Die Neue Frau in der Weimarer Republik Eine Untersuchung des

February 12, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, English, Literatur, Literaturtheorie
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Die Neue Frau in der Weimarer Republik Eine Untersuchung des Romans Das Kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun aus literatursoziologischer Sicht

Magisterarbeit zur Erlangung des Magister-Artiums an der deutschen Fakultät der Shanghai International Studies University

Vorgelegt von Zhang Hongxia Betreut von Pro. Dr. Chen Zhuangying

Shanghai, Dezember 2011

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Danksagung

Zuallererst möchte ich mich bei meinem Betreuer, Herrn Prof. Dr. Chen Zhuangzying, für seine intensive Betreuung dieser Arbeit sowie für seine Anregungen, Ratschläge und seine vielfältige Unterstützung herzlich bedanken. Während der Vorbereitung hat er mehrmals mit mir zusammen über die Recherchen des Themas diskutiert und mir dabei wichtige Ratschläge gegeben. Im Laufe des Schreibens habe ich wertvolle Ideen erhalten. Außerdem hat er meine Arbeit ausführlich durchgelesen und mich auf die Vor- und Nachteile hingewiesen, damit ich meine Arbeit verbessern konnte. Er hat mich immer mit seiner unerschöpflichen Begeisterung angesteckt und mich zu weiteren Fortschritten ermutigt. Ohne seine ununterbrochene Unterstützung wäre diese Arbeit kaum zu erledigen.

Mein herzlicher Dank gilt auch Prof. Dr. WEI Maoping, Prof. Dr. XIE Jianwen, Prof. Dr. CHEN Xiaochun, Prof. Dr. WANG Zhiqiang für ihren Unterricht, ihre Ratschläge, Arbeitsbewertungen sowie Bücherempfehlungen während meines Masterstudiums. Mit ihren kontinuierlichen Betreuungen konnte meine Arbeit zügig zustande kommen.

Darüber hinaus bedanke ich mich auch sehr bei meinen Studienkolleginnen, nicht zuletzt bei meinen Eltern und allen Mitstudenten und Mitstudentinnen, die mich ebenfalls bei der Arbeit unterstützt haben, recht herzlich bedanken!

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摘要

18 世纪中叶大部分女性仍旧操持着个人与家庭生活。19 世纪妇女运动之后,尤 其是在 20 世纪,各个生活领域全面的现代化进程给此种局面带来了革命性的转折。 20 世纪的前几十年间出现了一类前所未有的女性——“新女性”。她们洒脱不羁、狂 妄自我,具有事业心,热爱文化生活,穿着时髦,思想开明。与自己的母辈不同,新 女性认为命运,无论是幸福的婚姻生活,丰富的文娱生活,还是职业生涯的自我实现 均掌握在自己的手中。她们渴望独立、平等与自由。相应地无论是家庭还是社会对新 女性所给予的厚望也有所提高。尽管如此她们往往处于两难的境地:个人愿望与社会 准则,自我实现与边缘体验。其实新女性并未脱离传统的枷锁,作为女性她们往往饱 受着社会的歧视。

因姆伽特·可伊恩作为同时代一位女性作家是魏玛共和时期新女性的代表人物。 她以出色的写实笔调和形象的刻画用文学作品诠释了这类女性。她最为著名的两部魏 玛时期的时代小说为《吉尔吉——我们中的一位》和《人造丝绸女孩》。尤其是后一 部作品虽并非举世瞩目,但是在 1932 年春第一次出版时便取得了可观的发行量并在 短时间内被翻译成了六种语言。本论文将借助文学社会学理论以此小说为例,对小说 主人公多丽丝从三方面进行详细分析:爱情生活、文化生活和自我实现。至此得出, 虽然新女性对独立与自我实现的愿望是强烈的,但是仍受到传统枷锁的束缚。

关键词:新女性,文学社会学,爱情观,自我实现

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Abstrakt In der Mitte des 18. Jahrhunderts beschäftigten sich Frauen noch größtenteils in den Sektoren des Privaten, und der Familie. Nach der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert trat eine Wende, besonders im 20. Jahrhundert ein, die von der umwälzenden Modernisierung aller Lebensbereiche gekennzeichnet war. Die ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts prägten einen bis dahin in dieser Form noch nicht existierten neuen Frauentyp – die Neue Frau. Sie war keck und frech, selbst- und karrierebewusst, kulturell aufgeschlossen, modisch gekleidet und aufgeklärt. Anders als ihrer Muttergeneration wollte sie ihr Schicksal selbst mitbestimmen: ihr Eheglück, das vielfältige Kulturleben, die Selbstverwicklung im Berufsleben. Sie verlangte nach Selbständigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit. Dementsprechend war sowohl die öffentliche als auch private Erwartung an Frauen gestiegen. Trotzdem befand sie sich immer in der Ambivalenz zwischen persönlichen Wünschen und gesellschaftlichen Normen, Selbstverwicklichung und Grenzerfahrung. In der Tat war sie noch nicht vollkommen von der traditionellen Fessel befreit, und als weibliches Geschlecht meistens der gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt.

Irmgard Keun war als zeitgenössische schreibende Frau eine Repräsentantin der Neuen Frau in der Weimarer Republik. In ihrem ausgeprägten Wirklichkeitsbezug und ihrer plastischen Beschreibung hat sich der neue Typ von Frauen in ihren literarischen Werken niedergeschlagen. Ihre zwei bekanntesten Weimarer Zeitromane im Bezug auf die Neue Frau sind Gilgi – eine von uns und Das Kunstseidene Mädchen. Der letzte wurde zwar nicht von allen Menschen auf der Welt gelesen, aber erreichte bereits bei seiner Erstveröffentlichung im Frühjahr 1932 eine beachtliche Auflagehöhe und wurde nur in kurzer Zeit in sechs Sprachen übersetzt. Diese Arbeit wird anhand der Literatursoziologie am Beispiel des Romans Das Kunstseidene Mädchen mit dem Mittelpunkt der Protagonistin Doris die Neue Frau in drei Bereichen: der Liebesvorstellung, dem kulturelle Leben, der Selbstverwirklichung, detailliert analysieren. Dadurch kann man zum Schluss kommen, dass trotz des starken Wunschs nach der Selbständigkeit- und verwirkchlichung die Neue Frau noch der Tradition verhaftet ist.

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Schlüsselwörter:

die

Neue

Frau,

Literatursoziologie,

Liebesvorstellung,

Selbstverwirklichung

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Inhaltverzeichnis 1. Einleitung....................................................................................................................................................... 7 1.1 Forschungsstand ...................................................................................................................................... 7 1.2 Zielsetzung und Konzept der Arbeit....................................................................................................... 10 2. Literatursoziologie....................................................................................................................................... 11 2.1 Zum Begriff der Literatursoziologie........................................................................................................ 11 2.2 Methoden der soziologischen Literaturwissenschaft ............................................................................ 13 3. Neue schreibende Frau in Neuer Sachlichkeit in Weimarer Republik ....................................................... 16 3.1 Irmgard Keun: neu zeitgenössische schreibende Frau ........................................................................... 16 3.2 Die biographischen Elemente von Irmgard Keun in Das Kunstseidene Mädchen .................................. 19 4. Zum Zeitroman Das Kunstseidene Mädchen .............................................................................................. 23 4.1 Die Weimarer Republik .......................................................................................................................... 23 4.2 Inhaltsangabe......................................................................................................................................... 25 5. Doris als neue Frau in Das Kunstseidene Mädchen .................................................................................... 28 5.1 Das System des Männerfangs von Doris ................................................................................................ 28 5.1.1 Ware Liebe ...................................................................................................................................... 28 5.1.2 Warenliebe ..................................................................................................................................... 32 5.2 Das Leben in Modernität von Doris ....................................................................................................... 34 5.2.1 Das geboomte kulturelle Leben: Kino, Theater, Musik ................................................................... 34 5.2.2 Modekult, Populärkultur, Girlkultur ................................................................................................ 37 5.3 Das Begehren nach Selbstverwirklichung von Doris .............................................................................. 39 5.3.1 Berufstätige Frau: Doris als Schreibmaschine ................................................................................. 39 5.3.2 Geschlechterkampf im Büro ........................................................................................................... 42 5.3.3 Die Täuschung, Glanz zu werden .................................................................................................... 44 6. Die scheinbare Emanzipation von der neuen Frau..................................................................................... 47 6.1 Der neue Lebensentwurf der Neuen Frau ............................................................................................. 47 6.2 Neue Frau zwischen Widerstand und Anpassung.................................................................................. 49 7. Rezeptionsgeschichte von Irmgard Keun und ihren Werken ..................................................................... 53 8. Schlusswort ................................................................................................................................................. 58 Literaturverzeichnis......................................................................................................................................... 60

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1. Einleitung 1.1 Forschungsstand Am 17. September 2010 schrieb ein chinesischer Korrespondent von Xinhua Website in Berlin einen Bericht, der sich speziell auf eine Fotoausstellung von Frau Maliana Breslauer in der Berliner Galerie bezog. Dem Bericht zufolge fand diese Ausstellung ein breites Echo bei den lokalen Menschen und wurde von der Galerie ausnahmsweise bis zum November verlängert. Das Thema dieser Fotoausstellung hieß die „Neue Frau“.

Der Begriff „die Neue Frau“ war zunächst am Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, um die in mehreren Metropolen, wie Paris, Berlin, Shanghai, haufenweise auftauchenden Frauen mit kurzen Haaren zu bezeichnen. Während Frau Maliana Breslauer, die damals als eine der wenigen weiblichen Fotographinnen auch zur Neuen Frau gehörte, mit ihrem Apparat das Leben dieser Frauengeneration, hauptsächlich in der Weimarer Republik, aufgenommen hat, hat eine andere gleichaltrige Neue Frau anhand ihres Schreibgerätes diesen Frauentyp auf dem Papier aufgeschrieben – ihr Name ist Irmgard Keun.

Irmgard Keun, geboren am 6. Februar 1905, ist längst keine vergessene Autorin mehr. Aufgewachsen in einer Zeitepoche, in der nach dem Zusammenbruch der Monarchie mit ihrer patriarchalisch – militärischen Struktur sich erstmals vielfältige Freiräume und Entfaltungsmöglichkeiten den zeitgenössischen schreibenden Frauen geboten hat, hat Irmgard Keun nach dem Erscheinen ihres Erstlingswerkes Gilgi – eine von uns über Nacht landesweite

Berühmtheit

erlangt,

und

ihren

beruflichen

Höhepunkt

mit

der

Veröffentlichung ihres zweiten Romans Das Kunstseidene Mädchen erreicht. Der gehörte nicht nur zum Bestseller ihrer Zeit, an denen sich Debatten entzündeten, sondern weckte heutzutage auch noch beim Lesepublikum starkes literaturwissenschaftliches Interesse. Ausgezeichnet sind ihre Werke nicht lediglich durch stilistisch ironische und naive Schreibweise, sondern auch durch ihre genaue Beobachtung und ihren ausgeprägten Wirklichkeitsbezug sowie die Plastizität. 7

Neben der Vielzahl von Rezensionen beim Erscheinen der einzelnen Romane sowie Zeitungs – und Magazineartikeln zu Irmgard Keun sind die Forschung über Irmgard Keun und ihre Werke im Ausland überhaupt in zwei Phasen zu gliedern. Die erste Phase der Keun – Forschung begann bereits vor der Wiederauflage der Romane, ca. von 1979 bis 1983. Dazwischen richtete sich das Interesse in erster Linie auf ihre Erfolgsbücher in der Weimarer Zeit und im Exil. Volker Klotz (1973) hat seinen Forschungsfokus vor allem auf Stil und Sprache des Kunstseidenen Mädchens gerichtet, aber das Forschungsergebnis stand noch isoliert. „Irmgard Keun ist heute eine Dichterin ohne Publikum, Keines ihrer Bücher ist auf dem Markt“ 1 stellte der Journalist Jürgen Serke 1977 in seinem Band Die verbrannten Dichter fest. Im gleichen Jahr veröffentlichte Gerd Roloff Vorläufiges zu Leben und Werk. Sein Beitrag galt vor allem, dass er als Erster Keuns richtiges Geburtsdatum angegeben hat: 1905, statt, wie Irmgard Keun selbst am Beginn ihrer Karriere angegeben hat: 1910. Die erste Dissertation über die Romane von Irmgard Keun legte Irene Loriska 1985 vor. Anhand der fünf Romane hat Loriska im Vergleich zu den Texten von Anna Seghers die Emanzipationsversuche der Keuns Protagonistinnen bewiesen. Mit unzureichenden biographischen Kenntnissen hat sie jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass Irmgard Keun sich ihren Figuren vergleichbar in ihrer Zeit bewegt hat. Die als Vorbild dienenden Protagonistinnen führten zwangsläufig zu einer feministischen Motivation. Eine andere relativ längere Untersuchung zählte zum Werk von Doris Rosenstein mit dem Schwerpunkt auf Kinder aller Länder. Ihre Untersuchung konzentrierte sich auf die historische Authentizität des Romaninhalts, um Keuns kritische Fähigkeit gegenüber den aktuellen gesellschaftspolitischen Phänomenen zu beweisen.

Die zweite Phase wurde durch die Veröffentlichung der Briefe von Irmgard Keun an Arnold Strauss eingeleitet, wobei Gabriele Kreis versuchte, die Briefe nicht nur als einen Briefband, sondern auch als eine Biographie zu beweisen. Die von ihr 1991 vorgelegte Arbeit Was man glaubt, gibt es. Das Leben der Irmgard Keun hat massive Kritik erfahren, weil die Arbeit auch unsichere und fiktionale Elemente zum Teil als Fakten zitierte. Eine wissenschaftliche Darstellung über das Leben und die Werke von Irmgard Keun wurde von dem Werk Irmgard Keun – Leben und Werke von Ingrid Marchlewitz 1999 detailiert 1

Heinrich Ludwig Arnold: Irmgard Keun: Text+Kritik, München, 2009, S. 59 8

expliziert. Marchlewitz hat Keuns Romane als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, und die biographischen Elemente in Keuns Werke erklärt, die mit den bis heute bekannten Daten in Einklang standen. Zugleich diente sein Werk als korrigierende Details zu der Forschung von Gabriele Kreis.

Gegenwärtig ist das wachsende Interesse an Keuns Werken immer mehr zu verzeichnen. 2005, im Jahr vom Keuns 100. Geburtstag formulierte Liane Schüller eine neue Ausrichtung der Forschung, die Konzentration auf einen genauen Text zu legen. Das Buch Irmgard Keun. Deutungen und Dokument von Stefanie Arend und Ariane Martin hat nicht nur wichtige Materialien zur Rezeption gesammelt, sondern auch die bislang wenig geachteten Werke in der Nachkriegszeit in Betracht gezogen. Der von Thomas Heck 2006 vorgelegte Band Populäre Kultur hat den Blick auf die Figur Gilgi, anschließend die Girlkultur geworfen, und Johannes Roskothen beruhte am Anfang seine Arbeit auf den Roman Das Kunstseidene Mädchen, weil dieser Roman als eine Epochensignatur einen wesentlichen Sinn ausmachte.

Inländisch haben immer seltene Leute ein Auge auf diese Autorin, da ihre Werke wegen mangelnder chinesischer Übersetzung immer noch unbekannt sind, deswegen ist der Untersuchungsversuch drüber noch vakant. Mehr noch sind die deutschen Frauen als Forschungsgegenstand in China zwar nicht selten zu sehen, aber sie lebten überhaupt im Zeitraum vom Mittelalter bis zum ersten Weltkrieg, oder einfach nach dem zweiten Weltkrieg, nämlich die Bürgerfrauen mit traditioneller Verkleidung, oder die emanzipierten Frauen in 50er Jahren des 20. Jahrhunderts und danach. Was die Forschung über die Frauen in den 20er bis zum Anfang der 30er Jahren des 20. Jahrhunderts angeht, wird die „Neue Frau“ zumeist nur als ein Kapitel in einer wissenschaftlichen Arbeit erforscht, oder rückt einfach in den Hintergrund. Deshalb wird in dieser Arbeit die „Neue Frau“ als Untersuchungsgegenstand im Mittelpunkt stehen, um diese literarische Lücke auszufüllen, und auch die Autorin Irmgard Keun in China einzuführen.

9

1.2 Zielsetzung und Konzept der Arbeit Die vorliegende Untersuchung setzt sich die Gesamtübersicht über die „Neue Frau“ zum Ziel mit den Fragen, wie ihr Leben in der Weimarer Zeit aussieht? Inwiefern sie sich emanzipiert? Ob ihre Wünsche nach der Selbstverwirklichung tatsächlich erfüllt werden? Wenn nicht, woran die Gründe liegen?

Diese Arbeit wird die „Neue Frau“ als recherchierenden Schwerpunkt am Beispiel des Romans

anhand der literarischen Theorie Literatursoziologie detailliert untersuchen.

Dadurch wird der Roman in drei Hinsicht: die Gesellschaft, die Autorin, und das Leserpublikum, analysiert. Hinzufügend ist auch eine genaue textimmanente Analyse der Protagonistin Doris von unterschiedlicher Hinsicht her, um das neue Frauenbild weiterhin zu vervollständigen.

Der erste Teil wird zuerst die Autorin Irmgard Keun einführen. Erzählt werden nicht nur ihre wichtigen Werke, sondern hinzufügt auch diejenigen, die mit ihrem Lebensweg untrennbar verbunden sind. Dran anschließend werden die tatsächlich autobiographisch geprägten Textteile erläutert. In diesem Zusammenhang wird es klargemacht, warum Irmgard Keun zumeist mit der Protagonistin Doris gleichgesetzt wird. Im zweiten Teil wird die Weimarer Republik als Zeithintergrund geschrieben, dadurch wird man eine Übersicht über die damaligen Gegebenheiten haben, um die folgende Analyse besser zu verstehen. Der dritte Teil gewinnt an größter Bedeutung, wo die Protagonistin Doris als Leitbild der „Neuen Frau“ in den Vordergrund tritt. Sie wird in ihrem Lebensmilieu gesetzt, und überhaupt aus drei Persperktiven recherchiert: dem Gefühlsleben, dem Kulturleben und dem Berufsleben. Basierend auf dieser ausführlichen Untersuchung, werden schließlich die Lebenssituationen und soziale Stellung der „Neuen Frau“ zusammenfassend erläutert. Nicht zuletzt wird auch die Reaktion der damaligen Leser und Leserinnen auf diesen Roman im Blickfeld gehalten, was eine neue Sichtweise zum Verstehen des Untersuchungsgegenstandes erweitert.

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2. Literatursoziologie

2.1 Zum Begriff der Literatursoziologie Obwohl die marxistische Literatursoziologie uns keine konkreten Gesetze, Regeln, Verfahrensweisen für die Interpretation der Literatur hinterlässt, spielen aber einige ihre wichtigen Prinzipien eine entscheidende Rolle, und gelten noch bis heute. Einer ihrer Schüsselgedanken ist, dass Literatur etwas Geschichtliches ist. Das bedeutet, dass Literatur entsteht, in konkreten gesellschaftlichen Gegebenheiten wirkt, und davon abhängig ist. „Insofern ist marxistische Literatursoziologie nicht nur sozialgeschichtlich im engeren Sinne, sondern auch – im weiteren Sinne – eine Spezies der Literatursoziologie.“ 2 Hier muss

noch

eines

Gesellschaftsvorstellungen,

geklärt und

werden, dazu

aufgrund

verschiedenen

von

unterschiedlichen

Vorstellungen

über

den

Zusammenhang zwischen Literatur und Gesellschaft, ist nicht jede Literatursoziologie marxistisch.

Die empirische – positivistische Literatursoziologie befasst sich als Bestandteil der Soziologie mit der Literatur, ihre Hauptaufgabe ist die Erkenntnisse über die Verhältnisse der Literatur zur Gesellschaft aufzudecken. Die gesammelten sozialen Daten sollen vor allem bestimmte soziale Gruppen oder interessante gesellschaftliche Individuen aufklären. Für Alphons Silbermann stehen die durch Kunst bewirkten Erlebnisse am ersten Platz, dann alle sozialen Beziehungen.

Für Hans Norbert Fügen wird die Vermischung der Literaturwissenschaft und Literatursoziologie total abgelehnt. Seiner Meinung nach gilt die Literatursoziologie als eine spezielle Soziologie. „Da die Soziologie das soziale, d.h. intersubjektive Handeln zum Forschungsgegenstand hat, ist sie nicht am literarischen Werk als ästhetischem Gegenstand interessiert, sondern Literatur wird nur insofern für sie bedeutsam, als sich mit ihr, an ihr und für sie spezielles 2

Dieter Gutzen, Norbert Oellers, Jürgen H. Petersen: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft, Berlin, 1989, S. 235 11

zwischenmenschliches Handeln vollzieht. Ihr Gegenstand ist die Interaktion der an der Literatur beteiligten Personen“3

Danach wird die Literatur in zwei Bereichen geteilt, die nachweisbare Verflechtung von Produktion, Distribution, und Konsumtion sowie dem erfassbaren abstrakten ästhetischen Wert. Draus kann man festlegen, dass Literaturwissenschaft historisierend verfährt, und Soziologie generalisierend verfährt. Es handelt ihr um Typisches, vielmehr um die durch Induktion ergebenden Grundformen menschlicher Beziehungen und das menschliches Verhaltens. Die Literatur soll unter bestimmten sozialen Grundverhältnissen untersucht werden, durch das die wechselseitige Abhängigkeit von literarischer Produktion und Rezeption geregelt wird. Dies schließen die Produzenten, die Vermittler, und die Konsumenten ein. In Augen Fügens ist die Frage nach dem Verhalten eines Autors gegenüber der Gesellschaft am Wichtigsten: „die des gesellschaftskonformen, die des gesellschaftskonträren und die des gesellschaftsabgewandten Autoren.“ 4

Wertvoll sind Fügens Meinung nach auch die Untersuchungen des Verhaltens des literarischen Publikums, das hauptsächlich über eine Menge Umfragen aktualisiert wird, und umgekehrt die Literaturproduktion und – distribution beeinflusst. Auch das Autorsverhalten wird in gewissem Sinne durch das des Publikums gespiegelt. Ähnliches ist die Forschung der Literatur – Vermittler (Kritiker, Verleger, Buchhändler) von Bedeutung, dabei ist die literarische Zensur ein besonderes Beispiel. Obwohl die sozialen Fakten für die Literatur als soziales Phänomen wichtig sind, soll jede Verallgemeinerung durch die Induktion verboten werden. Wenn man literatursoziologisch vorgeht, wie z.B. eine Umfrage im kleinen Kreis, soll diese Umfrage nicht als das allgemeine Ergebnis der ganzen Gesellschaft gemeint werden.

Im späteren Leben Fügens hat er besonders die speziellen sozialen Erscheinungen im literarischen Kreis betont. Er glaubt, dass sowohl die gegenseitige Wirkung zwischen literarischen Phänomenen und dem System der literarischen Phänomene einerseits als auch die der gesamtgesellschaftlichen Phänomene andererseits in Betracht gezogen werden 3

Dieter Gutzen, Norbert Oellers, Jürgen H. Petersen: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft, Berlin, 1989, S. 229 4 Ebd. S. 230 12

sollen. Zu den Kritikern der Literatursoziologie im Sinne Silbermanns gehören Theodor W. Adorno, die Frankfurter Schule und Herbert Marcuse. Sie gehen von jungem Max aus und glauben, dass die Gesellschaftlichkeit von Literatur, ihre Bedingtheit durch Gesellschaft und schließlich der Grad an Selbständigkeit erst über die Analyse des Systems der Gesellschaft erforscht werden sollen. Das System der Gesellschaft durchzuschauen heißt die gesellschaftliche Ideologie aufzudecken. Die Literatur als höheres Mittel soll die Wirklichkeit entlarven. Die Analyse der Literatur liegt darin, „inwieweit ein literarisches Werk ideologisch verstrickt ist, inwieweit es der Ideologie entkommen konnte order selbst ideologisch kritisch wirksam ist.“ 5

2.2 Methoden der soziologischen Literaturwissenschaft Nach Auffassungen der kritischen Theorie soll wegen der wechselseitigen Wirkung zwischen Literatur und Gesellschaft die Gesellschaftsanalyse vor der Literaturanalyse stehen; dann ist zu erklären, wie der Vermittlungsprozess der Literatur durch die entdeckte gesellschaftliche Wirklichkeit vorgeht; dabei soll die Literatursoziologie bei dem Umgang mit Literatur die umfassende literaturwissenschaftliche Kenntnis in Betracht ziehen. Es ist nicht außer Acht zu lassen, dass ästhetische Elemente unter ihren gesellschaftlichen Bedingungen verständigt werden sollen. Dieser Methode bringt aber ein Problem mit sich, dass nicht alle geistigen Erscheinungen sozial expliziert werden können.

Ganz anders als die kritische Theorie geht es der empirisch-positivistischen Theorie um „aus den Verhältnisse zwischen den am literarischen Leben beteiligten Gruppen und Einzelpersonen erhellende Schlüsse auf die Genese, die Veröffentlichung, und die Wirkung literarischer Werke zu ziehen.“ 6 Für sie sind die Fragen, wie und wer Schiller las? Warum? Welche Kenntnis er besaß? Doch weil die literarischen Werken unter bestimmten sozialen Bedingungen geschafft werden, soll diese Analyse der Dependenz und Interdependenz zwischen Literatur und Zeitgegebenheiten die Aufgabe der Literatursoziologie sein. 5 6

Ebd. S. 237 Ebd. S. 239 13

Darüber hinaus liegt einige Jahre der Schwerpunkt der Literatursoziologie in der Publikumsforschung. Dabei ist der Geschmack des Rezipienten unter Berücksichtigung gezogen. Was gilt als schön und geschmackvoll? Das wandelt mit der Zeit. Einer der Vertreter ist Levin L. Schücking. Er glaubt, dass das Wesen der Literatur durch die literarische Geschmacksbildung beantwortet werden kann. „Von zentraler Bedeutung ist für ihn die Frage, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um das aus der Vergangenheit bekannte Phänomen des dominierenden Zeitgeschmacks hervorzurufen.“ 7 Die Fragen, z.B. wer den Zeitgeschmack repräsentiert, was der herrschende Geschmack ist, führen zu dem Begriff „Geschmacksträgertypus“.

Sein Nachfolger ist Robert Escarpit. Er plädiert dafür, dass die Aufgaben der Literatursoziologie in der Aufdeckung aller der literarisches Leben bestimmenden Faktoren liegen,

wobei

Autoren,

Werke

und

Publikum

als

Gesamtwechselbeziehungen

berücksichtigt werden sollen. Drunten steht das Publikum (seine soziale Struktur, seine Lesegewohnheiten, seine Erwartungen) im Mittelpunkt der Untersuchung, hier wird hauptsächlich das gebildete Publikum gemeint. Escarpit teilt hier eine gemeinsame Meinung mit dem Großschriftsteller Goethe, dass die Wesenheit eines Buches in seiner Wirkung liegt. Wie er auch im Vorwort zur Farbenlehre geschrieben hat, umfasst wohl allenfalls eine vollständige Geschichte dieser Wirkung das Wesen jenes Dinges.

Draus ergibt sich eine Simplifikation: Literaturgeschichte ist gleich Wirkungsgeschichte. Hier Wirkung bedeutet die Aufnahme eines Werks durch das Publikum. Harald Weinrichs Plädoyer spricht sich auch für diese Auffassung. Seiner Meinung nach soll ein Buch vom Hörer her, aber nicht vom Autor her betrachtet werden. Draus wird die Simplifikation so hergeleitet:

Literaturgeschichte

=

Wirkungsgeschichte

=

Lesergeschichte.

Diese

Anregungen Weinrichs sind der Literatursoziologie beträchtlich. Die Wirkung der Literatur auf das Publikum ist drunter als literarische Rezeption durch das Publikum zu verstehen. Dieser Zusammenhang zwischen Verfassen und Rezeption öffnet einen neuen Begriff „Rezeptionsästhetik“. „Hans Robert Jauß

hat

den

Versuch unternommen,

die

Geschichtlichkeit der Literatur durch die geschichtsbildende Energie der Rezipienten zu 7

Ebd. S. 243 14

sehen.“

8

Jauß geht davon aus, dass der Zugang zum Rezipienten über den

Erwartungshorizont

gewonnen

werden

kann.

Jeder

Leser

hat

seinen

eigenen

Erfahrungskontext der ästhetischen Wahrnehmung, „die Frage nach der Subjektivität der Interpretation und des Geschmacks verschiedener Leser oder Lesergeschichten kann erst sinnvoll gestellt werden, wenn zuvor geklärt ist, welcher transsubjektive Horizont des Verstehen die Wirkung des Text bedingt.“ 9 Die Aufgabe, den Horizont anzumessen, wird den Literatursoziologen zugewiesen.

Egal die Theorie von Silbermann über die der kritische Adorno bis die der Escarpit oder die von Weinrichs und Jauß haben ihre eigene Beschränktheit und Übelstände, aber eines ist gemeinsam, dass sie neue Impulse in der Literaturwissenschaft gespritzt haben. Praktischen Nutzen draus zu machen ist am wichtigsten.

8 9

Ebd. S. 247 Ebd. S. 250 15

3. Neue schreibende Frau in Neuer Sachlichkeit in Weimarer Republik 3.1 Irmgard Keun: neu zeitgenössische schreibende Frau Trotz der wirtschaftlichen Schwäche und der politischen Turbulenz in der Weimarer Republik hat die Kultur einen allgemeinen Aufschwung aufgenommen. Neue Kinopaläste wurden gebaut, neue Verlage, Theater und Museen gegründet, Zeitschriften, Tagesbücher, Sachbücher und Romane waren bei neuen entstanden Leserinnen sehr beliebt. Es entstand diverse Formen der populären Kultur in den Weimarer Metropolen, das Verhältnis von Hoch- und Populärkultur kann man neu definieren. Wichtiger ist, dass zahlreiche kulturelle Phänomene moderne Elemente in sich verschmolzen haben. Deswegen galt der Begriff der Neue Sachlichkeit als Synonym für „modern“.

Bei der historischen und kultursoziologischen Forschung zur Weimarer Republik stand die „Neue Frau“ immer am Brennpunkt. Atina Großmanns zufolge ist die „Neue Frau“ keineswegs nur ein Medienmythos, der nur über die steile Karriere der Heldinnen in einzelnen Romanen ermessen werden kann, sondern als eine gesellschaftliche Realität galt. Als Produzentin ihrer eigenen Identität äußerten sich die neuen Autorinnen bewusst nach ihrer eigenen Lebensperspektive, die anders als die der Männer war. Sie schafften die Figuren der „Neuen Frau“ aus weiblichem Blick, führten ihre Heldinnen ins Kino, ließen sie an den Berufsweg einschlagen, oder zynisch gegenüber der Gesellschaft entgegenkommen usw., was das Bedürfnis der damaligen Leserinnen befriedigt werden. Zu dieser Gruppe Autorinnen gehörten bekanntlich Irmgard Keun, Sabina Becker, Martin Lindner, Helmut Lethen, usw.

Irmgard Keun, eine der Vertreterinnen der typischen schreibenden „Neuen Frauen“ in der Weimarer Republik, kam am 6. Februar in Berlin zur Welt. 1913 zogen die Keuns nach Köln, wo ihr Vater als Inhaber der Firma Cölner Benzin-Raffinerie-Kroseberg GmbH tätig war. Damals war Keun 13 Jahre alt, und begann schon ihre Schulzeit. 16

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