Abendprogramm «La bella maniera

January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Darstellende Kunst, Theater
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Bahnhof für Neue Musik Schwarzwaldallee 200 CH-4058 Basel T 061 683 13 13 [email protected] www.garedunord.ch

Freitag 11. April, 20 Uhr Dauer: ca. 1 Stunde 15 Minuten

«La bella maniera» Schola Cantorum Basiliensis Schwerpunkt «Von Zeit zu Zeit»

Im Anschluss an das Konzert findet eine Podiumsdiskussion mit Heidy Zimmermann (Paul Sacher Stiftung), Roland Moser und Conrad Steinmann statt.

Durch die Gewohnheit des ständigen Wiedergebens der allerschönsten Dinge – seien es nun Hände oder Köpfe, Körper oder Beine – entstand schließlich dieser schönste der Stile, wobei durch das Zusammenfügen all dieser schönen Teile die schönstmögliche Figur geschaffen wird, die dann in allen Werken und für jede Figur zu verwenden ist: Dies ist der Grund, warum man ihn den schönen Stil – la bella maniera – nennt.

So beschreibt Giorgio Vasari in der Einleitung zum 3. Teil seiner «Le vite dei più eccellenti architetti, pittori et scultori italiani» von 1550/1568, was für ihn den richtigen, den «schönen» Stil ausmacht: Das Zusammenfügen der schönsten Elemente, mithin ein Überwinden oder gar Verbessern der Natur. Etwas Vergleichbares lesen wir sinngemäss schon bei Sylvestro Ganassi in seinem Blockflötentraktat La Fontegara von 1535: falls die Natur versagt, dann soll die Kunst die Lehrmeisterin sein. Ist für Vasari Michelangelo das grosse Beispiel der besten Malerei seiner Zeit, so gehört auch der Florentiner Maler Pontormo zu den bewunderten (und gleichzeitig heftig umstrittenen) Figuren: Schüler von Leonardo und früh schon gelobt von Michelangelo, geliebt von seinem Schüler Bronzino führt Pontormo ein Leben als Einzelgänger, der gleichwohl überhäuft wird mit Aufträgen. Einer dieser Aufträge betrifft auch Fresken und Tafelbilder für die Cappella Capponi in der von Brunelleschi erbauten Kirche S. Felicità. Diese Werke bilden nun den Bezugsrahmen, den Roland Moser für seine Musik zu Pontormo fruchtbar macht. Zahlreich sind die Anregungen aus der Malerei, die zu musikalischen «Übersetzungen» führen, und auch zu musikalischen «Manierismen». So etwa verbinden sich in die Länge gestreckte Körper bei Pontormo zu musikalischen Harmonien, die im VII. Satz der Musik zu Pontormo über zwei Oktaven gedehnt werden; oder: schattenlose Figuren führen im selben Satz zu einem beinahe amorphen Klangbild von acht gleichen (Alt-) Blockflöten.

Ein weiteres Bezugsfeld zum 16. Jahrhundert findet Moser in der damaligen musikalischen Auseinandersetzung mit der Antike, wie wir ihr intensiv bei Nicola Vicentino begegnen. Wesentliche Bausteine der Musik sowohl bei Vicentino als auch in der hellenistischen Epoche sind sogenannte Tetrachorde, Viertonfolgen verschiedener Couleur. Sind sie schon in Mosers Solowerk Alrune strukturbildend, erfahren sie in seiner Musik eine essentielle Wendung auch ins Harmonische. Es ist dies kein Versuch, ebenso wenig wie bei Vicentino, griechische Musik zu restaurieren oder neu zu etablieren. Tetrachorde bilden ein Bezugssystem, dem sich vielfältigste musikalische Gedanken und Lösungen verdanken, ein Bezugssystem, das im Jahrhundert von Pontormos Malerei verortet ist. Roland Mosers neues Stück, eigens für dieses Konzert komponiert, orientiert sich im Übrigen ein weiteres Mal an Tetrachorden, die in diesem Fall ihren Ausgangspunkt in Claude Le Jeunes radikaler Komposition «Qu’est devenu ce bel œil» finden. Manierismus in der Musik: er ist kein musikeigener Begriff der Zeit. Er ist eher eine heutige Formel, verschiedenen Aspekten der Musik der Spätrenaissance gerecht zu werden. Virtuosität, überhitzte Chromatik, ungewohnte Harmonien, gehäufte Zäsuren o.ä. lassen sich vielleicht unter dem Begriff des «Manierismus» begreifen, wenn wir denn darunter Systeme verstehen, die auf verschiedene Weise aus der Balance, aus dem Gleichgewicht geraten sind. Es könnte ein Versuch sein, musikalischen Formulierungen gerecht zu werden, die Ausgewogenheiten überschreiten, sei es in melodischer, harmonischer oder kontrapunktischer Art. Die Madrigale von Cipriano de Rore oder von Vicentino, die volkstümelnden Villanellen eines Willaert oder auch virtuose Diminutionen sind Sinnbild dieser Erscheinungen.

Conrad Steinmann

Programm Roland Moser (* 1943)

Alrune (1979)

Nicola Vicentino (1511–1572)

Hierusalemme Aus: L'antica musica ridotta alla moderna prattica, Roma 1555

Cipriano de Rore (1515–1565)

O sonno Aus: il secondo libro de madrigali, Venezia 1557, mit Diminutionen von Girolamo dalla Casa, 1584 A la dolc'ombra Un lauro mi diffese Però più ferm'ogn' hor Selve, sassi Vier Madrigale aus: Sestina 1550, diminuiert von dalla Casa

Pierre Regnault / Sandrin (um 1490–1561)

Doulce mémoire mit improvisierten Diminutionen nach Sylvestro Ganassi

Roland Moser

Musik zu Pontormo 8 Sätze für 1–8 Blockflöten nach Bildern der Cappella Capponi (1986)

I Fresko (Verkündigung) 1. Fassung, Oktett: 6 Alt, 2 Tenor II Zeichnung zum Tafelbild (Kopf der Maria) Solo: Sopranino III Ausschnitt aus dem Tafelbild (Hände) Trio: 3 Bass

IV Zeichnung zum Tafelbild (Jünger Johannes) Duo: 2 Sopran V Fresko (Verkündigung) 2. Fassung, 2 Quartette: je 1 Alt, 3 Tenor VI Zeichnung zum Tafelbild (toter Christus) Trio: 3 Sopran VII Tafelbild (Grablegung?) Oktett: 8 Alt, später 5 Tenor, 3 Alt VIII Ausschnitt aus dem Tafelbild (Kopf des Jüngers Johannes) Solo: Bass Cipriano de Rore

Calami sonum ferentes (1555)

Nicola Vicentino

Dolce mio ben Aus: l’antica musica

Adriaen Willaert (um 1490–1562)

Vecchie letrose O dolce vita mia Sempre me ride sta Aus: canzone, villanesche alla napolitana, Venezia 1545

Claude le Jeune (um 1530 – 1600)

Qu'est devenu ce bel œil (aus: Airs 1594)

Roland Moser

Rester deux fois avec Claude Le Jeune (2014, UA) I Rhétorique II Lyrique

Claude Le Jeune

Qu'est devenu ce bel oeil

Roland Moser, Komposition Roland Moser, 1943 in Bern geboren, studierte – neben Klavier und Dirigieren – in Bern und Freiburg im Breisgau Komposition bei Sándor Veress und Wolfgang Fortner, danach ein Jahr lang elektronische Musik in Köln. 1969 wurde er Dozent für theoretische Fächer und Neue Musik am Konservatorium in Winterthur. 1984–2008 war er Professor für Komposition, Instrumentation und Musiktheorie an der Hochschule der Musik-Akademie Basel. In dem aus Komponisten zusammengesetzten «Ensemble Neue Horizonte Bern» wirkt er seit 1969 an zahlreichen Veranstaltungen mit, auch experimentelle Ansätze des Spielens und Wahrnehmens von Musik erprobend. Innerhalb des recht umfangreichen Œuvres mit über 60 Titeln kommt dem Umgang mit Sprache im vokalen und instrumentalen Bereich eine besondere Bedeutung zu. Ein grosses, offenes «Romantik-Projekt» steht seit 1970 im Zentrum: «Heinelieder», «Lebenslauf» (Hölderlin), «Brentanophantasien», «Nach deutschen Volksliedern» (Wunderhorn), «Ritterfragmente» (nach Johann Wilhelm Ritter), die abendfüllende Oper «Avatar» (nach Théophile Gautier) und die Briefszenen «Rahel und Pauline» (Uraufführung am Lucerne Festival 2007). Neben grösseren Chorwerken und zehn Arbeiten für ganz verschiedenartige Orchester-Besetzungen gilt ein weiterer Schwerpunkt der Kammermusik.

Schola Cantorum Basiliensis Die Schola Cantorum Basiliensis – Hochschule für Alte Musik ist heute das älteste, vermutlich das umfassendste und wohl das bekannteste Ausbildungs- und Forschungsinstitut für Alte Musik. Zahlreiche jüngere Hochschulen haben sich beim Aufbau entsprechend spezialisierter Abteilungen in den letzten Jahren an ihrem Vorbild orientiert. Dabei wurde die SCB 1933 als eine Art «Anti-Hochschule» ins Leben gerufen. Ihre Gründer, allen voran der Basler Dirigent und Mäzen Paul Sacher (1906– 1999), waren daran interessiert, der von ihnen empfundenen «Krise des romantischen Musikideals» mit der Verbindung von Lehre, Forschung und Konzertpraxis unter einem Dach etwas völlig Neues entgegenzusetzen. Ein Lehr- und Forschungsinstitut mit einem international zusammengesetzten Kollegium von renommierten SpezialistInnen, das eine eigene Konzert- und CD-Reihe unterhält, das neben professionellen MusikerInnen in einer Allgemeinen Schule erwachsenen Laien und Kindern Unterricht auf alten Instrumenten, vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert erteilt, dessen Forschungsabteilung praktische Editionen und wissenschaftliche Publikationen herausgibt… all dies hat die SCB international berühmt gemacht. Die Studierenden kommen aus der ganzen Welt, mit je eigenen Interessen und Begabungen, und nicht wenige tragen ihre Fertigkeiten zurück in die Welt: Sie werden zu tonangebenden AkteurInnen der immer weiter wachsenden internationalen Alte MusikSzene, die von der SCB als ein wesentlicher Teil des zeitgenössischen Musikschaffens verstanden wird. Die Schola Cantorum Basiliensis wird seit 2013 von Prof. Dr. Pedro Memelsdorff geleitet.

Besetzung Blockflötenklassen

Katharina Bopp und Conrad Steinmann

Gamben-Consortklasse

Rebeka Rusò

Leitung

Conrad Steinmann

( R e n a i s s a n c e - ) B l o c k f l ö t e n Cheyenne Häni Sarah Hennig Hyeonho Jeon Mira Gloor Asako Ito Lydia Pacevicius Céline Pasche Marc Pauchard Fanny Schubnel Tabea Schwartz Conrad Steinmann Amir Tiroshi Renaissance-Gamben

Teódoro Baù Alexandre Ducène Marina Cabello de Castillo Rebeka Rusò

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