Handout - Edith Schlag

January 18, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
Share Embed Donate


Short Description

Download Handout - Edith Schlag...

Description

2. Handout zum NRW Fortbildungstag September 05 in Neuss Grammatische Minimalpaare – Neue Wege in der Therapie der Grammatikerwerbsstörung Inhalt: A. Was ist ein Minimalpaar? B. Welche Informationen können grammatische Minimalpaare liefern? C. Linguistische Grundlagen einer Auswahl therapierelevanter Kontraste mit praktischen Beispielen D. Hierarchie und Erwerbsalter E. Leitlinien zur Therapie mit Minimalpaaren F. Videobeispiele A. Was ist ein minimaler sprachlicher Kontrast?  phonologisch: Hose – Rose  Information im phonologischen Kontrast: Bedeutungsunterscheidung o Bedeutungsunterscheidung o ermöglicht Abgrenzen zweier Wortformen voneinander o zwei Konzepte – eine Form: Beitrag zum Wortverständnis

B. Welche Informationen können grammatische Minimalpaare liefern?  6 verschiedene Informationen 1. Information ‚Bedeutungsunterscheidung’ bedeutungstragender Elemente o Verständnis für bedeutungstragende, grammatische Merkmale entwickeln o zwei Konzepte - eine Form o die Entscheidung für ein Konzept anhand einer Struktur unterstützt das Verstehen o Bsp: Der Frosch springt in der Schüssel Der Frosch springt in die Schüssel

2. Information Geltungsbereich o spezifische Auswahl von Minimalpaaren stellt zwischen zwei Strukturen eine Beziehung her o in solchen Beziehungen steckt erwerbsauslösende Information o z.B. Abstecken des Geltungsbereichs Finitheit (= ‘Gebeugtheit’ des Verbs) o Bsp: Karotten kochen Du kochst Karotten 3. ‚Wenn-Dann’-Information o Auswahl des Kontrasts zeigt syntaktische Verteilung an, hier: Verb in Haupt- und Nebensatz

Bsp. Minimalpaar: Opa fährt schnell, weil Timo schnell fährt. Opa fährt schnell und Timo fährt schnell. 4. Information Form o Minimalpaare zum Speichern von Formen o Bsp.

a)

Singular – Plural:

Loch – Löcher b)

Präsens – Perfekt

schmelzen – geschmolzen 5. Information Erweiterung o Minimalpaare zur Erweiterungsmöglichkeit o Bsp. Elemente neben dem Verb Sonja singt. Sonja singt laut. 6. Information Prosodie o Hinweis auf syntaktische Verteilung von Elementen o Bsp. Verkürzungen wie ‘kaufste’, ‘holste’ als Variante Du kaufst Blumen. Wo kaufste Blumen? o Verkürzungen sind nur an bestimmten Positionen möglich o liefert Hinweis auf Felder vor und hinter dem Verb o bedeutsam für das Wahrnehmen der Verbzweitstellung

Vorteil der Arbeit mit Minimalpaaren:  rezeptives Vorgehen  mehr Zeit Struktur wahrzunehmen

C. Linguistische Grundlagen und Auswahl therapierelevanter Kontraste: 1. Argumentstruktur 2. V2  Finitheit und Subjekteinsetzung  Fragesätze mit Fragepronomen  Topikalisierung von Objekten  Haupt- und Nebensätze  Modalverb- vs. Vollverbkonstruktionen

3. 4. 5. 6. 7.

Subjekt-Verb-Kongruenz Nominalphrase Kasus Plural Partizip Perfekt

1. Argumentstruktur Theoretische Grundlage: Verb bestimmt ‘Teilnehmer’ des Satzes z.B. Subjekt, Objekt, Adjektiv, Präpostionalphrase Es regnet. Sonja kocht. Timo fährt schnell. Mama malt Blumen. Opa schläft im Bett. Manche Kinder können den Satz nicht mit den entsprechenden Elementen auffüllen (Kauschke, Siegmüller, 2003) Besondere Variante: zur Subjektverwendung: Einsatz des Expletivs ‘es’ Bedeutungsleere offenbart grammatische Funktion lexikalisch leeres Element = grammatisch notwendig Bsp. es regnet es klopft ‘es’ ist nicht lexikalisch gefüllt 2. V2 durch: I. Finitheit und Subjekteinsetzung Theoretische Grundlage: Extended Optional Infinitive Stage (Rice, Wexler, Cleave, 1995; Rice, Noll, Grimm, 1997) a) Verstehen, daß Verben gebeugt sein müssen b) Verstehen des syntaktischen Vorkommens von gebeugten Verben: Verbzweitstellung c) gebeugte Verben kommen im Deutschen mit Subjekten vor Bsp. aus der typischen Kindersprache: Du Musik hören (selten: Du Musik hörst) Bsp. aus der verzögerten Kindersprache:

Du Musik hören Du Musik hörst Bsp. Minimalpaar: Kontrast zwischen legalem Infinitiv und Finitheit mit Subjekteinsetzung:

Du

Musik hörst

hören Musik

II. Fragesätze mit Fragepronomen Theoretische Grundlage: Verstehen des so genannten Satzvorfeldes Peter geht Morgen geht In die Schule geht Wohin geht

morgen in die Schule. Peter in die Schule. Peter morgen. Peter morgen?

Begreifen, daß es das Feld vor dem Verb gibt, um die Verbzweitstellung verwenden zu können. (Penner, 1998) Verstehen dieses Feldes gelingt am besten mit Fragepronomen Bsp. für Minimalpaar: Er kauft Äpfel Wo kauft er Äpfel? Variante mit prosodischer Information: Du kaufst Wo kaufs -te

Äpfel. Äpfel?

III. Topikalisierung von Objekten Theoretische Grundlage: Verstehen des Satzvorfeldes kann auch durch Objekte bewirkt werden Peter kauft eine Banane. Eine Banane kauft Peter. Bsp. für minimales Paar: Du Den Ball

malst den Ball. malst Du.

IV. Haupt- und Nebensätze: Theoretische Grundlage: Hauptsatz liefert wechselnde Information: Martin fährt morgen Morgen fährt Martin Nach Italien fährt Martin

nach Italien. nach Italien. morgen.

Nebensatz liefert konstante Information weil Martin morgen nach Italien fährt. daß Martin morgen nach Italien fährt. Kindersprache: Martin morgen nach Italien fährt.

Deutsch ist eine Verbendsprache. Nebensatz = regulär Hauptsatz = irregulär Kinder erwerben erst die konstante, eindeutige, reguläre Struktur später die wechselnde, weniger konstante, irreguläre Struktur Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen haben Schwierigkeiten mit der irregulären Satzstruktur (Hauptsatz) Bedeutung für die Therapie: kontrastierende Information macht den Positionsunterschied in Haupt- und Nebensatz deutlich Bsp.: Peter fährt Auto, weil er nicht zu spät kommen will. Besser zugänglich ist die Information, wenn das Verb gleich bleibt: Bsp. Papa spielt Ball, wo Timo Ball spielt. Papa spielt Ball und Timo spielt Ball.

V. Modalverb- vs. Vollverbkonstruktion Theoretische/empirische Grundlage: statt dem Vollverb kleine Auswahl an wiederkehrenden Modalen an zweiter Stelle im Hauptsatz (Siegmueller, 2003) Theoretische/empirische Grundlage:

statt dem Vollverb kleine Auswahl an wiederkehrenden Modalen an zweiter Stelle im Hauptsatz (Siegmüller, 2003) Vollverb ungebeugt am Ende des Satzes = Symptom des späteren Dysgrammatismus Bsp.

Ich will/kann/muss nach Hause gehen

anstatt

Ich gehe nach Hause

Bsp. Minimalpaar: Er kann schneiden. Er kann nicht schneiden. Er schneidet.

3. Subjekt-Verb-Kongruenz Theoretische Grundlage: Kongruenzmechanismen sind nicht intakt (Clahsen,1989) entgegen früheren Annahmen: Erwerb von Kongruenz ohne Konsequenzen für Syntax (Erwerb V2) (Penner u. Kölliker-Funk, 1998) daher: Angebot muss kein Objekt enthalten sinnvoll: Verwendung von Pronomen, da sie funktionelle Träger der grammatischen Information sind, die sich in der Verbflexion abbildet: z.B. Pronomen er = 3. Pers. Sing. Endung-t = 3. Pers. Sing. Minimalpaar Bsp.: er trink-t ich trink-e

4. Nominalphrase: Artikeleinsetzung Theoretische Grundlage: Oberflächenhypothese (Leonard, 1989) kurze, unbetonte Elemente werden ausgelassen Konsequenz für die Therapie normalerweise unbetonter Elemente: betonte Kontexte wählen Bsp. für Minimalpaar: der Junge das Junge außerdem zur Artikeleinsetzung: pränominaler Genitiv (Eisenbeiss, 2002): z.B. Sonjas Hut und ggf. Dativpossessiv (Penner, 1998)

z.B. Sonjas Hut, Papas Hose das ‘Genitiv –s’ und Dativposessive gelten als Auslöser der Artikelverwendung Sonja-s Hut = der Hut Sonja ihr Hut = der Hut Papa seine Tasse = die Tasse

5. Kasus Hierarchie der Kasustherapie: 1. Akkusativ nur männliche Markierung (nicht alle Genera betroffen) Bsp. der Junge malt den Ball nicht:

weiblich und sächlich: das Mädchen malt das Krokodil die Mutter malt die Rose

Bsp. Minimalpaar: Der Affe füttert den Affen. Der Affe füttert den Fisch. 2. Dativ vs. Akkusativ Kasustherapie Dativ vs. Akkusativ semantisch komplexer Unterschied zwischen zwei Objektmarkierungen im Unterschied zu Akkusativ: alle Genera betroffen: Bsp.

die Tante gibt das Mädchen

der Oma die Tasse gibt dem Pferd das Gras

der Onkel

dem Neffen den Lolli

gibt

Theoretische Grundlage: Präpositionalphrasen wirken bei der Entwicklung des Kasussytems erwerbserleichternd (Czepluch,1996, Schlag, 2000) Praktische Erfahrung: Einsicht in Konzept des Dativ und in die Form notwendig Genus bleibt in therapeutischen Schritten zumindest am Anfang gleich: Bsp. Der Junge schenkt dem Onkel den Drachen. nicht: Das Maedchen schenkt der Tante die Rose.

Auditive Differenzierung m/n bei ‘dem/den’ Problem reicht nicht aus Therapietechniken in folgender Reihenfolge: a) b) c) d)

Verständnisschritt für Konzept der Dativmarkierung Schritt mit Präpositionen zum Verstehen der Markierung Schritt mit Doppelobjektkonstruktion ‘dem – den’ Minimalpaar

a) Verständnisschritt für Konzept der Dativmarkierung Angebot auch ohne Kasusmarkierung zu verstehen Bsp: Die Tante schenkt der Oma die Decke. Der Onkel schenkt dem Jungen den Zug. Minimalpaar Beispiel: Das Mädchen Das Mädchen

gibt gibt

dem Pferd dem Pferd

das Wasser. das Heu.

b) Schritt mit Präpositionen zum Verstehen der Markierung Angebot mit direktivem Akkusativ im Kontrast zu statischem Dativ Ich lege den Schlüssel auf den Tisch > direktiv: Akkusativ Der Schlüssel liegt auf dem Tisch > statisch: Dativ führt zu Bedeutungsunterscheidung der Markierungen Minimalpaar Beispiel: Die Ente schwimmt in dem See. Die Ente schwimmt in den See.

c) Schritt mit Doppelobjektkonstruktion Angebot macht im Gegensatz zu a) nicht klar, welche Rolle Nomen einnimmt nur aufgrund von Markierung zu verstehen Bsp: der Affe der Affe dem Affen

schenkt schenkt schenkt

dem Pinguin den Esel den Pinguin dem Esel der Pinguin den Esel

Symbol für Schenkenden, für Beschenkten und für Geschenk werden verteilt In allen Genera und in folgender Reihenfolge:  Weiblich: die Ente schenkt der Eule die Ziege  Sächlich: das Krokodil schenkt dem Kamel das Nashorn  Männlich: der Igel schenkt dem Frosch den Vogel Im nächsten Schritt wird eine Minimalpaarvariante vorgelegt: Ziege = Schenkende (‘Lottogewinn’)

Ente/Eule = Objekte

d) ‘dem – den’ Minimalpaar: Auflegen der Symbole ‚Geburtstagskind’ und ‚Geschenk’; Unterscheiden lassen

6. Plural: Theoretischer Hintergrund: Produktiver und lexikalischer Plural (Clahsen, 1992; Pinker, 1999; Bartke, 1998) -s Markierung (Allzweck) wird produktiv vergeben z.B. Autos alle anderen Markierungen wie werden lexikalisch gespeichert Speicherung erfolgt im Lexikon aufgrund phonologischer Ähnlichkeit, in sog. assoziativen Gruppen: z.B.

-er-Endungen: -en-Endungen:

Felder, Kleider, Bretter Betten, Socken, Bananen

nur wenn die Speicherung fest erfolgt ist, wird die Allzweckmarkierung -s blockiert Lernaufgabe des Kindes: Überwinden der Allzweckmarkierung durch fest gespeicherte Einträge der Singular und Pluralformen Bedeutung für die Therapie: 1. Kontrast Einzahl – Mehrzahl z.B. Bett – Betten

2. Angebot von Endungen in Gruppen z.B. Betten – Socken – etc. 3. Kontrast zwischen Gruppen z.B. –en gegenüber endungslos Betten – etc. versus Kreisel – etc.

7. Perfekt: Theoretischer Hintergrund: produktives und lexikalisches Partizip (wie Plural) -t Markierung wird produktiv vergeben: gemal-t alle anderen Formen werden lexikalisch gespeichert Speicherung erfolgt wieder aufgrund phonologischer Ähnlichkeit, in sog. assoziativen Gruppen: z.B -ei -i: reiten - geritten (häufigste Ablautfolge) -i -u: singen - gesungen (zweithäufigste) auch hier gilt: nur wenn die Speicherung fest erfolgt ist, wird die Allzweckmarkierung -t blockiert Lernaufgabe des Kindes: Überwinden der Allzweckmarkierung durch fest gespeicherte Einträge der Partizipformen Bedeutung für die Therapie: Präsens – Partizip streichen – gestrichen

1.

Kontrast z.B.

2.

Angebot von Formen in Gruppen z.B. gestrichen – geritten – etc.

3.

Kontrast Gruppen z.B. gestrichen etc – gemolken etc.

D. Hierarchie und Erwerbsalter 1. V2 (ca. 2,5 bis 3,0) 2. Subjekt-Verb-Kongruenz (ca. 3,0) 3. Nominalphrase (ca. 2,5) 4. Kasus (Akkusativ ca. 3,0 Dativ bis 6,0) 5. Plural (ca. 2,5 bis 6,0) 6. Partizip Perfekt (ca. 2,5 bis 6,0)

E. Setting, Vorgehensweise und Häufigkeit des Angebots von Minimalpaaren 1. in erster Linie rezeptiv 2. sprachliches Angebot muss natürlich betont werden 3. Zielstruktur wird meist als erstes genannt, Ablenker als zweites 4. mehrmaliges Anbieten des gleichen Minimalpaares pro Durchgang möglich,anschliessend lexikalische Variation

5. Fehler in der Auswahl: korrekte Struktur wird gezeigt und benannt, das Paar weggenommen und im folgenden Schritt/Stunde wieder vorgelegt 6. pro Sitzung je nach Alter des Kindes zwischen 10 bis 20 Minuten 7. Kombination der Minimalpaare mit strukturiertem Freispiel (!); Kontraste können auf bestimmte Weise im Freispiel angeboten werden Literatur: Bartke, S. (1998): Experimentelle Studien zur Flexion und Wortbildung. Pluralmorphologie und lexikalische Komposition im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus. Max Niemeyer Verlag, Tübingen Clahsen, H. and Penke, M. (1992): The Acquisition of Agreement Morphology and its Syntactic Consequences: New evidence on German Child Language from the Simone Corpus. In: The Acquisition of Verb Placement: Functional Categories and V2 phenomena in Language Acquisition. Jürgen Meisel (ed.). Clahsen, H., Weyerts, H. (1994): Netzwerke und symbolische Regeln im Spracherwerb: Experimentelle Ergebnisse zur Entwicklung der Flexionsmorphologie. Linguistische Berichte 154: 430-460 Czepluch, H. (1996): Case Morphology and Case System in L1 Acquisition. In: Theoretical Linguistics and Grammatical Description. John Benjamins. Amsterdam Eisenbeiss, S. (2002): Merkmalsgesteuerter Grammatikerwerb. Eine Untersuchung zum Erwerb der Struktur und Flexion der Nominalphrase. Doktorarbeit an der Universität Düsseldorf Kauschke, C. und J. Siegmüller (2002): Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen. Urban und Fischer. München, Jena Leonard, L. , Mc Gregor, K. K. & Allen G. (1992). Grammatical Morphology and Speech Perception in Children with Specific Language Impairment. Journal of Speech and Hearing Research, 26, 609 - 615 Penner, Z. und Kölliker-Funk, M. (1998): Therapie und Diagnose von Grammatikerwerbsstörungen. Ein Arbeitsbuch. Luzern: Edition SZH Rice, M.; Wexler, K. and Cleave, P. (1995): Specific Language Impairment as a Period of Extended Optional Infinitive. In: Journal of Speech and Hearing Research, Volume 38, 850-863 Rice, M., Noll, K. and Grimm, H. (1997): An Extended Optional Infinitive Stage in GermanSpeaking Children with Specific Language Impairment. Language Acquisition 6, 255-295 Schlag, E. (2000): The Dative Case in German Speaking Children – Experimental Evidence and Theoretical Considerations. Uveröffentlichte Abschluarbeit zum ‘Master of Science’. University of Newcastle, United Kingdom Siegmüller, J. (2003): Sprachtherapeutische Intervention bei Störungen auf der grammatischen Ebene bei Schulkindern. Beispiele für Therapieableitungen und –inhalte. In Logos Interdisziplinär Jg. 11, Ausg.1, 2003, 36-42

View more...

Comments

Copyright � 2017 NANOPDF Inc.
SUPPORT NANOPDF