Blick in die Zukunft der Stoffwechsel

February 5, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften
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Blick in die Zukunft der Stoffwechsel-Medizin

Nürnberg, 10. Februar 2017, morgens kurz nach halb Neun: Der Bus, der die Teilnehmer des VIA-Symposiums vom Hotel zum Veranstaltungsort gebracht hat, hält vor dem LUX. Hinter diesen drei Buchstaben verbirgt sich eine Kirche, die – außer Altar, Kreuz und Orgel – wenig mit der traditionellen Vorstellung von Gotteshäusern zu tun hat. Empfangen werden die Gäste in einem Vorraum mit Tresen, das Kirchen“schiff“ ist ein großer Raum ohne störende Säulen, dafür mit Disco-Beleuchtung und modernster Präsentationstechnik ausgestattet. Nur eines teilt die junge St. Lukas mit vielen anderen Kirchen: die niedrige Raumtemperatur. Wenige Minuten später sind Gepäck und Garderobe sicher verwahrt, die Teilnehmer haben an den Konferenztischen Platz genommen. David Jobse, seit einem halben Jahr Geschäftsführer von Vitaflo Deutschland, eröffnet das Symposium. Der Tagungsort ist ganz bewusst passend zum Motto des Tages gewählt: The Future is on the Horizon. LUX, die junge Kirche, hat es in die Zukunft geschafft. Das VIA-Symposium will Impulse setzen für neue, zukunftsweisende Entwicklungen und Behandlungsansätze bei angeborenen Stoffwechselerkrankungen. Vitaflo kann 2017 mit dem 20-jährigen Bestehen des Liverpooler Stammhauses, das inzwischen Marktführer bei medizinischer Ernährung bei Stoffwechselerkrankungen im Vereinigten Königreich ist, und dem 10-jährigen der deutschen Niederlassung gleich zwei Jubiläen feiern. Sie bieten den Anlass für das Fachforum. Denn das Unternehmen hat sich nicht nur der Entwicklung und Herstellung von medizinischer Ernährung auf die Fahnen geschrieben. „Es geht uns (auch) darum, Fachwissen zu teilen und neue Erkenntnisse zu verbreiten“, unterstreicht Jobse in seiner Begrüßung. Dass das ernst gemeint ist, zeigt der Blick auf das Programm des Symposiums. Zehn Vorträge, zwei Koch-Workshops und eine Produktvorstellung erwarten die Teilnehmer. Dankenswerterweise übernimmt Prof. Dr. Stefan Kölker kurzfristig anstelle des erkrankten Prof. Dr. Thorsten Marquardt die ärztliche Leitung der Veranstaltung und moderiert sie gemeinsam mit PD Dr. Peter Burgard und Ulrike Och, die wie Marquardt am Universitätsklinikum Münster tätig ist. Der erste Vortrag ist das Highlight der Veranstaltung. Gehalten wird er von Anita MacDonald, Professorin am Birmingham Children’s Hospital, international angesehen für ihre bahnbrechenden Studien zur diätetischen Behandlung von Kindern mit erblichen Stoffwechselstörungen und vor wenigen Tagen von Prinz Charles für ihre unermüdliche Tätigkeit zum Wohle dieser Kinder mit dem Orden ‚Officer of the British Empire‘ ausgezeichnet. Sie schlägt den Bogen von der Entdeckung des phenylalaninarmen Glykomakropeptids (GMP) in den 1960er Jahren über diverse wissenschaftliche Arbeiten Ende des zweiten Jahrtausends hin zu umfangreichen, mehrjährigen Studien, die an ihrer Wirkungsstätte in Birmingham kürzlich vorgenommen wurden. In deren Mittelpunkt stehen Kinder zwischen 6 und 16 Jahren, die an Phenylketonurie leiden. Die Untersuchungen umfassen drei Phasen, in denen unterschiedliche Anteile von GMP und Aminosäuren am Proteinsubstitut einer Kontrollgruppe gegenübergestellt werden, die phenylalaninfreies Ersatzeiweiß erhalten. Nach Auswertung der Ergebnisse hält Anita MacDonald den Einsatz GMP-haltiger Nahrung für PKU-Patienten

unter bestimmten Bedingungen für sinnvoll, nicht zuletzt wegen des natürlichen Geschmacks, den ihre Probanden durchweg loben. Auch der zweite Vortrag beschäftigt sich mit Phenylketonurie. PD Dr. Peter Burgard und sein Team am Stoffwechselzentrum des Heidelberger Universitätsklinikums haben zehn Jahre lang die Schwangerschaften von PKU-Patientinnen begleitet und dokumentiert. 80 Prozent dieser Schwangerschaften sind geplant und durch eine frühzeitige Ernährungsumstellung gut vorbereitet gewesen. Die Studienergebnisse belegen, dass zwei Drittel der Frauen, die Monate vor der Konzeption die strenge PKUDiät trainiert haben, während der Schwangerschaft den empfohlenen Phenylalaninspiegel von 360 µmol/l erreichen. Ohne Diättraining schaffen es ganze 30 Prozent. Die Forschungsgruppe hat sich auch mit der Frage beschäftigt, ob PKU-Patientinnen, die ein Kind mit PKU zur Welt gebracht haben, ebenso teilweise stillen dürfen wie Mütter ohne PKU. Anhand der Untersuchungsergebnisse können die Mediziner diese Frage vorbehaltlos bejahen. In der sich anschließenden Diskussion wird ein weiterer sehr wichtiger Aspekt herausgearbeitet, eine gute Arzt-Patienten-Bindung. Noch während des Vortrages von Burgard erhebt sich ein Herr in weißem Jackett und begibt sich zu den Tischen vor der Fensterfront. Leise akustische Signale deuten darauf hin, dass Chef Neil (Neil Palliser-Bosomworth, medizinischer Diät-Koch) den ersten Workshop vorbereitet. Bald ziehen appetitanregende Düfte durch den Raum. In der ersten Vortragspause dürfen die Teilnehmer des Symposiums seine Low-ProteinKreationen testen. Darunter ZucchiniNudeln, Curry-Gemüse, Pizza, Brot, Marshmellows … „köstlich“ und „delicious“ tönt es von allen Seiten. Chef Neil lächelt und beantwortet geduldig alle Fragen der Teilnehmer. Ein paar Schritte entfernt hat Vitaflo Deutschland einen kleinen Stand aufgebaut. Dort drängen sich mindestens so viele Teilnehmer wie um Chef Neils Töpfe. Denn das Symposium bietet genau den passenden Rahmen, um Ärzten und Diätassistenten eine Produktneuheit vorzustellen: SphereTM, der erste Proteinersatz für die PKU-Diät auf der Basis von GMP auf dem deutschen Markt. Das Glykomakropeptid wird aus der Molke gewonnen, die bei der Herstellung von Käse anfällt. SphereTM ist (zunächst) in den Geschmacksrichtungen Vanille und ErdbeerHimbeer erhältlich, beide können verkostet werden. Wie bei allen neuen Entwicklungen sind die Meinungen geteilt – die einen sind begeistert von dem frischen, natürlichen Geschmack, die anderen ziehen ihre gewohnten CoolerTM- oder AirTM-Produkte vor.

Der nächste Vortrag dreht sich um eine noch seltenere Stoffwechselerkrankung Glutarazidurie. Professor Dr. Stefan Kölker vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in Heidelberg berichtet über das Neugeborenen-Screening und den Langzeitverlauf. In Deutschland ist das Neugeborenenscreening längst eine Selbstverständlichkeit, der Blick in andere Länder zeigt, dass das gar nicht so selbstverständlich ist: Die Auswertung einer Umfrage unter 39 europäischen Ländern belegt, das ganze 10(!) einen solchen Test vornehmen. Wird eine Glutarazidurie durch das Neugeborenenscreening erkannt und gemäß den Therapieleitlinien behandelt, u. a. mit lysinarmer Diät, sinkt das Risiko einer Dystonie auf sage und schreibe 5 Prozent. Ein Erfolg, der für Betroffene mit Geld nicht aufzuwiegen ist. Doch auch unter Wirtschaftlichkeitsaspekten betrachtet zahlt sich der Test auf Stoffwechselerkrankungen am 3. Lebenstag aus, pro 100.000 gescreenten Kindern ergibt sich eine Einsparung von mehr als 30.000 Euro. Professor Dr. Friedrich Trefz, ebenfalls am Universitätsklinikum Heidelberg tätig, kündigt einen eher trockenen Vortrag an, um dann sehr lebendig darzulegen, welche Herausforderungen sich mit der Transition von Patienten mit Stoffwechselerkrankungen beim Übergang von der pädiatrischen zur adulten Betreuung verbinden. Denn es ist nicht nur der Patient, sondern auch spezialisiertes Wissen zu übergeben. Eine Aufgabe, die zunehmend zeitintensiver wird, da laut wissenschaftlich untersetzter Prognosen nicht nur die Zahl der Betroffenen steigt, sondern auch die Zahl der Erkrankungen. Seine grundlegende Forderung: Wir brauchen eine Struktur für die Transition! Und Ärzte, die mit den immer komplexer werdenden Behandlungsformen umgehen können. Als Beispiel führt Trefz die metabolischen Schwangerschaften an. Von der Aufklärung der Partner über die Einstellung auf die geeignete Diät, Laborkontrollen und spezielle Untersuchungen bis hin zu sozialAn der Fensterfront beginnt Chef Neil mit den Vorbereitungen für das Mittagessen, trotz der von dort durch den Saal strömenden Düfte gehört die Aufmerksamkeit der Teilnehmer zwei Damen auf der Bühne. Dr. Katharina Dokoupil und Sandra Fleissner, beide arbeiten am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, stellen ein Beratungstool für Propionazidämie und Methylmalonazidämie vor. Es soll dem medizinischen Personal die Gespräche mit Patienten und betroffenen Eltern das Verständnis der Erkrankungen und ihrer Begleiterscheinungen erleichtern. Als Ringbuch konzipiert, ist das Tool in sechs Module gegliedert, so können Stoffwechselzentren den Inhalt individualisieren. Aus ihrer langjährigen Erfahrung schöpfend ist den beiden Autorinnen gelungen, die komplizierten Sachverhalte in einfache Formulierungen und leicht zu interpretierende Grafiken zu transponieren, damit Eltern verstehen können, was angesichts des immensen Leidens ihres Kindes kaum zu verstehen ist. Neben der Erläuterung der Krankheiten und der

unterschiedlichen Therapieansätze enthält der Ordner auch viele Anleitungen für den Alltag daheim und außer Haus. Wünschenswert sei, so die Rückmeldung aus dem Auditorium, den Beratungsordner zu übersetzen, beispielsweise ins Türkische. Nach so viel geistiger Nahrung und der zugehörigen Lernerfolgskontrolle steht das leibliche Wohl der Symposiumsteilnehmer auf dem Programm. Beim Essen wird angeregt diskutiert, so manche aus Zeitgründen nicht mehr gestellte Frage jetzt geklärt. In den Fragen, die im Laufe des Tages aus dem Auditorium an die Referenten gerichtet werden, geht es häufig um aktuelle Fälle aus der eigenen Praxis. Ein Zeichen dafür, dass die Vortragsthemen den Nerv des Publikums getroffen haben, die wissenschaftlichen ebenso wie die praxisorientierten. Der erste Referent des folgenden Themenkomplexes, Professor Dr. Jörg Klepper, Chefarzt der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Aschaffenburg, überrascht mit einem ungewöhnlichen Einstieg: einem Foto der Band „the ketones“. Denn in seinen Ausführungen geht es darum, ob die modifizierte Atkins-Diät geeignet ist, die ketogene Diät bei der Behandlung epileptischer Leiden zu ersetzen. Mehrere Studien sind in den vergangenen Jahren zu diesem Thema durchgeführt worden, alle kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei Patienten über zwei Jahren kann die modifizierte Atkins-Diät eingesetzt werden, obwohl die Ketose geringer ist als bei der klassischen ketogenen Diät. Denn zum einen ist nicht die Höhe der Ketose allein entscheidend und zum anderen hat die modifizierte Atkins-Diät den Vorteil, besser zu schmecken, was sich positiv auf die Durchhalterate auswirkt. Wichtig ist allerdings, sie mit Vitaminen und Spurenelementen zu supplementieren.

Dazu passend stellt Sylke Bertram einen Leitfaden zur modifizierten Atkins-Diät vor. Verfasst hat ihn Susanne Baum aus der Schön Klinik im oberbayerischen Vogtareuth. Nach einer kurzen Einführung beschreibt die Autorin in eingängigen Formulierungen die Grundlagen der Diät und ihre Merkmale. Kernstück des Leitfadens sind Tabellen und Karten mit der Beschreibung vieler Lebensmittel inklusive der täglich aufzunehmenden Menge für unterschiedliche Kohlenhydratmengen. Leicht nachzuarbeitende Rezepte runden das Nachschlagewerk für jeden Tag ab. Auch Menschen, die sich ketogen ernähren, sind nicht gegen Krebserkrankungen gefeit. Wie Strahlentherapie und ketogene Diät korrelieren, das erläutert Dr. Rainer Klement vom Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt. Eine Erkenntnis aus den Untersuchungen bei Patienten mit Tumoren im Brust-, Darm- und im HNO-Bereich in Schweinfurt ist, dass die ketogene Diät aufgrund der zellulären Prozesse die Strahlentherapie unterstützt, indem sie die Repopulation der Tumorzellen verzögert. Für das gesunde Gewebe senkt sie dagegen den oxidativen Stress. Gleichzeitig verbessert die ketogene Diät die Körperzusammensetzung und damit die Lebensqualität der Patienten. Für die Studie hat man drei Gruppen gebildet, eine erhält lediglich ein ketogenes Frühstück, die zweite ernährt sich komplett ketogen, die dritte fungiert als Kontrollgruppe. So spannend der Vortrag auch ist, niemandem im Saal entgeht, dass Chef Neil wieder mit Töpfen und Schüsselchen hantiert. Jetzt hat er ketogene Speisen zubereitet. Eis, Pudding, Crêpes & Co. sehen nicht nur lecker aus, sie schmecken auch so. Wieder und wieder nennt der Diätkoch die Zutaten und beschreibt die Zubereitung. Beim Herumschauen stellt man fest, dass kaum einer den Saal verlässt – obwohl es Freitagnachmittag ist und das Wochenende vor der Tür steht. Ganz offensichtlich will man auch die beiden abschließenden Vorträge hören.

Deren Thema ist die Nephrologie. Erster Redner ist Professor Dr. Bernd Hoppe vom Universitätsklinikum Bonn. Er spricht über Nierensteine und deren diätetische Intervention. Ausgehend von den Ursachen, die zu Nierensteinen unterschiedlicher Provenienz führen können, zeigt er, dass die übliche kalziumarme Ernährung oft kontraproduktiv ist. Sie führt zu einer sekundären Hyperoxalurie und im Langzeitverlauf zu Kalziummangel. Abhängig von der konkreten Diagnose ist eher eine proteinreduzierte und salzarme Ernährung geboten, sie senkt die Häufigkeit des Auftretens von Nierensteinen deutlich. Hoppe plädiert aus eigener Erfahrung dafür, eine ausführliche Anamnese der Ernährungsgewohnheiten und eventuell verabreichter Nahrungsergänzungsmittel durchzuführen, da die Nierensteinbildung auch darin begründet sein kann. Zum Abschluss des Tages steht noch ein Vortrag auf dem Programm, der nicht nur mit hochinteressanten Fakten aufwartet, sondern auch eine emotionale Komponente hat. Elke Tschorn, Diätassistentin am Universitätsklinikum Münster, berichtet über zwei Schwestern, die an Methylmalonazidämie erkrankt sind und außerdem an chronischer Niereninsuffizienz leiden. Diesen beiden Hauptdiagnosen folgt jeweils eine lange Liste weiterer Diagnosen und eine noch längere Liste mit Symptomen. Bei einem der Mädchen entscheidet man sich im Alter von 12 Jahren nach eingehender Überlegung für die Hämodialyse, obwohl die glomeruläre Filtrationsrate sich noch im Stadium G4 befindet, auch die Schwester wird inzwischen dialysiert. Parallel dazu erhalten beide eine Grundernährung über Sondierung, die ergänzt wird durch eine geringe Aufnahme natürlicher Lebensmittel. Dabei ist zu beachten, dass bei Kalium und Phosphaten die Grenzwerte nicht überschritten werden, um eine Hyperkaliämie oder Hyperphosphatämie zu vermeiden. Der Kaliumgehalt von Gemüse und Kartoffeln lässt sich u. a. über mehrstündiges Wässern reduzieren, der Phosphatgehalt des Blutes lässt sich ggf. durch Phosphatbinder reduzieren. Außerdem müssen die Patienten viel Flüssigkeit aufnehmen. Tschorn empfiehlt, anders als in den DACHReferenzwerten angegeben, mindestens einen Milliliter je Kilokalorie. Nach der Lernerfolgskontrolle zu den nachmittäglichen Vorträgen fasst Vitaflo-Geschäftsführer David Jobse den Tag noch einmal zusammen und dankt den Moderatoren, Referenten und Chef Neil für ihren engagierten Einsatz sowie den Organisatorinnen für die professionelle Vorbereitung des Symposiums. Außergewöhnlich für eine Veranstaltung am Freitag: Einige der Teilnehmer führen die in den Pausen begonnenen Diskussionen nach dem offiziellen Ende weiter. Auf dem Weg zum Bahnhof gibt es dann das erste Resümee. Viele interessante Informationen zu neuen therapeutischen Ansätzen, Tipps, Hinweise und anschauliche Anleitungen für medizinisches Personal und Betroffene, die den Berufsalltag erleichtern werden und köstliche Rezepte zum Nachkochen oder kurz – ein Tag, der sich gelohnt hat.

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