendetes singuläres Gelegenheitswerk. Vielmehr gibt sie einen Eindruck von Mozarts kompositorischer Souveränität, auch mit einem vordergründig beschränkten technischen Aufwand einen musikalischen Verlauf zu gestalten, der in seiner schlichten, nahezu volkstümlichen Andacht auch noch 120 Jahre nach seiner Entstehung unmittelbar anrührt. Erreicht wird dies durch einen weitgehend homophon fortschreitenden, in Viertaktgruppen gegliederten Chorsatz, der erst zu Beginn des fünften Verses (»Cujus latus perforatum« – Dessen durchbohrte Seite) in verhaltener, ehrfürchtiger Erregung harmonisch ausgreift. Nur mit Streichern und Orgel begleitet, kommt die Komposition ohnehin mit einer einzigen dynamischen Vorschrift aus (sotto voce).

Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«

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Joseph Lange: Mozart am Klavier (unvollendetes Portrait, 1789)

Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«

20 Neuerdings wird vermutet, Mozart habe sich bei seinem »Ave verum corpus« an der ebenfalls für das Fronleichnamsfest geschriebenen Sequenz »Lauda Sion salvatorem« von Michael Haydn aus dem Jahre 1775 orientiert – ein Werk, von dem Mozart tatsächlich im März 1783 eine ­Kopie aus Salzburg anforderte, um es in den jeden Sonntag im Hause des Barons van Swieten stattfindenden »Musikalischen Übungen« zur Aufführung zu bringen; ob er es freilich auch noch Jahre später in Baden greifbar hatte, darf bezweifelt werden. Mozarts Kompo­sition erfreute sich jedenfalls schon im 19. Jahrhundert einer anhaltenden Beliebtheit. So stellte Franz Liszt in seiner sakral gestimmten Klavierkomposition »À la Chapelle Sixtine« das Werk dem legendären »Miserere« von Gregorio Allegri (1582–1652) gegenüber, und Pjotr Iljitsch Tschaikowsky nahm es in seine »Mozartiana«-­Suite (1887) unter der Überschrift »Preghiera« (Gebet) auf.

GESANGSTEXT Ave verum Corpus natum de Maria Virgine. Vere passum, immolatum in cruce pro homine. Cujus latus perforatum unda fluxit et sanguine. Esto nobis praegustatum in mortis examine. Sei gegrüßt, wahrer Leib, geboren von Maria, der Jungfrau. Der wahrhaft litt und geopfert wurde am Kreuz für den Menschen. Dessen durchbohrte Seite von Wasser floss und Blut. Sei uns Vorgeschmack in der Prüfung des Todes.

Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«

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Zubin Mehta DIRIGENT

ihn 1981 zum Music Director auf Lebenszeit ernannte, 1978 des New York Philharmonic Orchestra, dem er insgesamt 13 Jahre als Music Director vorstand, und 1985 des Musikfestivals »Maggio Musicale Fiorentino«, wo er regelmäßig Opernproduktionen und Konzerte dirigiert.

Zubin Mehta wurde 1936 in Bombay / Indien geboren und wuchs in einer musikalischen Familie auf. Nach zwei Semestern Medizinstudium konzentrierte er sich ganz auf die Musik und nahm bei Hans Swarowsky an der Wiener Musikakademie Dirigierunterricht; in der Folge gewann er den Dirigierwettbewerb von Liverpool und den Sergej Koussewitzky-­ Wettbewerb in Tanglewood. Im Alter von 25 Jahren hatte Zubin Mehta bereits die Wiener und Berliner Philharmoniker dirigiert. Als Music Director leitete er das Montreal Symphony Orchestra (1961–1967) und das Los Angeles Philharmonic Orchestra (1962– 1978). 1977 wurde Zubin Mehta Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra, das

Sein Debüt als Operndirigent hatte Zubin Mehta bereits 1963 in Montreal gegeben; seitdem dirigierte er u. a. an der Metropo­ li­tan Opera New York, an der Wiener Staats­ oper, am Londoner Royal Opera House Covent Garden, am Mailänder Teatro alla Scala und bei den Salzburger Festspielen. 1998 bis 2006 war Zubin Mehta General­ musik­direktor der Bayerischen Staatsoper, deren Ehrenmitglied er heute ist. 2006 eröffnete er den Palau de les Arts Reina Sofia in Valencia und leitete dort bis 2014 das jährliche Festival del Mediterrani. Zubin Mehta trägt den »Arthur NikischRing« und den Ehrenring der Wiener Philharmoniker; in Würdigung seiner außerordentlichen Verdienste um die Münchner Philharmoniker ernannte ihn das Orchester 2004 zum ersten Ehrendirigenten seiner Geschichte.

Die Künstler

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Mojca Erdmann

Okka von der Damerau

SOPRAN

MEZZOSOPRAN

Die in Hamburg geborene Sopranistin Mojca Erdmann studierte Violine und Gesang in Köln. Gastengagements führten sie u. a. an die Opernhäuser von New York, Mailand, Paris, Madrid, Wien und Stuttgart. In der Titelpartie von »Lulu« war sie u. a. an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und der Nederlandse Opera in Amsterdam zu erleben. Zu ihrem Repertoire gehören außerdem Partien wie Pamina (»Die Zauber­ flöte«), Susanna (»Le nozze di Figaro«), Zerlina (»Don Giovanni«), Marzelline (»Fidelio«) und Despina (»Così fan tutte«). Seit 2006 gastiert sie bei den Salzburger Festspielen, etwa in der Titelpartie von »Zaide«, als Zelmira (»Armida«) und als Adele (»Die Fledermaus«). Als Interpretin zeitgenössischer Musiktheaterwerke sang sie in der Produktion »Takemitsu – My Way of Life« in Berlin, 2009 bei den Schwetzinger Festspielen die Titelrolle in Wolfgang Rihms für sie geschriebener Oper »Proserpina« und 2016 bei der Uraufführung von Miroslav ­Srnkas »South Pole« in München.

Okka von der Damerau, geboren in Hamburg, begann ihr Gesangsstudium in Rostock und schloss es an der Hochschule für Musik in Freiburg ab. Von 2006 bis 2010 war sie Ensemblemitglied der Staatsoper Hannover. Nachdem sie als Erste Magd (»Elektra«) an der Bayerischen Staatsoper debütierte, ist sie seit der Spielzeit 2010/11 dort Ensemble­mitglied. In der aktuellen Spielzeit singt Okka von der Damerau in München Ulrica in Verdis »Un ballo in Maschera«, Magdalena in Wagners »Die Meistersinger«, und Abbess in Prokofjews »Der feurige Engel«. Seit 2013 singt sie in Bayreuth Floßhilde in »Das Rheingold« sowie die 1. Norn und Floßhilde in »Götterdämmerung« in Castorfs »Ring«-­ Inszenierung unter dem Dirigat von Kirill Petrenko. In der Saison 2013/14 debütierte sie sowohl an der Deutschen Oper Berlin als Floßhilde in »Das Rheingold« unter Sir Simon Rattle und Donald Runnicles als auch an der Staatsoper Berlin mit der Partie der Page in »Salome« unter Zubin Mehta.

Die Künstler

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Michael Schade

Christof Fischesser

TENOR

BASS

Als einer der führenden Tenöre unserer Zeit gefeiert, gastiert der Deutsch-Kanadier regelmäßig an den wichtigsten Opernbühnen in Europa und Nordamerika, wie bei den Salzburger Festspielen, in Hamburg, New York und Toronto und war u. a. auch an der Scala, am Covent Garden, in Paris, Barcelona und Amsterdam zu hören. Die Wiener Staats­oper, wo er in allen Mozart- und Strauss-­ P artien seines Fachs zu hören war, ernannte ihn 2007 zum Österreichischen Kammersänger. Mit Nikolaus Harnoncourt verband ihn eine langjährige, enge Zusammenarbeit. Er widmet sich auch intensiv der Konzert­ literatur und dem Liedgesang und hat mit den führenden Orchestern unter so namhaften Dirigenten wie Abbado, Boulez, Bychkov, Chailly, Gergiev, Harding, Jansons, Jordan, Muti, Rattle, Thielemann, Ticciati, Welser-­ M öst und Young gesungen, was auf zahlreichen Aufnahmen dokumentiert ist. Michael Schade ist Künstlerischer Leiter der Hapag-­Lloyd Stella Maris Vocal Competition und der Internationalen Barocktage Stift Melk.

Der Bass Christof Fischesser studierte Gesang bei Martin Gründler an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main. Nach seinem Erstengagement am Badischen Staatstheater Karlsruhe wechselte er 2004 an die Staatsoper Berlin. Von 2012 bis 2015 war er Ensemblemitglied am Opernhaus Zürich, mit dem ihn weiterhin eine besonders enge Zusammenarbeit verbindet. Christof Fisch­esser gastierte unter anderem an der W ­ iener Staatsoper, am Royal Opera House Covent Garden London, an der Opéra Bastille Paris, dem Teatro Real in Madrid, der Staatsoper München, der Komischen Oper Berlin, der Semper­ oper Dresden, der Opéra de Lyon, am Théâtre du Capitole de Toulouse, an der Houston Grand Opera, der Lyric Opera ­Chicago sowie den Opernhäusern von Antwerpen, Kopenhagen und Göteborg. Außerdem ist er auf den internationalen Konzertpodien ein gefragter Solist und regelmäßig bei den wegweisenden Festivals zu Gast, so z. B. bei den Salzburger Festspielen oder dem Festival d’Aix-en-Provence.

Die Künstler

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Andreas Herrmann CHORDIREKTOR

chor, daneben zeitweise auch den Madrigalchor der Hochschule, und betreute in dieser Zeit Oratorienkonzerte, Opernaufführungen und a-cappella-Programme aller musikalischen Stilrichtungen. Pädagogische Erfolge erzielt Herrmann weiterhin mit der Ausbildung professioneller junger Chordirigenten aus ganz Europa, wie etwa in einem Spezialworkshop über neue a-cappella-­ Musik.

Der 1963 in München geborene Dirigent und Chorleiter schloss sein Studium an der Münchner Musikhochschule mit dem Meisterklassen-Diplom ab. Seine Ausbildung er­gänzte er durch zahlreiche internationale Chorleitungsseminare und Meisterkurse bei renommierten Chordirigenten wie Eric Ericson und Fritz Schieri. Als Professor an der Hochschule für Musik und Theater in München unterrichtet An­ dreas Herrmann seit 1996 vorwiegend im Hauptfach Chordirigieren. Zehn Jahre, von 1996 bis 2006, leitete er den Hochschul-

1996 übernahm Andreas Herrmann als Chordirektor die künstlerische Leitung des Philharmonischen Chores München. Mit ihm realisierte er zahlreiche Einstudierungen für Dirigenten wie Lorin Maazel, Zubin Mehta, Christian Thielemann, James Levine, Mariss Jansons, Krzysztof Penderecki, Manfred Honeck, Andrew Manze, Ton Koop­ man und viele andere. Mit dem Philharmonischen Chor und anderen professionellen Chören, Orchestern und Ensembles ent­ faltet Herrmann auch über sein Engagement bei den Münchner Philharmonikern hinaus eine rege Konzerttätigkeit, die auch CD-Produktionen einschließt. Konzertreisen als Chor- und Oratoriendirigent führten ihn durch Europa, nach Ägypten und in die Volksrepublik China.

Die Künstler

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Philharmonischer Chor München Der Philharmonische Chor München ist einer der führenden Konzertchöre Deutschlands und Partnerchor der Münchner Philharmoniker. Er wurde 1895 von Franz Kaim, dem Gründer der Münchner Philharmoniker, ins Leben gerufen und feierte 2015 seinen 120. Geburtstag. Seit 1996 wird er von Chordirektor Andreas Herrmann geleitet. Das Repertoire erstreckt sich von barocken Oratorien über a-cappella- und chorsym­ phonische Literatur bis zu konzertanten Opern und den großen Chorwerken der Gegenwart. Das musikalische Spektrum umfasst zahlreiche bekannte und weniger bekannte Werke von Mozart über Verdi, Puccini, Wagner und Strauss bis hin zu Schönbergs »Moses und Aron« und Henzes »Bassariden«. Der Chor pflegt diese Literatur ebenso wie die Chorwerke der Komponisten Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Bruckner, Reger, Strawinsky, Orff oder Penderecki. Er musizierte u. a. unter der Leitung von Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Krzysztof Penderecki, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Sergiu Celibidache, Zubin Mehta, Mariss Jansons, James Levine, Christian Thielemann und Lorin Maazel. In den vergangenen Jahren hatten Alte und Neue Musik an Bedeutung gewonnen: Nach umjubelten Aufführungen Bach’scher Passionen unter Frans Brüggen folgte die Ein-

ladung zu den Dresdner Musikfestspielen. Äußerst erfolgreich wurde auch in kleineren Kammerchor-Besetzungen unter Dirigenten wie Christopher Hogwood und Thomas Hengelbrock gesungen. Mit Ton Koopman entwickelte sich eine enge musikalische Freundschaft, die den Chor auch zu den »Europäischen Wochen« in Passau führte. Im Bereich der Neuen Musik war der Philharmonische Chor München mit seinen Ensembles bei Ur- und Erstaufführungen zu hören. So erklang in der Allerheiligen-­ Hofkirche die Münchner Erstaufführung der »Sieben Zaubersprüche« von Wolfram Buchenberg unter der Leitung von Andreas Herrmann. Ende 2014 gestaltete der Chor die Uraufführung von »Egmonts Freiheit – oder Böhmen liegt am Meer« unter der Leitung des Komponisten Jan Müller-­ Wieland. Der Philharmonische Chor ist ein gefragter Interpret von Opernchören und setzt nachdrücklich die unter James Levine begonnene Tradition konzertanter Opernaufführungen fort, die auch unter Christian Thielemann mit großem Erfolg gepflegt wurde. Zu den CD-Einspielungen der jüngeren Zeit zählen Karl Goldmarks romantische Oper »Merlin«, die 2010 den ECHO-Klassik in der Kategorie »Operneinspielung des Jahres – 19. Jahrhundert« gewann, und eine Aufnahme von Franz von Suppés »Requiem«, die für den International Classical Music Award (ICMA) 2014 nominiert wurde.

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Die Philharmoniker als Botschafter tschechischer und polnischer Musik GABRIELE E. MEYER Am 14. Oktober 1893 begann die philharmonische Orchestergeschichte in München mit der Wiedergabe von Smetanas Ouvertüre zu »Die verkaufte Braut«. Dieses Stück sowie die Tondichtungen »Die Moldau« und »Vyšehrad« aus »Má Vlast« gehörten über viele Jahre ebenso zum Standardrepertoire wie Antonín Dvořáks Cellokonzert op. 104. Gerne wurden auch die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin aufs Programm gesetzt, ergänzt durch das Konzert-Allegro A-Dur in einer Bearbeitung von Jean Louis Nicodé für Klavier und Orchester. Andere polnische und tschechische Komponisten wurden meist nur einmal vorgestellt. Zu ­ihnen zählten Mieczysław Karłowicz, Emil Młynarski, Ignacy Paderewski, Karol Szymanowski und Henri Wieniawski sowie Josef Suk und Jaromír Weinberger. Eine Ausnahme bildete Leoš Janáček, von dem innerhalb kurzer Zeit gleich drei Werke zu hören waren. Sehr viel später setzte man aus politisch-­ ideologischen Gründen fast ausschließlich auf kroatische Komponisten wie Krešimir Baranović, Jakov Gotovac, Boris Papandopulo und Josip Slavenski.

Wie unterschiedlich heute zum klassischen Kanon zählende Werke erstmals aufgenommen wurden, zeigen zwei Beispiele. Kaum zu glauben: Am 16. April 1904 wurde Ignacy Paderewskis in München noch unbekanntes Klavierkonzert op. 17 mit wesentlich größerem Beifall bedacht als Schumanns »selten gehörtes« Konzert op. 54; andererseits aber stieß Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen Welt« bei ihrer ersten Aufführung am 5. Januar 1898 zunächst auf indignierte Ablehnung. So ließ die »Münchner Post« verlauten, dass man anstelle der »neuen amerikanischen, bei den Yankees patentirten Unterhaltungs- und Plantagen-Symphonie des vielstrebenden Herrn Dvorak« lieber einen zeitgenössischen deutschen Tondichter wie Richard Strauss gehört hätte. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« bekrittelten die »dummpfiffige Lustigkeit« des zweiten, national gefärbten Themas (Kopfsatz), die motivische Kleinteiligkeit »und alle möglichen, mit äußerster Finesse in Szene gesetzten Instrumentaleffekte des langsamen Satzes, der durch seine Länge allerdings doch sehr ermüdend wirkt«. Das verhältnismäßig origi-

Slawische Musik in München

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Konzertankündigung für den 6. März 1930 mit der Münchner Erstaufführung der »Glagolitischen Messe« von Leoš Janáček durch die Münchner Philharmoniker

Slawische Musik in München

28 nelle Scherzo lehnte sich ihrer Meinung nach zu sehr an den gleichartigen Satz aus der »Harold«-Symphonie von Berlioz an. Und auch dem effektvoll aufgebauten Finale sprach der Kritiker keine besondere Originalität zu. Als Bereicherung der symphonischen Literatur, so sein Fazit, könne man das Werk jedenfalls nicht bezeichnen. Janáčeks 1926 entstandene »Sinfonietta« erklang in München zum ersten Male am 1. März 1929. Nur ein knappes Jahr später folgte unter der Leitung von Adolf Mennerich die Orchester-Rhapsodie »Taras Bulba«, schließlich, am 6. März 1930, im Rahmen der »Woche Neuer Musik«, die »Glagolitische Messe«. Vier Tage vor der Aufführung ver­ öffentlichten die »Münchner Neuesten Nach­ richten« eine ausführliche Einführung, erstaunlich in ihrer detaillierten Beschreibung der einzelnen Teile, gepaart mit viel Einfühlungsvermögen in die stilistischen Besonderheiten des Werks. Gleichwohl rea­gierten Konzertbesucher und Pressevertreter ob der Auslegung des Messetextes teilweise irritiert, ungeachtet der Tatsache, dass sie das satztechnisch geniale Können, die phänomenal temperamentvolle Schaffenskraft, die den 72-jährigen Komponisten diese großartige Schöpfung vollbringen ließ, durchaus anerkannten. Der stürmische Beifall in der ausverkauften Tonhalle galt zuvörderst der ausgezeichneten Leistung aller Ausführenden, dem Chor, »der die enormen Schwierigkeiten schon hinsichtlich Treff­ sicherheit und Intonation hervorragend bewältigte«, den Philharmonikern, »die alles gaben, was der Dirigent an Klang und Ausdruck von ihnen forderte« und dem ausgezeichneten Organisten. Einhelliges Lob gab es auch für die Solisten, vor allem für Julius Patzak.

Auch für das Konzert am 5. Januar 1938, das im Rahmen des deutsch-polnischen Kulturaustausches stattfand, gab es einen Vorbericht, der Bezug nimmt auf ein vorausgegangenes, äußerst erfolgreiches Konzert in Polen. Der Dirigent Adolf Mennerich war Anfang Dezember 1937 in Begleitung des philharmonischen Solocellisten Hermann von Beckerath nach Posen gereist und hatte mit dem dortigen Symphonieorchester musiziert. »Die Hauptstadt der Bewegung«, so hieß es, »hält es nun für eine Ehrenpflicht, auch den polnischen Gästen einen würdigen Empfang zu ihrem Konzert zu bereiten und dabei ihrem Dank für die außerordentliche herzliche Aufnahme der deutschen Künstler in Polen Ausdruck zu geben«. Neben Wagners »Holländer«-Ouvertüre und Dvořáks »Neunter« stellte Zygmunt Latoszewski zwei in München noch unbekannte Komponisten vor: Von Mieczysław Karłowicz erklang die romantische Legende »Stanislaw und Anna Oswiecimowie«, von Karol Szymanowski dessen Violinkonzert Nr. 1 op. 35, gespielt von Zdzislaw Jahnke. Dirigent und Solist wurden nicht nur »hinsichtlich der glänzenden Wiedergabe der von ihnen gebrachten Stücke« bejubelt, sondern auch dafür, dass sie zwei neue Werke ihrer Landsleute mitgebracht hatten. – Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 beendete die »friedliche Verständigung zwischen den beiden Nationen« abrupt. In der Folge wurde der Anteil an ausländischer Musik je nach Kriegsverlauf auf ein Mindestmaß reduziert. Von den slawischen Komponisten blieben am Ende nur noch die kroatischen übrig.

Slawische Musik in München

29 Donnerstag 31_03_2016 20 Uhr k4 Freitag 01_04_2016 20 Uhr d

Montag 04_04_2016 20 Uhr b Dienstag 05_04_2016 20 Uhr g4

SERGEJ PROKOFJEW Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25 »Symphonie classique« Symphonie Nr. 7 cis-Moll op. 131 ANTON BRUCKNER Symphonie Nr. 3 d-Moll (Endfassung 1889)

SERGEJ PROKOFJEW Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25 »Symphonie classique« KAROL SZYMANOWSKI Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. 35 SERGEJ RACHMANINOW »Symphonische Tänze« op. 45

VALERY GERGIEV Dirigent

VALERY GERGIEV Dirigent JANINE JANSEN Violine

Sonntag 03_04_2016 11 Uhr m SERGEJ PROKOFJEW Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25 »Symphonie classique« KAROL SZYMANOWSKI Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. 35 ANTON BRUCKNER Symphonie Nr. 3 d-moll (Endfassung 1889) VALERY GERGIEV Dirigent JANINE JANSEN Violine

Vorschau

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Die Münchner Philharmoniker 1. VIOLINEN Sreten Krstič, Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici, Konzertmeister Julian Shevlin, Konzertmeister Odette Couch, stv. Konzertmeisterin Lucja Madziar, stv. Konzertmeisterin Claudia Sutil Philip Middleman Nenad Daleore Peter Becher Regina Matthes Wolfram Lohschütz Martin Manz Céline Vaudé Yusi Chen Iason Keramidis Florentine Lenz

2. VIOLINEN Simon Fordham, Stimmführer Alexander Möck, Stimmführer IIona Cudek, stv. Stimmführerin Matthias Löhlein, Vorspieler Katharina Reichstaller Nils Schad Clara Bergius-Bühl Esther Merz Katharina Triendl Ana Vladanovic-Lebedinski Bernhard Metz Namiko Fuse Qi Zhou

Clément Courtin Traudel Reich

BRATSCHEN Jano Lisboa, Solo Burkhard Sigl, stv. Solo Julia Rebekka Adler, stv. Solo Max Spenger Herbert Stoiber Wolfgang Stingl Gunter Pretzel Wolfgang Berg Beate Springorum Konstantin Sellheim Julio López Valentin Eichler Yushan Li

VIOLONCELLI Michael Hell, Konzertmeister Floris Mijnders, Solo Stephan Haack, stv. Solo Thomas Ruge, stv. Solo Herbert Heim Veit Wenk-Wolff Sissy Schmidhuber Elke Funk-Hoever Manuel von der Nahmer Isolde Hayer Sven Faulian David Hausdorf Joachim Wohlgemuth

Das Orchester

31 KONTRABÄSSE Sławomir Grenda, Solo Fora Baltacigil, Solo Alexander Preuß, stv. Solo Holger Herrmann Stepan Kratochvil Shengni Guo Emilio Yepes Martinez Ulrich Zeller

Hubert Pilstl Mia Aselmeyer

TROMPETEN Guido Segers, Solo Bernhard Peschl, stv. Solo Franz Unterrainer Markus Rainer Florian Klingler

FLÖTEN

POSAUNEN

Michael Martin Kofler, Solo Herman van Kogelenberg, Solo Burkhard Jäckle, stv. Solo Martin Belič Gabriele Krötz, Piccoloflöte

Dany Bonvin, Solo David Rejano Cantero, Solo Matthias Fischer, stv. Solo Quirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune

OBOEN

PAUKEN

Ulrich Becker, Solo Marie-Luise Modersohn, Solo Lisa Outred Bernhard Berwanger Kai Rapsch, Englischhorn

Stefan Gagelmann, Solo Guido Rückel, Solo Walter Schwarz, stv. Solo

KLARINETTEN Alexandra Gruber, Solo László Kuti, Solo Annette Maucher, stv. Solo Matthias Ambrosius Albert Osterhammer, Bassklarinette

FAGOTTE Lyndon Watts, Solo Jürgen Popp Johannes Hofbauer Jörg Urbach, Kontrafagott

HÖRNER Jörg Brückner, Solo ~eira, Solo Matias Pin Ulrich Haider, stv. Solo Maria Teiwes, stv. Solo Robert Ross Alois Schlemer

SCHLAGZEUG Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger Jörg Hannabach

HARFE Teresa Zimmermann, Solo

CHEFDIRIGENT Valery Gergiev

EHRENDIRIGENT Zubin Mehta

INTENDANT Paul Müller

ORCHESTERVORSTAND Stephan Haack Matthias Ambrosius Konstantin Sellheim

Das Orchester

32 IMPRESSUM Herausgeber: Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: HEYE GmbH München

heber genehmigungs- und kostenpflichtig.

BILDNACHWEISE Abbildungen zu Wolfgang Amadé Mozart: H. C. Robbins Landon, Wolfgang Amadeus Mozart, Höhepunkte eines Künstlerlebens, München 2005; Heinz Gärtner, Mozarts Requiem und die Geschäfte der Constanze M., München / Wien 1986, Max Becker und Stefan Schickhaus, Wolfgang Amadeus Mozart, Güterslooh 2005. Künstlerphotographien: Wilfired Hösl (Mehta), Felix Broede (Erdmann), Michael Lieb (von der Damerau), Harald Hoffmann (Schade), Jens Fischesser (Fischesser).

So entsteht eine zweifache Würdigung Mozarts: seiner Person und seines Werks! »Für mich als Synästhetikerin ist das Projekt mit den Münchner Philharmonikern bisher eines der schönsten Synergien!« (Lea Jade, 2016)

DIE KÜNSTLERIN

TEXTNACHWEISE

TITELGESTALTUNG

Die 1982 geborene Malerin, Komponistin und Synästhetikerin Lea Jade lebt als freischaffende Künstlerin in München. Dort studierte sie auch Musikwissenschaften und Kunst. Nicht nur ein Austausch zwischen den Künsten war bisher ihr Anliegen, sondern auch zwischen Künstlern. Daher gründete sie 2012 das Atelierhaus »engl« in München, in dem sie auch arbeitet.

Wolfgang Stähr, Vera Baur, Michael Kube und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler verfasste die lexikalischen Werkangaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken. Künstlerbiographien: nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Ur-

Hinter dem Plakat verbirgt sich ein beinahe 4 qm großes Gemälde, das die Synästhetikerin Lea Jade zu Mozarts Requiem malte. Die Künstlerin sieht Farben, wenn sie Klänge hört und setzt diese in ihren Klangbildern um. Mozart erscheint dabei nicht nur in Farbe. Bei genauerer Betrachtung tritt auch sein Gesicht in abstrahierter Form in Erscheinung gebündelt im Logo der Münchner Philharmoniker!

Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt

Graphik: dm druckmedien gmbh München Druck: Gebr. Geiselberger GmbH Martin-Moser-Straße 23 84503 Altötting

Impressum

Raus aus dem Alltag, rein ins Konzert MIT DER KONZERTKARTE 25 | 50, DER NEUEN ERMÄSSIGUNGSKARTE DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER

Erleben Sie große Konzerte zum kleinen Preis. Mit unserer Konzertkarte 25 erhalten Sie 12 Monate lang 25% Ermäßigung auf alle Konzerte der Münchner Philharmoniker (ausgenommen »Klassik am Odeonsplatz«, Veranstaltungen von »Spielfeld Klassik« und »MPhil vor Ort«). Mit der Konzertkarte 50 bekommen Sie sogar 50% Preisnachlass. Der Preis beträgt 25 € (Konzertkarte 25) bzw. 100 € (Konzertkarte 50). Erhältlich bei München Ticket Weitere Informationen unter mphil.de

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DAS ORCHESTER DER STADT

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