«Die Rentnerbank wäre eine Strafe für mich»

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Musik
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INTERVIEW DES MONATS

Früh von der Leidenschaft für Musik erfasst, gibt Pepe Lienhard mit seinem von Weltstars wie Frank Sinatra geschätzten Orchester längst auf internationalem Parkett den Takt vor. Ausruhen ist für den 65-Jährigen vorerst kein Thema. Wir trafen den erfolgreichen Bandleader kurz vor der fünfzehnten Tour mit Udo Jürgens zum 2011 erschienenen von Roland Erne Studioalbum «Der ganz normale Wahnsinn».

Pepe Lienhard, Sie sind seit über vierzig Jahren im Geschäft: Ersten Jazz-Ensembles während der Schulzeit folgten 1969 nach einem abgebrochenen Jurastudium die Gründung Ihres Profisextetts und später diverse Orchesterformationen unter eigenem Namen. Musik ist Ihr Lebenselixier? Definitiv ist Musik der rote Faden in meinem Leben. Wie alle anderen habe auch ich als Primarschüler damals mit der Blockflöte angefangen. Die meisten haben es gehasst, ich habe es geliebt – vom ersten Tag an. Und obwohl das Repertoire für Blockflöte klassisch orientiert war, habe ich rasch Zugang zur leichten Muse gefunden: mit Schlagern aus jener Zeit, Peter Kraus und so, und damals schon mit Jazz, vor allem Dixieland. Das war noch vor den Beatles, es gab also keine Popmusik, bloss die Anfänge des Rock ’n’ Roll. Sonst waren da noch Ländler und der Jazz, eigentlich Tanzmusik.

Fotos: Keystone

Warum hat Sie der Jazz nie losgelassen? Das ist die Gnade der frühen Geburt. Ich habe John Coltrane, den jungen Miles Davis noch live erlebt und höre diese Musik immer noch am liebsten. Zudem ist Swing eine Art Lebensgefühl. Das ist ein Puls, der mich anspricht. Daran hat sich seit meiner Jugend nichts geändert. Dennoch würde ich mich nicht als Jazzer bezeichnen. Ich bin Unterhaltungsmusiker.

Pepe Lienhard:

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«Die Rentnerbank wäre eine Strafe für mich»

Ihr väterlicher Freund Hazy Osterwald hat einmal gesagt: «Wenn man von der Musik lebt, kann man nicht nur das machen, was einem gefällt.» Das klingt nach Konzessionen an den Publikumsgeschmack? Ja, es ist wie eine Entschuldigung. Im Kern ist das auch nicht falsch. Aber für mich besteht kein Anlass, ein Bedauern mitFoto: Keystone

: AufFernsehpräsenz ung nd tritt in der Se 89. 19 «Supertreffer»

Für Sie keine problematische Klassifizierung? Nein, auch wenn ich früher ein wenig darunter gelitten habe. Ich kann die vor allem im deutschsprachigen Raum besonders akribische Abwertung populärer Musik nicht verstehen. Kommerziell ist doch kein Schimpfwort, sondern Ausdruck dafür, dass man damit Geld verdient. Weshalb sollte das denn gleich eine negative Qualifikation sein? Ein Beispiel: Die identische Einkleidung der Bandmitglieder noch in meiner Amateurzeit war für einige nicht mit Jazz vereinbar – ein Blödsinn. Jazz entstand jedenfalls nicht im muffigen Keller ohne Gage, sondern war etwas Populäres. Vor allem aber: Nichts geht über qualitativ saubere Musik mit den besten verfügbaren und auch bezahlbaren Instrumentalisten.

Bandleader seit Jugendjahren Pepe Lienhard wurde 1946 als Peter Rudolf Lienhard in Lenzburg geboren. Er gründete bereits als Bezirksschüler das Dixieland-Orchester «The College Stompers», später als Gymnasiast eine 28-köpfige Big Band. 1969 vollzog Lienhard mit einem Sextett den Schritt ins Profilager. Seit 1980 ist er mit dem Pepe Lienhard Orchester – nach Dancing- und Club-Engagements – auf Galas und Opernbällen sowie in Fernsehsendungen präsent. Mit dem österreichischen Unterhaltungsmusiker Udo Jürgens verbindet ihn seit 1977 eine inzwischen mit fünfzehn Tourneen besiegelte Zusammenarbeit. Im Auftrag der Schweizer Armee leitete Lienhard zwischen 1995 und 2011 zudem die Swiss Army Big Band. Pepe Lienhard hat aus erster Ehe zwei erwachsene Töchter. Ende Dezember hat er seine langjährige Freundin Christine Köhli geheiratet. Mir ihr lebt er in Frauenfeld. Seit Anfang Februar tourt Pepe Lienhard mit seinem Orchester und Udo Jürgens durch Deutschland. Im März folgen Auftritte in Österreich, am 16. März das Gastspiel im Zürcher Hallenstadion. Weitere Auftritte und Ticket-Informationen sind zu finden unter www.pepelienhard.ch und www.ticketcorner.ch.

E N T W E D E R – O D E R • Ländler oder Rap? Ländler, also echte Schweizer Folklore, letztlich unsere musikalischen Wurzeln. • Eintopf oder Lasagne? Eintopf – zumindest als begeisterter Esser. • Velofahren oder Schwimmen? Schwimmen. • Finnische Seenplatte oder Malediven? Malediven. War zwar noch nie dort, liebe aber die Tropen und warmes Wetter. • Krimi oder Liebesroman? Krimi natürlich. Sehr gerne lese ich Andrea Camilleri. Bei Commissario Montalbano geht es immer auch ums Essen.

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INTERVIEW DES MONATS

Pepe Lienhard:

Seit 35 Jahren verbindet Sie eine Zusammenarbeit mit Udo Jürgens. Welcher Kitt sorgt dafür? Wir beide sind Perfektionisten. So kommen wir uns nie in die Quere, weil wir das Gleiche anstreben. Nichts geht über eine perfekte Show, nur schon aus Respekt vor dem Publikum. Das hat mich Udo Jürgens gelehrt, und das ist wohl der Hauptgrund, warum er auch mit 77 Jahren auf einer im Voraus nahezu ausverkauften Tour anhaltenden Erfolg hat. Udo stellt alles immer wieder in Frage – trotz Standing Ovations Abend für Abend. Das hält einen letztlich auch am Leben. Zudem habe ich kein Ego-Problem: Udo steht vorne, ich mit der Band hinten, wie einst Count Basie hinter Frank Sinatra stand.

Fotos: Keystone

Fotos: Keystone

«Nichts geht über eine perfekte Show, nur schon aus Respekt vor dem Publikum»

Zwischen 1995 und 2011 leitete Pepe Lienhard auch die mit jungen Musikern besetzte Swiss Army Big Band.

schwingen zu lassen, denn ich habe nie etwas gemacht, das mir nicht passte. Und nach all den Jahren kann ich sagen: Es funktioniert nur, wenn man ohne Wenn und Aber dahintersteht. Bester Beweis dafür ist Hazy Osterwald, ebenso James Last. Bis zu welchem Grad darf sich ein Profimusiker von eigenen Vorlieben leiten lassen, ohne kommerziell ins Abseits zu geraten? Da gibt es kein Rezept, sonst würden sich alle daran halten. Ich habe immer auf einen Mix gesetzt, mich also nicht auf die sozusagen todsicheren Titel eines Glenn Miller beschränkt, sondern auch Kompositionen eingestreut, die mir und meinen Musikern ebenfalls Freude bereiten. Dieses Konzept hat sich selbst mit der Swiss Army Big Band und der Erwartungshaltung eines eher älteren, armeefreundlichen Publikums bewährt. Bloss vom volkstümlichen Schlager habe ich mich ferngehalten, selbst als dieses Genre gerade im Trend war. Man muss sich treu bleiben und authentisch sein. Inwiefern ist das Showelement unerlässlich und nicht nur anstrengender Spagat? Was heisst schon Show? Auch da ist das Spektrum gross. Lady Gaga beispielsweise ist fast nur Show, dabei kann sie durchaus singen. Hazy Osterwald wiederum setzte auf Comedy, etwa für seinen legendären «Kriminaltango». Für Auftritte in Dancings und Nachtclubs gehörte Show damals dazu. Gleichwohl musste ich mit meinem Sextett bald schon realisieren: Wir sind keine Komiker! Stattdessen haben wir uns für eine sogenannte Musical-Show entschieden, unter anderem mit einem Medley aus dem Film «Spiel mir das Lied vom Tod». Musikalisch spektakuläre Nummern mussten bei uns genügen. Wie sehr waren Hits wie «Sheila Baby» und vor allem «Swiss Lady» – beim «Grand Prix d’Eurovision» 1977 in London im sechsten Rang klassiert – eine Bestätigung, mit der Zeit aber auch lähmend?

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Eigentlich haben wir im Sextett die Hitparade rauf und runter gespielt. Heute würden wir wohl als Cover-Band eingestuft. Der Eurovisionserfolg der schwedischen Band Abba hat uns dazu ermuntert, es mit dem Alphorn-Song «Swiss Lady» zu versuchen. Es hat ja auch geklappt und uns grosse Popularität verschafft, uns in den folgenden Jahren jedoch in eine Sackgasse geführt. Wie Hazy Osterwald mit dem «Kriminaltango» wurden wir auf «Swiss Lady» reduziert. Alle wollten immer nur diesen einen Hit hören! Damit war die Entwicklung des Sextetts blockiert. Es brauchte einen Neuanfang – mit meinem 1980 gegründeten Orchester. Mit Blick auf Ihre Karriere: Welche Rolle spielten das Fernsehen und Ihre Präsenz in Schweizer Sendungen wie Hansjörg Bahls «Grafissimo», Heidi Abels «Musik & Gäste» oder später in «Piazza» und Frank Elstners «Wetten, dass …»? Fernsehen war die beste Plattform und ist nach wie vor das Medium Nummer eins, wobei es inzwischen kaum mehr Möglichkeiten gibt, mit einer vom Blatt spielenden Liveband – unser Markenzeichen – aufzutreten. Weniger aufwendiges Vollplayback ist die Regel geworden. Ein festes Engagement mit Ihrem Orchester als HausBand für eine ernst zu nehmende Sendung ist demnach nicht in Sicht? Nein, leider nicht, denn Fernsehpräsenz verleiht Stellenwert. Bereits die Gründung meines Orchesters vor rund dreissig Jahren war ziemlich anachronistisch. Bei der Auflösung des in grossen TV-Sendungen wie «Teleboy» eingesetzten Radio-Orchesters habe ich mit meinem Manager Freddy Burger eine vergleichsweise kostengünstige Mandatslösung nach dem Muster des Südwestfunks vorgeschlagen. Die Antwort des damaligen Radiodirektors Andreas Blum war eindeutig: «Selbst wenn ihr noch Geld bringt, wollen wir keine Big Band mehr.»

Mit Ihrem Orchester begleiten Sie Udo Jürgens auf der fünfzehnten gemeinsamen Tournee. Mit welcher musikalischen Herausforderung? Zum einen werden alle Titel eines Programms, auch Oldies, jeweils neu arrangiert. Zum anderen haben wir das Orchester nochmals vergrössert. Hinzugekommen sind das Vokalquartett «The Voices», das bereits bei der Schweizer Tournee meiner Big Band 2011 dabei war, zusätzliche Bläser und eine junge Violinistin aus Moskau. Und mit Jörg Achim Keller, dem Leader der Big Band des Norddeutschen Rundfunks aus Hamburg, verfügen wir über den besten Arrangeur Deutschlands. Udo Jürgens’ vor Jahresfrist erschienenes und nun bis Mitte März live vorgestelltes Studioalbum «Der ganz normale Wahnsinn» kündet im Titelstück etwa von «Terror, Sex und Datenklau» unter dem Motto «Werte niedrig, Preise hoch». Und er singt da vom genussvollen Noch-Leben, wenngleich auch klar ist: «So kann’s nicht weitergehen.» Deckt sich dies mit Ihrer Einschätzung? Ja, klar. Allein die Hildebrand-Affäre, die Vorkommnisse um den deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff oder die Eurokrise belegen doch die Aktualität dieses Kommentars zur Gegenwart. Darüber hinaus sind es Texte aus der Warte eines reifen Mannes, etwa in Sachen Beziehungen.

Auf inzwischen fünfzehn gemeinsamen Tourneen zusammengeschweisst: Pepe Lienhard und Udo Jürgens.

Sie müssen es wissen: Wie weit vertragen sich Showbusiness und Privatleben? Auch da gibt’s kein Glücksrezept. Bei mir hat es definitiv nicht geklappt. Meine erste Ehe ist nach zehn Jahren leider zu Ende gegangen. War ich während einer mehrmonatigen Tour für einen Tag oder nach Tourneeschluss für einen ganzen Monat wieder mal zu Hause, hat das in der Familie mit den damals kleinen Kindern eher Verwirrung gestiftet als geholfen. Es ist schon so: Man zahlt einen hohen Preis in dieser Branche. Und dann war da auch noch ein zeitintensives Hobby: das Halten, Hegen und Züchten von exotischen Vögeln. Wie lässt sich Ihr Flair für exotische Vögel erklären? Nun, ich bin generell ein Tierfreund. Auf jeder Tour besuche ich die Zoos. Und neunzig Prozent meiner Bücher sind Tierbücher, vor allem Bücher über Vögel. Inzwischen muss ich aber nicht mehr jeden seltenen Vogel in meinem Garten haben. Bei ein paar Hühnern und einem Hund, die demnächst dazugehören, soll es bleiben. Zurück zu Weltstars wie Frank Sinatra, Shirley Bassey und Sammy Davis Jr., mit denen Sie unter anderem in Monte Carlo aufgetreten sind. Was haben Sie diese Erfahrungen gelehrt? Ein Topmusiker wie Sinatra hat bereits drei Tage vor dem Konzert intensiv mitgeprobt, alles war sehr professionell und auf die Arbeit bezogen. Schwieriger war’s mit Solisten, die eigene Unsicherheiten auf die Band abzuwälzen versuchten. Mit den wirklich Grossen, die nicht von ungefähr in der Publikumsgunst so hoch oben stehen, war es jedoch wie eine Gratislektion mit buchstäblich kompletten Künstlern. Stars vom Rang eines Sammy Davis Jr. lassen auch bei einem Auftritt im Casino Hohensyburg bei Dortmund, für seinesgleichen ein Abstecher nach Hinterpfupfigen, nichts anbrennen. Sie beherrschen diverse Blasinstrumente, sind erfahrener Saxofonist und Orchesterleiter. Was liegt Ihnen näher: Solist oder Leader? Ich spiele zwar leidenschaftlich gerne Saxofon, wuchs aber schon bald in die Rolle des Bandleaders hinein. Mittlerweile verstehe ich es, unterschiedlichste Musiker sehr schnell miteinander zum Klingen zu bringen. Ich denke, das ist meine Hauptqualität. Abgesehen davon fehlt es nicht an jungen Könnern, die mir auf ihrem Instrument weit voraus sind. Ihre letzten CD-Einspielungen «Let’s Swing» und «Best of Swing» waren so etwas wie Herzensangelegenheiten. Welches musikalische Bekenntnis haben Sie sich mit bald 66 Jahren noch aufgespart? Ja, das waren Herzensangelegenheiten, wobei der CD-Markt weitgehend bedeutungslos geworden ist. Ohne Tournee-Auftritte lassen sich kaum mehr Tonträger verkaufen. Aber den einen oder anderen Traum möchte ich schon noch ausleben können. Verlockend ist etwa die Ballettmusik «Gate of Dreams» von Claus Ogerman, einem deutschen Komponisten und Arrangeur, der in Brasilien lebt. Das ist fantastische Musik. Vor allem aber ist es für die Rentnerbank vorerst noch zu früh. Das wäre eine Strafe für mich. ■

Dieser Artikel ist in den Zeitschriften «Leben & Glauben» und «Sonntag», Heft 06/2012 erschienen. © CAT Medien AG 2011, alle Rechte vorbehalten.

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