Vorlesung, Seminar, UaK (G2, G3) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Diagnostik und Therapie der Alkoholabhängigkeit (ICD-10: F10.2) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE)
Vorlesung, Seminar, UaK (G2, G3) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Erstellung des Inhalts: Prof. Dr. Martin Lambert Lehrbeauftragter Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Martinistr. 52, 20246 Hamburg Gebäude W37 Tel.: +49-40-7410-24041 Fax: +49-40-7410-52229 E-Mail:
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Überblick Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Übersicht zum Krankheitsbild Grundlagen • • • •
Epidemiologie Diagnostik: u.a. Symptomatik, Komorbidität, Risikofaktoren Diagnostische Kriterien nach Leitlinien nach ICD-10 Ätiologie / Pathogenese
Therapie • Prävention / Früherkennung • Pharmakotherapie • Psychosoziale Therapie
Verlauf und Prognose
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Übersicht zum Krankheitsbild
1-Jahres-Prävalenz Alkoholabhängigkeit in Europa (2005 / 2011)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
40
30
38,3
1-Jahres-Prävalenz psychischer Erkrankungen 2005 1-Jahres-Prävalenz psychischer Erkrankungen 2011
27,4
2005 1-Jahres-Prävalenz von 2.4% 2011 1-Jahres-Prävalenz von 3.4%
20
10
6,9 6,9
1,2
4,9
3,4 0,5 0,3 0,5
6,3
1 0,81,2
0,9 0,9
1,8 1,8 1,3 2 2,3 2,3 1,7
2,4 0,7 0,7 0,70,7
0,4 0,3 0,4 0,3
0,7
0,6
0,4
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2,4
6,4 6,4
Wittchen et al. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
1
Betroffene mit Alkoholabhängigkeit in Europa (2005 / 2011)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
118,1
120
Betroffene in Millionen 2005 Betroffene in Millionen 2011
100 82,7
80
2005: 7.2 Millionen Betroffene 2011: 14.6 Millionen Betroffene
60 40
30,3
3,3
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Wittchen et al. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
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22,7 18,5
18,4
Erkrankungen mit den meisten Lebensjahren mit Behinderung in Europa 2011
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Depression
4320400 2236514
Demenz
2039741
Alkohol Krankheit
1576838
Schlaganfall Drogen Krankheit
756548
Bipolare Störung
727841
Migräne
642677
Schizophrenie
637693
Insomnie
389753
Panikstörung
383783
Parkinson Krankheit
334446
Zwangsstörung
2011 rangierte die bipolare Störung unter allen psychischen und neurologischen Erkrankungen auf Platz 3!
329684
Epilepsie
260424
PTBS
245475
Lebensjahre mit Behinderung bei psychischen und neurologischen Erkrankungen
172826
Multiple Sklerose
5393
Mentale Retardierung
0
1000000
2000000
Wittchen et al. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
3000000
4000000
5000000
Übersicht zum Krankheitsbild Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Krankheitsaspekt
Wissen
Lebenszeitprävalenz
13–26%
Punktprävalenz
2,4%
Prävalenzraten für alkohol bezogene Störungen
Pro-Kopf-Konsum
9,6 Liter reinen Alkohol/Jahr (in Deutschland)
Geschlechterverhältnis
2,5/1 (m/w)
Erkrankungsalter
Höchster Anteil in der Gruppe der 17- bis 22-Jährigen (30–35%)
Wichtige Komorbiditäten
Tabakabhängigkeit (70–90%), Angststörungen, affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen
Erblicher Faktor
40–60% (Familien- und Zwillingsstudien)
Leitlinien
AWMF: Leitlinien der DG-Sucht und DGPPN
1,6 Mio. Menschen (2,4%) mit aktueller Alkoholabhängigkeit 3,2 Mio. Menschen (4,9%) mit remittierter Alkoholabhängigkeit 2,7 Mio. Menschen (4%) mit schädlichem Alkoholgebrauch und 3,2 Mio. Menschen (4,9%) mit riskantem Alkoholkonsum
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013; Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
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Grundlagen: Epidemiologie
Epidemiologie (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ca. 10% der Bevölkerung trinken 50% des Alkohols Für mehr als 10 Mio. Menschen in Deutschland wird ein Behandlungsoder zumindest ein Beratungsbedarf zu alkoholbezogenen Störungen veranschlagt Die überwiegende Mehrheit wird in Allgemeinkrankenhäusern (30– 35%) und in den Praxen niedergelassener Ärzte (70–80%) behandelt Der Verlauf der Abhängigkeit sowie körperliche Alkoholfolgen entwickeln sich offensichtlich geschlechtsspezifisch unterschiedlich schnell (Teleskop-Effekt), wobei Frauen eine erhöhte Vulnerabilität aufweisen Die direkten (ca. 10 Mio. Euro) und indirekten (ca. 16,66 Mio. Euro) volkwirtschaftlichen Kosten des Alkoholkonsums belaufen sich auf 26,7 Mio Euro Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Epidemiologie (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Mit steigendem Pro-Kopf-Alkoholkonsum steigen auch alkoholassoziierte körperliche Folgeerkrankungen, Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit und die allgemeine Mortalität Folgen der Alkoholabhängigkeit: • Akute gesundheitliche Störungen (Intoxikation, Alkoholentzugssyndrom, Delir, Krampfanfall, etc.) • Chronisch degenerative Alkoholfolgekrankheiten (äthyltoxische Leberzirrhose, Polyneuropathie, Hirnatrophie etc.)
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
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Grundlagen: Diagnostik: u.a. Symptomatik, Komorbidität, Risikofaktoren
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Alkohol-assoziierte Störungen nach ICD-10 (F10) - Überblick
ICD-10
Name
F10.0
Akute Intoxikation
F10.1
Schädlicher Gebrauch
F10.2
Abhängigkeitssyndrom
F10.3
Entzugssyndrom
F10.4
Entzugssyndrom mit Delir
F10.5
Psychotische Störung
F10.6
Amnestisches Syndrom
F10.7
Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
F10.8
Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
F10.9
Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Akute Alkoholintoxikation: Subtypen
ICD-10 F10.0
Subtypen
F10.00
ohne Komplikationen
F10.01
mit Verletzungen oder anderen körperlichen Schäden
F10.02
mit anderen medizinischen Komplikationen
F10.03
mit Delir
F10.04
mit Wahrnehmungsstörungen
F10.05
mit Koma
F10.06
mit Krampfanfällen
F10.07
pathologischer Rausch
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Akute Alkoholintoxikation: diagnostische Kriterien
Diagnostische Kriterien 1.
Nachweis des kürzlich erfolgten Konsums in einer ausreichend hohen Dosis
2.
Symptome oder Anzeichen für eine Intoxikation vereinbar mit den bekannten Wirkungen von Alkohol
3.
Die Symptome sind nicht erklärbar durch einen anderen Substanzgebrauch
4.
Funktionsgestörtes Verhalten, deutlich an mindestens einem der folgenden Merkmale: Enthemmung, Streitlust, Aggressivität, Affektlabilität, Aufmerksamkeitsstörung, Einschränkung der Urteilsfähigkeit, Beeinträchtigung der persönlichen Leistungsfähigkeit
5.
Mindestens eins der folgenden Anzeichen: Gangunsicherheit, Standunsicherheit, verwaschene Sprache, Nystagmus, Bewusstseinsminderung, Gesichtsröte, konjunktivale Injektion Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Alkoholintoxikation mit Delir: Beschreibung und Symptome
Delirium tremens (Alkoholdelir) Auftreten i.d.R. nach Alkoholverzicht oder bei fortgesetztem Konsum (Kontinuitätsdelir) Dauer i.d.R. 5-7 Tage In ca. 20% der Fälle wird ein Delir durch epileptische Anfälle Beschreibung eingeleitet Unbehandelt liegt die Letalität bei bis zu 15%, bei optimaler Behandlung unter 2% Schwere Folgeschäden sind das Amnestisches Syndrom und die Wernicke Enzephalopathie Leitsymptome Bewusstseinsstörungen, Desorientiertheit, Angst
Weitere Symptome
Optische Halluzinationen (z.B. herumhuschende kleine Tiere) Erhöhte Suggestibilität (Pat. lesen z.B. von einem leeren Blatt ab) Ausgeprägte Hypermotorik mit Nesteln und Herumsuchen Vegetative Symptome mit Fieber, Schwitzen, Hypertonie, Tachykardie, Tremor und Schlafstörungen
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
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Alkoholintoxikation: diagnostische Kriterien pathologischer Rausch
Diagnostische Kriterien und Details 1.
Die allgemeine Kriterien für eine Alkoholintoxikation sind erfüllt
2.
Verbale Aggressivität oder körperliche Gewalttätigkeit, die für die Person im nüchternen Zustand untypisch sind
3.
Auftreten sehr bald (meist innerhalb weniger Minuten) nach Alkoholkonsum
4.
Kein Hinweis auf eine organische zerebrale oder eine andere psychische Störung
5.
Details: Auslösung des Rauschzustands auch schon durch kleine Alkoholmengen Oft nur von kurzer Dauer Komplette Amnesie für den Rauschzustand Persönlichkeitsfremde Verhaltensmuster, d. h. für den Betroffenen untypisches, aggressives oder gewalttätiges Verhalten Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Schädlicher Gebrauch: Definition und diagnostische Kriterien
Definition und diagnostische Kriterien Definition Ein Konsummuster das zu einer Gesundheitsschädigung führt Diese kann eine körperliche Störung oder eine psychische Störung, z.B. eine depressive Episode nach massivem Alkoholkonsum sein
Diagnostische Kriterien 1.
Deutlicher Nachweis, dass der Alkoholgebrauch verantwortlich ist
2.
Die Art der Schädigung sollte klar festgestellt und bezeichnet werden können
3.
Das Gebrauchsmuster besteht mindestens seit einem Monat oder wiederholt in den letzten 12 Monaten
4.
Auf die Störung treffen Kriterien einer anderen Störung durch Alkohol (außer F10.0, Intoxikation) nicht zu
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Schädlicher Gebrauch: Details
Details Die Diagnose erfordert eine tatsächliche Schädigung (psychisch oder physisch); negative soziale Folgen fallen per se nicht unter den Begriff „Schädigung“
Eine akute Intoxikation oder ein „Kater“ beweisen allein noch nicht den „Gesundheitsschaden” Schädlicher Gebrauch ist bei einem Abhängigkeitssyndrom, einer psychotischen Störung oder bei anderen spezifischen alkohol- oder substanzbedingten Störungen nicht zu diagnostizieren Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Alkohol-Abhängigkeitssyndrom: Definition
Definition Der Konsum des Alkohols hat für die betroffene Person Vorrang gegenüber anderen Verhaltens-weisen, die von ihr früher höher bewertet wurden Entscheidendes Charakteristikum: starker, gelegentlich übermächtiger Wunsch, Alkohol zu konsumieren Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Überbegriffe
Alkohol-Abhängigkeitssyndrom: diagnostische Kriterien Diagnostische Kriterien
3 von 6 der Kriterien müssen in den letzten 12 Monaten gleichzeitig vorhanden gewesen sein 1. Starkes Verlangen
Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren
2. Kontrollverlust
Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
3. Entzugssymptome
Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums
4. Toleranzentwicklung
Nachweis einer Toleranz, d.h., um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichte Wirkung hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich
5. Einengung
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Alkoholkonsums oder erhöhter Zeitaufwand, um diese zu beschaffen oder sich von den Folgen zu erholen
6. Fortgesetzter Konsum
Anhaltender Alkoholkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Entzugssyndrom: Definition und allgemeine diagnostische Kriterien
Definition und allgemeine diagnostische Kriterien Definition Gruppe von Symptomen nach absolutem oder relativen Entzug von Alkohol Das Entzugssyndrom kann durch symptomatische Krampfanfälle kompliziert werden Allgemeine diagnostische Kriterien 1.
Nachweis des Absetzens oder Reduzierens von Alkohol, nach wiederholtem Konsum, der meist lang anhaltend und / oder in hohen Mengen erfolgte
2.
Symptome und Anzeichen, die den bekannten Merkmalen eines Entzugssyndroms von Alkohol entsprechen
3.
Die Symptome und Anzeichen sind nicht durch eine vom Alkoholgebrauch unabhängige körperliche Krankheit zu erklären
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Entzugssyndrom: spezifische diagnostische Kriterien
Spezifische diagnostische Kriterien 1.
Die allgemeinen diagnostischen Kriterien sind erfüllt
2.
a. Mindestens eins der folgenden Merkmale
b. Mindestens zwei der folgenden Anzeichen
a.
Euphorie und Gefühl von gesteigerter Energie
a.
Tachykardie
b.
Erhöhte Vigilanz
b.
Kardiale Arryhthmie
c.
Grandiose Überzeugungen oder Aktivität
c.
Hypertonie
d.
Beleidigendes Verhalten oder Aggressivität
d.
Schweißausbrüche
e.
Streitlust
e.
Übelkeit und Erbrechen
f.
Affektlabilität
f.
Gewichtsverlust
g.
Repetitives, stereotypes Verhalten
g.
Pupillenerweiterung
h.
Optische, akustische oder taktile Illusionen
h.
Psychomotorische Unruhe
i.
Halluzinationen, gewöhnlich bei erhaltener Orientierung
i.
Muskelschwäche
j.
Paranoide Vorstellungen
j.
Schmerzen in der Brust
k.
Beeinträchtige persönliche Leistungsfähigkeit
k.
Krampfanfälle
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Entzugssyndrom: Details
Details Setzen Alkoholabhängige den Konsum ab, entwickelt sich i.d.R. ein vegetatives Alkoholentzugssyndrom (Dauer meist 3-7 Tage) Ursache ist die kortikale Überstimulation aufgrund des Wegfalls inhibitorischer Aktivität (Alkohol wirkt GABAerg und damit dämpfend auf das ZNS)
Entzugssyndrom mit Delir (F10.04): Zustandsbild, bei dem das Entzugssyndrom durch ein Delir kompliziert wird. Symptomatische Krampfanfälle können ebenfalls auftreten. Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Psychotische Störung: Definition und diagnostische Kriterien
Definition und diagnostische Kriterien Definition Psychotische Phänomene, die während oder nach Alkoholgebrauch auftreten, aber nicht durch die akute Intoxikation erklärt werden können. Die Störung ist durch Halluzinationen, Wahrnehmungsstörungen, Wahnideen, psychomotorische Störungen und abnorme Affekte gekennzeichnet Hierzu gehören z.B. die Alkoholhalluzinose oder alkoholischer Eifersuchtswahn Diagnostische Kriterien 1.
Beginn während Alkoholgebrauch oder innerhalb von 2 Wochen nach Absetzen
2.
Dauer der psychotischen Symptome länger als 48h
3.
Dauer der Störung nicht länger als 6 Monate
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Amnestisches Syndrom: Definition und diagnostische Kriterien
Definition und diagnostische Kriterien Definition Ein Syndrom mit einer ausgeprägten andauernden Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses. Das Immediatgedächtnis gewöhnlich erhalten. Das Kurzzeitgedächtnis ist stärker gestört als das Langzeitgedächtnis. Hinzu kommen Störungen des Zeitgefühls und Zeitgitterstörungen, Desorientierung, Beeinträchtigung der Fähigkeit, neues Lernmaterial zu behalten. Konfabulationen sind ausgeprägt. Rückbildung bei Abstinenz möglich, aber häufig chronischer Verlauf Diagnostische Kriterien 1.
Gedächtnisstörungen in den Bereichen Kurz- und Langzeitgedächtnis
2.
Fehlen der Störung des Immediatgedächtnis sowie Fehlen von Bewusstseinsstörung und Aufmerksamkeitsstörung
3.
Kein Vorliegen einer objektivierbaren Gehirnerkrankung
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Wernicke-Enzephalopathie: Beschreibung und Symptomatik
Wernicke-Enzephalopathie Beschreibung
Schwerste Alkoholfolgeerkrankung aufgrund eines Vitamin-B1-Mangels infolge von Mangelernährung Auftreten bei 10% aller chronisch Alkoholabhängigen
Neuropathologische Auffälligkeiten
Spongiöser Gewebszerfall v.a. im Bereich um den Aquädukt und im Höhlengrau des III. und IV. Ventrikels Verkleinerte und rostbraun verfärbte Corpora mamillaria Bewusstseins- und Orientierungsstörungen (66% der Fälle)
Symptomtrias
Blickmotorikstörungen wie Nystagmus oder bilaterale Abduzensparese (40% der Fälle)
Zerebelläre Ataxie (51% der Fälle) Therapie
Hoch dosierte Vitamin-B1 (Thiamin) Gabe und stationäre Aufnahme
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Psychiatrische Komorbidität Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Depressive Störungen: bis 80%
Angststörungen: bis 70% Antisoziale Persönlichkeitsstörungen: bis 50% Borderline-Persönlichkeitsstörungen: bis 25% Schizophrene Psychosen: bis 10 % Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Grundlagen: Ätiologie / Pathogenese
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ätiologie / Pathogenese: Überblick
Genetik
Zwillingsstudien erreichen eine Konkordanz von 60% Mehrere Genorte sind beteiligt – einzelne Chromosomen jedoch nicht identifiziert (siehe folgend)
Biochemie
Beeinflussung verschiedener Neurotransmittersysteme (siehe folgend)
Kulturelle Faktoren
Islamisch geprägte Ethnien vs. Bayerische „Bierkultur“
Soziologische Faktoren
Langzeitarbeitslosigkeit - Entwurzelung – Vertreibung – Migration Bestimmte Berufsgruppen ( Ärzte – Apotheker)
Psychologische Ansätze
Lernpsychologie - Konditionierung: Inadäquate, letztlich selbstschädigende Bewältigungsstrategie („Coping“) Tiefenpsychologie - Psychoanalytische Neurosentheorie: Missglückter Versuch der Bewältigung eines Konflikts zwischen den Instanzen Über-Ich (Ansprüche der Gesellschaft) und Ich (Überforderung)
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ätiologie / Pathogenese: Genetik
Bestimmte Varianten der Alkoholdehydrogenase und des CYP2E1 führen zu einem beschleunigten Alkoholabbau und damit zu einer verminderten Empfindlichkeit für toxischen Effekte. Personen mit einer geringen Reaktionen auf eine Ethanolintoxikation weisen eine besondere Gefährdung für exzessiven Alkoholkonsum und die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit auf. Eine dopaminerg und GABAerg vermittelte neuronale Bahnung trägt maßgeblich zu den verschiedenen Stimulationseffekten geringer Ethanoldosen bei, was eine Fortsetzung des Alkoholkonsums begünstigt Bei höheren Dosierungen von Ethanol tritt der antagonistische Effekt am NMDA-Glutamat Rezeptor in den Vordergrund (z.B. Bewusstseinstrübungen und kognitive Einbußen) Untersuchungen an Primaten zeigen, dass eine gering ausgeprägte Reaktion auf Alkohol im Zusammenhang mit einer serotonergen Dysfunktion steht Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ätiologie / Pathogenese: Neurobiologie
Dopamin
Alkohol erhöht die Dopaminkonzentration = Einfluss auf das Hirnbelohnungssystem = Verbesserung der Stimmung, positive Verstärkung erhöht das Abhängigkeitsrisiko
Serotonin- und die Noradrenalin
Alkohol reduziert die Serotonin- und die NoradrenalinAusschüttung = kann dadurch Aggressivität und Depression begünstigen
Endorphin und Enkephalin
Alkohol erhöht die Endorphin und Enkephalin-Ausschüttung = Euphorie begünstigt die Sucht
GABA
Alkohol erhöht die GABA Funktion, Bindungsstelle wie Benzodiazepinen und Barbituraten = Sedierung, motorische Beeinträchtigungen
Glutamat
Alkohol vermindert die Glutamat-Rezeptorfunktion => kognitive Beeinträchtigung, Reduktion der Gedächtnisfunktion
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
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Ätiologie / Pathogenese: Toleranz und Entzug
Stimulatorische Wirkung von Alkohol an GABAA-Rezeptoren führt zur verminderten Ansprechbarkeit der Rezeptoren (Entwicklung einer Toleranz) Inhibitorische und sedierende Effekte des Ethanols werden über glutamaterge Blockade der N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren vermittelt. Eine chronische NMDA-Rezeptorblockade durch Ethanol führt zu einem gegenregulatorischen Anstieg der NMDA-Rezeptorendichte und -aktivität. Wird chronischer Alkoholkonsum unterbrochen, wird die Blockade der vermehrt aktivierten NMDA-Rezeptoren beendet und die GABAerge Stimulation der vermindert ansprechbaren Rezeptoren aufgehoben. Die resultierende kortikale Überstimulation kann Entzugskrampfanfälle verursachen. Die überhöhte glutamaterge Wirkung kann zu vegetativer Dysfunktion und damit je nach Schwere zum sofortigen Trinkrückfall führen. Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ätiologie / Pathogenese: Belohnungssystem und Rückfall
Da das durch einen konditionierten Stimulus ausgelöste Suchtverlangen meist nur wenige physische Entzugssymptome verursacht, ist anzunehmen, dass sich Suchtverlangen durch die Unterbrechung eines Regelkreises entwickelt, wobei das mesolimbische dopaminerge Belohnungssystem ein Bestandteil dieses Regelkreises sein könnte. Die reizabhängige Freisetzung von Dopamin unterliegt einem Sensibilisierungsprozess, so dass eine wiederholte Konfrontation mit einem drogenassoziierten Reiz zu einer Verstärkung der Verhaltensreaktion führt. Diese Untersuchungen sind von Bedeutung für das Modell eines „Suchtgedächtnisses“ und die Ausrichtung therapeutischer Konzepte. Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Therapie
Therapie: Überblick Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Die Behandlung alkoholgefährdeter und alkoholabhängiger Patienten muss Stadien-spezifisch und individuell geplant werden: • Früherkennung und Frühintervention
• Qualifizierte Entzugsbehandlung • Langzeitentwöhnungsbehandlung Psychotherapeutische Strategien Pharmakologische Rückfallprophylaxe
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Das ideale suchtmedizinische Konzept muss viele Betroffene möglichst früh erreichen und es muss an die Schwere der Suchterkrankung, an das Krankheitsbewusstsein und an die Veränderungsmotivation angepasst sein und wirksam und wirtschaftlich funktionieren Ein Fünftel der Krankenhausbetten sind auch „Suchtbetten“ und potenzielles Ziel von Frühinterventionen Betroffene im Vorstadium oder im Frühstadium stellen die größte Teilgruppe aus der Gesamtpopulation der Alkoholkranken, die Versorgung dieser Gruppe ist dagegen qualitativ und quantitativ am schlechtesten Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Früherkennung Sollen eventuelle Dissimulation oder Leugnung aufseiten der Patienten umgehen
Indirekte Verfahren
Neben klinischen Tests und indirekten Fragebogenverfahren werden insbesondere typische Laborparameter, wie die Gammaglutamyltransferase (γ-GT), die Transaminasen (ALAT, ASAT), mittleres Zellvolumen (MCV) und das Carbohydrate Deficient Transferrin (CDT) eingesetzt Eine besonders hohe Sensitivität zeigt das Phosphatidylethanol (PEth), ein Phospholipid, welches nur in Anwesenheit von Alkohol gebildet wird Ein weiterer potenzieller Prädiktor für unerkannte Alkoholprobleme kann auch die häufig assoziierte starke Nikotinabhängigkeit sein
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (III) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Früherkennung Fördern Selbstaussagen von Patienten und bieten besseren und sensitiveren diagnostischen Zugang als indirekte Verfahren
Direkte Verfahren
Standardisierte direkte Verfahren sind der Alcohol-Use-DisorderIdentification-Test (AUDIT), der AUDIT-G-M und der Lübecker Alkoholabhängigkeits-und Missbrauchs-Screening-Test (LAST) Nach positivem Screening bietet es sich an, auch eine standardisierte Methode zur definitiven Diagnose von schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit einzusetzen (internationale Diagnose-Checklisten)
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (IV) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Screening-Fragebogen Alkohol: AUDIT (> 8 Punkte positiv; Babor et al. 1989) 10 Fragen
0
1
2
3
4
1. Wie oft trinken Sie alkoholische Getränke?
nie
1 x Monat oder seltener
2 x Monat
3 x Monat
3-4 x Monat oder öfter
2. Wie viele alkoholische Getränke trinken Sie pro Tag?
1-2
3-4
5-6
7-9
10 oder mehr
3. Wie oft trinken Sie 6 oder mehr alkoholische Getränke pro Tag?
nie
weniger als 1 x Monat
1 x Monat
1 x Woche
fast täglich
4. Wie oft hatten Sie im letzten Jahr das Gefühl, Sie könnten nicht aufhören zu trinken, wenn Sie angefangen haben ?
nie
weniger als 1 x Monat
1 x Monat
1 x Woche
fast täglich
5. Wie oft konnten Sie im letzten Jahr nicht das tun, was von Ihnen erwartet wurde, weil Sie Alkohol getrunken haben?
nie
weniger als 1 x Monat
1 x Monat
1 x Woche
fast täglich
6. Wie oft brauchen Sie morgens ein alkoholisches Getränk, weil Sie vorher stark getrunken haben?
nie
weniger als 1 x Monat
1 x Monat
1 x Woche
fast täglich
7. Wie oft haben Sie im letzten Jahr Gewissensbisse gehabt oder sich schuldig gefühlt?
nie
weniger als 1 x Monat
1 x Monat
1 x Woche
fast täglich
8. Wie oft hatten Sie sich im letzten Jahr nicht an Ereignisse aus der Nacht zuvor erinnern können, weil Sie Alkohol getrunken hatten ?
nie
weniger als 1 x Monat
1 x Monat
1 x Woche
fast täglich
nein
Ja, aber nicht im letzten Jahr
9. Haben Sie sich oder einen anderen schon einmal verletzt, weil Sie Alkohol getrunken hatten? 10. Hat Ihnen ein Verwandter, Freund oder Arzt geraten, Ihren
nie
weniger als
Ja, im letzten Jahr 1 x Monat
1 x Woche
fast
Früherkennung und Frühintervention (V) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Frühinterventionen Kurzintervention
Hauptzielgruppen sind Betroffene mit riskantem Konsum und schädlichem Gebrauch, Betroffene in der frühen Phase der Abhängigkeitsentwicklung und Betroffene mit häufig noch geringer Motivation zu einer Verhaltensänderung Ziele der Kurzintervention, variieren von Konsumreduktion bei riskantem Konsum bis zu Überführung in eine Akutbehandlung bei schweren alkoholbezogenen Störungen Die Kurzintervention hat überwiegend beratenden Charakter:
1. Informationsvermittlung über mögliche Folgen des Alkoholkonsums 2. Bestimmung der individuellen, schon eingetretenen oder drohenden, Konsumfolgen 3. Erarbeitung von Diskrepanzen zwischen den langfristigen Zielen (z.B. Abwehr der drohenden Probleme) und dem derzeitigen Verhalten 4. Anbindung zur Förderung der Auseinandersetzung mit dem Alkoholproblem und Anbieten von Anlaufstellen suchtspezifischer Hilfe 5. Motivierende Gesprächsführung: •
Wesentliche Merkmale: empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontation, Förderung der Veränderungsbereitschaft und Selbstwirksamkeit, Vereinbarung gemeinsamer Behandlungsziele, offene, nicht wertende Fragen, reflektierendes Zuhören, positive Rückmeldungen und regelmäßige Zusammenfassungen
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (VI) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Frühinterventionen Kurzinterventionen
Hauptzielgruppe sind Betroffene mit riskantem Konsum und schädlichem Gebrauch, Betroffene in der frühen Phase der Abhängigkeitsentwicklung und Betroffene mit häufig noch geringer Motivation zu einer Verhaltensänderung Ziele der Kurzintervention, variieren von Konsumreduktion bei riskantem Konsum bis zu Überführung in eine Akutbehandlung bei schweren alkoholbezogenen Störungen Die Kurzintervention hat überwiegend beratenden Charakter: 1) Informationsvermittlung über mögliche Folgen des Alkoholkonsums 2) Bestimmung der individuellen, schon eingetretenen oder drohenden, Konsumfolgen 3) Erarbeitung von Diskrepanzen zwischen den langfristigen Zielen (z.B. Abwehr der drohenden Probleme) und dem derzeitigen Verhalten 4) Anbindung zur Förderung der Auseinandersetzung mit dem Alkoholproblem und Anbieten von Anlaufstellen suchtspezifischer Hilfe 5) Motivierende Gesprächsführung: • Wesentliche Merkmale: empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontation, Förderung der Veränderungsbereitschaft und Selbstwirksamkeit, Vereinbarung gemeinsamer Behandlungsziele, offene, nicht wertende Fragen, reflektierendes Zuhören, positive Rückmeldungen und regelmäßige Zusammenfassungen
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (VII) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Frühinterventionen Kurzinterventionen
Kurzinterventionen umfassen maximal vier Beratungseinheiten mit einer Gesamtdauer nicht über 60 Minuten (Evidenzniveau Ia) Soll die Intervention bei Alkoholabhängigkeit mit einer Pharmakotherapie kombiniert werden, bietet sich das „Medical Management“ an (MM) Das MM ist eine standardisierte Anleitung zur klinischen Intervention in nichtspezialisierten Behandlungseinrichtungen Ziel der MM-Intervention ist die Förderung der Medikationscompliance, Informationsvermittlung über Alkoholabhängigkeit und Pharmakotherapie sowie Unterstützung bei der Veränderung der Trinkgewohnheiten
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Alkoholentzugssymptombogen (AESB) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
1. Blutdruck Alter 0 1 2 3 4 2. Ruhepuls 0 = 170/105
> 50 Jahre bis 140/90 bis 155/100 bis 170/105 bis 180/110 > 180/110
1 = 92-103/min
2 = 104-115/min
3 = 116-127/min
4 = >128/min
1 = Fingertremor bei ausgestreckten Fingern
2 = Händetremor bei ausgestreckten Armen
3 = Deutlicher Ruhetremor von Fingern und Händen
4 = Schwerer Ruhetremor von Armen und Beine
4. Schwitzen 0= 1= 2 = Umschriebene 3= 4= Kein Schwitzen Warme, feuchte Hände Schweißperlen Ganzer Körper feucht Massives Schwitzen 5. Übelkeit / Erbrechen / Durchfall 1 = Keine Übelkeit 2 = Mäßige Übelkeit 3 = Schwere Übelkeit 6. Ängstlichkeit / Nervosität 1 = Keine Ängstlichkeit 2 = Leicht Ängstlichkeit 3 = Mäßige Ängstlichkeit 4 = Schwere Ängstlichkeit 5 = Massive Ängstlichkeit oder Nervosität oder Nervosität oder Nervosität oder Nervosität oder Nervosität / Panik 7. Psychomotorische Unruhe 0 = Ruhige, unauffällige 1 = Zappeligkeit, leichte 2 = Mäßige 3 = Dauernde 4 = Massive Bewegungen Unruhe Bewegungsunruhe Bewegungsunruhe Unruhe und Erregtheit 8. Orientierung 0 = Voll 1 = Zur Zeit unscharf 2 = Zur Zeit nicht orientiert, 3 = Zur Person orientiert, zu 4 = Zur Person orientiert, 5 = vollständig orientiert orientiert, sonst orientiert sonst orientiert Ort /Zeit teilweise orientiert zu Ort/Zeit nicht orientiert desorientiert 9. Trugwahrnehmungen / Halluzinationen 1 = Wahrnehmungs2 = Vorübergehende 3 = Fluktuierende 4 = Länger andauernde 5 = Ständige 0 = Keine verschärfung Verkennungen Halluzinationen Halluzinationen Halluzinationen 10. Krampfanfall 1= Keiner 2 = Erster Anfall 2 = Ein Anfall zuvor 3 = ≥ 2 Anfälle zuvor
Alkoholentzugsbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Medikamente
Dosierung und Schemata
Clomethiazol (Distraneurin®)
Beginn mit 2-4 Kps. In den ersten 2h 6-8 Kps. möglich Dann alle alle 2h nach Symptomatik 1-3 Kps. Höchstdosis 24 Kps. täglich CAVE: Atemdepression, bronchiale Hypersekretion
Oxazepam (Adumbran®)
Tag 1: Beginn mit 25-50mg, Tageshöchstdosis 300mg Tag 2: Verteilung der (hochgerechneten) Tagesdosis auf 4 Einzeldosen Ab Tag 3: Reduktion um 25mg täglich 25mg Oxazepam = ca. 2 Kps. Clomethiazol
Clonidin
Bei sehr hohen RR-Werten zusätzlich
Carbamazepin oder Valproat
Bei vorherigen Krampfanfällen im Entzug oder entsprechenden EEG-Veränderungen
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Alkoholentzugsbehandlung mit Oxazepam
Tag 1:
Entzugsüberwachung 2-stündlich, bei beginnender Entzugssymptomatik Aufdosierung von Oxazepam in einer Dosis von jeweils 25mg. Erstdosis, wenn nötig, mit 50mg beginnen. Eine Gesamtdosis von 300mg sollte nur in medizinisch indizierten Ausnahmefällen überschritten werden.
Tag 2
Verteilung der (hochgerechneten) Tagesdosis auf 4 Einzeldosen. Findungsphase (evtl. Adaptation abhängig von Entzugssymptomatik)
Tag 3
Reduktion von 25mg Oxazepam täglich, verteilt auf mindestens 2 Einzeldosen
CAVE / Achtung:
Clonidin / Clonistada NIE mit Dociton
Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens): Clomethiazol ist 1. Wahl Die Dosierung erfolgt nicht schematisch, sondern nach Sedierungsgrad und Schwere der Entzugssymptome. Die Erhebung der Entzugsschwere erfolgt z.B. mit dem Alkoholentzugssymptombogen (AESB) Ggf. in Kombination mit einem Antipsychotikum, v.a. Haloperidol 510mg oder Risperidon 1-2mg Alternativ Kombination von einem BZD (z.B. Oxazepam) mit einem Antipsychotikum (Haloperidol oder Risperidon) CAVE: Alleinige Gabe von Haloperidol führt zur erhöhten Mortalität, größere Anzahl schwerwiegender Nebenwirkungen und längerer Dauer des Delirs!
Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Dosierung Clomethiazol nach AESB: 1 Kps. (192mg) äquivalent zu 6ml Mixtur (189mg) Tag 1-4: Überwachung in 2h-Intervallen, Tag 5: 3h-Intervall, Tag 6: 4h-Intervall, Tag 7: 6h-Intervall, Tag 8: 8h-Intervall, ab Tag 9: 12h-Intervall. Zu den Überwachungszeitpunkten Erfassung AESB: • • • •
0-4 Punkte: Keine Kps. 5-7 Punkte: 1 Kps. 8-10 Punkte: 2 Kps. ≥ 11 Punkte: 3 Kps.
Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Dosierung Clomethiazol fixes Schema: Initial 2-4 Kps. oder 10-20ml Mixtur In den ersten 2h 6-8 Kps., Höchstsdosis 24 Kps./24h Nach Plateauphase von ca. 3 Tagen, schrittweise Reduktion von 2-3 Kps. täglich Maximale Verordnungsdauer 14 Tage CAVE: Abhängigkeitsgefahr CAVE: Atemdepression, bronchiale Hypersekretion
Qualifizierte Entzugsbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Die Qualifizierte Entzugsbehandlung umfasst eine Kombination aus körperlicher Entzugsbehandlung und psychotherapeutischer Begleitung (3-6 Wochen)
Die körperliche Entzugssituation wird als Chance zur Krankheitseinsicht aufgefasst Neben einer differenzierten und somatisch Diagnostik sowie der Behandlung der Entzugssymptome, der körperlichen Begleiterkrankungen und der Folgeerkrankungen wird über psychoedukative und psychotherapeutische Ansätze Motivationsarbeit geleistet Die Qualifizierte Entzugsbehandlung zeigt für Männer und Frauen gleichermaßen gute Langzeitergebnisse Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Langzeitentwöhnungsbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
In Deutschland ist das Versorgungssystem vornehmlich für den schwer alkoholabhängigen Patienten konzipiert Die traditionelle Trias aus Fachkliniken für die Alkoholentwöhnungsbehandlung, Fachberatungsstellen und Selbsthilfegruppen arbeitet mit psychotherapeutischen, soziotherapeutischen und edukativen Verfahren Durch eine stationäre Alkoholentwöhnung im Rahmen einer mehrmonatigen Rehabilitationsbehandlung, können Abstinenzraten bis 70% nach 1 Jahr und bis zu 50% nach 16 Jahren erreicht werden
Diese Maßnahmen der tertiären Prävention zur Reduktion der Folgen einer bereits eingetretenen Erkrankung erreichen aber nur einen Bruchteil der tatsächlich Betroffenen und setzen spät ein Über 70% der aktuell Alkoholabhängigen in Deutschland hatten in ihrem gesamten Leben noch keinen einzigen Kontakt zu suchtspezifischer Hilfe Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Psychotherapeutische Strategien Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Motivationssteigerungsansätze, kognitiv verhaltenstherapeutische Interventionen, soziales Kompetenztraining, Paar- und Familientherapie, Reizexposition und gemeindenahe Verstärkermodelle erreichen das Evidenzgrad Ia Generelle Merkmale der psychotherapeutischen Suchtbehandlung: Frühestmögliche Herstellung des persönlichen therapeutischen Kontaktes noch in der Krisensituation Fokussierung der psychotherapeutischen Interventionen auf die Abhängigkeitserkrankung Vorzug überschaubarer und konkreter Ziele gegenüber weit entfernten und überhöhten Ansprüchen
Aktive Hilfestellung zur Bewältigung unmittelbar anliegender, konkreter Probleme und Förderung der Bereitschaft zur Annahme weiterer Hilfe durch Motivationstherapie Generelle Informationen über die Krankheit werden mit der persönlichen Betroffenheit des Patienten verbunden und konkrete pathologische Befunde werden erörtert Informationsvermittlung über weitere Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere ambulante oder stationäre Entwöhnungsbehandlungen und die Vereinbarung der nächsten Schritte Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Pharmakologische Rückfallprophylaxe (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Obwohl der Behandlungserfolg von Entwöhnungsbehandlungen belegt ist, erleiden ca. 40–60% der Patienten innerhalb von ein bis zwei Jahren einen Rückfall
Nur ca. 1% aller Abhängigen kommt pro Jahr zu einer stationären Entwöhnungsbehandlung Zur rückfallprophylaktischen Pharmakotherapie können in Kombination mit psychotherapeutischen / psychosozialen Maßnahmen sog. „Anticraving-Substanzen“ eingesetzt werden, Diese reduzieren das Alkoholverlangen, ohne selbst Abhängigkeitspotenzial innezuhaben oder anderweitig psychotrop zu wirken
Pharmakologische Rückfallprophylaxe (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Substanz
Indikation/Beschreibung
Evidenzgrad
Disulfiram (z.B. Antabus®)
Aversivbehandlung, welche eine Unverträglichkeitsreaktion auslöst (z.B. Erbrechen, Schwindel, Angst) Hemmt die Aldehyddehydrogenase, was bei Alkoholzufuhr zu starkem Acetaldehyd Anstieg führt Supervidierte Verabreichung nach strenger Indikationsstellung Anwendung bei kooperativen und sozial stabilen Patienten
Nalmefen
Ein Opiatantagonist (μ und δ) mit partieller Kappaagonistischer Wirkung
Zulassung beantragt
Baclofen
Ein selektiver GABA-B-Agonist, der bisher nur zur Behandlung spastischer Skelettmuskulatur zugelassen ist
keine Therapieempfehlung
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013; Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Pharmakologische Rückfallprophylaxe (III) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Substanz
Indikation/Beschreibung
Evidenzgrad
Acamprosat
Kalzium-Bis-Acetyl-Homotaurinat Antagonistische Wirkung am glutamatergen NMDA-Rezeptor Nebenwirkungen: Diarrhöen, andere gastrointestinale, Beschwerden, Kopfschmerzen, Juckreiz Kontraindikationen: Schwangerschaft oder Stillzeit, Serum Kreatinin > 120 μmol/l bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Vorliegen einer schweren Leberinsuffizienz Therapiebeginn sollte nach Entgiftung und Motivation zur Abstinenz erfolgen Empfohlene Behandlungsdauer: 12 Monate
Therapieempfehlung
Naltrexon
μ-Opiat-Rezeptor-Antagonist, gegen Alkohol-Craving Nebenwirkungen: Übelkeit, gastrointestinale Beschwerden, Kopfschmerzen (insgesamt gut verträglich) Kontraindikationen: Opiatkonsum Empfohlene Behandlungsdauer: länger als 3 Monate Die Kombination von Naltrexon und Acamprosat steigert die Abstinenzrate um 10–20%
Therapieempfehlung
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013; Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bei Fragen bitte unter: http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index_2512.php