DAS IMMUNSYSTEM

January 27, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Immunologie
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Wissenswertes zum Thema

DAS IMMUNSYSTEM

Ich bin die T-Zelle und nehme Sie mit auf eine Reise durch das Immunsystem.

wissen, verstehen, mitreden

Wieso, weshalb, warum? Teil 1 – Basiswissen Immunsystem für Menschen mit MS

Inhaltsverzeichnis 3 Vorwort Prof. Dr. rer. nat. Thomas Hünig

4 Das Immunsystem – ein tolerantes System Interview

10 Infektion, Immunität und Toleranz Bericht

14 Multiple Sklerose und Impfungen Erlebnisbericht

19 Multiple Sklerose und (schwere) Infektionen 22 Für Sie entdeckt Aktuelle Studien zum Lebensstil und dem Immunsystem

Gestatten, mein Name ist T-Lymphozyt. Man nennt mich auch kurz T­Zelle. Ich bin so winzig klein, dass man mich gar nicht mit dem bloßen Auge sehen kann. Auch deswegen bin ich ganz schön flexibel und kann mich sogar durch engste Räume quetschen und im ganzen Körper frei bewegen – ein bisschen wie ein „Wackelpudding“. Ich möchte Sie auf eine Reise durch meine Heimat, das Immunsystem, nehmen. Von mir erfahren Sie Wissenswertes und Interessantes rund um meine Freunde und Feinde. Mit meinen vielen Armen checke ich die Lage und mein Handy habe ich immer dabei, damit ich schnell meine Freunde rufen kann, wenn’s irgendwo brennt. So bin ich immer über alles informiert, passe auf, dass hier alles richtig läuft. An mir kommt quasi kein Eindringling vorbei. Erfahren Sie mehr über mich und meinen Lebensraum!

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Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, liebe Menschen mit MS und liebe Angehörige,

Prof. Dr. rer. nat. Thomas Hünig Julius-Maximilians-Universität, Institut für Virologie und Immunbiologie, Würzburg

in insgesamt vier Sonderbeilagen möchten wir insbesondere Sie, also Menschen mit MS und deren An­ gehörige, ermutigen, sich näher mit den Aufgaben, Funktionen und Therapien, die das Immun­ system beeinflussen können, zu beschäftigen. Ein intaktes Immun­ system ist unverzichtbar für die Gesunderhaltung des Menschen. Gerät es außer Kontrolle oder wird geschädigt, hat dies unweigerlich eine Reihe von negativen Folgen für den menschlichen Organismus. Bei der Autoimmunerkrankung MS – Multiple Sklerose – spielt das Immunsystem für das Verständnis der therapeutischen Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Wir möchten Menschen mit MS und deren Angehörige ermutigen, mehr über sich, ihren Körper und vor allem ihr eigenes Immunsystem herauszufinden. Nur wer sich aus­ kennt, kann mitreden und letzt­ endlich mitbestimmen.

Daneben geben wir Tipps und An­ regungen, das Immunsystem auf vielfältigste Art und Weise positiv zu beeinflussen. Aktuelle Studien­ ergebnisse werden von Experten diskutiert und beleuchtet. Bei die­ ser spannenden Reise durch das Immunsystem habe ich übrigens kompetente Hilfe angefordert: Mr. T., oder auch die T-Zelle, wird sie höchstpersönlich durch alle vier Broschüren begleiten und mit unterhaltsamen und wissens­ werten Geschichten begeistern. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und Entdecken Ihrer eigenen „Körperpolizei“.

Thomas Hünig

BASISWISSEN IMMUNSYSTEM FÜR MENSCHEN MIT MS 3

Das Immunsystem – ein tolerantes System Interview mit Prof. Hünig, Immunsystem-Experte Herr Prof. Hünig, wie schafft es das Immunsystem, selbst und fremd zu erkennen? Die Zellen, die für die Unterschei­ dung zwischen selbst und fremd zuständig sind, sind Lympho­ zyten und zwar die B­ und die T­ Lymphozyten. Insgesamt sind dies etwa 100 Milliarden Zellen – also 1012 Lymphozyten, die zusammen etwa 1 Kilogramm wiegen – so viel wie unser Gehirn. Diese Milliarden von Zellen sind im gesamten Kör­ per verteilt und jeder Lymphozyt unterscheidet sich in seiner Fähig­ keit, etwas zu erkennen. Einer erkennt beispielsweise ein Grippe­ Virus, ein anderer wiederum ein Masern­Virus. Nur in ihrer Gesamt­ zahl können sie alle denkbaren biologischen Strukturen erkennen und sind deshalb auch vorbereitet gegen Viren, die in den Körper gelangen. Es ist dabei eher zufällig bestimmt, welche Zelle was er­ kennt. Die meisten von ihnen werden sogar nie gebraucht und sterben ab. Wenn aber ein Erreger in den Körper eindringt, fühlen sich einige wenige Lymphozyten 4 DAS IMMUNSYSTEM

angesprochen, vermehren sich dann gewaltig, so dass schließlich viele von dieser einen Sorte vorliegen. Sie wehren dann den Eindringling zum Beispiel mit Antikörpern ab (B­Zellen) oder töten virusinfizierte Zellen (T­Zellen). Ein weiterer Teil der beschriebenen Zellen wird anschließend zu soge­ nannten Gedächtniszellen, die sich an diese Erreger zukünftig erin­ nern. Bei einer wiederholten Infek­ tion können die Gedächtniszellen noch schneller reagieren und die Erreger bekämpfen. Der Aufbau des „immunologischen“ Gedächtnisses passiert auch bei einer Impfung. Auch die körpereigenen Zellen ha­ ben Strukturen, die grundsätzlich von den Lymphozyten erkannt werden können. Trotzdem erfolgt normalerweise kein Angriff auf den eigenen Körper, also keine Autoimmunreaktion, da auf zwei verschiedenen Ebenen eine so­ genannte Toleranz erzeugt wird. Die erste Ebene greift bereits bei der Entwicklung der Lymphozyten.

Alle Lymphozyten, die während ihrer Reifung mit körpereigenen Strukturen reagieren und somit gefährlich sind, werden zerstört bzw. „bringen sich selbst um“. In einer zweiten Ebene erfolgt die aktive Unterdrückung von Auto­ immunprozessen. Das heißt, eine bestimmte Sorte von Lymphozyten, die körpereigene Strukturen er­ kennen, aber nicht aggressiv sind, unterdrücken andere Zellen – sind also autoreaktiv, aber nicht auto­ aggressiv, sondern sogar „autopro­ tektiv“. Diese Zellen werden auch regulatorische T­Zellen genannt, da sie verhindern, dass andere Zellen einen Schaden anrichten. Bei einer MS hat in der Regel mindestens einer dieser beiden Mechanismen versagt. Das bedeu­ tet, entweder sind autoaggressive Lymphozyten nicht ausreichend eliminiert worden oder aber die regulatorischen T­Zellen nicht aus­ reichend vorhanden.

= 0,5 m

= 18 cm

= 0,03 mm = 30 µm

= 7,5 µm

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Warum sollten sich insbesondere Menschen mit MS in der komple­ xen Welt des Immunnetzwerkes auskennen? Menschen, die MS haben, sollten sich in dieser komplexen Welt aus­ kennen, damit es ihnen leichter fällt, zu beurteilen, welche Wirkungen und vor allem Nebenwirkungen ihre Behandlungsstrategien haben. Immununterdrückende Therapien (= Immunsuppressiva wie beispiels­ weise Azathioprin*) haben die Nebenwirkung, gleichzeitig die ge­ samte Immunantwort zu unter­ drücken, und gehen daher mit einer generellen Schwächung des Immunsystems einher. Behandlungsstrategien, die eher darauf abzielen, nur den Teil des Immunsystems zu beeinflussen, der „verrückt spielt“, sind vorzu­ ziehen, da der Rest des komplexen Systems nicht beeinflusst wird. Warum kann es passieren, dass das Immunsystem auf einmal gar nicht mehr so tolerant reagiert? Woran kann das liegen? 6 DAS IMMUNSYSTEM

Neben dem Versagen der bereits beschriebenen Kontrollmechanis­ men des Immunsystems gibt es „Unfälle“, die dazu führen, dass körpereigene Strukturen angegrif­ fen werden. Dies geschieht zum Beispiel im Zuge einer Infektion. Hier können körpereigene Struktu­ ren, die für das Immunsystem zu­ nächst nicht sichtbar waren (zum Beispiel im Gehirn), auf einmal

durch Viren oder andere Eindring­ linge freigesetzt und anschließend von Immunzellen erkannt werden. Somit startet eine neue Immun­ antwort, die sich gegen körper­ eigenes Gewebe richtet. Darüber hinaus gibt es noch das sogenannte antigene Mimikri. Antigene sind alle Strukturen, die vom Immunsystem erkannt werden.

*Tipp zum Nachlesen: Was ist das – der ATC­Code? Der sogenannte ATC­Code ist eine Art Klassifikation aller Therapeutika. Hier lässt sich ersehen, unter welche Gruppe ein Medikament fällt, ob es zum Beispiel ein Immunsuppressivum oder ein Immunmodulator ist. http://www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/atcddd/version2011/atc­ddd­amtlich­2011.pdf Uwe Fricke, Judith Günther, Anette Zawinell, Rana Zeidan: Anatomisch­therapeutisch­chemische Klassifikation mit Tagesdosen für den deutschen Arzneimittelmarkt. Methodik der ATC­Klassi­ fikation und DDD­Festlegung. ATC­Index mit DDD­Angaben des GKV­Arzneimittelindex mit Stand 4/2011. Berlin 2011. WHO Publikation, http://www.whocc.no/atc_ddd_index WHO Collaborating Centre for Drug Statistics Methodology, ATC classification index with DDDs, 2011. Oslo 2010.

Unter diesem antigenen Mimikri versteht man die Ähnlichkeit von körperfremden Strukturen mit kör­ pereigenen Strukturen. Wenn ein Eindringling in den Körper ge­ langt, der in einer strukturellen Komponente den körpereigenen Zellen ähnlich ist, wird das Immun­ system fälschlicherweise aktiviert und gegen körpereigene Zellen ge­ richtet. Dies ist natürlich keine „böse Absicht“. Der Grund hierfür liegt ausschließlich in der Ähnlich­ keit der beiden Strukturen. Wie kann man in das Immun­ system von außen eingreifen (Therapeutika) und welche Arten der Immunsystembeeinflussung existieren? Neben den bereits beschriebenen Therapien wie der Unterdrückung des Immunsystems (Immunsupres­ sion) und pharmakologischer Im­ munmodulation gibt es noch die Therapie mit immunmodulieren­ den monoklonalen Antikörpern. Diese Antikörper eliminieren bzw. inaktivieren alle Lymphozyten einer bestimmten Klasse und damit

auch diejenigen, die körpereigene Strukturen angreifen. Auch ein völliger Neuaufbau des Immunsys­ tems wird bereits durchgeführt. Bei der sogenannten Stammzell­ transplantation wird zunächst mit­ tels Chemotherapie das gesamte Immunsystem eliminiert und an­ schließend mit vorher gewonne­ nen körpereigenen Stammzellen erneut aufgebaut.

Schließlich sei eine neue wichtige Klasse von Medikamenten erwähnt, die das Einwandern von Lympho­ zyten in das Gehirn verhindern. Dazu gehören neben Pharmaka, die bestimmte Enzyme blockieren, auch monoklonale Antikörper. Vielen Dank für das Interview, Herr Professor Hünig!

Wussten Sie eigentlich, wie das Immunsystem entsteht? Jeder Mensch verfügt bereits von Geburt an über ein Immunsystem – das sogenannte angeborene bzw. unspezifische Immunsystem. Im Laufe eines Lebens entwickelt sich dieses Abwehrsystem weiter, so dass es mit zunehmendem Alter reift. Die dabei neu erworbenen Eigenschaften werden als adaptive bzw. spezifische Abwehr bezeich­ net. Durch den steten Reifungsprozess entstehen immer wieder neue spezifische Abwehrzellen, die dann das Immunsystem in seiner Arbeit unterstützen. Diese Zellen lernen erst im Laufe des Lebens, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. So erklärt sich auch, wieso erwachsene Menschen über mehr spezifische Abwehrmechanismen verfügen als Babys.

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Wussten sie, was das Immunsystem ist? Das Immunsystem wird auch als das biologische Abwehr­ system des Menschen bezeich­ net – eine Art „Körperpolizei“, bei der ich der Sheriff bin. Nur mit all meinen Freunden ist es dem menschlichen Kör­ per möglich, sich gegen Krank­ heitserreger und Fremdkörper zu wehren. Neben meinen zahl­ reichen Freunden, also anderen Zellen, gehören auch viele Stationen im Körper zum Im­ munsystem. Dazu zählen bei­ spielsweise mechanische Bar­ rieren wie die Haut, aber auch Eiweißstoffe – quasi unsere Munition. Hier einige meiner Kollegen und ein Eindringling im Überblick.

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Makrophage Hallo! Umarmt seid ihr – meine Feinde. Denn ich gehöre zur Spezies der „Vielfresser“ und vernichte meine Feinde quasi durch innige Umarmung. Ich habe immer Hunger und ver­ nichte alles, was hier nicht rein­ gehört. In der Regel bin ich als Erster zur Stelle und locke weitere Immunzellen an. Ich bin wahrscheinlich der Älteste unter allen Zellen der Abwehr.

Killerzelle Alle Mann weg da! Ich komme! Ich bin der Rambo unter den Immunzellen. Nicht umsonst heiße ich Killerzelle. Ich werde von den Makrophagen zum Entzündungsherd gerufen und ballere alle von fremden Ein­ dringlingen befallenen Zellen (also Zellen, in denen sich Ein­ dringlinge „verstecken“) und vor allem Tumorzellen gnaden­ los ab. Zusätzlich werde ich von Antikörpern der B­Zelle aktiviert. Nichts bleibt dem Zufall überlassen.

B-Zelle Ich stamme aus dem Knochen­ mark und kann etwas ganz Besonderes, was außer mir niemand hier kann: Ich kann mich in eine kleine Antikörper­ Fabrik verwandeln und binde Antigene, also körperfremde Substanzen, und mache sie so unschädlich. Neben der T­Zelle bin ich wohl einer der wich­ tigsten Vertreter der Immun­ antwort. Außerdem sind wir ganz schön schlau: Einige von uns werden nach Antigen­ Kontakt zu sogenannten Ge­ dächtniszellen und können später das gleiche Antigen viel schneller und gezielter erken­ nen – die haben dann echt keine Chance mehr!

Bakterium Ich kann dich krank machen und bin für zahlreiche Entzün­ dungen und Infektionen ver­ antwortlich. Der beste Schutz gegen unsereins ist immer noch ausreichende Hygiene – Hände waschen ganz vorn. Aber hab ich es einmal ge­ schafft, z. B. durch eine Wunde einzudringen, teile ich mich einfach immer wieder und halte das Immunsystem ganz schön auf Trab. Eine echte Chance, Krankheiten auszulö­ sen, haben wir aber nur sehr selten. Fast immer besiegen uns die Immunzellen.

T-Zelle Ich bin ja bereits bekannt. Ich zirkuliere ständig im Blut und in der Lymphe und mache hier und da einen Stopp im Lymph­ knoten oder in der Milz – ständig auf der Suche nach Eindringlingen. Von uns gibt es zwei Typen: die T­Helferzelle, die alles koordiniert, und die T­Killerzelle, die befallene Zel­ len vernichtet. Mehr von mir und meinen Kollegen finden Sie im Sonderheft Immunsystem Teil 2!

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Infektion, Immunität und Toleranz

Bericht von Sonja Koelzer, Oberhausen, MS-Fachberaterin

Menschen mit MS sind nicht anfälliger für Infekte! Als MS­Fachberaterin bin ich selbst­ verständlich für ganz praxisnahe Themen wie das Spritzentraining, aber auch für Probleme und Fragen rund um die MS Ansprechpartner der Betroffenen, die ich betreue. Dabei kommen auch immer wie­ der Fragen rund um das Thema Immunsystem oder Impfen auf – besonders im Frühjahr. Interessant ist, dass es in der Regel gar keine erhöhte Gefahr einer Infektion bei Menschen mit MS gibt. Das er­ staunt auch meine Betroffenen immer wieder. Denn bei Men­ schen mit MS sind die weißen Blutkörperchen sogar im Norm­ bereich – und nur wenn sie unter dem Normbereich liegen, ist man in der Regel infektanfälliger. Das heißt, der Körper ist dann an­ fälliger für das Eindringen und Vermehren von Krankheitserregern, die den Körper schwächen können. Dies ist jedoch bei Menschen mit MS, wie gesagt, nicht der Fall. Ein Infekt, der bei Menschen mit 10 DAS IMMUNSYSTEM

MS vermehrt auftreten kann, ist der Harnwegsinfekt. Wahrschein­ lich wird dies allerdings durch Blasenentleerungsstörungen her­ vorgerufen. Dann können sich im Resturin Keime ansammeln. Daher rate ich meinen MS­Betrof­ fenen, immer ausreichend zu trin­ ken, um Keime auszuschwemmen, grippale Infekte auszukurieren, sich so gut es eben geht zu be­ wegen und natürlich auf eine ausgewogene und gesunde Er­ nährung zu achten. Auch Körper­ kontakt mit fremden Menschen – das klassische Küsschen rechts und links – oder Massenveranstal­ tungen sollten Menschen mit MS eher meiden, um nicht unnötig mit schädlichen Keimen in Kon­ takt zu kommen.

Immunsuppressiva und Immunmodulatoren – Menschen mit MS sollten den Unterschied kennen! Wenn Menschen mit MS mich fragen, was eine Autoimmun­ erkrankung überhaupt ist, erkläre ich zunächst einmal die erworbene

Immunität – also die Abwehr, die der Körper im Laufe seines Lebens durch Lernen annimmt. Zellen des Körpers lernen mit der Zeit, krank­ machende Erreger zu erkennen und diese beim wiederholten Kon­ takt zu bekämpfen. Ein bisschen wie „aha – den kenn ich schon, so geht’s“. Bei Menschen mit MS richtet sich das Immunsystem aber gegen körpereigene Zellen. Und das wird auch als Autoimmunreaktion bezeichnet. Warum das so ist, weiß man nicht. Obschon man das Immunsystem durch Medikamente beeinflussen kann. Zum Beispiel durch Immunsuppressiva, das sind Medikamente, die eine Immunant­ wort unterdrücken, indem sie die weißen Blutkörperchen reduzieren und so das Immunsystem quasi runterfahren. Damit steigt natür­ lich auch die Infektanfälligkeit. Bei sogenannten Immunmodula­ toren hingegen wird das Immun­ system eher beeinflusst, sich selbst wieder auf den richtigen Weg zu bringen, und somit eher eine Normalisierung des Immunsys­ tems hervorgerufen.

Impfen – ja oder nein? Fragen Sie Ihren Arzt! Beim Thema „Impfen“ verweise ich immer auf den behandelnden Arzt. Dieser oder auch die DMSG und die STIKO (Ständige Impfkommission) geben Empfehlungen zum Impfen bei Menschen mit MS heraus. Dar­ an sollte man sich orientieren. Wie gesagt, das Thema ist sehr wich­ tig und interessant für Menschen mit MS – und auch hier können wir MS­Fachberater Betroffenen zur Seite stehen.

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Wussten Sie, wo sich das Immunsystem befindet? Darf ich vorstellen: mein Zuhause, das Immunsys­ tem. Es besteht aus mir und meinen Freunden, also anderen Zellen, aber auch Stationen im mensch­ lichen Körper, in denen wir uns gern tummeln. Ich sag nur: Heute hier, morgen da! So bilden zum Beispiel die Haut und die Schleimhäute der Atem­ wege und des Magen­Darm­Trakts die ersten me­ chanischen Barrieren gegen Eindringlinge, gefolgt von Körperflüssigkeiten wie zum Beispiel Tränen, Speichel und Urin. Letztere können Erreger zum einen abschwemmen, zum anderen durch antibak­ teriell wirksame Bestandteile unschädlich machen. Ich selbst stamme mit meinem Kollegen, der

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B­Zelle, direkt aus dem Knochenmark. Wir beide sind wichtig für die spezifische Abwehr. Während sich die B­Zelle direkt an fremde Eindringlinge macht, muss ich erst mal die Schulbank drücken. Im Thymus bekomme ich quasi meine Hochschulreife und lerne unter anderem, zwischen körpereigenen und körperfremden Zellen zu unterscheiden. Auch lymphatische Organe spielen eine wichtige Rolle bei der Aktivierung von uns Immunzellen. Dazu zählen zum Beispiel neben den Lymphknoten und der Milz auch die Peyer’sche Plaques und die Gau­ menmandeln sowie die Appendix. Hier sehen Sie einmal, wo wir uns gern rumtreiben:

Gaumenmandel

Thymusdrüse

Lymphknoten

Milz

Peyer´sche Plaques

Appendix

Knochenmark

Multiple Sklerose und Impfungen

Erlebnisbericht von Britta Schwanbom, 40-jährige MS-Betroffene

Impfen bei MS? Für mich keine Frage! Ich weiß, dass das Thema „Imp­ fen“ generell und insbesondere bei Menschen mit MS immer wie­ der ein heiß diskutiertes Thema ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, dass jede Infek­tion eine noch stärkere und häufig sehr langwierige Belastung für den Körper ist. Daher habe ich mich schon früh und sehr bewusst ent­ schieden, mich impfen zu lassen. Die letzte Impfung, die ich und meine Tochter erhalten haben, war die Grippe-Impfung im ver­ gangenen Herbst. Ich habe mich zwar nicht von den Geschehnis­ sen rund um die Schweinegrippe verrückt machen lassen, aber die jährliche Grippe-Impfung steht schon seit Jahren auf meinem persönlichen Impf-Plan. Seit ich Mutter bin, hat das Thema „Impfen“ zusätzliche Relevanz bekommen. Denn durch Kinder­ garten und Co. kommen quasi täglich fremde, unerwünschte Gäste nach Hause, die durchaus 14 DAS IMMUNSYSTEM

sehr schwere Infektionen, aber auch klassische Kinderkrank­ heiten auslösen können. Und hier sind die Folgen für Men­ schen mit MS meist ungleich schlimmer, das weiß ich leider aus eigener Erfahrung. Dagegen muss ich mich schützen. Und eine Impfung ist immer noch der beste Schutz.

Mein Tipp: Immer über aktuelle ImpfEmpfehlungen informieren! Meine Informationen bezüglich em­pfohlener Impfungen erhalte ich von meinem Neurologen und von meinem Haus­ arzt. Da ich mich auch selbst auf dem Laufenden halte, informiere ich mich regel­ mäßig beim Robert Koch-Institut, dem ich aufgrund des wissen­ schaftlichen Stellenwertes großes Vertrauen schenke und an dessen Empfehlungen ich mich grund­ sätzlich halte. Ich denke, Imp­ fungen sind ganz besonders für Menschen mit MS wichtig, um Infektionen generell und vor allem schweren Infektionen vorzubeugen.

Wussten Sie, welche Aufgaben das Immunsystem hat? Immer wenn ein Fremdkörper oder Krankheits­ erreger die mechanischen Barrieren überwindet und in den menschlichen Körper eindringt, heißt es für uns: „Action“! Denn dann wird die sogenannte Immunreaktion ausgelöst. Der erste Schritt ist, dass wir den Eindringling erkennen müssen und sofort die angeborene Abwehr informieren. Meine nahen Verwandten, die Fresszellen (Makrophagen), machen sich dann an die Arbeit und fressen die Eindring­ linge quasi auf, das nennt man auch Phagozytose. Damit sind dann schon einmal erste Eindringlinge außer Gefecht gesetzt. Aber das ist längst nicht alles. Zeitgleich setzen sie Botenstoffe frei und rufen

Menschen mit MS wissen, wie schlimm sich schon eine Grippe auswirken kann. Dem kann man ja zum Glück vorbeugen.

Angst vor einem Schub durch das Impfen habe ich nicht! Mein Arzt hat immer betont, dass es keine Wechselwirkungen zwi­ schen meinen Medikamenten und den Impfwirkstoffen gibt. Auch die Angst vor dem Auslösen eines

so weitere Bestandteile des Immunsystems zur Ver­ stärkung. Auch die angeborene Abwehr kann von einem durch Phagozytose aktivierten Makrophagen ausgelöst werden. Eindringlinge, die uns so richtig in Schwung brin­ gen, sind vor allem Viren, Bakterien, Pilze und Protozoen, aber auch Würmer, Parasiten, Gifte und veränderte körpereigene Zellen oder Entzündungs­ reaktionen. Sie sehen, wir haben viel zu tun! Auf der nächsten Seite sehen Sie, dass wir T­Zellen zuerst einmal unseren Gegner kennenlernen, bevor wir loslegen.

Schubes ist unbegründet. Ich kann gerade Menschen mit MS emp­ fehlen, sich ausreichend zu infor­ mieren, den behandelnden Arzt zu Rate zu ziehen und alle emp­ fohlenen Impfungen durchführen zu lassen. Denn nur wer sich aus­ reichend informiert, kann beurtei­ len, welche Impfung wirklich Sinn macht – und das ist natürlich von Fall zu Fall verschieden.

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Die wichtigste Aufgabe des Immunsystems: Die Immunreaktion Wenn Fremdkörper und Krankheitserreger in den menschlichen Körper eindringen, wird die sogenannte Immunreaktion ausgelöst. Ort der Infektion

Ich bin ein Bakterium und mache krank.

Lymphknoten Ich zeige der kleinen T­Zelle die Gewebeprobe des Bakteriums. So lernt sie, Bakterien zu erkennen.

Ich als Antigen­präsentierende Zelle bin der Erste, der die Eindringlinge erkennt und von ihnen ein Phantombild erstellt.

Ich bin eine kleine T­Zelle und gehe zur Schule. Der Polizist ist mein Lehrer und erklärt mir, wer unser Feind ist.

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Blutbahn

Ort der Infektion 1

Wenn ich meinen Abschluss habe, suche ich die Eindringlinge.

Um die Bakterien loszuwerden, rufe ich als verantwortlicher Manager meine Kollegen, die die Feinde bekämpfen, und schicke meine Boten, die Zytokine, los.

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Ich fresse Bakterien für mein Leben gern!

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Ich halte das Bakterium in Schach, bis die Kollegen kommen.

Wenn mir der T­Zell­ Manager erklärt hat, was zu tun ist, beschieße ich den Feind mit Antikörpern.

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Wussten Sie, warum es zwei Immunsysteme gibt – das angeborene und das erworbene? Das angeborene Immunsystem bildet mit seinen Bestandteilen die Basis aller Abwehrmechanismen und dient der schnellen Abwehr. Neben den physio­ logischen Barrieren wie der Haut und den Schleim­ häuten verfügt es über ein System von Enzymen und antimikrobiellen Effektormolekülen, bekannt als das Komplementsystem, das beispielsweise bei der Entstehung von Entzündungsreaktionen oder der Zerstörung von Krankheitserregern eine Rolle spielt. Auch einzelne Zelltypen – besonders Mono­ zyten/Makrophagen und Granulozyten – tragen dazu bei, Eindringlinge im Körper unschädlich zu machen.

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Das erworbene System arbeitet mit dem ange­ borenen eng zusammen und unterstützt es mit seinen spezifischen Fähigkeiten. Es ist damit eher eine verzögerte Reaktion, die dafür sehr individuell einzelne Krankheitserreger erkennt. So sind die Zellen der erworbenen oder adaptiven Abwehr – allen voran die B­ und T­Lymphozyten – dazu in der Lage, sich einer bestimmten Infektion durch Vermehrung der „passenden“ Lymphozyten anzu­ passen. Den vermehrten Lymphozyten ist es mög­ lich, Antigene (Fremdkörper) zu erkennen, Antikörper und Gedächtniszellen zu bilden und so die gezielte Abwehr einzuleiten.

Multiple Sklerose und (schwere) Infektionen Seit Jahrzehnten werden immer wieder bestimmte Krankheitserre­ ger mit der Multiplen Sklerose in Zusammenhang gebracht. Der Verdacht konnte allerdings nur in einem Fall wissenschaftlich erhärtet werden, nämlich für das Epstein­Barr­Virus (EBV), welches das Pfeiffersche Drüsenfieber, eine wegen des klassischen Übertra­ gungswegs auch als Kissing Disease bekannte und im Allgemeinen harmlos verlaufende Infektions­ krankheit, überträgt.

Das belegt eine Reihe aktueller Studien aus den letzten Jahren. Nun ist es aber nicht so, dass man behaupten könnte, Kissing Disease löst MS aus. Es findet sich ledig­ lich bei Menschen mit MS etwas häufiger als bei Kontrollpersonen eine hohe Konzentration von Anti­

körpern gegen das Virus im Blut als Zeichen einer verstärkten, möglicherweise kürzlich erfolgten Abwehrreaktion. Die überwälti­ gende Mehrheit der Menschen, die irgendwann mal das Pfeiffersche Drüsenfieber durchgemacht haben, entwickelt keine MS.

Wussten Sie, was unser Immunsystem generell beeinflusst? Unser Immunsystem ist eine komplexe Maschinerie, deren Funktion von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Eine zentrale Rolle spielt hierbei der Magen­Darm­Trakt. Dies ist auch der Grund, wieso Erkrankungen dieser Region oftmals mit einer Schwächung Ihrer gesamten Abwehr einhergehen. Aber auch andere Erkrankungen oder Lebensstilfaktoren nehmen Einfluss auf Ihr Immunsystem, so beispielsweise Atemwegsinfekte, psychische Belastung und Stress. Ebenso Umweltschadstoffe, eine unausgewogene Ernährung oder übermäßige und falsch ausgeübte sportliche Aktivität sowie Medikamente und Operationen können das komplexe System der körpereigenen Abwehr durcheinanderbringen.

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Reifungsprozess von immunkompetenten T-Zellen

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Wussten Sie, was unser Immunsystem stärken kann?

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In unserem Körper befinden sich unzählige T-Zellen.

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Jede T-Zelle unterscheidet sich in ihrer Fähigkeit, etwas zu erkennen. Eine erkennt beispielsweise Streptokokken, eine andere wiederum Enterokokken.

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Also, was ich und meine Freunde wirklich brauchen, um so richtig fit und aktiv zu bleiben, sind vor allem Vitamin C, B, E, A, Betacarotin, Folsäure, Magnesium, Eisen, Zink, Selen und vieles mehr! Ja, auch wir haben Hunger! Und diese Nährstoffe sind nicht nur Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung, sondern sie übernehmen wichtige immunologische Funktionen. Mit einer bewussten, vitamin­, mineral­ stoff­ und eiweißreichen Ernährung können Sie sicherstellen, dass wir alle notwendigen Nährstoffe erhalten, damit wir so richtig gut funktionieren und es kein Eindringling mit uns aufnehmen kann! Aber auch ein gesunder Lebensstil wirkt sich stärkend auf unsere Ab­ wehrkräfte aus. Wer regelmäßig Sport treibt, ohne es zu übertreiben, Stress vermeidet, indem er den Alltag etwas entspannter angeht, und mindestens einmal am Tag herzhaft lacht, hilft nicht zuletzt uns und damit seinem eigenen Immunsystem. Merken Sie sich: Sind Sie fit – sind wir es auch!

Nur in ihrer Gesamtzahl können sie alle denkbaren biologischen Strukturen erkennen und sind deshalb auch vorbereitet gegen Bakterien, die neu in den Körper gelangen.

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Für Sie entdeckt:

Aktuelle Studien zum Lebensstil und dem Immunsystem Steigerung von Kraft und Aus­ dauer, was sich positiv auf viele Krankheitssymptome, wie z. B. die Fatigue, auswirkt. Darüber hinaus wird vermutet, dass Sport immun­ modulatorische und neuroregene­ rative Prozesse unterstützen und somit positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen könnte.

Zwei Fragen an Dipl.-Sportwiss. Alexander Tallner, Sportwissenschaftler, Institut für Sportwissenschaft und Sport, Friedrich-AlexanderUniversität, Erlangen Herr Tallner, sollen Menschen mit MS sich sportlich betätigen? Mittlerweile weiß man, dass Sport bei MS nicht schaden kann, ganz im Gegenteil: Regelmäßige körper­ liche Aktivität und Sport steigern die Lebensqualität, die Mobilität, die Stimmung. Es kommt zu einer 22 DAS IMMUNSYSTEM

MS-Betroffene können also durch Sport nur gewinnen. Wobei betont werden muss, dass nicht der klas­ sische Sport im Sinne von Wett­ kampf und Leistung gemeint ist, sondern Gesundheitssport und gesundheitsförderliche körperliche Bewegung im Alltag, also eher Bewegungsformen. In einer Um­ frage des Instituts für Sportwis­ senschaft und Sport der Universi­ tät Erlangen-Nürnberg waren bei 632 befragten MS-Betroffenen die am häufigsten genannten Bewe­ gungsformen Radfahren, (Nordic) Walking, Joggen, Schwimmen so­ wie Training im Fitnessstudio und Gymnastik, gefolgt von Sport­ arten mit fernöstlicher Herkunft wie Yoga, Tai-Chi und Qigong.

Welche Sportarten empfehlen Sie? Es gibt nicht DIE Bewegungsform, die für alle am besten geeignet ist. Wenn keine Symptome vor­ liegen, ist so gut wie alles erlaubt, vorausgesetzt der Gesundheits­ zustand lässt es zu (Achtung z. B. bei Bluthochdruck). Es gibt mitt­ lerweile ein so vielfältiges Angebot an Bewegungsmöglichkeiten, so dass jeder eine passende Sportart finden kann. Wichtig ist, sich eine Bewegungs­ form herauszusuchen, die den persönlichen Vorlieben und dem Charakter am besten entspricht. Alleine oder in der Gruppe, mit oder ohne Musik, in der Natur oder lieber zuhause, Spannung oder Ent­spannung, im Wasser, zu Wasser oder zu Land. Wenn die Bewegung Freude bereitet und man regelmäßig aktiv ist, kommt man in den Genuss der positiven Effekte. Und das bereits ab zweibis dreimal pro Woche 15 bis 30 Minuten Training! Vielen Dank, Herr Tallner.

Die Nahrung dient der Zufuhr von Energie für alle Lebensvorgänge und der Zufuhr von sogenannten essentiellen Nahrungsbestandtei­ len, die – obwohl lebenswichtig – nicht vom Körper selbst gebildet werden können (z. B. Vitamine). Fette, Eiweiße und Kohlehydrate sind die Energieträger.

Zwei Fragen an Chefarzt Dr. med. Dieter Pöhlau, Neurologische Klinik, Kamillusklinik Asbach Herr Dr. Pöhlau, gibt es spezielle Ernährungsempfehlungen für Men­­ schen mit MS? In ausgewogener Zusammenset­ zung und Menge sorgt die Ernäh­ rung für das richtige Funktionie­ ren unserer Organe, die Intaktheit unserer Blutgefäße und hat einen Einfluss auf das Immunsystem und das Wohlbefinden.

Dabei spielen tierische Fette, vor allem Säugetierfette, eine Rolle in Entzündungsprozessen. In Gegen­ den mit geringerem Verzehr tieri­ scher Fette ist die Wahrscheinlich­ keit geringer, an MS zu erkranken. Studien, bei denen MS-Betroffene sehr wenig tierische Fette zu sich nahmen, zeigten einen (modera­ ten) Einfluss auf Schubrate und Progression. Eine deutliche Reduk­ tion tierischer Fette ist sinnvoll, wobei auch auf die versteckten Fette (z. B. in Wurst) geachtet wer­ den muss. Dies gilt vor allem für sogenannte gesättigte Fette. Mehrfach ungesättigte Fette, wie sie z. B. in Sonnenblumenöl, Soja­ öl oder Distelöl und auch in See­

fischen (z.  B. Makrelen) vorkom­ men, sind eher nützlich, weil diese die Produktion von antientzünd­ lichen Botenstoffen fördern. Vitamine sind Wirkstoffe, die für das Leben und die Gesundheit unabdingbar sind und die – mit Ausnahme von Vitamin D, das im Körper selbst produziert werden kann – über die Nahrung zugeführt werden müssen. Vitamine greifen in verschiedene Körperfunktionen ein. Die Vorstellung, Vitamine können nur nutzen und keinen Schaden anrichten, und auch der Gedanke „viel hilft viel“ ist falsch und möglicherweise gefährlich. Es spricht einiges dafür, dass es biologische Wirkunterschiede zwischen einer vitaminreichen Er­ nährung und der Supplementation der Nahrung mit Vitaminen gibt. Eine ausgewogene, vitaminreiche Ernährung ist sinnvoll, eine Er­ nährung reich an „Grünkost“ ist generell gesund und enthält viele wahrscheinlich nützliche Antioxi­ dantien. „Fünf mal am Tag Obst

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Wussten Sie, was eine Immunreaktion ist? Wir möchten ja hier nicht den Eindruck erwecken, dass wir immer so unfreundlich sind und gereizt auf Eindringlinge reagieren. Aber so eine richtige Immunreaktion ist eben unsere Antwort auf einen fremden und vor allem schädlichen Organismus, dem es gelungen ist, in das Körperinnere einzudringen. Die erste Verteidigungslinie bildet dabei vor allem die angeborene Abwehr. Die Kollegen Makrophagen und Co. von der angeborenen Abwehr reagieren ganz schön schnell und setzen binnen weniger Minuten bis Stunden die Eindringlinge außer Kraft. Erst wenn sie alleine nicht klarkommen und Hilfe brau­ chen, kommen wir auf den Plan: Dann wird die spezifische Abwehr eingeleitet. Dann heißt es für mich und meinen Freund, die B­Zelle: „Einsatz!“ Wir verstärken die Immunreaktion und helfen, die Fremd­ körper endgültig aus dem Organismus zu entfernen. Übrigens: Mehr über mich und meine Freunde erfahren Sie auch in den drei weiteren Sonderheften zum Thema „Immunsystem“. Bleiben Sie also dran! Es wird noch spannender.

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und Gemüse“, empfiehlt die Deut­ sche Gesellschaft für Ernährung. Die Supplementation der Nahrung durch Vitaminpräparate ist dann zu empfehlen, wenn ein Mangel nachgewiesen ist. Wenn die von der Deutschen Ge­ sellschaft für Ernährung emp­ fohlenen Tagesdosen nicht über­ schritten werden, ist gegen die Einnahme von Vitamintabletten nichts einzuwenden. Vitamin D hat eine besondere Rolle bei der MS (siehe auch die nächste Frage). Für die Funktion der Blase und Nieren ist es wichtig, ausreichend zu trinken. Verstopfung kann man durch die Zufuhr von Ballaststof­ fen (z. B. Rohkost, Weizenkleie, Flohsamen) bessern. Wer abneh­ men will, kommt nicht umhin, weniger Energie aufzunehmen, als er verbrennt. Allerdings ist das bei der MS oft schwer, wer sich weniger bewegen kann, verbrennt auch weniger Kalorien. Manche Medikamente, zum Beispiel Kor­ tison oder Mirtazapin, wirken appetitanregend, damit fällt das

Abnehmen noch schwerer. Ein­ seitige Diäten, Nulldiäten oder gar Medikamente zum Abnehmen sind abzulehnen, oft gefährlich. Weitere Informationen über die Ernährung bei MS finden sich auf einem Infoblatt der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG).

dass in den (sonnenarmen) Winter­ monaten mehr Schübe auftreten als in den Sommermonaten. Auch die geringere MS-Inzidenz am Äquator lässt sich darauf zurückführen. MS-Betroffene mit einem chro­ nisch progredienten Verlauf haben niedrigere Spiegel an Vitamin D als Betroffene mit schubförmigem Verlauf.

Und welche Rolle spielt Vitamin D bei der Multiplen Sklerose? Vitamin D spielt eine Rolle bei der Regulation des Kalziums im Körper, das für den Erhalt der Knochen­ masse wichtig ist, bei der Hirnent­ wicklung und im Immunsystem. Im Tiermodell der MS nutzt Vita­ min D. Niedrige Vitamin-D-Spiegel gehen mit einem höheren Risiko einher, an einer MS zu erkranken.

Es gibt noch keine kontrollierten Studien, aber erste Daten aus offenen Studien legen nahe, dass die Zufuhr von Vitamin D einen Effekt auch auf Schubrate und Kernspinparameter hat. Therapie­ empfehlungen lassen sich daraus noch nicht ableiten, aber ein Vitamin-D-Mangel muss vermie­ den werden.

Wenn Sonnenlicht auf die Haut fällt, entsteht eine Vorstufe von Vitamin D, die dann im Körper zu dem eigentlichen, wirksamen Vita­ min umgebaut wird. Durch den Immuneffekt des Vitamin D lässt sich auch die Tatsache erklären,

Die Deutsche Gesellschaft für Er­ nährung empfiehlt für Säuglinge im ersten Lebensjahr sowie für Senioren ab 65 die Zufuhr von täglich 10 µg (= 400 IE), für Kin­ der und Erwachsene von 5 µg Vitamin D.

Der Wissenschaftliche Lebensmittel­ ausschuss der Europäischen Kom­ mission gibt an, dass eine maximale tägliche Dosis von 50 µg (2000 IE) für Jugendliche und Erwachsene (inklusive Schwangere und stillen­ de Mütter) und von 25 µg (1000 IE) für Kinder in den ersten 10 Lebens­ jahren von Gesunden ohne Risiko von Nebenwirkungen auch ohne medizinische Aufsicht langfristig eingenommen werden kann. Vielen Dank, Herr Dr. Pöhlau.

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des Immunsystems. Vereinfacht kann man sich diesen Umstand wie folgt vorstellen: Das Erleben von Emotionen wie zum Beispiel Freude, Traurigkeit, Ärger oder Stress führt zu zahlreichen Verän­ derungen in unserem Körper.

Zwei Fragen an Dr. Simone Kern, MS-Zentrum Dresden, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Multiple Sklerose Zentrum, Universitätsklinikum Dresden Frau Dr. Kern, hat die Psyche einen Einfluss auf das Immunsystem? Ja! Zahlreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Psychoneuroimmuno­ logie sprechen für einen engen Zusammenhang zwischen psychi­ schem Erleben und der Funktion 26 DAS IMMUNSYSTEM

Im Gehirn, der zentralen Schalt­ stelle, werden je nach Erleben ganz bestimmte Botenstoffe freigesetzt, die dafür sorgen, dass spezifische Hormone und andere Botenstoffe in unsere Blutbahn gelangen. Diese freigesetzten Substanzen können über Rezeptoren, ähnlich einem Schlüssel-Schloss-Prinzip, direkt mit den Zellen des Immunsystems kommunizieren und so die Funk­ tion der Immunzellen beeinflussen. So hat man herausgefunden, dass das Erleben von Stress die An­ fälligkeit für Infektionen erhöht. Streit unter Ehepartnern kann die Heilung von Wunden negativ be­ einflussen und eine gute soziale Unterstützung kann sich positiv auf die Funktionsfähigkeit von be­ stimmten Immunzellen auswirken.

Gibt es einen Zusammenhang zwi­ schen Stress und Immunfunktion bei der MS? Menschen mit MS erleben immer wieder, dass Stress und Belastun­ gen einen negativen Einfluss auf die MS haben. Aktuell ist aller­ dings noch immer unklar, ob und auf welchem Wege diese Beein­ flussung stattfindet. Es wird ver­ mutet, dass stresshaftes Erleben die Immunfunktion von MS-Be­ troffenen ungünstig beeinflussen kann. Die genauen Mechanismen sind allerdings noch nicht bekannt. Vielen Dank, Frau Dr. Kern.

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