Süsser die Glocken nie klingen (Seiten 40-45)

January 31, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Geowissenschaften, Biogeographie
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Süsser die nie klingen Glockenblumen und Teufelskrallen wachsen auf naturbelassenen Wiesen, im Wald, an Waldrändern, im Schotter und Fels und in höheren Berglagen, und wo sie vorkommen, ist die Natur noch weitgehend in Ordnung. Text und Fotos: Wolfgang Langer/Herbert Sauerbier

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ie meist blauen Blüten der Glockenblumen variieren von Tiefblau bis zum zarten Violett. Einige wenige Arten wie zum Beispiel die Strauss-Glockenblume oder die Ähren-Rapunzel imponieren in Gelbtönen und immer sind sie ein Zeichen für intakte Natur.

Keine Heilpflanze Die Familie der Glockenblumengewächse (Campanulaceae) hat keine nennenswerten Heilpflanzen hervorgebracht, umfasst aber weltweit 35 Gattungen mit mehr als 600 Arten. Lediglich die Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus) wird wie die Sunnewirbele als wohlschmeckender Salat geschätzt. An Inhaltsstoffen sind Inulin und Vitamin C zu nennen. Verwendet werden der dichte Blätterschopf, bevor die Pflanze zur Blüte kommt, und die verdickte Wurzel (Rübchen = rapunculus). Die Hauptverbreitung der Glockenblumenfamilie liegt in der gemässigten Zone der Nordhalbkugel. Im Alpenraum kommen sechs der 35 Gattungen vor, der Hauptanteil an Arten entfällt dabei auf die Glockenblumen (Campanula) und die Teufelskrallen (Phyteuma und Physoplexis). 40 Natürlich | 6-2007

Glockenblumen gibt es über 400 Arten. Sie sind vorwiegend in der Alten Welt, in Europa und Vorderasien heimisch. Ihren Ursprung haben sie im Mittelmeergebiet. Von dort wanderten sie über die Gebirge Europas und Asiens ein. Einige wenige sind bis in arktische Gebiete vorgedrungen. Im Alpenraum finden wir über 50 Vertreter, 16 sind Alpenendemiten, kommen also ausschliesslich in den Alpen vor. Die lateinische Gattungsbezeichnung Campanula taucht zum ersten Mal bei Leonhart Fuchs im Jahre 1542 auf. Als Verkleinerungsform (Glöckchen) leitet sie sich vom Spätlateinischen Campana (die Glocke) ab.

Häufig anzutreffen: Bärtige Glockenblume Eine der häufigsten Glockenblumen der Alpen ist die Bärtige Glockenblume (Campanula barbata). Sie wächst in der subalpinen und alpinen Stufe auf kalkarmen Böden in den Zentralalpen. Ausserhalb der Alpen kommt sie noch in den Karpaten und in Südnorwegen vor. Häufig und weit verbreitet ist sie auf Borstgraswiesen, in Zwergstrauchheiden und Arvenwäldern. Ihr kräftiger, rauhaariger Blütenstängel ist 10 bis 40 Zentimeter hoch und trägt eine einseitswändige,

2- bis 12-blütige Traube mit nickenden Blüten. Die Krone ist glockig, 15 bis 30 Millimeter lang und lebhaft hellblau gefärbt. Die breit zugespitzten Kronzipfel tragen auf der Innenseite bartartige, lange Haare, die der Glockenblume ihren Namen geben.

Der Hochalpinist: Mont-Cenis-Glockenblume Die Mont-Cenis-Glockenblume (Campanula cenisia) ist eine westalpine Geröllpflanze, deren Verbreitungsgebiet von den französischen Dauphiné-Alpen über die Penninischen Alpen der Südschweiz bis ins Quellgebiet der Adda reicht – also über den ganzen südwestlichen Alpenbogen. Sie wächst auf Kalkschieferhalden, Gletschermoränen und Gesteinsfluren in Höhen zwischen 2000 und 3800 Metern und ist damit der Hochalpinist unter den Glockenblumen. An den weit kriechenden Trieben sitzen kleine, bläulichgrüne Blattrosetten mit rundlichen am Grunde bewimperten Blättern. Aus den Achseln der untersten Blätter entspringen die bogig aufsteigenden Stängel, an deren Ende eine etwa zwei Zentimeter grosse Blütenglocke steht, aus welcher der sehr lange Griffel wie ein Klöppel herausragt.

Blumen NATUR

Glocken

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NATUR Blumen

Insubrische Glockenblume (Campanula raineri): Heimisch in den Bergmassiven zwischen Luganer- und Gardasee

eine typische Felsspaltenpflanze der südlichen Kalkalpen. Sie kommt nur in den Bergmassiven vom Luganer See bis zum Gardasee vor. Besonders häufig ist sie in der Grigna in der Lombardei anzutreffen. Nur auf Kalkfelsen oder im Felsschutt entfaltet sie ihre hellblauen, bis vier Zentimeter weiten Blütenglocken. Die Art ist ausdauernd, mit kriechenden, Blattrosetten tragenden Ästen. An den fünf bis zehn Zentimeter langen Blütensprossen sitzen die gekerbt-gesägten Laubblätter. Sie sind am Rand und an den Nerven kurz behaart.

Italienische Variationen

Allioni und Kap-Noli-Glockenblumen

Siedeln an überhängenden Felsen

Ausschliesslich in den Südwestalpen ist die Allioni-Glockenblume (Campanula alpestris) anzutreffen. Sie besiedelt Kalkund Schieferschutthalden in 1400 bis 2800 Meter Höhe. Die Wuchsform dieser seltenen Glockenblumenart erinnert stark an den Stängellosen Enzian. Die graugrünen Blätter und die bis zu fünf Zentimeter langen Glockenblüten wachsen unmittelbar aus dem Felsschutt heraus. Die Blüten stehen einzeln, aufrecht oder nickend. Die Krone ist tiefblau und kahl. Lediglich die Nerven tragen einzelne Haare. Wahrscheinlich das kleinste Verbreitungsgebiet unter den endemischen Glockenblumen der Alpen weist die Kap-Noli-Glockenblume (Campanula isophylla) auf. Sie kommt nur in den südlichen Ausläufern der Ligurischen Alpen vor. An den oft senkrechten Küstenfelsen der italienischen Riviera hängen die dicken, verholzten Stängel dieser prächtigen Glockenblume herab. Die derben Laubblätter sind herzförmig oder rundlich und deutlich gezähnt. Der Blütenstand ist doldentraubig. Erst in den Monaten September bis November entfaltet diese Art ihre Blüten, die einen Durchmesser von drei bis vier Zentimetern erreichen. Die Krone ist hellblau, mehr oder weniger ausgebreitet mit langen Kronzipfeln.

Die Weissliche Glockenblume (Campanula albicans) besiedelt wie ihre nahe Verwandte, die Felsen-Glockenblume (Campanula petraea), senkrechte und überhängende Felswände. Beide Arten besitzen sehr kleine Verbreitungsgebiete. Die Felsen-Glockenblume kommt nur in den Bergen am Gardasee vor, die Weissliche Glockenblume ist nur in wenigen Schluchten der Seealpen heimisch. Typisch sind für beide Arten die zahlreichen fahlgelben Blüten, die in dichten kugeligen Blütenständen stehen. Aus den Blüten ragen lange, keulenförmige Griffel heraus. Die prächtige Insubrische Glockenblume (Campanula raineri) ist

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Nahe verwandt mit der Insubrischen Glockenblume ist die Dolomiten-Glockenblume (Campanula morettiana). Sie ist etwas weiter östlich in den Dolomiten anzutreffen. Felsspalten senkrechter Felswände sind ihre bevorzugten Lebensräume. An den Enden der zahlreichen, bis sechs Zentimeter aufsteigenden Stängel steht eine einzelne, dunkelblaue oder blaurote Blüte. Die Grundblätter sind breit eiförmig bis herzförmig und lang gestielt, die obersten Blätter sind sitzend. Alle Laubblätter sind borstig behaart. Vom Comer See über die Bergamasker bis zu den Judikarischen Alpen am Gardasee ist die Lombardische Glockenblume (Campanula elatinoides) anzutreffen. Sie besiedelt senkrechte, bisweilen überhängende Felswände und kommt nur auf Kalk und Dolomit vor. Die meist aufsteigenden Stängel und die herzförmigen und dicht behaarten Blätter schmiegen sich dicht an das Felsgestein an. Aus der sternförmig ausgebreiteten Krone ragen dreinarbige Griffel heraus.

Glockenblumen im Garten Glockenblumen gedeihen auch im heimischen Garten wunderbar, und zwar sowohl an der prallen Sonne wie auch im Halbschatten. Es gibt viele, die zweijährig sind und die sich dann selber versamen. Sie können für pedantische Gartenfreunde dann schnell zur Plage werden, weil sie aus allen Ritzen rauskommen. In einem Waldbeet zusammen mit Farnen, Fingerhut oder Schattengräsern fühlt sich zum Beispiel die Hohe Waldglockenblume wohl. Fragen Sie in Ihrer Staudengärtnerei nach einheimischen Wildsorten. Die sind so robust, dass sie auch ein heftiger Sommerregen nicht einknicken lässt. Und noch ein Tipp: Wenn man Glockenblumen nach der ersten Blüte Ende Juni, Anfang Juli abschneidet, blühen die meisten noch ein zweites Mal im August. thv

Im ganzen Alpenraum verbreitet: Strauss-Glockenblume Im gesamten Alpenraum ist die StraussGlockenblume (Campanula thyrsoides) heimisch. Ausserdem kommt sie noch im südlichen Jura und auf dem Balkan vor. Sie wächst auf Wiesen, Blau- und Horstseggenrasen sowie im Felsgeröll. Die Strauss-Glockenblume ist eine der wenigen zweijährigen Alpenpflanzen. Im ersten Jahr wächst aus den Samen eine grosse, flach ausgebreitete, dem Boden anliegende Blattrosette heran. Die Rosettenblätter sind steifhaarig, ganzrandig und am Rand schwach wellig. Im zweiten Jahr bildet die Pflanze zahlreiche Blüten aus. Nach der Samenreife stirbt sie ab. Mit ihren hellgelben Blüten sieht diese Art völlig anders aus als die übrigen Glockenblumen der Alpen. Ein bis 50 Zentimeter hoher, dicht beblätterter Stängel trägt eine dichte Ähre wollig behaarter hellgelber Blüten. Lange Blütenstände können bis zu 250 Blüten tragen.

sich die Teufelskrallen durch zygomorphe Blüten, das heisst, man kann nur eine Symmetrieebene durch die Blüte legen – der rote Fingerhut ist ein Musterbeispiel für diese Blütenform. Interessant ist die Entwicklung der Blütenorgane bei den Teufelskrallen. Zu Beginn der Blüte sind die leicht gekrümmten Kronblätter an der Spitze und am Grund verwachsen. Während der Reifung der Staubbeutel schiebt sich der Griffel durch die Kronröhre, die dabei aufplatzt und dann nur noch am Grund verwachsen ist. Erst danach öffnet sich die Narbe und kann Pollen aufnehmen. Auf diese Weise wird Fremdbestäubung erreicht.

Endemisch in den Kalkalpen: Zois-Glockenblume Die Zois-Glockenblume (Campanula zoysii) ist ein Endemit der südöstlichen Kalkalpen. Ihr Verbreitungsgebiet ist auf die Karawanken, die Julischen und die Steiner Alpen beschränkt. Die kleine, zierliche Art wächst in lockeren Rasen oder in Polstern auf Kalkfelsen oder im Felsschutt. Benannt wurde die Art nach ihrem Entdecker, dem slowenischen Botaniker Carl Philipp Eugen Freiherr Zois von Edelstein. Die Blüten sind kaum zwei Zentimeter lang, stehen einzeln oder in wenigblütigen Trauben und sind meist nickend. Die Kelchblätter sind dünn, abstehend und viel kürzer als die Krone. Die Krone ist hellblauviolett, krugförmig und am Grund etwas bauchig. Unverwechselbar ist die Art durch die eigenartige Ausbildung der Kronblätter mit den krönchenartigen, vorn zusammengezogenen Zipfeln.

Teufelskrallen oder Rapunzel Zur Familie der Glockenblumengewächse zählen die Teufelskrallen oder Rapunzeln der Gattungen Physoplexis und Phyteuma. Von den Glockenblumen mit radiärsymmetrischen Blüten unterscheiden

Ähren-Rapunzel (Phyteume spicatum)

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Niedrige Rapunzel (Phyteuma humile): Eine ausgesprochene Rarität

Grosse Rarität: Niedrige Rapunzel Von der Gattung Phyteuma sind etwa 20 Arten bekannt. Die meisten Arten sind in den Alpen weit verbreitet. Wenige Arten wie die Rätische Rapunzel (Phyteuma hedraianthifolium) und die Niedrige Rapunzel (Phyteuma humile) besiedeln ganz kleine Areale. Eine ausgesprochen grosse Rarität ist die Niedrige Rapunzel (Phyteuma humile), die nur im Bereich des Monte-RosaMassivs vorkommt. Sie wurzelt dort in den Ritzen und Spalten der Serpentinitfelsen in 2500 bis 3000 Meter Höhe. Sie ist nahe verwandt mit der häufigen Halbkugeligen Rapunzel (Phyteuma hemisphaericum). Von der unterscheidet sie sich durch die längeren Hüllblätter, die länger sind als das Blütenköpfchen. Typisch für die Art sind die Grundblätter mit abwärts gebogenen Wimpern und die oberen Stängelblätter mit fast immer entfernt stehenden kleinen, scharfen Zähnen. Die Krone ist blauviolett, in der Knospe stark gekrümmt.

Mal blau, mal gelb Die meisten Teufelskrallen besitzen blaue Blüten. Eine Ausnahme ist die ÄhrenRapunzel (Phyteuma spicatum) mit hellgelben Blüten. Ihr Verbreitungsgebiet

reicht von den Pyrenäen über Mitteleuropa bis nach Sibirien. Sie wächst an mässig feuchten Standorten in Laubmischwäldern, in höheren Lagen ist sie auf Fettwiesen anzutreffen. Eines der ungewöhnlichsten Glockenblumengewächse ist die prachtvolle Schopfige Rapunzel (Physoplexis comosa). Sie ist nur in den Südalpen heimisch und ihr Verbreitungsgebiet reicht vom Comer See über die Bergamasker und die Judikarischen Alpen am Gardasee bis zu den Dolomiten. In Österreich kommt sie nur am Gartnerkofel in Kärnten vor. Felsspalten senkrechter Kalkund Dolomitfelsen sind ihre bevorzugten Standorte. Während bei den Rapunzeln der Gattung Phyteuma sich die Kronblattzipfel gegen Ende der Entwicklung der Blütenorgane trennen, bleiben bei der Schopfigen Rapunzel die Kronblattzipfel an der Spitze immer verbunden. Die Grundblätter sind lang gestielt, nierenförmig bis elliptisch und gezähnt. Die Stängelblätter erscheinen mehr lanzettlich und spitz gezähnt. Die rosavioletten Blütenkugeln bestehen aus acht bis zwanzig eigenartig geformten Einzelblüten. Die hellrosa bis hellviolett gefärbten Kronblätter sind am Grund aufgeblasen, nach oben verengen sie sich zu einer schmalen, dunkelvioletten Röhre, aus der ein Griffel mit zwei Narben herausragt. ■

Schopfige Rapunzel (Physoplexis comosa): Eines der ungewöhnlichsten Glockenblumengewächse

Blumen NATUR

I N FO B OX Literatur • Lauber/Wagner: «Flora Helvetica 2.1», Ein interaktiver Führer durch die Pflanzenwelt der Schweiz, CD-ROM für Windows-PC, Haupt Verlag 2005, ISBN 3-258-06952-4 Fr. 148.–; auch als Buch erhältlich

• Aichele/Schwegler: «Alpenblumen», Kosmos Verlag 2003, ISBN 3-440-09531-7, Fr. 7.30 • Aeschimann/Lauber: «Flora alpina», Haupt Verlag 2004, ISBN 3-258-06600-4, Fr. 286.– • Angerer/Muer: «Alpenpflanzen» Ulmer Verlag 2004, ISBN 3-8001-3374-1, Fr. 34.90 • Hess: «Alpenblumen», Ulmer Verlag 2001, ISBN 3-8001-3243-0, Fr. 34.90 • Langer/Sauerbier: «Endemische Pflanzen der Alpen», IHW-Verlag 1997 Internet • www.gartenatelier.de/stauden/ glockenblume.htm • http://shop.garten.ch

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