Prof. Dr. U. Horsch

January 17, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
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Prof. Dr. U. Horsch Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik/Frühpädagogik April 2003

Heidelberg, im

Hören- und Sprechenlernen in einer dialogischen Pädagogik Hören- und Sprechenlernen gehört für mich zu den faszinierendsten Bereichen unserer Disziplin, wobei für mich der Akzent auf der Dialogik liegt. Dialogik als Haltung des Lehrers. Heute geht es mir jedoch um Lernprozesse, die uns besonders interessieren, eben das Hören- und Sprechenlernen. Ich möchte dabei sichtbar machen, wie die beiden Bereiche 'Dialogische Pädagogik' und 'Hören- und Sprechenlernen' zusammenhängen. Es geht folglich um Dialogik und Lernen. Nun wissen wir von den neurobiologischen und neurophysiologischen Lerntheorien, dass das Kind vor allem dann lernt, wenn es sich wohl fühlt, wenn es sich akzeptiert und angenommen fühlt. Sich angenommen fühlen in der Schule liegt doch dann ganz wesentlich vom Lehrer ab und von seiner Haltung zu dem Kind. Nun gibt es eine ganze Reihe von Elementen, mit denen der Lehrer dem Schüler signalisieren kann, dass er in ihn einen Partner sieht. Einen ganz wesentlichen Anteil hat hierbei ohne Frage die Lehrersprache. Ich spreche im Zusammenhang von dialogischer Pädagogik, Hören- und Sprechenlernen vom teacherese, weil es hör- und spracherwerbsrelevante Elemente besitzt.

Das teacherese – was ist daran so faszinierend? Ist das nur ein neuer Name für einen alten Inhalt: die Lehrersprache? Es ist mehr, viel mehr. Es enthält dieser Begriff für mich wesentliche Elemente davon, was wir mit 'Schule für Hörgeschädigte neu denken' meinen, mit Dialogik und Pädagogik, mit dialogischer Pädagogik. Ich möchte nachfolgend das teacherese, die Lehrersprache, im Kontext von Hörenlernen und Spracherwerb in einer dialogischen Hörgeschädigtenpädagogik betrachten. Worin liegt der Unterschied des neuen Verständnisses zum Alten? Betrachten wir zunächst einmal thesenartig, was wir zum systematischen Sprachaufbau, der ja über lange Zeit und zeitweise heute noch unseren Unterricht bestimmt, zusammenfassend sagen können:

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Die Sprachvermittlung, der Sprachaufbau und damit die Sprachtheorie ist gebunden an ein systematisches Denken. Das Kind muss die sprachlichen Strukturen vermittelt bekommen. Der Weg des Sprechenlernens beginnt mit der Artikulation und dem Nachsprechen. Wichtig ist ein gutes Absehbild. Die pädagogische Verantwortung liegt im Vermitteln der sprachlichen Strukturen. Wenn ich daraus das Fazit ziehe, dann könnte man doch sagen: Lehrersprache dient als Modell für die Artikulation, sie muss gut absehbar sein, d. h. ein gutes Absehbild präsentieren, sie muss eine gut artikulierte Gestalt repräsentieren die zum Nachsprechen auffordert. Was geschieht dadurch? Die Sprache zerfällt! Viel Zeit ist inzwischen vergangen, in der wir diese Elemente unserem Unterricht zugrunde gelegt haben. Revolutionäres hat sich getan! Die Voraussetzungen sind andere geworden. Heute können wir davon ausgehen, dass hörgeschädigte Kinder hören lernen können. Cochlear-Implants, Hörgeräte ,Früherkennung der Hörschädigung, Forschungsergebnisse aus der Neurophysiologie, Theorien des Hörenlernens und des Spracherwerbs aus der Säuglings- und Kleinkindforschung sprechen eine eindeutige Sprache. Darauf müssen wir eingehen, dazu müssen wir den Kindern Angebote machen. Das bedeutet doch: Die Lehrersprache muss etwas Faszinierendes zum Hören sein und nicht zum Sehen. Doch woran können wir uns orientieren? Welches sind die Parameter der teacherese? Wie kann ich teacherese in die neuen Theorien des Hörens einordnen, in den Spracherwerb des Schulkindes? Wie wird teacherese hörerwerbs- und spracherwerbsrelevant? Welchen Stellenwert hat teacherese in einer dialogischen Pädagogik?

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Schauen auf die neue Forschung, auf die Säuglingsforschung, die wie kaum eine andere sich interdisziplinär mit der Hörgeschädigtenpädagogik verbindet. Ergebnisse aus der Säuglingsforschung Versuchen wir, uns in die Hörsituation eines neugeborenen Säuglings hinein zu versetzen. Was nimmt er wahr? Die Eltern, seine Mutter, sein Vater sprechen ganz sicher mit ihm, vielleicht auch schon die Geschwister oder auch Oma und Opa Was hört der Säugling?. Die Sprache all dieser Menschen muss ihm doch wie ein Strom von Lauten nahezu ohne Ende erscheinen. Wo ist Anfang und Ende eines Satzes, eines Wortes, eines Lautes? Wir kennen dieses Phänomen doch, wenn wir eine fremde Sprache hören. Nichts wissen wir darüber, wo die Wörter anfangen und enden, die Sätze anfangen und enden, nichts von ihrer Grammatik, bspw. der Stellung der Wörter im Satz und auch nichts von der Semantik, also der Bedeutung der einzelnen Wörter. Wir wissen doch alle um die Tragödie, die sich dahinter verbergen kann, dass bspw. „Adam liebt Eva“ nicht das Gleiche bedeutet wie „Eva liebt Adam“, obwohl doch nur die Namen umgestellt sind. Der hierin gemachte Unterschied kann jedoch zu den großen Tragödien zweier Menschen gehören! Wenn es jedoch zutrifft gehört es zu den glücklichsten Erfahrungen zweier Menschenleben. Auch wenn sich für Babies diese Frage erst in 18 Jahren stellen wird, muss es ab dem Zeitpunkt der Geburt damit anfangen, diese Aufgabe später einmal sprachlich (grammatisch) lösen zu können. Tracy sagt dazu: „Wenn die Babies um die Schwierigkeit wüssten, die mit dem Spracherwerb auf sie zukommt, würden sie erst gar nicht damit anfangen“. Womit fängt der Spracherwerb an? Wann und womit beginnt der Spracherwerb, wo liegt die Initialzündung? Welcher von den eben genannten Bereichen übernimmt eine Führungsaufgabe oder entwickeln sie sich zusammenfügend? Chomsky hat bereits vor 40 Jahren die These aufgestellt, dass der Mensch über ein genetisches Programm verfügt, das es ihm erlaubt, in so kurzer Zeit ein so schwieriges System, wie die Sprache es nun einmal ist, zu erwerben. Der Mensch verfügt über eine genetische Grundausstattung zum Spracherwerb. Dies konnte Chomsky wissenschaftlich nachweisen. Der Mensch besitzt einen Spracherwerbsmechanismus (LAD).

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Doch worauf er keine Antwort hatte, war, wie dieses LAD anfängt zu arbeiten und womit. Darüber hat er vielleicht ebenso wenig geforscht, wie hinsichtlich der Frage, welcher Art die Sprache ist, die von außen auf das Kind trifft und wie sie gestaltet sein muss, damit sie das Kind optimal in seinem Spracherwerbsprozess stützt. Heute können wir Chomsky darauf Antworten geben. Diese Grundausstattung arbeitet nicht von sich aus, sie fängt nicht einfach an zu arbeiten. Sie bedarf eines Inputs, der genau auf diese sich entwickelnden Hörund Spracherwerbsprozesse zugeschnitten ist. Chomsky selbst hat über die Inputsprache (heute sprechen wir von der Sprache der Eltern oder der Sprache der Mutter, der motherese) wenig nachgedacht und sie wenig berücksichtigt. Wir wissen heute, dass diese Inputsprache und der Kontext, in dem sie angeboten wird, entscheidend dafür ist, ob diese genetische Grundausstattung beginnt zu arbeiten und sich zu entwickeln oder nicht. Zusätzlich verfügt das Kind darüber hinausgehend über äußerst starke Lernstrategien (Gopnik 2000), die es ihm möglich machen, selbst Strukturen zu entdecken und zu bilden. Inzwischen zweifelt keiner mehr am kompetenten Säugling, der vom ersten Lebenstag an aktiv auf das, was er aus seiner Umwelt angeboten bekommt, zugeht und es Schritt für Schritt umzuwandeln vermag in eigene Strukturen. Dieses Wissen nimmt uns die Angst, unsere hörgeschädigten Kinder könnten es nicht leisten, Sprache zu erwerben. Wir müssen nicht mehr, wie wir dies früher aus pädagogischer Verantwortung heraus dachten und taten, für sie im Detail die Sprache vordenken, die grammatischen Strukturen auswählen und aufarbeiten, um sie zur Übernahme anzubieten. Die hörgeschädigten Kinder können diesen Prozess selbst leisten, weil auch sie über die genetische Grundausstattung und die darin gegebene Strukturierungsfähigkeit verfügen. Nur, sie müssen auch die Chance haben, diese Prozesse selbständig leisten zu können. Strukturen sind eben nur dann für das Kind verfügbar, wenn es diese selbst entdecken und entwickeln konnte. Dann gehören sie wirklich zu seinem Repertoire, dann sind es wirklich seine Strukturen, mit denen es arbeitet und die es weiterentwickeln kann. Kinder können weit mehr, als wir Pädagogen ihnen dies zutrauen. Sie können dies vor allem dann, wenn sie spüren, dass wir ihnen etwas zutrauen, aber dazu vielleicht später noch mehr. Dieses Zutrauen und Vertrauen hat mit Pädagogik zu tun. Mit dialogischer Pädagogik, mit der Haltung des Lehrers.

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Womit fängt Spracherwerb an?(Zweite Aussage) Spracherwerb beginnt mit Beziehungsnahme. Eine der unmittelbarsten Beziehungen besteht ohne Frage zwischen Mutter und ihrem Kind. Die Anfänge können bereits vor der Geburt liegen. So wissen wir, dass der Säugling bereits im Mutterleib hören kann. Was geschieht jedoch im Bereich des Hörens nach der Geburt bezogen auf den Spracherwerb? Um das Hörenlernen, um den Hörerwerbsprozess zu verstehen, stelle ich Ihnen einen Versuch vor, der uns gedanklich ein Stück weiterführt. Wir stellen und dazu vor, wir hätten einen Sprachsynthesizer, der ein l Schritt für Schritt in ein r überführt. Was geschieht? Der Zuhörer nimmt, obwohl sich die Laute konstant minimal verändern immer den gleichen Laut wahr. Immer ein l und dann auf einmal ist es ein r. Der Zuhörer hat die kontinuierliche Lautfolge in zwei Kategorien unterteilt, in ein r oder in ein l, schwarz oder weiß, dazwischen gibt es nichts. Wissenschaftler nennen dies die kategoriale Wahrnehmung. Wir hören ein l oder ein r dazwischen gibt es nichts. Faszinierend ist, dass diese Kategorien in jeder Sprache anders gebildet werden, so machen die Amerikaner bspw. an einer anderen Stelle den Unterschied fest als Franzosen und diese wieder an einer anderen Stelle als Spanier, und von den Japanern wissen wir, dass sie gar keinen Unterschied hören zwischen einem l und einem r. Wie kann man sich das erklären? Eine Schlüsselfrage muss folglich lauten: Warum hören die Sprecher unterschiedlicher Sprachen Laute (Phoneme) so unterschiedlich? Es ist dies die Frage : was wird erworben - was ist da ? Die Antwort darauf können uns eigentlich nur Säuglinge geben. Sie können zeigen, was von Geburt an da ist und was gelernt wird. Nun können wir Säuglinge nicht direkt befragen, aber wir können es dennoch herausfinden. Dazu gibt es den Nuckelversuch. Hierbei wird ein spezieller Schnuller mit einem Computer verbunden, der anstelle von Milch Laute (Phoneme) produziert. Gopnik (2000) ist der Ansicht, dass Babies Laute fast genauso lieben wie Milch. Bis zu 80 Mal können sie in der Minute nuckeln, um den Laut weiter hören zu können. Irgendwann jedoch wird er langweilig. Das Nuckeln wird langsamer. Sobald jedoch ein neuer Laut da ist, sind die Babies wieder hellwach. Sie nuckeln wieder schnell, sehr schnell sogar, um hören zu können. Dieses Verhalten

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gibt uns Auskunft darüber, ob Babies einen neuen Laut hören, sie teilen uns auf diese Weise mit, welche Laute sie als gleich und welche sie als verschieden wahrnehmen. Wovon ging nun die Säuglingsforschung aus? Die Grundannahme könnte wie folgt umrissen werden: Babies können anfangs die Unterschiede in den Sprachlauten nicht hören. Die Fähigkeit dazu wird allmählich erworben! Aber: Genau das Gegenteil ist der Fall! Bereits mit einem Monat können Babies jeden Laut unterscheiden, mit dem sie konfrontiert werden. Sie zeigen das kategoriale Wahrnehmungsphänomen, wie wir dies von den Erwachsenen her kennen: Ein l ist ein l, ein r ist ein r. Und mehr noch: Sie können Laute jeder Sprache unterscheiden. Sie übertreffen darin ihre Eltern, die bereits muttersprachspezifische Grenzen besitzen, d. h., die Eltern können nur noch die Laute ihrer Muttersprache wahrnehmen. Als erstes Forschungsergebnis können wir deshalb festhalten: Babies wissen viel mehr über Sprache als wir je angenommen haben. Sie können alle Laute, die sie hören, in abstrakte Kategorien einordnen. Babies sind Weltbürger. Wann wird das Hören nun muttersprachspezifisch? Wann entwickelt sich die Fähigkeit, die ich eingangs beschrieben habe? Nun, mit ca. einem Jahr ist die Lautanalyse abgeschlossen. Damit endet auch das Weltbürgersein, das Kind wird zum kulturgebundenen Hörer. Innerhalb des ersten Lebensjahres entwickelt das Baby die gesamten Prototypen der Laute seiner Muttersprache, die es im Gedächtnis speichert und die es mit dem Gehörten vergleicht. Damit können wir als zweites Forschungsergebnis festhalten: Babies erwerben im ersten Lebensjahr die Prototypen der Laute ihrer Muttersprache. Dies bedeutet: Babies lernen zuerst die Laute und die Lautverbindungen und nicht die Wörter, wie das lange angenommen wurde. Die Prototypenbildung der Laute der Muttersprache ist der Meilenstein in der Hörentwicklung und im Spracherwerb.

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Ich fasse zusammen: Hörenlernen - Sprache erwerben sind möglich durch: Genetische Disposition LAD Starke Lernstrategien/Strukturbildung Das haben alle Kinder, auch die hörgeschädigten Kinder Ist das alles?

Dann müsste sich Sprache bei hörgeschädigten Kindern von selbst entwickeln. Oder Brauchen Hö Ki hierzu spezifische Angebote? Was brauchen hörgeschädigte Kindern, damit sie nach der Hörgeräte- oder Cochlear-Implantversorgung diese Schritte gehen können, damit diese Prozesse in Gang kommen können? Vielleicht ist es hilfreich, dabei auf das zu schauen, was Vater und Mutter eines hörenden Kindes tun, denn spracherwerbstheoretisch wissen wir um die Bedeutung der elterlichen Sprache bzw. der Sprache der Umwelt. Hierin sind wir einen wesentlichen Schritt weiter als Chomsky zu seiner Zeit. Worin dieses Wissen besteht, will ich nachfolgend sichtbar machen. Es ist eben nicht egal, welche Sprache auf das Kind trifft. Sicher ist, dass Vater und Mutter zu ihrem Kind nicht wie zu einem Erwachsenen sprechen. Wir alle wissen dies. Und wir wissen intuitiv, wie diese mütterliche oder auch väterliche Sprache, die motherese/fatherese aussieht. Sie sei wie Spaghetti mit Sahne zum Hören, sagt Gopnik (2000) und darüber hinaus sei motherese optimal auf das sich entwickelnde Hörvermögen und ebenso auf den beginnenden Spracherwerb des Kindes ausgerichtet. Motherese/fatherese ist ein Beziehungsangebot: „Ich mag dich“ oder Du ärgerst mich“ oder „Ich bin da für dich“ sind Botschaften, die mit der motherese dem Baby vermittelt werden. Wenn wir einer Mutter im Dialog mit ihrem Baby zuhören, dann ist motherese eine lebendige, tröstende, warmherzige, ja übermütige Sprache, die sich dem Kind zuwendet, die total gefangen ist von diesem kleinen Menschen vor ihr und die wie keine andere Sprachform dialogisch ist. Das Kind ist der Partner in der motherese. Motherese enthält folglich einen ausgeprägten Beziehungsaspekt, weil sie sich vollkommen auf den Partner einstellt und sich auf diesen bezieht. Sie ist jedoch mehr als das. Sie bindet nicht nur wie das süße Lied der Sirenen die Babies an ihre Mutter. Die Motherese ist optimal auf den Hörlernprozess des Kindes ausgerichtet. Deshalb muss genauer betrachtet werden, was sie hierbei zu leisten vermag. Wie sieht motherese aus, wenn wir objektiv versuchen, sie zu analysieren?

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Nun, die Tonhöhe steigt bis ca. 10.000 Hz. Papousek sagt, sie hat den Umfang von zwei Oktaven, die Stimme steigt dramatisch an, sie besitzt eine ausgeprägte Intonationsstruktur. Die Sätze sind kürzer, einfacher, manchmal elliptisch, d. h. grammatisch richtig, jedoch unvollständig. Wichtige Wörter werden öfter verwendet und dabei groß in die Luft gemalt. Die Laute, vor allem die Vokale sind besonders gut zu hören. Sie sind damit für das Kind ein optimales Angebot für die Prototypenbildung der Muttersprache. All diese Elemente stellen den Inhaltsaspekt der motherese dar, also das, was sie hinsichtlich des Hörenlernens und dem Sprache erwerbenden Kind an Informationen und Hilfen bietet. Sie sehen, Motherese ist nicht einfach eine im Umfang und in der Qualität etwas andere oder einfachere Sprachform, wie man dies der Babysprache oft genug unterstellt hat, sondern sie ist das optimale, von außen kommende Angebot für das Kind, um seine Hörlern- und Spracherwerbsprozesse zu meistern. Erst durch diese Angebote, Bruner nennt es das LASS können die internen genetischen Anlagen, das LAD überhaupt erst anfangen zu arbeiten. Das LAD bedarf des LASS und in dieser wechselnden Balance kann das Kind Sprache erwerben. Müssen wir von der Lehrersprache, vom teacherese Vergleichbares fordern? Die Kinder, die wir in der Schule bspw. in einem ersten Schuljahr haben, sind älter. Folglich muss auch das teacherese altersangemessen sein, die Parameter sollten denen der motherese vergleichbar sein. Denn unsere Kinder stehen noch im Prozess des Hörenlernens und des Spracherwerbs. Wie bei der motherese können wir deshalb einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt in teacherese unterscheiden. Der Inhaltsaspekt wird sich an den Bedürfnissen des Kindes hinsichtlich des Hören lernens und des Sprache erwerbens orientieren müssen. Der Beziehungsaspekt wird ein pädagogischer sein und von der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler bestimmt werden. Inhalts- und Beziehungsaspekt zusammen machen das teacherese zu dem Angebot für das Hörenlernen und für den Spracherwerb des Kindes. Ich will dies nun konkret machen:

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Vergleichbar wie beim Säugling wird die Situation, wird die Handlung, werden die Personen das sprachliche Angebot bestimmen. Aus der dialogischen Erfahrung mit dem Schüler weiß der Lehrer, wo das einzelne Kind im Prozess seines Hörenlernens und seines Spracherwerbs steht. Damit weiß er auch, welche Akzentuierungen er im teacherese vornehmen muss. Dies kann, wenn ich an ein erstes Schuljahr denke z. B. durchaus noch vergleichbare Komponenten haben, wie wir sie bei der motherese festgestellt haben. So hat die Mutter die wichtigen Wörter groß in die Luft gemalt, damit das Kind sie als wichtig erkennt und die darin enthaltenen Vokale besser hören kann. Es können ebenso wenn ich weiterhin beim ersten Schuljahr der Spracherwerbsgruppe 3 bspw. bleibe, auch elliptische Äußerungen sein, die dem Kind die wichtige Botschaft in Form elliptischer Äußerungen vermittelt, so z. B.: „Da, die Katze, hast du gesehen, die Katze“. Ebenso ist es selbstverständlich, dass der Lehrer auch seine Stimme moduliert, dass er die Intonation seiner Sprache, seines teacherese, auf das Kind hin ausrichtet. Dabei wird die Lehrersprache bei weitem nicht mehr bis 10.000 Hz gehen, also zwei Oktaven umfassen, aber sie sollte melodisch sein, dynamisch. Sie sollte Akzente setzen, die Aufmerksamkeit der Schüler fokussieren, kurzum das teacherese sollte für die Schüler etwas Schönes und Interessantes zum Hören sein. Gerne zitiere ich hier in diesem Kontext die Äußerung einer Schülerin in der zweiten Hälfte des zweiten Schuljahres zu ihrer Lehrerin (es ist dies ein Zitat aus der Projektklasse des Schulentwicklungsprojektes 'Schule für Hörgeschädigte neu denken', in dem wir diese neuen Gedanken versucht haben, in die Praxis umzusetzen). „Ich bin gerne bei dir, weil du so schön sprichst“. Dies ist für mich ein Beleg dafür, dass die Kinder diese Sprachform, dieses teacherese, mögen, und dass sie ihr gerne zuhören, wenn sie wählen könnten, immer diese Sprache hören möchten. Was können wir uns mehr wünschen, als dass die hörgeschädigten Kinder so mit unseren Angeboten umgehen, sie in dieser Weise wertschätzen? In dieser Aussage der Schülerin steckt für mich aber auch noch eine zweite Botschaft, und sie ist für mich genau so wichtig. „Ich bin gerne bei dir“. ist doch ein äußerst dialogisches Angebot, heißt doch auch, du nimmst mich als Lehrer ernst, du verstehst mich als Partner, du gehst auf meine Vorschläge ein, Dir kann ich vertrauen, an dir kann ich mich entlang entwickeln. Der erzieherische Auftrag schlechthin wird hier aus der Sicht eines Schülers gesehen. Lehrer sein, Erzieher sein, heißt eben nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern den Schüler als Person sich entwickeln zu lassen, für ihn da sein.

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Eine Aussage, zwei Botschaften: „Ich bin gerne bei dir“ ist eine Antwort des Schülers auf das Angebot einer dialogischen Pädagogik schlechthin. Es spiegelt die Beziehungsebene wider. „weil du so schön sprichst“ ist die Antwort auf das Angebot der Sprache des Lehrers, des teacherese, das speziell auf unsere hörgeschädigten Kinder ausgerichtet ist, weil sie es brauchen, viel stärker brauchen als Kinder, die keine Schwierigkeiten beim Hören haben. (Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Zweitklässler aus der Regelschule dies zu seinem Lehrer sagen würde); Es ist dies in der Tat eine spezifische Aufgabe der Hörgeschädigtenpädagogik. Ich will deshalb noch ein paar Gedanken hierzu entwickeln. Weil du so schön sprichst, heißt doch, weil Du eine Sprache sprichst, die ich verstehen kann, die meine Ebene trifft und die mich von dort aus weiterführt, die um meine Schwierigkeiten weiß, und die mir weiter hilft, damit ich mich entwickeln kann. Teacherese hilft dem hörgeschädigten Kind vergleichbar wie das motherese dem hörenden Kind hilft, sein Spracherwerbsproblem zu meistern. Teacherese ist ein Element des LASS Dies gilt für alle Bereiche: die Phonetik, Grammatik, Syntax und der Semantik. Teacherese fängt wenn es nötig ist dort an, wo auch die Mutter anfängt, aber sie tut es in einer dem Alter des Kindes angepassten Form. Immer wird der Lehrer darum bemüht sein, das Kind als Partner anzusprechen. Dies schließt aus, dass diese Sprachform verniedlicht oder gar läppisch wird. Immer ist sie gebunden an die Echtheit des Lehrers, an seine Kongruenz und an den Wunsch, dem Schüler das Angebot zu machen, da er braucht, um sich im Hören und Sprache erwerben weiterentwickeln zu können. Studierende haben in diesem Zusammenhang oft die Angst geäußert, dass sie sich lächerlich machen würden. Aus der Erfahrung mit Kindern würde ich behaupten, dass wir über eine ausreichende Intuition dahingehend verfügen, den richtigen Ton zu finden.

Sie merken, wir haben nicht nur die Theorie einer dialogischen Pädagogik, in der Hören- und Sprechenlernen ihren Platz hat, weiterentwickelt. Wir haben sie konsequent seit mehr als sechs Jahren auch weiter vorangebracht. Wir haben teacherese erprobt und für uns sensationelle Erfolge erlebt. Wir sehen dies als einen Erfolg der dialogischen Pädagogik, die von der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler bestimmt ist, die im Schüler einen

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Partner sieht, dem der Lehrer Antworten gibt, dem er Angebote macht, die für ihn Sinn machen, und die ihn ebenso dazu auffordern, selbst Angebote zu machen und Antworten zu geben. Es geht mir nicht um eine Kuschelpädagogik, das möchte ich hier mit Nachdruck betonen, Es geht mir darum, dass ich in einer dialogischen Verantwortung dem Kind Angebote zum Hören- und Sprechenlernen mache, die an seiner Person und seinem aktuellen Leistungsstand orientiert sind. In der Dialogik sehe ich, was das Kind mit meinen Angeboten anfangen kann und es erlebt sich selbst als ein Partner, für den es subjektiv sinnvoll ist, sich einzubringen. Dann und nur dann, so sind meine Erfahrungen, macht es für Kinder Sinn, aufeinander zu hören, auf uns zu hören und Sprache zu entwickeln, d. h., Sprache zu erwerben.

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