Morphologie und Syntax der deutschen Gegenwartssprache I

January 20, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
Share Embed Donate


Short Description

Download Morphologie und Syntax der deutschen Gegenwartssprache I...

Description

Infinite Verbformen Vít Dovalil, Ph.D.

Infinite Verbformen I.

Formenbestand – morphologische Beschreibung II. Semantik III. Syntaktische Klassifizierung – Infinitiv mit und ohne zu + in/kohärente Stellung IV. Konkurrenz zwischen Partizip II und Ersatzinfinitiv in den zusammengesetzten Vergangenheitsformen Vít Dovalil, Ph.D.

I. Morphologische Beschreibung Infinitiv I und II

Partizip I und II

schreiben geschrieben haben

schreibend

geschrieben werden geschrieben worden sein geschrieben sein

geschrieben

Bestandteil analytischer Formen: Pf, Plusqpf., Futur II, Infinitiv II, Passiv

+ Verbindungen mit kommen, bekommen, finden

geschrieben gewesen sein

Vít Dovalil, Ph.D.

II. Semantik 





Infinitiv I Gleichzeitigkeit Infinitiv II Vorzeitigkeit eingeschränkte Kompatibilität der finiten Verben in den übergeordneten Sätzen (Verben, die sich mit der Vergangenheit vertragen – sich erinnern, leugnen, vorwerfen, beschuldigen, bezichtigen usw.) nicht z. B. bitten, wünschen, vorschlagen. Vít Dovalil, Ph.D.

II. Semantik 



 

Ihm wird/wurde vorgeworfen, an der Demonstration teilgenommen zu haben. Er wird/wurde beschuldigt, an der Demonstration teilzunehmen. Er muss/musste das Buch lesen/gelesen haben. Ich schlage dir vor, schöne Weihnachtsfeiertage verbracht zu haben (??)

Vít Dovalil, Ph.D.

II. Semantik 





Ihm wird/wurde vorgeworfen, an der Demonstration teilgenommen zu haben. Er wird/wurde beschuldigt, an der Demonstration teilzunehmen. Ich schlage dir vor, schöne Weihnachtsfeiertage verbracht zu haben.

Vít Dovalil, Ph.D.

III. Syntaktische Klassifizierung der Infinitive  1) 2) 

valenzbedingt Infinitiv als Subjekt Infinitiv als Objekt syntaktisch abhängig auch an Stelle eines Attributs

 1) 2) 3)

valenzunabhängig IK mit „um zu“ IK mit „ohne zu“ IK mit „statt zu“

4) freie Infinitive (Aufforderung, Befehle, Inserate, Angebote, Wünsche usw.) Vít Dovalil, Ph.D.

III. Infinitiv mit und ohne zu  Infinitiv mit zu kommt obligatorisch vor: 1. bei den Infinitiven als Subjekt (nach dem Finitum), Objekt und Attribut (vom Substantiv abhängig) 2. Infinitiv als grammatischer Prädikatsteil nach haben, sein, bleiben (mit Modalfaktor), bei den Phasenverben (beginnen, aufhören, pflegen), bei den Modalitätsverben (scheinen, bekommen) brauchen ??? 3. bei den syntaktisch unabhängigen Infinitiven – Zeitungsannoncen, Angebote, bewertende Ausrufesätze Vít Dovalil, Ph.D.

III. Infinitiv mit und ohne zu  Infinitiv ohne zu kommt als grammatischer Prädikatsteil obligatorisch vor: 1. bei den Modalverben 2. bleiben (Phasenverb), lassen, haben (idiomatisiert + besondere Konstruktionen mit einer Lokalangabe) 3. fahren, gehen (als Bewegung), kommen, laufen sehen, hören, fühlen, spüren finden (mit einer Lokalangabe), legen, schicken 4. Zeitungsüberschriften (Absichtserklärungen – Wirtschaftliche Beziehungen vertiefen), Aufforderungen (einsteigen!), Ausrufe, Lemmatisierungen Vít Dovalil, Ph.D.

III. Infinitiv mit und ohne zu  Infinitiv ohne zu kommt als grammatischer Prädikatsteil obligatorisch vor: 1. bei den Modalverben 2. bleiben (Phasenverb), lassen, haben (idiomatisiert + besondere Konstruktionen mit einer Lokalangabe) 3. fahren, gehen (als Bewegung), kommen, laufen sehen, hören, fühlen, spüren finden (mit einer Lokalangabe), legen, schicken 4. Zeitungsüberschriften (Absichtserklärungen – Wirtschaftliche Beziehungen vertiefen), Aufforderungen (einsteigen!), Ausrufe, Lemmatisierungen Vít Dovalil, Ph.D.

III. Infinitiv mit und ohne zu  Infinitiv mit/ohne zu kommt fakultativ vor: 1. Infinitiv als Subjekt vor dem Finitum: Kinder (zu) quälen ist strafbar. 2. nach den Verben lernen, lehren, heißen (= befehlen), helfen (Länge der InfK!!) 3. nach der Konjunktion als: Wir hätten hier doch lieber eine Minute länger warten sollen, als sofort (zu) gehen. Vít Dovalil, Ph.D.

III. In/kohärente Stellung 

Ich habe versucht, die Aufgabe zu lösen.



Ich habe die Aufgabe zu lösen versucht.



Sie hat Hindi (zu) sprechen gelernt/(selten: lernen). Sie hat gelernt, Hindi zu sprechen.



Vít Dovalil, Ph.D.

III. In/kohärente Stellung 

Ihm wird vorgeworfen, zu versuchen, ihre Autorität zu untergraben.



Man beschuldigte ihn, ihre Autorität zu untergraben zu versuchen.

Vít Dovalil, Ph.D.

IV. Ersatzinfinitiv/Partizip II als Bestandteil finiter Formen 

Ersatzinfinitiv obligatorisch in den zusammengesetzten Vergangenheitsformen:

1. Vollverb + Modalverb: Ich habe hingehen müssen. Wortfolge in den Nebensätzen 2. Vollverb + brauchen: Er hätte nicht hinzugehen brauchen.  Ersatzinfinitiv heißen, lassen sehen

oder hören, helfen fühlen, spüren Vít Dovalil, Ph.D.

Partizip II lernen, lehren machen

Ersatzinf./P II nach helfen Syntaktische Stellung

Vorkommenshäufigkeit

Ersatzinfinitiv

kohärent ohne zu

12

Partizip II

kohärent ohne zu

23

Partizip II

kohärent mit zu

18

Partizip II

inkohärent mit zu

1427

Vít Dovalil, Ph.D.

Ersatzinf./PII nach hören Verb

Vorkommenshäufigkeit

Ersatzinfinitiv

Partizip II

kommen

42

38

4

sagen

254

218

36

sprechen

136

77

59

Vít Dovalil, Ph.D.

Ersatzinf./PII nach hören Verb

Vorkommenshäufigkeit

Ersatzinfinitiv

Partizip II

erzählen

14

7

7

fallen

35

11

24

husten

6

3

3

schlagen

11

7

4

läuten

42

22

20

schreien

73

63

10

Vít Dovalil, Ph.D.

Wortfolge - Ersatzinfinitiv 

„Es war die wahllose Zufälligkeit des so plötzlich perfektionierten Liebesbeginns, die er nunmehr als Ungeheuerlichkeit empfand, und die Erkenntnis, daß das Begehren, das damals zu ihrem Erstaunen in ihren Händen emporschoß, das gleiche sei, das er in den Armen jener Frauen erlebte, die er jetzt als Huren beschimpfte. Doch hätte er sich über diesen Mangel an Einmaligkeit, so sehr er ihn auch wirklich schmerzte, von seiner Seite schließlich hinweggesetzt, wenn er ihn nicht folgerichtigerweise auch bei Philaminthen hypostasieren hätte müssen“ (Broch, Hermann (21977): Barbara und andere Novellen, Suhrkamp, S. 15). Vít Dovalil, Ph.D.

Wortfolge - Ersatzinfinitiv 

„Ich bin froh, dass der UNO-Sicherheitsrat sich nicht halb nötigen, halb korrumpieren hat lassen“ (Reinhard Merkel im ZDF-Spezial am 20. 3. 2003, 23:31, Debatte über die völkerrechtlichen Grundlagen des Irak-Kriegs).



„Sie wurden ärmer hinsichtlich der Funktionen, die sie wahrgenommen hatten oder auf die hin man sie entwickeln hätte können. Dies heißt, daß der situative Bereich der Normen […] eingeschränkt wird“ (Bartsch, Renate (1987): Sprachnormen: Theorie und Praxis, Niemeyer, Tübingen, S. 254).

Vít Dovalil, Ph.D.

lassen – ein Exkurs P. Eisenberg: 1. permissive Bedeutung – statisch Partizip II Karl lässt sie schlafen Karl hat sie schlafen gelassen 

2. direktiv – nicht statisch Ersatzinfinitiv Karl lässt sie arbeiten Karl hat sie arbeiten lassen

Vít Dovalil, Ph.D.

Ersatzinfinitiv/Partizip II als Bestandteil des Infinitivs II 

Ich erinnere mich, dass ich ihn kommen gehört habe.



Ich erinnere mich, ihn kommen gehört zu haben.



Er leugnet, dass er ihn hat kommen hören.



?(Er leugnet, ihn zu haben kommen hören). Vít Dovalil, Ph.D.

IV. Ersatzinfinitiv/Partizip II als Bestandteil des Infinitivs II 

Futur II – werden + Infinitiv II (MV) Er wird nicht abfahren gekonnt haben. können



haben abfahren Er wird nicht haben abfahren können. Man beschuldigt ihn, nicht abfahren gewollt zu haben.

Vít Dovalil, Ph.D.

IV. Ersatzinfinitiv/Partizip II als Bestandteil des Infinitivs II 

in den Nebensätzen Alle vermuten, dass er die Materialien sowieso nicht wird schicken lassen gekonnt haben. Alle vermuten, dass er die Materialien sowieso nicht wird haben schicken lassen können.

Vít Dovalil, Ph.D.

Beispiele 

„Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr, für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. […] kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte“ (Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas mit Materialien. Editionen für den Literaturunterricht, Hrsg. Dieter Steinbach, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1979, S. 3).

Vít Dovalil, Ph.D.

Beispiele - lassen permissive Bedeutung – statisch Partizip II Karl erinnert sich, sie ruhig schlafen gelassen zu haben. 

direktiv – nicht statisch Ersatzinfinitiv Karl wird vorgeworfen, sie arbeiten gelassen zu haben(?) Karl wird vorgeworfen, sie zu haben arbeiten lassen (?) 

Vít Dovalil, Ph.D.

Beispiele - lassen 

„René Oschwald, dem vorgeworfen wird, sich für die Zulieferung von Klärschlamm an Entsorgungsfirmen bezahlt haben zu lassen und damit die Stadt Zürich massiv geschädigt zu haben, wurde des gewerbsmässigen Betruges, des mehrfachen Betruges, der passiven Bestechung sowie der Urkundenfälschung für schuldig erklärt“ (St. Galler Tagblatt, 9. 4. 1998). Vít Dovalil, Ph.D.

Beispiele - lassen 

„René Oschwald, dem vorgeworfen wird, sich für die Zulieferung von Klärschlamm an Entsorgungsfirmen bezahlt haben zu lassen und damit die Stadt Zürich massiv geschädigt zu haben, wurde des Betruges für schuldig erklärt“ (St. Galler Tagblatt, 9. 4. 1998).

Ihm wird vorgeworfen, dass er sich für die Zulieferung hat bezahlen lassen und dass er damit die Stadt massiv geschädigt hat.

Vít Dovalil, Ph.D.

Beispiele - lassen 

„"Hätten wir sie kündigen sollen?", rechtfertigt sich Werner Eichtinger auch zu den Vorwürfen, vier Bewerber für das Amt, die bereits einen Termin für das entscheidende Hearing in der Tasche hatten, dumm sterben haben zu lassen“ (Kleine Zeitung, 26. 6. 1999). dass er vier Bewerber hat sterben lassen

Vít Dovalil, Ph.D.

Partizip I 







von jedem Verb bildbar, wie ein Adjektiv deklinierbar, meistens Attribute (über 90%) selten in den Wörterbüchern im Tschechischen stilistisch gehoben, im Deutschen dagegen neutral Bestandteil des Gerundivs (der zu schreibende Artikel, die zu entrichtenden Steuern)

Vít Dovalil, Ph.D.

Partizip II (Morphosyntax) 



 

Die Form je nach der Art der Verben gebildet Phänomen der (teilweise) un/trennbaren Präfixe Bestandteil vieler analytischer Formen, auch Formen mit kommen, bekommen, finden, stehen, sehen usw. nicht valenzbedingt attributiv: Bezug auf ein Substantiv – adjektivische Rolle (auch auf ein Subst. eines übergeordneten Satzes) nicht attributiv – Bezug auf ein Verb des übergeordneten Satzes, nicht stellungsfest Vít Dovalil, Ph.D.

Partizip II (Semantik) 

Partizipialgruppen

temporal modal konditional Temporale PG: Der Soldat, nach Hause zurückgekommen, besuchte gleich seinen Freund. Modale PG: Der Soldat starb, von zwei Kugeln des Feindes getroffen. Konditionale PG: Mit den USA verglichen, ist die Arbeitsproduktivität in der EU doch etwas niedriger.

Vít Dovalil, Ph.D.

View more...

Comments

Copyright � 2017 NANOPDF Inc.
SUPPORT NANOPDF