Revolution auf der Bühne? Wilhelm Kienzls Der

January 12, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Musik
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Revolution auf der Bühne? Wilhelm Kienzls Der Kuhreigen

Bachelorarbeit zur Erlangung des Grades Bachelor of Arts im interuniversitären Bachelorstudium Musikologie, eingereicht bei Univ.-Prof. Dr.phil. Michael Walter von Gerald Krammer Matrikelnummer 0910964 [email protected] Juli 2013

Inhaltsverzeichnis 1.

Abstract ............................................................................................................................. 3

2.

Einleitung........................................................................................................................... 4

3.

Der Kuhreigen in der musikwissenschaftlichen Fachliteratur ........................................... 5

4.

Entstehung des Kuhreigens ............................................................................................... 7

5.

Analyse ausgewählter Szenen aus dem Kuhreigen ........................................................... 8

5.1 Idylle und Volkston ........................................................................................................... 9 5.1.1 Die Melodie des Kuhreigens .......................................................................................... 12 5.2 Revolution....................................................................................................................... 17 5.2 Das Ende einer dekadenten Zivilisation ......................................................................... 21 6.

Rezeption ........................................................................................................................ 29

7.

Resümee .......................................................................................................................... 30

8.

Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 33

9.

Anhang ............................................................................................................................ 35

9.1 Auswahl an Opern über die Französische Revolution in chronologischer Reihenfolge . 35

2

1. Abstract Diese Arbeit ist als Vorstudie zu einem größeren Projekt über Revolutionsopern anzusehen, das einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Französischen Revolution leisten soll. Exemplarisch wurde für den engen Rahmen einer Bachelorarbeit Wilhelm Kienzls musikalisches Schauspiel Der Kuhreigen (1911) zur genaueren Analyse aufgegriffen. Gerade zum Kuhreigen, der zunächst sehr erfolgreich war, ist fundierte wissenschaftliche Fachliteratur nur schwer auffindbar. Viele Aspekte dieser Arbeit wurden daher direkt aus der Analyse der Partitur gewonnen. Gezeigt werden sollen Facetten der kontrastierenden musikalischen Gestaltung der verschiedenen Gruppen (Schweizer-Revolutionäre-Adel), der bis ans epigonenhafte grenzende Einsatz des Volkstones und die für Kienzl typische Mischung Stilelementen verschiedenster Prägung.

Ein kurzer Vergleich mit den

Revolutionsopern seiner Zeitgenossen

Giordano (Andrea Chenier, 1896) und Massenet (Thérèse, 1907) bildet den Abschluss dieser Arbeit und zeigt die Perspektiven ihrer Fortführung auf.

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2. Einleitung Der österreichische Komponist Wilhelm Kienzl (1857-1941) ist heute vor allem noch durch seinen Welterfolg Der Evangelimann (1894), der im deutschen Sprachraum noch hin und wieder aufgeführt wird, bekannt. Zu seinen Lebzeiten konnte er außerdem mit einem weiteren Bühnenwerk, dem musikalischen Schauspiel Der Kuhreigen (1911) große Erfolge feiern. In dieser Oper stellt Kienzl die Geschehnisse der französischen Revolution im den Jahren 1792-1794 auf die Bühne. Dieses Thema war zuvor u. a. schon von Umberto Giordano (Andrea Chénier, 1896) und Jules Massenet (Therese, 1907) zu einer Oper verarbeitet worden. Giordanos Oper, die heute zu den Hauptwerken des Verismo gezählt wird, war nach der deutschen Erstaufführung in Breslau 1897 im deutschen Sprachraum nicht besonders erfolgreich und erlebte 1909 mit nur 4 Aufführungen seine Premiere in der Wiener Volksoper, wo zwei Jahre später auch Kienzls Kuhreigen zur Uraufführung gelangte, der in den darauffolgenden Jahren große Erfolge erzielte. In dieser Arbeit möchte ich die Beziehungen Kienzls zum Verismo und anderen musikalischen Strömungen seiner Zeit (vor allem den Einfluss Wagners) anhand des Kuhreigens aufzeigen. Kienzl wurde von seinen zeitgenössischen Kritikern (Hanslick, Kalbeck) v. a. über dessen Evangelimann vorgeworfen, er mische zahlreiche musikalische Einflüsse in seinem Werk und lasse keinen eigenen Stil erkennen: „Fülle und Neuheit der Erfindung wird man seiner Partitur nicht nachrühmen; ich wüßte kaum eine einzige Melodie daraus als originell hervorzuheben. Kienzl ist kein Entlehner, aber ein sehr sensibler Anempfinder; er spricht unwillkürlich mit fremden Stimmen, insbesondere der Wagners.“1 Es soll daher in Bezug auf den Kuhreigen untersucht werden, inwiefern die spezielle Mischung von so unterschiedlichen Einflüssen wie Richard Wagner, Verismo und Volkstheater zu einem spezifischen Stil

Kienzls

beiträgt. Dazu werden ausgewählte, musikalisch besonders aussagekräftige Stellen des Kuhreigens analysiert werden. Der Kuhreigen hat mit dem Evangelimann außerdem gemeinsam, dass er ebenfalls auf eine zeitgenössische Erzählung (Die kleine Blanchefleure von Rudolf H. Bartsch, 1909) zurückgeht und von Kienzl als musikalisches Schauspiel bezeichnet wurde.

1

Eduard Hanslick, Am Ende des Jahrhunderts (1895-1899). Der modernen Oper 8. Theil, Berlin 1899, S. 4

4

Außerdem soll untersucht werden, wie von Kienzl, der im Kuhreigen wiederholt Melodien aus der Zeit der französischen Revolution verwendet, die historischen Geschehnisse auf der Opernbühne dargestellt und durch seine Musik interpretiert werden. Dabei muss bedacht werden, dass Kienzl promovierter Musikwissenschafter war2 und davon ausgegangen werden kann, dass er sich auch mit der Musik des 18. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat.3 Es stellt sich dabei die Frage, wie ein Komponist, der sich selbst als konservativ eingestuft hat, eine Oper mit einem politisch revolutionären Sujet behandelt, bzw. was Kienzl mit der Musik und dem Gedankengut der Zeit der Revolution verbindet. Außerdem soll der Einfluss von Richard Wagners Denken über die Revolution (v. a. Die Kunst und die Revolution) auf den sich selbst als „Wagnerianer“ bezeichneten Kienzl kurz angeschnitten werden. Ein weiterer Fokus wird auf der titelgebenden Melodie des Kuhreigens liegen, die Kienzl so am Herzen lag, dass er später auch noch Variationen über sein Thema schrieb (op. 109). Obwohl Kienzl behauptete, diese Melodie selbst erfunden zu haben, steht sie doch besonders im Spannungsfeld zwischen Zitat und Originalkomposition, wie im Hauptteil nachgewiesen werden wird.

3. Der Kuhreigen in der musikwissenschaftlichen Fachliteratur Zu

Wilhelm

Kienzl

und

seinen

Kompositionen

liegt

bisher

nur

wenig

musikwissenschaftliche Literatur vor. Die umfangreichste Schrift zu Kienzl stammt bezeichnenderweise vom Komponisten selbst, der 1926 unter dem Titel Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes seine Autobiographie veröffentlicht hat. Dieses Buch enthält neben der Beschreibung seines Lebenslaufs auch die Schilderung seiner Beziehung zu Persönlichkeiten wie Wagner, Brahms, Humperdinck oder Rosegger. Besonders aufschlussreich ist allerdings der Abschnitt „Aus meiner Opernwerkstatt“, in dem Kienzl über Entstehung, Uraufführung, künstlerische Absicht zu seinen sämtlichen Bühnenwerken (außer dem Singspiel Hans Kipfel, das erst 1926 komponiert wurde) berichtet und natürlich zahlreiche Anekdoten einfügt. Trotz aller Vorsicht, mit der autobiographische Schriften immer zu interpretieren sind, da der 2 3

Er promovierte 1879 mit seiner Dissertation Über die musicalische Declamation bei Eduard Hanslick Vgl. Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 30, 132-133

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Autor schließlich immer seine vollkommen subjektive, womöglich in nachträglich verzerrender Weise berichtet, bietet dieser Teil doch interessante Einblicke, wie Kienzl sich selbst interpretiert sehen wollte. Den besonderen Stellenwert, den Kienzl den Werken aus seiner „Opernwerkstatt“ gibt, wird auch in diversen Lexikonartikeln wiederholt. So ist in der Neuen Deutschen Biographie zu lesen: „K.s Bedeutung liegt in seinem Bühnenschaffen. „Der Evangelimann“ (1895 Berlin) und „Der Kuhreigen“ (1911 Wien), beide als „musikalisches Schauspiel“ bezeichnet, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzte Welterfolge und gaben ihm eines heimatliche, romantische und veristische Kunstmittel geschickt mischenden Repräsentanten einer spezifisch österr. „Volksoper“ […].“

4

In

Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters finden sich zwei Artikel von Hans-Joachim Bauer zu Der Evangelimann und Der Kuhreigen, in deren Kommentarteil auf einige entscheidende Punkte hingewiesen wird, andere Behauptungen allerdings bloß aus Kienzls Autobiographie unkommentiert übernommen werden (z. B. die Behauptung „Die Melodie des „Kuhreigens“, der hier einfach mit dem Straßburglied aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn (1808) […] identifiziert erscheint, übernahm Kienzl nicht von Friedrich Silcher, sondern komponierte sie neu; sie gehört zu den glücklichsten Einfällen der Partitur.“5 Auf die großen Ähnlichkeiten zwischen den Melodien Silchers und Kienzls wird weiter unten in dieser Arbeit hingewiesen werden.) Von besonderem Interesse sind die zeitgenössischen Besprechungen von Kienzls Bühnenwerken von so einflussreichen Kritikern wie Eduard Hanslick, Max Kalbeck oder Julius Korngold, die zeigen, wie Kienzl, der vor allem mit dem Evangelimann und dem Kuhreigen großen Erfolg beim Publikum hatte, von diesen musikalisch sehr fundiert argumentierenden Kritikern eingeschätzt wurde. Außerdem erwähnt werden müssen zwei Dissertationen über Kienzls Opern, nämlich Wilhelm Kienzls Opernstoffe von Karin Trambauer (Wien 1950) und Wilhelm Kienzls Bühnenwerke von H. A. Yoshida (Wien 1983). Während Trambauer nur einen

4

Wilhelm Pfannkuch, Art. Kienzl, Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 587 f. [online verfügbar: www.deutsche-biographie.de/pnd118777149.html, 29. 07. 2013] 5 Hans-Joachim Bauer, Art. Der Kuhreigen, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, hg, von Karl Dahlhaus in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth (Leitung: Sieghart Döhring), Bd. 3. Henze – Massine, München u. a. 1989, S. 293

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„Dramaturgischen Vergleich der Libretti mit ihren literarischen Vorbildern“6 und auch viel Anekdotisches bietet und dabei immer wieder in einen mehr schwärmerischen als sachlichen Tonfall verfällt7, bietet Yoshida auch eine oberflächliche musikalische Analyse und Ausschnitte aus diversen Kritiken.

4. Entstehung des Kuhreigens Über die Entstehung des musikalischen Schauspiels hat Kienzl selbst in seiner Autobiographie ausführlich berichtet.8 Yoshida ergänzt diese Ausführungen noch um einige Details und Auszüge aus seinen Tagebüchern,9 weshalb hier nur mehr auf einige wesentliche Punkte hingewiesen werden soll. Entscheidend ist, dass Kienzl das Libretto zum Kuhreigen, anders als beim Evangelimann und Don Quixote nicht mehr selbst verfasst hat: „Mein Respekt vor dem literarischen Werte der Bartschschen Novelle war aber zu groß, als daß ich es wagen durfte, mir das Opernbuch selbst anzufertigen, wie ich es beim „Evangelimann“ und „Don Quixote“ getan hatte. Und so wandte ich mich an einen bewährten Librettisten, einen Theatermann bester Qualität, an den – wie ich wußte – meiner Kunst sympathisch gegenüberstehenden geistvollen Musikkritiker Doktor Richard Batka.“10 Warum Kienzl vor der Aufgabe zurückscheute, eine kleine Novelle des zu Lebzeiten zwar hochgeschätzten, heute aber größtenteils vergessenen Rudolf Hans Bartsch (1873-1952) zu dramatisieren, während er keine Skrupel hatte, ein Werk der Weltliteratur wie Cervantes Don Quixote zu bearbeiten, verwundert aus heutiger Sicht. Tatsächlich liegt es aber nahe, dass der sich nach außen ohnehin sehr bescheiden gebende Kienzl nach dem Misserfolg seinen Schmerzenskindes Don Quixote, das er „[…] als mein eigentliches Lebenswerk zu betrachten nicht anstehe“11, doch gewisse Zweifel an seiner dramatischen Begabung bekommen hatte. Diese These wird auch dadurch bestärkt, dass 6

Karoline Trambauer, Wilhelm Kienzl’s Opernstoffe. Dramaturgischer Vergleich der Libretti mit ihren literarischen Vorbildern, Diss. masch., Wien 1950, S. 7 Z. B. „Als Text bedient sich Kienzl des Straßburgliedes, das auch Bartsch seinen Schweizern [sic!] als Kuhreihen singen läßt, doch wurde die Originalmelodie dieses Liedes von unserem Meister nicht übernommen.“ (S. 85) 8 Vgl. Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 313-318 9 Asami Yoshida, Wilhelm Kienzls Bühnenwerke, Diss. masch. Wien 1983, S. 110-112 10 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 314 11 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 312

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er später nur mehr das Libretto zu Das Testament op. 90 nach dem mit ihm befreundeten Rosegger selbst verfasste, die letzten drei Opern aber anderen Librettisten überließ. Jedenfalls verließ Kienzl damit das auf das seit Wagner geltende Prinzip seiner Anhänger, dass Dichtung und Musik von demselben Künstler verfasst werden sollten und wandte sich mehr der üblichen Theaterpraxis zu. Hatte er sich nach eigener Aussage schon bei der Musik des Don Quixote „[…]ganz aus der Umklammerung Wagners befreit […]“,12 so tat er es mit dem Kuhreigen auch auf dramatischer Ebene: „Der Dichterkomponist hat zur Hälfte verzichtet, den Dichter verabschiedet. […] Mit dem Dichter schied der Musikdramatiker, überließ seinen Platz wieder dem Theaterkomponisten, der es mit Recht als erstrebenswertes Ziel ansieht, mit Geschmack dem Tagesbedürfnisse der musikalischen Bühne zu dienen, ehrlich die breite, volkstümliche Wirkung zu suchen.“13 Insofern liegt Yoshida falsch, wenn sie behauptet, dass „Der Erfolg des „Kuhreigens“ […] eigentlich ein Triumph der Idee des „Musikdramas“ an sich (war), seines wirksamen, effektvollen theatralischen Aufbaus, unterstützt durch die äußerst wirkungsvolle Musik.“14Der unmittelbare Einfluss der Musikdramen Wagners ist im Kuhreigen tatsächlich nur mehr in einzelnen Ausschnitten bemerkbar, währende andere Elemente wesentlich überwiegen, wie im Folgenden dargestellt wird.

5. Analyse ausgewählter Szenen aus dem Kuhreigen Da eine vollständige Analyse des Kuhreigens in diesem Rahmen nur sehr oberflächlich möglich wäre, möchte ich mich auf die Gestaltung der unterschiedlichen Elemente beschränken, die schon Kienzl selbst hervorhebt: „Die Geschichte von der kleinen Marquise Massimelle und dem Schweizer Bauern Primus Thaller, welche zwei himmelweit voneinander geschiedene Welten darstellen, die sich nie und nimmer miteinander verschmelzen können, der sich daraus unwillkürliche Gegensatz von an Fäulnis grenzender Zivilisation und erquickender Naturfrische und Naivität […], sodann der große Kontrast von höfischem Zeremoniell und wildem Sanscoulottentum,

12

Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 308 Julius Korngold, Deutsches Opernschaffen der Gegenwart. Kritische Aufsätze, Wien u. a. 1922, S. 256 14 Asami Yoshida, Wilhelm Kienzls Bühnenwerke, Diss. masch. Wien 1983, S. 114 13

8

mußte das nicht einen Theatermenschen wie mich reizen?“15 Es bleibt nun zu zeigen, wie

Kienzl

diese

Gegensätze



dekadente

Zivilisation

des

Adels

gegen

Naturverbundenheit des Schweizers, galantes Hofzeremoniell und die brutale Revolutionsbewegung musikalisch darstellt.

5.1 Idylle und Volkston Kienzls musikalische Sprache, die Hanslick in seiner Kritik zum Evangelimann als nur wenig originell bezeichnet hat, ist gekennzeichnet von einem Nebeneinander von verschiedenen musikalischen Stilen und Stilhöhen: neben dem dominanten Einfluss Wagners kann man auch Einflüsse der deutschen Romantik (v. a. Schumann, dessen Lieder Kienzl sehr verehrte), der zeitgenössischen Opernmusik (vor allem des Verismo) und des Volkstheaters bemerken. Die in der Partitur als „Abendstimmung“ bezeichnete Stelle ist eigentlich eine in sich geschlossene lyrische Tenor-Arie des Primus in G-Dur.16 Nach einer 10-taktigen, rein diatonischen Einleitung in G-Dur mit gedämpften Streichern und Holzbläsern, stimmt Primus, mit ausdrücklich weicher Stimme eine durch ihre melodischen Sprünge an Jodelrufe erinnernde Melodie an („Lug‘, Dursel, lug‘“). Auffällig ist, dass hier eindeutig Begriffe aus dem Schweizer Dialekt verwendet werden, was eine Nähe zum literarischen Verismo darstellt, der „[…] Wortformen und Redensarten [verwendet], die aus den Dialekten der Landschaften stammen, in denen die erzählte Geschichten spielen.“17 Auch an anderen Stellen fließen Schweizer Idiome ins Libretto ein.18 Kienzl hat später in seiner Oper Das Testament op. 90 (nach Peter Rosegger) ausgiebig die steirische Mundart verwendet. Obwohl die melodische Grundsubstanz an sich sehr einfach ist, verwendet Kienzl im Lauf der 25 Takte vom Beginn der Gesangsstimme eine an Wagner erinnernde Harmonik, die

beinahe taktweise oft weit entfernte

Tonarten nebeneinanderstellt: G-Dur, H-Dur, Cis-Dur, C-Dur, c-Moll, A-Dur, B-Dur, Es-Dur, es-Moll, D7, g-Moll, Des-Dur, und Ges-Dur, das schließlich mit Fis-Dur 15

Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 314 Sie wurde auch einzeln auf Schallplatte aufgenommen von Karl Ziegler (Wien), Odeon Record 93186. Auch im Evangelimann finden sich liedhafte, eher sentimentale, in sich geschlossene Nummern (O schöne Jugendtage, Selig sind, die Verfolgung leiden), die durchaus „Wunschkonzert“-tauglich waren. 17 Egon Voss, Verismo in der Oper, in: Die Musikforschung, hg. von der Gesellschaft für Musikforschung, 31. Jahrgang, Kassel u. a. 1978,. S. 305 18 „Krieg ich ein Küßli noch obendrein?“ (Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 36), „Krüzigt’s Herrgöttli! Bin ich verrückt?“ (S. 148) Bezeichnenderweise spricht Primus hier nur „für sich, jubelnd“ und verwirrt durch Blanchefleures Koketterien in Schweizer Mundart. 16

9

Notenbeispiel 1: Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 65: In der „Abenstimmung“ bedient sich einem stimmungsmalerischen Orchestersatz

enharmonisch verwechselt wird und im nächsten Takt in der Variante fis-Moll innehält. Die Mediantbeziehungen und die auffällige Verwendung von Dur- und Moll-Varianten

10

(G/g, Fis/fis) sind aber auch bereits in vielen Liedern Schuberts zu finden und sind typisch für die romantische Harmonik. Im Folgenden lässt Kienzl bereits den die Melodie des „Kuhreigens“ anklingen und imitiert in geradezu impressionistischer Weise den „Glockenklang“ des Textes durch eine Pendelbewegung in der „romantischen“ Instrumentierung von Horn und Harfe über Bordunbässen. Der Text, der eine geradezu pantheistische Stimmung evoziert („Sieh‘, über Täler, Glockenklang und Almen steigt es zum Himmel an wie stille Psalmen. Es ist, als hört‘ in süßer Hergottsruh‘, die ganze Kreatur den Stimmen zu“ 19), wird von Kienzl durch einen stimmungsmalenden Orchestersatz (arabeskenhafte Bläsereinwürfe über Streichersatz, bei Kienzl verstärkt durch Harfen-Arpeggi) und die lyrische Stimmung durchaus an das sog. „Waldweben“ im 2. Aufzug aus Richard Wagners Siegfried erinnert. Bezeichnend für Kienzls auf die Rührung des Publikums abzielender Theaterinstinkt ist die Regieanweisung der Oper: „Große Ergriffenheit der Schweizer. Einige wischen sich die Tränen ab. Andere schauen wortlos in die Weite.“ Die Zeit auf der Bühne scheint stillzustehen und Kienzl lässt sich für das Trocknen der (Theater)Tränen auch ausführlich Zeit: 11 Takte G-Dur mit wiegender Achtelbewegung (wieder Celesta!) dann eine enharmonische Modulation von E7 nach B7, womit der nachfolgende „Kuhreigen“ in Es-Dur vorbereitet ist. Schon seine Zeitgenossen haben Kienzl vorgeworfen, er schreibe allzu platte, auf das sentimentale Publikum abzielende Musik.20

Kienzl versteht es durch solche

sentimentale Szenen, das Publikum immer wieder geschickt zu rühren und schafft dadurch Ruhepunkte, in denen das Bedürfnis des Publikums nach „Ohrwürmern“ gestillt wird. Obwohl Kienzl sich gegen den Vorwurf der „Berechnung“ wehrt, klingt seine Rechtfertigung nicht besonders überzeugend: „In der Kunst muss man entweder die Sinne kitzeln oder das Herz treffen – ein Drittes gibt’s nicht. Ich wählte, meinem Naturell entsprechend, das Zweite. Daß man mir, nebenbei erwähnt, hier und da die von mir erzielte Gemütswirkung als Raffinement, also als schlaue Berechnung, ausgelegt hat, kränkte mich, denn es traf den Nerv meiner bescheidenen, aber ehrlichen Kunst. Die Ausnützung der Bühnenwirkung muß doch jedem, der fürs Theater schreibt, 19

Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 69-70 Vgl. Die Kritik zum Evangelimann von Max Kalbeck: „Er stärkt ihr heimliches Sehnen nach einer verloren geglaubten Unschuld, die sie nie besessen haben; er schmeichelt ihrer verschämten, oft belachten Vorliebe für die gute, alte Zeit.“ (Max Kalbeck, Opern-Abende. Beiträge zur Geschichte und Kritik der Oper. 1. Band: Deutsche Opern, Berlin 1898, S. 235 20

11

gestattet sein, sonst wäre es besser, er ließe die Hand davon.“21 Wie schmal für Kienzl der Grat zwischen „Gemütswirkung“ und bescheidener, ehrlicher Kunst und Sentimentalität war, zeigt eine Stelle aus seiner Autobiographie, wo er sich nach einer Rückschau auf seine Kindheit selbst maßregelt: „Doch ich werde sentimental, und Sentimentalität ist Schwäche und somit unfruchtbar im Gegensatze zum Gemüt, das Kraft bedeutet und die Quelle alles Schöpferischen ist.“22 Kienzls

durchaus

im

schwärmerischen

Geist

der

Romantik

stehenden

Naturverbundenheit, die er mit der Person des Primus Thaller teilt und sein Bekenntnis zu einer konservativen Weltanschauung drückt er selbst gegen Ende seiner Autobiographie in einer pathetischen, bekenntnishaften Ausruf aus: „Natur! Sie wird stets meine angebetete Göttin sein. Sie kann nicht lügen; und wer ihr im Leben und in der Kunst nacheifert, wird gut fahren. Alles, was gegen sie verstößt, alles Unnatürliche, hasse ich aus dem Grunde meines Herzens, ob es nun im Brudermorde des Krieges, in der Homosexualität, in der kubistischen Malerei oder in der atonalen Musik sich äußert. Kein Baum wächst mit der Krone in die Erde hinein, kein Mensch ist erst alt und dann jung, kein Stern fällt nach oben. Dem Walten des ehernen, ewigen Naturgesetzes sind wir alle unterworfen. Und mit Freude und Genuß mögen wir uns ihm fügen.“23 Hier spricht kein revolutionärer Künstler, sondern ein über die aktuellen Ereignisse und Strömungen der Zwischenkriegszeit entsetzter, bürgerlicher Mensch, dessen Ästhetik und Weltanschauung tief im 19. Jahrhundert verwurzelt ist und dessen Kunst schon zu Lebzeiten trotz einiger großer Erfolge als überholt gelten musste.

5.1.1 Die Melodie des Kuhreigens Seine größten musikalischen Erfolge erzielte der Komponist Wilhelm Kienzl mit Melodien, die den Volkston auf die Opernbühne gebracht haben. Sowohl „Selig sind, die Verfolgung leiden“ aus dem Evangelimann, als auch das Straßburglied aus dem Kuhreigen sind in ihrer Schlichtheit im Volkston gehalten, dem die deutschen Romantiker (Mendelssohn, Schumann etc.) seit J. A. P. Schulz immer wieder gefolgt sind. Dieser gab auch die Ästhetik des Volkstones vor, wenn er in der Vorrede zu seinen 21

Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 302 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 224 23 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 222 22

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Liedern schreibt, dass im „Schein des Bekannten“ das Geheimnis des Volkstones liegt: „Denn nur durch eine frappante Aehnlichkeit des musikalischen mit dem poetischen Tone des Liedes; durch eine Melodie, deren Fortschreitung sich nie über den Gang des Textes erhebt, […] die ausserdem in sehr sangbaren Intervallen […] und in den allerleichtesten Modulationen fortfließt; und endlich durch die höchste Vollkommenheit der Verhältnisse aller ihrer Theile […] erhält das Lied den Schein […] des Ungekünstelten, des Kunstlosen, des Bekannten, mit einem Wort, den Volkston, wodurch es sich dem Ohre so schnell und unaufhörlich zurückkehrend, einprägt.“24 Kriterien des Volkstones ist also die Einfachheit in der Gestaltung von Melodie, Harmonik und Form. Komponisten wie Schumann (5 Stücke im Volkston op. 102) oder Mahler (Des Knaben Wunderhorn) gingen später mit den Erwartungen an den Volkston durchaus auch ironisch und verfremdend um, während Kienzl in seinen zahlreichen Kompositionen im Volkston25 durchaus den Forderungen von Schulz nach Einfachheit entgegenkommt. In der Oper stimmt der Text des Kuhreigens mit dem Volkslied Der Schweizer von Friedrich Silcher26 bis auf einige orthographische Details vollständig überein. Dies veranlasste manche Zeitgenossen zu dem Vorwurf des Plagiats, wobei Kienzl behauptete, nur den Text von Silcher übernommen zu haben: „Noch ein Moment möchte ich erwähnen, das mir darum nicht unwichtig dünkt, weil sich darüber eine falsche Meinung verbreitet hat: Das Straßburglied habe ich nicht von Silcher, dem Komponisten des Volksliedes übernommen, sondern ganz neu komponiert. Es spielt in dem Werke eine so große Rolle, daß mir diese Feststellung nicht gleichgültig sein kann.“27 Diese Behauptung Kienzls wurde von nachfolgenden Autoren unhinterfragt wiedergegeben: „Die Melodie des „Kuhreigens“ […] übernahm Kienzl nicht von Friedrich Silcher, sondern komponierte sie neu; sie gehört zu den glücklichsten Einfällen der Partitur.“28 Tatsächlich zeigt ein genauer Vergleich der Melodien von Silcher und Kienzl jedoch bemerkenswerte Gemeinsamkeiten, die Kienzls Version eher wie eine Variation der volkstümlichen Melodie erscheinen lassen. Korngold erkannte 24

Johann Abraham Peter Schulz, Vorbericht, in: Lieder im Volkston, bey dem Claviere zu singen, Berlin 1785. Faksimilenachdruck Hildesheim u. a. 2005, S. 2 25 Z. B. Lieder im Volkston op. 6, Drei Volkslieder op. 31, Bilder aus dem Volksleben für Klavier op. 52, Vier volkstümliche Gesänge op. 57, Sechs volkstümliche Lieder für gemischten Chor op. 59, Sechs volkstümliche Männerchöre op. 60, Aus des Knaben Wunderhorn op. 96, 26 Friedrich Silcher: Der Schweizer, in: Volkslieder für eine oder zwei Singstimmen mit Begleitung des Pianoforte, 2. Auflage, Tübingen o. J., S. 88 27 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 315 28 Bauer, Hans-Joachim: Art. Der Kuhreigen, S. 292-293

13

diesen Zusammenhang, spielte die Überschneidungen aber in seiner zeitgenössischen Kritik herunter: „Zum „Schweizer“ ersann Silcher 1835 eine Melodie. Kienzl schloß sich ihm hie und da in der Deklamation, Periodisierung an, erfand aber im Ganzen eine neue, zwischen Choral und Marschweise gehaltene, glücklich harmonisierte Weise.“ 29 Dass Korngold die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Melodien als mehr oder weniger zufällig beurteilt, hält jedoch einer genauen Analyse nicht stand. Der Vergleich zwischen den Melodien von Silcher und Kienzl (siehe Anhang30) zeigt zahlreiche Gemeinsamkeiten im melodischen, rhythmischen und formalen Aufbau. Kienzls Version wirkt dabei oft wie eine Variation oder zweite Stimme zu Silchers Lied. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen. Das Intervall der großen Terz zu Beginn von Silchers Melodie füllt Kienzl durch einen einfachen Durchgang auf (T. 0-1). Im zweiten Vers (T. 3-4) umspielt Kienzl die Töne f und as mit den unteren Nebennoten und legt die letzten vier Noten von Silcher (c-b-as-g) einfach in die Viola, während er die Singstimme in Gegenbewegung führt. Die melodischen Kadenzen am Ende des dritten und vierten Verses sind bei Kienzl nur eine ausgeschmückte Variation (T. 6 und T. 8), während er den Schluss Silchers tatsächlich abschreibt (T. 8-10) und nur noch durch eine zweitaktige Sequenz erweitert. Metrisch ist bei Kienzl nur der zweite Vers (T. 4-6) im Sinne einer richtigen Deklamation gegenüber Silchers Fassung verbessert (Betonung auf „Alp-horn“, statt auf „hört“), sonst sind keine wesentlichen Unterschiede feststellbar. Harmonisch verwendet Kienzl mehr Nebenstufen (vi-iii in Takt 5, ii-vi in Takt 7), geht im Wesentlichen aber nicht über Silcher hinaus. Schon diese kurze Betrachtung zeigt, dass die Gemeinsamkeiten zu zahlreich sind um von einer „ganz neu“ komponierten Fassung zu reden. Schon die Behauptung Kienzls, er habe die Melodie selbst erfunden, ist „verdächtig“ und das Vertrauen der nachfolgenden Autoren muss aber angesichts der gravierenden Überschneidungen der beiden Versionen als widerlegt angesehen werden.

29

Julius Korngold, Deutsches Opernschaffen der Gegenwart, S. 262 Zur besseren Übersicht wurde dabei das Lied von Silcher von F-Dur nach Es-Dur transponiert und die beiden Musikstücke untereinander aufgeschrieben. 30

14

15

Notenbeispiel 2.: Vergleich von Der Schweizer (Friedrich Silcher) und der Melodie des Kuhreigens in einem vereinfachten Klavierauszug (nach: Wilhelm Kienzl, Der Kuhreigen, Partitur S. 73, Ziffer 43, T. 113)

Noch eine dritte Version des gleichen Textes sei hier aus Vergleichsgründen erwähnt, nämlich das Lied Zu Strassburg auf der Schanz aus Gustav Mahlers „Neun Lieder und Gesänge aus ‚Des Knaben Wunderhorn‘ für Singstimme und Klavier“ (1892). Auch Mahler schreibt ausdrücklich eine Melodie „Im Volkston“, aber weiter gibt eine weitere,

entscheidende

Vortragsbezeichnung:

„Ohne

Sentimentalität,

äusserst

rythmisch“. Mahler komponiert den Gegensatz zwischen „Sehnsucht nach Freiheit und Heimat einerseits und eine über das menschliche Fühlen hinweggehende Ordnung andererseits“ aus und kontrastiert dazu eine einstimmige Melodie in Dur („Wie eine Schalmei“) mit einem düsteren Marsch und Anklängen an Militärtrommeln. Mahlers Version ist wesentlich dramatischer als Kienzls Version. Zwei gemeinsame Momente lassen sich jedoch feststellen: Zum einen die typischen, bei dem vom Alphorn handelnden Text unvermeidlichen Verschiebung der Tonart nach oben in der jeweils dritten Strophe („Ihr Brüder allzumal“): bei Kienzl um die später wegen ihres steigernden Effekts auch in der Populärmusik beliebten Transposition um einen Halbton 16

höher (von Es-

nach E-Dur). Mahler hingegen ist wesentlich radikaler: „Die

Durwendung am Beginn der letzten Strophe (Takt 39 ff.) ist textlich mit dem Abschied des Deserteurs von seinen Kameraden kurz vor seiner Hinrichtung verbunden. Dabei verschiebt Mahler nicht nur den Tonraum der Singstimme um eine Quart nach oben, sondern vollzieht mit dem Sprung in die Kopfstimme zum Text „heut seht‘ ihr mich zum letztenmal“ auch einen markanten Klangfarbenwechsel, der diesem Abschnitt besonderes Gewicht verleiht.“31 Während Mahlers Lied eine dramatisch packendere Lösung des Gedichts ist, komponiert Kienzl seine Kuhreigen-Melodie als lyrischen Ruhepunkt in der Oper, der am Schluss der dritten Strophe von den französischen Offizieren unterbrochen und nach der vierten Strophe von dem Gesang der französischen Revolutionäre abgelöst wird („Es rufet zum Kampfe die Freiheit“). Den Kontrast, den Mahler innerhalb des Liedes durch die Gegensatz Schalmei-Melodie und Marsch ausdrückt, dehnt Kienzl auf den großformatigen, bühnenwirksamen Kontrast Idylle / Kuhreigen – Militär / Revolutionslied aus.

5.2 Revolution Die französischen Soldaten bilden eine in sich abgeschlossene, mit eigenem musikalischem und dramaturgischem Charakter dargestellte Gruppe der Handlung. Vor allem ihr Unteroffizier Favart und auch Doris sympathisieren von Anfang an mit der Revolution („Es wird nicht lange dauern hierzuland. Bald wendet sich das Blättchen, glaube mir! Dann hält kein albernes Gesetz mehr stand, dann schwingt die Freiheit siegreich das Panier.“)32. Im dritten Aufzug bilden dann auch diese zwei Personen die Klammer zur vorigen Handlung und zeigen so die Verbindung zwischen den Soldaten und den Sanscoulotten. Das kokett-belanglose Gespräch zwischen Blanchefleur, der Hofdame Cleo und Primus wird nach der Art der „harten Fügung und schroffen Kontraste“33, einem Stilmittel das im Verismo ausgiebig eingesetzt wird, jäh von dem „Gebrüll und Geheul der Menge von der Straße herauf, das immer näher kommt“34 unterbrochen. „Wüst schreiend“ und 31

Peter Revers: Mahlers Lieder. Ein musikalischer Werkführer, München 2000, S. 81 Wilhelm Kienzl, Der Kuhreigen, Partitur S. 33 33 Hans-Joachim Wagner: Fremde Welten. Die Oper des italienischen Verismo, Stuttgart u. a. 1999, S. 61 34 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 159 32

17

mit der Begleitung von Geschirrdeckeln und „anderem rhythmischen Lärm“35 und singt das Volk die Melodie des Ça ira, dessen französischer Text in einer eigenartigen Mischung aus Onomatopoesie und wörtlicher Übersetzung besteht: „Tralalala, lalala, lalala. Ah, es wird, es wird schon gehn, tralalalala, lala, la, la. Nieder mit den Aristokraten! Die Aristokraten an die Laterne!“36 Die Bevölkerung wird hier als unzivilisierte, barbarische Masse dargestellt, die sich musikalisch nur durch „rhythmischen Lärm“ und wüstes Geschrei ausdrücken kann. Durch die von Kienzl/Batka verwendete Übersetzung des Textes des Ça ira durch „Tralala“ wird die „ideologische Bedeutung und die emotionale Wirkung dieses symbolhaften Stückes“37 bagatellisiert und bekommt eine harmlose, fast kindische Färbung. Es ist bemerkenswert, dass Kienzl, der sonst großen Wert auf die Wort-Ton-Beziehung legte38, hier diese abschwächende Wirkung durch das Libretto in Kauf nimmt. Es ist auffällig, dass die Franzosen bei Kienzl besonders häufig in Interjektionen singen, wodurch sie als besonders unkultiviert dargestellt werden. Die Varianten reichen dabei von einem „Trallalera“ der Chasseure beim Anklingen der Gläser (S. 22) über ein „Lala, laderi, larida, lala!“ im Refrain des ersten Liedes Favarts (S. 24-29) über die bereits erwähnte „Übersetzung“ des Ça ira. Aber auch im Rattenlied im 3. Aufzug verlieren die Einwürfe des Chores ihre semantische Bedeutung und werden zur Lautmalerei, wie nicht zuletzt die Kleinschreibung des eigentlichen Substantivs beweist: „Ratten, ratten, ratten…“39. Wie sehr es Kienzl dabei um den Klang und nicht um „musikalische Deklamation“ geht, zeigt seine Anmerkung: „(NB. Das „r“ muß rasselnd artikuliert werden)“.40

35

KlA S. 122; Diese Anweisung findet sich nicht in der Partitur. Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 159-160 37 Stephan Aufenanger: Die Oper während der Französischen Revolution. Studien zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Französischen Oper, (Frankfurter Beiträge zur Musikwissenschaft 31), Tutzing 2005, S. 76 38 Vgl. seine umfangreiche Schrift Die Musikalische Declamation dargestellt an der Hand der Entwickelungsgeschichte des Deutschen Gesanges, Musikalisch-Philologische Studie, Leipzig 1885 39 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 202 40 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 202, siehe Notenbeispiel 36

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Notenbeispie 3l: Die „Dirnen und Sansculotten“ werden von Kienzl mit „exotischen“ Charakterisika dargestellt: ihre primitiven, stark artikulierten Äußerungen werden durch Gebärden begleitet, das Orchester unterstreich die Skurrilität durch Vorschläge und Staccato (Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 202)

Nach der gelungenen Revolution ist der Glanz des Adels endgültig der ausschließlich negativ gezeichneten Atmosphäre des Pöbels gewichen. Die Szenenanweisung zum Dritten Aufzug klingt beinahe nach einer mittelalterlichen Höllenvision: „Speisesaal des Palais der Massimelle. Favart mit einem Haufen Sansculotten haben das Schloß erstürmt. Die Trümmer der früheren Pracht kontrastieren schauerlich zum Gräuel der Verwüstung. […] Links halten die anderen Sansculotten eine wilde Kneiperei ab. Bezechte wälzen sich auf der Erde. Einige Sansculotten sind verbunden oder tragen sonst Spuren des vorausgegangenen Kampfes. Einige befinden sich in Gesellschaft von Dirnen, die durch ihr rohes Lachen auffallen. […] Sobald der Vorhang aufgeht, läßt

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der Chor ein unartikuliertes Geheul ertönen. Man stößt an, trinkt einander zu.“41 (KlA, S. 145) Auffällig ist, dass nicht nur Kienzl, sondern auch Giordano in Andrea Chénier und die Revolution durch Zitate von Revolutionsliedern charakterisieren.

Dies ist insofern

überzeugend, da „[…] die Chansons in der revolutionären Gesellschaft allgegenwärtig sind und durch ihre – zumindest auf musikalischer Ebene – strukturelle und stilistische Einfachheit den Großteil der Bevölkerung erreichen. […] Sie fungieren gleichzeitig als stimulierendes Element und als Ausdrucksträger der Stimmung in der Gesellschaft.“42 Interessant ist auch, dass Giordano und Kienzl dieselben Lieder in ihren Werken zitieren: die Marsellaise, die Carmagnole und das Ça ira.43 Diese drei Chansons gehörten zu den bedeutendsten Lieder der Revolution, die auch schon in der Zeit der Französischen Revolution oft kontrafaktiert wurden44 und auch nach den Ereignissen der Revolution bekannt waren. Es ist durchaus möglich, dass Kienzl bei seiner Auswahl durch das Vorbild von Andrea Chénier beeinflusst wurde. Für die Musik des Adels und des Anciem Regime hingegen komponieren beide Komponisten Stilkopien und greifen dabei besonders auf barocke Tänze wie Menuett, Sarabande (Kienzl) und Gavotte (Giordano) als Symbole der Aristokratie zurück.45 Mit der häufigen Verwendung von Bühnenmusik erfüllt der Kuhreigen eines der wesentlichsten Merkmale des Verismo: „Die Bühnenmusik ist naturgemäß ein Feld zur Verwirklichung realistisch-veristischer Vorstellungen; sie bietet unmittelbar die Möglichkeit zur Übernahme oder Nachahmung von Musik der Wirklichkeit. Wenn veristische Musik überhaupt möglich ist, dann in diesem Bereich; […“] 46Vor allem die französischen Revolutionäre singen zahlreiche Lieder direkt auf der Bühne. Für Kienzls Realitätssinn spricht folgende Fußnote beim ersten Lied Favarts im ersten Aufzug: „Die Gitarrenstimme ist, wenn irgend möglich, auf der Bühne vom Sänger Favart selbst auszuführen.“47 Für Kienzls typisches Wechseln zwischen verschiedenen Stilen zeugt 41

Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur, S. 196 Stephan Aufenanger, Die Oper während der Französischen Revolution, S. 77-78 43 Im Klavierauszug, nicht jedoch in der Partitur wird auf die Quelle der Carmagnole und des Ça ira sogar ausdrücklich in Fußnoten hingewiesen: Umberto Giordano, Andrea Chénier, Klavierauszug von Amintore Galli, Milano 1959, S. 79, 112, 152 44 Stephan Aufenanger: Die Oper während der Französischen Revolution, S. 76 45 Zum historischen und stilistischen Zusammenhang zwischen Kienzl und Giordano siehe auch: Lederer S: 229 46 Egon Voss, Verismo in der Oper, S. 312 47 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 24 42

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Primus‘ Reaktion auf das Gebrüll der Masse, und seine, in Musik und Wortwahl durchaus an den Schluss der Götterdämmerung von Richard Wagner erinnernd: „O gnäd’ge Frau, es nahen böse Zeiten, und Ungeheu’res will sich vorbereiten. Ein Ende nimmt dies Leben hier, das frohe, der Funke schwillt zu himmelhoher Lohe. O hören Sie und fliehen Sie von hinnen, daß Sie dem grausen Weltenbrand entrinnen!“48 Die Anklänge an Wagner im Kuhreigen sind zwar unüberhörbar, trotzdem hat Kienzl sich 1911 bereits deutlich von seinem Vorbild entfernt (s. S. 8). Dies wird auch in der Darstellung der Revolution bei Kienzl deutlich, die stets als brutal, unzivilisiert und destruktiv-zerstörerisch dargestellt wird. Bei Wagner hingegen war die Revolution noch ein notwendige Akt der Menschen auf dem Weg zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung: „Wenn Wagner die Revolution als die Bedingung der Möglichkeit eines neuen Menschen sieht, wenn er sie zur Voraussetzung eines tiefgreifenden Bewußtseinswandels macht, wenn er sie mit dem Drang nach der intellektuellen Emanzipation des Subjekts aufs Engste verbindet, ihr die Rolle eines strukturellen Wegbereiters für eine in ihrer Körperlichkeit wie ihrer kognitiven Weltauffassung befreiten Menschheit macht, dann ist dies ein ganz und gar modern geprägtes Revolutionsverständnis, geprägt durch die Ziele wie die Erfahrungen der Französischen Revolution.“49 Im Gegensatz dazu scheitern die beiden Hauptfiguren im Kuhreigen an Revolution: Blanchefleure wird als Angehörige des Adels guillotiniert und gibt dem verzweifelten Primus noch den Rat: „Du wirst zurück ins Land der Schweizer zieh`n, / in Frankreich blüht dir weder Glück noch Ehr‘; / und singst du dort der Heimat Melodien, / so denke auch der armen Blanchefleure, […]“50

5.2 Das Ende einer dekadenten Zivilisation Die zweite Gruppe bilden die Aristokraten, allen voran Blanchefleure und der (namenlos bleibende) König mit seinem Hofstaat. Die Figur des Königs ist weniger majestätisch gezeichnet, sondern entstammt eigentlich der Welt der komischen Oper und kann kaum ernst genommen werden. Schon seine Fanfare ist „falsch“ und besteht aus einem hier skurril wirkenden, übermäßigen Dreiklang. Der „schnarchende König“ zu Beginn des 2. Aufzugs wurde schon von zeitgenössischen Hofbühnen als 48

KlA. S. 125-1278 Udo Bermbach, Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politisch-ästhetische Utopie, 2., überarbeite und erweiterte Auflage, Stuttgart u. a. 2004, S. 71 50 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 286-287 49

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unangemessen beurteilt. Die Musik zum Aufmarsch des Hofstaates bildet in ihrem naivem Pomp die Dekadenz des Adels gut wider und ist eine Mischung aus Menuett und Polonaise (mit Betonung des 2. Viertels). Die zahlreichen Couladen und Triller und der pompöse Tonfall greifen stilisiert Merkmale der französischen Barockmusik auf.

Noteneispiel 4: Wilhelm Kienzl, Der Kuhreigen, Partitur S. 96: Zu Beginn des 2. Aufzuges liegt der König der König schlafend in seinem Bett. Die skurrile Szene wird auch durch die Musik (Fanfare im übermäßigen Dreiklang mit gedämpften Hörnern) ausgedrückt.

In der sechsten und siebten Szene des Kuhreigens51, die im Kellerraum des „Temple“Gefängnisses spielt, wird noch einmal auf dramatisch wirksame Weise die alte RokokoAtmosphäre des Anciem Régime mit der neuen, als brutal dargestellten Welt der Revolution kontrastiert. Der inzwischen zum Offizier beförderte Primus Thaller hat sich Zutritt zu den adligen Gefangenen verschafft, die dort, tanzend und scheinbar gleichgültig auf ihre Hinrichtung warten. Bei der Darstellung dieser Szene bedienen sowohl Bartsch als auch Kienzl/Batka einige Klischees, um die Illusion einer RokokoWelt zu generieren, die freilich mehr der Vorstellung ihrer eigenen Zeit entspricht als der historischen Realität. 51

Wilhelm Kienzl, Der Kuhreigen, Partitur S. 274

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Bartsch Schilderung dieser Szene nimmt schon alle wesentlichen musikalischen Elemente der Oper vorweg und soll deshalb hier auch etwas ausführlicher zitiert werden. „Er [=Primus Thaller, d. Verf.] aber stand in Staunen gebannt, denn alle Phantasie ward aufs Haupt geschlagen bei dem, was hier geschah. Eine ganz geheime, leise Musik von Violine, Flöte, Kniegeige und Baß schmeichelte sich an den schimmelfeuchten Wölbungen empor wie ein Kätzlein an seidenen Kleidern. Man spielte auf eingeschmuggelten Instrumenten! […] Mozarts kleine Nachtmusik!! Sie wirkte Wunder hier in dämmerndem Dunkel . . . . . Die alten Schloßbrunnen quollen und schluchzten in der Fliedernacht und Paläste standen in alter, reicher Pracht und lauschten gnädig auf den liebenswürdigen Einfall des Salzburger Herrn Musikus. Die alte, stolze Zeit war hier versammelt, neu hervorgezaubert trotz Carmagnole und Marseillaise.“52

Abgesehen von der Besetzung, die immerhin eine Bearbeitung der

Der Kleinen Nachtmusik sein könnte (die originale Besetzung besteht aus 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass), ist eine Verbreitung dieses Werkes in Paris um 1793 nicht wahrscheinlich: Das Werk wurde von Mozart im August 1787 in sein Werkverzeichnis eingetragen und erst 1827 von Johann Andrea in Offenbach gedruckt. Bartsch geht es jedoch offensichtlich nicht um historische Korrektheit, sondern um die Generierung eines bestimmten, süßlichen Rokoko-Bildes, das er und damit auch die Leser der damaligen Zeit mit Mozarts Musik identifizieren: „Rundum saßen Herren in Seidenstrümpfen und Damen mit Spitzentüchern, elegant in all der entsetzlichen Notdurft dessen, was man ihnen, den gefangenen Opfern der Volksrache, gelassen hatte. […] Und darüber hin schmeichelte wie Weihrauchwolken Wolfgang Amadés wundervolle Grazie.“53 Auch die Kontrastierung dieser Rokoko-Welt mit der Brutalität der Revolution und ihren Erkennungsmelodien (Carmagnole, Marsellaise)

ist bei

Bartsch schon wesentlich durch musikalische Elemente vorgezeichnet, eine Idee, die Kienzl später reichhaltig in seiner Oper umsetzt. Kienzl betont in der Regieanweisung zu dieser Szene, dass „fünf Kavaliere […] eben auf Streichinstrumenten eine Sarabande zu Ende spielen“54. Die zumindest verbale Unterscheidung von Kienzl zwischen Sarabande und Menuett in dieser Szene wirft die Frage auf, ob diese Unterscheidung auch in der Musik deutlich wird. „Die Sarabande

52

Rudolf Hans Bartsch, Vom sterbenden Rokoko, Leipzig 1909, S. 136-137 Rudolf Hans Bartsch, Vom sterbenden Rokoko, Leipzig 1909, S. 137-138 54 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 272 53

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ist eigentlich nur ein Menuett in langsamem, ernstem Tempo.“55 Das Tempo kann dabei nach barocker Vorstellung ungefähr zwischen Viertel=80 (Quantz) oder Viertel=88 (L’Affilard) schwanken.56 Da das Tempo der Sarabande in der Oper „Bewegter“ ist, als die vorher erneut erklingende Melodie des Kuhreigens (dessen Tempovorschrift im 1. Aufzug „Sehr langsam“ ist), ergeben sich so die gesamte Partitur durchziehende Temporelationen. Das Ende der Sarabande ist eine achttaktige Periode, die in sequenzierende Zweitakter aufgeteilt ist, während die Harmonik durch die chromatisch angereicherte Basslinie und die Modulation in die Mediante E-Dur leicht romantisiert ist. Die typische Betonung der Sarabande auf das 2. Viertel ist in der Gesangsstimme ebenso nachgezeichnet (Takt 3 und 5 des Notenbeispiels). Primus singt dazu „mit größter Innigkeit, aber leise für sich“: „Musik, du Himmelsmacht, in düst’re Kerker trägst du deinen Segen!“57 Das Staunen in Bartsch Novelle wird bei Kienzls zu einem Lob der Musik en miniature, das die Assoziationen mit religiösen Motiven und auch den Tonfall mit Schuberts An die Musik D 547 gemeinsam hat. Gewisse motivische Ähnlichkeiten zwischen den lyrischen 8 Takten Kienzls und Schuberts populärem Lied (die steigende Quart zu Beginn, das Motiv der fallenden Sext mit anschließender Sekunde nach unten, der chromatische Bass, Quartvorhalt), die zwar musikalische Allgemeinplätze sind, in diesem Zusammenhang und dieser Häufung aber durchaus als Anspielung Kienzls verstanden werden können oder wenigstens einen gemeinsamen Tonfall aufzeigen, sollen hier nur angedeutet werden.

Notenbeispiel 5: Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 272: Am Ende der Sarabande singt Primus sein Lob auf die Musik. 55

Brossars, zitiert nach: Jean-Claude Veilhan: Die Musik des Barock und ihre Regeln (17. – 18. Jahrhundert) für alle Instrumente, Paris 1982, S. 92 56 : Jean-Claude Veilhan: Die Musik des Barock und ihre Regeln, S. 92 57 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 272

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Später tanzen Blanchefleure und Primus ihren letzten und einzigen gemeinsamen Tanz, bei Bartsch wiederum zu Mozarts Musik: „Und der süße, schwermütig kokette Tanz des todesnahen Leichtsinns begann. Kein Totentanz war so wie der. So voll leichtfertiger Absage an das Ende. Es war die Melodie der [sic!] Menuett

aus dem Don

Giovanni[…]“58 Die Verknüpfung einer Welt, die mit Attributen wie süß, kokett und leichtfertig bezeichnet wird und der Musik Mozarts dient bei Bartsch der Generierung eines dekadenten Rokokobildes. Kienzl folgt dem Vorschlag des direkten Zitats von Mozarts Musik nicht, sondern schreibt hochstilisierte Rokoko-Musik für 5 Streichinstrumente (u. a. mit Viola d’amour) auf der Bühne. Mozarts Musik und das Rokoko wurden damals in einer verklärten Sicht verwendet. Wie sehr Kienzl in dieser Tradition stand, beweist sein Klavierstück Der kleine Mozart aus seinem Zyklus Der Jugend Lust und Leben op. 30, das „Recht artig zu spielen“ ist und aus einer simplen Melodie in G-Dur mit ausgeschriebenen Doppelschlägen und Trillern über eine Art Alberti-Bass besteht. Dieselben Elemente findet man im Tempo di Minuetto des Kuhreigens.59 Auffallend ist, dass Kienzl sehr wohl originale Hymnen der Revolution zitiert, jedoch dem von Bartsch intendiertem Zitat von Mozarts Musik ausweicht und stattdessen eine stilisierte Rokokomusik schreibt. Möglicherweise wollte Kienzl Mozarts Musik, die er und seine Zeit auch stark mit der deutschen Kultur verbanden, nicht mit dem französischen Adel in Verbindung bringen. Wie bereits erwähnt erklingt dabei nicht, wie bei Bartsch das F-Dur Menuett aus Don Giovanni, sondern eine Rokoko-Imitation Kienzls, für die Besetzung Streichquartett und Viola d’amour. Der „liebliche“ Klang der Viola d’amour (bedingt durch die besondere Stimmung der Metallsaiten und der Resonanzsaiten) war seit Meyerbeer (Les Huguenots) ein beliebter Effekt in der Oper und wurde u. a. auch von Jules Massenet (Le Jongleur de Notre-Dame), Hans Pfitzner (Palestrina) und Giaccomo Puccini (Madame Butterfly, ebenfalls als der Bühneninstrument) eingesetzt. „Das physikalische Resonanzphänomen und die Philosophie der Sympathie, die sich dieses Phänomens zur Veranschaulichung bedient, prädestinierte die Viola d’amore zum Lieblingsinstrument humanistisch gebildeter Amateure, die sich eine aufwendige Ausstattung leisten konnten.“60 Somit erzielt Kienzl mit dem Einsatz der viola d’amour (er bezeichnet sie

58

Rudolf Hans Bartsch, Vom sterbenden Rokoko, Leipzig 1909, S. 140 Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 230, T. 13 60 Koepp, Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil, Band 9: Sy-Z, Sp. 1566 59

25

historisch korrekt auf Französisch) nicht nur einen interessanten Klangeffekt, sondern durchaus auch einen historisch begründbaren Beitrag zum Zeit- und Ortskolorit.

Notenbeispiel 6: Wilhelm Kienzl: Der kleine Mozart, aus: Der Jugend Lust und Leben op. 30; Dieses kleine Klavierstück ist im Stil durchaus dem Tempo di Minuetto aus dem Kuhreigen verwandt (siehe Notenbeispiel S. 27) und stilisiert ein Mozart-Bild, das „recht artig zu spielen“ ist.

26

Die

in

regelmäßigen

Vortragsbezeichnung

8-taktigen

„espressivo

e

Phrasen dolce“

aufgebaute enthält

Musik,

zahlreiche

mit

der

Triller

und

ausgeschriebene Verzierungen, die man in der Barockmusik als „Wesentliche Manieren“ bezeichnete (bei Kienzl findet man Cadence, Chûte, Coulê, Coulade, eine Form des Doublè, s. Notenbeispiel) und in der Singstimme Blanchefleurs („Ein Tanz war mein Leben“) außerdem einen sparsamen Einsatz von Koloraturen, die als „ornements“ oder „willkürliche Veränderungen“ bezeichnet wurden.61 Quantz beschreibt dies in seinem 1752 erschienenem Versuch folgendermaßen: „Man kann das Adagio, in Ansehung der Art dasselbe zu spielen, und wie es nötig ist, mit Manieren auszuzieren, auf zweyerley Art betrachten; entweder im französischen, oder im italiänischen Geschmacke. Die erste Art erfordert einen netten und aneinander hangenden Vortrag des Gesanges, und eine Auszierung desselben mit den wesentlichen Manieren, als Vorschlägen, ganzen und halben Trillern, Mordanten, Doppelschlägen, battements, flattements u.d.gl.; sonst aber keine weitläufigen Passagien, oder größeren Zusatz willkürlicher Veränderungen.“62 Blanchefleure singt bei Kienzl also in einem Stil, der im Paris des Jahres 1793 schon längst als veraltet gelten musste und wird so als Anhängerin einer überkommenen Zeit sichtbar.

61 62

Vgl. Jean-Claude Veilhan, Die Musik des Barock und ihre Regeln, S. 33-60 Zitiert nach Jean-Claude Veilhan, Die Musik des Barock und ihre Regeln, S. 50

27

Notenbeispiel 7: Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 280: Kienzl verwendet an dieser Stelle zahlreiche Verzierungen, die auch in der barocken Aufführungspraxis bekannt sind, z. B.: Triller (cadence, T. 2 und 3), Chûte (T. 4 fis‘‘), Coulê (T. 5 fis‘‘, T. 7 d‘‘), weiter eine Sonderform des Doubles (S. 281, T. 2), Coulade (S. 281, T. 5) und willkürliche Veränderungen (S. 281, T. 4)

Diese idyllische Szene wird abrupt durch das Eintreten der Soldaten unterbrochen, die die Adligen vor das Gericht und zur Hinrichtung führen. Die galante Rokoko-Musik weicht sofort den dramatischen Klängen der Revolution: tiefe Tritonusklänge (h-eis), Tamtam, Trommelwirbel, chromatische Tremoli und ausdrucksstarke, gestische Bläsereinwürfe. In der dramaturgischen Gestaltung dieser Szene scheint Kienzl von der ähnlichen Szene in Giordanos Andrea Chénier (Ende des 3. Bildes) beeinflusst worden zu sein, ohne der veristischen Lösung in ihrer theatralischen Radikalität ganz zu folgen: „Das Todesurteil für Andrea Chenier wird nicht gesungen, sondern gesprochen (wie im Gerichtssaal); Chenier selbst äußert sich gar nicht dazu, und seine Geliebte, Maddalena, vermag ihre Verzweiflung nur in Schluchzen und Schreien zum Ausdruck zu bringen.“63 Auch bei Kienzl wird das Todesurteil über Blanchefleure vom Kommissär Cartouche gesprochen. Daraufhin stößt Primus „schmerzlich“ einen Ruf aus („O Gott! Blanchefleur!“) und möchte sie überreden, mit ihm in die Schweiz zu gehen. Diese nimmt „sehr einfach“ Abschied von ihm.64 Auch der musikalische Einfluss des Verismo im Kuhreigen ist an Stellen wie diesen unverkennbar: „Nicht zu vergessen ist, daß donnernde, jambisch skandierte Puccinische Molldreiklangsfolgen die wilden Schrecken der Revolution charakterisieren wollen.“65 Blanchefleure wird guillotiniert und die Musik verklärt die Grausamkeit dieses Todes nicht. Den grundlegenden Überlegungen Egon Voss‘ zum Verismo folgend „[…] liegt hier der Kernpunkt des musikalischen Verismo. Ermordete brechen zusammen, Sterbende verlöschen, sie singen nicht noch einmal, der Schwanengesang ist ihnen verwehrt. […] Das Schreckliche erfährt keine Harmonisierung durch Musik.“66 In diesem Punkt unterscheidet sich der Kuhreigen auch grundlegend zum Evangelimann: dort wurde der Schluss noch durch den Kinderchor und das „Selig sind, die Verfolgung leiden“

63

Egon Voss, Verismo in der Oper, S. 311 Vgl. Wilhelm Kienzl, Der Kuhreigen, Partitur S. 284-285 65 Julius Korngold, Deutsches Opernschaffen der Gegenwart, S. 263 66 Egon Voss, Verismo in der Oper S. 311 64

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verklärt, ganz in der Erlösungsidee Wagners verhaftet. Im Kuhreigen hingegen hat sich Kienzl auch von diesem Topos gelöst.

6. Rezeption Nach dem Welterfolg seines Musikalischen Schauspiels Der Evangelimann (UA 1895), dem Scheitern seines Don Quixote (UA 1898) und der darauffolgenden, über zehn Jahre

dauernden

Abwendung

von

der

Opernbühne

(mit

Ausnahme

des

Weihnachtsmärchens Aus Knecht Ruprechts Werkstatt, 1907) war Der Kuhreigen Kienzls zweiter großer Bühnenerfolg. Nach der Uraufführung am 23. November 1911 an der Volksoper Wien wurde es an zahlreichen kleineren deutschen Bühnen und in Magdeburg, Prag, Ljubljana, Berlin, Philadelphia und New York (1913, in französischer Übersetzung), Basel, Liverpool und London (1914 in englischer Übersetzung), Antwerpen (1914 auf flämisch) aufgeführt.67 Allein in der Saison 1913/14 wurde Der Kuhreigen an der Berliner Kurfürstenoper 150 Mal (!) aufgeführt.68 Nachdem schon die Wiener Hofoper die Uraufführung abgelehnt hatte, hatten auch andere deutsche Hoftheater Bedenken gegenüber dem revolutionären Stoff (obwohl Kienzl, wie oben gezeigt wurde, die Bewegung der Revolution ja durchaus negativ zeichnet) und lehnten eine Aufführung daher ab (vgl. die Begründung des Dresdner Hoftheaters: „[…] daß ein schnarchender (!) König, eine sich in dessen Schlafzimmer abspielende Szene von ironisierendem Charakter und eine Sansculottenszene mit dem Anstimmen der Marsellaise auf einer Hofbühne undenkbar seien“69). Am längsten hat sich die Oper, die ihren Erfolg wohl aus der abwechslungsreichen Handlung und deren musikalischen Gestaltung durch den effektvollen Kontrast verschiedener Stile, am Ort der Uraufführung, der Wiener Volksoper gehalten. Dort sind weitere Aufführungen aus den Jahren 1921, 1932, 1938, 1954 und 1983 belegt.70 Jedoch muss betont werden, dass der Erfolg des Kuhreigens zwar groß, jedoch kurzlebig war. Schon 1928 schreibt der der 67

Hans-Joachim Bauer, Art. Der Kuhreigen, S. 293 Vgl. Josef-Horst Lederer: Verismo auf der deutschsprachigen Opernbühne 1891-1926. Eine Untersuchung seiner Rezeption durch die zeitgenössische Fachpresse (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge, 19) Wien u. a. 1992, S.229 69 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 316 . Kienzl schürt hier die auch für andere deutsche Komponisten wie Wagner oder Pfitzner typischen Neidkomplexe, wenn er anmerkt, dass dieselben Bühnen „Werken wie „Die Hugenotten“, „Die Stumme von Portici“, „Wilhelm Tell“ den Eintritt nicht verwehrt hatte.“ (S, 316) 70 Bauer, Hans-Joachim: Art. Der Kuhreigen, S. 293 68

29

Direktor des Wiener Staatsoper, Franz Schalk: „Wir haben in Wien drei Hausgötter: Kienzl, Bittner, Oberleithner. Der erste von den Dreien hat sich bei mir […] wiederholt bitter beklagt über seine gänzliche Vernachlässigung. Von ihm könnte man allenfalls den Kuhreigen einige Mal – in jeder Hinsicht ohne besondere Erfolgschancen – aufführen.“71 Die versprochene Wiederaufnahme zu Kienzls 70. Geburtstag (1927) fand dann auch nicht statt. In seiner umfangreichen Kritik fasst Julius Korngold einige wesentliche Merkmale des Kuhreigens sehr pointiert zusammen: Er sieht im Kuhreigen den erneuten Versuch Kienzls geglückt, „mit Geschmack dem Tagesbedürfnisse der musikalischen Bühne zu dienen, ehrlich die breite, volkstümliche Wirkung zu suchen.“72 Verbindungslinien sieht Korngold zu so unterschiedlichen Genres, Komponisten und Stilen wie der französischen komischen Oper, dem Rosenkavalier von Richard Strauss oder Andrea Chénier von Umberto Giordano. „Seine Oper ist – wir sagen es ohne verkleinernden Nebengedanken – ein Trompeter von Säckingen, der Puccini erlebt hat.“73 Den Einfluss Wagners, der im Kuhreigen sicherlich nicht besonders vorherrschend ist, verschweigt Korngold, weil er die Abkehr Kienzls vom „Musikdrama“ unterstreicht und seine Hinwendung zum „Theater“ begrüßt. Weiter existieren zumindest zwei Aufnahmen der Oper, Ein Radiomitschnitt der Aufführung aus der Wiener Volksoper (1983) und eine bei dem Label myto (1151970) erschienene Aufnahme mit Walter Berry, Otto Wiener, Anny Felbermayer, Leo Heppe, Dagmar Hermann, Fritz Sperlbauer, Großes Orchester der RAVAG unter der Leitung von Wilhelm Loibner aus dem Jahr 1951.

7. Resümee Mit Umberto Giordanos Andrea Chénier (1896) begann eine Reihe von Opern, die das bis dahin ungewöhnliche Thema der französischen Revolution behandelten. Es folgten u. a. Jules Massenets Thérèse (1907), Wilhelm Kienzls Der Kuhreigen (1911) und Pietro Mascagnis Il piccolo Marat (1921). Warum das Thema der Revolution in dieser

71

Zitiert nach: Susanne Rode-Breymann: Bittner, Kienzl, Oberleithner: Topoi und Szenentypen der österreichischen Oper zu Jahrhundertbeginn, in: Deutsche Oper zwischen Wagner und Strauss. Tagungsbericht Dresden 1993, hg. Von Sieghart Döring, Hans John und Helmut Loos…. 72 Julius Korngold, Deutsches Opernschaffen der Gegenwart, S. 256 73 Julius Korngold, Deutsches Opernschaffen der Gegenwart S. 260

30

Zeit so populär wurde, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Obwohl Andrea Chenier schon 1897 in Breslau in deutscher Sprache und bald auch in anderen europäischen Städten außerhalb Italiens aufgeführt wurde, ging von diesem Werk nicht annäherungsweise die Wirkung von dem unzählig nachgeahmten, veristischen Zugpferd Cavalleria rusticana (1890) aus. Es ist auch auffällig, dass die Komponisten so unterschiedlicher Nationen und Stile wie Giordano, Kienzl und Massenet Werke zum Thema der Revolution schreiben und dabei einige Gemeinsamkeiten aufzeigen.74 Ein möglicher Grund für die Wahl dieses Stoffes könnte eine allgemein verstärkte Rezeption der französischen Revolution (1789-1799) rund 100 Jahre nach den historischen Ereignissen sein. Auch die großen gesellschaftlichen Umstürze, die im Decantismo und Fin de siècle bereits in der Luft lagen, durch den 1. Weltkrieg zur Realität wurden und

zum Verfall der europäischen Kaiserreiche und zur

Demokratisierung Europas führten, konnten die Wahl eines revolutionären Stoffes für sensible Librettisten und Komponisten besonders aktuell erscheinen lassen. Wie sehr Kienzls Kuhreigen in der Operntradition und steht und nur mehr wenig mit der Idee von Wagners Musikdrama zu tun hat, wird dadurch deutlich, dass Kienzl ganz im Sinne des Lokal- und Zeitkolorits für die verschiedenen Gruppen der Handlung charakteristische Musik schreibt. So lassen sich in der Oper deutlich drei spezifische Tonfälle für das französische Militär bzw. die Revolutionäre, die Aristokraten des Anciem Régime und die Schweizer finden. Die französischen Chasseure werden von Anfang an als roh, barbarisch und unizivilisiert dargestellt, womit sie sich in der Charakterisierung nicht vom gemeinen Volk unterscheiden. Ihre musikalische Atmosphäre ist gekennzeichnet durch den Marsch, einfachste harmonische Wendungen, Strophenlieder, oft mit Chor auf einfache Interjektionen als Text und Begleitinstrumenten wie Gitarre, Geschirrdeckel und Kartenschlagen, was das Streben Kienzls nach möglichst großer Realistik zeigt. Noch stärker sichtbar wird dies im Zitieren der berühmtesten Revolutionshymnen und –lieder, nämlich der Marsellaise, des Ça ira und der Carmagnole. Ebenfalls häufig finden sich punktierte Rhythmen, was zum militärischen Charakter beiträgt.

74

Auf einen gründlichen Vergleich muss an dieser Stelle verzichtet werden. Erwähnt sei nur die Verwendung von Revolutionshymnen wie der Marsellaise, die durchwegs negative Zeichnung der Revolution und eine stilisiertes Neo-Rokoko zu Charakterisierung des Anciem Régime.

31

Die Musik der Blanchefleure bringt hingegen noch einen neuen Tonfall. Ihr Gesang ist virtuos, spielerisch und erinnert an das Rokoko. Sie

ist zumindest oberflächlich

Anhängerin der französischen Aufklärung (was ihr Zitat von Rousseau und Watteau andeutet)75 liebt Schäferspiele und Zierlichkeit. Musikalisch gekennzeichnet ist sie durch einen stilisierten parlando-Ton und einen „galanten“ Tonfall, der sich Echoeffekten, Koloraturen und Verzierungen bedient. Ihr Leichtmut wird auch durch häufiges Verwenden von Interjektionen wie „lalala“ und „schalkhaftes“ Lachen gekennzeichnet.76 Der König und sein Hofstaat hingegen werden eher komisch als majestätisch dargestellt, nehmen aber nur eine untergeordnete Rolle ein. Einen ganz anderen Tonfall findet Kienzl für die Schweizer Soldaten. Sie sind pflichtbewusst, heimatverbunden und einfach. Primus Thaller ist der einzige Idealist der Oper und wird durch sein couragiertes Verhalten, Ehrlichkeit, Natur- und Gottverbundenheit charakterisiert. Das wichtigste musikalische Motiv der Schweizer ist die Melodie des Kuhreigens, mit der schon die Einleitung beginnt und die auch leitmotivischen Charakter annimmt. Den Schweizern ist der Volkston zugeordnet, der sich wesentlich von der Musik des französischen Volks unterscheidet. Im Gegensatz zu den wilden, betont rhythmischen Klängen der Franzosen ist die Musik der Schweizer ist meist von getragenem Tempo und Charakter, die Melodien sind diatonisch-sanglich. Die differenzierte und effektvolle dramaturgische wie musikalische Gestaltung im Kuhreigen wurde vom zeitgenössischen Publikum wie Kritikern (Korngold) durchaus positiv aufgenommen und bescherte Kienzls musikalischem Schauspiel zunächst einen großen Erfolg. Nach dem kulturellen wie politischen Umbruch durch den 1. Weltkrieg wurde Kienzl auch immer mehr zum Vertreter einer vergangenen Epoche und seine Opern verschwanden bis auf wenige „Wunschkonzert“-Nummern aus dem Repertoire. Ob eine Wiederbelebung dieser Stücke heute Sinn und Erfolg macht, ist fraglich. Die eigenartige Symbiose verschiedener Stile in Kienzls Opernschaffen, macht seine Werke jedoch zu interessanten Dokumenten des Stilpluralismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

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Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 138, T. 4-5 Vgl. v. a. die vierte und fünfte Szene des 2. Aufzugs, Kienzl, Wilhelm, Der Kuhreigen, Partitur S. 128141 76

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8. Literaturverzeichnis In diesem Literaturverzeichnis sind neben sämtlichen in dieser Arbeit zitierten Quellen auch einige weiterführende Quellen angeführt. Die Bibliographie erhebt dabei keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Aufenanger, Stephan: Die Oper während der Französischen Revolution. Studien zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Französischen Oper, (Frankfurter Beiträge zur Musikwissenschaft 31), Tutzing 2005 Bartsch, Rudolf Hans: Vom sterbenden Rokoko, Leipzig 1909 Bauer, Hans-Joachim: Art. Der Kuhreigen, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, hg, von Karl Dahlhaus in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth (Leitung: Sieghart Döhring), Bd. 3. Henze – Massine, München u. a. 1989, S. 291-293 Bermbach, Udo: Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politischästhetische Utopie, 2., überarbeite und erweiterte Auflage, Stuttgart u. a. 2004 Brettenthaler, Sabine: Cavalleria rusticana und Pagliacci. Prototypen der veristischen Oper? Eine Untersuchung ihrer Verbindungslinien zum literarischen „verismo“ und zur Frage der Sinnhaftigkeit des Terminus in der Musik, Frankfurt a. M. 2003 Coy, Adelheid: Die Musik der französischen Revolution. Zur Funktionsbestimmung von Lied und Hymne, München u. a. 1978 Giordano, Umberto: Andrea Chénier, Klavierauszug von Amintore Galli, Milano 1959 Hanslick, Eduard: Am Ende des Jahrhunderts (1895-1899). Der modernen Oper 8. Theil, Berlin 1899 Kalbeck, Max: Opern-Abende. Beiträge zur Geschichte und Kritik der Oper. 1. Band: Deutsche Oper, Berlin 1898

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Kienzl, Wilhelm: Die Musikalische Declamation dargestellt an der Hand der Entwickelungsgeschichte des Deutschen Gesanges, Musikalisch-Philologische Studie, Leipzig 1885 Kienzl, Wilhelm: Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926 Korngold, Julius: Deutsches Opernschaffen der Gegenwart. Kritische Aufsätze, Wien u. a. 1922 Lederer, Josef-Horst: Verismo auf der deutschsprachigen Opernbühne 1891-1926. Eine Untersuchung seiner Rezeption durch die zeitgenössische Fachpresse (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge) Wien u. a. 1992 Pfannkuch, Wilhelm: Art. Kienzl, Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 587 f. [online verfügbar: www.deutsche-biographie.de/pnd118777149.html, 29. 07. 2013]

Revers, Peter: Mahlers Lieder. Ein musikalischer Werkführer, München 2000 Schmidl, Stefan: Jules Massenet. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Mainz, 2012 Schulz, Johann Abraham Peter: Lieder im Volkston, bey dem Claviere zu singen, Berlin 1785. Faksimilenachdruck Hildesheim u. a. 2005 Silcher, Friedrich: Volkslieder für eine oder zwei Singstimmen mit Begleitung des Pianoforte, 2. Auflage, Tübingen o. J Trambauer, Karoline: Wilhelm Kienzl’s Opernstoffe. Dramaturgischer Vergleich der Libretti mit ihren literarischen Vorbildern, Diss. masch., Wien 1950 Veilhan, Jean-Claude: Die Musik des Barock und ihre Regeln (17. – 18. Jahrhundert) für alle Instrumente, Paris 1982 Voss, Egon: Verismo in der Oper, in: Die Musikforschung, hg. von der Gesellschaft für Musikforschung, 31. Jahrgang, Kassel u. a. 1978, S. 303-313 Wagner, Hans-Joachim: Fremde Welten. Die Oper des italienischen Verismo, Stuttgart u. a. 1999

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Wagner, Heinz: Das große Handbuch der Oper, 4., stark erweiterte Auflage, Hamburg 2006 Yoshida, Asami: Wilhelm Kienzls Bühnenwerke, Diss. masch. Wien 1983

9. Anhang 9. 1 Auswahl an Opern über die Französische Revolution77 in chronologischer Reihenfolge78 79 Kittl, Bianca und Giuseppe (Prag 1848) Giordano, Umberto: Andrea Chénier (Mailand 1896) Massenet, Jules: Thérèse (Monte Carlo 1907) Kienzl, Wilhelm: Der Kuhreigen (Wien 1911) Respighi, Ottorino: Marie Victoire (Rom 2004, komp. 1912-1914) Giordano, Umberto: Madame Sans-Gêne (New York 1915) D’Albert, Eugen: Revolutionshochzeit (Leipzig 1919) Mascagni, Pietro: Il piccolo Marat (Rom 1921) Schoeck, Othmar: Das Schloß Dürande (Berlin 1943) Einem, Gottfried von: Dantons Tod (Salzburg 1947) Benjamin, Arthur Leslie: A Tale of Two Cities (London 1957) Poulenc, Francis: Les Dialogues des Carmélites (Mailand 1957) 77

Unter Französische Revolution werden hier nur die Ereignisse zwischen 1789-1799 in Frankreich verstanden. Damit fallen Opern, die zur Zeit Napoleons spielen (z. B. Le Chalet von Adolphe Adam, Paris 1834, La Fille du Régiment von Gaetano Donizetti, Paris 1840), Befreiungs- und Rettungsopern und Opern mit sonstigen politisch-revolutionären Stoffen weg. 78 Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gibt aber einen repräsentativen Überblick über Opern, die den Stoff der Französischen Revolution behandeln und damit einen Ausblick auf kommende Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet bietet. 79 Basierend auf: Heinz Wagner, Das große Handbuch der Oper, 4., stark erweiterte Auflage, Hamburg 2006

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Mohaupt, Richard: Der grüne Kakadu (Hamburg 1958) Manzoni, Giacomo: Per Massimiliano Robespierre (Bologna 1975) Haupt, Walter: Marat (Kassel 1984) Duhamel, Antoine: Quatrevingt-Treize (1793) (Lyon 1989) Ferrero, Lorenzo: Charlotte Corday (Rom 1989) Matthus, Siegfrid: Graf Mirabeau (Karlsruhe 1989) Corigliano, John: The Ghosts of Versailles (New York 1992)

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