Mifamurtid zur Behandlung des Osteosarkoms. - Heinrich

January 23, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Onkologie
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6. Jahrgang, 1. Ausgabe 2012, 20-32

- - - Rubrik Neue Arzneimittel - - -

Mifamurtid zur Behandlung des Osteosarkoms.

Bedeutung des Osteosarkoms

Klinische Effektivität

Bisherige Pharmakotherapie

Sicherheitsprofil

Wirkungsmechanismus/Kinetik

Spezielle pharmakologische Aspekte

Mifamurtid bei Osteosarkom

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Mifamurtid zur Behandlung des Osteosarkoms Margarita Fokscha, Linda Kandel, Marlene Kissel, Isabelle Russe, Nina Rzepka, Clemens Lux

Korrespondenzautor: Clemens Lux Fachbereich Pharmazie, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf Universitätsstr. 1 40225 Düsseldorf ([email protected])

Interessenkonflikt: keiner

Lektorat: N.N. N.N.

Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html

Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia

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Mifamurtid bei Osteosarkom

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Abstract Mifamurtide, a new cytostatic drug approved by the EMA in 2009, is applied for operable, non-metastatic, high-grade osteosarcoma in children, adolescents and young adults aged 2 to 30 years. It is used after a macroscopical complete tumor resection as part of a combination therapy. As this disease is considered rare, life-threatening and is affecting less than five in 10,000 people, mifamurtide was declared to be an orphan drug in June 2004. It is available in a liposomal formulation named MEPACT®. Being a synthetic analogue of muramyl dipeptide, a part of the cell wall of mycobacteria, this immunomodulator induces amongst other things an inflammatory response through cytokine production, which likely results in triggering apoptosis of tumor cells. The approval was based on a randomized, open-label phase III study in which mifamurtide reduced the mortality risk by about 30% and thus increased overall survival in a combined maintenance therapy. With 678 participants it is the largest study ever carried out on osteosarcoma. However the study showed some methodical deficiencies. In addition, common side effects such as pain, fever, dizziness, tachycardia, nausea and vomiting were observed.

Abstract Mit Mifamurtid wurde 2009 ein neues Zytostatikum von der EMA zugelassen, das bei operablem, nicht metastasierendem, hochmalignem Osteosarkom bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 2 bis 30 Jahren Anwendung findet. Es wird nach einer makroskopisch vollständigen Tumorresektion im Rahmen einer Kombinationstherapie angewandt. Da diese Erkrankung als selten gilt, wurde Mifamurtid im Juni 2004 als Arzneimittel für seltene, lebensbedrohliche Krankheiten, die weniger als fünf von 10000 Menschen betreffen - als sogenanntes „orphan drug“ - eingestuft. Erhältlich ist es in einer liposomalen Zubereitung unter dem Namen Mepact®. Dieser Immunmodulator ist ein synthetisches Analogon des Muramyldipeptids, eines Mycobakte-

rienzellwandbestandteils, welcher unter anderem durch Zytokinausschüttung eine Entzündungsreaktion und so vermutlich die Apoptose der Tumorzellen induziert. Die Zulassung erfolgte aufgrund einer randomisierten, nicht verblindeten Phase III Studie – mit 678 Teilnehmern die bisher größte Studie zu dieser Erkrankung - in der Mifamurtid in einer kombinierten Erhaltungstherapie das Sterberisiko um ca. 30% senkte und somit das Gesamtüberleben steigerte. Die Studie wies allerdings einige methodische Mängel auf. Darüber hinaus wurden häufige Nebenwirkungen wie Schmerzen, Fieber, Schwindel, Tachykardie, sowie Übelkeit und Erbrechen festgestellt.

Bedeutung des Osteosarkoms Das Osteosarkom ist eine selten vorkommende Form des hochmalignen Knochentumors. Zellen, die für gewöhnlich Knochen bilden, entarten und bilden in Folge unverkalkte Knochensubstanz, sogenanntes Osteoid. Hierdurch sind sie von anderen Knochentumoren zu unterscheiden. Aufgrund dessen werden sie auch als primäre Knochentumore bezeichnet. Durch das schnelle und unkontrollierte Wachstum des Tumors werden umliegendes Gewebe, Knochen und insbesondere Gelenke zerstört (s. Abb. 1). Daher ist eine unmittelbare Behandlung unerlässlich. Im Kindesalter stellen die Osteosarkome die häufigste Form des bösartigen Knochentumors dar. Insgesamt entspricht diese Krebsform 2,3% aller Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren. Insbesondere in Wachstumsphasen wie der Pubertät verdoppelt sich die Häufigkeit der Erkrankung auf über 5% (Weblink 2). Typischerweise treten Osteosarkome in Wachstumsfugen langer Röhrenknochen auf, wie zum Beispiel Elle und Speiche. Auch ein Befall von Wirbelsäule oder Hüftgelenk ist nicht unüblich. Insbesondere ist die Erkrankung des Kniegelenks in über 50% der Fälle hervorzuheben. Dabei wird sowohl der Knochen, als auch das Knochenmark befallen. Allerdings kann das benachbarte Weichteilgewebe ebenfalls betroffen sein.

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Abb. 1: Darstellung eines sich bildenden Osteosarkoms an der Elle eines Patienten (Weblink 1). Die WHO unterscheidet in diesem Zusammenhang aufgrund seiner feingeweblichen Eigenschaften acht verschiedene Formen des Osteosarkoms. Das am häufigsten Vertretene ist das konventionelle Osteosarkom. Es macht ca. 80 bis 90% aller Osteosarkome aus (Weblink 3). Darüber hinaus bilden sich in einem frühen Entwicklungsstadium Metastasen, die auf hämatogenem Weg andere Kompartimente erreichen. Daraus entsteht insofern ein Problem für die Therapie, als dass eine zeitige Früherkennung maßgeblich für den Therapieerfolg ist, da eine Progression bzw. Metastasierung denselben deutlich herabsetzt. So sind bei etwa 10 bis 20% der Kinder und Jugendlichen zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen sichtbar. Auch wenn eine Metastasierung noch nicht diagnostizierbar ist, so ist das Risiko doch sehr hoch, dass bereits noch unsichtbare Mikrometastasen andere Organe erreicht haben. In etwa 70% der Fälle wird die Lunge von Metastasen in Mitleidenschaft gezogen. In seltenen Fällen sind sogar von Beginn der Erkrankung an verschiedene Knochen befallen. Man spricht dann von einer multilokulären Erkrankung. Bei den Patienten sind häufig Schwellungen und Schmerzen im befallenen Bereich ein Indiz für ein vorhandenes Osteosarkom. Dabei tritt der empfundene Schmerz unregelmäßig auf und ist darüber hinaus

durchaus belastungsabhängig. Im späteren Stadium können auch äußerlich sichtbare, gerötete Schwellungen auf eine Erkrankung hinweisen. Nicht selten wird ein solches Anzeichen als Sportverletzung falsch gedeutet. Auch bei für gewöhnlich harmlosen Verletzungen kann es bei Betroffenen zu Frakturen des erkrankten Knochens kommen. Somit sind Brüche häufig ein erstes Symptom eines Osteosarkoms. Bei zunehmender Progression der Erkrankung können auch vermeintliche Allgemeinsymptome wie Fieber, Schwäche und Gewichtsabnahme Anzeichen einer Erkrankung sein. Zwischen ersten Symptomen und abschließender Diagnose liegen daher zumeist Wochen bis Monate (Weblink 2). Nach vermeintlicher Identifizierung des Osteosarkoms wird der Patient unmittelbar in ein Krankenhaus überwiesen, um über weitere Befunde das Verdachtsmoment zu erhärten und die Form des Tumors zu verifizieren. Dabei lassen sich mittels MRT, CT und Szintigraphie die Lage und Größe des Tumors, sowie etwaig gebildete Metastasen gut erfassen. Darüber hinaus ist letztlich auch eine Biopsie des betroffenen Gewebes von Nöten. Abschließend sind Untersuchungen der Herzfunktion, des Blutbildes, sowie der Nieren- und Lungenfunktion wichtig, um eventuelle Änderungen im Verlauf der Therapie besser zu erkennen (Web-

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link 3). Bislang sind die Ursachen der Entstehung eines Osteosarkoms ungeklärt. Verschiede Risikofaktoren wie radioaktive Strahlung und verschiedene Zytostatika, welche knochenbildende Zellen beschädigen und gegebenenfalls eine Tumorbildung initiieren können, werden diskutiert. Erkrankungen, wie ein beidseitiges Retinoblastom, das LiFraume-Syndrom oder auch Morbus Paget werden mit einem erhöhten Osteosarkomrisiko verbunden. Allerdings ist für ca. 90% aller Patienten keiner der oben genannten Risikofaktoren zutreffend.

Bisherige Pharmakotherapie Die Therapie des Osteosarkoms besteht im Wesentlichen aus drei Säulen: Neoadjuvante Therapie, Operation mit vollständiger Tumorentfernung und adjuvante Therapie. Die wichtigste dieser Therapieoptionen ist die vollständige operative Entfernung des Tumors. Die Chemotherapie und Strahlentherapie dienen der Entfernung von Mikrometastasen, die mit gängigen bildgebenden Verfahren nicht sichtbar sind und der Erniedrigung des Rezidivrisikos. Die Anwendung der Strahlentherapie ist allerdings nur bei inoperablen Herden sinnvoll, da Osteosarkome nur wenig strahlensensitiv sind. Alle drei Therapieoptionen werden kombiniert eingesetzt. Eine Therapie mit nur einer dieser Optionen ist obsolet (Weblink 4). Zu den verwendeten Chemotherapeutika gehören Adriamycin (ADR), HochdosisMethotrexat mit Folsäure-Rescue (HDMTX), Cisplatin (DDP) und Ifosfamid (IFO). Es wird empfohlen mehrere dieser Chemotherapeutika bereits in der frühen Phase in Kombination einzusetzen. Zu den begleittherapeutischen Maßnahmen gehört insbesondere die Nierenprotektion durch reichliche Flüssigkeitszufuhr bei Einnahme von DDP, IFO und HD-MTX. Desweiteren erfordert die Anwendung von IFO eine gleichzeitige Einnahme des Uroprotektivums Uromitexan und eine mögliche Einnahme von Methylenblau bei gelegentich beobachteter Enzephalopathie. Bei richtiger Anwendung und begleitenden Maßnahmen ist HD-MTX vergleichsweise gut verträglich.

Bei Anwendung von HD-MTX sollte eine Urin-Alkalisierung, Flüssigkeitszufuhr und eine zusätzliche Gabe von Folsäure in Abhängigkeit vom MTX-Spiegel erfolgen. Gelegentlich kann es jedoch zu lebensbedrohlichen Intoxikationen kommen. Die Gabe des Enzyms Carboxypeptidase G2 kann in solchen Fällen insbesondere durch Ausscheidungsstörungen eine lebensrettende Maßnahme darstellen.

Mifamurtid Indikation Mifamurtid ist im Rahmen einer Kombinationstherapie indiziert zur Behandlung resezierbarer, nicht metastasierender hochmaligner Osteosarkome bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Anschluss an eine makroskopisch vollständige Tumorresektion zur Verbesserung der Überlebensrate. Wirkungsmechanismus In Abb. 2 ist die chemische Struktur des Mifamurtids zu erkennen. Es stellt eine Modifikation des Muramyldipeptids, welches ein Bestandteil der Bakterienzellwand ist, dar. Anhand Abb. 3 wird der immunstimulierende Effekt deutlich. Durch die Aktivierung von Makrophagen, dendritischen Zellen und Monozyten bewirkt Mifarmutid eine Entzündungsreaktion. Mifamurtid bindet nach Inkorporation durch Makrophagen an den Nucleotide-binding Oligomerization Domain 1- Rezeptor (NOD-1), welcher sich intrazellulär in Makrophagen befindet. Durch diese Aktivierung werden folglich Zytokine, wie Tumornekrosefaktor α (TNF-α), Interleukin-1 (IL-1α/β), IL-6, IL-8 und IL-12 sowie Adhäsionsmoleküle, wie das Lymphozytenfunktions-assoziierte Antigen-1 (LFA-1) und das interzelluläre Adhäsionsmolekül-1 (ICAM-1), ausgeschüttet (1). In vitro wurde gezeigt, dass mit Mifamurtid aktivierte Monozyten Tumorzellen abtöten konnten, ohne dabei körpereigene gesunde Zellen anzugreifen (Weblink 5). In vivo konnte in Maus- und Rattenmodellen das Wachstum von verschiedenen Tumorzellen, wie z. B. Lungenmetastasen, Haut- und Lebertumoren, nach Anwendung von Mifamurtid gehemmt werden.

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Abb. 2: Chemische Struktur von Muramyltripeptid-Phosphatidylethanolamin.

Abb. 3: Nach Inkorporation von Mifamurtid durch Makrophagen, bindet es an einen NOD-1 Rezeptor und zieht über die Aktivierung des NF-κB die Ausschüttung proinflammatorischer Mediatoren nach sich. Modifiziert (nach Weblink 5). In Hundemodellen konnte eine höhere krankheitsfreie Überlebensrate nach Behandlung von Osteosarkomen und Hämangiosarkomen mit Mifamurtid gezeigt werden. Der genaue Wirkmechanismus der tumorhemmenden Eigenschaften von Mifamurtid beim Menschen ist jedoch noch nicht bekannt. Pharmakokinetik Die Bestimmung der Plasmagesamtkonzentration und der AUC erfolgte durch minütliche Blutabnahme bei 21 gesunden Erwachsenen nach intravenöser Gabe von Mifamurtid. Bestimmt wurde sowohl die Konzentration der liposomalen Fraktion, als auch die Konzentration der freien Fraktion, welche durch die liposomale Formulierung von Mifamurtid gering war. Zusätzlich erfolgte eine rasche Elimination aus dem Plasma. Die AUC betrug durchschnittlich 17,0 ± 4,71 h*nM. Die maximale Plas-

makonzentration (cmax) ergab 15,7 ± 3,72 nM (2). Der Vorteil der liposomalen Zubereitung ist, dass der Wirkstoff selektiv in die Makrophagen und Monozyten transportiert wird, diese aktiviert und es hierdurch zur Abtötung von Tumorzellen kommt. In einer weiteren Studie (3) wurden die Serumkonzentrations-Zeit-Kurven der Gesamtmenge und der freien Fraktion des Wirkstoffes bei 14 Patienten mit fortgeschrittenem metastasierendem Krebs ermittelt. Das Durchschnittsalter der Probanden betrug dabei 54,6 Jahre. Die Patienten erhielten 12 Wochen lang zwei Mal wöchentlich eine 30-minütige Infusion mit 4 mg liposomalem Muramyltripeptid-Phosphatidylethanolamin (L-MTPPE). Blutproben wurden sowohl vor der Infusion als auch 0,5, 2, 4, 6, 24 und 72 Stunden nach der Infusion entnommen.

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Die Konzentrationsbestimmungen erfolgten mit Hilfe eines Immunoassays. In Abb. 4 ist zu erkennen, dass die Kurven der ersten und letzten Gabe dabei ähnliche Verläufe, sowie ähnliche AUCs aufweisen, woraus sich schließen lässt, dass es während der Behandlung mit Mifamurtid nicht zu einer Kumulation des Wirkstoffes kommt. Des Weiteren gibt die geringere freie MifamurtidKonzentration einen Hinweis darauf, dass es im Blut weiterhin zu einem Großteil an Liposomen gebunden vorliegt. Die Gesamtkonzentration nach Beendigung der Infusion betrug 8,5 ± 6,9 nmol/l, während die freie Konzentration 2,0 ± 0,8 nmol/l ausmachte. Bei einer Untersuchung mit radioaktiv markierten Liposomen mit 6 mg Mifamurtid konnte nachgewiesen werden, dass sich der Wirkstoff in Leber, Milz, Nasopharynx, Schilddrüse und in geringem Maße in der Lunge anreicherte. Die Elimination des radioaktivierten Materials verlief biphasisch und wies in der αPhase eine Halbwertszeit von 15 ± 9 Minuten, sowie eine terminale Halbwertszeit von 18 ± 2 Stunden auf. Die Elimination in Plasma und Erythrozyten verlief annähernd gleich. Klinische Effektivität Nachweis der Wirksamkeit von Mifamurtid beruht auf der von 1993 bis 1997 durchgeführten Intergroup study 0133 (INT 0133) (4). Die randomisierte, nicht verblindete, prospektive Phase III - Studie wurde in

einem 2x2 faktoriellem Design geplant (Abb. 5). Ziel der Studie war zu untersuchen, ob sowohl die zusätzliche Gabe von Ifosfamid, als auch von Mifamurtid zu einer Chemotherapie mit Doxorubicin, Cisplatin und hochdosiertem Methotrexat einen Effekt auf das ereignisfreie Überleben der Probanden zeigte. Die Studie erfasste 677 Patienten mit frisch diagnostiziertem, nicht-metastasierendem Osteosarkom. Darüberhinaus wurden 91 Patienten mit metastasierendem Osteosarkom untersucht. Das Alter der Patienten lag zwischen 1 und 30 Jahren, wobei ein Drittel der Patienten zu Beginn der Studie zwischen 12 und 14 Jahre alt war. 55% der Patienten waren männlichen Geschlechts. Der Primärtumor lag bei 55% der Patienten im Bereich des Oberschenkelknochens, gefolgt von 27% mit einem Tumor unterhalb des Knies und 11% im Oberarmknochen. Die Patienten wurden in der Anfangsphase zunächst 10 Wochen lang entweder mit einer Kombination aus Cisplatin, Doxorubicin und hoch-dosiertem Methotrexat (Regime A) oder Cisplatin, Doxorubicin, hoch-dosiertem Methotrexat und Ifosfamid (Regime B) therapiert, worauf die Entfernung des Tumors folgte. In der 12. Woche begann die Erhaltungstherapie mit der fortführenden Gabe der Präparate nach Regime A und B (A-, B-), wobei die Hälfte der Patienten zusätzlich Mifamurtid erhielt (A+, B+).

Abb. 4: Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe nach Infusion von Mifamurtid (modifiziert nach Weblink 6)

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Abb. 5: 2x2 faktorielles Studiendesign (nach Weblink 6). Die Therapiedauer dieser Erhaltungstherapie betrug 19 Wochen für Regime A-, 26 Wochen für B- und 36 Wochen für Regime A+ und B+. Dabei erhielten die Patienten 2-4 mg/m² Mifamurtid zweimal wöchentlich über 12 Wochen und anschließend einmal wöchentlich für weitere 24 Wochen. Den primären Endpunkt stellte das ereignisfreie Überleben dar. Als Ereignis wurde Fortschreiten der Erkrankung, Diagnose eines zweiten malignen Tumors oder Tod vor dem Eintritt eines dieser beiden Ereignisse gewertet. Die Ergebnisse wurden 2005 und 2008 veröffentlicht, wobei sie, wie im Folgenden erläutert, von den Autoren jeweils unterschiedlich analysiert wurden (4,5). In der ersten Veröffentlichung wird auf die Beobachtung einer Wechselwirkung zwischen Mifamurtid und Ifosfamid hingewiesen, woraufhin die Auswertung der Studie nicht nach ihrer Konzipierung im 2x2 faktoriellem Design durchgeführt werden konnte, da die Probandenzahl nicht ausreichend war, um trotz einer Wechselwirkung einen Unterschied in den Therapieregimen hinsichtlich des Endpunktes feststellen zu können. Daraufhin wurden die Ergebnisse wie Ergebnisse einer 4armigen Studie ausgewertet. Es ist darauf hinzuweisen, dass ein mehrarmiges Studiendesign ein weitaus größeres Studienkollektiv erfordert, als ein faktorielles Studiendesign (6). Die Studie war somit nicht entsprechend konzipiert, um vier Arme mit ausreichender Aussagekraft zu analysieren, was im Folgenden berücksichtigt werden sollte.

Die Therapie mit Regime A- ging demnach mit einer 71% und 64% Wahrscheinlichkeit für ereignisfreies Überleben nach 3 und 5 Jahren einher, Regime A+ mit 68% und 63%. Regime B- resultierte in einer 3- und 5-JahresEreignisfreiheit von 61% und 56%, während die Therapie mit Regime B+ eine 78% und 72% Wahrscheinlichkeit für ereignisfreies Überleben nach 3 und 5 Jahren aufwies. Mifamurtid (Regime A+, B+) wies somit keinen signifikanten Effekt auf das ereignisfreie Überleben auf. Die spätere Auswertung erfolgte nach einem zusätzlichen follow-up. Der primäre Endpunkt umfasste neben dem ereignisfreien Überleben nun zusätzlich das Gesamtüberleben. Die Auswertung schloss 662 Patienten ein. Entsprechend der Konzipierung der Studie im 2x2 faktoriellem Design wurde erneut auf mögliche Interaktionen zwischen den Fragestellungen geprüft. Bezüglich des ereignisfreien Überlebens ergab sich ein p-Wert von 0,102 und 0,60 hinsichtlich des Gesamtüberlebens. Die Annahme der Hypothese, dass keine Interaktionen vorliegen erfolgt bei diesem Test konventionsgemäß bei Signifikanzniveaus unter 0,1 (5). Trotzdem kamen die Autoren zu dem Schluss, dass nach ihrer Analyse keine Anhaltspunkte für Interaktionen vorlagen und somit die Auswertung entsprechend dem 2x2 faktoriellem Studiendesign durchgeführt wurde. Entsprechend der Konzipierung der Studie im 2x2 faktoriellem Design wurde

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erneut auf mögliche Interaktionen zwischen den Fragestellungen geprüft. Bezüglich des ereignisfreien Überlebens ergab sich ein p-Wert von 0,102 und 0,60 hinsichtlich des Gesamtüberlebens.

famurtid in die Muttermilch übergeht. Wegen fehlender Daten soll keine Anwendung bei Patienten unter 2 und über 65 Jahren erfolgen. Bei Nieren- oder Leberfunktionsstörungen soll Mifamurtid mit Vorsicht angewendet werden, da Daten zur Dosisanpassung fehlen. Die Therapie sollte ausschließlich durch erfahrene Onkologen erfolgen. Das Arzneimittel darf nicht als Bolusinjektion verabreicht werden. Therapieüberwachung und zusätzliche Maßnahmen sollten in folgenden Fällen erfolgen: • • • •

Abb. 6: Gesamtüberleben von Patienten mit und ohne Mifamurtid unabhängig vom Chemotherapie-Regime (5). Die Annahme der Hypothese, dass keine Interaktionen vorliegen erfolgt bei diesem Test konventionsgemäß bei Signifikanzniveaus unter 0,1 (5). Trotzdem kamen die Autoren zu dem Schluss, dass nach ihrer Analyse keine Anhaltspunkte für Interaktionen vorlagen und somit die Auswertung entsprechend dem 2x2 faktoriellem Studiendesign durchgeführt wurde. Die Ergebnisse beziehen sich nur auf Patienten ohne Metastasierung bei Diagnose und mit operablem Primärtumor. Bei Patienten mit Metastasierung ist Mifamurtid wirkungslos. Patienten mit inoperablem Primärtumor wurden aus der Studie ausgeschlossen. Nebenwirkungen Es gibt zahlreiche Nebenwirkungen, die vermutlich mit dem Wirkungsmechanismus von Mifamurtid im Zusammenhang stehen. Sehr häufige (> 10%) Nebenwirkungen sind in Tab. 1 dargestellt (2). Die häufigen Nebenwirkungen können in Tab. 3 im Anhang eingesehen werden. Kontraindikationen, besondere Vorsichtsmaßnahmen und Interaktionen Mifamurtid sollte weder in der Schwangerschaft noch bei unzuverlässiger Verhütung angewendet werden. In der Stillzeit gilt eine gründliche Nutzen-RisikoAbwägung, da nicht bekannt ist, ob Mi-

• •

Atemwegsobstruktion (Prophylaxe mit einem Bronchodilatator) Febrile Neutropenie Bekannte Autoimmunerkrankung Venöse Thrombose, Vaskulitiden, instabile kardiovaskuläre Erkrankungen (Kontrolle der Blutgerinnungswerte nach der ersten Gabe) Allergische Reaktionen Gastrointestinale Toxizität (parenterale Ernährungsmaßnahmen)

Ein Abbruch der Therapie sollte bei Verstärkung der Symptome erfolgen. Wichtige Wechselwirkungen sind in Tab. 2 zusammengestellt (2).

Nebenwirkungen unter Mifamurtid Anämien Anorexie Kopfschmerz, Schwindel, Hörstörungen Tachykardie, Hypertonie, Hypotonie Dyspnoe, Tachypnoe, Husten Erbrechen, Diarrhö, Verstopfung, Bauchschmerzen, Übelkeit vermehrtes Schwitzen Myalgie, Arthralgien, Rückenschmerzen, Gliederschmerzen Fieber, Schüttelfrost, Müdigkeit, Hypothermie, Schmerzen, Krankheitsgefühl, Asthenie, thorakale Schmerzen Tab. 1: Sehr häufige Nebenwirkungen von Mifamurtid. Besonders bedeutsame Nebenwirkungen sind hervorgehoben.

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Wichtige Wechselwirkungen mit Mifamurtid Ciclosporine und Calcineurin-Inhibitoren lipophile Substanzen wie Doxorubicin Dauertherapie mit Glukokortikoiden NSAIDs

kontraindiziert, können Funktion der Milzmakrophagen und mononukleären Phagozyten beeinträchtigen zeitlich getrennt verabreichen Kombination vermeiden, da sie zu Wirkungsverminderung führen bei hoher Dosis kontraindiziert, da sie die Makrophagen-aktivierende Wirkung hemmen

Tab. 2: Wichtige Wechselwirkungen mit Mifamurtid

Spezielle pharmakologische Aspekte

Fazit

Mifamurtid kann sowohl stationär als auch auf ambulanter Basis zusätzlich zur bisherigen Pharmakotherapie (s.o.) verabreicht werden. Das Präparat ist als Pulver in einer Durchstechflasche erhältlich. Vor der Anwendung muss es in einer isotonischen 0,9 %igen Natriumchloridlösung rekonstituiert, durch den beigefügten Filter filtriert und anschließend weiter verdünnt werden. Die fertige Suspension sollte frei von sichtbaren Partikeln, Schaum oder Fettklümpchen sein. Nach der Herstellung sollte sie bei Raumtemperatur gelagert und innerhalb von 6 Stunden als intravenöse Infusion über eine Stunde (keinesfalls als Bolusinjektion) verabreicht werden. Für alle Patientengruppen wird eine Dosierung von 2 mg/m² empfohlen. In den ersten 12 Wochen nach der Tumorresektion erfolgt die Gabe zweimal wöchentlich im Abstand von mindestens 3 Tagen und in den darauf folgenden 24 Wochen einmal wöchentlich.

Mifamurtid stellt eine neue, zusätzliche Möglichkeit der Kombinationstherapie des seltenen, nicht-metastasierendem Osteosarkoms dar. Da Osteosarkome wenig strahlensensitiv sind, kommt der vollständigen Tumorresektion mit unterstützender Gabe von Chemotherapeutika wie Adriamycin, Methotrexat, Cisplatin, Ifosfamid und möglicherweise Mifamurtid eine besondere Bedeutung zu.

Die Verabreichung von Mifamurtid kann am gleichen Tag wie die adjuvante Kombinations-Chemotherapie erfolgen. Allerdings darf es nicht mit anderen Arzneimitteln im gleichen Behälter oder in der gleichen i.v.-Zuführung gemischt werden. Daher empfiehlt es sich nach der Chemotherapie die i.v.-Zuführung zu spülen. Im weiteren sollte Mifamurtid zeitlich getrennt von anderen liposomalen oder lipophilen Arzneimitteln (wie liposomales Doxorubicin) des gleichen Therapieregimes verabreicht werden. Weitere Wechselwirkungen, Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen wurden im entsprechenden Abschnitt beschrieben.

Eine mit Mängeln behaftete Phase IIIStudie zeigte, dass Mifamurtid das Gesamtüberleben nach Behandlung eines Osteosarkoms positiv beeinflussen kann und bei einer kombinierten Erhaltungstherapie das Gesamtüberleben nach 6 Jahren von 70% auf 78% steigert. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse bleibt fraglich. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur kam zu dem Schluss, „dass die Vorteile von Mepact in Kombination mit anderen Arnzeimitteln gegen Krebs gegenüber den Risiken überwiegen“ (Weblink 7). Es erhielt von der Pharmazeutischen Zeitung den Innovationspreis im Jahr 2010. Die Nebenwirkungen von Mifamurtid sind als moderat einzustufen und liegen im Bereich der zu erwartenden Nebenwirkungen von Zytostatika wie Erbrechen, Schwindel und Übelkeit. Eine Verstärkung der Nebenwirkungen oder Toxizität wurde durch die Add-on Therapie mit Mifamurtid nicht beobachtet. Ein weiterer Aspekt zur Beurteilung Mifamurtids sind die hohen zusätzlichen Therapiekosten: Bei einer 36 wöchigen Behandlung betragen die Aufwendungen für ein Kind 110.258 € und für einen Erwachsene

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149.222 € (7). Die Verwendung von Mifamurtid sollte somit nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Analyse erfolgen. Allenfalls bietet sie in Kombination mit anderen Zytostatika eine hinsichtlich der Ne-

benwirkungen relativ unbedenkliche Alternative als Reservetherapeutikum, dessen Wirksamkeit jedoch in weiteren klinischen Studien untersucht werden muss.

Anhang Systemorganklassen

Nebenwirkungen unter Mifamurtid

Infektionen, parasitäre Erkrankungen

Sepsis, Zellulitis, Nasopharyngitis, Kathederinfektion, Infektion des oberen Atemtrakts, Harnwegsinfektion, Pharyngitis, Herpes-simplex-Infektion Tumorschmerzen

Gutartige, bösartige und unspezifische Neubildungen (einschließlich Zysten und Polypen) Psychiatrische Erkrankungen Augenerkrankungen Erkrankungen des Ohrs und des Labyrinths Leber- und Gallenerkrankungen Erkrankungen der Nieren, Harnwege Erkrankungen der Geschlechtsorgane, Brustdrüse Untersuchungen Chirurgische und medizinische Eingriffe

Verwirrtheit, Depression, Schlafstörungen, Angstzustände Verschwommensehen Vertigo, Tinnitus, Hörstörungen Schmerzen im Bereich der Leber Hämaturie, Dysurie, Pollakisurie Dysmenorrhoe Gewichtsabnahme Schmerzen nach einem Eingriff

Tab. 3.: Häufig auftretende Nebenwirkungen bei Einnahme von Mifamurtid.

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Weblinks 1) Bild eines Osteosarkoms, Uniklinik Freiburg http://www.uniklinik-freiburg.de/roentgen/live/sektionkinderrad/bilderpedrad.html

2) Kompetenznetz der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie. Osteosarkom (Kurzinformation) http://www.kinderkrebsinfo.de/sites/kinderkrebsinfo/content/e9031/e10591/e77088/e63957/e74483/Osteosarkom-Kurzinformation_14012011_ger.pdf

3) Leitlinie "Osteosarkome" der Deutschen Krebsgesellschaft http://www.krebsgesellschaft.de/download/ll_k_04.pdf

4) AWMF Leitlinie. Osteosarkome. AWMF-Leitlinien- Register Nr. 025/005- Letze Überarbeitung 2008 http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/025-005.html

5) Dissertation F. Runge: Einfluss der NOD1-Aktivierung auf allergeninduzierte Atemwegsinflammation http://www.diss.fubelin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000007318/Dissertation_Franziska_Runge_20100324.pdf?hosts=

6) Assessment Report For Mepact. European Medicines Agency, 2009 http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR__Public_assessment_report/human/000802/WC500026564.pdf

7) Zusammenfassung des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsbericht (EPAR) für Mepact, Stand: 08.10.2010 http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR__Summary_for_the_public/human/000802/WC500026562.pdf

Literatur 1. Asano T, McWatters, An T, Matsushima K, Kleinerman ES. Liposomal muramyl tripeptide up-regulates interleukin-1 alpha, interleukin-1 beta, tumor necrosis factor-alpha, interleukin-6 and interleukin-8 gene expression in human monocytes. J Pharmacol Exp Ther 1994;268(2):1032-9. 2. Fachinformation (Rote Liste Service GmbH): Mepact® 4 mg Pulver zur Herstellung einer Infusionssuspension, Stand: Februar 2010 3. Landmann R et al. Pharmacokinetics and immunomodulatory effects on monocytes during prolonged therapy with liposomal muramyltripeptide. Biotherapy. 1993;7(1):1-12 4. Meyers PA et al. Osteosarcoma: a randomized, prospective trial of the addition of ifosfamide and/or muramyl tripeptide to cisplatin, doxorubicin, and high-dose methotrexate. J Clin Oncol. 2005;23(9):2004-11. 5. Meyers PA et al. Osteosarcoma: The Addition of Muramyl Tripeptide to Chemotherapy Improves Overall Survival – A Report From The Children’s Oncology Group. J Clin Oncol 2008;26:633-638. 6. Hidalgo M, Garrett-Mayer E, Clendeninn NJ, Eckhardt SG (Hrsg.): Principles of Anticancer Drug Development. New York: Springer, 2011, pp 169-170 7. Neue Arzneimittel: Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) über Mepact® (Mifamurtid), Stand: 17.06.2009

Impressum: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html

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