im hohen Norden

January 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Geowissenschaften, Geographie
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chon immer hat der Norden eine unbeschreibliche Faszination auf mich ausgeübt. Letzten September bereiste ich zusammen mit meiner Frau Alaska. Mehrere Nächte hintereinander standen wir mehrmals auf, um den eisigen Nachthimmel nach Polarlichtern abzusuchen. Ohne Erfolg! In der letzten Nacht vor unserem Rückflug versuchten wir es, bereits etwas resigniert, zum letzten Mal. Und tatsächlich flackerten kurz nach Mitternacht plötzlich helle grüne Lichter am Himmel! Es war wie in einer anderen Welt. Weitab von jeglicher Zivilisation, beobachteten wir die Polarlichter, die sich wellengleich über uns am Himmel hin und her bewegten. Als dann in der Ferne noch ein Wolfs-

Der Lebensraum im hohen Norden ist von eigenen Gesetzen geprägt. Lässt man sich auf seine raue

rudel zu heulen begann, war das Erlebnis perfekt. Regungslos und mit Gänsehaut standen wir wie angewurzelt da und genossen diesen einmaligen Moment in der nordischen Wildnis. Verschiedene Faktoren beeinflussen das Klima einer Region. Grundsätzlich gilt jedoch, dass es kälter wird, je nördlicher man sich bewegt oder je höher man sich über dem Meeresspiegel befindet. Deshalb gibt es auch in unseren Breitengraden Berggebiete, die vom Klima und von der Tierwelt her dem hohen Norden ähnlich sind. Während bei uns viele Tierarten ausgestorben sind oder in Randgebiete in grosser Höhe zurückgedrängt wurden, findet man in den arktischen Re-

gionen eine Vielzahl kleiner und grosser Tiere. Normalerweise benötigt man eine recht grosse Portion Glück, um einen Bären, Elch oder Wolf zu sehen, ganz anders in Nordamerika. Obwohl es dort ebenfalls viel Zeit und Geduld braucht, ist die Chance, solchen Tieren zu begegnen, viel grösser. Die unendlichen Weiten, insbesondere in den Naturschutzgebieten, bieten für Karibus, Elche, Dallschafe, Moschusochsen, Eis-, Schwarz- und Grizzlybären, Wölfe und viele weitere Tierarten einen optimalen Lebensraum. Zudem haben die Tiere in den Nationalparks oft kaum Scheu vor den Menschen, weil sie nicht gejagt werden dürfen.

Leider geraten viele Gebiete durch die Öl- und Gasindustrie zunehmend unter Druck. So gibt es seit längerer Zeit Pläne, Schutzgebiete für Erdölbohrungen etc. freizugeben. Noch viel grössere Gefahr aber droht den Tieren und Menschen durch das sich in den letzten Jahren verändernde Klima. Die arktischen Regionen erlebten einen markanten Temperaturanstieg. Gletscher brechen ab, Eisflächen gehen zurück und selbst im Winter friert das Meer oft nicht mehr vollständig zu, eine Gefahr für viele Tiere. Gewisse Tierarten, wie beispielsweise Eisbären, finden immer weniger Nahrung und sind vom Aussterben bedroht. Zudem machen Umweltverschmutzung und die

Überfischung der Meere vielen Tieren das Leben zusätzlich schwer. Wo der Boden noch vor wenigen Jahren gefroren blieb, schmilzt jetzt im Sommer der Permafrost. Häuser, Stromleitungen, Bäume und auch Strassen versinken langsam im morastigen Untergrund. Wir haben dieses Phänomen eindrücklich auf einer Strecke des Alaska-Highways erlebt. Grosse Löcher, unzählige Buckel und Dellen sowie das Abrutschen von Teilen der Strasse erschwerten das Vorwärtskommen zeitweise massiv. Zudem leiden die Menschen vermehrt an Allergien, auch Jagd und Fischerei werden immer schwieriger.

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Wirklichkeit ein, entdeckt man eine faszinierende Schönheit.

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Die Pflanzen Je kälter das Klima, desto niedriger der Pflanzenwuchs. In den südlicheren Gegenden des Nordens findet man noch zahlreiche Bäume wie Fichten und Kiefern, teilweise gemischt mit Birken, Espen und Erlen. Diese bewaldete Vegetationszone, auch Taiga genannt, wird von der mehrheitlich baumlosen Tundra abgelöst. Dort wachsen aufgrund der 8- bis 10-monatigen Frostperiode und des geringen Wassergehalts im Boden keinerlei

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hochwachsende Pflanzen mehr. Sie bilden allesamt niedrige Wuchsformen und Knospen aus, die unter der isolierenden Schneedecke überwintern, und wenn es wärmer wird, erneut aufblühen. In den feuchten Gebieten der Tundra gedeihen kümmerliche Tannen in kleinen, lockeren Wäldchen. Zwergbirken, Weiden und Gebüsche, sowie Beerensträucher, Moose, Flechten, Bergblumen und Gräser trifft man ebenfalls dort an. In der trockenen Tundra hingegen sind

die Lebensbedingungen noch härter. So wachsen dort die Pflanzen infolge des trockenen, humusarmen Bodens nur wenige Zentimeter hoch. Zu ihnen gehören winzige Bergblumen, Moose und verschiedenste Kräuter und Flechten.

Die Tierwelt des Nordens Die Tiere im hohen Norden sind wahre Überlebenskünstler. Dabei benutzen sie

verschiedene Strategien, um unter den rauen und lebensfeindlichen Bedingungen leben zu können. Zur ersten Gruppe gehören eine Reihe von Insekten, insbesondere die Stechmücken, die im Sommer das Leben zur Plage werden lassen. Die Mücken legen die Eier zu Beginn der kalten Jahreszeit ab, sodass diese im Winter einfrieren. Sobald im Frühjahr das Eis schmilzt und es wärmer wird, schlüpfen sie sich innert kürzester Zeit. Zu den kälteresistenten Tieren gehören

auch die Grizzlys, die sich für die Winterruhe in eine Höhle zurückziehen, oder die Murmeltiere, welche einen Winterschlaf halten. Andere Tiere verfügen über einen besonderen Kälteschutz in Form eines dichten Fells, wie beispielsweise der Moschusochse, Eisbär, Schneehase, Fuchs, oder eines warmen Federkleides, wie dies beim Rauhfussbussard oder dem Schneehuhn der Fall ist. Der Moschusochse sowie zahlreiche Nager sind in der Lage, Pflanzen unter dem Schnee freizukrat-



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zen, um selbst in der kalten Jahreszeit genügend Nahrung zu finden. Eine weitere Gruppe bilden die Karibu (Nordamerika) und Rentiere (Europa). Sie ernähren sich im Winter mit Flechten. Diese Tiere weichen wenn möglich der schlimmsten Kälte der Polarnacht aus, indem sie an den Rand der Taiga und in die Waldtundra wandern. Wenn sie im Frühjahr wieder zurück in die Tundra ziehen, schliessen sie sich zu riesigen Her-

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den zusammen, die bis 100 000 Tiere und mehr umfassen können. Dabei überqueren sie Berge und Sümpfe, durchschwimmen Flüsse und bekommen während der alljährlichen Wanderung (bis 6000 Kilometer!) sogar ihre Jungen. Dieser Gruppe gehören auch die Zugvögel an. Am weitesten fliegt dabei die Küstenseeschwalbe, die im Sommer in der Arktis brütet und im Winter bis in die Antarktis fliegt. Mit ihren Flügen von Po-

largebiet zu Polargebiet (gut 20 000 Kilometer pro Strecke) halten sie damit den Langstreckenrekord unter den Zugvögeln.

Die Menschen Die Ureinwohner der Polarregionen wurden früher unter dem traditionellen Begriff Eskimos zusammengefasst. Diese Bezeichnung bedeutet Rohfleischesser und stammt mit Blick auf die Ernährungsweise von den Algonkin- und Cree-Indianern. Selbst bezeichnen sich die nordkanadischen Eskimos jedoch als Inuit, das heisst «Wesen mit Seele». Auch verschie-

dene andere Völker bewohnen die Polarregion, z. B. Nenzen, Jakuten, Samen und Ewenken. Die Inuit sind mit den Aleuten auf den gleichnamigen Inseln und mit den Tschuktschen im Osten Sibiriens verwandt. Das Millionen von Quadratkilometern umfassende Gebiet der Tundren und der eisigen Küsten im Norden wird, je nach Definition, von zwischen wenigen hundertausend und vier Millionen Menschen bewohnt. Trotz der riesigen Entfernung von über 5000 Kilometer Luftlinie zwischen Sibirien und Ostgrönland besitzen die Inuit eine relativ einheitliche Sprache und Kultur.

Jagd und Fischfang waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts für sie lebensnotwendig. Wenn inzwischen auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln aus dem Süden gesichert ist und daher eine unmittelbare Abhängigkeit von der Jagd nicht mehr besteht, so sind das Jagen und Fischen doch noch immer tief in der Inuit-Kultur verwurzelt. Heute leben sie in festen Häusern, haben Computer und Fernseher und immer öfter ersetzt der Motorschlitten das traditionelle Hundegespann.  n I Text und Bilder: Martin Mägli



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