Was sind Parteien?

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Sozialwissenschaften, Politikwissenschaft
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Lernmodul Parteien Der Text führt einerseits sachlich in verschiedene Aspekte des Themas ein (Begriff, Entwicklung und politische Bedeutung der Parteien) – mit abschliessenden Bemerkungen über mögliche Zugänge zu einem politischen Engagement in den Jugendjahren. Im Vordergrund stehen daneben detailreiche Bemerkungen über verschiedene Aspekte der Kompassfragen und vor allem der Parteiprofile.

Autor: Martin Fenner

Foto: Parlamentsdienste

Grundlagentext

Was sind Parteien? Welches sind ihre Aufgaben? Parteien sind Organisationen von Bürgerinnen und Bürgern, die eine ähnliche politische Gesinnung haben und auf politische Prozesse und Entscheidungen nach ihren Vorstellungen Einfluss nehmen wollen. Parteien vertreten oft eine bestimmte Weltanschauung, zum Beispiel eine liberale, eine soziale oder ökologische Orientierung. Bei CVP und EVP bildet ein religiöses Bekenntnis den weltanschaulichen Hintergrund. Die Aufgaben der Parteien sind vielfältig:  Formulierung der eigenen Interessen und Meinungen in der Öffentlichkeit.  Rekrutierung von Kandidatinnen und Kandidaten, wenn in Wahlen politische Ämter zu besetzen sind, Unterstützung im Vorfeld der Wahl.  Mobilisierung der Wählerschaft bei Wahlen und Sachabstimmungen.  Beeinflussung der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit zu politischen Sachfragen.  Mitarbeit in Parlamenten und Regierungen  Vertretung der Anliegen der Partei durch die «eigenen» Gewählten der Partei in Parlamenten und Regierungen.  Lancieren von Volksinitiativen und Referenden, das Sammeln von Unterschriften zu solchen Volksbegehren.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Parteien in den politischen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle spielen. Welchen Einfluss eine Partei auf politische Entscheidungen hat, hängt unter anderem von ihrer Grösse ab. Wie viele Mitglieder zählen die Parteien in der Schweiz? Zählungen und Schätzungen gehen seit eh und je auseinander. Nach einer Studie, die um 2000 bei allen Kantonalparteien durchgeführt wurde, haben die Schweizer Parteien zusammen etwa 300 000 Mitglieder. Davon entfallen etwa 75 000 auf die FDP, 75 000 auf die CVP, 60 000 auf die SVP und etwas weniger als 40 000 auf die SP. In der Broschüre «Der Bund kurz erklärt», die von der Bundeskanzlei herausgegeben wird, findet man in der Ausgabe 2010 unter den Parteienporträts zum Teil stark abweichende Angaben: SVP 85 000, SP 35 000, FDP 130 000, CVP 100 000 Mitglieder. Diese Zahlen stammen aus Umfragen bei den Sekretariaten der gesamtschweizerischen Parteien. Parteien sind privatrechtliche Vereinigungen. Sie sind als Vereine gemäss Zivilgesetzbuch Art. 60 ff. organisiert.

Parteienkompass und smartvote: eine Art «politisches Partnervermittlungsbüro» Auf der Website des Parteienkompasses kann man sich unter Kompassfragen zu einigen Dutzend Fragen äussern. Das eigene Profil, das sich daraus ergibt, lässt sich mit den Profilen der verschiedenen Parteien vergleichen. Ein solcher Vergleich gibt Auskunft darüber, wie nahe (oder fern) von den Positionen der Parteien die eigenen Ansichten stehen. Wenn man den Test im Vorfeld von wirklichen Wahlen macht, kann der Parteienkompass als eine

Art politische Partnervermittlungsagentur fungieren. Bei smartvote (www.smartvote.ch) ist die Idee der politischen «Partnervermittlung» noch ausgeprägter und persönlicher als im Parteienkompass: Hier wird das eigene Profil­ mit den Profilen der Kandidierenden bei Wahlen in Bund, Kanton oder Gemeinde verglichen;­ das Ergebnis ist somit eine persön­liche Wahlempfehlung im wahrsten Sinn des Wortes. Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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Eine Fundgrube: Die Parteiprofile im Parteienkompass Einiges von dem, was im vorangehenden Abschnitt zur Sprache kam bzw. später noch ausgeführt wird, lässt sich mit dem Anklicken der Rubriken unter Parteiprofile für die einzelnen Parteien gut untermauern: Info: Startseite, Allgemeine Hinweise (Adressen, Wählerstärke). Geschichte: Hier wird die geschichtliche Entwicklung der acht vorgestellten Parteien von ihrer Gründung bis in die Gegenwart kurz skizziert. Dabei ist zu beachten, dass die erwähnten Gründungsdaten immer die gesamt­schweizerische Partei betreffen. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte die Gründung kantonaler Parteien oft weit früher. Ergänzend wird weiter hinten in diesem Text die Geschichte des Parteiensystems seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Gesamtzusammenhang – also nicht auf die einzelnen Parteien bezogen – dargestellt. Wählerprofil: In dieser Rubrik wird die Zusammensetzung der Wählenden der verschiedenen Parteien nach einigen Kriterien statistisch dargestellt (Geschlecht, Generationenverteilung, Ausbildung, berufliche Orientierung und Einkommenslage). Vielleicht lassen sich dabei Bezüge zur weltanschaulichen Orientierung gemäss smartspider und smartmap herstellen. In den Zahlen findet sich auch manch Unerwartetes. Parteistärke (Parlament): Die Grafik erlaubt, die Prozentanteile der Parteien an den Sitzen im Nationalrat und im Ständerat über einen Zeitraum von einigen Jahrzehnten zu verfolgen. Schon ein erster Blick zeigt, dass die Zeit der relativ stabilen Ergebnisse seit den späten 1990er-Jahren vermutlich vorbei ist.

Parteistärke (Karte): Das Bundesamt für Statistik hat für die im Parteienkompass aufgeführten Parteien (mit Ausnahme von EVP und BDP) eine Schweizerkarte gestaltet, aus deren Farbtönungen herausgelesen werden kann, wie hoch ihre Wählerunterstützung in verschiedenen Regionen des Landes ist. Politisches Profil: Hier sind die Antworten der Parteien auf die drei Dutzend Kompassfragen angekreuzt. smartspider: Die Kompassfragen lassen sich verschiedenen politischen Themenfeldern zuordnen. In dieser Rubrik sind die entsprechenden Resultate für die Parteien grafisch dargestellt. smartmap: In dieser Rubrik werden alle Parteien auf einer Art Landkarte «auf den Punkt gebracht». Den Orientierungsrahmen liefert die Kombination von zwei Achsen: links – rechts und liberal – konservativ. So lässt sich auf einen Blick feststellen, wie nahe bzw. entfernt die Parteien voneinander sind. Hier folgen präzisierende Angaben zum smartspider und zur smartmap: Der smartspider stellt das Ergebnis des Kompass-Fragebogens in den acht Themenfeldern der Kompassfragen grafisch dar. Pro Themenbereich kann ein Wert zwischen 0 (keine Zustimmung) und 100 (maximale Zustimmung) erreicht werden. Die smartmap-Positionenkarte stellt die Parteipositionen gemäss den Kompassfragen wie auf einer Landkarte in einem zweidimensionalen politischen Raum dar. Der Raum wird horizontal durch eine Links-Rechts-Achse und vertikal durch eine Liberal-Konservativ-Achse bestimmt. Je weiter «nördlich» sich eine Partei positioniert, desto liberaler ist sie, je weiter «südlich», desto konservativer. Entsprechend lässt sich die Einschätzung in der Achse «West–Ost» vornehmen.

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Das politische Fadenkreuz: links – rechts und liberal – konservativ «Links» steht für eine soziale Umverteilung zwischen Arm und Reich bzw. zwischen Benachteiligten und Nichtbenachteiligten und für ein entsprechend stärkeres Engagement des Staates; «links» meint auch: gegen zu viel Polizei und Armee. Beispiel: Förderung und Finanzierung von Kinderkrippen durch den Staat.

«Konservativ» steht für die Betonung der nationalen Unabhängigkeit und für eine zurückhaltende Migrationspolitik, es meint ferner auch gegen Reformen im Bereich der gesellschaftlichen Entwicklung. Beispiel: Für Einbürgerungen von Ausländerinnen und Ausländern sollen strengere Auflagen gelten.

«Rechts» steht für Eigenverantwortung und private Vorsorge, für eine Betonung von Recht und Ordnung. Beispiel: Härtere Bestrafung bei Sachbeschädigungen im öffentlichen Raum (Sprayereien, Ausschreitungen nach Sportveranstaltungen).

Dieses «Fadenkreuz» bildet die Grundlage für die Platzierung der Parteien in der smartmap. Es ist aber so, dass nicht alle Kompassfragen in diesen Rahmen passen. Hinzu kommt, dass die vier Begriffe oft auch etwas anders als hier angegeben gedeutet werden. Es empfiehlt sich deshalb, sie nur im Zusammenhang mit smartmap zu verwenden.

«Liberal» steht für Wirtschaftsfreiheit, internationale Zusammenarbeit und eine offene Haltung gegenüber Immigranten und Reformen im politischen Rahmen. Beispiel: Der Besitz und Konsum von Cannabis soll gestattet sein.

Parteien und Verbände: ein «Geschwisterpaar»? Parteien sind nicht die einzigen privaten Vereinigungen, die Einfluss auf die politischen Entwicklungen und Entscheidungen nehmen. Hier sei noch ein anderer Typ von Interessengruppen vorgestellt: die Verbände. Ein Verband ist eine Zweckvereinigung, welche die Interessen bestimmter Wirtschafts- und Berufszweige oder von Teilinteressenten des öffentlichen Lebens (zum Beispiel Konsumenten, Mieterinnen) wahrnimmt. Verbände unterstützen ihre Mitglieder zum Beispiel in den Bereichen Rechte am Arbeitsplatz, Lohnverhandlungen oder Weiterbildung. Die wichtigsten Verbände gruppieren sich in:  Arbeitgeber- und Unternehmerverbände (Schweizerischer Bauernverband, Gewerbeverband, Economiesuisse [Dachverband

der Schweizer Wirtschaft], Schweizerischer Ar­beitgeberverband),  Arbeitnehmerverbände (Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, Travail Suisse). Die hier genannten Verbände sind Dachverbände mit zahlreichen Einzelverbänden. Und auch diese bestehen jeweils aus Dutzenden von (Branchen-)Verbänden. Zur Illustration ein Beispiel zu den Spitzenverbänden: Der Schweizerische Detaillistenverband ist ein Zusammenschluss örtlicher, regionaler und kantonaler Detaillistenorganisationen. Er hat rund 400 000 Mitglieder aus 100 Branchen. Noch ein Beispiel: Der Schweizerische Gewerkschaftsbund setzt sich aus 16 Einzelgewerkschaften zusammen, die insgesamt rund 380 000 Mitglieder vertreten: Die grössten angeschlossenen Verbände sind Unia Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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(Zusammenschluss verschiedener Branchengewerkschaften), der Schweizerische Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband (SEV), die Gewerkschaft Kommunikation (für das Personal von Post und Swisscom, GeKo), der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD), Comedia (Drucker und Polygrafen, Journalisten, Buchhandel), der Personalverband des Bundes und der Schweizerische Bankpersonalverband. Zwischen Parteien und Verbänden gibt es eine Reihe von Überschneidungen, Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten.  Zunächst einmal gilt für beide die grundsätzliche Zielsetzung, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen.  Eine weitere, sichtbare Übereinstimmung liegt in der politischen Nachbarschaft von verschiedenen Parteien und Verbänden: Der Gewerkschaftsbund unterhält gute Beziehungen mit der SP, der Bauernverband mit der SVP, Economiesuisse mit der FDP usw.  Im Nationalrat und Ständerat und entsprechend auch in den Kantonsparlamenten gibt es Mitglieder, die gleichzeitig einer

Partei angehören und in einem Verband eine wichtige Stellung einnehmen. Andererseits gibt es zwischen Parteien und Verbänden auch Unterschiede:  Die Mitgliedschaft in Parteien steht allen Interessierten offen, der Beitritt ist freiwillig. Bei (Berufs-)Verbänden gibt es hingegen oft sogar eine Verpflichtung zum Beitritt, denn sie sind eine Interessenvertretung ihres Berufsstands.  Verbände haben, bezogen auf ihre Berufsgruppe, ziemlich viele Mitglieder, während die Parteien, gemessen an der Bevölkerungszahl, vergleichsweise wenig Mitglieder haben.  Parteien engagieren sich in der öffentlichen Diskussion für ganz unterschiedliche Themen, während für Verbände die Interessenvertretung ihrer Berufsgruppe usw. im Vordergrund steht. Verbände konzentrieren deshalb ihre politischen Auftritte in der Öffentlichkeit meist auf Themen, die ihre eigenen Interessen betreffen.  Verbände verfügen über mehr Geld als Parteien und sind politisch auch erfolgreicher.

Vom Amtsträger zum Wechselwähler In der Schweiz sind etwa 6 Prozent der Stimm- und Wahlberechtigten Mitglied einer Partei. Das scheint wenig, doch steht die Schweiz damit leicht über dem europäischen Durchschnitt. Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten geht bei Nationalrats- und Ständeratswahlen an die Urne. Das Engagement zugunsten der Parteien kann unterschiedliche Formen annehmen. Bei den Parteimitgliedern lassen sich zum Beispiel drei Gruppen unterscheiden:  Personen, die Jahresbeiträge zahlen, sonst aber nicht aktiv sind (sogenannte Passivmitglieder),  Aktive, die in Parteiversammlungen, Kommissionen usw. mitarbeiten,  Vorstandsmitglieder (Parteileitung) und

Parlamentarier/innen und Regierungsmitglieder, die der Partei angehören. Als «Sympathisanten» werden in der Regel Nichtmitglieder bezeichnet, die mit den Anliegen einer Partei «sympathisieren» und in der einen oder anderen Form bereits einmal mit der Partei Kontakt hatten und für die auch eine spätere Mitgliedschaft nicht undenkbar ist. Auch unter denjenigen, die bei Wahlen eine Partei unterstützen, kann man dreierlei Verhalten unterscheiden:  Die Stammwähler halten einer Partei längerfristig die Treue und geben kaum Stimmen an Kandidierende anderer Parteien ab.  Es gibt Wähler, die eine Partei längerfristig unterstützen, bei Wahlen ihre Stimme Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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aber bewusst auch Leuten aus anderen Parteien geben («Panaschieren» bei Proporzwahlen).

 Wechselwähler lassen sich nicht langfristig auf die Unterstützung ein und derselben Partei ein, sondern wechseln gelegentlich ihre Vorlieben.

Stammwähler A

ä nh

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Wechselwähler

Mandatsträger Kader

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Ergänzende Informationen zu den Parteiprofilen Der Parteienkompass ist auf die Parteien ausgerichtet, die gemäss Wahlergebnis von 2007 im Nationalrat vertreten sind. Das sind zum einen die fünf wählerstärksten Parteien: Christlich­ demokratische Volkspartei (CVP), FDP. Die Liberalen (FDP), Grüne Partei der Schweiz (GPS), Schweizerische Volkspartei (SVP) und Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP). Dazu treten drei kleinere Parteien: Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), Evangelische Volkspartei (EVP) und Grünliberale Partei (glp). Kleinere Gruppierungen wurden nicht berücksichtigt, unter anderem deshalb, weil zu wenig aussagekräftige statistische Daten für den Umgang mit dem Parteienkompass vorliegen. Die acht Parteiporträts skizzieren je die geschichtliche Entwicklung dieser Gruppierungen, wobei gegenseitige Beziehungen nur ausnahmsweise gestreift werden. Im Folgenden werden drei Themen kurz behandelt:  einzelne Begriffe in den Parteibiografien (in Form von Kurzkommentaren),  allgemeine Entwicklung der Parteien seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (im Teil «Weiterführende Materialien»),  Parteien in einem föderalistischen Land. Erläuterungen zu den «Parteibiografien» Unter Parteiprofile/Rubrik/Geschichte ist zu jeder Partei ein kurzer Abriss ihrer geschichtlichen Entwicklung zu finden. Im Folgenden werden einige Begriffe, die in diesen Texten vorkommen, näher erklärt. Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)  Bundesstaat: Im Gegensatz zu einem Einheitsstaat, in dem alle wichtigen Entscheidungen zentral getroffen werden, sind in einem Bundesstaat die Aufgaben zwischen dem Gesamtstaat und den Teilstaaten (in der Schweiz die Kantone, in Deutschland die Bundesländer) aufgeteilt. Bekannte Beispiele für Bundesstaaten sind die Schweiz, die USA und Deutschland.  Staatenbund: Im Gegensatz zum Bundesstaat ist der Staatenbund kein selbstständiger Staat, sondern ein lockerer Zusammenschluss von unabhängigen Staaten, um einzelne Fragen gemeinsam zu lösen. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war auch die Schweiz ein Staatenbund. Die heutige Europäische Union (EU) steht irgendwo

zwischen einem Staatenbund und einem Bundesstaat.  Kulturkampf: Ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert. Eine Auseinandersetzung zwischen der Katholischen Kirche und dem Staat um Einfluss und Zuständigkeit der beiden Institutionen, zum Beispiel im Schulbereich.  Föderalismus: Das Bestreben nach möglichst grosser Selbstverwaltung der Teilstaaten in einem Bundesstaat. In der Schweiz fällt in diesem Zusammenhang zuweilen auch das kritische Wort «Kantönligeist».  Ethik: Nachdenken über das sittliche und moralische Verhalten einer Gesellschaft. Ethisches Verhalten im Alltag bezeichnet man als Moral. Im Zusammenhang mit Ethik stehen unter anderem Fragen der Gerechtigkeit oder die Debatte um Sterbehilfe. Nicht zu verwechseln ist der Begriff mit «ethnisch» (eine bestimmte Volksgruppe oder «Ethnie» betreffend). FDP. Die Liberalen  Bundesstaat: vgl. oben unter CVP.  staatstragende Partei: Der Freisinn ist die einzige Partei, die im Bundesrat seit 1848 immer vertreten war; bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts stellten die Freisinnigen im Bundesrat gar die Mehrheit.  Sozialstaat: Dazu gehören vom Staat vorgegebene Massnahmen und Einrichtungen, die benachteiligte Gruppen durch rechtliche Garantien schützen (in Bereichen wie Krankheit, Invalidität, Arbeits­ losigkeit, Mindesteinkommen usw.). Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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 Infrastruktur: Anlagen und Einrichtungen, welche eine Grundlage des wirtschaftlichen Lebens bilden (Grundversorgung, Bildungswesen, Verkehrs- und Kommunikationsnetze usw.)

Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP)  Sozialeinrichtungen: Organisationen, die sich mit der Umsetzung von Massnahmen in den Bereichen soziale Sicherheit und Wohlfahrt befassen.

Grünliberale Partei (glp)  links: vgl. oben unter «Eine Fundgrube: Die Parteiprofile im Parteienkompass».  Fraktion: Fraktionen umfassen Angehörige der gleichen Partei oder verbündeter Parteien in einem Parlament. Wer im Parlament nicht Mitglied einer Fraktion ist, kann nicht Mitglied einer Kommission werden (die Kommissionen besprechen die Geschäfte im Parlament vor und haben deshalb entscheidendes Gewicht). Fraktionslose haben nur beschränkt die Möglichkeit, in den Parlamentssitzungen zu Wort zu kommen. Um Fraktionsstärke zu erlangen, braucht eine politische Gruppe im Nationalrat ein Minimum von fünf Sitzen. Im Nationalrat gibt es derzeit sechs Fraktionen: SVP, SP, CVP/EVP/glp, FDP/Liberale, GPS, BDP.

Schweizerische Volkspartei (SVP)  Referendum: Volksentscheid über eine Sachvorlage. Es gibt Referendumsabstimmungen, die durch die Verfassung vorgeschrieben sind (obligatorisches Referendum), neben solchen, die nur stattfinden, wenn rechtzeitig die nötigen Unterschriften gesammelt werden (fakultatives Referendum). Zu dieser Gruppe zählen vor allem Gesetzesvorlagen.  rechts-konservativ: vgl. oben unter «Eine Fundgrube: Die Parteiprofile im Parteienkompass».

Grüne Partei der Schweiz (GPS)  Realos und Fundis: Die Begriffe («Realos» für Realisten und «Fundis» für Fundamentalisten) stammen aus der deutschen grünen Szene der 70er-Jahre und bezeichnen die verschiedenen Flügel der grünen Bewegung.  Sozialstaat: vgl. oben zu FDP.

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Weiterführende Materialien In den folgenden Abschnitten findet man schwerpunktmässig Informationen, welche die Parteibiografien in die allgemeine Entwicklung des Parteienwesens seit dem 19. Jahrhundert stellen. Überlegungen zu möglichen Formen des politischen Engagements beschliessen den Text.

Stärkeverhältnisse und Entwicklung der Parteien Wie eine dreilagige Torte Die Schweiz ist ein föderalistischer Staat, in dem neben dem Bund auch die Kantone und die Gemeinden ein politisches Eigenleben führen. Auf allen drei Ebenen gibt es Parlamente und Regierungen. Deshalb verwundert es nicht, dass auch das Parteienwesen dreifach ausgeprägt ist. Ausserordentlich stark – mit 5000 bis 6000 Lokalsektionen – sind die Parteien auf der Gemeindeebene verbreitet: In über 70 Prozent der mehrheitlich sehr kleinen Gemeinden der Schweiz sind politische Organisationen vorhanden; drei Viertel stellen die CVP, FDP, SVP und SP. Es gibt kaum eine Gemeinde mit mehr als 2000 Einwohnern ohne lokalpolitische­ Gruppierungen. Trotzdem wird etwa ein Fünftel der Regierungsämter in Gemeinden von Parteilosen besetzt – Tendenz steigend –, was wohl als Hinweis auf die schwindende Bedeutung der Lokalparteien gedeutet werden muss. Daneben gibt es Kantonalparteien. Es fällt dabei auf, dass die einzelnen Parteien in den Kantonen sehr ungleich stark sind. So ist in den katholischen Deutschschweizer Kantonen die Linke relativ schwach vertreten und in den reformierten Kantonen die CVP nur von geringer Bedeutung. Inhaltliche Differenzen gibt es aber auch innerhalb der gleichen Partei, je nach Landesteil. So steht der Freisinn in der Westschweiz deutlich linker als in der Deutschschweiz, die CVP gibt sich in ihren Hochburgen in der Innerschweiz und im Wallis eher konservativ und in anderen Gebieten liberaler. Kein Wunder, dass unter diesen Voraussetzungen die Landesparteien nicht allzu mächtig sind. Die Kantonalsektionen sind beispielsweise nicht verpflichtet, die Stel-

lungnahmen der Landespartei zu Abstimmungsvorlagen zu übernehmen, und können auch abweichende Parolen fassen und veröffentlichen. Man kann davon ausgehen, dass die Kantonalparteien unter den Parteimitgliedern einen grösseren Stellenwert haben als die nationalen Parteien. Ungleiche Stärkeverhältnisse der Parteien in den Kantonen Die Zahlen zu den Wähleranteilen im Parteienkompass beziehen sich auf die Nationalratswahlen, sie geben also einen Durchschnitt über alle Kantone hinweg an. Die Parteien sind in den Kantonen ganz unterschiedlich stark, wie die Ergebnisse der Wahlen in die Kantonsparlamente zeigen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lassen sich folgende fünf Parteienverteilungsmuster unterscheiden: 1. CVP-Hochburgen (50 Prozent Wähleranteil) mit der FDP als zweiter stärkerer Partei (UR, OW, NW, VS); 2. Vierparteiensysteme mit starker CVP (LU, SZ, ZG, SG); 3. Vierparteiensysteme mit starker FDP in katholischen Kantonen der Westschweiz (FR, JU) sowie TI und SO; 4. Vierparteiensysteme in protestantischen Kantonen der Deutschschweiz mit starker SVP (ZH, BE [Dreiparteiensystem ohne CVP], GL, BL, SH, TG, AG); 5. Mehrparteiensysteme mit starker SP (BS, GE, VD, NE). Zur allgemeinen Entwicklung der Parteien seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts In der Zeit nach der Gründung des schweizerischen Bundesstaats 1848 gab es im Wesent­ lichen zwei Parteien: die freisinnige Parteifamilie und die Katholisch-Konservativen (heute Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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Die Parteienstärke (Sitzverteilung) im eidgenössischen Parlament Partei

Nationalrat

Ständerat

SP

43

9

SVP

FDP

CVP GPS

BDP glp

EVP

Christlich-soziale Partei (CSP)

Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) Lega dei Ticinesi (Lega) Partei der Arbeit (PdA) Total

57

35 31

20 5 3

2

6

12 15 2 1

1

1 1 1 1

200

46

Gemäss den Wahlen vom Herbst 2007; Zusammenschluss FDP und Liberale 2008 und Spaltung SVP/BDP 2008 berücksichtigt. Diese Zusammenstellung findet man auch im Grundlagentext zum Modul «Wahlen».

CVP) – ein sehr ungleiches Parteienpaar: Die Liberalen und Radikalen, wie man damals die Hauptgruppen des Freisinns nannte, hatten den Übergang des alten Staates, in dem die Kantone noch mehr Kompetenzen hatten, zum Gesamtstaat bei der Gründung des Bundesstaates politisch durchsetzen können. Dies nach einem kurzen Bürgerkrieg im Spätherbst 1847 (Sonderbundskrieg), in dem die Konservativen unterlagen. Gegenüber den Konservativen hatten die Freisinnigen in der Bundespolitik jahrzehntelang eine klare Vormachtstellung, was sich unter anderem darin zeigte, dass bis 1891 alle sieben Bundesräte dem Freisinn angehörten. In wichtigen Fragen der Zeit hatten die Freisinnigen «modernere» Auffassungen als ihre Gegenspieler und konnten sich durchsetzen, zum Beispiel wenn es um die Frage ging, ob die Kirche im staatlichen Schulwesen noch eine Rolle spielen dürfe oder nicht. Dem Freisinn gelang es auch, Menschen ganz unterschiedlicher Berufszweige (Unternehmer, Arbeiter und andere Arbeitnehmer, Bauern) um sich zu sammeln. Was den zuletzt genannten Aspekt betrifft, hatte die Katholisch-konservative Partei (heute CVP) gleich günstige Bedingungen: Auch ihr gelang es, Leute aus ganz unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung positiv anzusprechen, und zwar unter der ge-

meinsamen Klammer der Religion. Aber diese politische Bewegung fand ausserhalb ihrer Hochburgen in der Innerschweiz, im Wallis und in Freiburg nur wenig Echo. Mit der fortschreitenden Industrialisierung im Verlauf des 19. Jahrhunderts wuchs die Kraft von Arbeitnehmerorganisationen, die dazu drängten, eine eigenständige politische Organisation ausserhalb des Freisinns zu bilden. Das Ergebnis war die Gründung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz 1888, welche die soziale Frage in den Vordergrund rückte. Erstmals verliessen grössere Gruppierungen den Freisinn. Ein weiterer grösserer Aderlass erfolgte um 1920, als sich in einigen Kantonen die Bauern und gewerbliche Kreise vom Freisinn lösten und eigene Parteien bildeten. 1936 schlossen sie sich zur Schweizerischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BGB (heute SVP) zusammen. Um 1920 erfolgte auch der Wechsel vom Majorz- zum Proporzverfahren bei der Wahl des Nationalrats, was den Freisinn zusätzlich schwächte. Eine weitere Splittergruppe, die Liberale Partei, hatte sich bereits 1913 vom Freisinn gelöst. Sie konnte nur in einigen Westschweizer Kantonen und in Basel-Stadt Fuss fassen. Knapp hundert Jahre später vereinigte sie sich wieder mit den Freisinnigen. Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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In der Zeit zwischen den Weltkriegen entstanden einige kleinere Parteien. Die Kommunistische Partei (heute Partei der Arbeit, PdA) war eine linke Abspaltung von der SP im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Russische Revolution. Die Evangelische Volkspartei (EVP) konnte sich nur in ­einigen protestantischen Kantonen etablieren, sie blieb klein, vermochte sich aber bis heute zu halten. Stärkere Beachtung fand lange Zeit der Landesring der Unabhängigen (LdU). Er wurde Mitte der 1930er-Jahre gegründet und vertrat ein Programm, das irgendwo zwischen Freisinn und Sozialdemokratie anzusiedeln war. Der Zulauf zu dieser Partei war beachtlich: Sie erreichte im ­schweizerischen Durchschnitt bis gegen 10 Prozent der Wählerstimmen. Aus Gründen, die nicht so klar sind, verschwand der Landesring Ende der 1990er-Jahre fast auf einen Schlag von der politischen Bildfläche. In der Zeit des Nationalsozialismus bildeten sich am äussersten rechten Rand verschiedene sogenannte Frontenbewegungen, die aber relativ rasch in der Bedeutungslosigkeit versanken. Die Umweltdiskussionen seit den 1970erJahren begünstigten die Gründung der grünen Bewegung. Die 1983 gegründete Grüne Partei der Schweiz (GPS) ist heute die fünftstärkste Partei im Land. Ihre Ansichten zu politischen Fragen sind zum überwiegenden Teil ähnlich wie die der SP. Die 2007 gegründete Grünliberale Partei (glp) ist eine Abspaltung von der Grünen Partei. Nicht allen Parteien, die einmal eine gewisse Beachtung fanden, ist ein langes Leben gesichert. Ein paar Beispiele aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Um 1970 kamen gleichzeitig politische Bewegungen aus zwei entgegengesetzten Richtungen auf: einerseits die Nationale Aktion gegen die Überfremdung (NA) und die Republikaner, die beide die Einwanderungsfrage ins Zentrum ihrer Politik stellten; andererseits kleinere Parteien links der SP (Revolutionäre Marxistische Liga

RML, später umbenannt in Sozialistische Arbeiterpartei SAP; Progressive Organisationen POCH), die sich der 68er-Bewegung verpflichtet fühlten. Diese Bewegungen gingen um 2000 entweder in der SVP (NA, Republikaner) oder in der SP und der Grünen Partei auf (SAP, POCH). Zu einigen Veränderungen im Parteienspektrum seit 2007 (Gründung der Grünliberalen Partei glp und der Bürgerlich-Demokratischen Partei BDP, Zusammenschluss der Liberalen mit den Freisinnigen) geben die entsprechenden Parteibiografien in den Parteiprofilen Auskunft. Die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates Wie schon erwähnt, stellte der Freisinn bis 1891 alle Regierungsmitglieder. Die Partei verfügte bis 1919 immer noch über die absolute Mehrheit im Parlament. Später verlor der Freisinn schrittweise Stimmen und Sitze, während CVP und SP zulegten. Die Gewichtsverschiebungen unter den grossen Parteien in der ersten Jahrhunderthälfte hatten zur Folge, dass die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats mehrfach geändert wurde. 1959 hatten die drei grossen Parteien je 25 Prozent der Wählerschaft hinter sich, die SVP 12 Prozent. Jetzt erhielten die drei wählerstärksten Parteien je zwei Sitze, die SVP einen Sitz. Man nannte diese parteipolitische Aufteilung (2 + 2 + 2 + 1) die «Zauberformel». Sie hielt fast ein halbes Jahrhundert. Die Schweiz stand im Ruf, die stabilste Regierung der Welt zu haben. Mitte der 1990er-Jahre setzte ein rasanter Aufstieg der SVP ein: Sie gründete Sektionen auch in Gebieten, wo sie vorher kaum aufgetreten war (Westschweiz, Innerschweiz). Von 1995 bis 2007 steigerte sie ihren Wähleranteil bei den Nationalratswahlen von 15 auf 29 Prozent. Diese Entwicklung bedeutete das Ende der «Zauberformel»: 2003 gewann die SVP einen zusätzlichen Sitz auf Kosten der CVP.

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Der frühe Weg in die Politik führt über Parteien – oder nicht? Einleitung «Mit der Faust im Sack» oder «auf Zusammenarbeit orientiert»: Es gibt in der Politik wie auch im privaten Leben unterschiedliche «Lebensphilosophien». Darüber hinaus stellen sich Jugendliche richtigerweise die Frage, welchen Stellenwert die Auseinandersetzung mit politischen Fragen für sie überhaupt haben soll. Es gibt darauf keine allgemein verpflichtenden Antworten. Stattdessen werden im Folgenden drei Möglichkeiten von politischer Tätigkeit im Jugendalter vorgestellt, die – mit Bezug auf das Thema Parteien – Möglichkeiten zwischen starker Nähe und Distanzierung aufzeigen. Jungparteien In allen grösseren Parteien gibt es Jugendsektionen, die Interessierten ab etwa 14 Jahren offen stehen (mit einer Obergrenze von 25 bis 35 Jahren). Die Mitglieder bzw. Interessierte (das Mitmachen in einer solchen Gruppierung lässt sich auch als eine Art «Schnupperlehre» auffassen, mit dem möglichen Resultat: «Da gehöre ich nicht hin!») sind Gleichgesinnte, die im Grundsatz mit den politischen Vorstellungen der Mutterpartei einig gehen, ihren Blick aber im Besonderen auf Anliegen ihrer Generation richten. Sie haben dabei einige Vorteile: In Parteien können sie auch dann schon mitmachen, wenn sie noch nicht 18 Jahre alt sind. Und die Mutterparteien unterstützen ihre Jugendgruppe finanziell und sachlich (fachliche Beratung, Weiterbildung). Politisch Interessierte kommen auf diese Weise oft schnell zu politischen Erfahrungen und damit zur Voraussetzung zum Weiterkommen in der Politik: Viele junge Mitglieder in Kantons- und Gemeindeparlamenten verdanken ihren frühen Erfolg unter anderem ihrem Mitmachen in der Jungpartei. Vor Wahlen stellen die Jungparteien oft auch eigene Listen auf, die durch eine Listenverbindung mit der Mutterpartei verbunden sind. Die Stimmen, die die Jungpartei erhält, kommen damit oft der Mutterpartei zugute, sie selbst geht leer aus. Das ist angesichts der

zahlenmässigen Schwäche ihres «Stammpublikums» nicht weiter verwunderlich. Die Kraft der Jungparteien liegt aber im Anregen von Auseinandersetzungen, die Jugendlichen etwas bedeuten, und in der langfristigen Wirkung. Aus Sicht der Parteien ist das auch ein wichtiger Aspekt der Nachwuchsförderung. Jugendparlamente «Es war einmal …» Genau dreissig Jahre hielt es stand, das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Berner Jugendparlament. Seine Gründung war von den Stadtberner Parteien angeregt worden, es sollte das Interesse der Jugend an der Politik fördern. Und es war wie ein richtiges Parlament organisiert: Das Jugendparlament beschäftigte sich mit aktuellen Fragen, die auch die Erwachsenen interessierten, der Ratsbetrieb war wie im richtigen Stadtparlament geregelt, und selbstverständlich gehörten die meisten Mitglieder einer Partei an, die auch «draussen» in der richtigen politischen Welt vorkam. Es war dennoch ein Scheinparlament, weil alles, was in den monatlichen Sitzungen geredet und beschlossen wurde, politisch ohne Folgen blieb. Trotzdem kann das Berner Jugendparlament als erfolgreicher Versuch gewertet werden – es ist gelungen, Jugendliche früh für politische Themen zu interessieren. Recht viele unter den Mitgliedern schafften später eine beachtliche politische Karriere bis in die Stadtregierung oder in den Nationalrat. Das Berner Jugendparlament war das erfolgreichste unter zwei Dutzend Jugendparlamenten der ersten Nachkriegszeit, die meist ähnlich aufgebaut waren. 1976 erfolgte das vorläufige Aus für diese Bewegung. Zehn Jahre später: Start einer neuen ­Generation von Jugendparlamenten bzw. Jugendräten in der Deutsch- und Westschweiz – heute existieren rund dreissig solche Räte. Sie haben sehr unterschiedliche Organisationsformen. Gegenüber den früheren Jugendparlamenten fehlt heute fast durchweg eine nach Parteien definierte Einteilung der Mitglieder, der neue Typus Jugendparlament Lernmodul Parteien  |  Grundlagentext 

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entspricht überhaupt nicht mehr einem parlamentarischen Betrieb, sondern ist vor allem ein Sprachrohr für Junge. «Jugendrat» werden diese Gruppen deshalb oft genannt. Der Dachverband Schweizer Jugendparlamente DSJ umschreibt die hauptsächliche Orientierung der Jugendparlamente als «Politik der Jugend» und präzisiert auf seiner Homepage: «Jugendparlamente stehen in der Regel allen Jugendlichen des Kantons, der Region oder der Gemeinde offen. Sie sind parteipolitisch neutral. Dies garantiert den Jugendlichen ein politisches und soziales Engagement, ohne sich frühzeitig zum Programm und zu den Beschlüssen einer Partei bekennen zu müssen (kurz Sachpolitik statt Parteipolitik). Weitere Angebote Ein Mitwirken in Jungparteien und Jugendräten/Jugendparlamenten setzt voraus, dass die Beteiligten über eine gewisse Zeit hinweg einer Gruppierung angehören. Daneben werden Ereignisse angeboten, die für eine Schulklasse oder anders zusammengewürfelte Gruppen zum einmaligen Ereignis werden. Eine intensive Vorbereitung wird dabei vorausgesetzt. In den Medien finden solche Projekte starken Widerhall. Nach dem «Event» ist das Projekt aber abgeschlossen, und es bleibt offen, welche Bedeutung es für Jugendliche längerfristig hat.

Zwei Beispiele:  Jugendsessionen: Es gibt jährlich eine eidgenössische Jugendsession und Sessionen in verschiedenen Kantonen. Dabei wird viel debattiert (zum Teil zusammen mit Mitgliedern des Parlaments), und es werden Beschlüsse gefasst, in Form von Petitionen, d. h. von «Wünschen» an die politischen Behörden.  «Schulen nach Bern»: Vier- bis fünfmal treffen sich je vier bis fünf Klassen aus verschiedenen Landesteilen (zwei Sprachen) für eine Woche in «Bundesbern». Im Themenkatalog stehen Stadtbesichtigungen «auf den Spuren des Bundesstaats», Kontakte mit Personen aus der Bundesverwaltung und dem National- und Ständerat, ein Botschaftsbesuch und – im Zentrum – die Auseinandersetzung mit Volksinitiativen, welche die Klassen vorbereitet haben. Samt Schlussabstimmung natürlich.

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