Roland von Känel: Schmerzaspekte aus psychosozialer Sicht

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Psychiatrie
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Schmerzaspekte aus psychosozialer Sicht 4. Symposium Medizin & Ethik Psychosomatik Kongresszentrum Davos, 18. Juni 2003 Dr. med. Roland von Känel Facharzt FMH für Innere Medizin Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (APPM) Praxis für Psychosomatische Medizin Bern Eichenweg 61, 3095 Spiegel b. Bern Tel. 031 972 15 60 [email protected]

Definition von Schmerz „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Bergriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ (IASP 1979)  emotionale Komponente  Gewebeschaden nicht obligat  Schmerz ist immer subjektiv !

Unterscheidung akuter - chronischer Schmerz • Akuter Schmerz = biologisches Alarmsignal  Lebenserhaltung • Chronischer Schmerz  Leiden - > 6 Monate Dauer - Beeinträchtigungen auf biologischer, psychologischer u. sozialer Ebene - Erfolglose Behandlungsversuche  SCHMERZKRANKHEIT

EINTEILUNG CHRONISCHER SCHMERZEN „psychische Überlagerung“

bio Nozizeptiv/ neuropathisch Inadäquate Bewältigung

Nozizeptiv/neuropathisch Psychische Komorbidität Funktionelle Störung Psychische Störung

psycho

„psychische Überlagerung“

bio Nozizeptiv od. neuropathisch Ungünstige Bewältigung

Nozizeptiv/neuropathisch Psychische Komorbidität Funktionelle Störung Psychische Störung

psycho

Schmerzen bei körperlichen Erkrankungen mit ungünstigen Copingstrategien / Krankheitsbewältigung Reaktion auf die bio-psycho-sozialen Belastungen durch die Schmerzerkrankung Beeinflussung durch:

Risikofaktoren:

Subjektives Krankheitsmodell („individuelle Wirklichkeit“)

Kontrollüberzeugungen (Krankheits- und Lebensbewältigung)

Meinung früherer Therapeuten

Medikamentenmissbrauch

Krankheitsstadium

Katastrophisieren von Ursachen und Folgen der Sz

Psychische Situation Soziale Situation

Sekundärer Krankheitsgewinn Keine soziale Unterstützung Arzt-Patienten-Beziehung

„psychische Überlagerung“

bio Nozizeptiv/ neuropathisch Inadäquate Bewältigung

Nozizeptiv/neuropathisch Psychische Komorbidität Funktionelle Störung Psychische Störung

psycho

Schmerzen bei körperlichen Erkrankungen und gleichzeitiger psychischer Störung Ca. 20 % der Patienten einer intern-medizinischen Abteilung sind psychisch auffällig: 

depressive Störungen



Angsterkrankungen



somatoforme Störungen



Suchterkrankungen



Persönlichkeitsstörungen

„psychische Überlagerung“

bio Nozizeptiv/ neuropathisch Inadäquate Bewältigung

Nozizeptiv/neuropathisch Psychische Komorbidität Funktionelle Störung Psychische Störung

psycho

„Psychosomatische“ Schmerzsyndrome Reversible funktionelle aber nicht strukturelle Organveränderungen bei „Stresserkrankungen“ 

Muskelverspannungen



Magenkrämpfe



primäre Kopfschmerzen Charakteristika

Vegetativ innerviertes Organ

Überforderung der individuell zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien

Verbunden mit Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Hyperventilation etc. Ängstliche Grundhaltung

„psychische Überlagerung“

bio Nozizeptiv/ neuropathisch Inadäquate Bewältigung

Nozizeptiv/neuropathisch Psychische Komorbidität Funktionelle Störung Psychische Störung

psycho

HINWEISENDE KRITERIEN FÜR „PSYCHOGENIE“ DER SCHMERZEN • • • •

Lokalisation vage / fehlende anatomische Grenzen. Beschrieb mit affektiven vs. sensorischen Adjektiven. Dramatische / farbige Schilderung und Sprache. Schmerz immer vorhanden, immer gleich stark u. nicht beeinflussbar (bspw. durch Willkürmotorik). • Reaktionen auf Analgetika nicht plausibel. • Heftige Gefühle u. Affekte beim Untersucher. • Organische Ätiologie betont.

Psychisch bedingte Schmerzen Rein psychogene Schmerzen mit fehlendem organischen Korrelat (strukturell und funktionell) 

Somatoforme Schmerzstörung

 Depressive Episode  Posttraumatische Belastungsstörung  Hypochondrie  Neurasthenie / chronic fatigue syndrome  Erschöpfung / „burn-out“ Syndrom  Psychotische Erkrankungen Häufig in Verbindung mit belastenden „life-events“

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) • Andauernder, schwerer, quälender Schmerz (i.d.R. >3-6 Monate). • Durch physiologischen Prozess u/o körperliche Störung nicht vollständig erklärbar (Zufallsbefunde, Normvarianten). • Emotionale Konflikte u/o psychosoziale Probleme sind ursächlich beteiligt (“Psychogenie”). • Hat beträchtliche persönliche Zuwendung u/o medizinische Betreuung zur Folge (Kommunikationsaspekt, erfolglose Therapien).

Epidemiologie • Lebenszeitprävalenz beträgt 12%. • 5-10% der Patienten in einer Hausarztpraxis haben eine somatoforme Schmerzstörung. • 6 x höhere Hospitalisationskosten. • 14 x höhere ambulante Behandlungskosten. • 25% > 3 orthopädische Chirurgen. • 21% chirurgische Intervention. • 70% regelm. Analgetika (25% Opioide).

Psychische Komorbidität! • • • •

40% Depressive Störung 25% Angsterkrankung 20% Persönlichkeitsstörung 5% Posttraumatische Belastungsstörung

 2 von 3 Patienten haben mind. eine weitere psychiatrische Erkrankung  1 von 5 Patienten hat Persönlichkeitsstörung

Pathogenetische Faktoren • Verminderte Wahrnehmung und Ausdruck von Gefühlen (“Alexithymie”). • Erhöhte Reaktionen des autonomen Nervensystems auf (externe und interne) Stressoren. • Herabgesetzte zentrale Schmerzschwelle • Verstärkte Wahrnehmung von Körpersensationen. • Kognitive Fehlinterpretation körperlicher Empfindungen. • Unsicheres Bindungsverhalten (körperliche Symptome als “Beziehungsregulatoren”). • Negative Kindheitserlebnisse, Schmerzerfahrungen (“pain proneness”, Schmerzgedächtnis)

Aufrechterhaltende Faktoren Schonverhalten  physische Dekonditionierung Schlafstörungen (schmerzbedingt) Unergiebige somatische Abklärungen & Eingriffe Dysfunktionale Kognitionen (Katastrophisieren) Psychische Komorbidität (Depression, Angst) Mangelhafte od. falsch verstandene soziale Unterstützung (Familie, Arbeitsplatz, Anwalt) • Arbeitsunfähigkeit > 6 Monate, Rentenantrag • Ungünstige ökonomische Verhältnisse • • • • • •

“Take Home Messages” • Chronische Schmerzen betreffen den Menschen immer in seinem gesamten Erleben u. Verhalten. • Chronische Schmerzen führen immer zu biologischen, psychologischen und sozialen Beeinträchtigungen. • Chronische Schmerzen müssen immer differenziert diagnostiziert werden. • Chronische Schmerzen müssen immer differenziert therapiert werden ( Workshop). von Känel et al, Schweiz Rundsch Med Prax 2002;91:541 von Känel et al, Schweiz Rundsch Med Prax 2002;91:548

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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