Programmheft - Deutsche Radio Philharmonie :: Saarbrücken

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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Mittwoch, 16. Dezember 2015 | 20.00 Uhr Hochschule für Musik Saar

3. Ensemblekonzert Saarbrücken „Aus Großem entsteht Klein(er)es“

Präsentiert von den „Freunden der Deutschen Radio Philharmonie“

Dora Bratchkova, Violine Valentin Staemmler, Violoncello Martin Frink, Michael Gärtner und Jochen Ille, Schlagzeug Olga Zado, Klavier 1

PROGRAMM

Ludwig van Beethoven „Tripelkonzert“ Es-Dur op. 56 in der Bearbeitung für Klaviertrio von Carl Reinecke Allegro Largo Rondo alla Polacca

Dora Bratchkova, Violine Valentin Staemmler, Violoncello Olga Zado, Klavier

P ause

Dmitrij Schostakowitsch Sinfonie Nr. 15 A-Dur in der Bearbeitung für Klaviertrio und Schlagzeug von Viktor Derevianko Allegretto Adagio (attacca) Allegretto Adagio – Allegretto

Dora Bratchkova, Violine Valentin Staemmler, Violoncello Martin Frink, Michael Gärtner und Jochen Ille, Schlagzeug Olga Zado, Klavier

Sendetermin Direktübertragung auf SR 2 KulturRadio und nach dem Konzert sieben Tage lang unter www.sr2.de

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Ludwig van Beethoven * 16. Dezember 1770 in Bonn † 26. März 1827 in Wien Konzerte und Sinfonien als Kammermusikstücke – welchen Sinn haben solche Transkriptionen? Zumindest für die Vergangenheit ist diese Frage leicht zu beantworten: Es ging um die möglichst weite Verbreitung groß besetzter Werke – zum Nutzen der Komponisten, der Verlage und einer ganzen Zunft von Arrangeuren. Anspruchsvolle sinfonische Kompositionen konnten schließlich nur wenige Orchester bewältigen. Vor dem Zeitalter von Schallplatte und Rundfunk hatten deshalb die meisten Musikliebhaber nur eine Möglichkeit, diese Stücke kennen zu lernen: sie selbst in reduzierter Besetzung zu spielen. Besonders beliebt waren Arrangements für Klavier zu zwei oder zu vier Händen. Aber auch Fassungen für „Harmoniemusik“ (Ensembles aus Holz- und Blechbläsern) und alle gängigen Besetzungen bürgerlicher Hausmusik verkauften sich gut. So richtete Ludwig van Beethoven im Jahr 1806 seine zweite Sinfonie selbst für Klaviertrio ein, und für die gleiche Besetzung arrangierten im 19. Jahrhundert mindestens zwei Bearbeiter sein „Tripelkonzert“ op. 56. Eine Fassung erstellte um 1862 Daniel Friedrich Eduard Wilsing, und die zweite, die im heutigen Konzert erklingt, veröffentlichte Carl Reinecke 1866/67 beim Verlag Breitkopf und Härtel. Reinecke war ein auf vielen Feldern erfolgreicher Musiker: Er galt als hervorragender Pianist und fruchtbarer Komponist (fast 300 Werke mit Opuszahl), leitete von 1860 bis 1895 die Leipziger Gewandhauskonzerte und lehrte am Konservatorium Komposition, Klavier und Ensemblespiel. Daneben war er als äußerst geschickter Arrangeur bekannt: „Das kann ich nicht, da musst du den Reinecke fragen, der kann das besser“, soll Robert Schumann geantwortet haben, als man ihn bat, eine Fassung seiner Sinfonien für zwei Klaviere anzufertigen. Tripelkonzert Um allerdings der Bearbeitung würdig zu sein, musste eine Komposition erst einmal ihren Marktwert beweisen, musste in der Originalfassung populär werden. Beethovens Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester, 1803/04 entstanden, hatte bei seiner Leipziger Uraufführung im Mai 1808 noch wenig Erfolg bei Publikum und Presse. So konnte man in der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ lesen: Der Komponist hat darin seiner reichen, aber auch in ihrem Reichtum gern üppig schwelgenden Phantasie den Zügel, wie kaum sonst irgendwo, schießen lassen. Es enthält das Werk

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solch eine überquellende Masse von Figuren, und zwar, besonders im überladenen ersten Satz, von so disparaten Figuren; B. gefällt sich hier wieder – ebenfalls besonders im ersten Satze, so sehr in gesuchten, kaum besiegbaren und zum Teil doch unwürksamen Schwierigkeiten, hat auch der krausen, bizarren Zusammenstellungen hier wieder so viele, dass man ihm überall gehörig zu folgen als eine Last empfinden müsste, wenn man nicht auch wieder durch eben so gut gedachte als schön ausgesprochene Stellen überrascht, wenn man nicht vorzüglich durch den weit weniger überladenen, durchaus neuen, geist- und ausdrucksvollen dritten Satz entschädigt, und so mit dem Ganzen möglichst ausgesöhnet würde. So gut das Konzert gespielt und begleitet ward, so sehr das hiesige Publikum für B.s Kompositionen gewonnen ist: so gefiel diese doch nur mäßig. Einige Beobachtungen des Rezensenten erscheinen auch heute noch bemerkenswert. Die überquellende Masse der Figuren, die er am ersten Satz kritisiert, ist typisch für die Gattung, der das Werk angehört. In der Praxis ist es als „Tripelkonzert“ bekannt geworden, doch mit seinem originalen Titel „Grand Concerto concertant“ steht es der „Symphonie concertante“ nahe, einem Genre, das etwa ab 1770 vor allem in Paris populär wurde. Die Symphonie concertante, eine Verschmelzung aus Serenade, Solokonzert und Sinfonie, orientierte sich am Geschmack einer breiten bürgerlichen Hörerschaft und neigte deshalb eher zu virtuoser Schaustellung, reicher Klangfülle und melodischer Vielfalt als zur logischen Durchgestaltung der Form. Um 1808 war die Mode der „Konzertanten“ schon wieder am Abklingen – daher vielleicht die negative Wertung des Kritikers. Ein zweiter Einwand betrifft die kaum besiegbaren und zum Teil doch unwürksamen Schwierigkeiten. Vielleicht sind sie ja mit dafür verantwortlich, dass das Tripelkonzert auch heute noch zu den weniger bekannten Kompositionen Beethovens zählt. Die Schwierigkeiten liegen allerdings vor allem in den Stimmen von Violine und Cello, die sich vielfach in sehr hohen Lagen bewegen. Der Klavierpart dagegen klingt zwar brillant, ist aber tatsächlich weniger heikel – möglicherweise ein Hinweis auf die ursprüngliche Bestimmung des Konzerts: Glaubt man Beethovens Adlatus und späterem Biographen Anton Schindler, dann schrieb es der Komponist für seinen Schüler Erzherzog Rudolph von Österreich und dessen musikalische Bedienstete, den Geiger Carl August Seidler und den Cellisten Anton Kraft. Den beiden Profis konnte er alle Schwierigkeiten zumuten; dagegen musste er für den 16-jährigen Erzherzog die spieltechnischen Anforderungen herabsetzen – möglichst ohne es ihn merken zu lassen. Ein dritter interessanter Punkt ist die Gegenüberstellung des überladenen ersten Satzes und des geist- und ausdrucksvollen dritten. Tatsächlich sind

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die beiden Ecksätze von sehr unterschiedlichem Charakter: Das einleitende Sonaten-Allegro stellt vier wenig profilierte Themen vor, die erst im Verlauf des Satzes durch kunstvolle Verarbeitung ihren Reiz entfalten. Dagegen wirken die eingängigen Melodien des abschließenden „Rondo alla Polacca“ ganz unmittelbar – sie brauchen keine komplizierten kompositorischen Künste. Den zweiten Satz erwähnt der Rezensent gar nicht – es handelt sich um ein menuettartiges Largo von nur 50 Takten Länge, wenig mehr als ein Einschub zur schärferen Absetzung der beiden schnellen Sätze. Dmitrij Schostakowitsch * 25. September 1906 in St. Petersburg † 9. August 1975 in Moskau Zur Entstehung seiner Transkription von Dmitrij Schostakowitschs letzter Sinfonie erklärte der Pianist Viktor Derevianko: Ich lernte die 15. Sinfonie einige Monate vor ihrer Uraufführung kennen. In Sowjet-Russland waren selbst weltberühmte Komponisten wie Schostakowitsch und Prokofjew verpflichtet, ihre neuen Werke der Union der sowjetischen Komponisten vorzulegen, wo Kollegen und Funktionäre sie zu genehmigen und die öffentliche Aufführung zu befürworten hatten. Mein Kollege, der Pianist Mikhail Muntian, und ich wurden eingeladen, die Sinfonie vor dieser hohen Versammlung in einer Transkription für zwei Klaviere durch den Komponisten vorzutragen. Die Sinfonie wurde genehmigt und im Januar 1972 uraufgeführt. Nachdem ich die Sinfonie so unverhofft kennen gelernt und danach im Konzert gehört hatte, kam mir die seltsame Idee, sie für ein Kammerensemble aus einem Klaviertrio, Schlagzeug und Celesta zu bearbeiten [...] Zu meiner freudigen Überraschung fand die Transkription Schostakowitschs uneingeschränkte Zustimmung. In seinem Arrangement ließ Derevianko die Schlagzeug- und Celestastimmen unberührt. Die Streicherstimmen teilte er im Wesentlichen der Violine und dem Cello zu, und die Bläser übertrug er möglichst in ihrer spezifischen Klanglage dem Klavier. Die Transkription wurde am 23. September 1972 in Moskau uraufgeführt. Schostakowitsch letzte Sinfonie Ein seltsames Werk, nicht zuletzt in klanglicher Hinsicht, ist die Sinfonie allerdings auch schon in ihrer Originalgestalt: fast kammermusikalisch instrumentiert, aber mit einem ungewöhnlich großen Schlagzeugapparat. Die Arbeit begann der seit längerem kränkelnde Komponist am 2. April 1971

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während eines Klinikaufenthalts. Fertigstellen konnte er das Werk, nachdem er noch einmal fast einen Monat im Krankenhaus verbringen musste, bereits am 29. Juli des Jahres. Dazu Schostakowitsch: Es handelt sich um eines jener Werke, die sich meiner einfach bemächtigten, die sich von der ersten bis zur letzten Note klar darstellten. Ich benötigte lediglich die Zeit zum Niederschreiben. Worin ein möglicher außermusikalischer Gehalt der Sinfonie liegen könnte, darüber gibt es, wie oft bei Schostakowitsch, mancherlei Spekulationen, zumal er selbst sich nicht frei dazu äußern konnte. Kindheit, ein Spielzeugladen, eine Menge Tand, völlige Unbeschwertheit – diese Vorstellungen verband der Komponist in offiziellen Verlautbarungen mit dem ersten Satz. Doch privat gestand er ein, dass es hinter der scheinbaren Fröhlichkeit – dem leichtfüßigen Hauptthema (gleich nach den einleitenden Glockenklängen) oder den aufdringlichen Zitaten aus Rossinis „Wilhelm Tell“-Ouvertüre – noch eine tiefere Schicht gab. Das bestätigte der Dirigent Kurt Sanderling, der 1972 neben Schostakowitsch sitzend die deutsche Erstaufführung in Berlin erlebt hatte: In vollständiger Verwirrung und Unsicherheit wandte ich mich nach dem 1. Satz zu ihm. Und da ich wusste, wie man bei ihm fragen muss, sagte ich: „Sagen Sie Dmitri Dmitrijewitsch, irre ich mich – oder ist das ein zutiefst tragisches Werk?“ Und er wandte sich zu mir um und sagte mit tiefer Stimme: „Sie irren sich nicht!“ Der Musikwissenschaftlerin Sigrid Neef gelang eine einleuchtende Interpretation der Sinfonie, indem sie deren erste drei Sätze mit Texten der Dichterin Marina Zwetajewa (1892-1941) in Beziehung setzte – Texten, die Schostakowitsch ursprünglich in das Werk aufnehmen wollte und zwei Jahre später in den „Sechs Romanzen“ op. 143 vertonte. In einem von ihnen heißt es: So früh geschrieben, / Dass mir nicht einmal bewusst war, „Komponist“ zu sein, / Entstanden sind sie, so wie Spritzer eines Brunnens fliegen / So wie Raketen Funken stieben. // Erklungen sind sie; / Schlugen wie kleine Teufel ein / In des alten Kunsttempels Traum und Weihrauch [...] // Heute sind sie in der Läden Staub verloren / (Wo niemand sie gekauft hat, niemand kauft!) / - Für meine „Musik“ wie für alte Weine / Kommt noch die Zeit herauf. Der erste Satz wäre demnach als Rückschau Schostakowitschs auf seine Jugend zu verstehen, auf die unbekümmerten Einfälle seiner frühen Werke. Zu ihnen zählt auch die noch in den 1970er Jahren unerwünschte Oper „Die Nase“ (1928); vor allem auf die prominente Schlagzeugpartie dieses Werks scheint der Sinfoniesatz zu verweisen. Das Weitere – das Leben, seine Stürme und Freuden, seine Leiden und Hoffnungen. Das Leben, durchlebt vom Anfang bis zum Ende. So beschrieb Schostakowitsch den Inhalt der folgenden Sätze. Genaueren Aufschluss

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über den langsamen zweiten mit seinen Choralklängen, zwölftönigen SoloRezitativen und Trauermarschrhythmen kann vielleicht wieder ein Zwetajewa-Gedicht geben: Sie ging hinab zum Grund. / Hintreibt ihr Kränzlein noch / Zum Stamm [...] / Ich aber hab sie mehr geliebt / Als Tausende [...] und weniger doch / Als ein Geliebter. // Zum Grund ging sie, wo es Schlaf nicht gibt. / Ich aber, hab ich sie geliebt? Neef bezieht diese Worte und die Musik des zweiten Satzes auf Schostakowitschs Reue über eine versäumte Liebe, auf die versäumte Versöhnung mit seiner Ehefrau Nina, die 1954 an Krebs starb. Rückgriffe auf das siebte Streichquartett, das der Komponist im Jahr 1960 Ninas Andenken widmete, bestätigen diese Sichtweise. Ohne Pause folgt der dritte Satz, das an Scherzo-Stelle stehende Allegretto, dessen kurzatmige, keiner Entwicklung fähige Motive eine Atmosphäre von Banalität und Trostlosigkeit beschwören. Neef bezieht den Satz auf ein weiteres Gedicht Zwetajewas sowie auf die zahlreichen Ehrungen, die Schostakowitsch von Seiten des Regimes erfuhr. Und vor allem auf eine imaginierte letzte Ehrung an der Totenbahre, an der für seine engsten Freunde / Kein Platz wäre. Am Haupte, zu den Füßen, / Rechts und links – Die Händchen an den Nähten - / Brustkörbe und Fressen der Polizei. // Ist es nicht ein Wunder – sogar auf dem stillsten aller Ruhelager / Wie ein kleiner Junge bewacht zu werden? / Was nur, was nur, was nur könnte so hoch / Wie diese Ehre sein? Der Ehre zuviel. // Sieh, Land, wie dem Gerücht zum Trotz, / Der Monarch sich um den Künstler sorgt! / Mit Ehren – Ehren – Ehren – höchsten / Ehren – Ehren – bis zum Geht-nicht mehr! Noch direkter als im Scherzo setzte Schostakowitsch sich im Finale seiner Sinfonie mit dem Tod auseinander. Der Satz beginnt mit einem musikalischen Zitat aus Richard Wagners „Walküre“; Brünnhildes Worte dazu lauten: Schau auf mich! Ich bin’s, der bald du folgst. [...] Nur Todgeweihten taugt mein Anblick, wer mich erschaut, der scheidet vom Lebenslicht. Unmittelbar darauf spielt Schostakowitsch auf Wagners „Tristan und Isolde“ an. Die dem berühmten Tristan-Akkord vorangehende Melodielinie führt hier allerdings nicht in diesen vieldeutigen Klang, sondern in eine ungetrübte Mollweise. Im Folgenden erklingen noch weitere Zitate, unter ihnen etwa das Thema der „Invasion“ aus dem ersten Satz der „Leningrader“ Sinfonie. Und am Ende steht eine ganz vom Schlagzeug dominierte Passage, die vielfältige Assoziationen geweckt hat. Man mag an den Schluss von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ denken, oder an die mystische „Glockenstadt“, die Zwetajewa in ihrem (ebenfalls von Schostakowitsch vertonten) Gedicht „An Anna Achmatowa“ beschworen hat. Oder auch an das Ticken der Apparate auf einer Intensivstation.

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Die nächsten EnsembleKonzerte Mittwoch, 27. Januar 2016 | 20.00 Uhr | Hochschule für Musik Saar 4. Ensemblekonzert Saarbrücken Paris – St. Petersburg: Kammermusik für Bläser und Klavier Grigory Mordashov, Flöte | Veit Stolzenberger, Oboe Rainer Müller-van Recum, Klarinette | Zeynep Köylüoglu, Fagott Benoît Gausse, Horn | Fedele Antonicelli, Klavier Werke von Maurice Emmanuel, Nikolai Rimskij-Korsakow, Florent Schmitt und Albéric Magnard Mittwoch, 2. März 2016 | 20.00 Uhr | Burghof Forbach 2. Ensemblekonzert Forbach Lada Bronina und Damien Fiedler, Violine Yulia Smirnova, Viola Min-Jung Suh, Violoncello Werke von Alexander Glasunow, Edvard Grieg und Sergej Prokofjew

Wenn auch Sie in Zukunft gerne über die Ensemblekonzerte der Deutschen Radio Philharmonie in Saarbrücken, Kaiserslautern und Forbach informiert werden möchten, schreiben Sie bitte eine Mail an [email protected]

Wir möchten Sie höflich darauf hinweisen, dass Bild- und Tonaufnahmen während der Konzerte der DRP nicht gestattet sind! Text: Jürgen Ostmann | Text- und Programmredaktion: Nike Keisinger | Herausgeber: Deutsche Radio Philharmonie

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