Program as PDF - Staatskapelle Dresden

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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SAISON 2015 2016 23. / 24. /25.10.15 3. SYMPHONIEKONZERT

Alan

GILBERT ZIMMERMANN Frank Peter

Ihre Premiere. Besuchen Sie den Ort, an dem Automobilbau einer perfekten Komposition

SAISON 2015 2016 23. / 24. /25.10.15 3. SYMPHONIEKONZERT

folgt: Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden.

Alan

GILBERT ZIMMERMANN Frank Peter

+49 351 420 44 11 Besucherservice glaesernemanufaktur.de

SEHR GEEHRTES KONZERTPUBLIKUM, LIEBE MUSIKFREUNDE

M

it Giuseppe Sinopoli zog die Staatskapelle Dresden 1992 aus dem Großen Saal des Kulturpalastes wieder in die Semperoper. Einer der Gründe war die schwierige Akustik. Es mag zutreffen, wenn unter Musikern gesagt wird, das wohl wichtigste Orchesterinstrument sei der Raum, in dem und mit dem das Orchester musiziert. Die musikalische und akustische Orientierung eines jeden Orches­termusikers an seiner räumlichen Position, die Vertrautheit und das Vertrauen in das akustische Ergebnis bilden die Grundvoraussetzung für das perfekte Verschmelzen zu einem homogenen Gesamtklang. Diesem Ideal fühlt sich die Staatskapelle seit Generationen eng verbunden. Nicht selten klingen die großen Orchester der Welt in ihren eigenen Sälen am besten. Die exzellente Akustik der Semperoper, auch als Ort für symphonische Konzerte, ist ein ganz besonderer Glücksumstand, da Theaterbauten akustisch meist den Konzerthäusern hinterher stehen. Bei einer kürzlich erfolgten Umfrage unter unserem Konzertpublikum wurden drei Gründe am häufigsten für einen Besuch in der Semperoper genannt: Qualität und Klang der Staatskapelle, Atmosphäre und Ambiente des Raums sowie Austausch und Begegnungen mit anderen Konzertbesuchern. An den ersten beiden Ergebnispunkten haben wir noch einmal gearbeitet und sind mehr als glücklich, Ihnen unser neues Konzertzimmer vorstellen zu dürfen. Dieser wunderbar gestaltete Raum wird nun unsere neue musikalische Heimat sein und wir werden uns mit ihm und in ihm entwickeln – und dies stets im Streben nach dem optimalen Klang unseres Orchesters. Im Namen der Staatskapelle sowie von Christian Thielemann möchte ich allen danken, die ihren Anteil an diesem wunderbaren Ergebnis haben, voran dem Freistaat Sachsen und damit auch Ihnen, verehrtes Publikum, dass die Mittel für diese Investition zur Verfügung gestellt wurden, aber auch Jan Seeger und der gesamten Technischen Direktion unseres Hauses. Herausheben möchte ich zudem

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Dr. Kay Busch, den Projektleiter und Konstrukteur, sowie die Produktionsfirma Suono Vivo aus Padua, die ihrem Ruf als international führendes Unternehmen mit unserem neuen Konzertzimmer alle Ehre gemacht hat. Nun aber zur Hauptsache, der Musik. Wir wünschen Ihnen einen genussreichen Abend mit Alan Gilbert, Frank Peter Zimmermann und Ihrer Staatskapelle im neuen Konzertzimmer der Semperoper.

Jan Nast ORCHESTERDIREK TOR DER S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N

3. SYMPHONIEKONZERT

3. SYMPHONIEKONZERT FR EITAG 2 3.10.15 20 UHR

S A M STAG 2 4.10.15 11 U H R

SO N N TAG 2 5.10.15 20 UHR

PROGRAMM S E M P ER O P ER DRESDEN

Alan Gilbert

György Kurtág (*1926)

Dirigent

»Grabstein für Stephan« op. 15c für Gitarre und Instrumentengruppen

Frank Peter Zimmermann Violine Markus Henn Co-Dirigat (Kurtág)

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) Violinkonzert Nr. 2 cis-Moll op. 129 1. Moderato 2. Adagio 3. Adagio. Allegro PAU S E

Pjotr I. Tschaikowsky (1840-1893) Musikalische Psychogramme Die Zeit scheint still zu stehen in jenem berückenden musikalischen »Grabstein«, den Capell-Compositeur György Kurtág einst zum Gedenken an einen Freund schrieb: ein Werk der Erinnerung, der leisen Wehmut, der Trauer. In dramatische Klänge kleidet Tschaikowskys Vierte die Schicksalshaftigkeit des Daseins, und wie diese Symphonie changiert auch Schostakowitschs zweites Violinkonzert zwischen Fröhlichkeit und Todesnähe – ein bekenntnishaftes wie symbolträchtiges Spätwerk.

Symphonie Nr. 4 f-Moll op. 36 1. Andante sostenuto – Moderato con anima 2. Andantino in modo di canzona 3. Scherzo. Pizzicato ostinato – Allegro 4. Finale. Allegro con fuoco

Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Foyer des 3. Ranges der Semperoper Aufzeichnung durch MDR Figaro

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3. SYMPHONIEKONZERT

Alan Gilbert Dirigent

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eit 2009 ist der US-Amerikaner Alan Gilbert der Musikalische Direktor der New York Philharmonic und in dieser Position der erste gebürtige New Yorker. Seine weltweiten Engagements führen ihn u. a. zu den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concertgebouw Orchestra, dem Boston Symphony Orchestra und dem Cleveland Orchestra, dem er sich nach seiner Zeit als Assistent von Christoph von Dohnányi 1995 bis 1997 besonders verbunden fühlt. Seit mehr als zehn Jahren ist er zudem Erster Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters Hamburg und pflegt weiterhin seinen jahrelangen engen Kontakt zum Royal Stockholm Philharmonic Orchestra. Bei den New York Philharmonic initiierte er mit den Residencies for Composers und Leading Performing Artists jährlich wechselnde Reihen. In der vergangenen Spielzeit erarbeitete er in New York zudem ein »Nielsen Project« und dirigierte immer wieder auch konzertante Opernaufführungen, u. a. Ligetis »Le Grand Macabre«, Janáčeks »Das schlaue Füchslein« sowie Strawinskys Ballettmusik »Petruschka«. Mit der 2009 eingeführten Programmreihe CONTACT! legt Gilbert außerdem ein besonderes Augenmerk auf die Förderung und Etablierung zeitgenössischer Musik und Komponisten. Auch im Opernbereich gilt Gilbert als internationale Größe: Regelmäßig übernimmt er die Musikalische Leitung von Inszenierungen auch jenseits des etablierten Repertoires in Amerika und Europa, u. a. an der Los Angeles Opera, der Oper Zürich, der Königlich Schwedischen Oper sowie an der Santa Fe Opera. An der Metropolitan Opera debütierte er 2008 mit John Adams »Doctor Atomic« und erhielt mit der DVD-Produktion einen Grammy Award. 2010 ernannte man ihn zum Ehrendoktor des Curtis Institute of Music und wurde 2014 in die American Academy of Arts & Sciences gewählt. Darüber hinaus erhielt er 2015 die Foreign Policy Association Medal. An der Juilliard School ist er Direktor im Fach Dirigieren und Orchesterstudien und hält den William Schuman Lehrstuhl in Musical Studies. 2015 sprach er in der Royal Philharmonic Society in London über »Orchester im 21. Jahrhundert«. Nach einem Gastspiel mit den New York Philharmonic im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele debütiert Alan Gilbert im 3. Symphoniekonzert der Saison 2015/2016 bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

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Frank Peter Zimmermann Violine

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eboren 1965 in Duisburg, begann Frank Peter Zimmermann als Fünfjähriger mit dem Geigenspiel und gab bereits im Alter von zehn Jahren sein erstes Konzert mit Orchester. Nach Studien bei Valery Gradow, Saschko Gawriloff und Herman Krebbers setzte 1983 sein kontinuierlicher beruflicher Aufstieg ein. Seither gastiert er bei allen wichtigen Festivals und musiziert mit großen Orchestern und renommierten Dirigenten weltweit. Er brachte drei Violinkonzerte zur Uraufführung: das Violinkonzert »en sourdine« von Matthias Pintscher mit den Berliner Philharmonikern und Peter Eötvös (2003), das Violinkonzert »The Lost Art of Letter Writing« (2007) mit dem Royal Concertgebouw Orchestra unter der Leitung des Komponisten Brett Dean, der für diese Komposition 2009 den Grawemeyer Award erhielt, sowie das Violinkonzert Nr. 3 »Juggler in Paradise« von Augusta Read Thomas mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dirigiert von Andrey Boreyko (2009). Neben seinen zahlreichen Orchesterengagements ist Frank Peter Zimmermann regelmäßig als Kammermusiker auf den bedeutenden Podien der Welt zu hören. Zu seinen regelmäßigen Kammermusikpartnern zählen die Pianisten Piotr Anderszewski, Enrico Pace und Emanuel Ax. Gemeinsam mit dem Bratschisten Antoine Tamestit und dem Cellisten Christian Poltéra gründete er das Trio Zimmermann. Konzerte führen das Ensemble u. a. nach Amsterdam, Brüssel, Köln, London, Lyon, Mailand, München, Paris und Wien sowie zu den Salzburger Festspielen, dem Edinburgh Festival, dem Schleswig-Holstein Musik Festival und dem Rheingau Musik Festival. Frank Peter Zimmermann erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen, darunter den Premio del Accademia Musicale Chigiana in Siena (1990), den Rheinischen Kulturpreis (1994), den Musikpreis der Stadt Duisburg (2002), das Bundesverdienstkreuz (2008) sowie den Paul-Hindemith-Preis der Stadt Hanau (2010). Zudem hat er eine eindrucksvolle Diskografie eingespielt. Er nahm nahezu alle großen Violinkonzerte von Bach bis Ligeti sowie zahlreiche Kammermusikwerke auf. Seine Aufnahmen wurden weltweit mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Der erste Teil seiner Aufnahme sämtlicher Violinkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks erschien im Februar 2015.

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György Kurtág * 19. Februar 1926 in Lugoj, Rumänien

DIE VERBINDUNG VON RAUM UND ZEIT Zu György Kurtágs »Grabstein für Stephan«

»Grabstein für Stephan« op. 15c für Gitarre und Instrumentengruppen

G ENTSTEHUNG

BESETZUNG

1978-79, revidiert 1989

Oboe, Klarinette in Es, Bassklarinette, 3 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Pauken, Schlagzeug, Harfe, Celesta, Harmonium (auch Cembalo), Pianino (mit Pedal »Supersordino«), Zymbal, Gitarre Solo, 3 Whistles (Flatterzunge), 3 Horn-Mundstücke, 3 Peskó-duda (AlarmSignal), Streicher

U R AU F F Ü H R U N G

26. Oktober 1989 in Szeged DAU E R

ca. 9 Minuten

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rabsteine stiften Erinnerung. Sie ragen auf im Fluss der Zeit, sind Mahnmale des Abschieds und geben eine Ahnung davon, wie es wäre, wenn das Diesseitige für einen kurzen Moment vom Jenseitigen erfasst würde. Grabsteine sind Mittler einer Raum- und Zeitgenossenschaft. Wo sie stehen, liegen die Reste einer fortwirkenden Zeit, ist das einstmals geknüpfte Band nicht zerrissen. Resonanzen werden frei, im Raum sich öffnende Spuren, und machen einen Pfad kenntlich, dessen Ende nicht absehbar ist. Die Frage nach dem Woher lässt sich aus der Perspektive der Gegenwart besonders deutlich vernehmen. Bestimmt von Schwingungen des Vergangenen führt sie zurück, was im Entstehen bereits zerfiel. Was kann man halten, was nicht zu halten ist? Was weiterführen, was längst schon untergegangen ist? Zeit für einen kurzen Augenblick einzufangen, sie anzuhalten, ist nichts als pure Illusion – eine Illusion aber, ohne die der Mensch nicht Mensch wäre. Der Wunsch nach einem Innehalten und Rückblick ist seiner Natur ebenso immanent wie sein Drang nach unablässigem Fortschritt. Und je schneller die Rastlosigkeit davonjagt, sich geradezu überschlägt, desto näher scheint ein Punkt erreicht, von dem aus Ruhe in gleichwohl reizbarer, entzündeter Intensität ausgeht. Unter der Oberfläche des Stillstands rumort es, ist eine subkutane Spannung spürbar, die das Verhauchen von Zeit als existentielle Erfahrung im menschlichen Gedächtnis speichert.

»…glühend von emotionaler Intensität« Gut möglich, dass dieser Moment im Schaffen von György Kurtág essentielle Bedeutung hat und der Punkt äußerster Konzentration und Verdichtung das Ziel ist, zu dem seine Musik hindrängt. Kurtágs Bündelung des musikalischen Kräftestroms kennt vor allem die Bewegung hin zu einem

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György Kurtág

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Fluchtpunkt, der die eingehenden Impulse zu narkotisieren scheint, um sie auf diese Weise unterschwellig in Spannung zu halten. »Energie ist für mich Reserve von Kraft«, hat Kurtág einer seiner Schülerinnen einmal gesagt. Und tatsächlich, Potenz in Reserve zu halten und Kraft noch im Augenblick ihres Vergehens nicht aufzugeben – das sind für Kurtág entscheidende Wegmarken in seinem kompositorisch-musikalischen Verständnis. Ungewohnt eindeutig ergänzt er sein Bekenntnis: »Mein Erzfeind ist die Dynamik«. Der Komponist lässt sich auf keine Kompromisse ein, er entwirft ein nach innen gerichtetes Hören, dem das Spiel in auftrumpfendem Klangrausch suspekt ist. Treffend beschreibt Hartmut Lück seine Musik: »Sie ist zerbrechlich, schutzlos, wie unbeholfen tastend durchs Weglose, schwankend zum Rand des Verstummens hin – aber dabei glühend von emotionaler Intensität.« Kurtágs Musik flieht vor äußerer Zudringlichkeit, sie deutet an, umreißt, was sie ins Visier nimmt, gleitet über in die Sphäre eingehüllter Erregung. Vor allem entspricht sie einem Leben, das sich selbst zu einer Kette aus Impulsen des Flüchtens fügt. Geboren in Lugoj im heutigen Rumänien, zieht es ihn an die Liszt-Musikakademie in Budapest, um hier Béla Bartók aufzusuchen, der jedoch frühzeitig verstirbt. Dafür lernt er einen jungen Mann kennen, dessen Verbundenheit zu ihm als Freund und Kollege ein Leben lang währen wird: Er trifft auf György Ligeti, der sich ebenfalls in die ungarische Hauptstadt aufgemacht hat, um Bartók zu begegnen. Ligeti erinnert sich: »Ich traf György Kurtág zum ersten Male im September 1945, als wir beide die Aufnahmeprüfung in Sándor Veress‘ Kompositionsklasse an der Franz-Liszt-Musikhochschule in Budapest machten. Er war 19 Jahre alt, ich 22. In jenen Tagen, nur wenige Monate nach Kriegsende, herrschte in Budapest eine große Knappheit an Lebensmitteln und Wohnungen: Etwa drei Viertel der Häuser der Stadt lagen in Ruinen. So war es für Leute, die von auswärts nach Budapest kamen, fast unmöglich, ein Bett zum Schlafen zu finden – ein eigenes Zimmer zum Studium oder gar ein Klavier waren unerfüllbare Träume.« Dennoch zieht es beide in die ungarische Hauptstadt, wo das kulturelle Leben nach Ende des Krieges wieder zu pulsieren beginnt, die Künste aufblühen und sich in intellektuellen Energieschüben freisetzen. Ein schmales Zeit­ fenster öffnet sich und vermittelt eine Ahnung von Aufbruch, Freiheit und Selbstbestimmung. Die Lücke des freien Denkens wird jedoch jäh durch die kommunistische Diktatur geschlossen. Sie reicht indes, um sich ideologisch nicht vereinnahmen zu lassen, wie sich Ligeti entsinnt: »Kurtág und ich waren angezogen und beeinflusst von diesem intensiven künstlerischen und literarischen Leben. Trotz der schlimmen Erfahrungen während der Nazi-Zeit waren wir beide von jugendlichem Optimismus erfüllt, voller Hoffnung auf eine moderne ungarische Kultur. Beide waren

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an Rumänien gefallen waren, beide gingen wir in rumänisch-sprachige Gymnasien der rumänischen Kultur, in unseren Gefühlen und künstlerischen Vorstellungen stark von Frankreich angezogen.« Zumindest für Kurtág scheint die Liebe zur französischen Kultur den Weg vorzugeben. Nach dem Volksaufstand in Ungarn im Herbst 1956 zieht er nach Paris und besucht Kompositionskurse bei Messiaen, Milhaud und Max Deutsch. In jene Zeit fällt Kurtágs Auseinandersetzung mit einem Meister des komprimierten Stils: Anton Webern. Dessen Stücke in aphoristischer Kürze werden für Kurtág zum Modellfall kompositorischer Verknappung und Intensivierung. Weiteren Einfluss auf seine Entwicklung in Paris nimmt die ungarische Psychologin Marianne Stein, die ihn gleichermaßen zu Experimenten mit musikalischen Mikroformen ermuntert (»nur zwei Töne verbinden«), ihn inspiriert und aus einer schweren Schaffenskrise herausführt.

Das Versunkene in der Sphäre der Vergegenwärtigung

Partiturseite  aus »Grabstein für Stephan«

wir Bartók-Anhänger und sahen in Bartóks Musik die Grundlage für eine weitere Entwicklung eines neuen, chromatisch-modalen musikalischen Idioms, das international sein sollte und dennoch in der ungarischen Tradition verwurzelt. Unsere Freundschaft vertiefte sich, als wir entdeckten, dass wir nicht nur gemeinsame musikalische Ideen teilten, sondern auch die gleichen politischen Ansichten hatten (prononciert linksintellektuelle Ansichten, doch nicht konform mit dem offiziellen kommunistischen Gedankengut) und aus ähnlichen familiären Verhältnissen kamen: aus ungarisch-jüdischen (in Kurtágs Fall nur halb-jüdischen) intellektuellen Familien, die an die ungarische Kultur assimiliert waren. Gemeinsam war uns noch eine andere kulturelle Erfahrung: Beide kamen wir aus Gegenden des alten Ungarns, die nach dem Ersten Weltkrieg

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Wenn man will, steckt in der Formel »nur zwei Töne verbinden« Kurtágs ganzes musikalisches Glaubensbekenntnis. Der sensible Moment des Übergangs wird für seine Musik zum neuralgischen Punkt, aus dem der notwendige Sprung gleichsam seine geschützte Sphäre verlässt und sich einer gefährdeten Öffnung preisgibt. »Nur zwei Töne verbinden« – das meint auch eine kompromisslose Reduzierung hin zur kleinsten sozial-kommunikativen Zelle, zu einer Ich-Du-Beziehung auf engstem Raum, in der das Klima weitgehend von Vertraulichkeit bestimmt wird. Vielleicht muss man sich in Kurtágs Beziehung zu Marianne Stein eine vergleichsweise Konstellation vorstellen. Die Freundschaft, die aus der Verbindung erwächst, schließt Steins Ehemann Stephan ein, an den Kurtágs op. 15c erinnert. In einem Interview hat der ungarische Dirigent Zoltán Peskó, der Kurtág bereits aus den Anfängen seines Musikstudiums 1953 kennt, über dessen Werk Auskunft gegeben: »›Grabstein‹ ist für Stephan Stein geschrieben, er war Sänger und der Ehemann von Marianne Stein, die vermutlich eine der wichtigsten Personen im Leben von Kurtág ist. Sie führte dort eine Art literarischen Salon, als er 1957 in Paris war. Marianne Stein hat Kurtág sehr geholfen, seinen Weg zu entdecken. Jedenfalls hatten wir das Gefühl, dass Kurtág auch äußerlich als völlig anderer Mensch aus Paris zurückgekommen ist.« Gefragt über die ungewöhnlichen Geräuscheffekte in Kurtágs »Grabstein für Stephan« antwortet Peskó: »Ich kam 1989 einmal an einem Sonntagnachmittag mit Kurtág nach einer Vorstellung von ›Luisa Miller‹ aus der Mailänder Scala – Sie wissen, dieses Finale mit Luisas Tod und dem leisen Ausklang –, und draußen begegnete uns ein Menschenmeer aus Fans

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des AC Milano, deren Mannschaft gerade den Pokal gewonnen hatte. Es waren Tausende von Fans, mit billigen Hupen aus Plastik und Trillerpfeifen. Ihr Jubel hallte durch die große Kuppel der Galerie zwischen dem Dom und der Scala und schwoll an bis zu einem ohrenbetäubenden, unerträglich vulgären Geräusch. Kurtág meinte damals, dass er so etwas gerne in eine Komposition einbauen würde, und ich habe ihm dann bei einem fliegenden Händler drei solcher Plastik-Hupen gekauft. Deren seltsames Geräusch wurde in ›Grabstein‹ zum Zitat, die Solo-Gitarre spielt davor und danach ganz einfache, ausklingende Arpeggi – ein größerer Kontrast in Lautstärke und Ausdruck ist kaum vorstellbar.« Zu diesem Zeitpunkt liegt das Werk für sechs Instrumente vor, Kurtág hat es bereits 1978 geschrieben. 1989 bearbeitet er es für größere Besetzung. Er entwickelt eine Raummusik mit einem Wechselspiel von Nähe und Weite auf unterschiedlichen Ebenen. Entfernung, so könnte man sagen, wird ent-fernt, sie schmilzt zusammen, überwindet Distanzen. Was sichtbar wird, ist ein Abstand, bei dem ein Verstorbener durchaus nah, vielleicht sogar omnipräsent sein kann – so wie das, was von weitem tönt, nicht unbedingt schwächer klingen muss. Das Werk für Gitarre und Instrumentengruppen ist ein um Vergänglichkeit kreisender Tombeau, der in der Instrumentalmusik nichts weniger als einen musikalischen Grabstein bezeichnet (franz. le tombeau für Grabmal). Die Gattung ist mit der Lautenmusik des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts verbunden, was den Einsatz der Gitarre zumindest teilweise erklärt. Das neunminütige Stück beginnt und endet mit leisen Tönen auf leeren Gitarrensaiten. Dazwischen entwickelt sich ein ruhiger Trauermarsch im Gestus Gustav Mahlers mit eingestreuten wütenden Aufschreien, in denen das Private zum spektakulären Klangerlebnis sich weitet. Man hat das Gefühl, als zerstörten die Ausbrüche als verzweifelte Schreie jegliches Musizieren und Gedenken – und das mit voller Absicht, da man dem Geheimnis des Lebens und Sterbens nicht anders beizukommen vermag. Am Ende steht ein lange nachhallender Bläserton – »der schönste und tiefste Bläserklang des Ensembles, vielleicht eine Singstimme/kann auch vom Publikum kommen«, wie der Komponist in der Partitur vermerkt. Kurtágs Äußerung liefert einen Hinweis, wie nahe er den instrumentalen Klang zum Schluss an den des Menschen heranzuführen gedenkt. Die Erinnerung an einen Menschen schwingt so tief nach, so lange der Mensch, der sich an ihn erinnert, lebt. Erinnerung ist Leben. Sie holt das Versunkene in die Sphäre einer Vergegenwärtigung – wenn auch nur für wenige Minuten. Diese Zeit aber reicht aus, um sie restlos mit einer raumgreifenden Verkörperung zu füllen, in der der Erinnerungsstrom zum Bewusstseinsstrom wird und Zeit und Raum verbindet. 

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ANDRÉ PODSCHUN

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Was bleibt vom Menschen? Ein Zeichen vielleicht, das er gesetzt, eine Botschaft, die er weitergereicht hat. Was hat er getan zeit seines Lebens? Er hat Fragmentarisches geschaffen, er hat Spiele gespielt, wenn es hoch kommt, Zeichen und Botschaften hinterlassen. Was bleibt uns angesichts des Todes anderer? Wir können uns an einen Menschen erinnern, können ihm ein Grabmal als Zeichen seiner Existenz setzen, können ihm mit einer nachträglichen Botschaft die Reverenz erweisen. György Kurtág schafft sein Werk vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit, der Beschränktheit, vielleicht der Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens. Er prägt Zeichen, Münzen als Fährgeld für Charon. Er fixiert die Spuren der eigenen Existenz und derjenigen anderer, Lebender und Toter. »Zeichen, Spiele und Botschaften« heißen seine Werke, »Omaggio a Luigi Nono«, »Drei alte Inschriften«, »Grabstein für Stephan« oder »Stele«. Relativ klein ist sein Œuvre, ausgesprochen kurz sind zahlreiche seiner Stücke, vorläufig Abgeschlossenes steht neben Fragmentarischem, Offenem, Weiterwucherndem. Unter der Kategorie der Ewigkeit ist ohnehin alles Stückwerk. Die Stücke und Splitter aber bergen eine ungeheure Kraft und gleichzeitig eine ungeschützte Sensibilität. Sie stellen sich nackt zur Schau, sie geben auf kleinstem Raum alles, sie sind die Existenz selbst, sie verweisen auf die fundamentale Tragik der condition humaine: »Ecce Homo«. 

PETER BITTERLI

3. SYMPHONIEKONZERT

Dmitri Schostakowitsch * 25. September 1906 in Sankt Petersburg † 9. August 1975 in Moskau

»REDUKTION, KONZENTRATION, ÖKONOMIE DER MITTEL« Zu Schostakowitschs zweitem Violinkonzert

Violinkonzert Nr. 2 cis-Moll op. 129 1. Moderato 2. Adagio 3. Adagio. Allegro

»D

ENTSTEHUNG

BESETZUNG

1966/67

2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, Pauken, Schlagzeug, Violine, Streicher

WIDMUNG

dem Geiger David Oistrach

ie meisten meiner Symphonien sind Grabdenkmäler. Zu viele unserer Landsleute kamen an unbekannten Orten um … Ich würde gern für jeden Umgekommenen ein Stück schreiben. Doch das ist unmöglich. Darum widme ich ihnen allen meine gesamte Musik.« Schostakowitschs Anteilnahme am Schicksal der Menschen in der Sowjetunion liest sich als empathisches Bekenntnis in Zeiten großer Umbrüche. Der ideologischen Parole, die Menschen in eine bessere Zukunft zu führen, steht ein Unterdrückungsstaat entgegen, der vor nichts zurückschreckt, um seine erklärten Ziele durchzusetzen. Auf Missstände reagiert man lapidar mit dem Hinweis, dass in der Phase der Umwälzung das Einzelschicksal für das Wohl des Gemeinwesens zurückzustehen habe und ein Transformationsprozess immer auch Auswüchse produziere, mit denen man zu leben habe. Der Gedanke freilich ist in der Theorie schnell formuliert, während er in der Praxis oftmals verheerende Folgen zeitigt. Die Willkür der Machthaber macht Andersdenke gefügig und führt diese in perfider Weise ihre Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit vor Augen. Was zählt für einen Zyniker schon ein Menschenleben, wenn es um eine menschheitliche Idee geht? Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Tod nicht nur von der kreatürlich hinfälligen Seite, ist Schostakowitsch überzeugt: »Lebenswichtig war etwas anderes. Wie gefällt dein Opus dem Führer? Ich betone: lebenswichtig. Denn es ging buchstäblich um Leben oder Tod, nicht etwa im übertragenen Sinne. Das muß man festhalten.«

U R AU F F Ü H R U N G

26. September 1967 mit David Oistrach, der Moskauer Philharmonie und dem Dirigenten Kirill Kondraschin im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums

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ca. 30 Minuten

Aufbruch in eine neue Zeit Aus eigner Nähe erlebt Schostakowitsch die epochalen Umwälzungen seines Landes, die in nachrevolutionärer Zeit vor allem mit einem Namen verbunden sind: Josef Stalin. Viele der Kollegen und Freunde Schostakowitschs fallen dem Zwang zu Kollektivierung und Industria­ lisierung zum Opfer, als es unter Einsatz von Millionen Menschen

3. SYMPHONIEKONZERT

darum geht, eine neue Zeit aufzubauen. Die Befürchtung, nach einem falschen Wort von den Schergen des »großen Gärtners« in Straflager verschleppt, gefoltert und getötet zu werden, schafft eine Atmosphäre der Einschüchterung und des Misstrauens, die von einem allgegenwärtigen Terror noch befeuert wird. Der Kampf »gegen Bürokratismus und Parteihierarchie, für die Forderung auf Einblick und demokratische Kontrolle, für das Mitwirken der Arbeitenden in der Politik und für die Fortsetzung der kulturellen Revolution« (Peter Weiss) ist längst verloren – errichtet stattdessen eine Erziehungsdiktatur, deren Kult um eine Führergestalt vielleicht ihr spektakulärstes Merkmal ist. Jene aber, die eine Heiligsprechung Stalins maßgeblich deshalb betreiben, um das System zu stützen, bezahlen paradoxerweise oft mit ihrem Leben, und nicht selten blendet sie ihr Idealismus noch in den letzten Stunden – für Schostakowitsch gewiss eine seiner bittersten Erfahrungen. Stalin, so der Komponist in seinen Erinnerungen, sei eine Spinne gewesen, die jeden, der in die Nähe ihres Netzes geriet, umbrachte. Spätestens mit dem unsignierten Leitartikel »Chaos statt Musik«, der am 28. Januar 1936 in der Prawda erscheint, ist auch Schostakowitsch existenziell gefährdet. Seine Oper »Lady Macbeth von Mzensk« beleidige das Publikum mit Lärm und Kakophonie, Gepolter und Gekreische, muss er dort lesen: Alles sei grob, primitiv und trivial, eine »degenerierte, grelle und neurasthenische Musik«. In Zeiten der Säuberungen reicht das aus, um in die Keller der gefürchteten Lubjanka geworfen zu werden, deren Mauern alle Geräusche dämpfen. Noch 1948 wütet das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei in einer Resolution gegen die Ästhetik der »bürgerlichen Dekadenz«, gegen »formalistische, volksfremde Tendenzen«, und nennt als deren Exponenten unter anderem auch Schostakowitschs Namen. Bedrohlich ist diese ideologische Rhetorik allemal. Tichon Chrennikow, einer der berüchtigtsten Bluthunde Stalins im Komponistenverband, brüllt während eines Vortrages über sowjetische Komponisten, man werde Schostakowitsch mit dem Daumennagel zerquetschen wie eine Wanze. Der »Gottesnarr«, wie Solomon Wolkow ihn nennt, bewegt sich auf dünnem Eis. Zudem machen seine Erfolge im Westen Stalin und seine Handlanger nur noch nervöser.

»Beim Komponieren dachte ich an Sie«

Dmitri Schostakowitsch  Dresden 1960

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Schostakowitschs erstes Violinkonzert steht im Schatten der Ereignisse des Jahres 1948. Begonnen im Juli 1947 zieht sich die Komposition bis zum März 1948 hin – und fällt genau in die Zeit, als sich Schostakowitschs Gefährdung durch die Resolution des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vom 10. Februar 1948 neuerlich zuspitzt.

3. SYMPHONIEKONZERT

David Oistrach, dem das Werk zugeeignet ist, rät von einer Aufführung ab. Und so bleibt das Stück sieben Jahre liegen, bis es am 29. Oktober 1955 in Leningrad vom Widmungsträger und den Leningrader Philharmonikern unter der Leitung von Jewgeni Mrawinsky uraufgeführt wird – gut zweieinhalb Jahre nach Stalins Tod und kurz vor Ende der Tauwetter-Periode. Schostakowitschs Verbundenheit zu dem Geiger David Oistrach reicht indes bis in das Jahr 1935, Dmitri Schostakowitsch und als beide in einer Delegation David Oistrach  Moskau 1969 russischer Künstler die Türkei bereisen. Aus anfänglicher Bekanntschaft entwickelt sich eine Freundschaft, die zwölf Jahre nach der Uraufführung des ersten Violinkonzerts an Zuneigung und gegenseitiger Bewunderung zunimmt. 1967 ist Oistrach an der Uraufführung der »Sieben Romanzen nach Worten von Alexander Blok« beteiligt und zeigt sich von der Musik tief beeindruckt. Auch umgekehrt könnte der Respekt nicht größer sein, wenn Schostakowitsch im gleichen Jahr an den Geiger schreibt: »Lieber Dodik! Ich habe ein neues Violinkonzert beendet. Beim Komponieren dachte ich an Sie … Obwohl es mir furchtbar schwer fällt zu spielen, möchte ich Ihnen allzugern das Konzert vorführen. Wenn dieses Konzert bei Ihnen keinen Widerspruch hervorruft, werde ich sehr glücklich sein. Und wenn Sie es selbst spielen werden, dann wird mein Glück so groß sein, dass es weder ein Märchen fassen noch eine Feder beschreiben kann. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich Ihnen das Werk widmen.« Gedacht ist Schostakowitschs Ansinnen als Geschenk zu Oistrachs 60. Geburtstag, doch verrechnet sich der Komponist um ein Jahr, da der Widmungsträger erst 59 wird. Der Irrtum beschert dem Geiger ein Jahr später Schostakowitschs Sonate für Violine und Klavier G-Dur op. 134, nun ganz offiziell »zu Ehren des 60. Geburtstages von D[David] F[Fedorowitsch] Oistrach«. Der Geiger ist von der Partitur des zweiten Violinkonzerts ergriffen, worauf ihm Schostakowitsch mitteilt: »Ich danke Ihnen für Ihre Postkarte mit der für mich so erfreulichen Nachricht. Mit Ungeduld erwarte ich das Treffen mit Ihnen. Für mich ist es ein sehr großes Glück, dass Sie das Konzert schon einstudiert haben.« Bei allem Überschwang der Dankbarkeit ist Schostakowitschs Briefen

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eine gewisse Zerbrechlichkeit anzumerken. Ihr spürbar gedämpfter Ton deutet nicht zuletzt auf gravierende gesundheitliche Probleme des Komponisten. Ende der fünfziger Jahre zeigen sich erste Lähmungserscheinungen an den Fingern, die erst später als Symptome einer Rückenmarksentzündung diagnostiziert werden. Im Herbst 1960 stürzt er während der Hochzeit seines Sohnes Maxim und bricht sich ein Bein, was einen längeren Krankenhausaufenthalt nötig macht und zur Folge hat, dass ihm fortan das Gehen schwerer fällt. Bitter resümiert er: »Ein Leben lang hat mich die Partei gelehrt, nach vorn zu schauen, ich aber hätte vor meine Füße blicken sollen.« Gleichzeitig nimmt die Muskelschwäche in den Händen zu. Seinem Freund Isaak Glikman schreibt er: »Sehr langsam und nur mit Mühe, indem ich Note auf Note aus mir herauspresse, schreibe ich ein Violinkonzert.« Im Mai 1966 erleidet er einen Herzinfarkt, der ihm das Komponieren unmöglich macht. Weitere Krankenhausaufenthalte werden unumgänglich, sie fallen unter anderem in die Zeit der Uraufführung des zweiten Violinkonzerts am 26. September 1967, doch kann er immerhin die Rundfunkübertragung des Konzerts am 19. November verfolgen, wie er Oistrach mitteilt: »Mein Konzert klang in Ihrer Darbietung wunderbar. Ich hatte sehr viel Freude daran. Ihnen meinen herzlichsten Dank! … Oft spiele ich die Aufnahme meiner Blok-Lieder und das zweite Konzert ab. Und ich denke viel daran, welch großes Glück es für mich ist, solche Interpreten wie Sie zu haben. Ich würde Sie sehr gern recht bald sehen und im lebendigen Klang hören, nicht über Radio oder Tonband.«

Ein Gebäude geheimnisvoller Chiffren Die Entstehung des Werkes fällt in die Zeit des 50. Jahrestages der Oktoberrevolution. Von den Komponisten verlangt man affirmative, bekenntnishafte Stücke, die dem Anlass Rechnung tragen. Der Uraufführung mit Oistrach, der Moskauer Philharmonie und Kirill Kondraschin – der übrigens vierzehn Jahre zuvor, in Stalins Todesjahr 1953, bei der Staatskapelle Dresden debütiert – ist kein großer Erfolg beschieden. Das ist bei weitem keine Überraschung, denn die Musik »lebt aus ihren Mikrostrukturen – darunter bleibt der Boden düster und rätselhaft«, wie Detlef Gojowy hervorhebt. Außerdem entspricht das Werk keineswegs den feierlichen Erwartungen der offiziellen Seite, deren Doktrin auf Massentauglichkeit und kollektive Aufwallung setzt. Mit seinem zweiten Violinkonzert, so Detlef Gojowy weiter, habe Schos­ takowitsch »die gebahnten Wege der damaligen Neuen Musik weit hinter sich gelassen und sich in ein eigenes Gebäude geheimnisvoller Chiffren zurückgezogen, deren Botschaft am Ende etwas Zeit- und

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Situationsgebundenes hat: hauptsächlich in Ländern des ›realen Sozia­ lismus‹ wurde auf diesem Weg – etwa von Edison Denissow – weiterkomponiert. Zitate und Embleme wollen dabei entschlüsselt sein – auch in der Kadenz des dritten Satzes begegnet nochmals ein Bach-Zitat, am Schluss des zweiten Satzes wird die Stilwelt Wagners evoziert.« Das zweite Violinkonzert leitet mit den »Sieben Romanzen zu Gedichten von Alexander Blok« Schostakowitschs Spätwerk ein. Stilis­ tisch ist die Phase gekennzeichnet durch »Reduktion, Konzentration, Ökonomie der Mittel: aus minimalem Material ein Großes hervortreiben. Ferner: Verzicht auf alle klangliche Opulenz, Sparsamkeit bis zur Kargheit« (Gottfried Eberle). Im Vergleich zu seinem ›freundlicheren‹ Vorgänger, dem weitaus häufiger gespielten ersten Violinkonzert, folgt es einem introspektiven Weg, auf dem »wenn nicht Pessimismus, so doch mindestens eine gewisse Freudlosigkeit und Todesahnungen aufscheinen« (Helge Grünewald). Eine herbe, hochverdichtete Linearität durchzieht das Werk, das ohne programmatische Spurenlegung auskommt. Der von Krankheit gezeichnete Komponist ist auf der Suche nach Orientierung. Die körperliche Schwächung setzt ihn einem eingeschränkten Bewegungsradius aus, in dem er nach Halt tastet. Schostakowitsch verortet sich innerhalb der bekannten, jedoch fragilen Bewegungsmuster neu. Zu diesem Schluss könnte man gelangen, wenn man im einleitenden Moderato die düster klingende Achtelbewegung der tiefen Streicher vernimmt, die von der Solovioline expressiv aufgegriffen wird – ein gleichsam bedächtiges, sich in der Folge trotzig steigerndes Treten auf unsicherem Grund. Dem eingeengten Bewegungsradius entspricht die kammermusikalisch zurückgenommene, Binnenräume ausleuchtende Orchesterbehandlung. Im Adagio, »mit seinem schreitenden Air-Charakter ein Vorbild musikalischer Gedankenlyrik« (Karl Schumann), beginnen die Bässe in liegenden Tönen, über denen die Violine sich ihren Weg bahnt. Rätselhaft ist der dritte Satz, der als Rondo angelegt ist. Trotz seiner burlesken, beschwingten Züge ist ihm ein Agieren ohne Netz und doppelten Boden eigen. Wie oft bei Schostakowitsch übertüncht die demonstrativ zur Schau gestellte Ausgelassenheit das Gefühl ohnmächtiger Ausweglosigkeit, erscheint der geöffnete Horizont in den Unter- und Zwischentönen gleichwohl merklich verengt. Eine ins Positive gewendete Auflösung ist dieser Dialektik von Anfang an nicht möglich. Das Wechselspiel von Ideologie und Individuum, von Kollektivierung und Vereinzelung bestimmt Schostakowitschs Musik in herausragender Weise. Der Bruch, der sich daraus ergibt, bildet die Signatur einer ganzen Epoche. 

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Michail Jurowski, einer der maßgeblichen Schostakowitsch-Interpreten weltweit, steht im Zentrum einer berühmten Musikerdynastie. In Gesprächen mit Michael Ernst erinnert sich der 1945 in Moskau geborene Kosmopolit, der regelmäßig am Pult der Sächsischen Staatskapelle steht, an seine frühen Begegnungen mit den Größen des sowjetischen Kulturlebens, an den Alltag in der Diktatur und den Neuanfang im Westen. Zu beziehen über die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch www.schostakowitsch-tage.de

ANDRÉ PODSCHUN

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Pjotr I. Tschaikowsky * 7. Mai 1840 in Wotkinsk, Russland † 6. November 1893 in Sankt Petersburg

»DAS BESTE, WAS ICH GESCHRIEBEN HABE« Tschaikowskys vierte Symphonie f-Moll

Symphonie Nr. 4 f-Moll op. 36 1. Andante sostenuto – Moderato con anima 2. Andantino in modo di canzona 3. Scherzo. Pizzicato ostinato – Allegro 4. Finale. Allegro con fuoco

»W ENTSTEHUNG

BESETZUNG

1876 / 77

Piccoloflöte, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Große Trommel, Streicher

WIDMUNG

Tschaikowskys Gönnerin Nadeshda von Meck U R AU F F Ü H R U N G

10. Februar 1878 in Moskau unter dem Dirigat von Nikolai Rubinstein

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DAU ER

ca. 45 Minuten

as wohl dieser Symphonie bevorstehen mag? Wird sie in Vergessenheit geraten, nachdem ihr Schöpfer vom Erdboden verschwunden ist? Ich weiß nicht, ich weiß nicht, aber mit der blinden Liebe, deren auch manche Eltern fähig sind, vermag ich in meinem letzten ›Sprößling‹ keine Schwächen zu entdecken«, vertraut sich Pjotr I. Tschaikowsky am 30. Dezember 1877 seiner Gönnerin und Freundin Nadeshda von Meck an, der Witwe eines vermögenden Eisenbahningenieurs. Seit einiger Zeit schon befinden sich die Schreibenden in einem intensiven Austausch, der die großen Themen des Lebens nicht ausspart, sie vielmehr mit aufrichtigem Ernst und allem Nachdruck berührt. Stellvertretend für ihre offene Kommunikation ist eine Frage Nadeshda von Mecks, die sie nur wenige Tage nach Tschaikowskys Zeilen an ihn richtet: »Haben sie jemals geliebt?« – um die Antwort gleich selbst zu geben: »Ich glaube nicht. Sie lieben die Musik zu sehr, als dass Sie eine Frau lieben könnten.« Es dauert, bis Tschaikowsky zehn Tage später darauf reagiert: »Meine liebe Freundin, Sie fragen mich, ob ich die irdische Liebe kenne. Ja und nein. Stellt man die Frage etwas anders, das heißt, fragt man, ob ich die Fülle des Glücks in der Liebe erlebt habe, so antworte ich: Nein, nein, nein!!! Übrigens glaube ich, dass meine Musik die Antwort darauf gibt. Fragen Sie mich jedoch, ob ich die Macht, die unerschöpfliche Kraft der Liebe kenne, so antworte ich: Ja, ja, ja! Unzählige Male habe ich mich bemüht, die Qualen und die Seligkeit der Liebe in meiner Musik zum Ausdruck zu bringen. Ob mir das gelungen ist, weiß ich nicht, das mögen andere entscheiden. Ich teile Ihre Ansicht, die Musik sei nicht fähig, die allumfassende Kraft der Liebe wiederzugeben, nicht. Ich bin vom Gegenteil überzeugt: Nur die Musik vermag es. Sie sagen, das könne nur in

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Worten geschehen. O nein! Gerade dazu bedarf es nicht der Worte. Wo sie versagen, erklingt die Fülle einer mächtigeren Sprache: die Musik.« Liebe und Musik, zwischen beiden Lebenspunkten wird sich Tschaikowsky zeitlebens in emotionaler Verausgabung in einem Spannungsfeld bewegen – und sich der einen Sphäre restlos öffnen, wo ihm die andere den Zugang erschwert. Dabei ist es gerade die Unerfülltheit in der Liebe, die ihn zu den intensivsten Ausdrucksmöglichkeiten in seiner Musik verhilft. 1877 kommt es in Tschaikowskys Leben zu einem Krisenjahr. Eine romantische Liebesbeziehung zu Josef Kotek, einem ehemaligen Schüler am Konservatorium in Moskau und Musiker bei Nadeshda von Meck, bahnt sich an, worauf Tschaikowsky im Januar 1877 gegenüber seinem Bruder Modest zu sprechen kommt: »Ich bin so verliebt, wie ich es lange nicht war … ich kenne ihn schon seit sechs Jahren. Ich habe ihn immer gemocht und war einige Male dabei, mich zu verlieben … Jetzt habe ich den Sprung gemacht und mich unwiderruflich ergeben. Wenn ich stundenlang seine Hand halte und mich quäle, ihm nicht zu Füßen zu fallen, ergreift mich die Leidenschaft mit übermächtiger Wucht, meine Stimme zittert wie die eines Jünglings und ich rede nur noch Unsinn.« Indes bildet die amour fou lediglich den Auftakt für weitreichende Verwicklungen, die für Tschaikowsky schließlich unerträglich werden. Im Frühsommer 1877 erhält er Briefe von der ihm unbekannten Frau Antonia Miljukowa, die schließlich mit Selbstmord droht, falls er nicht zu einem Treffen mit ihr bereit ist. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Tschaikowsky gibt ihrem Drängen nach und geht sogar so weit, sie im Juli 1877 zu heiraten, vermutlich um seine homosexuelle Neigung durch die Ehe mit einer Frau nach außen hin zu verbergen. Doch wird seine Situation dadurch immer prekärer. Es dauert nicht lange, bis das Verhältnis nach drei Monaten so zerrüttet ist, dass Tschaikowsky keinen anderen Ausweg weiß, als in das nächtliche Wasser der Moskwa zu steigen. Schenkt man der Anekdote Glauben, kehrt er allerdings wieder zurück und erklärt seinen Zustand mit einem versehentlichen Fall in den Fluss. Vor allem scheint Tschaikowsky an der Ausweglosigkeit seiner Lage zu leiden, sie verlangt ihm ein gehöriges Maß an Selbstverleugnung ab. In einem späteren Brief gesteht er: »Kaum war die Trauung vollzogen, kaum war ich mit meiner Frau allein geblieben und kaum hatte ich erkannt, dass uns das Schicksal untrennbar verbunden hatte, da begriff ich plötzlich, dass ich nicht einmal Freundschaft, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Widerwillen gegen sie empfand. Der Tod schien mir der einzige Ausweg, doch Selbstmord kam nicht in Frage.« Tschaikowsky fühlt sich im Bann des Schicksals; ihm wird klar, dass er seinem Verhängnis nicht entrinnen kann – was sich auch darin äußert, dass seine Ehe nie geschieden wird.

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Pjotr I. Tschaikowsky  um 1888

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Tschaikowsky (rechts) und sein Schüler Josef Kotek, Moskau 1877

Die Flucht in eine bürgerliche Entscheidung Mit der Komposition der vierten Symphonie beginnt er im Winter 1876 / 77. Vieles spricht dafür, das Werk als Echo seiner düsteren Konstitution zu deuten. Tschaikowsky selbst gibt einen Hinweis darauf: »Vorigen Winter, als diese Symphonie geschrieben wurde, war ich sehr schwermütig, und sie ist ein Widerhall dessen, was ich damals empfunden habe.« Bei Beethoven hatte das Schicksal in der Fünften noch angepocht und sich ankündigt, bevor es eintrat. Bei Tschaikowsky scheint es über den Komponisten regelrecht hereinzubrechen, ohne sich vorher in irgendeiner Weise mitzuteilen. Was im Fall der Fünften von Beethoven im Bereich der Legende angesiedelt ist, kann zumin-

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dest bei Tschaikowsky nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden, denn wie ist es anders zu erklären, dass er später seine Heirat mit Antonia Miljukowa so vollkommen überstürzt und kopflos eingeht? Das unausweichliche Fatum – es muss für Tschaikowsky eine eigene Macht besessen haben. Folgerichtig eröffnet es die Symphonie mit seiner bezwingenden Prägnanz in den Hörnern und Fagotten. Allein Nadeshda von Meck öffnet sich Tschaikowsky und geht in einem längeren Brief auf einzelne Abschnitte des Werkes ein. Zur Einleitung der Symphonie schreibt er: »Das ist das Fatum, die verhängnisvolle Macht, die unser Streben nach Glück verhindert und eifersüchtig darüber wacht, dass Glück und Frieden nie vollkommen und wolkenlos werden, eine Macht, die wie ein Damoklesschwert über unserem Haupte schwebt und unsere Seele unentwegt vergiftet. Sie ist unbesiegbar, nie wird man sie überwältigen. Es bleibt nicht, als sich damit abzufinden und erfolglos zu klagen.« Zwischen den Zeilen kann man so etwas wie einen Amor fati herauslesen, den Tschaikowsky als Triebfeder eines nachgerade schöpferischen Gestaltungsprozesses nutzt. Der Komponist bemerkt: »Die Einleitung ist das Samenkorn der ganzen Symphonie und zweifellos der Hauptgedanke.« Das Motto kann Wagners Einfluss nicht verschweigen und erinnert an Tschaikowskys Besuch der Bayreuther Festspiele im August 1876 als Kritiker der Russischen Nachrichten. Der »Ring des Nibelungen« überzeugt ihn zwar nicht, doch wird die idiomatische Ähnlichkeit des Beginns der Vierten mit Wagners Nibelungenmotiv durch den Tschaikowsky  und seine charakteristischen Rhythmus und Frau Antonia Miljukowa, die fallende Terz mehr als deutMoskau im Juli 1877 lich. Auch wenn Tschaikowskys Symphonie kein ausgewiesenes Programm vorgibt, so arbeitet sie mit musikdramatischen Versatzstücken. Im Verlauf der Introduktion klingt in der markig abwärtsgeführten Linie das Vertragsmotiv aus Wagners »Ring« an. Mit der Verstrickung des Individuums in ein rechtliches Ordnungssystem, so scheint es, ist sein bürgerliches Schicksal besiegelt. Zudem: Was nach der Introduktion folgt, ist Wagners »unendlicher Melodie« nicht unähnlich und nimmt als Hauptthema weite Strecken ein.

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Das später einsetzende Seitenthema mit seinen burlesken und gesanglichen Elementen bleibt dagegen Episode, wird in den Mittelsätzen allerdings idiomatisch weitergeführt. Bis es dazu kommt, fährt das Motto immer wieder als letztes Mittel der Steigerung dazwischen. Der langsame zweite Satz ist in der Art einer Canzone gehalten (»in modo di canzona«). Im Scherzo kommt es zu einer konsequenten Gegenüberstellung der Instrumentengruppen: »Zuerst spielen nur die Streicher, und zwar durchweg gezupft; im Trio setzen dann die Holzbläser ein und spielen ebenfalls allein; es folgt dann das Blech, wieder allein. Am Ende antworten alle drei Gruppen einander mit kurzen Phrasen. Ich erwarte davon eine interessante Wirkung«, hebt Tschaikowsky hervor. Auch hier stecken im Hauptthema Andeutungen, die im Finale weiter ausgeführt werden. Einsam auf einem ausgelassenen Volksfest zieht der Held seine Bahn – so beschreibt Tschaikowsky die Eingangsszene des Finalsatzes. Dem Treiben ist eine Melodie aus einem Volkslied eingeflochten, das von tanzenden Mädchen erzählt. Sie huldigen einer jungen Birke, die im slawischen Raum für Fruchtbarkeit steht, brechen Zweige, flechten Kränze und werfen sie anschließend ins Wasser. Diejenige, deren Kranz schwimmt, heiratet innerhalb eines Jahres. Geht der Kranz jedoch unter, stehen die Zeichen vorerst auf Ehelosigkeit. Mit der Niederschrift des Finales beginnt Tschaikowsky vier Tage nach seinem Eheversprechen. Da liegt es nahe, auf Überschneidungen von Kunst und Leben hinzuweisen, zumal diese aufgrund der Wasser-Metaphorik nur noch zwingender erscheinen. In dieser Zeit kommt es in Tschaikowskys Leben zu einer eigentümlichen Verdichtung. Zur Erinnerung: Seine Vermählung mit Antonia Miljukowa findet im Juli 1877 statt. Nur zwei Monate vorher spricht die Opernsängerin Yelizaveta Lavrovskaya mit dem Komponisten über eine mögliche Vertonung von Alexander Puschkins Versroman »Eugen Onegin« und stößt bei Tschaikowsky auf wachsende Begeisterung. In vielen Punkten setzt ihm das Sujet einen Spiegel vor, der Puschkins Drama der verpassten Chancen und impulsiven Entscheidungen als Tragödie falsch gefasster Entschlüsse eines Außenseiters ins Licht rückt. Tschaikowsky zieht daraus seine eigene Folgerung. Man gewinnt den Eindruck, als ob er mit seiner übereilten Heirat eine Antwort finden will auf das unglückliche Agieren der Figuren in Puschkins Roman. Onegins und Tatjanas Unfähigkeit eines erfüllten Zusammenkommens scheint ihn in die Flucht einer bürgerlich sanktionierten Entscheidung zu drängen. Dass er sich auf diese Weise erst recht in die Fänge des Schicksals begibt, könnte geradezu Puschkins epischer Feder entflossen sein. »Die vierte Symphonie ist meinem Wesen entsprungen und mit echter Inspiration vom Beginn bis zum Ende geschrieben. Mit Liebe und glühender Begeisterung. Es ist darin kein Strich, der nicht

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meinen aufrichtigsten Gefühlen entstammt«, schreibt er an Nadeshda von Meck, der das Werk mit den Worten »Meinem besten Freund« widmet ist. Die Uraufführung am 10. Februar 1878 in Moskau unter Nikolai Rubinsteins Leitung verfolgt Tschaikowsky aus der Ferne. Wenige Tage später verfasst er in Florenz einen Brief an seine Freundin: »Gestern früh erhielt ich Ihr Telegramm und war sehr glücklich darüber. Ich war sehr besorgt, einmal, ob Ihr Gesundheitszustand Sie nicht daran hindern würde, dieses Nadeshda von Meck Konzert zu besuchen, und zum anderen, ob Ihnen die Symphonie gefallen würde oder nicht. Es hätte sehr leicht möglich sein können, dass Sie, auch wenn sie Ihnen nicht besonders gefallen hätte, mir aus Herzensgüte und freundschaftlicher Anteilnahme doch irgendeinen Glückwunsch geschickt hätten; aus dem Ton des Telegramms und aus der Art seiner Abfassung wurde mir aber klar, dass Sie mit dem Werk, das für Sie geschrieben wurde, zufrieden sind. Ich bin in tiefster Seele noch immer davon überzeugt, dass es das Beste ist, was ich geschrieben habe … In Gedanken war ich im Konzert, hatte bis auf die Minuten berechnet, wann die Einleitung erklingen musste, und verfolgte dann jeden Ton, bemüht, mir den Eindruck vorzustellen, den meine Musik hervorrief.« Die Reaktion seiner Briefpartnerin fällt alles andere als überschwänglich aus, kann ihn allerdings zufrieden stellen: »Die Symphonie ist vom Publikum sehr gut aufgenommen worden, vor allem das Scherzo. Der Beifall war stark, und nach Beendigung des Konzertes verlangten die Zuhörer nach Ihnen. Es war wohl Rubinstein, der erschien, doch habe ich ihn nicht gesehen, da ich bereits fortging.« Das Werk fährt einen Achtungserfolg ein, mehr nicht. Dementsprechend knapp fällt das Echo in den Moskauer Nachrichten aus: »Auch dieses Mal hat Tschaikowsky sich seines Rufes als Symphoniker durchaus würdig erwiesen.« Seine Vierte, die viel von ihm preisgibt, lässt etwas von dem Hiatus erahnen, dem Tschaikowsky sich immer mehr in seinem Leben ausgesetzt sieht. Dass sie vom Uraufführungspublikum nicht verstanden wird, spricht nicht gegen sie – und auch nicht, dass sie im Repertoire schnell einen festen Platz fand. 

ANDRÉ PODSCHUN

3. SYMPHONIEKONZERT

3. Symphoniekonzert 2015 | 2016 Orchesterbesetzung

1. Violinen Kai Vogler / 1. Konzertmeister Michael Eckoldt Thomas Meining Federico Kasik Michael Frenzel Christian Uhlig Volker Dietzsch Brigitte Gabsch Barbara Meining Birgit Jahn Wieland Heinze Anett Baumann Roland Knauth Anselm Telle Yoriko Muto Ga-Young Son

2. Violinen Heinz-Dieter Richter / Konzertmeister Annette Thiem Stephan Drechsel Jens Metzner Olaf-Torsten Spies Alexander Ernst Beate Prasse Mechthild von Ryssel Elisabeta Schürer Kay Mitzscherling Martin Fraustadt Yewon Kim Hannah Burchardt** Ewa Helmers*

Bratschen Gerd Grötzschel* / Solo Stephan Pätzold Anya Dambeck Michael Horwath Uwe Jahn Zsuzsanna Schmidt-Antal Juliane Böcking Uta Scholl Björn Sperling Tilman Baubkus* Kerstin Beavers* Raimund Eckertz*

Violoncelli Gregorio Robino / Konzertmeister Simon Kalbhenn / Solo Tom Höhnerbach Andreas Priebst Bernward Gruner Johann-Christoph Schulze Jörg Hassenrück Matthias Wilde Titus Maack Stefano Cucuzzella**

Kontrabässe Andreas Wylezol / Solo Razvan Popescu Helmut Branny Christoph Bechstein Fred Weiche Reimond Püschel Thomas Grosche Pawel Jabłczyński

Flöten Andreas Kißling / Solo Cordula Bräuer Jens-Jörg Becker

Oboen Céline Moinet / Solo Sibylle Schreiber

Klarinetten Wolfram Große / Solo Jan Seifert Martin Möhler*

Fagotte Philipp Zeller / Solo Erik Reike Andreas Börtitz

Hörner Erich Markwart / Solo Andreas Langosch Harald Heim Manfred Riedl Miklós Takács Miho Hibino

Trompeten Mathias Schmutzler / Solo Gerd Graner

Posaunen Wolfram Arndt* / Solo Guido Ulfig Lars Zobel

Tuba Hans-Werner Liemen / Solo

Pauken Manuel Westermann / Solo

Schlagzeug Christian Langer Simon Etzold Jürgen May Stefan Seidl Yuka Maruyama** Oliver Mills* Alexej Bröse* Johann-Georg Baumgärtl*

Harfe Markus Thalheimer**

Harmonium/Cembalo Johannes Wulff-Woesten

Celesta Ellen Rissinger

Pianino Thomas Cadenbach

Gitarre

Uwe Fink

Zymbal

Olga Mishula

* als Gast ** als Akademist / in

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Vorschau

international

Freunde

Wunderharfe unterstützen

patron

engagement begeistern

network

verbinden

gewinnen Staatskapelle

tradition

Dresden junge Menschen fördern

friends Netzwerk

Gesellschaft

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hautnah

2. Kammerabend als Matinee S O N N TAG 1.11.15 11 U H R S E M P ER O P ER D R E S D E N

Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden Jörg Faßmann Violine Sebastian Herberg Viola Michael Pfaender Violoncello Alfred Schnittke Trio für Violine, Viola und Violoncello (1985) WV 1671 Wolfgang Amadeus Mozart Divertimento Es-Dur für Violine, Viola und Violoncello KV 563

4. Symphoniekonzert S O N N TAG 2 9.11.15 11 U H R M O N TAG 3 0 .11.15 2 0 U H R D I E N S TAG 1.12 .15 2 0 U H R S E M P ER O P ER D R E S D E N

Donald Runnicles Dirigent Karen Cargill Mezzosopran

GESELLSCHAFT DER FREUNDE DER S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N E . V. KÖNIGSTRASSE 1 01097 DRESDEN | GERMANY I N F O @ G F S K D D . D E | W W W. G F S K D D . D E

Sergej Rachmaninow »Die Toteninsel« op. 29 Edward Elgar »Sea Pictures« für Mezzosopran und Orchester op. 37 Jean Sibelius Symphonie Nr. 1 e-Moll op. 39 Aufzeichnung durch MDR Figaro

Wir freuen uns auf Sie! Come and join us!

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IMPRESSUM

Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2015 | 2016 H E R AU S G E B E R

Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © Oktober 2015 R E DA K T I O N

André Podschun G E S TA LT U N G U N D L AYO U T

schech.net Strategie. Kommunikation. Design. DRUCK

Union Druckerei Dresden GmbH ANZEIGENVERTRIEB

Juliane Stansch Persönliche Referentin von Christian Thielemann Jan Nast Orchesterdirektor Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung André Podschun Programmheftredaktion, Konzerteinführungen Matthias Claudi PR und Marketing Agnes Monreal Assistentin des Orchesterdirektors

EVENT MODULE DRESDEN GmbH Telefon: 0351 / 25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de

Elisabeth Roeder von Diersburg Orchesterdisponentin

B I L D N AC H W E I S E

Agnes Thiel Dieter Rettig Notenbibliothek

Matthias Creutziger (S 3); Chris Lee (S. 7); Harald Hoffmann/haenssler CLASSIC (S. 8); Universal Music Publishing Editio Musica Budapest/Judi Kurtág (S. 12, 17); Editio Musica Budapest (S. 14); SLUB Dresden (S. 20); Krzysztof Meyer, Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Bergisch Gladbach 1995 (S. 22); E. Bieber, Hamburg (S. 29); David Brown, Peter I. Tschaikowsky. Im Spiegel seiner Zeit, aus dem Englischen von Tobias Döring, Zürich und Mainz 1996 (S. 30, 31, 33) T E X T N AC H W E I S E

Die Einführungstexte von André Podschun sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Der Text von Peter Bitterli stammt aus »Und immer wieder Abschiede. György Kurtágs Botschaften«, in: Beckmesser. Die Seite für Neue Musik und Musikkritik (2001). Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E

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Christian Thielemann Chefdirigent

Matthias Gries Orchesterinspizient

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