Programmheft als PDF - Staatskapelle Dresden

January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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SAISON 2015 2016 27. / 29.2. / 1.3.16 7. SYMPHONIEKONZERT

Andris

NELSONS Håkan

HARDENBERGER

Ein Stück Dresden. Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen

SAISON 2015 2016 27. / 29.2. / 1.3.16 7. SYMPHONIEKONZERT

Andris

NELSONS Håkan

HARDENBERGER

Besucherservice +49 351 420 44 11 [email protected] glaesernemanufaktur.de

7. SYMPHONIEKONZERT S A M STAG 27. 2.16 11 U H R

M O N TAG 2 9. 2.16 20 UHR

D IEN STAG 1. 3.16 20 UHR

PROGRAMM S E M P ER O P ER DRESDEN

Andris Nelsons

Benjamin Britten (1913-1976)

Dirigent

Passacaglia op. 33 b aus der Oper »Peter Grimes«

Håkan Hardenberger Trompete

Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) Konzert für Trompete in C und Orchester »Nobody knows de trouble I see« PAU S E

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) Symphonie Nr. 8 c-Moll op. 65 1. Adagio 2. Allegretto 3. Allegro non troppo 4. Largo 5. Allegretto

Weltsichten Mitten hinein in die Tragik des Fischers Peter Grimes führt die Passacaglia, mit der Britten das Drama unerbittlich auf die Katastrophe zusteuern lässt und die Einsamkeit des Protagonisten in Töne fasst. Auch Zimmermann hält mit seinem Trompetenkonzert, das sich dem Spiritual und Jazz öffnet, der Gesellschaft den Spiegel vor. Weitaus verschlüsselter musste sich Schostakowitsch in seinen Werken äußern, doch ist die kritische Botschaft seiner Achten nicht zu überhören. Aufzeichnung durch MDR Figaro Sendetermin: 1. März 2016, ab 20.05 Uhr live bei MDR Figaro

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7. SYMPHONIEKONZERT

Andris Nelsons Dirigent

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ndris Nelsons ist Music Director des Boston Symphony Orchestra (BSO) und neu ernannter Gewandhauskapellmeister des Gewandhausorchesters Leipzig ab der Saison 2017 / 18. Als Kind einer Musikerfamilie in Riga geboren, begann er seine Karriere als Trompeter im Orchester der Lettischen Nationaloper, bevor er ein Dirigierstudium aufnahm. Sein Debüt beim BSO gab Nelsons mit Mahlers neunter Symphonie im März 2011 in der Carnegie Hall. Seit Beginn der Saison 2014 / 2015 ist er Music Director des BSO und verlängerte hier seinen Vertrag bereits nach einem Jahr bis zur Saison 2021 / 2022. Im Sommer 2015 unternahmen das BSO und Nelsons ihre erste gemeinsame europäische Sommerfestivaltournee mit Auftritten in London, Salzburg, Grafenegg, Luzern, Mailand, Paris, Köln und Berlin. Beim Gewandhausorchester debütierte er im Dezember 2011 mit Werken von Strauss, Beethoven und Sibelius. Am 5. Mai 2016 kehrt Nelsons während einer Tournee mit dem Boston Symphony zum Gewandhaus zurück und dirigiert Konzerte mit dem Gewandhausorchester am 25., 26. und 27. Mai 2016 sowie am 2. und 3. Juni 2016. Außerdem führt er seine Zusammenarbeit mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem Concertgebouworkest und dem Philharmonia Orchestra fort und ist regelmäßig Gast am Royal Opera House, an der Wiener Staatsoper und der Metropolitan Opera. Im Sommer 2016 übernimmt er bei den Bayreuther Festspielen die musikalische Leitung von »Parsifal« in der Neuinszenierung von Uwe Eric Laufenberg. Andris Nelsons und das BSO haben Live-Aufnahmen mit Werken von Schostakowitsch vorgelegt. Ihre im Sommer 2015 erschienene CD enthält die Passacaglia aus »Lady Macbeth von Mzensk« sowie die zehnte Symphonie. Im Frühjahr 2015 erhielt er den Royal Philharmonic Society Music Award für seine fundierten Interpretationen eines breiten Repertoires, sein Engagement für neue Werke und seine inspirierende Arbeit mit den City of Birmingham Symphony Orchestra, dem er von 2008 bis 2015 als Music Director vorstand. Sein Debüt am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden gab er im Rahmen eines Symphoniekonzertes in der Spielzeit 2012 / 2013. Andris Nelsons ist Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon.

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7. SYMPHONIEKONZERT

Håkan Hardenberger Trompete

H

åkan Hardenberger, einer der führenden Trompeter unserer Zeit, ist neben seinen herausragenden Wiedergaben des klassischen Repertoires zudem einer der bekanntesten Botschafter für Neue Musik. In Malmö geboren, begann er im Alter von acht Jahren mit dem Trompetenspiel, zunächst unterrichtet von Bo Nilsson. Später studierte er an der Pariser Musikhochschule bei Pierre Thibaud sowie in Los Angeles bei Thomas Stevens. Etliche der für Hardenberger geschriebenen Werke haben den Weg ins Repertoire für Trompete gefunden. Kompositionen von Harrison Birtwistle, Hans Werner Henze, Rolf Martinsson, Olga Neuwirth, Arvo Pärt, Mark-Anthony Turnage und Rolf Wallin gehören ebenso dazu wie HK Grubers Konzert »Aerial«, dessen 70. Aufführung Hardenberger im April 2015 mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Andris Nelsons gespielt hat. Im Sommer 2015 kehrte er mit Brett Deans Trompetenkonzert »Dramatis Personae« zum Tangle­ wood Music Festival zurück, gefolgt von einer Europatournee mit dem Boston Symphony und Andris Nelsons bei den BBC Proms, dem Lucerne Festival und in der Philharmonie Köln. Zudem konzertiert er u. a. mit den New York Philharmonic, den Wiener Philharmonikern, dem Swedish Radio Symphony, dem London Symphony, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sowie dem NHK Symphony Orchestra. Er arbeitet mit Alan Gilbert, Daniel Harding, Paavo Järvi, Vladimir Jurowski, Ingo Metz­macher und David Zinman. Erst kürzlich wurde er zum Künstlerischen Leiter des neuen Malmö Kammermusikfestivals ernannt, das im September 2016 erstmalig stattfindet. Internationale Erfolge feiert er mit seinen Duopartnern Colin Currie, Schlagzeug, und Roland Pöntinen, Klavier. Hardenbergers umfangreiche Diskographie wurde vor kurzem mit einer Aufnahme von Rolf Wallins »Fisher King« mit dem Bergen Philharmonic unter John Storgårds erweitert. Bestehende Aufnahmen umfassen u. a. eine Einspielung seiner Lieblings-Filmmusiken mit der Academy of St. Martin in the Fields sowie eine Aufnahme von HK Grubers zweitem Trompetenkonzert »Busking« mit dem Schwedischen Kammerorchester. Håkan Hardenberger unterrichtet an der Musikhochschule in Malmö.

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7. SYMPHONIEKONZERT

SPIEGELBILD DER SEELE

Benjamin Britten * 22. November 1913 in Lowestoft (Suffolk) † 4. Dezember 1976 in Aldeburgh (Suffolk)

Die Passacaglia aus Benjamin Brittens »Peter Grimes«

Passacaglia op. 33 b aus »Peter Grimes«

B ENTSTEHUNG

BESETZUNG

zwischen Januar 1944 und Februar 1945

2 Flöten (2. mit Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Harfe, Celesta, Streicher

U R AU F F Ü H R U N G

7. Juni 1945 an der Sadler’s Wells Opera London (Dirigent: Reginald Goodall)

DAU ER

ca. 7 Minuten

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enjamin Britten hatte in seiner englischen Heimat schon mit Werken wie der Simple Symphony op. 4 oder den »Variations on a Theme of Frank Bridge« op. 10 auf sich aufmerksam gemacht, als er im Sommer 1939 gemeinsam mit seinem Lebensgefährten, dem Tenor Peter Pears, nach Amerika aufbrach. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stand unmittelbar bevor, in der »Neuen Welt« erhofften sich beide bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Fast drei Jahre blieben Britten und Pears in den USA, hier entstanden Werke wie die »Sinfonia da Requiem« oder die »Michelangelo-Sonette«. Und doch spürte Britten schon bald eine große Sehnsucht nach seiner Heimat – die noch verstärkt wurde, als er im Sommer 1941 in Kalifornien auf eine Versdichtung des englischen Dichters George Crabbe (1754-1832) stieß, die in Brittens Heimat Suffolk spielte. Sofort war der Komponist Feuer und Flamme. Mit der Geschichte um den tragischen Fischer Peter Grimes hatte er das Sujet für seine erste Oper gefunden! Über den Dirigenten Serge Koussevitzky und dessen Musikstiftung erhielt er einen Kompositionsauftrag, ausgearbeitet hat er das Werk in den Jahren 1944 / 1945, nach seiner Rückkehr nach England. Am 7. Juni 1945 ging »Peter Grimes« in der Londoner Sadler’s Wells Opera mit sensationellem Erfolg über die Bühne, Pears sang die Titelrolle. Schon bald galt das Werk als »die« englische Nationaloper des zwanzigsten Jahrhunderts. Noch vor der Opernuraufführung stellte Britten vier der insgesamt sechs orchestralen Vor- und Zwischenspiele zu einer Suite zusammen, um sie unter dem Titel »Four Sea Interludes« (»Vier

7. SYMPHONIEKONZERT

See-Zwischenspiele«) op. 33a auch für den Konzertsaal zugängig zu machen. Die Zwischenspiele boten sich für diese Art der Bearbeitung an, da sie bereits in der Oper – ganz ähnlich wie die Zwischenmusiken in Debussys »Pelléas et Mélisande« oder Schostakowitschs »Lady Macbeth von Mzensk« (ein Werk, das Britten sehr schätzte) – die Funktion kleiner Tondichtungen übernehmen, in denen die Handlung, das Innen- und Außenleben der Personen, gespiegelt wird. Nicht als Bestandteil der »Four Sea Interludes«, sondern als Einzelstück gab Britten auch die Passacaglia op. 33b für den Konzertsaal frei, die mit rund sieben Minuten das längste und in seiner Struktur komplexeste Zwischenspiel der Oper darstellt. Auch wenn man die Handlung – die tragische Geschichte eines unverstandenen Außenseiters, der von der Gesellschaft letztlich zum Selbstmord getrieben wird – nicht im Detail kennt, kann man die Musik der Passacaglia durchaus nachvollziehen. In der Oper verbindet sie das erste und zweite Bild des zweiten Aktes und ist dramaturgisch von zentraler Bedeutung: In Vorausahnung der Handlung – Grimes flieht mit seinem Lehrjungen vor den Ortsbewohnern, der Junge stürzt von den Klippen und stirbt – konzipierte Britten das Zwischenspiel als einen Trauermarsch, mit dem auch Grimes’ Schicksal besiegelt wird. Das Passacaglia-Thema erklingt zu Beginn pizzicato in den Bässen, die erste Variation gehört der Solobratsche (der verstummte Junge?), und in der apokalyptisch gesteigerten Musik klingt noch Grimes’ kurz zuvor geäußerter Verzweiflungsruf nach: »May God have mercy upon me!« (»Möge Gott sich meiner erbarmen!«). Nach dem großen Erfolg seines Opernerstlings verfolgte Britten den eingeschlagenen Weg konsequent weiter; fortan komponierte er in erster Linie Opern und Vokalmusik – meistens mit einer zentralen Partie für Pears – und festigte mit Werken wie »The Rape of Lucretia«, »The Turn of the Screw« oder »Death in Venice«, seinem letzten Bühnenwerk, seinen Ruf als einer der bedeutendsten Opernkomponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. Die mit »Peter Grimes« einsetzende künstlerische Umorientierung ging übrigens mit einer geographischen einher: Ab 1947 ließen sich Britten und Pears in Aldeburgh nieder, jenem Ort in der Grafschaft Suffolk, der so großen Anteil am Erfolg der Oper hatte und wo Britten zum Mittelpunkt des 1948 von ihm gegründeten Aldeburgh Festivals wurde.  TOBIAS NIEDERSCHL AG

Benjamin Britten um 1939

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Am 13. April 1951 stellte die Staatskapelle die Passacaglia aus Brittens »Peter Grimes« erstmals in Dresden vor (Großes Haus der Staatstheater, Dirigent: Herbert Sandberg).

7. SYMPHONIEKONZERT

Bernd Alois Zimmermann * 20. März 1918 in Bliesheim (Eifel) † 10. August 1970 in Königsdorf bei Köln

ÄSTHETIK DES CROSSOVER Zimmermanns Konzert für Trompete und Orchester

Konzert für Trompete in C und Orchester »Nobody knows de trouble I see«

»N ENTSTEHUNG

BESETZUNG

zwischen 1951 und 1954

Solotrompete, Flöte (mit Piccolo), Oboe (mit Englischhorn), Klarinette (Jazzklarinette in B), 3 Altsaxophone in Es, Tenorsaxophon, Bariton­ saxophon in Es, Fagott, Horn, 3 Trompeten (Jazztrompeten), Posaune (Jazzposaune), Tuba, Pauken, Schlagzeug, Gitarre, Harfe, Klavier, Hammondorgel und Streicher

WIDMUNG

Ernest Frice U R AU F F Ü H R U N G

am 11. Oktober 1955 mit Adolf Scherbaum als Solisten und dem Sinfonieorchester des NWDR unter Ernest Bour in Hamburg in der Reihe das neue werk

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ca. 15 Minuten

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iemand kennt das Leid, das ich sah« – ein Seufzer voller Verhärtung, Verzweiflung und verletzter Würde, der einen Hinweis darauf liefert, wo Leid am tiefsten sitzt: im Verborgenen, unbemerkt. Versteckt wuchert es und strahlt aus wie ein Geschwür, das sich nicht entfernen lässt. Ein Wundmal, still blutend, verdammt zur Offenheit, über die Zeiten hinaus. Die Zeile tönt erstmals in Amerika um 1870. Sie steht als Überschrift eines Spirituals, das sich in der afro-amerikanischen Musik schnell zur »ergreifend­ sten Klage über die Leiden der Sklaverei« entwickelt (Monika Plessner). Ein Aufschrei der Ohnmacht, hervorgepresst aus den Seelen der Entwurzelten, die nichts mehr bei sich tragen als die Hoffnung auf ein späteres befreites Leben. In seinem Konzert für Trompete und Orchester greift Bernd Alois Zimmermann auf den Gospelsong »Nobody Knows the Trouble I’ve seen« zurück, wobei der Komponist seine Formulierung in »Trouble I See« ändert und damit den Fokus von der Vergangenheit auf die Gegenwart lenkt. Das Empfinden von Zeit und den in ihr ablaufenden Geschehnissen unterliegt einer Wölbung. Was sich einst ereignet hat, ragt hinein ins Heute. Gleichzeitig meint man, so etwas wie eine seherische Beschwörung zu vernehmen. Zimmermann macht die Zeiten zu Verbündeten. Er überlappt, breitet aus und nähert sich dem Satz des Augustinus aus dem elften Buch der »Confessiones«: »Ich sehe also, daß die Zeit eine gewisse Ausdehnung ist.« Wenn aber Augustinus im Laufe seiner Ausführungen dahin kommt, zu sagen, dass Zeit deshalb Zeit ist, »weil sie zum Nichtsein hinstrebt«, prägt Zimmermann zunächst die Formel von der »Kugelgestalt der Zeit«, nach der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in gleicher Weise verfügbar sind und sich jeder Punkt gleich nahe der Mitte befindet. Alles, was geschehen ist oder geschehen wird, besteht nebeneinander. »Späteres wird voraus- und Früheres hintangesetzt«,

7. SYMPHONIEKONZERT

Bernd Alois Zimmermann, um 1954

wie es der Komponist im Umfeld seiner Oper »Die Soldaten« formuliert. Bezogen auf die zeitliche Verbindung von Tönen schreibt er 1957: »So erleben wir Klang als ›Nacheinander‹ der Töne im Zeitabstand Null, Tonfolge als ›Gleichzeitiges‹, in der Zeit verschoben: Vertauschbarkeit der musikalischen Dimensionen, Identität des scheinbar Verschiedenen. Von dieser Seite gesehen, erhält der Gedanke der Einheit der Zeit als Einheit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – so wie sie Augustinus im Wesen der menschlichen Seele begründet hat, die in einem geistigen Sichausdehnen den flüchtigen Augenblick übergreift und Vergangenheit und Zukunft in eine ständige Gegenwart hineinbezieht –, dieser so moderne und zugleich uralte Gedanke, eine neue Perspektive in der Musik als ›Zeitkunst‹.« Aus der »Identität des scheinbar Verschiedenen« klingt der Versuch einer lebenspraktischen Anstrengung an. 1946 schreibt Zimmermann mit Blick auf das letzte Kriegsjahr: »O Deutschland, was ist aus Dir geworden? Wie ist Dein Volk zuschanden geworden, an sich selbst zunichte gegangen, wie wütet selbst Dein Volk gegen das eigene Blut … Ist es nicht Angst und Not, Unsicherheit und

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Schrecken, die am Horizonte unserer Zukunft stehen wie dunkle Wetter und Wolken vor der untergehenden Sonne?« Die Zerrüttung der Gegenwart führt vor Augen, wie alles miteinander zusammenhängt und ein Neuanfang, gemeint ist ein weitreichendes Tilgen der Vergangenheit, nicht möglich ist. Sichtbar wird ein Über-, Mit- und Durcheinander von (Vor-)Gestern und Morgen, aus dem sich Ansätze einer pluralistischen Ästhetik herausbilden. So paradox es klingt, damit ist der hochgradig sensible Zeitdiagnostiker Zimmermann seiner Zeit voraus. Rückschauend konstatiert der Musikhistoriker Carl Dahlhaus: »Zimmermann war Überlebender einer Generation, die dem Krieg zum Opfer gefallen war … Das Generationsproblem war jedoch lediglich die Außenseite einer anders begründeten Verstörung: die Verstörung, die ein katholischer Universalist, der kein naiv Gläubiger mehr war, angesichts eines Zeitgeistes empfinden mußte, der dem Bedürfnis nach Rückhalt an sich entgegenkam, den Rückhalt aber gerade einem Pluralisten, wie es Zimmermann war, verweigerte.« In dem Maße, wie die Nachkriegsjahre kaum Schutz bieten, sich also verengen, weitet sich die als verbraucht empfundene Gegenwart für eine neu sich ausrichtende Identitätsfindung. Und das nicht nur hinsichtlich einer integralen Auffassung von Zeit, sondern auch in einem Denken in ideengeschichtlichen Zusammenhängen. Im März 1946 schreibt Zimmermann unter emphatischem Hochdruck in sein Tagebuch: »Genaues Studium der philosophischen Voraussetzungen der Kunst!!!« Nicht weniger hochgestimmt heißt es einige Zeilen später: »Der Dichter, Musiker oder Künstler ist der wahre Philosoph.« Zu einem seiner geistigen Väter zählt er den amerikanischen Dichter Ezra Pound, der den Gedanken der ständigen Gegenwart folgendermaßen fasst: »Morgen bricht über Jerusalem an, indes Mitternacht noch die Säulen des Herkules verhüllt. Alle Zeitalter sind gegenwärtig … die Zukunft regt sich im Geiste der Wenigen … das trifft vor allem auf die Literatur zu, wo die wirkliche Zeit unabhängig ist von der scheinbaren und viele Tote Zeitgenossen unserer Enkel sind.«

Seelische Tiefenschichten Das Aufspüren von Querlinien ist Zimmermanns Trompetenkonzert in besonderer Weise eingeschrieben. 1954 erteilt der NWDR einen Auftrag für die Komposition eines Klavierkonzerts. Zimmermann weist jedoch auf eine ausreichende Zahl von bestehenden Klavierkonzerten hin. Er gibt zu bedenken, dass die Chancen für Wiederaufführungen bei einem Werk für die solistisch eher vernachlässigte Trompete höher liegen. Dahinter steckt Kalkül: Zimmermann hat sein Trompetenkonzert bereits 1951 skizziert und anschließend einen Auftraggeber gesucht. Der SWF

7. SYMPHONIEKONZERT

springt mit Heinrich Strobel und Hans Rosbaud ab, da ihm ein Oboenkonzert für den Ersten Solooboisten Schneider geeigneter erscheint. Schließlich nimmt der NWDR das ungewöhnliche Werk an und bringt es am 11. Oktober 1955 mit Adolf Scherbaum als Solisten und dem Sinfonieorchester des NWDR unter Ernest Bour in Hamburg zur Aufführung. Ein Jahr später äußert sich Zimmermann in einem Brief an den Komponisten Karl Amadeus Hartmann – Gründer der Münchner Musica-vivaKonzerte – über das Stück: »Das Werk trägt den Titel ›Darkey’s Darkness‹. Ihm zugrunde liegt das bekannte Negro-Spiritual ›Nobody knows de trouble I see‹. Dieses Spiritual ist gleichsam der geometrische Ort des gesamten Werks. Das Konzert ist einsätzig und in seiner ineinandergreifenden Form knüpft es … an die Techniken des Choralvorspiels an, wobei an Stelle des Chorals das Negrospiritual tritt. Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass der Jazz in dem Moment das Stigma der Echtheit verliert, wo das Prinzip der Improvisation verlassen wird. Indessen ist in der Entwicklung des Jazz selbst ein Weg beschritten worden, der das fixierte Notenbild an die Stelle der Improvisation setzt. An diesem Punkte der Entwicklung setzt nun der Versuch der Verbindung des Jazz mit der sogenannten ›Kunstmusik‹ ein. Es ist das Bezeichnende an diesem Versuch, dass er von beiden Seiten her unternommen wird, sowohl vom Jazz als auch von der ›Kunstmusik‹ her. Es mag dahingestellt sein, ob der schon so oft zitierte Widerspruch zwischen beiden Richtungen überbrückbar ist. Das verbindende Moment trotz trennender stilistischer Richtungen liegt nach meinem Dafürhalten in der gemeinsamen Wurzel eines Ausdrucksbemühens, welches in seelische Tiefenschichten hinabreicht, wie sie in dem Negrospiritual jenseits allen ›Commercial-Jazz‹ berührt werden: Angst und Hoffnung, Trauer und Freude eines menschlichen Herzens, welches sich aus dem ausweglosen Rätsel des menschlichen Daseins voll kindlichen Vertrauens in die geöffneten Arme des göttlichen Erlösers wirft.« Es ist kein Zufall, dass das Stück zum Zeitpunkt des Briefes noch »Darkey’s Darkness« heißt. Für das Wortspiel mag Zimmermann eine gewisse Sympathie hegen. Allerdings ändert er den Titel durch die erste Zeile des Spirituals, da »Darkey« für »Neger, Schwarzer« in rassistischem Tonfall abfällig verwendet wird. Zimmermanns Trompetenkonzert nimmt Bezug auf eine Zeit, in der die amerikanische Gesellschaft tief gespalten ist. In weiten Teilen des Landes herrscht ein traditionalistisches, homophobes Klima. Zudem befinden sich die USA um 1955 in der Hochphase der sogenannten McCarthy-Ära, geschürt von einer »Second Red Scare«, einer »zweiten roten Angst«, in der echte oder vermeintliche Kommunisten rigoros verfolgt werden. Arthur Miller spricht 1953 von einer Hexenjagd, die als Titel Eingang findet in eines seiner Theaterstücke. Dabei geht es nicht nur

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um den Umgang mit Minderheiten. Nach wie vor gelten strenge, diskriminierende Rassengesetze. Eine systematische Ausgrenzung der farbigen Bevölkerung, deren zahlenmäßiger Anteil innerhalb der amerikanischen Gesellschaft beträchtlich ist, steht weiterhin auf der Tagesordnung. Die Auseinandersetzung zwischen Bürgerrechtlern wie Malcolm X oder Martin Luther King und weißer Polizeigewalt spitzt sich zu. Und Zimmermann ergreift Partei: Statt »the« sympathisiert er im Titel »Nobody knows de trouble I see« mit der »schwarzen« Schreibweise »de«.

Die Vision einer Versöhnung Neben Elementen des Jazz und des pentatonischen Spirituals kommt ein weiteres stilistisches Mittel hinzu: Dem Werk liegt eine 12-tönige Reihe zugrunde, deren auffällige c-Moll-Färbung das Setzen tonaler Schwerpunkte und eine freie Dissonanzbehandlung der Jazzpartien ermöglicht. Zimmermann lagert das Spiritual in das Umfeld der 12-Tonreihe und legt es als Cantus firmus an. Durchscheinend tritt es in Abschnitten auf, bevor es später in der Solotrompete, eingebettet in Terzeinwürfe der Hammondorgel, vollständig erklingt. Der Komponist arbeitet an einer schlüssigen Synthese. In der Ästhetik des »Crossover« sucht er den Anschluss an die Tradition unter Einbeziehung der Einflüsse von Strawinsky, Bartók, Fortner oder Hartmann. Doch geht es ihm nicht nur um rein musikalische Verlinkungen. Zimmermann arbeitet in seinem Trompetenkonzert an einer betont aktuellen, gesellschaftskritischen Stellungnahme. Das Werk »will in der Verschmelzung von drei stilistisch scheinbar so heterogenen Gestaltungsprinzipien gleichsam einen Weg der brüderlichen Verbindung zeigen«, wie Zimmermann 1954 betont. Die Vision einer organischen Verbrüderung ungleicher Welt- und Lebensbilder – ausgehend von unvereinbaren Stilen – entwirft die Umrisse einer pluralistischen Gesellschaft. Die Erfahrungen in Europa angesichts des Zweiten Weltkriegs und seinen Folgen sowie in Amerika bezüglich eines drohenden gesellschaftlichen Auseinanderdriftens lassen die Vision einer Versöhnung nur noch dringlicher erscheinen. Dabei ist eine Vereinbarkeit des Unvereinbaren nur unter größter Mühe zu erreichen. Zimmermann mag das gespürt haben, auch ganz aufführungspraktisch, spätestens im Ringen um den Solisten der Uraufführung. Es stellt sich nämlich heraus, dass seine Forderung, der Solist solle im Jazz ebenso erfahren sein wie in der klassischen Musik, nicht einfach zu erfüllen ist – was sich im Grunde bis heute kaum geändert hat. Noch immer ist der schwedische Trompeter Håkan Hardenberger einer der wenigen, die eine Einspielung des Werks vorgelegt haben. 

ANDRÉ PODSCHUN

7. SYMPHONIEKONZERT

Dmitri Schostakowitsch * 12. (25.) September 1906 in St. Petersburg † 9. August 1975 in Moskau

EIN REQUIEM FÜR DAS VOLK Dmitri Schostakowitschs achte Symphonie

Symphonie Nr. 8 c-Moll op. 65 1. Adagio 2. Allegretto 3. Allegro non troppo 4. Largo 5. Allegretto

ENTSTEHUNG

BESETZUNG

2. Juli bis 9. September 1943 in Moskau und Iwanowo

4 Flöten (3. und. 4. mit Piccolo), 2 Oboen, Englischhorn, 3 Klarinetten (inkl. Es-Klarinette), Bassklarinette, 3 Fagotte (3. mit Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug und Streicher

WIDMUNG

dem Dirigenten Jewgenij Mrawinsky U R AU F F Ü H R U N G

4. November 1943 im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums (Staatliches Symphonieorchester der UdSSR, Leitung: Jewgenij Mrawinsky)

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ca. 65 Minuten

chostakowitsch komponierte seine Achte während des Zweiten Weltkriegs, im Sommer 1943, in etwas mehr als zwei Monaten. Die Erwartungen vor der Uraufführung waren groß: Schostakowitsch hatte mit seiner optimistischen siebten Symphonie während der Leningrader Blockade 1942 ein Zeichen gesetzt, war mit der »Leningrader« zum berühmtesten Komponisten des Landes aufgestiegen. Mittlerweile hatte sich der Kriegsverlauf (mit dem Kampf um Stalingrad) erheblich zugunsten der Sowjetunion gewandelt. Die achte Symphonie konnte eigentlich nur noch optimistischer, noch heroischer sein. Immerhin hatte Schostakowitsch das Werk im Oktober 1943 folgendermaßen angekündigt: »Dieses freudige Werk spiegelt meine Gedanken und Gefühle nach den freudigen Meldungen über die ersten Siege der Roten Armee wider. Ich versuchte darin die nahe Zukunft der Nachkriegsepoche wiederzugeben. Die philosophische Konzeption dieser Symphonie ist in wenigen Worten ausgedrückt: Alles, was dunkel und schändlich ist, wird zugrunde gehen; alles was schön ist, wird triumphieren.« Die Uraufführung am 4. November 1943 unter Jewgenij Mrawinsky in Moskau war kein Erfolg. Vielmehr irritierte der wenig optimistische Charakter des Werkes. Die Machthaber bemühten sich um eine »Ehrenrettung«, deuteten das Werk als Darstellung des deutschen Angriffs auf Stalingrad und gaben ihm den absurden Beinamen »Stalingrader« (in Analogie zur »Leningrader«). Doch waren die Widersprüche damit nicht beseitigt. Nach dem Krieg wurde die Symphonie mit einer Zensur belegt, sie verschwand aus den sowjetischen Konzertsälen. Was hatte den Machthabern derart missfallen?

Zwischen Trauer und Marsch Die Ausprägung des fünfsätzigen Werkes war in der Tat überraschend: Zu Beginn ein knapp halbstündiges Adagio mit unüberhörbarem Trauercharakter, anschließend zwei aggressive Märsche, deren zweiter

7. SYMPHONIEKONZERT

nahtlos in einen klagenden langsamen Satz übergeht. Und das – wieder ohne Pause – folgende Finale scheint zunächst heiter, steigert sich aber zu heftigen Ausbrüchen und verklingt schließlich im Nichts. War dies etwa der von Schostakowitsch beschworene »Triumph« des Schönen und Guten? Der Kopfsatz, ein Adagio in Sonatenform, wird durch ein strenges, punktiertes Motiv in den tiefen Streichern eröffnet. Der hier vorgestellte Tonwechsel c-b-c kann als Motto des ganzen Werkes gelten. Wenig später stimmen die ersten Violinen ein zögerndes Hauptthema an, das von den Holzbläsern aufgegriffen wird. Auch ein zweites Thema erklingt zunächst in den ersten Violinen: eine »espressive« Melodie im  -Takt, begleitet von unruhig pochenden Akkorden der übrigen Streicher. Die Durchführung beginnt ruhig, verdichtet sich nach und nach, unaufhaltsam. Tempo und Lautstärke steigern sich ins marschartige Allegro non troppo, schließlich ins Allegro. Den Höhepunkt markieren wilde Trommelwirbel, Streichertremoli und Holzbläsertriller, lautstark intonieren die Blechbläser das Motto. Damit ist die Reprise erreicht. Über ein klagendes Englischhornsolo tritt allmählich Beruhigung ein. Der Satz verklingt im C-Dur-Flageolett der Streicher. Im Allegretto, dem ersten der beiden Scherzi, kommt Schostakowitschs Hang zur Groteske zum Ausdruck. Das Motto ist hier nahezu ständig präsent, etwa im marschartigen Hauptgedanken, der imitativ zwischen Holzbläsern und Streichern wechselt. Ein zweiter Teil stellt einen Marsch der Piccoloflöte vor, grotesk beantwortet von den Fagotten; dazu eine trommelähnliche Streicherbegleitung. Dieser Abschnitt mündet in ein komplexes Fugato. Darauf kehren beide Teile gewaltsam gesteigert wieder. Insgesamt verhindern die häufigen Taktwechsel ein gleichmäßiges Marschieren …

Akkordische Peitschenhiebe, schrille Bläsereinsätze Gleichmäßiger gibt sich das Allegro non troppo, eine motorische Toccata, die die Maschinerie des Krieges heraufzubeschwören scheint. Die Bratschen eröffnen den Satz mit einer unerbittlichen Folge von Viertelnoten, marcatissimo, im  -Takt. Schroffe Akzente in den Bässen und schrille Einwürfe der Holzbläser (das verzerrte Motto!) können das Gleichmaß nicht beeinträchtigen. »In stumpfer Emsigkeit stapft und taumelt eine ›Stimme‹ vor sich hin, von akkordischen Peitschenhieben und schrillen Bläsereinsätzen wie von Kommandos traktiert«, dies die Deutung der Musikwissenschaftlerin Sigrid Neef. Der Mittelteil präsentiert eine selbstbewusste Trompetenfanfare – Ausdruck des aufgezwungenen »Hurra-Patriotismus«? Schließlich wird der Anfangsteil wiederholt, in

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Schostakowitsch Anfang der 1940er Jahre

7. SYMPHONIEKONZERT

geschärfter Instrumentation. Die Viertelfolge gipfelt im entfesselten Lärm der Pauken, ein Aufschrei des ganzen Orchesters. Zwei Tutti-Ausbrüche leiten den vierten Satz ein. Das Largo ist in Form einer Passacaglia gestaltet: In tiefer Lage stimmen Streicher und Bläser ein mächtiges Bassthema an, Grundlage von zwölf polyphonen Variationen – »zwölf Versuchen, lastender Trauer zu entkommen und doch im Sog unendlichen Leidens gefangen zu bleiben« (Neef). Das Schwergewicht verlagert sich allmählich von den Streichern auf die Bläser, Soli in Horn, Piccoloflöte und Klarinette. Schauerlich wirken die Flatterzungentöne der Flöten in der achten Variation. Am Ende brechen die Klarinetten mit einem C-Dur-Dreiklang überraschend aus dem Schema aus: der Beginn des Finales. Dieser Satz, erneut Allegretto überschrieben, verbindet die Rondo- mit der Sonatenform. Ihm liegen eine ganze Reihe von Themen zugrunde: eine entspannte Melodie in den Fagotten, ein lustiges Tanzthema der Flöte, eine Kantilene der Celli. Später nimmt die Musik auch düster-groteske Seiten an, etwa mit einem chromatischen Thema in tiefen Streichern und Holzbläsern, beantwortet von einer Art »danse macabre« der Violinen. In der fugalen Durchführung werden Tempo und Lautstärke wieder gesteigert, noch einmal klingt der dramatische Höhepunkt des Kopfsatzes an. Das Satzbild der anschließenden Reprise ist durch solis­ tische Passagen aufgelockert. Der Satz endet in einer undramatischen Coda: Zu einem liegenden C-Dur-Akkord der Violinen intonieren die gezupften Bratschen das Motto, als Antwort eine fragende Phrase der Flöte. Dreimal wird das Motto in den Bässen bestätigt, ehe die Musik »morendo« verklingt. Ein großes Fragezeichen anstelle einer monumentalen Apotheose. Heute wissen wir, dass Schostakowitsch in seiner Achten den Schrecken des Krieges anprangerte, mehr noch: die Unmenschlichkeit jedes faschistischen Regimes. »Die Siebte und die Achte sind mein ›Requiem‹«, heißt es in seinen Memoiren, die 1979 – vier Jahre nach seinem Tod – von Solomon Volkow veröffentlicht wurden. »Natürlich ist mir der Faschismus verhasst. Aber nicht nur der deutsche, sondern jeder Faschismus … Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in unserem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte. Der Krieg … brachte unendlich viel neues Leid, neue Zerstörungen. Aber darüber habe ich die schrecklichen Vorkriegsjahre nicht vergessen. Davon zeugen alle meine Symphonien, angefangen mit der Vierten. Die Siebte und die Achte gehören auch dazu.« Genau dies wollte man 1943 in Moskau nicht hören. 

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Ü

ber die Siebte und die Achte habe ich mehr dummes Zeug zu hören bekommen als über meine übrigen Arbeiten. Merkwürdig, wie langlebig

solche Dummheiten sind. Manchmal verblüfft mich, wie denkfaul die Menschen sind. Alles, was über diese Symphonien in den ersten Tagen geschrieben worden ist, wird unverändert bis zum heutigen Tag wiederholt. Dabei gab es doch genügend Zeit zum Nachdenken. Der Krieg ist schließlich längst zu Ende … Vor dreißig Jahren konnte man wohl sagen, dass es Kriegssymphonien seien … Die meisten meiner Symphonien sind Grabdenkmäler. Zu viele unserer Landsleute kamen an unbekannten Orten um. Niemand weiß, wo sie begraben liegen, nicht einmal ihre Angehörigen … Ich würde gern für jeden Umgekommenen ein Stück schreiben. Doch das ist unmöglich. Darum widme ich ihnen allen meine gesamte Musik. 

D M I T R I S C H O S TA K O W I T S C H

TOBIAS NIEDERSCHL AG

7. SYMPHONIEKONZERT

»TRAGÖDIE DER GEGENWART« Zur Dresdner Erstaufführung der achten Symphonie im Jahr 1950

B .6 . 6 2 – . 4 2

N R E T 7. I N

2 016

E L A N AT I O

H C S T I OW

K A T S O SCH TA G E H C S I R GOH

I, OWSK E N, IL JUR NDS DRESD A H C I I M , W A R Y E A. N I T S K A Ö S E L, S E M P N U . V. NA VIN R RESDE M I T A N N E L, P E T E R S K A P E L L E D R DA S TA AT E. D E U AT U O CHEN H -TA G DEM Q ER SÄCHSIS WITSC D O K A T S .SCHO IT D E R S D E N WWW E IO N M 24

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P E R AT LLE DR IN K O O S TA AT S K A P E N E H C Ä C H S IS

ereits sieben Jahre nach der Moskauer Uraufführung, am 24. November 1950, stellte die Staatskapelle Dresden Schos­t akowitschs achte Symphonie erstmals dem Dresdner Publikum vor. Dirigent des Sonderkonzerts im Rahmen der Dresdner Musiktage 1950, bei dem außerdem Werke von Bartók und Fortner erstaufgeführt wurden, war Rudolf Kempe, frischgebackener Generalmusikdirektor von Staatsoper und -kapelle. Mit dem Konzert knüpfte das Orchester an die Dresdner Erstaufführung der fünften Symphonie an, die GMD Joseph Keilberth 1947 im NachkriegsDresden geleitet hatte. 1963 sollte – als weitere »Großtat« – die Deutsche Erstaufführung der vierten Symphonie unter Kyrill Kondraschin folgen. Die Aufführung der achten Symphonie, damals noch im Großen Haus der Staatstheater, fand in der Dresdner Presse eine erstaunlich positive Resonanz – zu einer Zeit, als das Werk in der Sowjetunion noch verboten war …

Zum Schluß Schostakowitsch. Er zeigt sich in seiner achten Sinfonie von einer ganz neuen Seite. Ein breites, episches Werk zieht wie ein Strom von Musik an uns vorüber. Die ungeheure Länge (mehr als 60 Minuten Spieldauer) der fünf Sätze, die Weitschweifigkeit der Aussage machen es schwer, die Spannung, das Gefühl für die innere Symmetrie des Aufbaus zu wahren, aber der Eindruck dieser sinfonischen Schilderung (»Tragödie der Gegenwart«) ist groß und zwingend. In keinem seiner früheren Werke hat Schostakowitsch eine solche Intensivierung der Melodie erreicht, und es gibt kaum eine Parallele in der Musikgeschichte, wo ein Komponist eine Ostinatofigur mit so unerbittlicher Strenge zu einem wahren Inferno der Musik entwickelt hätte. Zartes paart sich mit Strenge. Diffus schwirrender Klang, diabolisch überlagert von dem durchdringenden Oberton der Pikkoloflöte, wechselt mit pastoral gesungenen Melodien des Englischhorn. So erscheint uns diese Sinfonie als ein Abbild unseres Lebens: Kampf, Verzweiflung und zum Schluß die dämmernde Morgenröte eines neuen Tags.  Sächsisches Tageblatt, 28. November 1950

7. SYMPHONIEKONZERT

7. Symphoniekonzert 2015 | 2016 Orchesterbesetzung

1. Violinen Roland Straumer / 1. Konzertmeister Thomas Meining Federico Kasik Michael Frenzel Christian Uhlig Volker Dietzsch Jörg Kettmann Barbara Meining Martina Groth Wieland Heinze Anja Krauß Roland Knauth Anselm Telle Franz Schubert Ga-Young Son Hannah Burchardt**

2. Violinen Heinz-Dieter Richter / Konzertmeister Reinhard Krauß / Konzertmeister Matthias Meißner Annette Thiem Ulrike Scobel Olaf-Torsten Spies Alexander Ernst Beate Prasse Elisabeta Schürer Emanuel Held Kay Mitzscherling Robert Kusnyer Yewon Kim Minah Lee

* als Gast ** als Akademist / in

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Bratschen Sebastian Herberg / Solo Andreas Schreiber Stephan Pätzold Uwe Jahn Ulrich Milatz Ralf Dietze Zsuzsanna Schmidt-Antal Susanne Neuhaus Juliane Böcking Luke Turrell Florian Kapitza* Heiner Stolle*

Violoncelli Norbert Anger / Konzertmeister Simon Kalbhenn / Solo Martin Jungnickel Uwe Kroggel Bernward Gruner Johann-Christoph Schulze Jörg Hassenrück Anke Heyn Matthias Wilde Titus Maack

Kontrabässe Andreas Wylezol / Solo Razvan Popescu Torsten Hoppe Helmut Branny Christoph Bechstein Reimond Püschel Thomas Grosche Paweł Jabłczyński

Flöten Sabine Kittel / Solo Bernhard Kury Dóra Varga Diego Aceña Moreno**

Oboen Céline Moinet / Solo Volker Hanemann Christopher Koppitz**

Klarinetten Robert Oberaigner / Solo Egbert Esterl Jan Seifert Christian Dollfuß

Fagotte Philipp Zeller / Solo Erik Reike Hannes Schirlitz

Hörner Erich Markwart / Solo Harald Heim Julius Rönnebeck Miho Hibino

Trompeten Mathias Schmutzler / Solo Tobias Willner / Solo Volker Stegmann Sven Barnkoth

Tuba Hans-Werner Liemen / Solo

Pauken Thomas Käppler / Solo

Schlagzeug Bernhard Schmidt Christian Langer Simon Etzold Jürgen May Dirk Reinhold Stefan Seidl

Harfe Astrid von Brück / Solo

Gitarre Gabriele Werner

Klavier / Hammondorgel Clemens Posselt

Celesta Hans Sotin

Saxophone Friedemann Seidlitz* Christian Patzer* Hartmut Schardt* Christoph Modersohn* Frank-Michael Brumme*

Posaunen Michael Bigelmaier* / Solo Guido Ulfig Frank van Nooy

7. SYMPHONIEKONZERT

„ Auf dAs spektAkel wArtet ein jeder!“

Vorschau

L andLeute in PagLiacci, 2. ak t

8. Symphoniekonzert Palmsonntagskonzert S O N N TAG 2 0 . 3.16 2 0 U H R M O N TAG 21. 3.16 2 0 U H R S E M P ER O P ER D R E S D E N

Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci von den Osterfestspielen Salzburg jetzt auch auf DVD & Blu-ray!

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Reinhard Goebel Dirigent Anna Lucia Richter Sopran Anke Vondung Alt Daniel Johannsen Tenor Stephan Genz Bass Dresdner Kammerchor Choreinstudierung: Michael Käppler Antonio Vivaldi Concerto funebre B-Dur RV 579 Johann Ludwig Krebs Oratorio funebre Krebs-WV 100 Georg Philipp Telemann Concerto grosso D-Dur zur Serenata »Deutschland blüht und grünt im Frieden« TWV 12:1c Johann Sebastian Bach »Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!« BWV 214 Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Foyer des 3. Ranges der Semperoper

Zu erleben auch auf CLASSICA, dem ersten Fernsehsender für die Welt der klassischen Musik!

7. SYMPHONIEKONZERT

IMPRESSUM

Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann

Christian Thielemann Chefdirigent

Spielzeit 2015 | 2016

Juliane Stansch Persönliche Referentin von Christian Thielemann

H E R AU S G E B E R

Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © Februar 2016

Jan Nast Orchesterdirektor Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung

R E DA K T I O N

André Podschun G E S TA LT U N G U N D L AYO U T

André Podschun Programmheftredaktion, Konzerteinführungen

schech.net Strategie. Kommunikation. Design.

Matthias Claudi PR und Marketing

DRUCK

Union Druckerei Dresden GmbH

Agnes Monreal Assistentin des Orchesterdirektors

ANZEIGENVERTRIEB

EVENT MODULE DRESDEN GmbH Telefon: 0351 / 25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de

Elisabeth Roeder von Diersburg Orchesterdisponentin

B I L D N AC H W E I S E

Agnes Thiel Dieter Rettig Notenbibliothek

Matthias Gries Orchesterinspizient

Marco Borggreve (S. 5 und 6); Tully Potter Sammlung (S. 10); Bernd Alois Zimmermann, Königsdorf (S. 14); Krzysztof Meyer, Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Bergisch Gladbach 1995 (S. 21) T E X T N AC H W E I S E

Der Einführungstext von Tobias Niederschlag zu Brittens Passacaglia aus »Peter Grimes« ist eine gekürzte Fassung aus dem Programmheft zum 7. Symphoniekonzert der Staatskapelle Dresden in der Saison 2011 / 2012. Der Artikel von André Podschun ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft. Der Einführungstext zu Schostakowitschs achter Symphonie ist dem Programmheft zum 6. Symphoniekonzert der Staatskapelle Dresden in der Saison 2003 / 2004 entnommen. Zitat Seite 23: Solomon Volkov (Hrsg.), Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch, Hamburg 1979.   

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Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E

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