Vorlesungen RSozI vom 22. und 29. Februar 2012

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Sozialwissenschaften, Soziologie
Share Embed Donate


Short Description

Download Vorlesungen RSozI vom 22. und 29. Februar 2012...

Description

Rechtssoziologie I Vorlesungen vom 22.02. und 29.02.2012 Prof. Dr. Lukas Gschwend Universität Zürich Frühjahrssemester 2012

A. Einführung in die Rechtssoziologie 1. Definition und Abgrenzung 1.1 Positive Normativität: Gesetz und Rechtsdogmatik 1.2 Idealität des Rechts: Rechtsphilosophie 1.3 Soziale Realität des Rechts: Rechtssoziologie 1.4 Genetische Rechtssoziologie 1.5 Operationale Rechtssoziologie

2

Die Rechtssoziologie im Gefüge der Rechtswissenschaft

Dreidimensionalität des Rechts

Rechtsdogmatik

Rechtssoziologie

Idealität

Normativität

Faktizität

Gerechtigkeitsvorstellungen, Werte

positive Geltung i.S. der Legalität

Rechtsleben

soziale Wirklichkeit

Rechtsphilosophie

Einführung in die Rechtssoziologie 2. Inhalt, Umfang und Grenzen des gesellschaftswirksamen Rechts 2.1 Wirklichkeit des Rechts als empirisch fassbare Erfahrungstatsache: law in action, geltendes Recht im Gegensatz zum law in books 2.2 Geltung des Rechts (Kriterien: faktische Befolgung, Anerkennung, Erzwingbarkeit etc.) 2.3 Normativität – Faktizität 2.4 Transaktion ausserrechtlicher Normativität ins Recht

3. Rechtssoziologie im Spannungsfeld von Recht und Gesellschaft 4. Rechtssoziologie als juristische Hilfswissenschaft

Einführung in die Rechtssoziologie 5. Der soziologische Rechtsbegriff -

-

Recht als empirisch erfassbarer, faktisch wirksamer, normativer Imperativ dem Verhaltensmuster zugrunde liegen. Zwangs- und anerkennungstheoretischer Rechtsbegriff Funktionstheoretischer Rechtsbegriff Zwangs- und rechtsstabstheoretischer, etatistischer Rechtsbegriff Reaktionstheoretischer Rechtsbegriff Lebend(ig)es Recht umfasst diejenigen Rechtsnormen, die in der Praxis durchgesetzt werden. Oliver Wendell Holmes (1897): „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by law.“ Modifikation dieses Rechtsbegriffs durch Integration des Rechtspluralismus’

B. Geschichte der Rechtssoziologie

6

1. Montesquieu (1689–1755) -

-

Rechts- und Sozialphilosophie der Aufklärung Keine ideale sondern naturalistische Rechtsbegründung (De l‘ésprit des lois, 1642) Rechtsdeterminanten: Regierungsform, Religion, Wirtschaft, Brauchtum, Klima, Topographie u. a.

2. Auguste Comte (1798–1857) -

-

Metaphysikfeindliche, empirisch-induktiv ausgelegte positive Gesellschaftsphilosophie (Cours de Philosophie Positive, 1830–42) Dreistufiges Entwicklungsmodell menschlicher Erkenntnis (Theologie, Philosophie-Jurisprudenz, Positivismus) Recht als Gesamtheit der in der Bevölkerung gelebten Gesetze

B. Geschichte der Rechtssoziologie

7

3. Karl Marx (1818–1883), Friedrich Engels (1820–1895) -

-

-

-

Recht als Instrument der Herrschaft und materialistisches Phänomen sowie ideologisiertes Instrument zur Realisierung bürgerlicher Interessen Widerspruch zwischen rechtlichem Überbau der Gesellschaft (Produktivverhältnisse) und sozioökonomischem Unterbau (Produktivkräfte) Hist. Materialismus; dialektische Spannung der Gesellschaft: Revolution Manifest der Kommunistischen Partei (1848), Das Kapital (1867)

4. Henry Sumner Maine (1822–1888) -

These „From Status to Contract“ (1861) Antike bis Hochmittelalter: Sozial kaum durchlässige Statusgesellschaft

B. Geschichte der Rechtssoziologie

8

4. Henry Sumner Maine (Fortsetzung) -

-

Neuzeit, insbesondere seit 1800: Der Einzelne definiert seine soziale Stellung durch seine Leistung, die er mittels Verträgen gesellschaftlich umsetzt und verknüpft Kritik und Präzisierung durch Max Weber

5. Rudolf von Jhering (1818–1892) -

-

-

Von der romanistischen Pandektistik zur naturalistischen Deutung des Rechts als soziales Produkt widerstreitender Zwecke (Interessenkonflikte) Der Kampf ums Recht (1872), Der Zweck im Recht (1877/84) Wegbereitung für Interessenjurisprudenz sowie sozialdarwinistische Tendenzen innerhalb der Rechtswissenschaft naturalistischer Fehlschluss!

B. Geschichte der Rechtssoziologie

9

6. Kriminalsoziologie (ca. 1870–1920) -

-

-

Cesare Lombroso und die Kriminalanthropologie („delinquente nato“, L‘uomo delinquente, 1876) Kriminalität als medizinisches Phänomen und soziales Problem (Enrico Ferri, Raffaele Garofalo) Alexandre Lacassagne und die Milieutheorie Gabriel Tarde: „Tout le monde est coupable excepté le criminel.“ Kriminologie und Rechtssoziologie bemühen sich darum, Erfahrungswissen über das Recht und seine Wirkung in der Gesellschaft zu gewinnen und zu systematisieren. Frühe Kriminologie als Pionierdisziplin sozialempirischer Rechtsforschung und Wegbereiterin der Rechtssoziologie

B. Geschichte der Rechssoziologie

10

7. Emile Durkheim (1858–1917) -

-

-

Inhaber des ersten soziologischen Lehrstuhls in Frankreich (Universität Bordeaux), ab 1902 an der Sorbonne/Paris Gesellschaft als Wirklichkeit eigener Art (Les règles de la méthode sociologique, 1893) Soziologische Tatbestände als festgelegte Arten sozialbezogenen Handelns, welche die Fähigkeit besitzen, auf den Einzelnen einen äusseren Zwang auszuüben Kausalität sozialen Verhaltens Theorie der mechanischen und organischen Solidarität Vertragliche Bindungen der Individuen als Teil der Gesamtstruktur sozial-funktionaler und solidarischer Prozesse in einer Gesellschaft anomischer Suizid als Folge des Solidaritätsverlustes

B. Geschichte der Rechtssoziologie

11

8. Eugen Ehrlich (1862–1922) -

-

Seit 1896 Prof. für Römisches Recht in Czernowitz/Bukowina Begründer der Freirechtsschule, skeptisch gegen Begriffsjurisprudenz Konfrontation des Juristenrechts mit der Rechtswirklichkeit Kontroverse mit Hans Kelsen und dessen Theorie der reinen Rechtslehre (1915/17) Seminar für lebendes Recht, Rechtstatsachenforschung an der Universität Czernowitz (1910) Grundlegung der Soziologie des Rechts (1913) Rechtssoziologie als einzig mögliche Wissenschaft vom Recht, die nicht bei den Worten stehen bleibt, sondern durch Induktion in Erfahrung bringt, wie dem Recht zugrunde liegende soziale Tatsachen mit diesem in Wechselwirkung stehen. Gesellschaft als Gesamtheit sozialer Verbände

B. Geschichte der Rechtssoziologie

12

8. Eugen Ehrlich (Fortsetzung) -

-

-

-

Lebendes Recht der Verbände – Juristenrecht – staatliche Rechtssatzung (unterschiedliches Regelverständnis zwischen Juristen und Laien) Schwerpunkt der Rechtsentwicklung liegt in der Gesellschaft bzw. in den sozialen Verbänden Schwäche: Keine klare Abgrenzung des Rechts gegenüber Sitte, Übung, Sittlichkeit und Moral (opinio necessitatis als problematisches Kriterium) Theoretische Erzwingbarkeit ist für Ehrlich kein Rechtsbegründungskriterium. Vielmehr sind die faktische Anerkennung des Rechts und Erfüllungsbereitschaft durch die Gesellschaft konstitutiv (Anerkennungstheorie, Bsp. Spielschulden). Einfluss der historischen Rechtsschule (Carl Friedrich von Savigny)

B. Geschichte der Rechtssoziologie

13

9. Max Weber (1864–1920) -

-

-

Jurist und Prof. für Nationalökonomie an der Universität Heidelberg mit Forschungsschwerpunkt im Bereich Soziologie und Wirtschaftsgeschichte (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904/5) Soziologie als empirische Wissenschaft, die werturteilsfrei, aber theoriegeleitet und konzeptionell soziale Handlungen analysiert und deutend versteht. Rechtssoziologie vor dem sozialen und ökonomischen Kontext (Wirtschaft und Gesellschaft, 1922) Soziales Handeln als «Verhalten, dessen vom Handelnden gemeinter Sinn auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.»

Geschichte der Rechtssoziologie 9. Max Weber (Fortsetzung) -

Bestimmungsgründe sozialen Handelns: - Zweckrational (im Hinblick auf das Verhalten der Aussenwelt zur Verfolgung eigener Zwecke) - Wertrational (motiviert durch bewussten Glauben an den ethischen, ästhetischen, religiösen oder anderweitig begründeten Eigenwert eines bestimmten Verhaltens) - Affektuell (durch Gefühle motiviert) - Traditional (durch eingelebte Gewohnheiten motiviert)

-

Restriktiver Rechtsbegriff: Nur dort liegen Rechtsnormen vor, „wo die Anwendung irgendwelcher physischer oder psychischer Zwangsmittel in Aussicht steht, die von einem Zwangsapparat (...) ausgeübt wird, wo also eine spezifische Art der Vergesellschaftung zum Zwecke des Rechtszwangs existiert.“

B. Geschichte der Rechtssoziologie 9. Max Weber (Fortsetzung) -

-

Begriff des Rechtsstabs Zwangstheorie versus Anerkennungstheorie Idealtypen der Rechtsentwicklung: - charismatische Rechtsoffenbarung - empirische Rechtsschöpfung - herrschaftliche Rechtsoktroyierung - systematische Rechtssatzung Die Entwicklungsstufen der Rationalität des Rechts - formell und irrational - materiell-irrational - materiell-rational - formell und rational

15

B. Geschichte der Rechtssoziologie

16

10. Theodor Geiger (1891–1952) -

-

-

Uppsala-Schule der 1920er Jahre: Philosophieprofessor Axel Hagerström (1868–1939) spitzt die positive Schule Comtes zu, negiert die Wissenschaftlichkeit jeder Metaphysik und begründet den Wertnihilismus. Anders Vilhelm Lundstedt wendet den Wertnihilismus auf die Jurisprudenz an und kommt zum Ergebnis, dass die Rechtsbegriffe „abergläubische Phantasiebegriffe“ seien. Nur durch seine reale Funktion erhalte das Recht einen wissenschaftlichen Boden. Theodor Geiger lernt die Uppsala Schule in den 1930er Jahren kennen und rezipiert Teile ihrer Lehren. Er lehnt jede Metaphysik des Rechts ab. In der Rechtsdogmatik erkennt er einen unwissenschaftlichen „Normenfetischismus“.

B. Geschichte der Rechtssoziologie

17

10. Theodor Geiger (Fortsetzung) -

-

Recht und Staat sind spezifische Ordnungserscheinungen innerhalb des Ordnungsgefüges der Gesellschaft. In einer Gesellschaft sind Menschen aufeinander eingestellt und angewiesen (= soziale Interdependenz) Das Zusammenleben führt über Gedächtnisprozesse zu bestimmten Verhaltensmustern im Sinne von GebarensModellen. Daraus ergeben sich Bräuche. Bräuche, welche die Gesellschaft für verbindlich anerkennt und tatsächlich sanktioniert, sind Rechtsnormen. Das Recht ist eine Sonderart sozialer Ordnung von hoher Verbindlichkeit, die sich jedoch nicht verabsolutieren lässt. Normative Wirksamkeit ist messbar (= Effektivitätsquote)

B. Geschichte der Rechtssoziologie 11. Soziologische Jurisprudenz und Realismus -

wird später separat und eingehend behandelt

18

C. Rechtssoziologie der Gegenwart 1. Vorbemerkung zu den rechtssoziologischen Forschungstendenzen der Gegenwart 2. Richtersoziologie 3. Rechtstatsachenforschung 4. Chancengleichheit vor Gericht 5. Alternative Konfliktregelung (Litigation, dispute settlement, Mediation etc.) 6. Law and Economics (selbständige Disziplin) 7. Theorien der Rechtsentwicklung 8. Recht, Medizin, Psychowissenschaften 9. Aktuelle Forschungssituation in der Schweiz

19

C. Rechtssoziologie der Gegenwart

20

9. Organe und Periodika -

-

Deutschland: Vereinigung für Rechtssoziologie, Arbeitskreise für Rechtssoziologie an mehreren Universitäten Schweiz: Forschungskomitee Rechtssoziologie der Schweizer Gesellschaft für Soziologie Zeitschrift für Rechtssoziologie seit 1980 Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung (hrsg. v. Manfred Rehbinder) Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie seit 1970 USA: Law and Society Association, Law and Society Review seit 1966 Frankreich: Journal „Droit et Société“ mit dem Untertitel „Revue internationale de Théorie du Droit et de Sociologie juridique“ seit 1986

View more...

Comments

Copyright � 2017 NANOPDF Inc.
SUPPORT NANOPDF