TSCHICK - Theater Aachen

February 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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Tschick NACH DEM ROMAN VON WOLFGANG HERRNDORF

MÖRGENS JUNGES THEATER

THEATER AACHEN · 0241/4784-244 WWW.MOERGENS.DE

verdammt nah

TSCHICK NACH DEM ROMAN VON WOLFGANG HERRNDORF

MAIK Felix Strüven TSCHICK (Vater) Robert Seiler ISA (Mutter, Wagenbach, Friedemann, Fricke, Flusspferd) Emilia Rosa de Fries Inszenierung Lilli-Hannah Hoepner Ausstattung Esther van de Pas Video Nikolaj Malik Dramaturgie Katharina Rahn Regieassistenz und Abendspielleitung Angela Queins, Nikolaj Malik Technische Betriebe und Werkstätten, Leitung: Ralf Maibaum Technischer Direktor. Detlev Beaujean Ausstattungsleiter und stellvertretender Technischer Direktor. • Bühnentechnik: Norbert Conrad Technischer Oberinspektor und Bühnenmeister. Heinz Graff Technischer Inspektor. Achim Gawenda Bühnenmeister. • Beleuchtung: Eduard Joebges Leitung. Pascal Moonen, Dirk Sarach-Craig Beleuchtungsmeister. • Ton: Ralf Sunderdick Leitung. Bühnentechnik Mörgens Michael Altgott, Christian Lechte. Beleuchtung / Ton Mörgens Ralph Würzberg, Harald Goldner, Lutz Diekmeyer, Julia Beaujean. • Leiter der Werkstätten: Lothar Grzesinski. Vorstände der Werkstätten: Schreinerei Stanislav Kasalo. Schlosserei Josef Milles. Kaschierwerkstatt Claus Röttgerding. Malersaal Manfred Zepf. Polsterei Onno Jansen. • Kostümabteilung Renate Schwietert Leitung. Susanne Heuser, Renate Schweiger Gewandmeisterinnen. Kostüm Mörgens Mascha Pohl. • Maske Kathrin Pavlas Chefmaskenbildnerin. Maske Mörgens Kathrin Ende, Waltraud Horn. • Requisite Kai Wätjen Leitung. Requisite Mörgens Cem Celik. Die Ausstattung wurde in den Werkstätten des Theater Aachen hergestellt.

Premiere Sa 29. September 2012, Mörgens. Aufführungsdauer ca. 1 Stunde, 45 Minuten, keine Pause. Theater Aachen Spielzeit 2012/2013 Herausgeber Stadttheater und Musikdirektion Aachen Generalintendant Michael Schmitz-Aufterbeck Verwaltungsdirektor Udo Rüber Redaktion Katharina Rahn

Literaturangaben Wann hat es »Tschick« gemacht, Herr Herrndorf – Wolfgang Herrndorf im Gespräch mit Kathrin Passig, FAZ, 31.01.2011 Heldenreise – Wikipedia Outtake Tschick – Arbeit&Struktur www.wolfgang-herrndorf.de Unterrichtsmaterial Hans-Jürgen van der Gieth: Literaturprojekt zu »Tschick«. BVK Buch Verlag Kempen GmbH, 2012. Schülerheft »tschick«: Schülerarbeitsheft zur Prüfungsvorbereitung. Krapp & Gutknecht Verlag, 2012. Fotos Katharina Rahn, Lilli-Hannah Hoepner. Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag

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TSCHICK EIN ROADMOVIE

»Wir haben keine Landkarte« »Karten sind für Muschis« Es ist die Geschichte dieses Sommers (und des letzten, und des nächsten): Zwei Jungs, ein geknackter Lada und eine romantische Irrfahrt auf den deutschen Highways. Außenseiter Maik, den sie mal Psycho nannten, bleibt in den Ferien allein zu Hause. Seine Mutter ist in der Entzugsklinik – auf der »Beautyfarm« wie sie es nennt, der Vater mit der Assistentin im Urlaub – bei einem »Geschäftstermin« wie er es nennt. Maik weiß Bescheid und findet beides nicht so schlimm. Was er schlimm findet, ist, dass er nicht zu Tatjanas Geburtstag eingeladen ist. So muss er mit dem neuen Russenassi Vorlieb nehmen, der

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kurz vor den Ferien in die Klasse gekommen ist und ihm jetzt nicht mehr von der Pelle rückt. Andrej Tschichatschow, genannt Tschick, steht plötzlich mit einem geklauten Lada vor der Tür und schlägt vor, dass die beiden einfach wegfahren könnten, »Urlaub machen wie normale Leute.« Sie brechen auf in die Walachei. Irgendwann treffen sie Isa, mit der sie von da an ein Stück gemeinsam reisen und irgendwo im sommerlichen deutschen Outback finden sie die weite Welt, Freiheit, Abenteuer und echte Freundschaft.

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WANN HAT ES »TSCHICK« GEMACHT, HERR HERRNDORF?

Tschick ist 2010 erschienen und steht seitdem auf den Bestsellerlisten. Wolfgang Herrndorf hat eine Abenteuergeschichte geschrieben, zeitlos wie die, die er in seiner Jugend las. Im Interview erklärt der Autor wie ihm die Idee zu der Geschichte kam, wie er Sprache und Abenteuerwelt geformt hat und warum Maik und Tschick ihre Handys zu Hause lassen.

KATHRIN PASSIG IM GESPRACH: WOLFGANG HERRNDORF F.A.Z. 31.01.2011 In der Rowohlt-Revue hieß es schon vor Erscheinen Ihres Buches: »Bei einer bestimmten Sorte Bücher schreiben Rezensenten so verlässlich wie einfallslos: Salinger, Fänger im Roggen, Holden Caulfield.« Ein Versuch, gleichzeitig den Salinger-Vergleich ins Gespräch zu bringen, sich ironisch davon zu distanzieren und die Rezensenten zu mehr Originalität anzuhalten. Hat das funktioniert? Ich musste eine Runde Bier ausgeben, als die erste Rezension ohne Salinger erschien. Aber es hat eine Weile gedauert. Und wie ist das so? Ärgerlich, weil man sieht, wie sich der Aufziehschlüssel im Rücken des Rezensenten dreht? Oder schmeichelhaft? Man wird ja nicht wirklich mit der Schreibkunst Salingers verglichen. Sondern mit dem Thema seines vermeintlichen Hauptwerks. Sie halten den »Fänger im Roggen« nicht für sein Hauptwerk? Nein. »Nine Stories«. Aber egal, ist beides toll. Dann sprechen wir jetzt über »Tschick«. Warum ein Jugendroman? Ich habe um 2004 herum die Bücher meiner Kindheit und Jugend wieder gelesen, »Herr der Fliegen«, »Huckleberry Finn«, »Arthur Gordon Pym«, »Pik reist nach Amerika« und so. Um herauszufinden, ob die wirklich so gut waren, wie ich sie in Erinnerung hatte, aber auch, um zu sehen, was ich mit zwölf eigentlich für ein Mensch war. Und dabei habe ich festgestellt, dass alle Lieblingsbücher drei Gemeinsamkeiten hatten: schnelle Eliminierung der erwachsenen Bezugspersonen, große Reise, großes Wasser. Ich habe überlegt, wie man diese drei Dinge in einem halbwegs realistischen Jugendroman unterbringen könnte. Mit dem Floß die Elbe runter schien mir lächerlich; in der Bundesrepublik des einundzwanzigsten Jahrhunderts als Ausreißer auf einem Schiff anheuern: Quark. Nur mit dem Auto fiel mir was ein.

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WANN HAT ES »TSCHICK« GEMACHT, HERR HERRNDORF?

»Es war wirklich ein Wahnsinn. (Und die Grillen zirpten die ganze Nacht)«

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WANN HAT ES »TSCHICK« GEMACHT, HERR HERRNDORF?

Zwei Jungs klauen ein Auto. Da fehlte zwar das Wasser, aber den Plot hatte ich in wenigen Minuten im Kopf zusammen. Mit generationsspezifischen Ausdrücken und Angewohnheiten sind Sie dabei sparsam umgegangen. Trotzdem muss man ja herausfinden, was 1995 Geborene so mit ihrer Zeit und ihrem Geld anfangen. Sie sind Jahrgang 1965, woher wissen Sie das? Ich weiß es nicht. Aber das kam mir gar nicht so problematisch vor, dass es sich um Jugendliche handelt – oder jedenfalls nicht problematischer als Handwerker, Ärzte oder Lokführer, wenn man die im Roman auftauchen oder sprechen lässt. Ich glaube nicht, dass Jugend ein spezielles Problem darstellt, auch wenn Scheitern da oft spektakulärer wirkt. Wobei ich mir nicht einbilde, es perfekt gemacht zu haben. Ich habe meinem Erzähler einfach zwei Wörter gegeben, die er endlos wiederholt, und den Rest über die Syntax geregelt. Wenn man erst anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im nächsten Jahr ausgelacht. In Ihrem Blog heißt es: »Ich bin Schriftsteller, und man wird nicht glauben, dass Literatur mich sonst kaltgelassen hätte. Aber was jetzt zurückkehrt beim Lesen, ist das Gefühl, das ich zuletzt in der Kindheit und Pubertät regelmäßig und danach nur noch sehr sporadisch und nur bei wenigen Büchern hatte: dass man teilhat an einem Dasein und an Menschen und am Bewusstsein von Menschen, an etwas, worüber man sonst im Leben etwas zu erfahren nicht viel Gelegenheit hat: dass es einen Unterschied gibt zwischen Kunst und Mist. Einen Unterschied zwischen dem existentiellen Trost einer großen Erzählung und dem Müll, von dem ich zuletzt eindeutig zu viel gelesen habe, eine Unterscheidung, die mir nie fremd war, aber lange verschüttet.« Was war der Müll, von dem Sie zu viel gelesen haben? Und wo ordnen Sie »Tschick« ein? Große Erzählung oder Mist? Da können Sie nicht ernsthaft eine Antwort erwar ten. Zum Müll: Ich kann mich zum Glück

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nicht an vieles erinnern. Ich lese auch nicht allzu viel Gegenwartsliteratur, aber ich bin der König des ersten Kapitels. Ich habe von fast allem, was rauskommt, mindestens das erste Kapitel gelesen. Oder eine Seite oder einen Absatz. Der Segen des Älterwerdens: Man braucht nur noch einen Absatz, um zu wissen, dass einen etwas nicht interessiert. Versetzen wir uns ins Jahr 2030. Ihr Buch ist seit zehn Jahren Schullektüre. Neuntklässler stöhnen, wenn sie den Namen Wolfgang Herrndorf hören. Welche Fragen zum Buch müssen in Aufsätzen beantwortet werden? Ich fürchte, man wird sich im Deutschunterricht am Symbolträchtigen aufhängen, an der Schlussszene ... ... in der Maik unter Wasser in einem Swimmingpool die Hand seiner Mutter hält, während oben die Polizei wartet ... ... oder an der Szene mit dem Elixier. Das bin ich jetzt auch schon häufiger gefragt worden: Was das für ein Elixier ist, das der Alte mit der Flinte den beiden da aufdrängt? Aber das weiß ich ja auch nicht. Das war nur, weil mich beim Schreiben jemand auf die »Heldenreise« aufmerksam machte, ein Schema, nach dem angeblich fast jeder Hollywood-Film funktioniert. Da müssen die Protagonisten unter anderem immer ein solches Elixier finden. Habe ich natürlich gleich eingebaut. Nur damit Ihre Helden es eine Minute später aus dem Fenster schmeißen. Ist das eine subtile Kritik an irgendwelchen Erzählformen? Nein, bestimmt nicht. Allgemeine Ansichten zur Literatur habe ich nie gehabt und nie verstanden. Mehr Engagement! Mehr Realismus! Mehr Relevanz! Ist doch alles Quatsch. Sobald Schriftsteller irgendeine Form von Theorie ausmünzen, läuft sie immer sofort darauf hinaus, dass zum allgemeinen Ziel erklärt wird, was der Autor selbst am besten kann und schon seit Jahren praktiziert. Das sind keine Theorien, das ist das, was sich heranbildet in kleinen Hasen, wenn es nachts dunkel wird im großen Wald.

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WANN HAT ES »TSCHICK« GEMACHT, HERR HERRNDORF?

Der Kritiker Gustav Seibt hat »Tschick« in die Tradition der deutschen Romantik, Tieck, Eichendorff gestellt. »Tschick« als Buch der deutschen Romantik, geschrieben mit amerikanischen Mitteln. War das so beabsichtigt? Ich weiß nicht, ob Seibt das so meint, aber das wäre ja generell erst mal nicht falsch. Nur dass man von »beabsichtigt« bei mir nicht wirklich sprechen kann. Ich denke mir beim Schreiben meist erst mal nicht viel außer »es sollte nicht langweilig sein«, und wo das dann hinsteuert, kann einem bei einem Roadmovie ja auch angenehm egal sein ... Ich merke gerade, dass ich mich in erzromantische Positionen verrenne.

Explosionen und geheime Ultrazentrifugenbaupläne. Also ein Thriller? In gewisser Weise. Man kann das Ganze aber auch dem Genre des Trottelromans zuschlagen. Alle handelnden Personen sind Trottel. Die Araber sind dumm, faul und stinken, die Europäer sind ausnahmslos arrogante Rassisten und Päderasten, die Amerikaner foltern alles, was ihnen in den Weg kommt, und hinter allem stecken – selbstverständlich – die Juden.

In Wirklichkeit verlassen Sie Berlin doch nie. Was hat es mit den Landschaften auf sich, die Maik und Tschick durchreisen, wo gibt es diese Mondlandschaften? Wo die Berge, »ungeheuer hoch und mit Steinzacken obendrauf«? Im Gegensatz zu meinen Helden bin ich nie in Ostdeutschland gewesen und habe die Reise nur mit Google Maps unternommen. Da kann man von oben nicht sehen, wie hoch die Berge sind. Aber ich war nie ein großer Freund der Recherche. Ich habe versucht, Gegenden zu beschreiben, wie Michael Sowa sie malt: Auf den ersten Blick denkt man, genauso sieht es aus in der Natur! Und wenn man genauer hinschaut, sind es vollkommen durchkonstruierte Sachen, die archetypischen Landschaften wie in idealen Tagträumen.

Stendhal hat nie über Spionage geschrieben. Doch, hat er, jedenfalls über so ein Komplott zur napoleonischen Zeit.

Maiks Mutter ist Alkoholikerin, auch Tschick hat ein Alkoholproblem. Warum gleich zwei Trinker? Das liegt daran, dass ich das Buch mit einer großen Unterbrechung in zwei Zügen geschrieben und das nicht gemerkt habe. Also, es ist mir dann natürlich selbst aufgefallen, aber ich hab’ es auch nicht mehr geschafft, es ganz rauszuschmeißen. Man hat ja oft einen bestimmten Leser im Kopf, für den man schreibt. Geht Ihnen das auch so beim Schreiben? Schon. Keine konkrete Person, aber einen schlauen Leser, der alles kapiert. In Ihrem nächsten Buch geht es um Amnesien,

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Irgendwelche Vorbilder in diesem Genre? Bei Thrillern kenne ich mich nicht aus. Für den Ton hatte ich Stendhal im Hinterkopf.

Ihr Output ist ziemlich eklektisch. Berlin-Popliteratur, Kurzgeschichten, Jugendroman, Thriller … Als Nächstes liegt hier ein Konzept für ScienceFiction rum. Ist das Sportsgeist? Oder Langeweile? Bei mir ist es eher Steuerungsunfähigkeit. Auf das meiste komme ich, wenn ich irgendetwas Mittelmäßiges sehe oder lese. Schlechte Sachen sind zu schlecht, bei guten fällt mir vor Bewunderung nichts ein, aber bei Mittelmäßigem denke ich oft, da müsste man nur hier und da ein bisschen an den Stellschrauben drehen … In welchem Genre ich damit lande, ist zweitrangig. Außerdem hatte ich mit diesem Thriller im Ernst mal die Absicht, einen Bestseller zu schreiben. Das hat nichts mit Kunst oder ihrem Gegenteil zu tun, sondern nur damit, dass man es irgendwann leid ist, in einer Ein-Zimmer-Hinterhofwohnung zu wohnen. Aber die Sache mit dem Bestseller hat »Tschick« ja jetzt erledigt. Ich kann mir auch nicht erklären, woran das liegt. Buchhandel, Werbung, Rezensionen – keine Ahnung. Mein Lektor warf neulich die Theorie ein: »Es könnte auch am Buch liegen.« Aber ich bin vom Literaturbetrieb so gründlich desillusioniert, dass ich das nicht glaube.

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WANN HAT ES »TSCHICK« GEMACHT, HERR HERRNDORF?

Welche Illusionen haben Sie da verloren? Illusionen ist vielleicht ubertrieben, ich komme ja schon von der Malerei, da ist es ähnlich oder noch schlimmer. Roger Willemsen hat neulich etwas Kluges dazu gesagt, dass es im Literaturbetrieb etwa ein Dutzend Gruppen gibt in Deutschland, meistens Kritikerzusammenballungen mit ein paar Autoren, die der Kritiker immer wieder bespricht und die auch untereinander auf ungute Weise zusammenhängen und dann auch das Übliche mit den Preisvergaben … Aber das ist uninteressant. Fragen Sie Willemsen, der konnte das so formulieren, dass es interessant war. Sie haben Malerei studiert – und aufgegeben. Warum? Ich konnte nicht das, was ich wollte. Außerdem war man mit Realismus und Lasurmalerei an einer Kunsthochschule in den Achtzigern nicht wirklich gut aufgehoben. Ich habe am Ende nur noch Comics gemacht. Bei denen wurden dann irgendwann die Bilder immer kleiner und der Text immer größer, und irgendwann gab es überhaupt

keine Bilder mehr. Und ich war auch froh, mit bildender Kunst nichts mehr zu tun zu haben. Was ist besser an der Literatur? Die Kundenfreundlichkeit. Es ist ein großer Nachteil der bildenden Kunst gegenüber der Literatur, dass man sich auch viele Quadratmeter Unsinn schmerzfrei ansehen kann. Man kann die Augen schließen und nach zwei Sekunden weitergehen. Als Leser, der in einem Tausend-SeitenRoman feststeckt, ist man sehr lange sehr allein. Das hat in der Evolution der Literatur etwas Grundsolides und angenehm Konventionelles wie den Roman hervorgebracht. Da wird es die bildende Kunst nicht mehr hinbringen. Maik und Tschick lassen beim Aufbruch in die Walachei ihre Handys zurück. Warum? Ich habe mir überlegt, Spannung, ich kann keine Spannung, und wenn ich jetzt noch ein Handy habe, mein lieber Mann, wie soll ich das denn regeln? Ich will Verfolgungsjagden in der Wüste!

DIE HELDENREISE 1.

Ruf: Erfahrung eines Mangels oder plötzliches Erscheinen einer Aufgabe

2.

Weigerung: Der Held zögert, dem Ruf zu folgen, beispielsweise, weil es gilt, Sicherheiten aufzugeben.

3.

Aufbruch: Er überwindet sein Zögern und macht sich auf die Reise.

4.

Auftreten von Problemen, die als Prüfungen interpretiert werden können

5.

Übernatürliche Hilfe: Der Held trifft unerwartet auf einen oder mehrere Mentoren.

6.

Die erste Schwelle: Schwere Prüfungen, Kampf mit dem Drachen etc., der sich als Kampf gegen die eigenen inneren Widerstände und Illusionen erweisen kann.

7.

Fortschreitende Probleme und Prüfungen, übernatürliche Hilfe.

8.

Initiation und Transformation des Helden: Empfang oder Raub eines Elixiers oder Schatzes, der die Welt des Alltags, aus der der Held aufgebrochen ist, retten könnte. Dieser Schatz kann in einer inneren Erfahrung bestehen, die durch einen äußerlichen Gegenstand symbolisiert wird.

9.

Verweigerung der Rückkehr: Der Held zögert, in die Welt des Alltags zurückzukehren.

10.

Verlassen der Unterwelt: Der Held wird durch innere Beweggründe oder äußeren Zwang zur Rückkehr bewegt, die sich in einem magischen Flug oder durch Flucht vor negativen Kräften vollzieht.

11.

Rückkehr: Der Held überschreitet die Schwelle zur Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen war. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis, und muss das auf der Heldenreise Gefundene oder Errungene in das Alltagsleben integrieren. (Im Märchen: Das Gold, das plötzlich zur Asche wird)

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Herr der zwei Welten: Der Heros vereint Alltagsleben mit seinem neugefundenen Wissen, und lässt somit die Gesellschaft an seiner Entdeckung teilhaben.

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KEINE KARTE UND KEIN PLAN »TSCHICK« IN AACHEN

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DER AUTOR WOLFGANG HERRNDORF

Wolfgang Herrndorf wurde 1965 in Hamburg geboren und lebt in Berlin. Er studierte zunächst in Nürnberg Malerei und arbeitete anschließend als Illustrator für den Haffmans Verlag und das Satiremagazin Titanic. 2002 erschien sein Debutroman »In Plüschgewittern«. Beim Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt er für die Erzählung »Diesseits des Van-Allen-Gürtels« den Kelag-Publikumspreis. 2008 wurde er für den gleichnamigen Erzählband mit dem Deutschen Erzählerpreis ausgezeichnet. 2010 erschien sein Roman »Tschick«. Im gleichen Jahr begann Herrndorf, in einem Blog öffentlich Tagebuch zu führen (www.wolfgang-herrndorf.de) – dem Autor wurde zu dieser Zeit ein Hirntumor diagnostiziert. Im November 2011 erschien der Roman »Sand«. Nachdem 2011 bereits »Tschick« für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert gewesen war, wurde Herrndorf dieser Preis 2012 für »Sand« schließlich zugesprochen. Im selben Jahr gelangte »Sand« auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. »Tschick« wurde 2011 in Dresden uraufgeführt. Die Bühnenfassung von Robert Koall ist in dieser Spielzeit das meistgespielte Stück an deutschsprachigen Bühnen.

WOLFGANG HERRNDORF LIEST AUS »TSCHICK« http://www.youtube.com/watch?v=za882b_vTzs&feature=youtu.be

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»Irgendwo im Insektenkino schauen sie sich gerade einen Film an, der auf der Erde spielt und von zwei Typen handelt, die ein Auto klauen«

I’m a survivor I’m not gon’ give up I’m not gon’ stop I’m gon’ work harder I’m a survivor I’m gonna make it I will survive Keep on survivin’ I’m a survivor I’m not gon’ give up I’m not gon’ stop I’m gon work harder I’m a survivor I’m gonna make it I will survive Keep on survivin’ (Destinys Child – Survivor)

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»Das Beste ist Fresse halten, hatte Tschick gesagt«

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OUTTAKE »TSCHICK« AUS: »ARBEIT UND STRUKTUR« WWW.WOLFGANG-HERRNDORF.DE

Vielleicht hatte er ja ein total gefühlsmäßiges Innenleben? Nur einmal hatte ich ihn außerhalb der Schule getroffen. In der S-Bahn, auf dem Weg ins Olympiastadion, zusammen mit hundert anderen grölenden Hertha-Spacken. Womit ich nicht sagen will, daß alle Herthaner Spacken sind. Ich bin früher auch mit meinem Vater ins Stadion gegangen. Aber die Ostkurve ist halt schon völlig »Lyrik ist die Sprache der Gefühle«, hat Kalt- verspackt, und das Komische ist, daß alle diese wasser uns immer wieder klargemacht, und wer Hertha-Vollirren eine wahnsinnige Freude an das in seinen Aufsatz schrieb, hatte schon mal Gedichten haben. In der S-Bahn den ganzen Weg eine Drei sicher: Lyrik ist die Sprache der Ge- zum Stadion immer: Sprechgesang, Jambus, fühle. Nur daß einem das bei diesem Celan auch Reimschema, alles. Nur daß der Inhalt eher nicht nicht weiterhalf, und das ganze Desaster endete so goetheartig ist. Das geht schon immer mehr damit, daß Kaltwasser fragte, wer denn schon mal Richtung Türken, Auschwitz, Baseballschläger. selbst so was probiert hätte. Ein Gedicht schrei- Wir sind die Blauen, wir sind die Weißen, wir sind die, die auf die Schalker scheißen – und ich verben. Keiner natürlich. mute, solche Gedichte wird der Nazi in seiner »Das ist nichts, wofür man sich schämen muß«, Freizeit dann wohl auch gedichtet haben. Womit er Kaltwassers Anforderung ja erfüllt gehabt sagte Kaltwasser und wartete. hätte: Die Sprache der Gefühle. Aber, wie gesagt, Zwei Mädchen meldeten sich, Natalie relativ nach Inhalt wurde nicht gefragt. Weil, Kaltwasser schnell, und Marie erst, nachdem sie rot geworden ging es jetzt um die Hausaufgabe, und die war, daß wir eben alle auch mal so was machen sollwar. ten. Wir wüßten ja jetzt, wie das geht, Kreuzreim, »Mehr nicht?« fragte Kaltwasser, und dann mel- Dings, A-B-A-B. Und dann noch Stilmittel. dete sich André. André Langin. Der schöne André. Hätt ich fast gekotzt. Und das Schlimmste war: Aus irgendwelchen Gründen hatte ich die HausDas brachte die Festung zum Einsturz. Nachdem aufgabe am nächsten Tag aber vergessen, und als André sich gemeldet hatte, meldete sich nach und Kaltwasser dann tatsächlich jeden einzelnen der nach fast die Hälfte der verblödeten Mädchen, die Reihe nach aufgerufen hat, hab ich mich erstmal alle schon mal »naja, so was, was sich reimt« auf Toilette verabschiedet. Mit Zettel und Füller. gemacht hatten, und noch zwei Jungs. Einer Und da saß ich dann auf dem Klodeckel und davon der Nazi. Der meldete sich, wie er sich dachte, hau ich halt schnell einen Vierzeiler immer meldete: Ellenbogen auf den Tisch und zusammen. Was strategisch unklug war, weil ich dann schlapp irgendein Finger krumm in die Luft auf die Weise ja das Gedicht von Tatjana verpaßte, gehalten, gern auch der Mittelfinger. Und der und wenn mich eins auf der Welt interessierte, wollte jetzt also auch schon mal ein Gedicht dann wie Tatjanas Sprache der Gefühle aussah. geschrieben haben. Ich war anscheinend fast der Wäre ich also besser in der Klasse sitzengeblieben einzige, der noch nicht auf die Idee gekommen und hätte einen Eintrag kassiert. Aber, wie gesagt, war. Wobei leider nicht geklärt wurde, wer denn das fiel mir zu spät ein auf dem Klo. Und dann wußte ich auch nicht, was ich überhaupt schreiben da was genau produziert hatte. sollte. Sprache der Gefühle. Ich hatte schon seit Bei dem Nazi konnte man wahrscheinlich schon Monaten nur noch ein einziges Gefühl gehabt. davon ausgehen, daß das eher nicht so »Frühling Und so hab ich dann auch angefangen. Ich kann läßt sein blaues Band« und so war. Wobei ich den an gar nichts anderes denken, erste Zeile. Und Nazi nicht kannte. Keiner kannte den genauer. schon bei Zeile zwei war ich mächtig am SchwimEinmal sollten wir ein Gedicht schreiben. Da hatten wir monatelang Gedichte gelesen und analysiert, Goethe, Schiller, Hebbel, so die Richtung, und das sollte jetzt weitergehen mit modern. Nur daß modern keiner mehr verstand. Einer hieß Celan und ein anderer Bachmann, da hätte man Simultandolmetscher gebraucht.

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OUTTAKE »TSCHICK«

Die Stunde war fast um, und ich hoffte schon, nicht mehr dranzukommen. War aber leider nicht so. Kaltwasser setzte ein feines Lächeln auf, überblickte die ganze Klasse und sagte: »Unser Wenn man über Liebe und so was schreiben will, Freund Maik Klingenberg. Dann lies doch mal vor, sollte man wahrscheinlich schon länger darüber was du da in fünf Minuten über dem Urinal nachdenken als fünf Minuten auf dem Schulklo. zusammengekritzelt hast. Wenn’s Versmaß Hat Goethe bestimmt auch gemacht. Außerdem stimmt, mach ich nicht mal einen Eintrag.« hatte ich nicht wirklich vor, ein Gedicht über Tatjana zu schreiben. Aber wenn nicht über Immer dieses Problem mit den Erwachsenen. Tatjana, worüber dann? Eins über mich? Über die Einerseits blicken sie’s oft nicht. Aber dann Natur? Über das Klo? Türken? Auschwitz? Mir blicken Sie’s wieder. Kaltwasser blickte es meifiel nur Quark ein. Ich liebe dich, du blöde Sau, stens. Ich packte meinen Zettel aus und las. »Ich während ich ins Jungsklo schau. Nee, nee. liebe dich –« Vielleicht doch besser harmlos machen die Sache – wie hieß das noch? Metaphorisch, genau. »Ich liebe dich? Was? Lauter!« rief Kaltwasser. Einfach die Liebe weglassen und über die Land»Ich liebe dich. Und ganz egal. schaft reden. Und am Ende stellt sich raus, es ist Der Winter kommt. Ein warmer Schal gar keine Landschaft gemeint, sondern Frau von Ist besser als ein kalter. Stein. Der Winter kommt. Die Luft ist kalt. Ich Ich bin zu häßlich für mein Alter. hab kein Schal, Herr Rechtsanwalt. Nein. men. Tatjana, param param, mein Herz, hier fehlt ein Wort, param, irgendwas mit schenken. Herz schenken. Geschenk schenken. Oh Mann.

Als ich in die Klasse zurückkam, hatten schon fast alle gelesen. Die Reihe war an meinem Platz längst vorbei, und nur die zwei hinteren Bänke kamen noch. Den größten Erfolg hatten Jungen, die die Worte Scheiße und Arsch in ihren Gedichten untergebracht hatten. Wobei Arsch das Schwierigste zu sein schien, quasi Königsdisziplin. Da spielte gleich in zwei Gedichten von der letzten Bank irgendein Fluß die Hauptrolle, damit nämlich ein Barsch in dem Fluß schwimmen konnte. Und was war das für eine Begeisterung am Ende, wenn das Reimwort kam! Nur Kalt-wasser mochte es nicht so.

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Du bist zu schön. Und das vergeht. Das ist nicht neu. Nichts bleibt, nichts steht. Ein Lada steht im Parkverbot. In hundert Jahren sind wir tot.« »Soso. Wir können schon Ironie«, sagte Kaltwasser. »Na – das hätte Goethe in fünf Minuten auch nicht besser hingekriegt. Kein Eintrag. Hausaufgaben zum nächsten Mal: Seite 122 oben.«

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BIOGRAPHIEN

LILLI-HANNAH HOEPNER

ESTHER VAN DE PAS

Lilli-Hannah Hoepner, geboren 1980 in Berlin, studierte 2001 bis 2005 Regie an der OttoFalckenberg-Schule in München und schloss das Studium mit einer eigenen Bearbeitung der »Antigone« ab. Sie arbeitete als Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen und am schauspielfrankfurt, wo sie »Hundeherz« nach Michail Bulgakow und »Herr Ich und andere Absurditäten«, eine Collage von Kammerstücken von Jean Tardieu, inszenierte. 2009 inszenierte sie die Uraufführung des Musiktheaterstückes »Der Wilhelmine-Code« im Markgrafentheater Erlangen und die elfte Reise der »Sterntagebücher« von Stanislaw Lem am Theater Konstanz. Ihre Uraufführungsinszenierung von »Himmelangst« von Daniela Dröscher am Schauspielhaus Bochum wurde 2010 zu »Radikal Jung – Das Festival junger Regisseure« ans Münchner Volkstheater eingeladen. Im selben Jahr inszenierte sie am Theater Augsburg »Einsame Menschen« von Gerhart Hauptmann und »Die kleine Hexe« von Otfried Preußler. 2011 inszenierte Lilli-Hannah Hoepner die Uraufführung von »Rheingold Feuerland« an der Neuköllner Oper Berlin. Am Theater Osnabrück hat sie in der Spielzeit 2011/12 bei der Uraufführung von »Ekat Cordes’ Aproposkalypse« Regie geführt und »We are Came-ra/ Jasonmaterial« von Fritz Kater in Augsburg. LilliHannah Hoepner arbeitet zudem regelmäßig in Brasilien, wo sie u. a. am Teatro SESC Copacabana in Rio de Janeiro »Beijo no asfalto« und »Otelo – o alemão do Brasil« inszenierte. »Tschick« ist ihre erste Arbeit am Theater Aachen.

Esther van de Pas wurde 1981 in Venray geboren und lebt in Maastricht. Sie absolvierte eine Ausbildung als Kunstpädagogin an der Hochschule für Künste in Arnheim. Im Anschluss studierte sie bis 2008 an der Akademie der bildenden Künste in Maastricht Bühnen- und Kostümbild. Daraufhin war sie zwei Jahre als Kostüm- und Bühnenbildassistentin am Schauspielhaus Bochum tätig, wo sie auch bereits für verschiedene Produktionen Bühne und Kostüme entwarf. Seitdem arbeitet Esther van de Pas freiberuflich in den Niederlanden und in Deutschland. Am Theater Aachen ist sie seit der Spielzeit 2010/2011 regelmäßig tätig. Sie entwarf u.a. die Kostümbilder für »Boys do(n’t) cry« und »Clyde und Bonnie« und die Bühne für »Albert Herring«.

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NIKOLAJ MALIK Nach seinem Abitur in Trier und einigen längeren Reisen kam Nikolaj Malik in der Spielzeit 2010/2011 als Regiehospitant an das Theater Aachen und begleitete anschließend zunächst die Musiktheaterproduktion »Albert Herring« und dann in der Spielzeit 2011/12 das Mörgens als Regieassistent. Nikolaj Malik erhielt 2009 den Deutschen Jugendvideopreis für »Beduinen des Westens« – ein Handyvideo. In diesem Jahr beendete er seinen Kurzfilm »Burn it Down«. Ein nächstes Projekt ist in Planung. Nikolaj Malik ist verantwortlich für alle Mörgens-Trailer sowie für den Trailer zu »Die Präsidentinnen« in der Kammer. Für »Tschick« hat er in Zusammenarbeit mit der Regisseurin hauptverantwortlich das Videomaterial erstellt.

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