Projektbericht Citizenship Erziehung und Islam

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Religionswissenschaft, Islam
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Projektbericht

Citizenship Erziehung und Islam

Programmjahr 2014/2015

Universität Wien

Institut für Islamische Studien

Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Ednan Aslan

Projektmitarbeiterinnen: Mag. Michael Kramer; Nadire Mustafi M.A.;Parastou

Hagh Nejad B.A.; Viktoria Schuh M.A., Azra Agovic, Rami Ali B.A.

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Projektzusa mmenfassung

Ausgangslage Während die wachsende Zahl muslimischer Kinder in Österreich eine besondere Herausforderung für das Bildungssystem darstellt, ergeben sich gleichermaßen für diese Kinder spezielle Fragestellungen: Was macht Muslimsein aus? Was ist Bürgersein? Was bedeutet es, als muslimischer Bürger oder muslimische Bürgerin in Österreich aufzuwachsen? Nicht nur Probleme im sprachlichen Bereich erschweren jungen Menschen muslimischen Glaubens, sich mit der Gesellschaft, in der sie leben, identifizieren zu können: auch bei Jugendlichen, die in Österreich aufgewachsen sind und die deutsche Sprache ohne Einschränkungen beherrschen, sind teilweise große Schwierigkeiten zu beobachten, einen Zugang zu den pluralistischen und demokratischen Werten der Gesellschaft zu finden. Kulturell sehr heterogene Schulklassen sind in Österreich keine Seltenheit und bergen die Gefahr, dass Kinder mit Migrationshintergrund und insbesondere muslimische Kinder und Jugendliche ausgegrenzt werden oder sich selbst absondern. Gewalt (auch Streits, Mobbing) an Schulen nimmt zu, und vor allem Buben mit Migrationshintergrund sind von diesem alarmierenden Anstieg betroffen (OE 24 2012). Lehrkräfte sind oft überfordert und mit den spezifischen kulturelleren und religiösen Hintergründen der Kinder zu wenig vertraut (Süddeutsche.de 2011), so dass kaum Hilfestellung gegeben werden kann. In diesem Prozess gewinnt die Stellung der Muslime, bzw. des Islams immer mehr an besonderer Bedeutung, denn im öffentlichen Diskurs werden islamische Werte und Normen oftmals als nahezu unvereinbar mit den Prinzipien westlicher Demokratien dargestellt und als Gegensatz konstruiert. Gar ein möglicher "Clash of Civilizations" wurde nicht mehr ausgesch lossen . Junge Musliminnen sind ob solcher Diskussionen nicht selten verwirrt und mit der Aufgabe überfordert, eine persönliche Haltung, nicht nur hinsichtlich der eigenen 2

Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, sondern auch zu Fragen der Glaubenspraxis im Alltag, Identität, Rollen von Frauen und Männern, und nicht zuletzt auch "Citizenship" (Coles 2010, 3). Die Mehrheit der aktuell etwa 574.000 in Österreich lebende Musliminnen mit Migrationshintergrund (Kizilkaya und EI-Hadad 2012, 13) fühlen sich ihrem Herkunftsland stärker verbunden als Österreich, der Gesellschaft, in der sie ihr Leben verbringen und gestalten: so gaben im Rahmen einer Studie z.B. 55,9% der befragten Musliminnen an, sich dem Staat, aus dem sie selbst bzw. die Eltern stammen, eher zugehörig zu fühlen als dem österreichischen (Statistik Austria 2012,91). Der teilweise völlig fehlende emotionale Bezug erschwert folglich auch die Identifikation mit den Werten und Grundprinzipien, und ein Auseinanderdriften der Gesellschaft könnte eine langfristige Folge sein. Ebenfalls macht dieser fehlende emotionale Bezug zu Österreich und den demokratischen und pluralistischen Werten Jugendliche empfänglicher für extreme Ideologien. Umso wichtiger ist es, auf diese Situation mit entsprechenden Angeboten und Maßnahmen zu reagieren, um die Partizipation aller in Österreich lebender Kinder und Jugendlicher an der Zukunftsgestaltung zu gewährleisten und somit auch gleichermaßen eine solide Grundlage für sozialen Frieden zu schaffen. Wie ist für Musliminnen eine aktive und bewusste Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen möglich, und wie kann ein passendes Bildungsprojekt in diesem Bereich aussehen, das die jungen Menschen auf ihre Aufgaben vorbereitet, sie über ihre Rechte und auch Pflichten informiert? Das Projekt "Islam und Citizenship-Erziehung" (ICE) will muslimische Jugendliche in ihrem religiösen Hintergrund ernstnehmen und ihnen eine inhaltlich-sachliche, aber auch persönlich-emotionale Auseinandersetzung mit der Frage bieten, welche Möglichkeiten der individuellen authentischen Partizipation es in der österreichischen Gesellschaft gibt und über welche Ressourcen der Islam für die

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Identitätsförderung der jungen Muslime verfügt, die die Indentitätsbildung und das

Citizenship-Bewusstsein der jungen Muslime fördern.

Zielsetzung des Projekts

Möglichst klare Definitionen der Werte und Normen von Islam und Demokratie sowie

das Zusammenbringen dieser vor dem Hintergrund eines persönlich-emotionalen

Beziehungsaufbaus zum Land ist ein guter Weg, wie junge Musliminnen bei ihrer

Entwicklung zu einem vollwertigen Mitglied der österreichischen Gesellschaft von

Eltern, Lehrenden und Imame bzw. Seelsorgerinnen unterstützt werden können. Das

Projekt "Islam und Citizenship-Erziehung" möchte hier seinen Beitrag leisten, indem

es die genannten Gruppen (Lehrende in Schulen / Koranschulen; Tätige in Moscheen)

auf die Aufgabe vorbereitet, relevante Aspekte von Citizenship an muslimische Kinder

und Jugendliche zu vermitteln. Im Rahmen des Projekts soll vermittelt werden, dass

Demokratie und Islam einander nicht ausschließen, sondern auf gleichen ethischen

Grundlagen aufbauen. Das vermittelte Wissen soll dabei helfen, Jugendliche vor den

Einflüssen radikaler Strömungen zu schützen, indem ihnen ein positives Selbstbild als

Teil einer werte-pluralen Gesellschaft vermittelt wird.

Umsetzung des Projekts

Das Projekt ist in drei Phasen gegliedert.

Die 1. Phase sieht vor, Interviews mit muslimischen Schülerinnen zu führen. Dabei

soll erschlossen werden, welchen Zugang und welche persönlichen Einstellungen

diese Jugendliche zu den Themen Staat und Demokratie besitzen. Auf der Grundlage

der Erhebungen werden auch die spezifischen Themen herausgearbeitet, die die

Grundlage für die 2. Phase darstellt.

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In der 2. Phase, wird aufbauend auf den Interviews und den erstellten Themengebieten Lehrmaterial für den Unterricht erstellt. Dem Lehrmaterialliegen Fachtexte zu den einzelnen Schwerpunkten zugrunde. Diese sind: Menschenrechte (http://ceai.univie.ac.at/menschenrechtel) Demokratie (http://ceai.univie.ac.at/demokratiel) Frauen(rechte) und Gender Muslim zu sein in Europa Religiöse Praxis und säkulare Gesellschaft Bildung und Islam Koran verstehen, aber wie??? Islam und Gewalt (Themen werden unter Berücksichtigung aktueller Ereignissen ständig erweitert, bzw. Ergänzt). Um dem multimedialen Charakter heutiger Jugendlicher gerecht zu werden und um laufend aktuelle Beiträge für den Unterricht erstellen zu können, wird das produzierte Lehrmaterial auf der Onlineplattform IICitizenship Education and Islam" (http://ceaLunivie.ac.at) einer interessierten Lehrerschaft zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig bietet die Seite die Möglichkeit, sich über aktuelle Themen rund um Demokratie und Islam zu informieren und auszutauschen. In Phase 3 findet eine Zusammenarbeit mit den schulischen Einrichtungen statt, um das erstellte Lehrmaterial einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zu diesem Zweck sind Workshops an den Schulen mit den entsprechenden Lehrpersonen geplant.

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Erstell u ng des Unterrichtsmaterials Im Rahmen der Unterrichtsgestaltung ergibt sich aufgrund der unten näher erläuterten Themengebiete eine Überschneidung der Unterrichtsfächer "Geschichte und Politische Bildung" sowie "Islamischer Religion", damit vor allem erweiterte Sach-, Methoden-, Urteils- und Handlungskompetenzen gefördert werden. Das dafür benötigte Unterrichtsmaterial, das sowohl Lehrer als auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, besteht aus zwei Blöcken. Einerseits aus der Unterrichtsreihe, deren Erstellung mittels didaktischem Knowhow und altersgerechter Unterrichtsgestaltung erfolgte, und andererseits aus dem Lehrmaterial (etwa Handouts und Medien), um der Lehrerschaft die nötigen Mitteln und Werkzeuge für die jeweilige Unterrichtsstunde bereitzustellen. Diesbezüglich wurde der erste Fachtext bereits mit einem selbstproduzierten Video (Impulsvideo) bereichert und andere Produktionen sind gerade in der Phase der Fertigstellung, wie etwa die Meinungen von Muslime über Demokratie, das Interview mit einem österreichischen Imam oder ein zu übersetzendes Video von Youtube über den Islamischen Staat. Ausgangsbasis und Grundlage der Unterrichtsmaterialen bilden die Fachtexte zu den jeweiligen Themengebieten, die im Folgenden kurz präsentiert werden.

Projektteam Unter der Leitung von Prof. Aslan arbeiten Pädagogen, Didaktiker und junge Muslime in einer engen Zusammenarbeit mit den Theologen zusammen, um die authentischen Texte und Unterrichtsentwürfe zu entwickeln. Die Mitarbeiterinnen Nadire Mustafi und Parastou Hagh Nejad waren im Projektjahr 2013/2014 für das Einholen der empirischen Daten verantwortlich. Die teilnehmenden Beobachtungen, die sie an islamischen Privatschulen und öffentlichen Schulen mit einer hohen Anzahl an muslimischen Schülerinnen machten sowie die Interviews mit den Schülerinnen selbst bildeten das Ausgangsmaterial für das Projekt. 6

In einer weiteren Konzeptionsphase wurden aus den gewonnenen Daten von der

Mitarbeiterin Viktoria Schuh Themenkomplexe für die jeweiligen

Unterrichtseinheiten erarbeitet.

Die Mitarbeiterinnen Michale Kramer und Maria Jedlizka sind nun mit der

Ausformulierung der Fachtexte und dem Erstellen der jeweiligen

Unterrichtseinheiten, samt Materialien, zuständig.

Perspektive des Projekts

Die Themen und Materialien werden laufend auf der Projekthomepage erweitert.

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Islam und Demokratie

Demokratie: Die Herrschaft des Volkes ............................................................................. 2

Der Begriff Demokratie ................. .. .... .. ............... ... ........ ............ .... ............ ....... ... ............. 2

Alternativen Herrschaftssysteme neben der Demokratie .................. ... ............................... 2

Die politische Partizipation des Volkes mittels direkter und indirekter Demokratie .......... ... 3

Die demokratischen Verfassungsprinzipien Österreichs .... .. .............................................. 4

Die Entwicklung eines politischen Systems im Islam ...................................................... 4

Wertebezogene Grundsätze als politische Theorie ......... ...... .......... ..... ........... .. .. .. ............. 4

Die Führung der islamischen Gemeinde durch den Propheten ............ .. .. .................. .. ...... 5

Herrschaftstradition nach dem Tod des Propheten .......................... .. .............. .. ................ 6

Demokratie als Teil eines Wertesystems im Islam ............................................................ 6

Gerechtigkeit und Verantwortung als oberstes Prinzip ... .. ... .. ... .......... .... ... ... ............ .... .. .. .. 6

Die Einhaltung von Recht und Ordnung .................................... .... .............. .... ................... 7

Das Treffen fundierter Entscheidungen und verantwortungsvolles Handeln .... .... ............... 8

Das Streben nach Wissen ........... .. ............... ......... .. .. .. .. ..... ..................... ........ .. ................. 9

Die Förderung des Dialogs und der Aufbau von Beziehungen .......................................... 10

Gegenseitige Konsultation und gemeinschaftliche Entscheidungsfindung ........................ 11

Die aktive Bürgerschaft ....... .. ...... .... ............ ...... .. .. .. .......... .................................. ...... ........ 12

Die Gleichheit der Menschen und die Geschlechtergleichheit.. .... .. ................................... 13

Konklusion..........................................................................................................................14

Weiterführende Literatur....................................................................................................15

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Institut fü r Islamische Studien

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Demokratie: Die Herrschaft des Volkes Der Begriff Demokratie Unter dem Begriff "Demokratie" versteht man ein Regierungssystem, in dem alle Bürgerinnen das Recht haben, bei der Entscheidungsfindung durch die Wahl von Vertretern zu einem Parlament oder ähnlichen Versammlungen teilzunehmen. Die Bürgerinnen wählen ihre Repräsentanten, die letztlich die politische Macht innehaben. Als demokratische Staaten können sich solche Länder bezeichnen, die sowohl Grund- und Menschenrechte einhalten und schützen, als auch dafür sorgen, dass alle in einem Staat lebenden Menschen ihre gesetz- und verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten in gleicher Weise durchsetzen bzw erfüllen können. Zusätzlich gibt es in Demokratien Kontrollinstanzen, die die Machthaber im Sinne des Gemeinwohls kontrollieren, sowie Machtbegrenzungen, um nicht über das Volk hinweg die Verfassung ändern zu können. Der Begriff "Demokratie" entstand im antiken Griechenland und setzt sich aus den griechischen Wörtern "demos" (Volk) und "kratos" (Herrschaft) zusammen. Die sogenannte Volksherrschaft wurde im 5. Jh. v. ehr. als politisches System in den griechischen Stadtstaaten (gr. Polis) geprägt, in dem es sich als Alternative zum vorherrschenden System der Aristokratie entwickelte. Das Demokratieverständnis im klassischen Griechenland gewährte den Bürgerstatus mit dem Recht auf Teilnahme in Politik und bürgerlichem Leben jedoch nur einer elitären Gruppe von freien Männern, die sich im Sinne einer direkten Demokratie am Marktplatz ihrer Polis versammelten, sich berieten und die nötigen Beschlüsse fassten. Frauen, Sklaven und Männer der sozialen Unterschicht waren weiter ausgeschlossen. Dies änderte sich erst mehr als 2000 Jahre später, Ende des 19. und Anfang des 20. Jh., als sich in Europa und den USA Bewegungen für das allgemeine Wahlrecht formierten, die sich für die Teilnahme am politischen Prozess aller Bürgerinnen einsetzten. Als wichtige Grundsätze der Demokratie seien etwa die Bürgerbeteiligung mittels freien Wahlrechts und direkter Mitbestimmung, die Gewährleistung der Presse- und Rundfunkfreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Mehrheitsentscheidung genannt, wobei das Verbot über Minderheiten abzustimmen, gerade im Hinblick auf Gesetze über den Schutz von Minderheiten, zu berücksichtigen ist.

Alternativen Herrschaftssysteme neben der Demokratie Im Wandel der Zeit missbrauchten nicht selten verschiedene Diktatoren und Demagogen die Herrschaftsform der Demokratie, um ihre politische Macht nach innen zu legitimieren und nach außen zu rechtfertigen, weshalb im Folgenden die alternativen Herrschaftssysteme kurz vorgestellt werden. Von der bereits genannten Aristokratie, deren wörtliche Übersetzung die "Herrschaft der Besten" heißt und dennoch nur von den Adeligen vertreten wurde bzw im britischen Oberhaus immer noch vertreten wird, unterscheidet man die Oligarchie, die mit "Herrschaft von Wenigen" übersetzt wird und bei der eine kleine Gruppe in einer Weise herrscht, dass niemand anderer Macht erlangen kann. Unter Monarchie versteht man die erbliche Herrschaft eines bzw einer Einzelnen als König/Königin oder Kaiser/Kaiserin, wobei heute die absolute Monarchie (zB Saudi Arabien), in der alle Macht vom König ausgeht, von den in Europa existierenden konstitutionellen (zB Monaco) und parlamentarischen Monarchien (zB Spanien) zu unterscheiden ist. Im Gegensatz dazu bedeutet Diktatur die Herrschaft einer Person, die in der Regel durch Ausrufung eines Staatsnotstandes das Militär (sog. Militärdiktatur) zu seinen Zwecken 2

benutzt und dadurch mit Gewalt die Macht an sich gerissen hat. Es gibt zwei Arten von Diktaturen: die totalitäre und die autoritäre Diktatur. In diesem Zusammenhang sei der Verfassungskreislauf des griechischen Gelehrten Polybios (gest. 120 v. Chr.) bildlich dargestellt, wonach die Herrschaftsformen zum einen nach der Anzahl der Herrschenden und zum anderen nach dem Einverständnis des Volkes klassifiziert wird. Durch die Gefahr des moralischen Verfalls, wie etwa Habsucht, Herrschsucht und Ungerechtigkeit, können nach Ciceros Auffassung alle guten Herrschaftsformen jederzeit in schlechte Herrschaften verfallen.

Die politische Partizipation des Volkes Demokratie

mittels direkter und

indirekter

Obwohl die Geschichte des Wahlrechts in Österreich auf das Jahr 1848 zurückgeht, wurde erst 1907 das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht und 1918 das allgemeine und gleiche Frauenwahlrecht eingeführt, nachdem die Monarchie im Ersten Weltkrieg zusammenbrach und man kurz darauf die Erste Republik ausrief. Damit die Herrschaft tatsächlich vom Volk ausgehen kann, bedarf es eines aktiven Wahlrechts, das jedemIr österreichischen Bürgerln das gleiche Recht in Bezug auf die aktive Teilnahme am politischen Prozess im Sinne der repräsentativen Interessenvertretung gestattet, und eines passiven Wahlrechts, das jedemIr Bürgerln ermöglicht, sich ab dem 18. Lebensjahr wählen zu lassen. Eingeschränkt wird das aktive Wahlrecht in Österreich einerseits durch die Festlegung des Wahlalters mit Vollendung des 16. Lebensjahres und andererseits durch bestimmte gerichtliche Verurteilungen. Voraussetzung für eine rechtmäßig anzuerkennende Wahl ist die Einhaltung der Wahlgrundsätze, die in Österreich wie folgt ausgestaltet sind: 1.) Allgemeines Wahlrecht: alle österreichischen Staatsbürgerinnen haben nach Erreichung des Wahlalters grundsätzlich das aktive und passive Wahlrecht; 2.) Gleiches Wahlrecht: jede Stimme zählt gleich viel; 3.) Freies Wahlrecht: die Stimmabgabe muss frei von Zwang geschehen; 4.) Geheimes Wahlrecht: zum Schutz der Wahlfreiheit darf die Stimmabgabe für niemanden erkennbar sein, weshalb etwa Wahlzellen, -urnen oder -kuverts zur Verfügung stehen; 5.) Persönliches Wahlrecht: niemand kann sich bei der Wahl vertreten lassen, es sei denn, eine starke Behinderung liegt vor; 6.) Unmittelbares Wahlrecht: die Wahl von Repräsentanten erfolgt direkt, etwa mit der Vergabe einer Vorzugsstimme, und nicht über Wahlmänner wie in den USA; Während auf Bundes- und Landesebene nur österreich ische Staatsbürgerinnen das Wahlrecht besitzen, können auf Gemeindeebene auch Bürgerinnen aus der Europäischen Union zur Wahl gehen und eine wahlwerbende Partei wählen, die letztlich ihre Interessen im Rathaus bzw im Gemeindeamt vertritt. Neben der Wahl von Repräsentanten als indirekte Demokratie bestehen in Österreich auch drei Formen der direkten Demokratie, wobei das Volk unmittelbar und direkt mitbestimmt: Volksabstimmung, Volksbefragung und Volkbegehren. Allerdings ist lediglich die Volksabstimmung tatsächlich auch für das 3

Parlament bindend. Sie ist zwingend durchzuführen wenn es zu einer Änderung der Verfassungsprinzipien kommt, womit das Volk eine kontrollierende politische Machtstellung einnimmt.

Die demokratischen Verfassungsprinzipien Österreichs Artikel 1 der österreichischen Bundesverfassung (B-VG) schreibt fest, dass Österreich eine demokratische Republik ist, in der das Recht vom Volk ausgeht. Alleine der Umstand, dass in einer Verfassung auf die Demokratie hingewiesen wird, kann als Kriterium für einen demokratischen Staat nicht gelten. Diesbezüglich werden anhand der fünf Grundprinzipien der österr. Verfassung in aller Kürze die weiteren Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie dargestellt: 1.) Demokratisches Prinzip: es legt einerseits die politische Freiheit der Bürgerinnen, am politischen Prozess teilzunehmen, fest und nimmt andererseits die staatlichen Organe für ihr Handeln in die Verantwortung, weshalb es gesetzlich geregelte Verfahren benötigt, die von Bürgerinnen und Institutionen gleichermaßen einzuhalten sind. 2.) Republikanisches Prinzip: es bestimmt, dass das Staatsoberhaupt der/die Präsidentin ist; die Amtszeit beträgt maximal zwölf Jahre; die Bezeichnung Republik (Iat. "res publica") meint die staatliche Verpflichtung der "gemeinsamen Sache" im Sinne des Gemeinwohls gegenüber dem Volk; 3.) Rechtstaatliches Prinzip: im Verhältnis des einzelnen Menschen zum Staat soll anstelle von Herrschaft durch Machtdemonstration, Willkür und Gewalt die verbindliche Kraft des Rechts treten, weshalb die Macht des Staates begrenzt wird. "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grundlage der Gesetze ausgeübt werden." (Artikel 18 B-VG); 4.) Gewaltenteilendes Prinzip: die Trennung von Gesetzgebung (Legislative), Verwaltung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) soll gegenseitige Kontrolle ermöglichen, Machtmissbrauch verhindern und die Freiheiten aller sichern; 5.) Bundesstaatliches Prinzip: Österreich besteht aus neun Bundesländer, die über den Bundesrat an der Gesetzgebung für den gesamten Bund mitwirken und zum Teil ihre eigenen Kompetenzen in der Gesetzgebung und in der Verwaltung haben; Diese Prinzipien können ohne Einbindung des Volkes nicht abgeändert, sondern lediglich im Sinne der Meinungsfreiheit im gesellschaftlichen Diskurs oder auf parteipolitischer Ebene in Zweifel gezogen werden. Gerade über das Verhältnis von Islam und Demokratie wird viel gesprochen, weil Menschen aufgrund der unterschiedlichsten Informationen, die sie erhalten, noch mehr Fragen haben und Muslime vermehrt verunsichert werden. In einer Demokratie sind alle Meinungen erlaubt, sofern sie nicht die nationale und öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral, etc. (Artikel 10 EMRK) gefährden und dadurch zu beschränken sind. Durchaus gibt es marginale islampolitische Gruppierungen, die das demokratische Herrschaftsmodell ablehnen, weshalb es umso wichtiger ist, im Folgenden das islamische Herrschaftsverständnis in Grundzügen darzustellen.

Die Entwicklung eines politischen Systems im Islam Wertebezogene Grundsätze als politische Theorie Die Entwicklung der Demokratie in Ländern mit muslimischen Mehrheitsgesellschaften folgt einem ähnlichen Zeitrahmen wie in westlichen Ländern. Einige der Werte und Prinzipien, die das heutige demokratiepolitische System prägen, spielten bereits vor dem 20. Jh. eine 4

zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben und im Verhalten vieler Muslime rund um die Welt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie durch den Propheten Muhammad vorbildlich vorgelebt wurden und man sie darüber hinaus auch dem Qur'an entnehmen kann. Eine exakte und einheitlidle Ausgestaltung einer politischen Theorie findet sich weder im Qur'an noch in der Sunna. Aus diesen beiden Primärrechtsquellen lassen sich jedoch bestimmte Werte und Prinzipien, wie das Prinzip der Gerechtigkeit des Herrschers, die gegenseitige Konsultation, die Chancengleichheit und die Gleichberechtigung, die aktive Teilnahme am politischen Prozess, das kritische Denken und die Bildung finden, die im anschließenden Teil "Demokratie als Teil eines Wertesystems im Islam" ausführlicher behande~ werden. Muslime sind seit jeher aus den Grundprinzipien der islamischen Lehre angeha~en, alle Menschen in gleicher Weise zu respektieren und allen Menschen die gleichen Rechte für ihre individuelle Lebensgestaltung innerhalb des gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmens zu ermöglichen. Dasselbe gilt für jene Leute, die sich entschieden haben, am politischen Prozess der Entscheidungsfindung im Sinne der gegenseitigen Konsultation und an der Entscheidungsbildung im Sinne der Beschlussfassung teilzunehmen. So ist der Anschluss an politische Parteien, das Festhalten an politischen Positionen und letztlich die Stimmabgabe von besonderer Bedeutung, da den Bürgerinnen der politische Einfluss zur Schaffung von Gesetzen garantiert wird, um die staatliche und gesellschaftliche Struktur zu regeln. Die Etablierung des Islam brachte somit im 7. Jh. n. Chr. die ersten demokratischen Spuren in der Tradition des Propheten mit sich.

Die Führung der islamischen Gemeinde durch den Propheten Der Islam war in seiner Entstehung eingebettet in die Stammesgesellschaften Arabiens, in denen vor allem anarchische und separatistische Tendenzen vorherrschten. Der Prophet wusste damals genau, dass es illusorisch gewesen wäre, diese Gesellschaften durch eine völlig neue Gesellschaft zu ersetzen, weshalb er stattdessen die Föderation der arabischen Clans und Stämme anstrebte. Innerhalb kürzester Zeit gelang es Muhammad aufgrund der mehr oder weniger freiwilligen Assoziierungen mit den verschiedenen Beduinenstämmen, das in Medina begonnene islamische Staatswesen auf ganz West- und Zentralarabien auszuweiten. Oberhaupt war der Prophet als "Gottes Gesandter". Um sich seiner Anhängerschaft sicher sein zu können, gebrauchte er für das Vertrauensversprechen der ersten Muslime ein vorislamisches Stammesritual, das als Treueschwur (arab. al Bai'a) und somit als Versprechen der Gefolgschaft und Loyalität gegenüber einemIr Anführerln zu verstehen ist. Dieses Ritual wiederholte der Prophet zu bestimmten Anlässen, wie etwa bei den beiden Agaba-Versprechen. Das erste Versprechen galt als zeremonielles Glaubensgelübde und in der Folge als mündliches Versprechen den grundsätzlichen Vorschriften des Islam, wie der Glaube an die Einheit und Einzigkeit Gottes (arab. Tauhid), das Gebot gute Taten zu vollbringen, das Verbot zu stehlen, Unzucht zu begehen, Kinder zu töten oder sich gegenseitig zu verleumden. Dieser Treueschwur (siehe Qur'an 60:12) wird "bai'at al nisa'" (Treueeid der Frauen) genannt, weil zur Zeit der Eroberung Mekkas der Prophet den Frauen einen ähnlichen Eid abgenommen hat. Ein Jahr später im Jahr 622 hat der Prophet an derselben Stelle weiteren Muslimen den Treueschwur abgenommen, in welchem die Muslime dem Propheten versprachen, ihn mit ihren Leben zu verteidigen, wenn es notwendig sein sollte. Hinzu kommt der gottgefallene Treueeid an den Propheten, der auch im Qur'an 48:18 verankert ist. Der Prophet hat sich selbst mit vorislamischen Ritualen und strenger Prinzipien zur Machtausübung beholfen und ein vorbildliches Leben als Bürger und Führer gelebt, aber er hat kein bestimmtes politisches System hinterlassen, weshalb schon kurz nach seinem Tod etliche Streitigkeiten und Konflikte begannen. 5

Herrschaftstradition nach dem Tod des Propheten Nach dem Tod des Propheten im Jahr 632 begannen die ersten Streitigkeiten um die Nachfolge, aus welchem Grund sich die Anhänger nach nächtlicher Debatte darauf einigten, dass ein Stellvertreter gewählt werden müsste. Daraufhin wurde von einer größeren Gruppe der erste Khalif Abu Bakr gewählt, der jedoch vielmehr deshalb gewählt worden sein dürfte, weil er von Muhammad noch zu Lebzeiten zum Führer seiner Abschiedswallfahrt gemacht und er auch zum Vorbeter (arab. Imam) während seiner Todeskrankheit bestimmt wurde. Nur zwei Jahre im Amt, bestimmte Abu Bakr vor seinem Tod im Jahr 634 den zweiten Khalifen Umar ibn al Khattab. Auf ihn folgte Uthman Ibn Affan und auf ihn dann Ali Ibn Abi Talib. Noch heute wird darüber gestritten, ob die Wahl richtig war. Während bei den Sunniten der erste Führer im Sinne der islamischen Gemeinde Abu Bakr war, war bei den Schiiten der erste Führer Imam Ali Ibn Abi Talib, weil nach ihrer Sicht der Prophet in Ghadir Chum Ali zum Nachfolger bestimmte. Die Mehrheit der ersten muslimischen Führer machten sich das Ritual des Treueschwurs zu Nutzen und legitimierten auf der Grundlage der Bai'a ihre Herrschaft, um das Volk durch Vertrag zur Loyalität zu bewegen und um Herauszufinden, wer die Führung nicht anerkannte. Wem dieser Führungsanspruch zugesprochen wurde, der hatte eine gewisse Verantwortung gegenüber dem Volk zu tragen. Konnte ein Anführer dieser Verantwortung nicht gerecht werden, wurde ihm der Führungsanspruch aberkannt. Heute wird dieses Ritual nicht mehr praktiziert. Nichtsdestotrotz könnte ein Treueschwur heute nicht einfach persönlich von den einzelnen Bürgern eines Staates abgenommen werden. Und dennoch liegt speziell hierin eine gewisse Grundlage zur Begründung einer notwendigerweise durchzuführenden Wahl im Sinne der Zustimmung oder Ablehnung bestimmter Oberhäupter aus islamischer Perspektive.

Demokratie als Teil eines Wertesystems im Islam Im Folgenden werden keine Verfassungsbestimmungen einzelner islamisch geprägter Staaten aufgezählt, sondern es wird anhand einer groben Gliederung ein Konstrukt in sich schlüssiger Themengebiete vorgestellt, das die Vorstellungen von Muslimen und Musliminnen von Gemeinschaft und Gesellschaft, vom guten Leben und von guter Regierungsführung wiederspiegelt. Jeder einzelne Punkt entspricht einer Notwendigkeit zur Etablierung eines demokratischen Systems und findet sich im islamischen Wertesystem wieder, auch wenn die Realität heute in vielen rruslimischen Ländern anders aussieht.

Gerechtigkeit und Verantwortung als oberstes Prinzip Eine verantwortungsvolle Regierung kümmert sich nicht nur um seine Bürgerinnen und deren Wohlbefinden, sie fordert auch, dass sie ihren Pflichten nachkommen und die Rechte anderer respektieren. Der Islam verlangt von Muslimen ähnlich der "Goldenen Regel", dass sie ihre Mitmenschen in einer Weise behandeln, wie sie selbst erwarten behandelt zu werden, und dass ihre Rechte und die Rechte anderer gewährleistet werden. Die Ziele liegen demnach in der Erhaltung des gerechten und fairen Umgangs unter den Menschen. Der folgende Vers betont zusätzlich die Bedeutung der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Frömmigkeit: "0 ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Seid immer standhaft in eurer Hingabe an Gott, Zeugnis gebend für die Wahrheit in aller Gerechtigkeit; und lasst niemals Hass auf irgendeinen euch in die Sünde führen, von der Gerechtigkeit abzuweichen. Seid 6

gerecht: dies ist dem am nächsten, gottesbewusst zu sein. Und bleibt euch Gottes bewusst: wahrlich, Gott ist all dessen gewahr, was ihr tut." (Qur'an 5:8)

Wie daraus deutlich erkennbar ist, ist für Muslime der zwischenmenschliche Umgang von gerechtem Handeln geprägt, unabhängig davon, ob Unterschiede zwischen ihnen bestehen. Die Wahrung der Gerechtigkeit gilt als eine moralische Verantwortung, die nicht nur innerhalb der Gemeinschaft sondern vor allem auch vom Staat gegenüber seinen Bürgerinnen zur Durchsetzung beanspruchter Rechte einzuhalten ist ,,0 ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Seid immer standhaft im Wahren der Gerechtigkeit, Zeugnis gebend von der Wahrheit um Gottes Willen, selbst wenn es gegen euch selbst oder eure Eltem und Verwandten sei. Ob die betreffende Person reich oder arm sei, Gottes Anspruch hat Vorrang gegenüber (den AnsplÜchen von) einem jeden von ihnen. Folgt denn nicht euren eigenen Wünschen, damit ihr nicht von der Gerechtigkeit abweicht: denn wenn ihr (die Wahrheit) entstellt oder zu bezeugen verweigert, siehe, Gott ist all dessen gewahr, was ihr tut" (Qur'an 4:135) "Wahrlich, die von Gott am meisten geliebten Menschen am Jüngsten Tag und die Ihm am Nahesten sind, sind die gerechten Anführer. Die von Gott meist gehassten Menschen und die Ihm am Entferntesten sind, sind die tyrannischen Anführer." (AI Tirmidhi, Jami' AI Tirmidhi, 15, 1329)

Der folgende Hadith spezifiziert die Arten und Ebenen der Verantwortlichkeiten, die Muslime für alle Menschen zu tragen haben, inklusive jener Menschen, die einem nah sind, wie Verwandte, Freunde oder Feinde, etc.: Imam Ali sagte: "Für deinen Bruder, biete ihm dein Blut und dein Vermögen; für deinen Feind deine Gerechtigkeft und Anständigkeit, und generell für die anderen Menschen deine Freude und dein Wohlgefallen" (AI Madschlisi, Bihar al Anwar, 78, §Q)

Im folgenden Hadith wird das Ausmaß der Sorgfalt und Verantwortung, die Muslime für andere aufbringen, mit dem eines Hirten verglichen: Abdullah ibn Umar berichtete, dass der Prophet sagte: "Jeder von euch ist ein Hirte und jeder von euch ist für seine Herde und für die Bedürftigen verantwortlich." (AI Tirmidhi, Jami' AI Tirmidhi, 23, 1709)

Ein Hirte kümmert sich um seine Herde und ist für das Wohlbefinden der gesamten Herde verantwortlich. Wird er dieser Verantwortung nicht gerecht, verliert er den Zugang zur Milch, zur Wolle, zur Haut und zum Fleisch der Herde. Diese metaphorische Darstellung der integral verbundenen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Bürgerinnen in demokratischen Gesellschaften zeigt, dass Muslime im Umgang mit anderen Menschen ihrer Verpflichtung, Verantwortung zu tragen, nachkommen müssen. Wenn ein Muslim an der Verantwortung scheitert, die Rechte der anderen zu respektieren und für ihr Wohlbefinden zu sorgen, dann gibt er auch sein Recht auf, dasselbe von anderen zu erwarten.

Die Einhaltung von Recht und Ordnung Loyale, aufrichtige und gute Staatsbürgerinnen halten die Gesetze ein und versuchen Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Islam fordert daher Muslime auf, gesetzes- und vertragstreue Bürgerinnen in den Ländern zu sein, in denen sie leben. Das schließt zuvorderst das vernunftgesteuerte Verhalten mit ein, um die guten von den schlechten Taten zu erkennen, wie dies etwa aus Qur'an 16:90 hervorgeht:

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"Siehe, Gott gebietet Gerechtigkeit und das Tun des Guten und Großzügigkeit gegenüber (den) Mitmenschen; (und) Er verbietet alles, was der Vernunft zuwiderläuft, wie auch Neid; und Er ermahnt euch (wiederhoIQ, auf dass ihr (all dies) im Gedächtnis behalten möget. "

Die Priorität des Gebrauchs der Vernunft wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die im Qur'an verpflichtenden und empfohlenen Handlungen einzuhalten sind und von jenen Handlungen unterschieden werden können, die der Glaubensfreiheit zuwiderlaufen. Die nächste Überlieferung erinnert Muslime, nicht nur die Richtlinien einzuhalten, die der Qur'an vorschreibt, sondern auch die positiven und negativen Einflüsse ihrer eigenen Handlungen zu berücksichtigen: "Liebe die Menschen wie du dich selbst liebst. Schämst du dich nicht zu sehen, dass dein Nachbar deine Rechte respektiert, du aber seine Rechte weder anerkennst noch respektierst?" (AI-Kulavni, AI Kari. 10. 63§)

In einer demokratischen Gesellschaft sind Gesetze niedergeschrieben, um den Frieden und die Sicherheit zu erhalten und um die Rechte der anderen zu schützen. In gleicher Weise schreibt der Qur'an den Menschen vor, gerecht und großzügig zu sein, das Richtige zu tun und seinen Mitmenschen zu helfen und ihre Rechte zu respektieren, weil dies ein Weg ist, der über freundschaftliche Beziehungen zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und zur Sicherung eines friedlichen Miteinanda-s führt.

Das Treffen fundierter Entscheidungen und verantwortungsvolles Handeln Die Bürgerinnen versuchen die in den unterschiedlichsten Situationen existierenden Risiken zu erkennen und zu verstehen, und wie man sich in diesen Situationen beim Treffen von Entscheidungen verantwortungsvoll verhält. Demzufolge wird von Muslimen erwartet, dass sie sich über die Situationen, denen sie in ihrem täglichen Leben begegnen, vollkommen bewusst sind und wissen, wie man in der jeweiligen Situation angemessen handelt. Damit diese Ansprüche erfüllt werden können, ist vor dem Fällen der Entscheidung, vor dem Aussprechen des Urteils oder vor der Umsetzung der Handlung einerseits eine umfassende Informationsbeschaffung und die Füllung von Wissenslücken sowie andererseits die Berücksichtigung jedweder Konsequenzen unumgänglich. Eine solche Einstellung geht unmittelbar mit dem noch zu behandelnden Streben nach Wissen im Sinne der Erforschung der Wahrheit einher. ,,[. . .] Sag: Können diejenigen, die wissen, und diejenigen, die nicht wissen, für gleich erachtet werden? Aber nur diejenigen, die mit Einsicht versehen sind, bedenken dies!" (Qur'an 39:8-9) "Streben nach Wissen und lebenslanges Lernen ist eine Pflicht für Muslime." (Ibn Madscha, Muqaddima, 17)

Dieser Vers und dieser Hadith ermutigen Muslime Wissen zu erwerben und alles zu untersuchen, was um sie herum ist. Es erklärt, dass jene, die durch das Lesen, Forschen, Erkunden und durch das Suchen und letztlich sorgfältige Verstehen der gefundenen Fakten bessere Menschen sind und von Gott bevorzugt werden. Wie wichtig es ist, beim Generieren neuer Erkenntnisse und vor der Entscheidungsfindung gewissenhaft das erworbene Differenzierungsvermögen zu verwenden, zeigt der nachstehende Vers. Denn dieser weist darauf hin, dass man Menschen begegnen wird, die bewusst oder unbewusst ihr potentiell schädliches (Un)Wissen und ihre Ideen verbreiten bzw weitergeben. Der Erwerb von Informationen aus unzuverlässigen Quellen ist zur eigenen Sicherheit und zum Schutz der anderen unbedingt zu verhindern. 8

,,0 ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Wenn irgendeine ungerechte Person mit einer (verleumderischen) Nachricht zu euch kommt, gebraucht eure Unterscheidungsfähig­ keit, das ihr nicht unwissentlich Leute verletzt und danach mit Reue erfüllt seid über das, was ihr getan habt. " (Qur'an 49:6) Der Qur'an weist die Muslime also an, vor dem Treffen von Schlussfolgerungen alle Informa­ tionen vollständig zu untersuchen, damit man nicht in die Falle tappt und ohne Garantie einer seriösen Quelle an jeden Beweis glaubt. Muslime sollten im Falle der Ungewissheit und Unsicherheit immer (hinter)'fragen, wie dies etwa der folgende Hadith betont: "Das Heilmittel für Unwissenheit ist zu fragen." (Abu Dawud. Sunan Abu Dawud. 1. 336)

Um fundierte Entscheidungen treffen zu können bedarf es notwendigerweise eines Wissens, dessen Quellen vertrauenswürdig sind. Anhand der Kenntnis der Quelle bestimmt sich gleichwohl die Genauigkeit dieser Information. Von Muslimen und generell Bürgerinnen einer demokratischen Gesellschaft wird verlangt, gut von böse unterscheiden zu können und aufgrund der Neugier und des Strebens nach Wissen, fundierte Entscheidungen zu treffen und verantwortungsvoll zu handeln.

Das Streben nach Wissen Ein weiteres islamisches Prinzip, das vorhin bereits angeschnitten wurde und für alle Muslime von größter Bedeutung ist, ist das Streben nach Wissen: Derjenigen, der den Weg der Erkenntnis verfolgt, wird von Gott einen einfachen Weg ins Paradies vorfinden. [. . .] (Muslim, Sahih Muslim, 48. 2699a) Darüber hinaus soll der folgende Qur'anvers verdeutlichen, dass sich Muslime bei Unwissenheit stets daran erinnern sollen, die Quelle ihrer Erkenntnisse gründlich auf ihre Stichhaltigkeit und Sorgfältigkeit zu wählen. Denn (selbst) vor deiner Zeit (0 Muhammad), sandten Wir niemals (als Unsere Gesandten) irgendwelche außer (sterbliche) Männer, denen Wir eingaben - darum (sag den Leugnem der Wahrheit): Wenn ihr dies nicht wisst, fragt die Anhänger früherer Offenbarung [. . .]. (Qur'an 21:7) Dadurch sind Muslime stets angehalten, bei Unwissenheit sach- und fachkundige Personen zu fragen, um ihrer Unkenntnis und ihrer Ahnungslosigkeit entgegenzutreten. Die Sorge um die Richtigkeit des gesammelten Wissens und um die Vertrauenswürdigkeit der Quelle wird in dieser Überlieferung explizit ausgedrückt: Imam AI Sadiq sagte: "Kümmere dich um dein Wissen und sei vorsichtig, von wem du es erhältst." (AI Madschlisi, Bihar al Anwar, 2. 92) Hinsichtlich der Wissbegierde nennt der Qur'an ein paar Themen, um das Interesse der Menschen etwa in Bezug auf die Merkmale von Objekten, ihrer Umgebung, Herkunft und Funktionsweise zu wecken. "Schauen sie (welche die Auferstehung leugnen) denn niemals auf die wasserträchtigen Wolken (und beobachten nicht) wie sie erschaffen sind? Und auch den Himmel, wie er hoch erhoben ist? Und auf die Berge, wie fest sie aufgerichtet sind? Und auf die Erde, wie sie ausgebreitet ist?" (Qur'an 88:17-20)

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Um Wissen von klein auf zu erlangen, herrscht in europäischen und muslimischen Ländern heute Schulpflicht, denn gerade die Schule ist der ideale Ort, die vielfältigen Fähigkeiten von Kindern zu fördern und weiterzuentwickeln, um eine vernünftig denkende, kritisch hinterfragende und mit Urteilsvermögen ausgestattete Gesellschaft zu etablieren. Nur mit diesen Fähigkeiten können proaktive und wohltätige Mitglieder eine Gesellschaft formen. Im Sinne eines dynamischen Prozesses ist für Muslime auch die kritische Hinterfragung der elterlichen Kenntnisse von Bedeutung, um die eigenen Traditionen immer wieder neu zu denken. Verdeutlicht wird dies mit der Botschaft an jene, die nicht begreifen wollen: Und wenn man zu ihnen sagt: "Kommt her zu dem, was Allah (als Offenbarung) herabgesandt hat, und zum Gesandten", sagen sie: "Unsere Genüge ist das, worin wir unsere Väter (vor)gefunden haben." Was denn, auch wenn ihre Väter nichts begriffen und nicht rechtgeleitet waren? (Qur'an 5:104) Die Fähigkeit liegt demzufolge in der Erkenntnis, welche Handlungen nützlich und zu befürworten sind und welche Handlungen schädlich und deshalb abzulehnen sind. Dafür ist neben dem Elternhaus die Schule der richtige Ort, an dem zusätzlich zum Wissenserwerb der Dialog gefördert, zwischenmenschliche Beziehungen gestärkt und der Aufbau neuer Beziehungen ermöglicht wird.

Die Förderung des Dialogs und der Aufbau von Beziehungen Zwei weitere Bereiche, die für Muslime im Bereich des Demokratieverständnisses eine wesentliche Rolle spielen, sind die Förderung des produktiven Dialogs und der Aufbau gesunder zwischenmenschlicher Beziehungen. In beiden Fällen sind die Grundvoraus­ setzungen das Zuhören und das Verstehen wollen, damit man in Beziehungen zu anderen zu einem gemeinsamen Verständnis gelangt. Muslime sind angehalten, fruchtbare und freundliche Dialoge mit anderen zu führen und bedeutungsvolle Beziehungen mit anderen aufzubauen, inklusive mit jenen Menschen, die nicht denselben Glauben oder Hintergrund haben als sie selbst. Dies drückt sich auch im Qur'an wie folgt aus: ,,[. ..] und ihr sollt Gutes tun euren Eltem und euren Verwandten und den Waisen und den Armen; und ihr sollt zu allen Leuten auf gütige Weise sprechen; und ihr sollt beständig das Gebet verrichten; und ihr sollt ausgeben aus Mildtätigkeit. [. . (Qur'an 2:83)

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Dieser Vers ruft alle Muslime auf, Freundlichkeit bzw Liebenswürdigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen walten zu lassen. Die Wichtigkeit dieser Aufforderung lässt sich daran erkennen, dass sie in einem Atemzug mit dem Gebet und der Wohltätigkeit genannt wird. "Aber schmäht nicht jene (Wesen), die sie anstelle Gottes anrufen, damit sie nicht Gott schmähen aus Gehässigkeit und in Unwissenheit: denn wir haben jeder Gemeinschaft ihr eigenes Tun fürwahr gefällig erscheinen lassen. [. . (Qur'an 6:108)

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Dieser Vers erinnert Muslime, dass sie nicht kritisieren sollen, was anderen Leute wichtig ist oder was sie verehren, denn dieses Verhalten kann wieder auf Muslime zurückfallen und sie selbst treffen. Gottgefallen bedeutet auch Akzeptanz und Respekt gegenüber Andersgläubigen, immerhin hat Gott all die verschiedenen Gesellschaften und Gemeinschaften samt ihren Werten und Vorstellungen erschaffen. Der nachfolgende Hadith verbreitet die Idee zur Förderung des Dialogs und des einander Verstehens, wozu die Eigenschaften Güte und Geduld im Umgang mit anderen Menschen bedeutend sind:

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"Man kann die Vollkommenheit des islamischen Glaubens aufgrund der Tatsache erkennen, dass darauf verzichtet wird, unnötig zu reden oder gar zu streiten, und anstatt dessen geduldig und gLimütig ist." (Tabarsi, Mishkat ul Anwar, 1294)

Freundlidlkeit oder Stille sind zwei Optionen, die Muslime in Interaktion mit anderen Menschen einhalten sollen, wie aus der folgenden Überlieferung ersichtlich ist "Wer auch immer an Gott und den Jüngsten Tag glaubt, spricht freundlich oder bleibt still" (AI Bukhari, Sahih Bukhari, 18, 1511)

Muslime sind aufgefordert, Dialog zu erleichtern anstelle Dialoge zu behindern. Dieser Ansatz ermöglicht es ihnen, gesunde und nutzbringende Beziehungen aufzubauen und eigene Vorurteile abzubauen, ob auf zwischenmenschlicher Ebene oder auf der Ebene zwischen Bürgerinnen und Staat.

Gegenseitige Konsultation und gemeinschaftliche Entscheidungsfindung Demokratische Systeme fordern von ihren Bürgerinnen die Mitwirkung und die gegenseitige Beratung bei der Entscheidungsfindung, die nur in enger Zusammenarbeit unter Einbeziehung einander akzeptierender Meinungen, Vorschläge und Perspektiven sowie im Einverständnis gemeinsam gefundener Kompromisse gelingen kann. Sofern eine gemeinsame Entscheidung nicht gefunden werden kann, sind trotzdem die gegenteiligen Vorstellungen und die Meinungsverschiedenheiten hinzunehmen und zu tolerieren. So haben sich auch im Islam die Muslime um den Dialog mit den anderen, in weiterer Folge um die Beratung und schließlich um Kompromisse zu bemühen, damit eine befriedigende Lösung für alle erreicht werden kann. Der folgende Vers bietet dementsprechend eine islamische Perspektive zur Konsultation und Entscheidungsfindung: "Und es war durch Gottes Gnade, dass du (0 Prophet) sanft mit deinen Anhängem umgegangen bist: denn wenn du schroff und hartherzig gewesen wärest, hätten sie sich fürwahr von dir getrennt. Verzeihe ihnen denn und bete, dass ihnen vergeben werde. Und berate dich mit ihnen in allen Angelegenheiten von öffentlichem Interesse; dann, wenn du über eine Handlungsweise entschieden hast, setze dein Vertrauen auf Gott: denn, wahrlich, Gott liebt jene, die ihr Vertrauen auf Ihn setzen." (Qur'an 3:159)

Dieser Vers empfiehlt den Muslimen sanftmütig und behutsam zu sein und nach Ratschlägen zu suchen, unabhängig davon, ob sie gegenteiliger Meinung sind. Der nachstehende Vers richtet sich noch direkter an Muslime Konsultationen vorzunehmen: "Und (gedenkt, dass) was immer euch (nun) gegeben wird, nur für den (vorübergehenden) Genuss des Lebens in dieser Welt ist - während das, was bei Gott ist, viel besser und dauerhafter ist.· (Gegeben werden wird es) allen, die Glauben erlangen und auf ihren Erhalter ihr Vertrauen setzen; und die die grässlicheren Sünden und Abscheulichkeiten meiden; und die, immer, wenn sie zum Ärger bewegt werden, bereitwillig vergeben; und die (dem Ruf von) ihrem Erhalter antworten und beständig das Gebet verrichten; und deren Regel (in allen Angelegenheiten von allgemeinem Interesse) Beratung untereinander ist; und die für andere von dem ausgeben, was Wir ihnen als Versorgung bereiten; und die, wann immer sie Tyrannei heimsucht, sich verteidigen. Aber (gedenk, dass ein Versuch,) Übel zu vergelten, auch ein Übel werden mag: darum, wer immer (seinem Feind) verzeiht und Frieden macht, dessen Lohn liegt bei Gott - denn, wahrlich, Er liebt nicht Übeltäter. " (Qur'an 42:36-40)

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In Qur'an 42:38 'findet sich das arabische Wort "Schura", dessen Übersetzung mit "der Beratung in allen Angelegenheit von allgemeinem Interesse", aber vor allem dessen Sinn eine klare Absage an Despotismus ist. Das verlangt jedenfalls eine Beratung zu einzelnen Meinungen von Menschen mit Kenntnissen, wobei allen Bürgerinnen ein gleiches Recht einzuräumen ist, ihre Gedanken, Vorschläge und Ideen vorzubringen. Die gegenseitige Konsultation und die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung ist im Islam die empfohlene Art und Weise, wie man etwa in der Familie, in der Schule, in den Gemeinschaften und Gesellschaften, aber auch in der Regierung mit allfälligen problematischen oder ungelösten Situationen umgehen soll. Es wird von Muslimen verlangt, sich aktiv zum Wohle der Gemeinschaft zu beteiligen, ob auf lokaler, nationaler über internationaler Ebene, auf jeden Fall im Sinne der Menschlichkeit.

Die aktive Bürgerschaft In demokratischen Gesellschaften ist es eine Pflicht der Bürgerinnen, am politischen Prozess teilzunehmen, sei es in der Schule, auf der Universität, in der Arbeit, bei lokalen, regionalen oder nationalen Wahlen oder bei der gegenwärtigen Wahrnehmung bzw beim Engagement globaler Probleme. In ähnlicher Weise wird erwartet, dass Muslime die Einheit untereinander und innerhalb anderer Gemeinschaften fördern, zum Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft beitragen und sich auf internationaler Ebene für das Wohl der Menschen einsetzen. Der anschließende Qur'anvers verdeutlicht dies im Sinne der Hilfeleistung, der Unterstützung des Allgemeinwohls und der Abwendung von Aggressionen: ,,[. . .] Und lasst niemals euren Hass auf Leute, die euch von dem Unverletzlichen Haus der Anbetung abhalten, euch in die Sünde der Aggression führen: sondern helft einander vielmehr bei der Förderung von Tugend und Gottesbewusstsein, und helft einander nicht bei der Förderung von Übel und Feindschaft; und bleibt euch Gottes bewusst: denn, siehe, Gott ist streng im Vergelten! (Qur'an 5:2) Gemäß dem obigen Vers wird von Muslimen angenommen, dass sie den Geboten Gottes folgen soweit sie können. Keinesfalls aber sollten sie Hass schüren oder gar Gewalt ausüben gegen jemanden, der sie davon abhält diese Anweisungen zu befolgen, weil dies den priorisierenden Geboten der Friedenserhaltung und des harmonischen Zusammenlebens widersprechen würde. Wem es schwerfällt Zurückhaltung zu üben, der möge dem nächsten Vers besondere Bedeutung schenken, denn die Veränderung täglicher Lebensumstände beginnt mit der Wandlung seines inneren Selbst. ,,[. . .] Wahrlich, Gott ändert nicht die Lage der Menschen, außer sie ändern ihr inneres Selbst; und wenn Gott will, dass Leute Übel erleiden (infolge ihrer eigenen üblen Taten), gibt es keinen, der es abwenden könnte: denn sie haben keinen, der sie vor Ihm schützen könnte." (Quran 13:11) Der Prophet erkannte diesbezüglich, dass eine praktische Annäherung nicht immer möglich sei, weshalb er mit dem folgenden Hadith zwei alternative Möglichkeiten aufzeigte, um mit solchen problematischen Situationen umzugehen, nämlich entweder sich dagegen auszusprechen oder, sofern dies unmöglich erscheint, es in seinem Herzen wahrzunehmen: Abu Sa 'id AI Khudri hörte den Propheten sagen: "Wer auch immer von euch eine böse Tat sieht, er sollte es verhindern mit seinen Händen. Kann er es nicht, dann sollte er es mit seiner Zunge verhindern. Kann er dies auch nicht, dann sollte er es mit seinem Herzen verhindern, denn das ist die schwächste Erscheinungsform des Glaubens." (Muslim, Sahih Muslim, 1, 79)

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Eine weitere Überlieferung bezeugt, dass Muslime nicht nur für andere Menschen Verantwortung tragen sollten, sondern für die gesamte Schöpfung Gottes, wie etwa für Tiere, Pflanzen und die Umwelt im Allgemeinen: AU Ibn Abi TaUb sagte: "Sei aufmerksam in der Pflichterfüllung Gottes mit Respekt zu Seinen Menschen als auch zu Seinen Plätzen, denn wahrlich wirst du verantwottlich sogar für die Plätze (die du betrittst) und für die Tiere sein. Gehorche Gott und missachte nicht seine Gebote!" (Nahdsch al Ba/aghah, Sermon, 167) Der Prophet sagte: "Alle Geschöpfe gehören zur Familie Gottes, und Gott liebt jene am meisten, die Seine Familie am besten und gütigsten behandelt. " (Ibn Madscha, AI Nikah, 9, 1977)

Aktive Bürgerschaft bedeutet des Weiteren, das einzuhalten, was man gesagt hat, wie aus Qur'an 61:2 ersichtlich ist: ,,0 die ihr glaubt, warum sagt ihr, was ihr nicht tut."

Das bedeutet nicht mehr als die Umsetzung der Ankündigung. Jedenfalls aber sollte man sich aufmerksam und aktiv an den gegebenen Problemlösungen beteiligen, die notwendige Verantwortung gegenüber anderen Menschen und seiner gesamten Umwelt übernehmen und die Gesellschaft auf eine bestmögliche und positive Weise beeinflussen. Dies umfasst auch die Teilnahme am politischen Prozess, ob man selbst politisch tätig wird oder den Politikerinnen und ihren Programmen die Stimme gibt, damit die nötige Änderung zugunsten des Allgemeinwohls umgesetzt werden kann.

Die Gleichheit der Menschen und die Geschlechtergleichheit Einer der wichtigsten demokratischen Prinzipien ist die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Das bedeutet für die politische Partizipation, dass bei der Stimmabgabe jede Stimme gleich viel zählt und jede Person eine Stimme zu vergeben hat. Dass im Islam alle Menschen im Sinne der Menschenwürde und Chancengleichheit gleich sind und dieses Recht auf Gleichheit auch bedeutet, dass alle Bürgerinnen in gleicher Weise an der Wahl ihrer politischen Vertretung beteiligt sein sollen, geht etwa aus Qur'an 49:13 sowie aus der Abschlusspredigt des Propheten deutlich hervor. Des Weiteren erinnerte der Prophet seine Anhänger, dass sie danach streben sollten, in Harmonie und Freundschaft mit allen Menschen zu leben und auf gar keinen Fall sich selbst als etwas Besseres anzusehen oder gar sich selbst als höheres Wesen zu empfinden, wie dies im Qur'an 49:11 oder in den folgenden Überlieferungen Ausdruck findet: Der Prophet sagte: "Ein Gläubiger kommt mit allen Menschen aus. Es gibt nichts Gutes in einem Menschen, der niemals versucht mit anderen Menschen auszukommen oder mit dem die anderen Menschen kein Auskommen finden." (Ibn Hanba/, Musnad Ahmad, 9198) Der Prophet sagte: "Gott hat mir offenbart, dass ihr freundlich zueinander sein sollt. Man sollte sich weder für höher als andere halten noch sich gegenüber anderen schlecht benehmen." (Muslim, Sahih Muslim, 1, 602) Der Prophet sagte: "Jemand, der auch nur das Gewicht eines Senfkornes an Arroganz in seinem Herzen besitzt, wird nicht ins Paradies eintreten. [. . .] Arroganz bedeutet Verhöhnung und Ablehnung der Wahrheit, sowie die Geringschätzung von Menschen". (Muslim. Sahih Muslim. 18, 65)

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Dieses Verhältnis der Gleichheit zwischen Muslime und Nicht-Muslime wirkt sich auch auf die Achtung der Rechte von Minderheiten aus, die etwa in der Verfassung von Medina zu finden sind. Weiters schlägt sich dieses Verhältnis auch im Verhältnis von Mann und Frau nieder, in dem Gleichberechtigung zwischen ihnen herrscht, wie unter anderem im Fall der Scheidung aus Qur'an 2:228 zu entnehmen ist: ,,[. . .] Und ihnen (den Frauen) steht in rechtlicher Weise (gegenüber den Männem) das gleiche zu, wie (den Männem) gegenüber ihnen. [. .

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Wie schon aus Qur'an 4:1 zu erkennen ist, beruht die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf ihrer Entstehung aus "einer einzigen lebenden Wesenheit". Dass die Geschlechter­ gleichheit in demokratischen Gesellschaften heute in vielen Bereichen besteht, ist nicht zuletzt auf Frauenrechtsbewegungen des 20. Jh. zurückzuführen. Im Islam versuchten muslimische Frauen schon zu Beginn der ersten Gemeinschaft in Mekka und Medina aktiv ihre Rechte durchzusetzen, da sie aufgrund des Qur'anstudiums sehr früh bemerkten, dass der Qur'an an alle Muslime ohne Rücksicht auf das Geschlecht adressiert ist. "Wahrlich, für alle Männer und Frauen, die sich Gott ergeben haben, und alle gläubigen Männer und gläubigen Frauen und alle wahrhaft demütig ergebenen Männer und wahrhaft demütig ergebenen Frauen und alle Männer und Frauen, die ihrem Wort treu sind, und alle Männer und Frauen, die geduldig in Widrigkeit sind, und alle Männer und Frauen, die sich (vor Gott) demütigen, und alle Männer und Frauen, die aus Mildtätigkeit geben, und alle selbstverleugnenden Männer und selbstverleugnenden Frauen, und alle Männer und Frauen, die auf ihre Keuschheit achten, und alle Männer und Frauen, die unaufhörlich Gottes gedenken: für (alle von) ihnen hat Gott Vergebung der Sünden und eine mächtige Belohnung bereitet. " Neben den gleichen Rechten und Pflichten für Frauen, ist es nicht erstaunlich, dass einige muslimische Frauen auch das Amt des Staatsoberhauptes innehatten. So regierte etwa Arwa al Sulayhi den Jemen von 1067 bis 1138 oder Schadschar al Durr in Ägypten im Jahre 1250. Benazir Bhutto war in Pakistan als erste Premierministerin von 1988 bis 1990 und von 1993 bis 1996 im Amt. Als erste Premierministerin regierte auch Khaleda Zia von 1991 bis 1996 und 2001 bis 2006 in Bangladesch, worauf ihr etwas später Scheikha Hasina bis heute folgte. Tansu Ciller regierte als erste Frau von 1993 bis 1996 in der Türkei und Megawati Sukarnoputri war von 2001 bis 2004 als erste Frau Staatspräsidentin von Indonesien. Atifete Jahjaga ist als Präsidenten des Kosovo seit 2011 im Amt. Mame Madior Boye war von 2001 bis 2002 die erste Premierministerin in Senegal und Aminata Toure von 2013 bis 2014 die erste Ministerpräsidentin. Cisse Mariam Kaidama Sidibe leitete von 2011 bis 2012 zum ersten Mal als Frau das Amt der Premierministerin von MalL In diesem Sinne sei noch auf all jene Frauen hingewiesen, die sich aus ihrem qur'anischen Verständnis heraus für die politischen Rechte einsetzen, die aus traditionellen Gründen eingeschränkt werden. Dieses Thema wird jedoch ausführlicher in einem eigenen Artikel über Frauen und Islam behandelt.

Konklusion So sehr sich zum Teil die Realitäten der heutigen Welt im Hinblick der verschiedenen Herrschafts-formen unterscheiden, lässt sich anhand der islamischen Theorie samt seinen Werten und Grundsätzen erkennen, dass eine islamische Regierung im Rahmen des aufgezeigten islamischen Wertesystems durchaus eine demokratische Staatsführung befürworten könnte, die im Einklang mit einem instinktiven Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung steht und von der menschlichen Vemunft akzeptiert werden kann.

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Aufgrund der Tatsache, dass es keine einheitliche politische Theorie im Islam gibt und selbst die ersten Führungspersönlichkeiten gewählt wurden, kann davon ausgegangen werden, dass im Einklang mit Qur'an 4:58 die kompetenten, gerechten und gütigen Personen aus den verschiedensten Völkern dieser Erde für die politischen Ämter im jeweiligen Land zur Wahl stehen, um den einzelnen Prinzipien im Sinne des Allgemeinwohls zu dienen. Denn "Arroganz, Heuchelei und Egoismus sind Pfeile des Teufels in eure Herzen, weshalb man eine Strategie zur Verteidigung dieser Attacken entwerfen sollte". (Abd al Qadir al DschilanilMuhtar Holland. AI Fath ur Rabbani, 150)

M. A. Kramer / M. Rausch

Weiterführende Literatur AI Fadl Abou, Islam and the Challenge of Democracy (2004) Asad Muhammad, Die Botschaft des Qur'an (2009) Cavuldak Ahmet/Hidalgo Oliver/Hildmann Philipp W./Zapf Holger (Hrsg.), Demokratie und Islam: Theoretische und empirische Studien (2014) Heller Erdmute/Mosbahi Hassouna, Islam Demokratie Moderne - Aktuelle Antworten arabischer Denker (1998) Krämer Gudrun, Demokratie im Islam: Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt (2011) Küng Hans, Der Islam - Geschichte, Gegenwart, Zukunft (2004) Muckel Stefan, Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates (2008) Lewis Bernard, Die politische Sprache des Islam (2002) Mitterauer Michael, Parlament und Schura Ratsversammlungen und Demokratieentwicklung in Europa und der islamischen Welt - Wiener Vorlesungen im Rathaus Band 144 (2009) Yousefi Hamid Reza, Demokratie im Islam: Analysen-Theorien-Perspektiven (2014)

Empfehlende Links http://www.politik-Iexikon.at/demokratie/ http://www.demokratiezentrum.org/themen/demokratieentwicklun9 http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/islam-lexikon/21488/kalifat http://www.islamische-zeitung.deliz3.cai?id=13911 http://www.sunnah.com/

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Islam und Menschenrechte

Zum Begriff "Menschenrechte" und ihre Geschichte ••••••••••••••••••.•..•••.•..••.•••••••••.•••....•.••.•••••..••••••••• 2

Was sind IIMenschenrechtell ...................................... ......................................................................... 2

Die Entstehung der Menschenrechte aus westlicher Sicht ............................................ ..................... 2

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) .................................................................... 3

Die Entstehung der Menschenrechte aus islamischer Sicht ........................................................... .. .. 4

Die Verfassung von Medina ................................................................................................................ 5

Einige menschen rechtliche Errungenschaften durch die Entstehung des Islams .............................. . 6

Die Universalität und ihre kulturspezifischen Eigenheiten ••••..••.•.••••••••••.••.•••..•••••.••••••••••.•..•••.•..••..• 6

Die Gründung der UNO und die Menschenrechte nach dem 2. Weltkrieg................ .............. ........... 6

Hat die AEMR für Muslime universale Geltung? ................................................................................ 7

Das menschen rechtliche Verständnis unter Einbeziehung von rationalem Denken .......................... 7

Warum besteht in der islamischen Welt eine Distanz zu der AEMR? ................................................. 7

Die Vielfalt im Islam und die dynamische Auslegung des Qur'an ..... .................................................. 8

Einzelne Menschenrechte unter Heranziehung islamischer und westlicher Quellen: •••.•••••••..••.••.••.• 9

Das Recht auf Freiheit ......................................................................................................................... 9

Das Recht auf leben ............................................................................................................................ 9

Die Religionsfreiheit .......................... ................................................................................................ 10

Recht auf politische Partizipation - gegenseitige Konsultation ........................................................ 11

Das Recht auf Gleichheit ........................................................................................ ........................... 11

Die Würde des Menschen und die Gleichberechtigung von Mann und Frau ................................... 12

Verbot der Rassendiskriminierung - Chancengleichheit - Kulturvielfalt.. ............................ ............ 13

Konklusion ••••••••.•.••••.••••..•••.••.•••••••••..••.•.•.••••.••...••..•.•••..•......•.•.....•.•••••.•••••••••••••.•••••••••••••••••.•.••.. 14

Weiterführende literatur •••.•.••••••..•.••..•••••...••.•••..•.••.••••..•••••..•••..•••••.....••.••...•.•••..•.•••..••••.••.•••••••• 15

Institut für Islamische Studien

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Zum Begriff "Menschenrechte" und ihre Geschichte Was sind "Menschenrechte" Der Begriff "Menschenrechte" bezieht sich auf moralische bzw naturrechtliche Prinzipien und Werte in Bezug auf das staatliche Verhalten gegenüber Mensch und Gesellschaft, das grundsätzlich unabhängig von Nationalitä~ ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Sprache, Religion, Titel oder einem sonstigen Status ist. Sie werden häufig als Grundrechte bzw in Österreich auch als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte für die Bürger eines Staates verstanden. Die Menschenrechte wurden durch Unterzeichnung der jeweiligen Staaten zuerst in internationalen Verträgen anerkannt, wodurch sie völkerrechtlich bindend werden. In Österreich folgt anschließend die Ratifizierung dieser Verträge, bei der die Umsetzung der normativen Bestimmungen im nationalen Recht vollzogen wird. Vorrangig sollen die Menschenrechte den Menschen als Individuum mit Rechten ausstatten, die als Berechtigungen gegenüber Staat und Gesellschaft gelten und die ihm die Abwehr und den Schutz vor staatlichen Eingriffen ermöglicht. Unter individuellen Menschenrechten versteht man Abwehrrechte gegenüber staatlicher Autorität, weshalb sie auch Negativrechte bezeichnet werden, weil die Aussagen mit "Der Staat darf nicht ... " charakterisiert werden können. Den Menschenrechten werden vier Attribute zugeschrieben: Sie sind universell, dh immer und überall anwendbar; sie sind egalitär, dh auf rechtliche, soziale und politische Gleichheit bedacht oder anders ausgedrückt: "Sie sind für alle gleich". Zusätzlich sind sie unveräußerlidl, dh ein Mensch kann seine eigenen Rechte nicht abtreten oder zur Einschränkung freigeben, und letztlich sind sie unteilbar, dh die Rechte sind alle gleichwertig bzw gleich wichtig und somit gleichermaßen anzustreben. Damit die Menschenrechte jedoch aufrechterhalten und durchgesetzt werden können, bedürfen sie einer institutionellen Basis bzw einer gesetzlichen Struktur, die dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gerecht wird. Die Gesetze sind sowohl von den Bürgern als auch vom Staat einzuhalten, weshalb eine Gewaltenteilung, in der die Exekutive als Vollstreckungsorgan von der Judikative als Gerichtsbarkeit und Legislative als Gesetzgebung getrennt ist, unumgänglich erscheint. Daraus ergibt sich der für die tatSächliche Existenz der Menschenrechte in einem Staat unmittelbare Zusammenhang von Norm und Institution, in dem institutionalisierte Kontrollen die praktische Umsetzung einzelner Bestimmungen garantieren. Dafür sind zwei essentielle Voraussetzungen notwendig: zum einen muss der Machthaber Macht abgeben, um sich selbst unter Kontrolle stellen zu lassen und zum anderen muss die politische Kultur das demokratische Prinzip der Freiheit des Andersdenkenden zulassen. Beispielhaft, dass das seit jeher nur selten der Fall war, steht etwa in der Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, dass die Unkenntnis, das Vergessen oder die Verachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen seien.

Die Entstehung der Menschenrechte aus westlicher Sicht Die Geschichte der Menschenrechte reicht bis in die griechische Antike zurück, wenn man zulässt, dass Sokrates, Platon und Aristoteles den Menschen als das Maß aller Dinge neu definierten und erstmals der Mensch als autonomes Individuum im Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft stand. Das Naturrecht und die gottgegebene Vernunft waren geboren und fortan die Entwicklung der Menschenrechte nicht mehr aufzuhalten. Vom christlichen Erbe mit dem Grundsatz der absoluten Willensfreiheit Gottes, der Nächstenliebe und der Vernunftordnung über den Humanismus der Renaissance zur Aufklärung im Zeitalter der Revolutionen war es ein weiter Weg. Der Vorläufer des Diskurses der Allgemeinen Erklärung 2

der Menschenrechte (AEMR) von 1948, der natürliche Rechtsdiskurs, entstand also innerhalb der mittelalterlichen Naturrechtstradition. Wichtige Persönlichkeiten wie Thomas von Aquin und später John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und Thomas Jefferson, um nur ein paar wenige zu nennen, waren an diesem Diskurs und der Weiterentwicklung beteiligt. Die Entwicklung der Menschenrechte kann in historischen Dokumenten zurückverfolgt werden, insbesondere in der Magna Carta Libertatum (1215), English Bill of Rights (1689), französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) und den US Bill of Rights (1791). Weitere Argumente für die Fortsetzung der Menschenrechtsidee tauchten Mitte des 20. Jh. wieder auf, wobei es um die Abschaffung der Sklaverei, Folter, Völkermord und Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der dem Menschen innewohnenden Verletzlichkeit als auch um die Diskussionen über die Schaffung einer gerechten Gesellschaft ging. Die sich in der Zeit nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs entwickelte Menschenrechtsbewegung fand ihren Höhepunkt mit der Verabschiedung der AEMR durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris im Jahr 1948. Heute bildet die Doktrin der Menschenrechte die gemeinsame moralische Sprache des öffentlichen Diskurses in Friedenszeiten der globalen Gesellschaft.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) Die AEMR besteht aus 30 Artikeln und beginnt mit einer Präambel, die den Zweck der Erklärung erläutert, wie etwa, dass "dass die Völker [ ... ] die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit zu fördern". In der AEMR finden sich die Grundlagenprinzipien der Würde, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Rechte des Einzelnen, wie das Recht auf Leben und das Verbot der Sklaverei, die grundlegende Gesetzmäßigkeit der Menschenrechte und die Mittel, sie zu verteidigen, die Rechte des Einzelnen in der bürgerlichen und politischen Gesellschaft, die geistigen, politischen und bürgerlichen Freiheiten, wie die Vereinigungs-, Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit und etliche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte. Die anfängliche Erklärung wurde elf Mal seit 1949 ergänzt: • der humanitäre Schutz für die Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten in der Vierten Genfer Konvention 1949, • die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK 1952) plus Zusatzprotokolle über die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in Österreich im Verfassungsrang steht, • das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge 1954, • das Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung 1969, • der Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte 1976 (einschließlich des Rechts auf Leben, der Religions-, Rede- und Versammlungsfreiheit, des Wahlrechts und des Rechts auf rechtsstaatliche Verfahren und eines fairen Prozesses, • der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 1976, • das Übereinkommen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau 1981 (CEDAW), • das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe 1984, • das Übereinkommen bezüglich der Rechte des Kindes, in deren zivilen, sozialen, politischen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Belargen 1996, 3

• die Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000 (Vertrag von Lissabon 2009), die ebenfalls im österreich ischen Verfassungsrang steht, • die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2007 und • die Resolution über die Menschenrechte bezüglich der sexuellen Ausrichtung 2011 (Pro-LGBT Resolution), die aber noch keinen offiziellen Status eines Zusatzes aufweist. Der Prozess der Ergänzung bzw der Anpassung der AEMR umfasst die gegenseitige Konsultation und Diskussion, vor allem im Falle solcher Resolutionen, die sich mit kontroversen Themen befassen. Dieser Prozess ermöglicht es ihnen, sich gemeinsam bei neu vorgeschlagenen Rechten zu beratschlagen, ob diese anerkannt werden sollten und in welcher Weise die Anerkennung und damit deren Schutz gewährleistet werden kann.

Die Entstehung der Menschenrechte aus islamischer Sicht Aus islamischer Perspektive wurden zwar keine Menschenrechte im oben genannten Sinne entwickelt, sondern durch die Offenbarung des Qur'an und den Hadithen des Propheten Mohammad wurden viel mehr menschliche Werte und Verhaltensweisen gegenüber Gott und seinen Mitmenschen vermittelt. Der Islam bestimmt seit der Auswanderung nach Medina bzw seit dem Beginn der islamischen Zeitrechnung (Hidschra) im Jahre 622 das Leben des Einzelnen in seinen privaten und auch öffentlichen Aspekten, da er den Menschen die Botschaft von Menschenwürde, menschlichem Wohlergehen und einer idealen Gesellschaft brachte. Dabei geht es nicht nur um Werte wie Toleranz, Aufrichtigkeit in der Absicht, Gerechtigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit, Höflichkeit und Benehmen (Adab) und Solidarität gegenüber den Mitmenschen, sondern auch um Gesetzes- bzw Vertragstreue, um nur ein paar zu nennen. Daneben stellte der Islam Konzepte von Ethik, Moral und vom guten Benehmen vor, die wesentliche Bestandteile der Religion darstellen. Es stehen also nicht unbedingt Menschenrechte im Mittelpunkt des Islam als vielmehr Werte, Prinzipien und Grundsätze. Es gibt jedoch durchaus Strukturen dieser Werte und Prinzipien, die in der folgenden Darstellung einer islamischen Menschenrechtskonzeption gleichen: • • • • • • • • • • • • •

Die Sicherheit des Lebens und Eigentums (Qur'an 6:151 und 26:183) Der Schutz der Ehre (Qur'an 49:11) Die Unantastbarkeit und die Sicherheit des Privatlebens (Qur'an 49:12) Die Sicherheit der persönlichen Freiheit (Qur'an 10:99 und 17: 15) Das Recht, gegen Tyrannei zu protestieren (Qur'an 4:148 und 26:151) Freiheit der Meinungsäußerung (Qur'an 22:41) Vereinigungsfreiheit (Qur'an 3: 103) Freiheit des Gewissens und der Überzeugung (Qur'an 2:256) Schutz der religiösen Gefühle (Qur'an 6: 108 und 29:46) Schutz vor willkürlicher Haft (Qur'an 2:85) Das Recht auf die Grundbedürfnisse des Menschen (Qur'an 51 :19) Gleichheit vor dem Gesetz (Qur'an 42: 15 und 16:90) Die Verantwortungstragenden in der Gesellschaft sind nicht über dem Gesetz (Qur'an 42:9) • Das Recht, an Staatsangelegenheiten teilzunehmen (Qur'an 42:38)

Diese Rechte wurden teils auch in der Verfassung von Medina im Jahre 622 oder im frühzeitlichen Vertrag über die Rechte "Risalah al-Huquq" im Jahre 659 (engl. Treatise of Laws) niedergeschrieben. Die moderneren islamischen Menschenrechtserklärungen sind unter anderem die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam" von 1981, beschlossen vom Islamrat für Europa mit Sitz in London, die "Kairoer Erklärung der 4

Menschenrechte im Islam" (KEMR) von 1990, beschlossen von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, und letztlich die "Arabische Charta der Menschenrechte" von 2004 als Nachfolgedeklaration von 1994, beschlossen durch die Arabische Liga. Speziell bei den ersten beiden Deklarationen wird explizit darauf hingewiesen, dass die Schari'a als Grenze und Auslegungshorizont eine besondere Stellung einnimmt. Das ist insofern problematisch, als dass die Schari'a als Ordnung Gottes, die Frieden und Gerechtigkeit schafft, nicht im Einklang mit den universellen Menschenrechten stehen kann, wenn sie sich im Sinne einer wortwörtlichen Auslegung am Menschen- und Gesellschaftsbild des 7. Jh. und an den Schriften der Juristen und Theologen des Mittelalters orientiert. Die Arabische Charta der Menschenrechte von 2004 verweist hingegen nicht auf die Schari'a, dafür auf die Kairoer Menschenrechtserklärung, weshalb die Idee einer modernen Menschenrechts­ konzeption in einigen islamischen Ländern ad absurdum geführt wird.

Die Verfassung von Medina Die Verfassung Medinas enthielt Regelungen, die als beispielhafte Grundlage für eine friedliche Koexistenz dienen und in aller Kürze vorgestellt werden sollen. Insgesamt umfasst diese Verfassung rund 60 Artikel. Jeder Artikel verfügte über Zuständigkeiten und Rechte des Einzelnen und der Gruppen in Beziehung zueinander. Zu den Rechten gehörte etwa der rechtliche Schutz vor Diskriminierung gemäß Artikel 17: "Keinem Jude wird aufgrund seines Jüdisch-Seins Unrecht getan." Von den Mitgliedern der Gemeinschaft, Muslime und Nicht-Muslime, wurde der Respekt dieses Rechts in Bezug auf die anderen Mitglieder erwartet. Artikel 30 schützt speziell das Recht der Juden, um ihre Religion frei auszuüben und lautet wie folgt: "Die Juden von Banu Awf gelten als eine Gemeinschaft zusammen mit den Gläubigen. Ihnen wird das Recht auf Religionsfreiheit, zusammen mit den Muslimen, garantiert. Das Recht wird auf ihre Mitglieder sowie auf sie selbst übertragen, ausgenommen sind diejenigen, die schuldig an der Unterdrückung oder der Verletzung von Verträgen sind, denn sie werden das Böse auf sich selbst und ihre Familie bringen." Wem auch immer dieses Recht gewährt wird, ihm wird im Gegenzug die Verantwortung auferlegt, dieses Recht allen anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu gewähren und zu respektieren. Eine weitere Aufgabe, die durch die Verfassung auf alle Gemeindemitglieder übertragen wurde, war die Bereitstellung von gegenseitiger Unterstützung in Zeiten des Krieges gemäß Artikel 45: "Es soll gegenseitige Unterstützung herrschen gegenüber jenen, die sich im Krieg mit den Verbündeten dieses Schriftstücks befinden". Gleichzeitig regelt Artikel 45 auch das Recht auf Hilfeleistung gegenüber anderen Gruppen. Darüber hinaus gewährt die Verfassung offiziellen Mitgliedsstatus, der die grundlegende Gleichheit für Gruppen und ihre Mitglieder zusichert. Artikel 58 beispielsweise verleiht den Status der Mitgliedschaft einer jüdischen Gruppe: "Die Juden von Aws und ihre Verbündeten sollen denselben konstitutionellen Status erhalten, wie die anderen Parteien dieses Dokuments, mit der Bedingung, dass sie durch und durch aufrichtig und ehrlich in ihrem Umgang mit diesen Parteien sind." Schließlich beinhaltet Artikel 28 noch das Zugeständnis zur Meinungs­ verschiedenheit, um Konflikte zu minimieren: "Wer bezüglich dieser Verfassung in einem Punkt anderer Meinung ist, dessen Anliegen soll vor Gott und Muhammed gebracht werden". Bemerkenswert ist die große Anzahl an Parallelen mit der UNO-Charta von 1945, in deren Kapiteln VI bis VIII von der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, von den Maßnahmen bei einem Bruch des Friedens sowie von regionalen Abmachungen der einzelnen Mitglieder die Rede ist. Die Verfassung von Medina enthält darüber hinaus erstaunlich viele Ansätze zeitgenössischer Verfassungen demokratischer Gesellschaften und ähnelt diesen Verfassungen in ihrer Form, Inhalt und Zielen, allen voran: die Erhaltung des sozialen Friedens und die Förderung des friedlichen Zusammenlebens. 5

Einige menschenrechtliche Errungenschaften durch die Entstehung des Islams Mit Entstehen des Islam begann eine neue Zeitrechnung einer menschenwürdigeren Behandlung für viele Menschen, ob Frauen, Kinder, Sklaven oder Andersgläubige. In vielen Suren (zB Qur'an 2:177, 5:89 oder 4:92) wird erwähnt, dass der Loskauf von Sklaven als gute Tat angesehen wird, woraus geschlossen werden kann, dass der Zweck der Offenbarung in der Abschaffung der Sklaverei lag. Ein anderes Phänomen dieser Zeit, aus Armut seine Kinder zu töten, wurde durch Qur'an 6:151 verboten. Für Andersgläubige hat enthält Qur'an 109:6 die Botschaft: "Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion." Gleichzeitig entstanden die ersten Frauenrechte, die sich unter anderem im Ehe- und Scheidungsrecht, im Erbrecht, im Vertrags- oder Eigentumsrecht niederschlugen. Um ein Beispiel zu nennen: Qur'an 4:4 und 4:7 brachte den muslimischen Frauen das Recht auf Eigentum, das etwas später als Grundlage für das Recht der Frauen auf Arbeit diente, um ihnen entgeltliche Arbeitsverträge zu geben, die Bedingungen dafür selbst zu verhandeln oder Klagen einzureichen, wenn eines dieser Rechte verweigert wurde.

Die Universalität und ihre kulturspezifischen Eigenheiten Die Gründung der UNO und die Menschenrechte nach dem 2. Weltkrieg Die Menschenrechte gewannen erste ernstzunehmende Aufmerksamkeit durch die UNO, die gleich nach seinem Gründungsdatum 1945 seine Arbeit aufnahm. Seine Ziele liegen in der Pflege und Unterstützung des internationalen Friedens und der Sicherheit, die Menschenrechte zu fördern, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen voran zu treiben, die Umwelt zu schützen und nicht zuletzt die Bereitstellung humanitärer Hilfe in Fällen von Hunger, Naturkatastrophen und bewaffneten Konflikten. Bei ihrer Gründung unterstützten 51 Länder die UNO-Charta, die ihren Zweck, ihre institutionelle Struktur und die Bedingungen der Mitgliedschaft beschreiben. Ihre Befürwortung war die Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Nur sieben mehrheitlich muslimische Länder wie Ägypten, Iran, Irak, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien und die Türkei waren mit einbezogen und unter den Gründungsmitgliedern. Dies beruht auf der Tatsache, dass sich der Rest der heutigen muslimischen Länder zum Zeitpunkt der Gründung noch immer unter der Kontrolle der europäischen Kolonialmächte befand. Heute sind nur noch vier aus der Mehrheit von 52 muslimischen Ländern keine Mitglieder: Palästina, die Türkische Republik Nord-Zypern, die Republik Kosovo und die Westsahara. Dies beruht auf der Tatsache, dass sie nicht universell als eigenständige und vollständige Staaten anerkannt sind. Obwohl diese überwältigende Annahme nahe legt, dass die islamischen Mitbegründer die Grundsätze und Werte der UNO-Charta, die AEMR sowie das Netz institutioneller Strukturen fördern, widerspredlen doch einige muslimische Gelehrte der Charta und den Menschenrechtserklärungen. Ihr Haupteinwand ist, dass diese Dokumente mit westlichen Bei der Vorbereitung eines internationalen Werten überspannt sind. Menschenrechtsgesetzes war die im Jahr 1947 konstituierte Menschenrechtskommission zwar versucht, Vertreter aus allen Kulturen und Religionen der Welt auf ihrem Ausschuss zur Verfassung der Charta anzuhören, jedoch wurden die Stimmen der muslimischen Ländern offensichtlich zu ausreichend berücksichtigt.

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Hat die AEMR für Muslime universale Geltung? Es ist wichtig, sich mit Menschenrechten in einem kulturellen Verständnis zu beschäftigen, weshalb die Frage von zentraler Bedeutung ist, ob die Menschenrechte universelle Geltung haben, also auch von Muslimen in islamischen Ländern akzeptiert und praktiziert werden können. Vorweggenommen lautet die Antwort "Ja", wenn Muslime für einen interkulturellen und kulturübergreifenden Konsens über anerkannte Werte zur Etablierung einer universellen Menschenrechtstradition offen sind, den Demokratisierungsprozess in ihren Ländern vorantreiben, den Qur'an in einem dynamischen Prozess unter den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen verstehen und im Sinne des Qur'ans die Würde des Menschen schützen. Aber sind nicht alle Menschen auf dieser Welt von Gott erschaffen und schon deshalb gleich? Diese Frage bedeutet nicht, dass Muslime ihre Religion aufgeben sollten. Vielmehr bedeutet es, dass Muslime ihre Religion kritisch hinterfragen und ihren eigenen Verstand zur Auslegung von Qur'an und Sunna, wie etwa hinsichtlich Qur'an 49:13, benützen sollen.

Das menschen rechtliche Verständnis unter Einbeziehung von rationalem Denken Der Qur'an als Buch der Anleitung enthält selbstverständlich Prinzipien einer islamischen Ethik, die unterschiedliche Interpretationen im Sinne einer lebendigen Wissenschaftstradition zulassen, um problemorientiertes Denken bei Muslimen anhand der realen Gegebenheiten und nicht anhand eines starren Textes zu etablieren. Die in der Blütezeit des Islam, zwischen dem 9. und 12. Jh. n. ehr., vorherrschende Tradition rationalistischen Denkens war unter anderem von den Mutaziliten und Philosophen wie al-Farabi, Ibn Sina und Ibn Ruschd (Averroes) geprägt. In dieser Zeit nahm die Vernunft als Quelle des Denkens und Urteilens die primäre Stellung zur Rechtsauslegung ein. Kultur, Wissenschaft und Forschung beherrschten die gesellschaftlichen Debatten. Unterdessen entwickelte die Rechtsphilosophie den Begriff vom denkenden Subjekt, das die Grundvoraussetzung für die Bestimmung des Menschen als Individuum und für die Ableitung individueller Rechte ist. Die islamische Orthodoxie verschaffte sich aber bald wieder die Kontrolle über die Bildungseinrichtungen und unterband den islamischen Rationalismus in den Lernprozessen der Muslime.

Warum besteht in der islamischen Welt eine Distanz zu der AEMR? Dass die individuellen Menschenrechte in Teilen der islamischen Welt abgelehnt werden, hat mehrere Gründe: Erstens, in den islamischen Ländern wurde die Säkularisierung abgelehnt, weshalb es keine definitive Trennung von weltlichen und religiösen Angelegenheit gegeben hat. Teilweise haben islamische Länder Verfassungen, deren materielle Rechte im Sinne einer engen Definition des Begriffes Schari'a inhaltlich aus dem Qur'an entnommen, einem dynamischen Prozess entzogen und einzementiert werden. Zweitens, bestimmte islamische Herrscher und Religionsgelehrte propagieren aus einer Opferrolle heraus, dass alles "Westliche" abgelehnt werden sollte, da die Menschenrechte westlicher und hegemonialer Natur und deshalb als westliche Werte unmoralisch seien und folglich im krassen Widerspruch zu den islamischen Werten stünden, wie beispielsweise die Forderung nach Gleichberechtigung von Frauen. Drittens, spätestens seit Beginn des 21. Jh. tritt etwa die Organisation der Islamischen Konferenz (OIG) im Rahmen der UNO vermehrt zusammen, um islamische Positionen hinsichtlich der Menschenrechte zu kommunizieren. Dabei lautet der Tenor, dass die Menschenrechte vom Westen politisch missbraucht wurden und, dass Menschenrechte im Islam immer schon enthalten wären. Eine weitere wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt die islamische Orthodoxie, die die islamischen Quellen im Verständnis der gesellschaftlichen, sozialen und politischen 7

Ordnung des 7. Jh. auslegt. Beispielhaft für die Unvereinbarkeit mit den individuellen Menschenrechten seien 'für ein derartiges Verständnis drei Faktoren aufgezählt, die dem Menschenrechtsverständnis der kulturellen Moderne diametral entgegenstehen: 1. das Fehlen von Religionsfreiheit und damit der Toleranz im Allgemeinen, 2. die Hilflosigkeit des einzelnen Individuums gegenüber dem von Kollektiven getragenen Staat und 3. die fehlende Gleichstellung von Mann und Frau in sehr vielen Bereidlen des Lebens.

Die Vielfalt im Islam und die dynamische Auslegung des Qur'an Die Etablierung von individuellen Menschenrechten durch einen islamischen Rationalismus schließt das kollektive Denken im Sinne der Gemeindezugehörigkeit nicht aus, denn die Annahme von individuellen Berechtigungen gegenüber Mensch und Staat läuft den Pflichten gegenüber Gott nicht zuwider. Wichtig zu verstehen ist in diesem Sinne auch, dass es einen einheitlichen Islam bzw ein einheitlidles islamisches Recht nicht gibt, denn die Welt des Islam ist durch größte Vielfalt und kulturelle Unterschiede gekennzeichnet. Auch die Schari'a ist in einem dynamischen Prozess zu verstehen, weshalb eine Zementierung dem Geist des Qur'an widerspricht. Die Geltung jeder Kultur ist stets lokal, weshalb es viele islamische Kulturen (arabischer Islam, Indo-Islam, Afro-Islam, etc.) gibt. Die Zeit menschlichen Fortschritts, der Raum gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Geist kollektiver Genügsamkeit war immer dynamisch und bleibt auch dynamisch, weshalb Gott von den Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Sprachen bestimmt keine statische Auslegung seiner Offenbarungen verlangt. In Qur'an 49: 13 und 30:22 wird nahegelegt, dass man aus der Interaktion mit Menschen aus unterschiedlichen Gruppen Mitgefühl und Barmherzigkeit erprobt und erlernt und somit ein friedliches Zusammenleben möglich macht. Damit hat auch der Lernprozess Auswirkungen auf die eigene Fähigkeit zur geistigen Entwicklung. Auf diese Weise kann die Interaktion zwischen Individuen aus unterschiedlichen Gruppen intellektuell und spirituell bereichernd sein. Aus Qur'an 7:199 lässt sich zudem das Zugeständnis für kulturelle Normen ausmachen: "Übe gebührende Nachsicht gegenüber der Natur des Menschen und gebiete das Tun dessen, was recht ist [ ... ]" Dieses Gebot führte zur Formulierung der fünften Universalmaxime der islamischen Rechtswissenschaft, in der es heißt: "Kulturelle Nutzung muss das Gewicht des Gesetzes haben." Der Islam, dessen primären Rechtsquellen (Qur'an und Sunna) von seinen Anhängern im Verständnis einer dynamischen Gesellschaft und unter Heranziehung des eigenen vernunftgesteuerten Urteilsbemühen (Idschtihad) auslegt werden, ist dann sehr wohl mit den individuellen Menschenrechten vereinbar. Erst ein aufgeklärter Islam lässt eine Universalität der Menschenrechte zu, die auf der Vorstellung von der Menschheit als eine Einheit basiert. Die Anhänger eines solchen aufgeklärten Islam sind ebenfalls bereit, die traditionelle Zweiteilung der Welt in Gut und Böse, Gläubige und Ungläubige bzw in Dar al-Islam (Haus des Islam) und Dar al-Harb (Haus des Krieges) aufzugeben. Gerade für aufgeklärte Muslime wird es leicht sein, dem Kulturpluralismus im Sinne einer Bindung der Vielfalt an einen kulturübergreifenden Wertekonsenses, dessen Ziel ein friedliches Miteinander ist, gegenüber dem Kulturrelativismus, dessen Ziel das Nebeneinander der Kulturen ist, den Vorrang einzuräumen.

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Einzelne Menschenrechte unter Heranziehung islamischer und westlicher Quellen: Hier sind nur einige wenige Menschenrechte in aller Kürze dargestellt. Auf manche Themen, wie beispielsweise Frauenrechte und Demokratie, folgt ein eigener Artikel.

Das Recht auf Freiheit Artikel 1 AEMR: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. [ ..]". Die EMRK verknüpft in Artikel 5 EMRK das Recht auf Freiheit mit dem Recht auf Sicherheit wobei die Freiheit einem Menschen nur in den gesetzlich geregelten Bestimmungen entzogen werden darf. Darunter fällt jedenfalls die rechtmäßige Festnahme wegen Nichtbefolgung eines Gerichtsbeschlusses, die Haft nach gerichtlicher Verurteilung oder aufgrund einer begründeten Annahme der Begehung einer Straftat oder aber, weil die Freiheitsentziehung wegen einer Gefahrenquelle (ansteckende Krankheit, Alkohol- oder Drogenkonsum, Landstreicher) notwendig ist. Jede festgenommene Person muss über die Gründe der Festnahme informiert werden. Bei ungerechtfertigter Haft oder Festnahme entsteht ein Schadenersatzanspruch. Im Islam ist das grundsätzliche Freiheitsverständnis ein integraler Bestandteil des islamischen Glaubens, in dem der Qur'an in mehreren Stellen davon spricht, dass Menschen am richtigen Weg sind, wenn sie Sklaven befreien (vgl. Qur'an 90:13 oder 4:92). Der Zweck dieser Vorschriften liegt in der Beseitigung der Sklaverei und der Vermeidung menschlicher Unterdrückung. Der zweite Khalif Umar Ibn al-Khattab hat zu den Muslimen einmal gesagt: "Wie könnt ihr nur Menschen versklaven, obwohl ihre Mütter sie frei geboren haben." Diese Aussage korrespondiert übrigens mit Artikel 4 AEMR, dass niemand in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden darf. Im Islam herrscht das Prinzip der Gleichheit in der Freiheit, das viel mehr als ein Menschenrecht ist und als Recht auf Freiheit nicht explizit niedergeschrieben steht, denn es setzt die Notwendigkeit des Menschseins voraus, dessen Würde und Identität im Sinne seiner Freiheit verstanden wird. Allerdings steht in Art 11 KEMR, dass der Mensch frei geboren ist. Sowohl unter Artikel 20 KEMR ist es verboten, "jemanden ohne legitimen Grund zu verhaften, seine Freiheit einzuschränken, ihn zu verbannen oder zu bestrafen [ ... ]" als auch im Artikel 1 KEMR setzen sich arabische Staaten das Ziel, dass künftige Generationen frei und verantwortungsvoll in einer Zivilgesellschaft leben können [ ... ]".

Das Recht auf Leben Gemäß Artikel 3 AEMR hat jeder "das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person." Der Artikel 2 EMRK hingegen kennt zusätzlich einige Vorbehalte, in denen die absichtliche Tötung eines Menschen durchaus erlaubt sein kann, etwa bei der - in Europa nach dem 13. Zusatzprotokoll abgeschafften - Todesstrafe, bei einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung zur Verteidigung eines Menschenlebens, zur ordnungsgemäßen Festnahme (natürlich unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit) oder zur Unterdrückung eines Aufruhrs bzw Aufstandes. Nach dem Qur'an ist das Leben ein göttliches Geschenk an die Menschheit, das respektiert, geschützt und mit allen Mitteln verteidigte werden soll. Der Heiligkeit des menschlichen Lebens wird im Qur'an ein enormer Wert beigemessen. So heißt es in Qur'an 5:32: ,,[... ] wenn irgendeiner einen Menschen tötet - es sei denn (als Strafe) für Mord oder für Verbreiten von Verderbnis auf Erden -, es sein soll, als ob er alle Menschheit getötet hätte; 9

während, wenn irgendeiner ein Leben rettet, es sein soll, als ob er aller Menschheit das Leben gerettet hätte [ ... ]". Daraus ergeben sich die zwei Prinzipien, wonach erstens, die Rettung eines Lebens verpflichtend ist, und zweitens, die ungerechtfertigte Tötung eines Menschen verboten ist. Um die Rechtfertigung einer Tötung festzustellen, bedarf es eines ordentlichen Verfahrens auf Basis von Gesetzen. Weil kein Mensch über einen anderen Menschen urteilen kann, ob er gläubig oder ungläubig ist, ist jedes Menschenleben schützenswert, nach Qur'an 4:29 auch das eigene Leben: ,,[... ] Und tötet euch nicht selbst (gegenseitig) [ ... ]". Erwähnenswert ist auch der Kindsmord, der nach Qur'an 6:151 verboten ist: "Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung; Wir versorgen sie und auch euch. Gewiss, sie zu töten ist ein großes Vergehen." Im Artikel 2 KEMR findet sich der Hinweis darauf, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist, denn immerhin hat uns Gott in seiner schönsten Ausgestaltung geschaffen (Qur'an 95:4).

Die Religionsfreiheit Nach Artikel 18 AEMR und Artikel 9 EMRK besitzt jeder das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die das Recht auf Freiheit zum Wechsel der Religion oder Weltanschauung mit einschließt. Der Islam kennt drei wesentliche Quellen, die den Schluss zulassen, dass es keine Einschränkung dieser Freiheit gibt. Qur'an 2:256: "Es gibt keinen Zwang in der Religion. [ ... ]" Qur'an 18:29: "Und sag: Es ist die Wahrheit von eurem Herrn. Wer nun will, der soll glauben, und wer will, der soll ungläubig sein [ ... ]". Qur'an 109:6: "Euch eure Religion und mir meine Religion." Ein Beweis für die Toleranz der Muslime gegenüber Andersgläubigen stellt überdies die Verfassung Medinas dar, in deren Artikel 15 festgelegt wurde, dass Juden ihre Religion und Muslime ihre Religion haben. An dieser Stelle soll das islamische Fitra-Konzept kurz erklärt werden, das unter anderem im Qur'an 30:30 seinen Niederschlag findet. Es lässt jeden Menschen von Geburt an als "natürliche Art" seiner Existenz ein Muslim sein, demgemäß Gott den Menschen erschaffen hat. Ob der Mensch Muslim bleibt wird in weiterer Folge von seinem sozialen Umfeld, vor allem aber hängt es von den Eltern und den eigenen Entscheidungen ab. Was aber, wenn man seine Religion aufgeben möchte? Ein bewusster Abfall vom Islam im Sinne der Apostasie wird in einigen islamischen Ländern (zB Saudi Arabien und Iran) nach wie vor mit der Todesstrafe geahndet, obwohl im Qur'an die vielen Hinweise des Abirrens vom rechten Weg (zB Qur'an 2:108 oder 4:115) niemals mit einem irdischen Strafmaß belegt sind und die meisten Länder die Religionsfreiheit in ihren Verfassungen verankert haben. Dass sehr viele Länder die Religionsfreiheit auch nach internationalem Recht anerkannt haben, zeigt sich in der Unterzeichnung der Arabischen Charta der Menschenrechte 2004, in der es in Artikel 30 paradoxerweise heißt, dass die individuelle und kollektive Religionsfreiheit anzuerkennen sei, sie jedoch den gesetzlichen Beschränkungen unterliegt, soweit sie in einer toleranten Gesellschaft, die Freiheiten und Menschenrechte respektiert, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gesundheit, Moral oder fundamentalistischen Rechten und Freiheiten anderer notwendig sind.

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Recht auf politische Partizipation - gegenseitige Konsultation Die politische Teilnahme wird in Art 21 AEMR geregelt, wonach jeder das Recht hat, "an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch fei gewählte Vertreter mitzuwirken." Ein Versuch von Muhammad zur Abwendung oder Minimierung von Konflikten und zur Stärkung der Solidarität, war die praktische Einführung der gegenseitigen Konsultation (Schura). Diese Methode ist vergleichbar mit der gegenseitigen Konsultation in der UNO, um die Solidarität zwischen ihren Mitgliedern zu gewährleisten. Zur Förderung der Solidarität in der Gemeinde Muhammads wurde betont, die Praxis der gegenseitigen Konsultationen ernst zu nehmen und alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam zu verabschieden, es sei denn, die Entscheidung stehe im Widerspruch zum Qur'an. Die gegenseitige Konsultation wird in den folgenden Quellen erwähnt: Qur'an 2:233 im Hinblick auf die gegenseitige Absprache zwischen Ehegatten über die Betreuung eines Kindes im Falle einer Scheidung. Unter Qur'an 42:38 versteht man die Erledigung der ausführenden bzw handelnden Organe (Exekutive und Legislative) und seinen Mitgliedern, die durch freie und unabhängige Wahlen gewählt werden sollen. Letzterer Vers 3:159 auch in Bezug auf eine freundliche Annäherung an den widerspenstigen Feind, um Konflikte zu eliminieren und künftig Teilnahme und Solidarität walten zu lassen. Diese Beispiele zeigen, wie wichtig es im Islam ist, auf Konsultationen zurückzugreifen, bei der die Abwehr von Konflikten, die Förderung von Gleichberechtigung und die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts im Vordergrund stehen. Artikel 23 KEMR garantiert jedem Menschen das Recht, sich direkt oder indirekt an der Verwaltung der Staatsangelegenheiten in seinem Land zu beteiligen, und im Einklang mit der Scharia ein öffentliches Amt zu bekleiden. Einleitend zu diesem Artikel heißt es: ,Autorität bedeutet Verantwortung; es ist deshalb absolut verboten, Autorität zu missbrauchen oder böswillig auszunutzen. Nur so können die grundlegenden Menschenrechte garantiert werden."

Das Recht auf Gleichheit In Österreich wurde der Gleichheitsgrundsatz als Staatsbürgerrecht in Artikel 7 Bundesverfassungsgesetz und Art 2 Staatsgrundgesetz verankert, der besagt, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Schon in der französischen Revolution war eine der Hauptforderungen, die folglich in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 an erster Stelle niedergeschrieben wurde: "Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein." Des Weiteren hat gemäß Artikel 2 AEMR jeder Anspruch auf die darin verkündeten "Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand". Diese Bestimmung der AEMR findet sich verteilt auf mehrere Passagen unter anderem in Qur'an 49:13 ("... und Wir haben euch zu Nationen und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennen lernen möget ... ") und 30:22 "Und unter seinen Wundern ist die Schöpfung der Himmel und der Erde und die Vielfalt eurer Zungen und Farben ... "). Unterstrichen wird diese Aussage durch die Abschlusspredigt (al-Khutba al-Wada) des Propheten am Berg Arafat: "Die ganze Menschheit ist von Adam und Eva, ein Araber ist einem Nicht-Araber nicht überlegen und ein Nicht-Araber ist einem Araber nicht überlegen, auch ein Weißer hat keine Überlegenheit über einen Schwarzen und ein Schwarzer hat keine Überlegenheit über einen Weißen, außer durch Frömmigkeit und gute Taten. [ ... ]". 11

Wenn wir von Gleichheit sprechen, können wir nur annehmen, dass wir im Sinne des Menschseins gleich sind. Alle sind wir Menschen, die wir alle mit der gleichen Würde ausgestattet sind. Das bedeutet, dass alle Menschen die höchste Stufe der moralischen und spirituellen Entwicklung erreichen können und deshalb alle Menschen zu respektieren sind. So sagte der Prophet Muhammad nachdem er die Hände hob und die beiden Zeigefinger zusammenführe: "Selbst wie die Finger dieser beiden Hände gleich sind, so sind auch die Menschen untereinander gleich. Niemand hat irgendeine Überlegenheit über einen anderen Menschen zu beanspruchen. Ihr seid wie Brüder," (Mahmud Ahmad, Muhammad 277) Demzufolge ist jede Ungleich behandlung von Nicht-Muslime - seien es Anhänger der Buchreligionen, Atheisten oder Polytheisten - strikt abzulehnen. Gott hat den Menschen erschaffen, aber er hat nicht alle Menschen gleich erschaffen, weshalb der Islam für die Gleichheit im Sinne der Chancengleichheit eintritt. Bemerkenswert und doch paradox ist die Tatsache, dass in sehr vielen islamischen Ländem diese Ungleich behandlung im Sinne des Verbots der Diskriminierung aufgrund religiöser Zughörigkeit in den einzelnen Verfassungen verankert ist. FOhlen sich Muslime den "Ungläubigen (Kufar)" oder "Polytheisten (Muschrikun)" überlegen, haben sie offensichtlich Gottes Botschaft nicht verstanden. Qur'an 4:36 listet neben den bekannten, verwandten oder befreundeten Menschenden auch die Waisen, die Bedürftigen, die Nachbarn und die Reisenden auf, um zu ihnen gütig zu sein, denn Allah liebt nicht die Prahler und Eingebildeten. Im Islam ist dies eine Frage des Respekts aber auch der Toleranz gegenüber den Mitmenschen, wie man mit ihnen, ob gläubig oder ungläubig, umgeht. Auffallend widersprüchlich ist demgegenüber Artikel 1 KEMR, der davon spricht, dass "nur" der wahrhafte Glaube die Garantie für das Erlangen solcher Würde auf dem Pfad zur menschlichen Vollkommenheit sei. Dieser Artikel schließt auch unter Heranziehung von Artikel 10 KEMR die Andersgläubigen und die Atheisten aus.

Die Würde des Menschen und die Gleichberechtigung von Mann und Frau Wie im oben genannten Artikel 1 AEMR sind die Menschen gleich an der Würde und Rechten geboren. Da es unter den Menschen jedoch Unterscheidungsmerkmale gibt, muss über die Würde des Menschen als Fundament der Menschenrechte hinaus von Gleichberechtigung gesprochen werden, weil Frauen und Männer zwar nicht gleich sind aber doch gleiche Rechte haben. In Art 5 des 7. Zusatzprotokolls der EMRK ist die Gleichberechtigung der Ehegatten zu entnehmen. Im Rahmen der EU wurde 2004 die EU­ Gleichbehandlungsrichtlinie erlassen, die speziell auf die Bekämpfung der Ungleichbehandlung von Mann und Frau abzielt. Das UNO-Übereinkommen von 1981 über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDA~ versuchte alle geltenden Gesetze und Praktiken, die Frauen benachteiligt behandeln, zu verhindern und zu beseitigen. Denn die Würde der Frau ist unantastbar. Frauen sollen Männern gegenüber gleichgestellt behandelt werden. Die gleichen Ziele, wenn auch nicht ausdrücklich festgelegt, werden in vielen Passagen vor allem in der vierten Sure des Qur'ans erwähnt, die den Titel "Die Frauen" (AI-Nisa) trägt. Schon zu Beginn dieser Sure (Qur'an 4:1) werden neben der wesentlichen Einheit der Menschheit die Verpflichtungen von Männern und Frauen gegenüber einander betont. Einer der Hauptprobleme ist heute, dass die orthodoxe islamische Jurisprudenz unter anderem den Fehler begehe, dass sie annehme, die Befreiung der Frau habe mit der Sendung Muhammads begonnen und mit seinem Tod geendet, und weil sie damals nicht arbeiten und politische Ämter bekleiden durfte, sie das heute auch nicht dürfe. Den Fortschritt, den der Islam für die Frauen brachte, war jedoch bloß der Anfang eines langen Prozesses, weshalb die Stellung der Frau nicht als statisch, sondern als sich im historischen

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Kontext und innerhalb der Grenzen Gottes wandelbar angesehen werden müssen. Dass der Mensch der Diener Gottes sei, bedeute ebenfalls, dass die Frau ein Recht auf ein selbstbestimmtes und von den Entscheidungen der Ulama unabhängiges Leben habe, weshalb ihr dieselben Rechte zustehen als dem muslimischen Mann. Die Gleichheit von Mann und Frau ist an zahlreichen Stellen im Qur'an zu finden, wie etwa in Qur'an 33:35, 33:73 oder in Qur'an 49:13, die auf die gleiche Abstammung aus einem männlichen und weiblichen Wesen abzielt. Als unerklärliches Beispiel für die adynamische und nicht kontextorientierte Auslegung des Qur'ans lässt sich die prozessrechtliche Regelung anführen, bei der die Aussagen zweier Zeuginnen so viel wie die eines Zeugen wiegen (Qur'an 2:282). Dies stehe im klaren Widerspruch zu Artikel 19 KEMR und Artikel 11 der Arabischen Charta der Menschenrechte, wo es heißt: "Alle Personen sind gleich vor dem Gesetz und haben das Recht auf Schutz vor Diskriminierung". Weitere Einseitigkeiten ergeben sich aus Artikel 6 KEMR, der Mann und Frau nur anhand der Würde, nicht aber anhand der Rechte gleichstellt. In Artikel 5 KEMR (siehe Qur'an 2:221) wird der muslimischen Frau untersagt, einen Nicht-Muslim zu heiraten. Hingegen ist die Zwangsheirat (sowie auch der Ehrenmord) unislamisch. Abschließend soll noch kurz in zwei Punkten auf die Ursache dieser verfehlten orthodoxen islamischen Jurisprudenz eingegangen werden. Demnach ergeben sich die rechtlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern aus Qur'an 4:34, auch als Prügelvers bekannt, woraus die Ulama die fälschliche Überordnung des Mannes über die Frau annahm, in dem sie ihm die Befehlsgewalt über die Frau in den Bereichen der ehelichen Rechte und Pflichten, im Recht auf Freiheit der Person, in der Freizügigkeit und in der freien Berufswahl zusprach. Die Heilige Schrift sei so ausgelegt worden, wie es den Männern gepasst habe. Zum Beispiel, obwohl im Qur'an keine Rede davon sei, dass die Frau eine Versuchung (fitna) für den Mann darstelle, sei sie als eine solche betrachtet worden und habe sich deswegen verschleiern müssen. Diesbezüglich müsste der Frau nach dem Verständnis der Selbstbestimmung die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu entscheiden, ob sie im Sinne von Qur'an 24:31 ein Kopftuch tragen will oder nicht.

Verbot der Rassendiskriminierung - Chancengleichheit - Kulturvielfalt Mit dem Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1969, fordert die UNO ihre Mitglieder dazu auf, Rassendiskriminierung zu beseitigen, das Verständnis unter allen Rassen zu fördern, Hassreden und die Mitgliedschaft in rassistischen Organisationen zu verbieten sowie die im internationalen Pakt für kulturelle. soziale und wirtschaftliche Rechte von 1976 enthaltenen Rechte allen Mitglieder zu gewähren. Dies umfasst vor allem die Bereiche Gesundheit, Bildung und Lebensstandard. In der EMRK findet sich eine derartige Bestimmung in Artikel 14 und in Artikel 1 des 12. Zusatzprotokolls. Hier finden sich Parallelen zu Muhammads Haltung gegenüber seiner Gemeinschaft von Anhängern, deren Vielfalt er respektierte und selbst geschätzt hat. Er bekundete seine Anerkennung, indem sie regelmäßig mit Adjektiven und Angaben zu ihren Herkunftsorten, Ethnien, Kulturen und Religionen bedachte, als er von ihnen sprach. Dazu gehörten ein ehemaliger Sklave aus Abessinien (heutiges Äthiopien) namens Bilal, eine ägyptische Frau namens Mariya, ein römischer Mann namens Suhayb, ein persischer Mann namens Salman, ein jüdischer Mann namens Abdul-Salam, und eine jüdische Frau Safiyya sowie wie Männer und Frauen aus vielen verschiedenen Stämmen Arabiens. Ein Beispiel für die Art und Weise, wie er seine Anerkennung für ihre verschiedenen Kulturen aufbot wird in folgenden Aufzeichnungen gefunden: "Zur Feier eines jährlichen islamischen Festes begann eine Gruppe von afrikanischen Konvertiten einen Tanz mit Speeren, begleitet durch das Schlagen der Ledertrommeln in der Moschee des Propheten. Umar Ibn al-Khattab, einer der engsten Gefährten des Propheten, fühlte sich gezwungen, hier Einhalt zu gebieten aber der Prophet 13

intervenierte in ihrem Namen, und gebot Umar sie in Ruhe zu lassen, mit den Worten, dass sie "die Söhne Afrikas" und nicht sein Volk seien. Der Prophet lud seine Frau Aischa ein, um sie tanzen zu sehen. Er nahm sie in die Menge und hob sie über seinen Rücken, so dass sie sie deutlich beobachten konnten. Ein jeder konnte sehen, wie sie sich eifrig vorbeugte und ihre Wange gegen die seine drückte. Der Prophet präsentierte sich so, um das Bedenken und die Verunsicherung der Äthiopier gegenüber Umar zu zerstreuen und ermutigte sie ihre Darbietungen gut zu machen. In einem Bericht über diese authentische Geschichte wird versichert, dass er ihnen bezüglich ihrer Trommeln und dem Tanzen gut zusprach: "Spielt eure Spiele, 0 Söhne Afrikas, damit die Juden und Christen wissen, dass es Freiheit in unserer Religion gibt." [Bukhari, Iydayn 2, 3; Muslim, Iydayn 19] Sein Respekt für sie war von der Tatsache gekennzeichnet, dass er ihnen allen Chancengleichheit anbot. Ein Beispiel dafür ist auch, dass er den ehemaligen afrikanischen Sklaven namens Bilal mit dem Auftrag des ersten Gebetsrufers der ersten Moschee in Medina geehrt hatte. Der folgende Auszug aus einer juristischen Abhandlung zeigt, dass einige Rechtsgelehrte seine Bedeutung betonen: Der Jurist und Berber Maliki Shihab al-Din Qarafi aus dem 13. Jahrhundert erklärte: "Personen, die die Gerichtsurteile unter blinder Einhaltung der Texte aus ihren Büchern tradieren, ohne Rücksicht auf die kulturellen Gegebenheiten ihres Volkes zu nehmen, sind im groben Irrtum. Sie handeln im Widerspruch zum etablierten rechtlichen Konsens und sind schuldig an der Ungerechtigkeit und Ungehorsam vor Gott. Ihre Unwissenheit ist keine Entschuldigung, weil sie es auf sich genommen haben, um Gerichtsurteile abzugeben, ohne dieser Praxis würdig zu sein. Das blinde Festhalten an etwas, was in schriftlicher Form als Rechtskompendien dient, ist Irreführung im Namen des Islam und führt zu völliger Unkenntnis der ultimativen Ziele hinter der die Urteile der Gelehrten und großen Persönlichkeiten der Vergangenheit stehen, die sie fälschlicherweise nachahmen. "

Konklusion Abschließend kann gesagt werden, dass die Werte und Prinzipien in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 mit den Werten und Prinzipien des Islam konform und mit dem Qur'an und den Hadith-Sammlungen kompatibel sind. Ebenso sind diese Werte und Prinzipien durch die Wissenschaften der islamischen Rechtswissenschaft und dem Rechtssystem belegt. Darüber hinaus wurden sie von den Muslimen anerkannt und seit dem 7. Jahrhundert in ihren Handlungen und Lebenswei!:en in der ganzen Welt übernommen. Es ist daher nicht überraschend, dass die Mehrheit der muslimischen Länder, die zum Zeitpunkt der Gründung der UNO existierten, ihrer Charta zustimmte und dass der Rest, der erst später die Souveränität erlangte, ihr folgte.

M. A. Kramer I M. Rausch

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Weiterführende Literatur Asad Muhammad, Die Botschaft des Qur'an (2009).

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Ebert Hans Georg, Beiträge zum islamischen Recht. 7. Islam und Menschenrechte (2010).

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Kühnhardt Ludger, Die Universalität der Menschenrechte: Studie zur ideengeschichtlichen

Bestimmung eines politi&:hen Schlüsselbegriffs (1987) 174 - 194.

Lecker Michael, The Constitution of Medina - Muhammad's First Legal Document (2004).

Luttenberger Wolfgang, Menschenrechte und Religion - Der Anspruch der Menschenrechte

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Müller Lorenz, Islam und Menschenrechte - Sunnitische Muslime zwischen Islamismus,

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Tibi Bassam, Im Schatten Allahs - Der Islam und die Menschenrechte (2003).

Yousefi Hamid Reza, Einführung in die islamische Philosophie: eine Geschichte des

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