Funktionsverbgefüge im Deutschen: eine Frage des Stils oder doch

January 15, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
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Gemma Paredes Suárez C/ Fray Rosendo Salvado 12, 3°A 15701 Santiago de Compostela E-mail: [email protected]

FUNKTIONSVERBGEFÜGE IM DEUTSCHEN: EINE FRAGE DES STILS ODER DOCH ETWAS MEHR? GEMMA PAREDES SUÁREZ Universidad de Santiago de Compostela

ABSTRACT: Die Funktionsverbgefüge der deutschen Sprache, die bereits seit Ende des 19. Jh. im Mittelpunkt heftiger Kritik von Sprachplege und Sprachkritik standen, waren lange Zeit von der semantischen und syntaktischen Beschreibung der germanistischen Sprachwissenschaft ausgeschlossen. Erst in den 60er Jahren begann man damit, diese tendentielle Entwicklung zum Substantivstil, die sich vor allem in akademischen, amtssprachlichen und technischen Textsorten bemerkbar machte, linguistisch zu analysieren. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand einer detaillierten linguistischen Analyse die Charakteristika der Funktionsverbgefüge bzw. ihrer Komponenten aufzuzeigen, um diese im darauffolgenden Kapitel als Grundlage für die semantische und syntaktische Herausarbeitung der Leistungen innerhalb der von mir ausgewählten sprachwissenschaftlichen Bereiche benutzen zu können. Es wird sich herausstellen, dass es sich bei den Funktionsverbgefügen um eine heterogene Gruppe handelt, die als Teilsystem im Zwischenbereich zwischen Syntax, Semantik, Wortbildung und Phraseologie einzuordnen ist. PARAULES CLAU: ???????????????????

1. DIE BEURTEILUNG DER FVG AUS DER PERSPEKTIVE DER SPRACHKRITIK

Die Funktionsverbgefüge1 im Deutschen sind erst relativ spät in den Blickpunkt syntaktischer und semantischer Untersuchungen getreten. Der Grund für die späte Aufdeckung liegt in der Abwertung dieser Nominalgruppen, die bis in die 60er Jahre fast ausschließlich unter stilistischem Aspekt betrachtet und als negativ bewertet wurden. Zahlreiche Benennungen wie "Substantivitis" (cf. Rothkegel 1968:7), "Hauptwörterseuche", "Sprachbeulen", "Papieridiome" oder "Bürokratenwort" (cf. von Polenz 1964:17) legen ein Zeugnis davon ab. Wie bereits an diesen kritischen und negativen Bezeichnungen erkennbar ist, befasste man sich weniger mit den Substantiv-Verb-Konstruktionen an sich als mit dem zunehmenden Gebrauch des Nominalstils im Allgemeinen. Dieser verbreitete sich vor allem in fachsprachlichen Texten, in denen sich die Informationskomprimierung mit Hilfe des Substantivstils zu einem schon fast inhärenten Charakteristikum derselben entwickelt hat. Meine Frage ist, ob die negative Beurteilung der Funktionsverbgefüge aus der Sicht der Sprachpflege

und

der

Sprachkritik,

den

Wissenschaften

also,

die

sich

mit

"Modeerscheinungen", "Sprachverderb", "Entartung", etc. (cf. von Polenz 1963a:7) beschäftigen, gerechtfertigt ist, oder ob es nicht doch notwendig ist, die Charakteristika der

FVG aufzuzeigen und sie anschließend als Grundlage für die Herausarbeitung der Leistungen zu verwenden. Denn bereits bei der Beschreibung werden wir merken, dass die FVG nicht nur Stilvarianten einfacher Verben sind, sondern sogar unersetzbare und notwendige Bestandteile der deutschen Sprache. Die häufige Verwendung von Funktionsverbgefügen lässt sich vor allem dadurch erklären, dass immer mehr Vorgänge in der Alltagssprache in substantivischer Form bezeichnet werden und so dem Verb nur noch seine funktionelle Seite überlassen bleibt. Der Substantivstil fordert also nicht etwa spezifische Verben zum Ausdruck eines Vorgangs, eines Zustands, einer Tätigkeit, etc., sondern eine relativ geringe Anzahl an praktischen Funktionsverben, die im Stande sind, in Verbindung mit einem Nomen actionis den Verbalausdruck zu bilden. Nun erscheint diese Nominalfügung, wenn der syntaktische und der semantische Gesichtspunkt nicht berücksichtigt werden, als simple Stilvariante, deren Beurteilung sicher ganz unterschiedlich sein kann. In vielen Texten (literarische und philosophische z.B.) werden die Simplexverben den Nominalfügungen vorgezogen. Rhetoriklehrbücher dagegen fordern gerade den Gebrauch von FVG. Auf Grund dieser unterschiedlichen Auffassungen erschien es Sprachwissenschaftlern wie Peter von Polenz (1963, 1964, 1987), Karl-Heinz Daniels (1963), Herbert Kolb (1962; 1965/66), Hans-Jürgen Heringer (1968), etc.2 wichtig, die Substantiv-Verb-Verbindungen genauer zu analysieren, da sie immer wieder und gerade von gebildeten Schreibern in vorwiegend wissenschaftlichen Texten verwendet wurden. Funktionsverbgefüge sollten nunmehr nicht nur als stilistische Varianten einfacher Verben

angesehen

werden,

sondern

als

ein

Konstrukt,

das

wesentliche

Bedeutungsunterschiede auszudrücken vermag. Unter diesem neuen Gesichtspunkt wurden die Gefüge auf ein konkretes Ziel hin untersucht: die syntaktische und semantische Analyse der Funktionsverben und Funktionsverbgefüge zur Aufstellung ihrer Kriterien, Leistungen und Funktionen.

2. DIE CHARAKTERISTIKA

DER

FVG

UND IHRE

ABGRENZUNG

ZU ANDEREN

SUBSTANTIV-

VERB-KONSTRUKTIONEN

Die semantischen und syntaktischen Merkmale der Funktionsverbgefüge sind in der umfangreichen Literatur zu diesem Thema bereits ausführlich behandelt worden. Ich möchte sie dennoch kurz nach eigenen Gesichtspunkten zusammengefasst und angeordnet aufführen,

da sie als Grundlage für die anschließende Betrachtung der Leistungen dienen. Mit der von mir getroffenen Auswahl der Kriterien soll keineswegs Vollständigkeit angestrebt werden; es wird lediglich versucht, eine Reihe von Merkmalen systematisch zu gliedern, um die Charakteristika der Funktionsverbgefüge zu verdeutlichen und dabei gleichzeitig die Abgrenzung dieser Verbindungen gegenüber syntaktisch gleichen Konstruktionen, wie die Nominalisierungsverbgefüge des Typs "einen Besuch abstatten" oder phraseologischen Einheiten wie "zur Strecke bringen", aufzuzeigen.

2.1. Semantische Merkmale

Die folgende Beschreibung der semantischen Merkmale geht von der Bedeutung der Funktionsverbgefüge als Ganzheit über die Beschreibung des Substantivs und des Verbs bis hin zu der in den meisten FVG auftretenden Präposition.3 1. FVG bilden eine semantische Einheit, deren Hauptbedeutung im Substantiv liegt. 2. Das Substantiv im FVG ist ein Nomen actionis und bezeichnet satzsemantisch ein Prädikat, das eine Handlung, eine Tätigkeit, einen Vorgang, ein Ereignis oder einen Zustand ausdrückt. Es ist referenzlos und bildet den prädikativen Kern des Gefüges. Die Referenzlosigkeit des Nomens ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Gefügen wie "zu Papier bringen" oder "zur Stelle sein", in denen das Substantiv keinen deverbativen oder deadjektivalen Charakter hat, sondern ein einfaches konkretes Nomen darstellt. 3. Das Verb, oder Funktionsverb, hat im Gegensatz zum Nomen actionis seinen semantischen Gehalt weitgehend eingebüßt und ist somit dem entsprechenden Vollverb semantisch entfremdet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es nur Träger der verbalen Kategorien Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus verbi ist; es leistet außerdem einen bestimmten Beitrag zur prädikativen Gesamtbedeutung aller FVG. Denn als Träger von semantischen Funktionen sehr allgemeiner Art, wie sie sich etwa in der Bedeutung des Zustands, der Zustandsveränderung und des Bewirkens einer Zustandsveränderung ausdrücken, ist es in der Lage, unterschiedliche Aktionsarten semantisch zu differenzieren. Auch dies ist ein wichtiges Kriterium, das in anderen Nomen-Verb-Konstruktionen nicht erkennbar ist. Die Gegenüberstellung zweier Beispiele, d. h. eines FVG und einer phraseologischen Einheit, zeigt dies sehr deutlich: das FVG zur Einsicht bringen kann umschrieben werden mit "x bewirkt, dass y einsichtig wird", der Ausdruck zu Papier bringen dagegen bedeutet lediglich "schreiben". Bei der idiomatischen Wendung liegt zwischen dem

Verb bringen und dem Substantiv Papier kein Zusammenhang vor, den man mit Hilfe einer aktionellen Relation bezeichnen könnte. 4. Der semantische Gehalt der Präposition ist ebenfalls stark reduziert. Sie hat nur noch eine kasusartige Funktion, da die ursprüngliche räumliche Bedeutung bei der Verbindung mit dem abstrakten Nomen eingebüßt worden ist.

2.2. Syntaktische Merkmale

Parallel zu den semantischen Merkmalen können auch im Bereich der Syntax charakteristische Besonderheiten der Funktionsverbgefüge erkannt werden. 1. Funktionsverbgefüge sind komplexe Prädikatsausdrücke, die obligatorisch aus einem Nomen actionis und einem Funktionsverb bestehen und eine Satzklammer bilden. In den meisten Fällen tritt zum Substantiv ein Fügemittel, eine Präposition, hinzu. 2. Das Gefüge kann oft durch ein entsprechendes Vollverb ersetzt werden. 3. Vor allem die FV aber auch die Substantive stehen in deutlich erkennbaren Kommutationsreihen (in Bewegung bringen / kommen / sein / bleiben / halten bzw. zur Sprache / zu Besinnung / zur Aufführung kommen). Bei phraseologischen Einheiten wie "zu Papier bringen" ist dies nicht möglich. Ausdrücke wie *zum Blatt oder zur Schrift bringen oder *zu Papier schicken oder machen ergeben keinen Sinn und müssen als falsch angesehen werden. 4. Der Hauptvalenzträger im Funktionsverbgefüge ist das Substantiv, während das FV seine ursprüngliche Valenz verliert. Dies zeigen die sowohl qualitativen (in Bezug auf die grammatische Form oder die semantischen Merkmale) als auch quantitativen (hinsichtlich der Anzahl der Leerstellen) Abweichungen, die die Valenz des Funktionsverbgefüges gegenüber der der Funktionsverben präsentiert.4 5. Das Nomen actionis steht meist im Singular, ist referenzlos und kann demnach weder anaphorisiert noch unmittelbar erfragt werden. Ihm fehlt meist der Artikel, oder dieser ist mit der Präposition verschmolzen. Ebenso ist die Erweiterung des Substantivs durch adjektivische Attribute oder einen attributiven Relativsatz sehr eingeschränkt, sowie auch die gewöhnliche Negation eines Nomens durch "kein". Funktionsverbgefüge werden meist als Ganzes mit "nicht" negiert.

3. DIE LEISTUNGEN DER FVG INNERHALB EINIGER LINGUISTISCHER GEBIETE

Mit Hilfe der aufgezeigten Kriterien können, wie zu Beginn dieser Arbeit angedeutet worden ist, die semantischen und syntaktischen Leistungen der FVG aufgestellt werden. Sie sollen im Folgenden innerhalb der von mir ausgewählten Bereiche Stilistik, Semantik, Syntax und Textlinguistik herausgearbeitet werden (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben), um auf diese Weise und mit Hinzunahme von konkreten Beispielen die Signifikanz der Funktionsverbgefüge für die deutsche Sprache aufzeigen zu können.

3.1. Stilistik

Eine erste Leistung der FVG ist zweifellos die stilistische. Gelegentlich begegnet man Texten, in denen Gefüge aus stilistischen Gründen mit ihren verbalen Entsprechungen wechseln (cf. G. Starke 1975:158). Diese Verwendung lässt sich vor allem in solchen Texten finden,

in

denen

ein

bestimmter

Sachverhalt

oder

bestimmte

Prozesse

in

überdurchschnittlichem Maße auftreten. Ein Beispiel aus dem BGB, der Paragraph 244, zeigt ein typisches Satzgefüge bestehend aus einem Bedingungssatz und einem sich anschließenden Folgesatz, in denen das Prädikat wiederholt wird. Ist eine in ausländischer Währung ausgedrückte Geldschuld im Inlande zu zahlen, so kann die Zahlung in Reichswährung erfolgen. Die Konstruktion aus Nomen actionis und Funktionsverb in diesem konkreten Gebrauch hat lediglich die stilistische Funktion, das bereits genannte einfache Vollverb im darauffolgenden Satz zu ersetzen, so dass eine wörtliche Wiederholung vermieden wird und ein Ausdruckswechsel erfolgt. Die stilisitischen Leistungen der Funktionsverbgefüge dürfen keineswegs unterschätzt oder minder gewertet werden, da sie auf Grund ihrer Kombinationsmöglichkeiten die Fähigkeit "vielfältiger Differenzierung in Stilschichten und Stilfärbungen" (cf. G. Starke 1975:159) besitzen und somit sehr bedeutend für die Variation des sprachlichen Ausdrucks sind.

3.2. Semantik

Auch innerhalb der Semantik werden die Leistungen der Funktionsverbgefüge deutlich. Sie sind nämlich in der Lage, Mängel und Lücken im Verbalsystem des Deutschen auszugleichen, wie die Gegenüberstellung von einfachem Verb und nominaler Umschreibung

zeigt (vgl. Daniels 1963:32; Persson 1981:28; Günther / Pape 1976:120). So ist zwar eins der wichtigsten Merkmale der Funktionsverbgefüge, dass sie durch ein äquivalentes Vollverb ersetzt werden können, aber die folgenden Beispiele zeigen, dass sie oft genau dann gebraucht werden, wenn die verbale Entsprechung fehlt. in Betrieb nehmen

(*betreiben)

zur Sprache bringen (*sprechen) in Rechnung stellen

(*rechnen)

Das deverbative Substantiv hat in diesen Beispielen nicht mehr die Bedeutung des zugrunde liegenden Verbs, sondern eine feste, eigene Bedeutung. Demzufolge kann in diesen Fällen keinesfalls, wie es früher von der Sprachkritik getan worden ist, von Verbaufspaltung (vgl. von Polenz 1963) oder Streckform des Verbs (cf. Schmidt 1968; Tuchel 1982:5) gesprochen werden, da diese Funktionsverbgefüge selbständig und nicht austauschbar sind. Demzufolge sind in der deutschen Sprache anhand analytischer Wortbildungsmethoden Nomina-Verb-Konstrukte entstanden, die durch die neue, inhärente Bedeutung eine "Lücke im grammatischen System" (cf. von Polenz 1963b:200) zu schließen vermögen. Neben dieser Neuschöpfung von Prädikaten weisen die FVG aber eine zweite semantische Leistung auf, die sich auf die Bedeutungsmodifikation des Prädikatsausdrucks auf Grund kleiner Wechsel innerhalb der Gefüge bezieht. Die Rede ist von der Funktion der aktionellen Abstufung, von der Fähigkeit also, die Anfangsphase, die Endphase, das plötzliche Einsetzen, das langsame, allmähliche Beginnen eines Vorgangs, das unabsichtliche Beginnen und Fortführen einer Tätigkeit, etc. zu betonen (vgl. I. Starke 1989:80). Die Funktionsverben reduzieren ihre Bedeutung auf generelle semantische Merkmale, wie kausativ, inchoativ und durativ, und gewinnen dadurch eine neue Qualität, die ihre spezifische Leistung ausmacht und die freie Verbindbarkeit mit Nomina actionis zulässt. Die folgenden Beispiele sollen diese Eigenschaften der Markierung der Kausativität und der Aktionsartdifferenzierung der FVG widerspiegeln. In dem Satz Der Frieden brachte alles in Ordnung wird das Prädikat P, das einen Zustand ausdrückt, durch das Nomen actionis Ordnung realisiert, während das FV bringen das Kausativ-Prädikat "Bewirken" bezeichnet. Die Grundstruktur des Satzes ist demzufolge: "x bewirkt, dass es dazu kommt, dass y P tut oder dass ein Zustand P eintritt", wobei x und y nicht identisch sind (vgl. von Polenz 1987). Funktionsverben wie bringen, setzen, versetzen, stellen, geben oder ziehen sind im Stande solche "analytischen Kausativbildungen" (cf. G. Starke 1975:158) zu formen und damit gleichzeitig einem empfindlichen Mangel der verbalen Wortbildung abzuhelfen, da in

diesen Fällen kein entsprechendes Vollverb vorhanden ist, sondern auf umständliche Umschreibungen zurückgegriffen werden müsste: anstelle des FVG zum Stillstand bringen stünde zum Beispiel veranlassen, dass etwas stillsteht, statt in Bewegung setzen würden wir auf periphrastische Ausdrücke des Typs machen, dass sich etwas bewegt zurückgreifen müssen. Neben der Fähigkeit, kausative Prädikate auszudrücken, ist ein FVG aber auch in der Lage, den Beginn oder das Zustandekommen einer Handlung, einer Tätigkeit, etc. zu bezeichnen. Es handelt sich hierbei um die nach der entsprechenden Aktionsart benannten Inchoativ-FVG, die dann entstehen, wenn man die Kausativ-Komponente x bewirkt, dass ... streicht. Die Grundstruktur, die somit übrig bleibt, lautet: "es kommt dazu, dass y eintrifft". Beispiele für die Funktionsverbgefüge dieser Gruppe mit den entsprechenden FV kommen, geraten, gelangen, gehen oder treten sind zum Beispiel in Bedrängnis kommen, in Vergessenheit geraten, zu Ansehen gelangen, in Druck gehen oder in Erscheinung treten. Wird schließlich von den Inchoativ-FVG wiederum die Aktionsart weggestrichen, so bleibt lediglich die Dauer des Prädikats übrig, die bereits in der durativen Bedeutung des Nomen actionis enthalten ist. Die Funktionsverben sein, sich befinden, bleiben, stehen, haben oder liegen liefern keine eigene Zusatzbedeutung zum Gefüge und fungieren demnach nur als Verstärkung der durativen Aktionsart in Opposition zu entsprechenden Kausativ- bzw. Inchoativ-FVG (in Abhängigkeit bringen / geraten / sein). Sie lassen sich auch auf Grund des möglichen synonymen Ersatzes durch das einfache Vollverb oder Adjektiv (die Ausdrücke abhängig sein und sich bewegen sind gleichbedeutend) von den anderen beiden Klassen unterscheiden. I. Starke (1989:85) spricht bezüglich der durativen FVG von Funktionsverben mit statischem Charakter, die sich sowohl mit Nomina, die einen Zustand bezeichnen, verbinden können, z.B. im Besitz haben, als auch mit solchen, die einen Prozess ausdrücken, z.B. im Sterben liegen. Betrachtet man nun die verschiedenen Realisierungen der kausativen, inchoativen und durativen Funktionsverbgefüge, so fällt auf, dass trotz der syntaktisch gleichen Strukturen einige eine aktivische, andere eine passivische Bedeutung haben können, z.B.: x bringt y in Verlegenheit = x bewirkt, dass y verlegen ist x bringt y zur Abstimmung = x bewirkt, dass über y abgestimmt wird Wären alle FVG so konstruiert, dass das FV immer eine Aktionsart festlegt und dass die Gefüge als Ganzes aktivisch oder passivisch umschrieben werden können, dann bedürfte dieses Thema keiner näheren Betrachtung mehr. Es gibt allerdings einen speziellen Typ von Funktionsverbgefügen, der weder kausativ, noch inchoativ oder durativ ist, sondern nur

Passivität ausdrückt. Gemeint sind hiermit solche Ausdrücke wie Anerkennung finden oder eine Veränderung erfahren. Die Verben finden und erfahren drücken, wenn sie als Vollverben gebraucht werden, ein Tun aus (ich finde meine Schlüssel und ich erfahre eine Neuigkeit). Wenn allerdings jemand Anerkennung findet, so geht die Handlung des Anerkennens nicht von ihm aus, sondern wirkt auf ihn ein. "Es liegt somit die Vorgangsrichtung des Passivs vor" (cf. Kolb 1965/66:174). Der Unterschied zwischen den FVG und dem normalen Passivausdruck liegt lediglich im zweiten Teil des Konstrukts, der beim normalen Passiv ein Partizip II sein muss, während das FV ein Nomen actionis fordert. Der Gebrauch dieser passivischen Funktionsverbgefüge tritt vor allem in wissenschaftlichen Texten zum Vorschein, in denen zum einen häufig Kräfte auf ein Subjekt einwirken und zum anderen die Begrifflichkeit, die Nominalisierung also, ein wesentliches Merkmal der Fachsprache darstellt. Bei einer semantischen Analyse der Leistungen und Funktionen sollte demnach nicht nur die Fähigkeit zur Aktionsartdifferenzierung berücksichtigt werden, sondern auch das Merkmal der FVG als Ersatzform eines gewöhnlichen Passivausdrucks. Eine letzte semantische Leistung, die unter diesem Kapitel noch genannt werden sollte, ist die der Vergröerung des Funktionsbereiches durch die "Inhaltsentleerung der Verben" (cf. Stötzel 1965:23). Diese sind als FV wie bringen, kommen, finden, tun, geben, etc. in der Lage, sich mit einer viel gröeren Anzahl von Substantiven zu verbinden als die inhaltlich eindeutigeren Vollverben, die bestimmten semantischen Restriktionen bezüglich der obligatorischen Argumente unterliegen. Diese freie Verbindbarkeit, die als sprachökonomischer Vorgang im Verbalbereich zu verstehen ist (vgl. Günther / Pape 1976; Dyhr 1981), wirkt sich allerdings nicht nur auf den Bereich der Semantik aus, sondern auch auf den der Syntax, da sie auch auf die Valenz des Funktionsverbs und des Funktionsverbgefüges im Ganzen Einfluss nimmt.

3.3. Syntax

Es ist bereits bei der Beschreibung der syntaktischen Merkmale gesagt worden, dass der Hauptvalenzträger im FVG das Nomen bzw. das zugrunde liegende Basisverb ist. Das stimmt zunächst einmal sicherlich für die semantische Valenz, wenn man bedenkt, dass die Hauptbedeutung des Gefüges vom Nomen actionis ausgeht. Bezüglich der syntaktischen Fügungspotenz muss allerdings berücksichtigt werden, dass der Stellenplan des Satzes

eigentlich vom Funktionsverb festgelegt wird (cf. Abramov 1978:3; Sommerfeldt 1980). Es können nur die Ergänzungen auftreten, die auch in der Valenz des Funktionsverbs enthalten sind. Die Unterschiede ergeben sich aber hinsichtlich des Status der Leerstellen, ob sie also im FVG obligatorisch oder fakultativ gebraucht werden. Das hat vor allem damit etwas zu tun, dass eine syntaktische Leerstelle bereits vom Nomen actionis besetzt wird, dem allerdings auf der semantischen Ebene kein Argument entspricht. Es herrscht demzufolge keine 1:1 Beziehung zwischen der syntaktischen Oberflächenstruktur und der semantischen Tiefenstruktur (vgl. Lehmann 1983). Anhand eines Beispiels soll diese Relation einmal vor Augen geführt werden. In dem Satz Das Thema steht zur Diskussion stellt das Thema syntaktisch gesehen das Subjekt oder die Nominativergänzung dar und semantisch das Patiens. Der Präpositionalausdruck zur Diskussion dagegen besetzt zwar eine obligatorische Leerstelle (der Satz wäre ohne die Ergänzung grammatisch falsch), aber weist keine semantische Relation des Typs Agens, Patiens, Adressat, etc. auf. Diese Tatsache ermöglicht es dem FVG, zum einen semantische Argumente zu reduzieren und damit konkrete zu spezifizieren, und zum anderen auch die syntaktische Valenz zu verändern, denn wichtige Ergänzungen können zum Beispiel in die Subjektposition rücken und somit besonders thematisiert werden. Statt zu sagen Man muss das Thema diskutieren heit es Das Thema steht zur Diskussion.6 Die "Entpersönlichung" (cf. Yuan 1982:8) in diesen Konstruktionen ist unschwer zu erkennen: die Sache bzw. der Vorgang tritt in den Vordergrund, indem sie von ihrer Funktion als Objektergänzung zu der des Subjekts übergeht. Dabei wird der Stellenplan des Verbs um eine Leerstelle reduziert, was vor allem für bestimmte Textsorten von groer Wichtigkeit ist, in denen die Thematisierung von Begriffen, die Versachlichung der Sprache also, ein typisches Charakteristikum ist.

3.4. Textlinguistik

Zahlreiche Corpus-Sammlungen einzelner Sprachwissenschaftler innerhalb der letzten dreißig Jahren haben bewiesen, dass Funktionsverbgefüge gerne in der "Gebrauchsprosa" (cf. von Polenz 1963:11), vor allem in offiziellen Erklärungen, in der Presse und in Fachtexten (akademische, amtssprachliche und technische Textsorten) gebraucht werden, also in genau den Texten, die "durch Funktionalität geprägt sind" (cf. Götze 1973:58). Das ist für die Textlinguistik natürlich ein sehr wichtiger Befund, da die Funktionsverbgefüge genauso wie

verschachtelte Satzgefüge, komplizierte Partizipialkonstruktionen oder einfach nur bestimmte Anredeformeln als typische Merkmale bestimmter Textsorten analysiert werden. Den bisher angesprochenen Leistungen möchte ich als letzte textlinguistische Funktion die "satzintonatorisch hervorgehobene Endstellung des inhalttragenden Substantivs" (cf. Daniels 1963:93) im Aussagesatz hinzufügen. Es ist von der Thema-Rhema-Struktur her bekannt, dass wichtige Satzglieder bzw. die vom Sprecher für wichtig gehaltenen und demnach auch besonders betonten Satzglieder dazu tendieren, so weit rechts wie möglich, also hinten im Satz, zu stehen. Durch die charakteristische Struktur der FVG, die an ein trennbares Verb erinnert, gelingt es dem Sprecher oder Schreiber, das Rhema zu betonen, ohne dafür auf umständliche oder der normalen Satzfolge entgegenlaufenden Anordnungen der Satzglieder zurückgreifen zu müssen. Wie das folgende Beispiel Morgen bringt er endlich im Betriebsrat seine Besorgnisse zum Ausdruck veranschaulicht, können zwischen das Funktionsverb und das dazugehörige Substantiv mehrere Ergänzungen oder Angaben treten. Die Hauptintonation liegt weiterhin auf dem Nomen actionis, das im Hauptsatz immer am Ende steht, und im Gliedsatz dementsprechend unmittelbar vor dem Finitum.

4. FAZIT

Wie bereits die anzweifelnde Fragestellung im Titel dieser Arbeit angezeigt hat, sollte anhand meines Beitrages gezeigt werden, dass Funktionsverbgefüge durchaus mehr als nur stilistische Varianten eines einfachen Prädikats, eines Vollverbs, darstellen und deshalb als "Teilsystem

im

Zwischenbereich

zwischen

Syntax,

Semantik,

Wortbildung

und

Phraseologie" (cf. von Polenz 1987:169) einzuordnen sind. Sowohl die semantischen und syntaktischen Merkmale als auch die im Anschluss daran aufgezeigten Leistungen der FVG haben das, denke ich, bewiesen.

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6. ANMERKUNGEN

1. Der Begriff wurde zum ersten Mal 1968 von Bernhard Engelen geprägt. 2. Die konkreten bibliographischen Angaben können der Literaturliste entnommen werden. 3. Ich folge in meinen Ausführungen den von Helbig (1979) und Helbig / Buscha (1994) aufgestellten Charakteristika zum Wesen der Funktionsverbgefüge. 4. Bei kausativen Gefügen wird die Valenz des dem Nomen actionis zugrunde liegenden Verbs um eine Stelle erhöht, wie z. B. bei abschließen (die Rede schließt mit diesen Worten ab) und dem entsprechenden Funktionsverbgefüge zum Abschluss bringen (er brachte seine Rede mit diesen Worten zum Abschluss). 5. Bezüglich dieses Kriteriums können eine Reihe von Ausnahmen angeführt werden, die diesen Punkt in seinem Geltungsbereich erheblich einschränkt. Helbig / Buscha (1994:95) unterscheiden deshalb zwischen lexikalisierten und nicht-lexikalisierten FVG und beschränken dieses letzte Kriterium auf die erste Gruppe (meist mit Präposition). 6. Die Umkehrung dieses Verfahrens ist natürlich auch möglich, wie anhand der kausativen Funktionsverbgefüge, bei denen die Valenz um eine Stelle erhöht wird, deutlich wird.

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