NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews

February 20, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)

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Einleitung Das nationalsozialistische Deutschland schuf eines der größten Zwangsarbeits-Systeme der Geschichte. Über 13 Millionen zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge arbeiteten im Zweiten Weltkrieg im Deutschen Reich. Auch in den besetzten Gebieten wurden Millionen Männer, Frauen und Kinder zur Arbeit für den Feind gezwungen. Erst 55 Jahre nach Kriegsende rief die Entschädigungs-Debatte die lange Zeit vergessenen Opfer der Zwangsarbeit wieder ins Gedächtnis. Um diese Erinnerung auch in Zukunft lebendig zu halten, stellt das Interview-Archiv Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (http://www. zwangsarbeit-archiv.de/") 590 Erinnerungsberichte ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Internet bereit. Auf diesen lebensgeschichtlichen Video-Interviews beruht das von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" geförderte neue Online-Bildungsangebot Lernen mit Interviews (http:// zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de) der Freien Universität Berlin: Sieben biografische Kurzfilme vermitteln unterschiedliche Erfahrungen in Lagern und Fabriken; zwei Hintergrundfilme informieren über Thema und Quellengattung. Zusatzmaterialien und interaktive Aufgaben unterstützen das forschende Lernen zu Zwangsarbeit und Oral History.

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Inhaltsverzeichnis

1.

Überblick: Die nationalsozialistische Zwangsarbeit

4

2.

Begriffe: Fremdarbeiter – Zwangsarbeiter – Sklavenarbeiter

7

3.

Zeitzeugen erzählen

11

3.1

Sinaida Baschlai. Eine ukrainische "Ostarbeiterin" in Haushalt und Rüstungsindustrie

12

3.2

Reinhard Florian. Verfolgung und Sklavenarbeit eines deutschen Sinto

14

3.3

Helena Bohle-Szacki. Eine deutsch-jüdische Polin in KZ und Emigration

16

3.4

Claudio Sommaruga. Zwangsarbeit und Verweigerung eines italienischen Militärinternierten

18

3.5

Victor Laville. Ein französischer Zwangsarbeiter in Bayern

20

3.6

Anita Lasker-Wallfisch. Musikerin – Jüdin – Überlebende

22

4.

Profiteure, Helfer, Handlungsspielräume

24

5.

Nach 1945: Vergessene Opfer, vergessene Lager

29

6.

Der lange Weg zur Entschädigung

35

7.

Oral History als Methode

40

8.

Lernen mit Interviews

43

9.

Expertengespräche

48

9.1

Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945

49

9.2

Das Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“

51

9.3

Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

53

10.

Literatur

55

11.

Redaktion

56

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Überblick: Die nationalsozialistische Zwangsarbeit Von Cord Pagenstecher

1.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs arbeiteten über 13 Millionen zivile Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hielten landwirtschaftliche Versorgung und Rüstungsproduktion aufrecht. Die Industrie profitierte von der Ausweitung der Produktion, deutsche Beschäftigte stiegen in Vorarbeiter-Stellen auf.

Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft Im Zweiten Weltkrieg fehlten der deutschen Kriegswirtschaft in großem Umfang Arbeitskräfte. Daher setzten Staat und Wirtschaft auf den massenhaften Einsatz von ausländischen Arbeitskräften. Alle überfallenen Länder wurden als Arbeitskräftereservoir für Deutschland genutzt. Anfängliche Anwerbungsversuche hatten geringen Erfolg; nach Tschechien und Polen wurden ab 1940 auch aus Westeuropa immer mehr Männer und Frauen – zum Teil in kompletten Jahrgängen – zwangsverpflichtet. Die große Wende brachte aber das Jahr 1942, als das Deutsche Reich nach dem Scheitern der " Blitzkrieg"-Strategie auf die Kriegswirtschaft des"totalen Kriegs" umstellte. Dies war angesichts der Einberufung fast aller deutschen Männer nur mit der massenhaften Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte durchzuführen. Sie bildeten mehr als ein Viertel, in manchen Werksabteilungen bis zu 60 Prozent der Belegschaft. Nur mit ihnen wurde die Versorgung der Bevölkerung und die von Albert Speer als dem zuständigen Minister organisierte Rüstungsproduktion aufrechterhalten. Großunternehmen wie auch kleine Handwerksbetriebe, Kommunen und Behörden, aber auch Bauern und private Haushalte forderten immer mehr ausländische Arbeitskräfte an und waren so mitverantwortlich für das System der Zwangsarbeit. Die Industrie profitierte von der starken Ausweitung der Produktion, die dadurch erst möglich wurde. Auf dem Höhepunkt des "Ausländereinsatzes" im August 1944 arbeiteten sechs Millionen zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Deutschen Reich, die meisten davon aus Polen und der Sowjetunion. Über ein Drittel waren Frauen, von denen manche gemeinsam mit ihren Kindern verschleppt wurden oder diese in den Lagern zur Welt brachten. Außerdem mussten 1944 fast zwei Millionen Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft arbeiten. Immer stärker griff die deutsche Industrie auch auf Konzentrationslager-Häftlinge zu.

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Die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Die Lebensbedingungen der zwangsweise in Deutschland oder in den besetzten Gebieten für Deutschland arbeitenden Menschen waren je nach Nation, rechtlichem Status und Geschlecht unterschiedlich. Menschen aus der Sowjetunion (im NS-Jargon sogenannte Ostarbeiter) und aus Polen waren durch diskriminierende Sondererlasse der Willkür der Gestapo und anderer polizeilicher Dienststellen wehrlos ausgeliefert. Sie durften ihre Lager oft nur zur Arbeit verlassen und mussten entsprechende Kennzeichen ("OST", "P") auf der Brust tragen. Gestützt wurde diese rassistische Hierarchie des NS-Regimes durch die innerhalb der deutschen Bevölkerung weit verbreiteten antislawischen Vorurteile, die zu vielen zusätzlichen Beleidigungen, Denunziationen und Misshandlungen führten. Auch die nach dem Kriegsaustritt Italiens im Herbst 1943 als "Militärinternierte" nach Deutschland verschleppten Italiener wurden als angebliche Verräter miserabel behandelt. Erträglicher, aber dennoch entbehrungsreich und demütigend, war das Leben für westeuropäische oder der "nordischen Rasse" zugerechnete Facharbeiter und Ingenieure. Am schlimmsten war das Schicksal der Konzentrationslager-Häftlinge, vor allem der zur "Vernichtung durch Arbeit " vorgesehenen Jüdinnen, Juden, Sinti und Roma.

Ein System rassistisch-bürokratischer Repression Alle ausländischen Arbeitskräfte wurden durch einen rassistisch-bürokratischen Repressions- und Kontrollapparat aus Wehrmacht, Arbeitsamt, Werkschutz, Polizei und SS streng überwacht. Sie wurden in zugige Baracken oder in überfüllte Gaststätten und Festsäle eingepfercht. In den Lager- und Betriebskantinen wurden sie nur äußerst unzureichend verpflegt; ohne Lebensmittelmarken konnten sie von ihrem geringen Lohn nichts zu Essen kaufen und litten ständig Hunger. Die wenigen nach der oft zwölfstündigen Arbeitsschicht verbleibenden Stunden Freizeit nutzten sie zunächst, um ihr Überleben zu sichern. Sie versuchten auf dem Schwarzmarkt Brot zu erstehen oder putzten – gegen ein Mittagessen – für eine deutsche Familie. Damit konnten sich auch ärmere Deutsche ein Dienstmädchen oder einen Bauarbeiter ins Haus holen – wortwörtlich für ein Butterbrot. Den Bombenangriffen waren die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter noch wehrloser ausgesetzt als die deutsche Bevölkerung, da sie meist keinen Zugang zu Schutzräumen hatten. Viele Frauen litten unter zusätzlichen Schikanen und Gewalttätigkeiten. Trotz Repression, Denunziation, Orientierungslosigkeit und der verheerenden Lebensbedingungen in der besetzten und ausgeplünderten Heimat versuchten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer wieder zu fliehen; auch gab es Ansätze zu Widerstand und Sabotage. Ohne juristische Einspruchsmöglichkeiten und allein schon bei Verdacht auf diese Delikte konnten sie im Extremfall in Konzentrationslager eingewiesen oder gar hingerichtet werden. Im Falle von "Bummelei" oder Arbeitsverweigerung drohten die berüchtigten Arbeitserziehungslager.

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Nach der Befreiung Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte Millionen versklavter und todesbedrohter Menschen die Befreiung. Nach ihrer Befreiung machten sich viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf eigene Faust sofort auf den Heimweg; andere lebten als "Displaced Persons" oder " Repatrianten" weiterhin in Lagern und warteten auf ihre Rückkehr oder Ausreise ins westliche Ausland. Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war der Leidensweg 1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt; nicht wenige verschwanden in den stalinistischen Lagern. Die meisten leiden noch immer und besonders im Alter unter den psychischen und physischen Folgeschäden des "Totaleinsatzes" (so die tschechische Bezeichnung für die NS-Zwangsarbeit). In vielen osteuropäischen Ländern leben sie nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften am Rand des Existenzminimums. In Deutschland wurde die NS-Zwangsarbeit – trotz ihrer Verurteilung in den Nürnberger Prozessen – jahrzehntelang als übliche Begleiterscheinung von Krieg und Besatzungsherrschaft bezeichnet und damit zugleich bagatellisiert, nicht aber als spezifisches NS-Unrecht anerkannt.

Entschädigung und Erinnerung Die deutschen Regierungen und die von dem Sklaveneinsatz profitierenden Betriebe lehnten lange Zeit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jegliche Übernahme von Verantwortung für diese Opfer ab. Erst 65 Jahre nach Kriegsende rief die Entschädigungs-Debatte die lange Zeit vergessenen Opfer der Zwangsarbeit wieder ins Gedächtnis. Überall in Deutschland erforschten lokale Initiativen die Geschichte der Zwangsarbeit, organisierten Begegnungen, sammelten Erinnerungen und errichteten Gedenkstätten. Die im Jahr 2000 gegründete Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zahlte eine Gesamtsumme von rund 4,7 Mrd. Euro an 1,7 Mio. Überlebende aus. Um die Erinnerung an die NSZwangsarbeit auch in Zukunft zu bewahren, stellt das Interview-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte" 590 Erinnerungsberichte ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Internet bereit. Die dazugehörige Online-Lernumgebung "Lernen mit Interviews " stellt beispielhaft sieben Video-Interviews vor.

Weiterführende Links Interview-Archiv Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (http://www.zwangsarbeitarchiv.de) Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945", Hintergrundfilm Zwangsarbeit und Entschädigung (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/ hintergrund/zwangsarbeit-und-entschadigung#) mit Zusatzmaterialien (Registrierung notwendig) Bücher und Medien zur NS-Zwangsarbeit (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/buecher_medien/index. html) Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

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Begriffe: Fremdarbeiter – Zwangsarbeiter – Sklavenarbeiter Von Cord Pagenstecher

1.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

In Quellen und Literatur werden unterschiedliche Begriffe verwendet, um die nationalsozialistische Zwangsarbeit zu bezeichnen. Der Oberbegriff "Zwangsarbeit" umfasst verschiedene Formen des Arbeitseinsatzes und konnte unterschiedliche Lebensumstände bedeuten.

Auch in den zeitgenössischen Quellen finden wir verschiedene Bezeichnungen für Zwangsarbeit: Oft schrieben die Dienststellen oder Betriebe von "Ausländern", aber auch von "Gefangenen" oder " Fremdvölkischen", manchmal sogar von "Gastarbeitern". Im mündlichen Sprachgebrauch waren auch Schimpfwörter wie "Polenschweine" oder "Russenweiber" gängig. Hier werden die wichtigsten Bezeichnungen kurz erläutert.

Zwangsarbeit Arbeit, die mit nicht-wirtschaftlichem Zwang und unter Androhung von Strafe verlangt wird. Unter Zwangsarbeit im Nationalsozialismus versteht man insbesondere die Verschleppung und Ausbeutung von über 13 Millionen ausländischen KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitskräften in Deutschland. Zwangsarbeit gab es auch in Ghettos, Arbeitserziehungslagern und anderen Lagern im gesamten besetzten Europa und betraf insgesamt etwa zwanzig Millionen Menschen. Deutsche Jüdinnen und Juden und deutsche Häftlinge leisteten ebenfalls Zwangsarbeit. Daneben herrschte in vielen besetzten Ländern ein allgemeiner Arbeitszwang für die Zivilbevölkerung. Davon abzugrenzen sind die Arbeitspflichten für die deutsche Bevölkerung (Reichsarbeitsdienst, Dienstverpflichtung, Landjahr), die unter völlig anderen Bedingungen stattfanden.

Fremdarbeiter Umgangssprachliche Bezeichnung für zivile Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus. Der Begriff " Fremdarbeiter" verschleiert den Zwang als Grundlage des Arbeitseinsatzes. Selbst die ursprünglich freiwillig, d. h. oftmals aus wirtschaftlicher Not nach Deutschland gekommenen "Fremdarbeiter" durften später ihren Arbeitsplatz nicht mehr verlassen. Der in den Quellen nur selten verwendete Begriff " Fremdarbeiter" fand nach 1945 Verbreitung, um den nationalsozialistischen Ausländereinsatz von der Beschäftigung der "Gastarbeiter" in der Bundesrepublik zu unterscheiden. In politischen Debatten werden Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten noch heute gelegentlich als "Fremdarbeiter " bezeichnet.

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Fremdvölkische Nationalsozialistische Bezeichnung für Menschen, die nicht "germanischer Abstammung" waren und nicht zur "Volksgemeinschaft" zählten. Als "fremdvölkisch" galten alle Ausländerinnen und Ausländer, die nicht aus "germanischen" Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien kamen. Als "rassisch minderwertig" wurden insbesondere Slawinnen und Slawen angesehen. Ganz unten in der NSRassenhierarchie standen Jüdinnen und Juden, "Zigeuner" und "Farbige"; sie galten als "fremdvölkisch ", auch wenn sie Deutsche waren.

Sklavenarbeiter Heutige Bezeichnung für völlig rechtlose Arbeitskräfte, vor allem für die Häftlinge von Konzentrationslagern. Der Begriff "Sklavenarbeiter" wurde in den Nürnberger Prozessen für alle zur Arbeit ins Reich Verschleppten verwendet. In den Entschädigungsverhandlungen der 1990er Jahre bezeichnete er dagegen nur die Gruppe der KZ-Häftlinge, die für die SS, für private oder staatliche Unternehmen arbeiten mussten und extrem ausgebeutet wurden ("Vernichtung durch Arbeit"). Der mit diesem Begriff verbundene Vergleich der NS-Zwangsarbeit mit der Sklaverei in anderen Epochen ist umstritten, unter anderen, weil die SS im Unter-schied zu anderen Sklavenhaltern kaum am Überleben ihrer "Sklavenarbeiter" interessiert war.

Am 1. Oktober 1946 endete der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, der die "Sklavenarbeit" als zentrales Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten verurteilte. Im folgenden Video sprechen zwei Zeitzeugen und eine Zeitzeugin über Zwangsarbeit als Sklaverei. Sie verwenden den Begriff "Sklave" in unterschiedlichen Bedeutungen. Ausschnitte aus den Video-Interviews mit den Zwangsarbeitern Wasyl B., Bloeme E. und Claudio S. (http://www.bpb. de/mediathek/227592/sklavenarbeit)

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Zivilarbeiter Heutige Bezeichnung für Zwangsarbeiter, die keine Kriegsgefangenen oder KZ-Häftlinge waren. Im Sommer 1944 gab es im Deutschen Reich rund 5,7 Millionen ausländische Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter. Sie wurden von privaten Firmen, Behörden, Bauern oder Familien beschäftigt, untergebracht und überwacht. Kriegsgefangene und Militärinternierte unterstanden dagegen der Wehrmacht, Häftlinge der SS oder der Gestapo. Die Bezeichnung "Zivilarbeiter" verweist also nicht auf besonders zivilisierte Lebensumstände, sondern nur auf die nicht-militärische Verantwortung für ihre Zwangsarbeit.

Ostarbeiter Nationalsozialistische Bezeichnung für Zivilarbeiter, die aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion stammten. Nach der anfänglichen Anwerbung von Freiwilligen folgte sehr bald die gewaltsame Verschleppung von 2,1 Millionen sowjetischen Frauen und Männern nach Deutschland. " Ostarbeiterinnen" und "Ostarbeiter" mussten das diskriminierende "OST"-Abzeichen tragen, wurden meistens in besonderen Lagern untergebracht und weitaus schlechter behandelt als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus anderen Ländern. Nach der Befreiung wurden viele von ihnen in der Sowjetunion wegen angeblicher Kollaboration diskriminiert oder verfolgt. Menschen aus Polen zählten nicht zu den "Ostarbeitern", wurden aber als Slawen ebenfalls besonders schlecht behandelt.

Am 20. Februar 1942 gab Heinrich Himmler die "Ostarbeiter-Erlasse" heraus. Sie unterwarfen über drei Millionen aus der Sowjetunion verschleppte zivile Arbeitskräfte einem diskriminierenden Sonderrecht. Im folgenden InterviewAusschnitt (Audio) berichtet eine Zeitzeugin, wie sie bei der Zwangsarbeit in Chemnitz als "Ostarbeiterin" behandelt wurde. Audio-Slideshow mit Ausschnitten aus dem Audio-Interview und Fotos der sowjetischen Zwangsarbeiterin Hanna Fedoriwna H., Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945". Aktuelle Fotos der Diamant-Werke: Udo Thierfelder (http:// www.bpb.de/mediathek/227595/20-februar-1942-die-ostarbeiter-erlasse)

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Weiterführende Links Nationalsozialistische Lager: Begriffserklärungen zu Konzentrations-, Kriegsgefangenen-, Zwangsarbeiter- und anderen Lagern (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/zwangsarbeit/erfahrungen/ lager/index.html) auf der Webseite "Zwangsarbeit 1939-1945" Lexikon in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" mit ca. 150 Begriffserläuterungen zur NS-Zwangsarbeit (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/dictionary/) (Registrierung notwendig) Themenfilm 8. März 1940: Die Polen-Erlasse (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/zwangsarbeit/ ereignisse/polenerlasse) auf der Webseite "Zwangsarbeit 1939-1945" (Ausschnitte aus 3 Interviews, 10 Minuten) Themenfilm 8. September 1943: Die italienischen Militärinternierten (http://www.zwangsarbeit-archiv. de/zwangsarbeit/ereignisse/8-september/) auf der Webseite "Zwangsarbeit 1939-1945" (Ausschnitte aus 3 Interviews, 9 Minuten)

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

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Zeitzeugen erzählen 11.10.2016

Der Begriff „Zwangsarbeit“ umfasst verschiedene Formen des Arbeitseinsatzes, die unterschiedliche individuelle Erfahrungen bedeuteten. Zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatten mehr Freiraum als Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge. Die Zwangsarbeit in Bergwerken und Bunkerbauten war schlimmer als ein Einsatz in der Haus- und Landwirtschaft. In den besetzten Gebieten herrschten andere Bedingungen als im Reich selbst. Frauen litten unter zusätzlichen Schikanen. Menschen slawischer Abstammung wurden besonders diskriminiert. Viele Roma und jüdische Häftlinge wurden sogar zu Opfern der „Vernichtung durch Arbeit“, während ihre Arbeitsfähigkeit andere wiederum zumindest zeitweise vor der Ermordung rettete. Die Vielfalt dieser Erfahrungen zeigt sich in den höchst unterschiedlichen individuellen Erinnerungen der Überlebenden. Ihre verschiedenen Lebenswege eröffnen zugleich eine internationale Perspektive auf die NS-Zwangsarbeit als Teil der europäischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs. In der OnlineAnwendung Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945 (http://zwangsarbeit.lernen-mitinterviews.de) (Registrierung notwendig) berichten sechs Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Opfergruppen von ihren Erfahrungen in Lagern und Fabriken. Ihre Lebenswege werden hier vorgestellt. Weiterführende Links: Themenfilm 8. September 1943: Die italienischen Militärinternierten (http://www.zwangsarbeit-archiv. de/zwangsarbeit/ereignisse/8-september/) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“ (Ausschnitte aus 3 Interviews, 9 Minuten) Themenfilm Sinti und Roma: Der Beginn der Verfolgung (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/ zwangsarbeit/ereignisse/sintiundroma/) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“ (Ausschnitte aus einem Interview, 8 Minuten)

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Sinaida Baschlai. Eine ukrainische "Ostarbeiterin" in Haushalt und Rüstungsindustrie 11.5.2016

1942: Verschleppung nach Berlin und Arbeit in der Fabrik (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb. de/mediathek/240044/sinaida-baschlai)

1914: Geburt in Belgorod (Russisches Reich, heute Russland) 1916-1942: Kindheit und Jugend in Charkow Umzug nach Charkow Schulbesuch und Studium als technische Zeichnerin und Konstrukteurin Arbeit als Ingenieurin bei " Giprokoks" 1942: Zwangsarbeit in Berlin Verschleppung zur Zwangsarbeit bei der Firma "Schwarzkopf" in Berlin-Tempelhof Später Arbeit als Dienstmädchen bei einer baltendeutschen Familie in Berlin-Steglitz 1943: Zwangsarbeit in Bäckerei in Schönstadt Nach Luftangriffen auf Berlin zieht die Hausherrin nach Hessen und nimmt Sinaida Baschlai mit Arbeit in einer Bäckerei in Schönstadt bei Marburg

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Sommer 1944: Zwangsarbeit für die WASAG in Allendorf Arbeit in der Munitionsfabrik, Unterbringung im "Russenlager" April 1945: Überprüfung in Filtrierlager Magdeburg Befreiung durch US-Truppen, dann Überprüfung in einem Filtrierlager in Magdeburg (Sowjetische Besatzungszone) Oktober 1945: Rückkehr nach Charkow (Sowjetunion, heute Ukraine) Wiedereinstellung bei "Giprokoks" 1978: Rente 1984: Heirat Weiterführender Link: Sinaida Baschlai. Eine ukrainische ‘Ostarbeiterin’ in Haushalt und Rüstungsindustrie (http:// zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/menschen/sinaida-baschlai) Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung „Lernen mit Interviews“ (Registrierung notwendig)

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Reinhard Florian. Verfolgung und Sklavenarbeit eines deutschen Sinto 11.5.2016

"Es fängt alles klein an und groß hört es auf." (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.de/ mediathek/240053/reinhard-florian)

1923: Geburt in Matheninken bei Insterburg (Ostpreußen, heute Ugrjumowo, Oblast Kaliningrad, Russland), Schulbesuch 1937: Zwangsverpflichtung als Melker auf einem Rittergut 1941: Inhaftierung in Insterburg (Ostpreußen, heute Tschernjachowsk, Oblast Kaliningrad, Russland) Monatelanger Transport durch zahlreiche weitere Gefängnisse in Deutschland 1941: Einlieferung ins KZ Mauthausen Sklavenarbeit im Steinbruch 1942: Zwangsarbeit im KZ Auschwitz Gefangenschaft im KZ Auschwitz und seinen Nebenlagern Monowitz, Rydultau (Charlottengrube) und Blechhammer

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Sklavenarbeit unter anderem im Bergbau Januar 1945: Transport ins KZ-Außenlager Melk Wegen Herannahen der Roten Armee Transport über Mauthausen ins KZ Melk (Außenlager von Mauthausen) Mai 1945: Befreiung im KZ Ebensee (Außenlager von Mauthausen) Nach 1945: Leben in Bayreuth Lebt als Staatenloser in Bayreuth. Infolge der KZ-Haft lange arbeitsunfähig Bis 2014: Aktiv für die Erinnerung Erst nach 1990 Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit Ehrengast bei der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin am 24. Oktober 2012 17. März 2014: Reinhard Florian stirbt im Alter von 91 Jahren Weiterführender Link: Reinhard Florian. Verfolgung und Sklavenarbeit eines deutschen Sinto (https://zwangsarbeit.lernenmit-interviews.de/menschen/reinhard-florian) Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig) Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Helena Bohle-Szacki. Eine deutsch-jüdische Polin in KZ und Emigration 11.5.2016

1944/45: Im Außenlager Helmbrechts des KZ Flossenbürg (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www. bpb.de/mediathek/240054/helena-bohle-szacki)

1928: Geburt in Białystok (Polen) Vater deutsch, Mutter jüdisch 1939: sowjetische Besatzung seit 1941: deutsche Besatzung Ermordung der Schwester illegaler Schulbesuch April 1944: verhaftet Juni 1944: Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück Transport ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, inhaftiert als "asoziale Halbjüdin" Arbeitseinsatz im Lager Herbst 1944: Transport ins KZ Helmbrechts (Außenlager von Flossenbürg) in Oberfranken

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Zwangsarbeit in der Rüstungsfabrik Neumeyer Freundschaft mit Gruppe aus Lodz April/Mai 1945: Todesmarsch nach Falkenau-Zwodau Todesmarsch nach Böhmen Befreiung durch amerikanische Truppen im Lager Falkenau-Zwodau (heute Svatava, Tschechien) 1945: Leben in Łódź Rückkehr über Bialystok nach Łódź (Polen) Beginn des Kunststudiums 1950: Tod des Vaters nach Verhaftung durch Staatssicherheit 1968: Emigration Emigration nach West-Berlin wegen Antisemitismus in Polen Arbeit in der Modebranche und als Künstlerin 21. August 2011: Helena Bohle-Szacki stirbt in Berlin Weiterführender Link: Helena Bohle-Szacki. Eine deutsch-jüdische Polin in KZ und Emigration (https://zwangsarbeit.lernenmit-interviews.de/menschen/helena-bohle-szacki) Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig)

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Claudio Sommaruga. Zwangsarbeit und Verweigerung eines italienischen Militärinternierten 11.5.2016

1945: Befreiung und Rückkehr (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.de/mediathek/240056/ claudio-sommaruga)

1920: Geburt in Genua (Italien) Schulbesuch 1939: Studium der Geologie 4. September 1943: Einberufung als Offizier 8. September 1943: Gefangennahme in Alessandria (direkt nach der deutschen Besetzung Italiens) Transport nach Deutschland September 1943: Ankunft im Kriegsgefangenenlager Stalag X B Sandbostel (bei Bremerhaven) Anwerbung zu den faschistischen Truppen verweigert September 1943 - Januar 1944: Kriegsgefangenschaft im Stalag 367 in Tschenstochau (Polen)

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Januar 1944: Transport ins Stalag 307 Dęblin (Polen) dort später im Offizierslager Oflag 77 im März wegen des russischen Vorstoßes Abtransport nach Westen Sommer 1944: Kriegsgefangenschaft im Stalag VI G Duisdorf-Hardhöhe (bei Bonn) weitere Anwerbungsversuche verweigert August 1944: Zwangsarbeit in Köln "Straflager AK96", Zwangsarbeit bei der Fallschirmfabrik Glanzstoff & Courtaulds in Köln Krankenhausaufenthalt Oktober 1944: Transport nach Wietzendorf über das Straflager Forellenkrug ins Oflag 83 Wietzendorf (Niedersachsen), auf 38 Kilo abgemagert April 1945: Befreiung durch kanadische Truppen August 1945: Rückkehr zur Familie nach Varese (Italien) Fortsetzung des Studiums an verschiedenen Orten, dann Arbeit als Geologe seit den 1980er Jahren aktiv in der Erinnerungsarbeit für die italienischen Militärinternierten 4. November 2012: Claudio Sommaruga stirbt Weiterführender Link: Claudio Sommaruga. Zwangsarbeit und Verweigerung eines italienischen Militärinternierten (http:// zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/menschen/claudio-sommaruga) Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig) Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Victor Laville. Ein französischer Zwangsarbeiter in Bayern 11.5.2016

1943: Im Bahnkonvoi nach Bayern (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.de/mediathek/240055/ victor-laville)

18. Juli 1921: Geburt in Grau du Roi (Frankreich) 1928: Schulbesuch in Sète Bekanntschaft mit dem späteren Chansonnier Georges Brassens, Abitur 1940: Studium in Montpellier Beginn des Kunststudiums in Montpellier, 1941 Marseille Veröffentlichung von Zeichnungen 1941 - Juni 1942: Arbeitsdienst in den Cevennen Waldarbeiten bei den „Chantiers de Jeunesse“ (Arbeitsdienst des Vichy-Regimes) in den Cevennen März 1943: Zwangsarbeit bei der Luitpoldhütte Amberg (Oberpfalz) Verpflichtung zum Service du Travail Obligatoire (STO, „Pflichtarbeitsdienst“) bei der Luitpoldhütte der „Reichswerke Hermann Göring“ in Amberg

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April - Juni 1943: Zwangsarbeit in Hirschau (Oberpfalz) Arbeit im Zementwerk von Polensky und Zöllner in Hirschau 1943: Zwangsarbeit in Penzberg (Oberbayern) Vermessungsarbeiten auf einer Baustelle der Reichsbahn Mai 1944: Rückkehr nach Sète Victor Laville bleibt nach Heimaturlaub in Sète und taucht in der Nähe unter Bombardierung seiner Heimatstadt Nach 1945: Leben in Paris Arbeit als Gestalter und Redakteur bei „Paris Match“ 1981: Rente und Rückkehr nach Sète Pflegt die Erinnerung an seinen alten Freund, den französischen Chansonnier Georges Brassens Weiterführender Link: Victor Laville. Ein französischer Zwangsarbeiter in Bayern (https://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews. de/menschen/victor-laville) Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig)

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Anita Lasker-Wallfisch. Musikerin – Jüdin – Überlebende 11.5.2016

Im Frauenorchester von Auschwitz-Birkenau: 1943 bis 1944 (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www. bpb.de/mediathek/239478/anita-lasker-wallfisch)

17. Juli 1925: Geburt in Breslau Vater Rechtsanwalt, Mutter Geigerin und Hausfrau, zwei ältere Schwestern, Marianne und Renate Besuch einer Privatschule und Musikunterricht in Breslau (heute Wrocław, Polen) Ausreise der ältesten Schwester Marianne 1939 nach England März 1940: Zwangsumzug Zwangsumzug und Zusammenleben mit Verwandten Januar bis Juni 1941: Besuch einer jüdischen Schule Bemühungen des Vaters um die Ausreise der Familie Herbst 1941: Zwangsarbeit in Papierfabrik Zwangsarbeit der Schwestern Anita und Renate in der Sacrauer Papierfabrik, Unterstützung französischer Kriegsgefangener

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9. April 1942: Deportation der Eltern ins Durchgangsghetto Izbica in Polen Todesdatum und -ort unbekannt September 1942: Fluchtversuch und Verhaftung, Gerichtsverhandlung und Gefängnisurteil Herbst 1943: KZ Auschwitz-Birkenau Inhaftierung im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Häftlingsnummer 69388; Arbeitskommando: Frauenorchester Oktober 1944 bis April 1945: KZ Bergen-Belsen Ende Oktober 1944 Evakuierungstransport in das KZ Bergen-Belsen 15. April 1945: Befreiung 1945: Nach der Befreiung Leben im DP-Lager Bergen-Belsen Herbst 1945 Zeugin im Lüneburger Bergen-Belsen-Prozess, Ausreise nach Brüssel und 1946 nach England Ausreise der Schwester Marianne aus London nach Palästina Ab 1946: Leben in London Musizieren mit verschiedenen Orchestern 1948 Mitbegründerin des „English Chamber Orchestra“ 1952 Heirat mit dem Pianisten Peter Wallfisch; Tod der ältesten Schwester Marianne in Israel 1953 und 1958 Geburt des Sohnes und der Tochter 1990er Jahre: Besuche in Deutschland Anfang der 1990er Jahre erstmalig wieder in Deutschland, seitdem Auftritte als Zeitzeugin in der deutschen Öffentlichkeit 1993: Tod des Ehemannes 1996: Anita Lasker-Wallfischs Erinnerungen „Inherit The Truth“ erscheinen Die deutsche Ausgabe „Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz“ kommt 1997 heraus Weiterführender Link: Anita Lasker-Wallfisch. Musikerin – Jüdin – Überlebende (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews. de/menschen/anita-lasker-wallfisch) Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig) Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Profiteure, Helfer, Handlungsspielräume Von Cord Pagenstecher

1.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

Neben der Rüstungsindustrie profitierten auch öffentliche Dienststellen, Handwerker und Bauern sowie private Haushalte von der Zwangsarbeit. Mehr noch als andere nationalsozialistische Massenverbrechen fand die Zwangsarbeit direkt vor der Haustür statt.

Die "Fremdvölkischen" waren auf ihren langen täglichen Arbeitswegen ebenso unübersehbar wie in den Fabriken und Lagern. Die allgegenwärtige und überall sichtbare Ausbeutung und Diskriminierung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde von der deutschen Bevölkerung weithin hingenommen oder – wie die hohe Zahl von Denunziationen bei der Gestapo zeigt – gar begrüßt und unterstützt. Nicht nur die Rüstungsindustriellen, auch einfache Deutsche profitierten von der Zwangsarbeit, die ihnen die Lebensmittelversorgung sicherte und einen gewissen sozialen Aufstieg ermöglichte. Persönliche Kontakte waren verboten, durch Misstrauen und Sprachbarrieren aber ohnehin selten. Viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter berichten gleichwohl von kleinen Anzeichen von Solidarität oder konkreten Hilfsleistungen wie dem Zustecken von Nahrungsmitteln.

Zwangsarbeit für Industrie, Staat und Handwerk Die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren in den großen Fabriken der Rüstungsindustrie tätig. Ab 1942 bemühten sich die Firmen aktiv um die Zuweisung von immer mehr ausländischen Arbeitskräften, um damit Rüstungsaufträge übernehmen zu können und so an dem von Albert Speer (http://www.chotzen.de/bibliothek/biografien/albert-speer) organisierten Wirtschaftsboom teilzuhaben. Ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hätten die meisten Fabriken schließen müssen, mit ihnen konnten sie ihre Produktionskapazitäten erheblich ausbauen. Zu Kriegsende produzierte etwa die zum Flick-Konzern gehörende Spandauer Stahlindustrie mit einem Anteil von über 80 Prozent Ausländern an der Belegschaft. Millionen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in ganz Europa arbeiteten für große Baufirmen, oft in Verbindung mit der Organisation Todt (http://www. chotzen.de/bibliothek/glossar/die-organisation-todt). Auch der Bergbau setzte massenhaft Zwangsarbeiter ein; der Sinto Reinhard Florian etwa musste als Häftling in einer oberschlesischen Kohlengrube arbeiten. Besonders schlecht waren die Bedingungen in den Untertage-Projekten, mit denen die Rüstungsfirmen unterirdische, vor Luftangriffen geschützte Produktionsstätten einrichteten.

Der Großindustrielle Günther Quandt besaß viele Rüstungsfirmen, die Zwangsarbeiter einsetzten, 1941. Lizenz: cc by-sa/3.0/de (Bunde­ sarchiv, Bild 183-B03534)

Ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wäre nicht nur die Rüstungsindustrie, sondern auch die Versorgung der Deutschen rasch zusammengebrochen. Bahn und Post, Krankenhäuser und Friedhöfe sowie die meisten städtischen Werke bedienten sich der Zwangsarbeit: Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) etwa berichteten dem Arbeitsamt über die "vielen Ostarbeiterkinder bei uns

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". Der 19-jährige Pole Roman Melnyk musste ab 1940 bei der Berliner Stadtreinigung arbeiten, ehe er 1942 – vermutlich weil er sich über die schlechten Bedingungen beschwerte – ins Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen wurde. Allein für die Reichsbahndirektion Berlin schufteten 20.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Der Franzose Victor Laville arbeitete erst für eine Eisengießerei, dann auf einer Baustelle der Reichsbahn. Viele der Verschleppten waren auch bei kleinen Handels- und Handwerksbetrieben beschäftigt. Die Kreuzberger Weinhandlung Robert Boos beschäftigte ein Dutzend Ostarbeiter. Der Ukrainer Roman F. arbeitete als Heizergehilfe im Hotel Adlon.

Zwangsarbeit auf Bauernhöfen und in Privathaushalten Viele deutsche Bauernhöfe setzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein, die die zur Wehrmacht eingezogenen Knechte, Mägde und Landarbeiter ersetzten. Auf dem Land waren die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter meist besser verpflegt und weniger von Bombenangriffen betroffen als in der Stadt; doch mussten sie hart arbeiten, waren isoliert von ihren Landsleuten und der Willkür ihrer Bauernfamilien ausgesetzt. Besonders viele sowjetische Zwangsarbeiterinnen wurden als Dienstmädchen in bürgerlichen Haushalten beschäftigt. Viele leitende Angestellte von Unternehmen und NS-Bürokratie nutzten ihre Beziehungen, um ihren Ehefrauen eine Haushaltshilfe zu besorgen. Für die "Ostarbeiterinnen“ bedeutete das eine bessere Versorgung, aber auch lange Arbeitszeiten, persönliche Willkür und eine höhere Gefahr sexueller Ausbeutung. Die aus Charkow nach Berlin verschleppte Ingenieurin Sinaida Baschlai wurde zunächst bei der Kosmetikfirma Schwarzkopf eingesetzt, kam dann aber als Haushaltshilfe in eine Villa am Stadtpark in Steglitz. Ihre Herrin behandelte sie klassenbewusst, aber nicht schlecht: "Sie war die Herrin, ich ihr Dienstmädchen. Ich arbeitete den ganzen Tag, und sie konnte sich ans Klavier setzen; sie dachte, wenn sie spielte und ich arbeitete, würde ich eine bessere Laune bekommen."

Nachbarschaft Die Zwangsarbeit fand direkt vor der Haustür der Bevölkerung statt; fast jeder Deutsche hatte ein Zwangsarbeiterlager in der Nachbarschaft. In Münster sind 180 solcher Unterkünfte nachgewiesen, in Hamburg 1300, in Berlin über 3000. Mancher Volksgenosse protestierte gegen die Einrichtung eines Ausländerlagers in seinem Wohngebiet und die – so ein Berliner in einer Beschwerde – damit drohende "Überflutung der Gegend durch herumlungernde Ausländer".

Josef Kroupa erinnert sich

Auf einem Privatfoto aus dem Jahr 1942 feiert Familie K. im Garten hinter dem Haus eine Einschulung; im Hintergrund sieht man eine Baracke. In diesen Baracken in der Steinstraße lebten Zwangsarbeiter der Reichspostdirektion Berlin. Der Tscheche Josef Kroupa erinnerte sich 1997: „Wir schliefen auch bei strengsten Frösten nur unter einer Decke. Wir haben uns einen Ofen organisiert, Zweige und Kohle am Bahnhof gesammelt, um uns wenigstens Tee zu kochen. […] Es war ein Hundeleben.“* Im Nachbargarten jedoch lief das bürgerliche Familienleben unberührt weiter. Was der Familie K. über das benachbarte Zwangsarbeiterlager bekannt war, ist unbekannt – die auf dem Foto vorne abgebildete Zeitzeugin erinnert sich kaum noch daran. * Erinnerungsbericht von Josef Kroupa, 1997, Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt

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Auch auf ihren langen täglichen Arbeitswegen waren die "Fremdvölkischen" unübersehbar. Viele Deutsche erinnerten sich noch lange nach dem Krieg an das typische Klappern der Holzpantinen auf dem Pflaster, wenn die Lagerinsassinnen und -insassen zur Arbeit geführt wurden. Mit einem Sonderfahrplan regelte die Reichsbahndirektion Berlin im Juli 1944 den S-Bahn-Transport von russischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen durch Berlin. Danach passierte beispielsweise jeden Werktag um 6:16 Uhr ein Sonderzug mit Ostarbeitern den Bahnhof Bornholmer Straße. Die Direktion merkte an: "Die Sonderzüge sind auf allen Bahnhöfen mit dem Richtungsschild 'Nicht einsteigen' anzukündigen."

Misstrauen Die von der NS-Sondergesetzgebung vorgegebene Abschottung der "Fremdvölkischen" beschränkte die Kontakte zwischen Deutschen und Ausländern. Der "verbotene Umgang" wurde teilweise streng verfolgt. Die Sprachbarriere und das gegenseitige Misstrauen taten ein Übriges, um – in der Großstadt ohnehin seltenere – persönliche Beziehungen zu verhindern. In die anfangs oft siegesgewiss überhebliche Wahrnehmung der Ausländer mischte sich gegen Ende des Krieges nun häufiger Angst vor den Fremden. Die Journalistin Ursula von Kardorff notierte Ende 1944 in ihrem Tagebuch: "Die Fremdarbeiter sollen vorzüglich organisiert sein. Es heißt, daß Agenten unter ihnen sind, Offiziere, Abgesandte der verschiedenen Untergrundbewegungen, die gut mit Waffen ausgerüstet seien, auch mit Sendegeräten. […] Zwölf Millionen Fremdarbeiter gibt es in Deutschland. Eine Armee für sich. Manche nennen sie das Trojanische Pferd des heutigen Krieges."[1]

Hilfsleistungen

Nahezu drei Millionen Frauen, Männer und Kinder aus Polen mussten während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit in Deutschland leisten. Die Begegnungen mit Deutschen prägten entscheidend ihre Erinnerung daran. In diesem Video sprechen eine Zeitzeugin und ein Zeitzeuge über ihre Erfahrungen mit einzelnen Deutschen. Ausschnitte aus den Videointerviews mit Janina Halina G. und Zdzisław D. (http://www.bpb.de/mediathek/227598/gute-deutscheschlechte-deutsche)

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Viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter berichten gleichwohl von konkreten Hilfsleistungen wie dem Zustecken von Nahrungsmitteln. Dieses zwischenmenschliche Mitgefühl war von großer Bedeutung für das Überleben der Ausländer, aber auch für die moralische Integrität der Helfenden. In Berlin ist eine ganze Reihe von Hilfsaktionen aus Reihen des deutschen, vor allem des Arbeiterwiderstands dokumentiert. Die Zwangsarbeiter registrierten aufmerksam jedes Anzeichen von Solidarität. Jerzy Bukowiecki aus Polen etwa erinnerte sich 1998: "Es arbeitete dort auch ein alter Mann […]. Dieser sehr sympathische alte Mann fing jede Unterredung mit 'Hitler kaputt' an. Er hasste, nicht weniger als wir, Hitler und alle Nazileute. Sein Gruß war: 'Hitler kaputt.' Allen Ausländern war er sehr sympathisch."[2]

Zustimmungsdiktatur Überwiegend wurde die "Apartheid nebenan" von den Deutschen aber akzeptiert, wenn sie nicht gar die nationalsozialistische Herrenmenschen-Ideologie fanatisch unterstützten. Die meisten Verhaftungen und Bestrafungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gingen auf Anzeigen von Meistern und Lagerführern, aber auch auf Denunziationen von unbeteiligten Nachbarn oder Passanten zurück. Gerade im Kontext der Zwangsarbeit erscheint Götz Alys Wort von der "Zustimmungsdiktatur"[3] zutreffend. Auch die deutschen Arbeiter profitierten schließlich von dem massenhaften Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Zwar trug Zwangsarbeit dazu bei, dass auch immer mehr Facharbeitern die Einberufung an die Front drohte, da Ausländerinnen und Ausländer ihre Arbeit übernahmen. Andererseits erlaubte die Zwangsarbeit einfachen Arbeitern einen sozialen Aufstieg, etwa durch Aufrücken in Vorarbeiter-Stellen, und bewahrte viele, vor allem allerdings bürgerliche, Frauen vor einer Dienstverpflichtung in der Rüstungsindustrie. Zusammen mit der durch die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gesicherten Versorgung der deutschen Bevölkerung stärkte dies den Zusammenhalt unter den "Volksgenossen".

Lagerführer Die meisten Deutschen hatten freilich nur begrenzte Handlungsspielräume, sofern sie nicht in ihrer beruflichen Position mit den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern zu tun hatten, etwa als Abwehrbeauftragter, Werkschutzmann oder Lagerführer. Besondere Verantwortung trug der Abwehrbeauftragte, in kleineren Betrieben meist identisch mit dem Betriebsführer. Ihm unterstanden die Werkschutzmänner, die die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oft in gewalttätiger Weise – beaufsichtigten. Die Lagerführer der betriebseigenen Lager unterstanden ebenfalls dem Abwehrbeauftragten. Vor Ort hatten die Lagerführer einen großen Handlungsspielraum gegenüber ihren Insassen, waren aber auch mit einer Vielzahl organisatorischer Aufgaben beschäftigt. In einem Lager der Evangelischen Kirche Berlin verhielt sich etwas ein Lagerführer ruhig und verständnisvoll, während der andere häufig schlug und mit der Gestapo drohte.

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Weiterführende Links und Literatur Hintergrundfilm Zwangsarbeit und Entschädigung (https://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/ hintergrund/zwangsarbeit-und-entschadigung#) mit Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig) Zwangsarbeit. Die Zeitzeugen-App geschichtswerkstatt.de/app.html)

der

Berliner

Geschichtswerkstatt

(http://www.berliner-

Buggeln, Marc/Pagenstecher, Cord: Zwangsarbeit, in: Berlin 1933-1945, hg. v. Michael Wildt und Christoph Kreutzmüller, München: Siedler 2013, 127–142

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

Fußnoten

1. 2. 3.

Ursula von Kardorff, Berliner Aufzeichnungen 1942-1945, München 1962 Bericht Jerzy Bukowiecki, Archiv Berliner Geschichtswerkstatt, zwa.br.pl 599. Vgl. Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt/M. 2005

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Nach 1945: Vergessene Opfer, vergessene Lager Von Cord Pagenstecher

1.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

In Deutschland wurde Zwangsarbeit lange als Begleiterscheinung von Besatzung und Krieg bagatellisiert. Erst in den 1980er und 1990er Jahren gelang es Opferverbändern und lokalen Erinnerungsverbänden, sich Gehör zu verschaffen. Die Entschädigungsdebatte Anfang der 2000er Jahre ließ die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schließlich aus ihrer Rolle als "vergessene Opfer" heraustreten.

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zählten lange zu den vergessenen Opfern des Nationalsozialismus. Nach ihrer Befreiung machten sich viele auf eigene Faust sofort auf den Heimweg und waren damit schlagartig aus dem Blickfeld der Deutschen verschwunden. Andere lebten als "Displaced Persons" (http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/56359/nach-dem-2weltkrieg) (DPs) oder "Repatrianten" weiterhin in Lagern und warteten auf ihre Rückkehr oder Weiterreise. Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war der Leidensweg 1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt; nicht wenige verschwanden in den stalinistischen Lagern. In Deutschland wurde die NS-Zwangsarbeit – trotz ihrer Verurteilung in den Nürnberger Prozessen – seitens der Politik und der Gerichte jahrzehntelang als übliche Begleiterscheinung von Krieg und Besatzungsherrschaft bezeichnet und damit zugleich bagatellisiert, nicht aber als spezifisches NSVerbrechen anerkannt. Ausländische NS-Opfer hatten im Nachkriegsdeutschland ohnehin kaum eine Stimme. Erst in den 1980er und 1990er Jahren konnten sich Opferverbände und lokale Erinnerungsinitiativen allmählich Gehör verschaffen. Um die Jahrtausendwende ließ die Entschädigungsdebatte dann die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Status der "vergessenen Opfer" heraustreten.

Interview: Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945

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Prof. Dr. Constantin Goschler im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)

Prof. Dr. Constantin Goschler ist Zeithistoriker an der Ruhr-Universität Bochum. Er spricht im Interview über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führten. Die Stiftung organisierte und beaufsichtigte die Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Goschler geht auch der Frage nach, weshalb sich die Entschädigungsforderungen über Jahrzehnte nicht durchsetzen konnten und erläutert, inwiefern die Zahlungen überhaupt bei den Opfern angekommen sind. Weiter... (http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/235774/zum-umgang-mit-der-nszwangsarbeit-seit-1945)

Die Befreiung: Zwischen Freude und Verzweiflung Die bedingungslose Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland am 8. Mai 1945 markierte das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Monate und Tage vor diesem symbolischen Datum erlebten Millionen Menschen ihre Befreiung: aus den Konzentrations- und Arbeitslagern, den Orten der Zwangsarbeit und der Verschleppung, aber auch von der grausamen deutschen Herrschaft in ihren Ländern. Dies war freilich kein einmaliger Akt, sondern ein langsamer Prozess, der sich mit der Verschiebung der alliierten Front im Osten und Westen vollzog und extrem unterschiedliche Aspekte hatte. In den ersten Tagen und Monaten nach der Befreiung starben noch Unzählige. Die oft freudig begrüßten Soldaten der Roten Armee befreiten einerseits Osteuropa von den Deutschen, brachten den Menschen andererseits aber eine erneute Bedrängnis. Nicht wenige der nach Deutschland Verschleppten galten in ihren Ländern als Heimatverräter. Frauen litten besonders unter Vergewaltigungen und sexuell konnotierten Verratsvorwürfen. Viele Menschen mussten zwischen Exil und Heimkehr wählen. Noch anders die jüdischen Überlebenden: Nach der Ermordung ihrer Familienangehörigen und der Auslöschung ihrer Gemeinden konnten sie nur mühsam einen Neuanfang in der Fremde starten.

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Displaced Persons und Repatrianten Nach ihrer Befreiung lebten die nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter zunächst als "Repatrianten" oder "Displaced Persons" in Lagern und warteten auf ihre Repatriierung in ihre Heimatstaaten oder die Emigration ins westliche Ausland. Als DPs wurden die etwa 6,4 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in den DP-Camps der britischen, französischen und vor allem amerikanischen Besatzungszone bezeichnet. Repatrianten hießen die rund 1,6 Millionen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Repatriierungs- und Filtrierlagern der sowjetischen Besatzungszone. Die historische Wahrnehmung der DP-Camps ist aber vor allem geprägt von Berichten jüdischer DPs, die später in die USA oder nach Israel emigrierten – wenn nicht noch die feindseligen "Plünderer"Stereotypen der deutschen Nachkriegsgesellschaft nachwirken. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stellten im Frühjahr 1945 aber die große Mehrheit der Displaced Persons und Repatrianten, während Überlebende der Shoah nur einen kleineren Teil ausmachten. Eher unpolitisch, oft weniger gebildet und schreibgewandt, schrieben sie ihre Erinnerungen seltener auf als die politisch Verfolgten, zumal ihnen ein anerkannter Opferstatus fehlte. Besonders gilt dies für Frauen und für die vielen Jugendlichen, die im April und Mai 1945 aus den Lagern kamen, und generell für Erinnerungen in mittel-, ost- und südeuropäischen Sprachen. Italiener – meist ehemalige Militärinternierte – zählten als ehemalige Verbündete Deutschlands eigentlich nicht zu den Displaced Persons, wurden in der Alltagsrealität der Besatzungsbehörden aber doch ähnlich behandelt und in vielen lokalen Berichten genannt. Erst die 2005 und 2006 als Audio- oder Video-Interviews aufgezeichneten mündlichen Zeugnisse eröffnen den Blick auf ihre vielfältigen individuellen Lebenswege in dieser Zwischenphase zwischen Befreiung und Neuanfang. In diesen Berichten bestätigt sich, wie stark die nationale Gruppenbildung bei den Befreiten war. Immer wieder wird die gute Versorgung in der amerikanischen Zone, die schlechte Versorgung und misstrauische Durchleuchtung in der sowjetischen Zone thematisiert.

Heimkehr Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, war der Leidensweg 1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden nach ihrer Rückkehr in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt; einige verschwanden in den stalinistischen Lagern. Auch in anderen Ländern trafen die Zurückkehrenden auf eine Mischung aus Desinteresse, Misstrauen und offener Ablehnung. In Italien etwa standen die Partisanen im Zentrum der Erinnerung; in Frankreich distanzierten sich die politischen Deportierten von den nur zur Arbeit Verschleppten. Die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter litten lange Zeit und besonders im Alter unter den psychischen und physischen Folgeschäden des Arbeitseinsatzes. In vielen osteuropäischen Ländern lebten sie nach dem Ende des Kommunismus oftmals am Rand des Existenzminimums.

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Vergessene Lager und Erinnerungsorte Auch die über 30.000 Zwangsarbeiterlager in Deutschland wurden zu "vergessenen Lagern". Die Baracken wurden abgetragen oder nach Kriegsende als Flüchtlings- oder "Gastarbeiter"-Unterkünfte weiter genutzt. Beispielsweise errichtete die Rote Armee in Sachsenhausen und Buchenwald neue Speziallager, in Ravensbrück eine Kaserne. Dachau wurde von der US-Armee verwaltet; auf dem Areal des ehemaligen KZ Neuengamme bei Hamburg entstand eine Justizvollzugsanstalt. Viele Barackenkomplexe wurden bis in die 1990er Jahre gewerblich oder als Wohngebiet genutzt, etwa die Zwangsarbeiterlager Berlin-Schöneweide und München-Neuaubing oder die Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde und Trutzhain bei Marburg. Zwar wurden bald nach 1945 an einigen Orten, vor allem auf Friedhöfen, erste Denkmäler für NSOpfer errichtet, dies geschah aber meist ohne konkreten Bezug auf ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Erst nach den 1980er Jahren machten zahlreiche lokale Erinnerungsinitiativen die Allgegenwart der Lager und das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer mehr bewusst. Allenthalben wurden Lokalstudien, Spurensuchen und Zeitzeugenbegegnungen unternommen, oft begleitet von Ablehnung durch das lokale und universitäre Establishment. Seit 1993 etwa engagierte sich die Berliner Geschichtswerkstatt für ein – 2006 tatsächlich eröffnetes – Dokumentationszentrum zur NS-Zwangsarbeit in den noch erhaltenen Baracken des Zwangsarbeiterlagers Berlin-Schöneweide. Motiviert durch nationale Erinnerungs-Debatten, etwa um die unter Helmut Kohl 1993 umgestaltete „Neue Wache“ in Berlin, um das 2005 eingeweihte zentrale Holocaust-Denkmal oder um die Zwangsarbeiter-Entschädigung, hat sich inzwischen ein dicht gespanntes Netz von lokalen und regionalen Erinnerungsorten an Stellen ehemaliger NS-Lager gebildet. Die Zwangsarbeiter konnten damit nach und nach aus dem Status der "vergessenen Opfer" heraustreten.

Europas Geteiltes Gedächtnis. Zwangsarbeit in anderen Erinnerungskulturen

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Die Erinnerung der Deutschen und der Zwangsarbeiter. Zwei Zeitzeuginnen und ein Zeitzeuge berichten, wie sie die Erinnerungskultur der Deutschen erleben und wie sie selbst sich an die Zwangsarbeit erinnern. Ausschnitte aus den Video-Interviews mit Sinaida B. ("Ostarbeiterin" aus der Ukraine), Barbara Sz. (in Karlruhe eingesetzte Polin) und Iossif G. (jüdischer Zwangsarbeiter aus Weißrussland) (http://www.bpb.de/mediathek/227599/die-erinnerung-)

Die nationalsozialistische Zwangsarbeit ist ein komplexer, vielfach traumatischer Teil der Geschichte Europas. Die in 26 Ländern gesammelten lebensgeschichtlichen Erinnerungen im Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“ zeigen, dass die nationalsozialistische Zwangsarbeit trotz ihrer europäischen Dimension in den nationalen Erinnerungskulturen sehr unterschiedlich präsent ist. Es gibt Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa, aber auch innerhalb der beiden Blöcke des Kalten Kriegs. Oft stehen die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Schatten der nationalen Helden- und Opfer-, Widerstands- und Kollaborations-Diskurse. Als Träger einer transnationalen Erinnerungskultur können im – zunehmend digitalen – 21. Jahrhundert internetgestützte Archiv- und Bildungsprojekte dienen, wenn es ihnen gelingt, statt eines universellen Europa-Diskurses vielmehr die Hinterfragung nationaler Narrative zu fördern.

Weiterführende Links und Literatur Themenfilm Die Befreiung. Zwischen Freude und Verzweiflung (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/ zwangsarbeit/ereignisse/befreiung/) Erinnerung an Zwangsarbeit in Russland. Expertengespräch mit Dr. Natalia Timofeeva (http://www. zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/timofeyeva) Erinnerung in Kroatien. Expertengespräch Christian Schölzel (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/ projekt/experteninterviews/schoelzel) Erinnerung in Serbien. Expertengespräch Barbara Wiesinger (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/ projekt/experteninterviews/wiesinger)

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Erinnerung in Ungarn. Expertengespräch Éva Kovács (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/ experteninterviews/kovacs) Cord Pagenstecher: Orte des Gedenkens – Die nationalsozialistische Zwangsarbeit im deutschen Geschichtsbild, in: Rüstung, Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit im "Dritten Reich", im Auftrag von MTU Aero Engines und BMW Group hrsg. v. Andreas Heusler, Mark Spoerer, Helmuth Trischler, München 2010, S. 295 – 31 Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

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Der lange Weg zur Entschädigung Von Cord Pagenstecher

2.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

Viele Jahre mussten ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf eine Entschädigung warten. In Form von sogenannten Globalabkommen leistete die Bundesrepublik lediglich an einzelne Staaten Entschädigungszahlungen. Nach langwierigen Verhandlungen wurde im Jahr 2000 die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von Zwangsarbeit gegründet.

Zwischen 2001 und 2007 erhielten die Überlebenden eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7.700 Euro. Kriegsgefangene sowie westeuropäische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter blieben von der Entschädigung ausgeschlossen.

Verweigerte Verantwortung Nach ihrer Befreiung litten viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter den psychischen und physischen Folgeschäden der Zwangsarbeit, besonders im Alter. In vielen osteuropäischen Ländern leben einige nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften am Rand des Existenzminimums. Individuelle Entschädigungsansprüche oder wenigstens Lohnnachzahlungen wurden ihnen verweigert; die deutschen Regierungen und die von der Zwangsarbeit profitierenden Betriebe lehnten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jede Verantwortung ab. Das 1953 in Kraft getretene Bundesentschädigungsgesetz (https://cms.bpb.de/nachschlagen/lexika/ recht-a-z/22094/entschaedigung) schloss im Ausland lebende sowie nicht rassistisch oder politisch Verfolgte weitgehend von seinen Leistungen aus. Im parallel abgeschlossenen Londoner Schuldenabkommen gelang es der Bundesrepublik, die Entschädigung von ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern rechtlich als „Reparationsansprüche“ zu definieren und damit auf die Verhandlungen um einen endgültigen Friedensvertrag zu verschieben. Vereinzelte Klagen von Überlebenden blieben erfolglos.

Globalabkommen mit anderen Staaten Zur Beförderung der Westintegration leistete die Bundesrepublik lediglich Zahlungen an einzelne Staaten in Form sogenannter Globalabkommen, nämlich 1952 an Israel (3,5 Milliarden DM als materielle Aufbauhilfe) sowie zwischen 1959 und 1964 an mehrere westeuropäische Staaten (insgesamt 900 Millionen DM). In dieser Phase zahlten auch mehrere Großunternehmen einige Millionen DM an die Jewish Claims Conference. Die DDR lehnte aufgrund ihres Selbstverständnisses als antifaschistische Neugründung jegliche Entschädigung für ausländische NS-Opfer ab. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 folgten im Zuge des 2+4-Vertrags noch einmal Globalabkommen mit Polen (500 Millionen DM) sowie mit Belarus, der Ukraine und Russland (zusammen eine Milliarde DM). Russland und Belarus hatten dabei auch die NS-Opfer in den

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inzwischen souveränen baltischen Staaten zu berücksichtigen. Mit diesen Zahlungen sahen Regierung und Wirtschaft ihre Verantwortlichkeit damals als erfüllt an.

Die Debatte um die Entschädigung Erst Ende des 20. Jahrhunderts beschäftigte die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wieder die nationale und internationale Öffentlichkeit. Die ersten politischen Initiativen der Bundestags-Grünen, des Europa-Parlaments oder der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste blieben noch erfolglos. Erst 1998 einigten sich die Fraktionen des Bundestags darauf, eine Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeit unter finanzieller Beteiligung der deutschen Wirtschaft einrichten zu wollen. Parallel dazu führten Sammelklagen und Boykottdrohungen in den USA zur Gründung der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft": Vor allem die exportorientierten Großunternehmen boten an, sich – ohne ein Schuldeingeständnis – an der Stiftung zu beteiligen. Als Bedingung verlangten sie die Zusicherung von "Rechtssicherheit" für die Unternehmen vor weiteren Klagen in den USA.

Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Nach langwierigen internationalen Verhandlungen wurde am 12. August 2000 durch ein Bundesgesetz die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet. Deutsche Unternehmen beteiligten sich mit rund fünf Milliarden DM an dem 10-Milliarden-DM-Fonds zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer sowie zur Einrichtung eines speziellen Fonds „Erinnerung und Zukunft“. Nach Feststellung der "Rechtssicherheit" durch den Bundestag am 30. Mai 2001 konnten die Auszahlungen beginnen.

Interview: Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

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Günter Saathoff ist seit 2003 im Vorstand der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ). Im Interview spricht er über die Entstehung und die Ziele der Stiftung. Er erläutert die Auszahlungspraxis an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und geht auf die durch den Fonds "Erinnerung und Zukunft" geförderten Bildungsprojekte ein. Er erläutert auch, warum die Zahlungen für die Zwangsarbeiter erst so spät kamen und was die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit dem Geld gemacht haben. Weiter... (http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/235770/ zur-entstehung-und-arbeit-der-stiftung-erinnerung-verantwortung-und-zukunft)

Die Regelung der Entschädigung mittels einer Stiftung sollte unbürokratisch sein und den Unternehmen, aber auch den betagten Opfern individuelle Gerichtsverfahren ersparen. In der Tat hätten die wenigsten Überlebenden das Ende solcher langwierigen Prozesse noch erlebt. Dennoch war die Entschädigung unterschiedlichster Opfergruppen in verschiedenen Ländern ein recht kompliziertes Verfahren, das in Kooperation mit sieben internationalen „Partnerorganisationen “ umgesetzt wurde. Diese waren für die Antragsannahme, die Feststellung der Leistungsberechtigung und die Auszahlungen zuständig. Ihr jeweiliger Finanzrahmen war in den internationalen Verhandlungen vorab festgelegt worden.

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Die individuellen Auszahlungen Aus dem Gesamtfonds von über 4,6 Milliarden Euro zahlte die Stiftung EVZ Entschädigungen insbesondere an ehemalige KZ-Häftlinge und an deportierte mittel- und osteuropäische Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter. Über 1,6 Millionen Überlebende erhielten einmalige Zahlungen, die je nach Herkunftsland und Schwere der Lagerbedingungen differierten. KZ- und Ghetto-Häftlinge erhielten den Maximalbetrag von 7.669 Euro (Kategorie A), Inhaftierte in Arbeitserziehungslagern und sogenannten „anderen Haftstätten“ bekamen zwischen 3.068 und 7.669 Euro, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Industrie in der Regel 2.556 Euro (Kategorie B). Die Partnerorganisationen konnten dank einer Öffnungsklausel im Rahmen ihrer finanziellen Mittel weitere Opfergruppen berücksichtigen. Im Rahmen der Öffnungsklausel erhielten unter anderem in der Landwirtschaft Eingesetzte und Kinderhäftlinge zwischen 536 und 2.235 Euro. Wenn die Betroffenen nach 1999 verstorben waren, hatten die Angehörigen Anspruch auf die Leistung. Gesonderte Entschädigungen wurden aus den weiteren Mitteln der Stiftung für Versicherungs-, Vermögens- und „sonstige Personenschäden“ gezahlt.

Nicht Entschädigte

Mitglieder der Theatergruppe OSTARBEITER protestieren gegen eine Ausstellung des Industriellen-Erben und Kunstsammlers Friedrich Christian Flick. (© picture-alliance/AP)

Keine Zahlungen erhielten Kriegsgefangene, sofern sie nicht in Konzentrationslagern inhaftiert waren. Dies galt auch für sowjetische Kriegsgefangene, die unter härtesten Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, wenn sie nicht schon in den Wehrmachtslagern verhungert waren. Erst im Jahr 2015 beschloss der Bundestag eine Zahlung, die aber nur noch wenige Überlebende erreichte. Auch die 1943 gefangen genommenen italienischen Militärinternierten erhielten trotz ihrer späteren Einstufung als Zivilarbeiter und ihrer besonders schlechten Behandlung keinerlei Entschädigung. Mit ihren Klagen vor deutschen und europäischen Gerichten hatten sie ebenso wenig Erfolg wie die sowjetischen Kriegsgefangenen.

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West- und südeuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nur anerkannt, wenn sie unter Haftbedingungen arbeiten mussten. Die meisten aus Frankreich, Belgien oder den Niederlanden Verschleppten erhielten daher keine Entschädigung. Menschen, die in ihrem eigenen Heimatland von den Deutschen zur Arbeit gezwungen worden waren, wurden nur teilweise in Tschechien, Polen und Belarus berücksichtigt. Ebenfalls leer aus gingen die bereits vor 1999 Verstorbenen sowie diejenigen, die ihre Zwangsarbeit nach 65 Jahren nicht mehr nachweisen oder wenigstens glaubhaft machen konnten.

Historische Bedeutung Der finanzielle Aspekt der Entschädigung war angesichts der bedrückenden Armut vieler älterer Menschen in Osteuropa für die Betroffenen überaus wichtig. Daneben haben die Debatte um die Entschädigung, das Nachweis- und Auszahlungs-Verfahren selbst sowie die folgenden Aktivitäten der Stiftung und anderer Initiativen (Begegnungsprogramme mit Überlebenden, Ausstellungen zum Thema Zwangsarbeit usw.) dazu beigetragen, die lange vergessenen Opfer der Zwangsarbeit wieder ins öffentliche Gedächtnis zu rufen, in ihren Heimatländern ebenso wie in deutschen Kommunen, Betrieben und der „großen Politik“.

Weiterführende Links Hintergrundfilm Zwangsarbeit und Entschädigung (https://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/ hintergrund/zwangsarbeit-und-entschadigung#) mit Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig) Mit Stempel und Unterschrift. Digitale Werkstatt für Quelleninterpretation (http://www.mit-stempel-undunterschrift.de) von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

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Oral History als Methode Von Cord Pagenstecher

1.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

Das Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerung und Geschichte“ bietet eine Sammlung von Zeitzeugen-Erinnerungen, die im Rahmen des Projektes "Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern" entstand. Mit Hilfe der Oral History vermitteln die Audio- und Video-Interviews die Geschichte der Zwangsarbeit und die Erinnerung an sie.

Das Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“ Das digitale Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte“ bewahrt die Erinnerung an die über zwanzig Millionen Menschen[1], die für das nationalsozialistische Deutschland Zwangsarbeit geleistet haben. Knapp 600 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus 26 Ländern erzählen ihre Lebensgeschichte in Audio- und Video-Interviews. Die Sammlung von Zeitzeugen-Erinnerungen entstand 2005 bis 2006 im Rahmen des Projekts „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“. Das Archiv umfasst 32 Teilsammlungen, die unter Regie der Fernuniversität Hagen von Interview-Teams erarbeitet wurden. Die Koordination und methodische Anleitung des von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ finanzierten Kooperations-Projekts lag beim Institut für Geschichte und Biographie der Fern-Universität Hagen (PD Dr. Alexander von Plato, Dr. Almut Leh, Dr. Christoph Thonfeld). Ende 2007 begann die Aufbereitung der Sammlung an der Freien Universität Berlin und am Deutschen Historischen Museum. Im Januar 2009 wurde das Online-Archiv präsentiert, das seit 2014 auch in einer russischen und englischen Version zur Verfügung steht. Ausgewählte Interview-Ausschnitte werden im Deutschen Historischen Museum und in weiteren Ausstellungen und Museen gezeigt. Die weitere wissenschaftliche Erschließung, didaktische Aufbereitung und öffentliche Verbreitung ist noch im Gang. Digitale Bildungsmaterialien machen die Interviews in Schulen und Gedenkstätten zugänglich. Eine Online-Lernumgebung steht auf Deutsch, Tschechisch und (ab 2017) Russisch zur Verfügung. Im Online-Archiv können Sie die vollständig transkribierten und ins Deutsche übersetzten Interviews per Volltext durchsuchen und anhören bzw. ansehen. Die Webumgebung zeigt mitlaufende Untertitel in der Originalsprache und auf Deutsch. Dazu gibt es Kurzbiografien, Inhaltsverzeichnisse, Fotos und weitere Begleitmaterialien. Durch Kategorien wie Verfolgungsgruppe, Einsatzbereich oder Sprache können die Interviews gefiltert werden. Über eine Karte lassen sich biografische Stationen der Interviewten recherchieren. Für die Nutzung des Archivs müssen sich Nutzerinnen und Nutzer aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anmelden und die Nutzungsbedingungen anerkennen.

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Oral History als Methode Die Interviews vermitteln die Geschichte der Zwangsarbeit und die Erinnerung an die Zwangsarbeit mit Hilfe der Oral History. Der englische Begriff „Oral History“ („mündlich überlieferte Geschichte“) bezeichnet eine Methode, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu befragen, diese Interviews aufzuzeichnen und wissenschaftlich auszuwerten.

Interview: Das Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“

Prof. Dr. Alexander von Plato im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)

Prof. Dr. Alexander von Plato ist Historiker und langjähriger Leiter des Instituts für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen. Er war einer der Koordinatoren des Projekts "Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern". Im Interview spricht er über die Entstehungsgeschichte des Projekts, die Herausforderungen bei der Umsetzung und die Bedeutung der geführten Interviews für Wissenschaft und Bildung. Was musste geschehen, damit eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik Zwangsarbeit möglich wurde? Wer wurde interviewt? Weiter... (http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/235776/ das-projekt-dokumentation-lebensgeschichtlicher-interviews-mit-ehemaligen-sklaven-und-zwangsarbeitern)

Die mündliche Weitergabe von Erzählungen ist die älteste Form der geschichtlichen Überlieferung. Allerdings beruhen die Berichte in Interviews auf einem oft jahrzehntelangen Verarbeitungsprozess, der von der individuellen Biografie, von gesellschaftlichen Erinnerungskulturen und von der konkreten Interview-Situation beeinflusst wird. Daher sind mündliche Erinnerungen manchmal weniger verlässlich als schriftliche Dokumente.

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Für die Alltags- und die Erinnerungsgeschichte sind Zeitzeugen-Berichte aber eine unverzichtbare Quelle. Auch über die nationalsozialistischen Lager wüssten wir ohne die Aussagen von Überlebenden nur wenig. Als wissenschaftliche Methode wurde die Oral History zunächst in den USA entwickelt. In den 1970er und 1980er Jahren verbreitete sie sich in Deutschland in der Bewegung der Geschichtswerkstätten, die unter dem Motto „Grabe, wo Du stehst“ die Lokalgeschichte und die „Geschichte von unten “ erforschten. Interviewtechnik und der Interpretationsmethoden der Oral History wurden seit Mitte der 1980er Jahren verfeinert und auch auf Video-Interviews angewendet. In lebensgeschichtlichen Interviews sollen die Interviewten möglichst frei erzählen und selbst die Schwerpunkte ihrer Lebensgeschichte setzen. Bei der Analyse muss bewusst sein, dass diese Erzählung – wie jede Geschichte – immer eine deutende Konstruktion von Vergangenheit ist.

Weiterführende Links und Literatur www.zwangsarbeit-archiv.de (http://www.zwangsarbeit-archiv.de) Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte" Hintergrundfilm Oral History (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/hintergrund/oral-history) mit Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig) Plato, Alexander von / Leh, Almut / Thonfeld, Christoph (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008 Cord Pagenstecher, Doris Tausendfreund: Das Online-Archiv ‚Zwangsarbeit 1939-1945‘, in: Erinnern an Zwangsarbeit. Zeitzeugen-Interviews in der digitalen Welt, Berlin: Metropol 2013, S. 71-96

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

Fußnoten

1.

Im gesamten besetzten Europa leisteten über zwanzig Millionen Menschen Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Deutschland, über 13 Millionen davon im Deutschen Reich.

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Lernen mit Interviews Von Cord Pagenstecher

2.6.2016

Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".

Die Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" verbindet die Anschaulichkeit lebensgeschichtlicher Video-Interviews mit der Interaktivität digitaler Medien. Die Lernumgebung fördert historische und mediale Kompetenzen und eine aktive Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit und ihre Opfer.

Die Online-Lernumgebung Die neu entwickelte Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" ist ein kompetenzorientiertes Unterrichtsangebot für 14- bis 18-Jährige. Im Mittelpunkt stehen Lebensgeschichten ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sieben Mitglieder unterschiedlicher Opfergruppen berichten von ihren Erfahrungen in Lagern und Fabriken, dem Verhalten der Deutschen und ihrem Leben danach. Die 25-minütigen biografischen Kurzfilme beruhen auf Video-Interviews aus dem Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945"; zwei 17- bzw. 20-minütige Hintergrundfilme informieren über Thema und Quellengattung. Infotexte und Methodentipps, Zeitleiste und Lexikon, Dokumente und Karten helfen bei der Kontextualisierung. Die kompetenzorientierten Aufgaben können direkt im Arbeitsfenster der Lernumgebung bearbeitet werden. Die Arbeitsvorschläge sind für unterschiedliche Niveaustufen geeignet und auf eine 90-minütige Unterrichtseinheit abgestimmt. Transkripte und Übersetzungen, Navigation und Aufgaben, Arbeitsfenster und Portfolio-Funktion erlauben ein forschendes Lernen im Regelunterricht, bei Projekttagen und Präsentationsprüfungen. Den Lehrpersonen ermöglichen didaktische Kommentare, Merkfunktionen und Ergänzungsmöglichkeiten eine effektive und gruppenspezifische Vorbereitung.

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Trailer der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit mediathek/238100/lernen-mit-interviews-zwangsarbeit-1939-1945)

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1939-1945"

(http://www.bpb.de/

Video-Interviews im Geschichtsunterricht Lebensgeschichtliche Interviews vermitteln die Geschichte der NS-Zwangsarbeit sehr anschaulich. Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten über ihre persönlichen Erfahrungen, Ängste und Träume als Jugendliche, über die Trennung von den Eltern und die Verschleppung in ein fremdes Land, über Ausgrenzung, aber auch Freundschaft und Widerstand. Diese konkreten Erinnerungen erleichtern den Schülerinnen und Schülern den emotionalen und kognitiven Zugang zur Geschichte der Zwangsarbeit. Die Arbeit mit den Interviews erweitert das Quellenverständnis sowie die narrative und mediale Kompetenz der Lernenden. Gleichwohl sichern Zusatzmaterialien und Hilfsmittel eine ausreichende Kontextualisierung der individuellen Biografien, d. h. ihre Einbettung in die "große Geschichte". Die Video-Interviews können ein persönliches Gespräch mit Überlebenden des Nationalsozialismus nicht ersetzen, deren moralische Autorität und Authentizität gerade im direkten Dialog erfahrbar wird. Andererseits erlauben die Interviews gerade deswegen eine aktive Quellenarbeit, kritische Analysen und eigene Deutungsversuche. Entsprechend soll ein lebendiger Dialog mit dem Material angestoßen und gleichzeitig ein respektvoller Umgang mit den Berichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gewährleistet werden. Dabei muss der spezifische Charakter eines lebensgeschichtlichen Interviews und des damit verbundenen Zeugnisablegens verständlich werden: Die Interviewten gehen ein großes Risiko ein, wenn sie ungeschützt vor der Kamera einen Bericht formulieren, den sie – anders als schriftliche Interviews oder Memoiren – nicht mehr korrigieren können. Einige Aufgabenvorschläge thematisieren daher die Bedeutung der Interviewführung sowie des Zusammenschnitts der mehrstündigen Interviews zu 25-minütigen Filmen und schulen dadurch die Medienkompetenz. Multimedial unterstützte Erzählungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen tragen ein starkes Realitätsversprechen in sich. Die Berichte sind von der individuellen Biografie, gesellschaftlichen Erinnerungskulturen und der konkreten Interview-Situation beeinflusst. Die Aufgabenvorschläge machen dies deutlich, ohne die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als unglaubwürdig zu diskreditieren.

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Die Video-Interviews ermöglichen die Wahrnehmung mit verschiedenen Sinnen; Mimik und Gestik sind wichtige Teile der Erzählungen. Bei fremdsprachigen Interviews kann die Übersetzung ausgeschaltet werden, sodass nur die Originalstimme zu hören ist. Die Sprachenvielfalt öffnet damit zusätzliche Wege für mehrsprachige Lerngruppen: Manche Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien können ihre Sprachkompetenz demonstrieren, Europa- und Auslandsschulen finden partnersprachliches Unterrichtsmaterial zur deutschen Geschichte.

Die nationalsozialistische Zwangsarbeit im Geschichtsunterricht Das Thema NS-Zwangsarbeit ist besonders geeignet für den problem- und kompetenzorientierten Geschichtsunterricht. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, damals oft noch im Schulalter, gehörten zur "Normalität" des NS-Alltags. Sie arbeiteten nicht nur in der Industrie, sondern auch auf Bauernhöfen, in Werkstätten und Privathaushalten. Ihre Baracken lagen oft mitten in Wohngebieten. Daher gibt es überall zu entdeckende Spuren: in der Familiengeschichte, in Gedenkstätten, an historischen Orten, in Heimatmuseen oder bei lokalen Erinnerungs-Initiativen. Weil die Zwangsarbeit so tief im Alltag der Deutschen verankert war, eröffnet ihre historische Aufarbeitung Zugänge zu einer Vielfalt von Themen: der Wirtschafts- und Sozialpolitik des NS-Staates, der Rassenideologie, den Handlungsspielräumen der Deutschen (von Kollaboration bis zur Hilfe für die Verschleppten), dem Widerstand von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Die exemplarischen Interviews können auch eingesetzt werden für Lerneinheiten über den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzungspolitik, über den Holocaust und die Verfolgung der Sinti und Roma. Anhand der Biografien lassen sich zudem Themen der Nachkriegsgeschichte wie die Sowjetisierung Polens oder europäische Gedächtniskulturen ansprechen. Die individuellen Erinnerungen aus verschiedenen Ländern ermöglichen damit eine internationale Perspektive auf die deutsche und europäische Geschichte. Die jahrelange Diskussion um die Entschädigung – Musterbeispiel einer geschichtspolitischen Kontroverse – zeigt, wie stark historische Deutungen aktuelle Politik beeinflussen können. Die Berichte der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verdeutlichen, dass der Oberbegriff "Zwangsarbeit" verschiedene Formen des Arbeitseinsatzes umfasste: vom Leben als Dienstmädchen bis zur Hoffnungslosigkeit der "Vernichtung durch Arbeit". Diese Unterschiede fordern eine differenzierte Betrachtung und einen quellenkritischen Ansatz.

Anknüpfungspunkte an aktuelle Problemfelder Die Analyse der je nach Herkunft unterschiedlichen, im Alltag weithin akzeptierten Diskriminierung der "Fremdvölkischen" vermittelt Orientierungskompetenz auch in Anbetracht aktueller Formen von Rassismus und stärkt die Fähigkeit, Bedeutung und Gefährdungen der Menschenrechte zu erkennen. Fragen nach Arbeit, Zwang und Freiheit sind auch relevant in einer postindustriellen Gesellschaft, in der viele Schülerinnen und Schüler von der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern und unsicheren eigenen Berufsaussichten betroffen sind. Didaktisch können Vergleiche – nicht Gleichsetzungen – mit aktuellen Formen von Zwangs- und Kinderarbeit, Sklaverei und Menschenhandel sinnvoll sein. Besonders für multikulturelle Lerngruppen ist die mit der NS-Zwangsarbeit verbundene Zwangsmigration ein wichtiges Thema. Anhand der in den Interviews erzählten Erfahrungen von Fremdheit, Ausgrenzung und Ausbeutung lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Wanderungsprozessen (z.B. von "Gastarbeitern" oder Flüchtlingen) diskutieren. Auf diese Weise kann das Thema NS-Zwangsarbeit problemorientiert und Erkenntnis fördernd auch in die Geschichte von "Wirtschaftswunder", Migration und europäischer Integration eingebettet werden.

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Termine und Fortbildungen Bundesweite Lehrerfortbildungen (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/bildung/lehrerfortbildungen/ index.html) präsentieren und erproben die Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" gemeinsam mit den Teilnehmenden. Im Rahmen der Fortbildungen erhalten Lehrkräfte, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine fundierte Einführung in das historische Thema, in methodische Probleme des Lernens mit Interviews und in die didaktischen Konzepte die der Lernumgebung zugrunde liegen. Gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden erproben Lehrerinnen und Lehrer dann die Lernumgebung und konzipieren eigene Unterrichtseinheiten, die sie im Schulunterricht direkt einsetzen können. Die Autorinnen und Autoren der Lernumgebung an der Freien Universität Berlin organisieren und leiten diese Seminare gemeinsam mit den für die Lehrerfort- und -ausbildung zuständigen Einrichtungen der Bundesländer, aber auch mit Akademien, Universitäten, Museen und Gedenkstätten in verschiedenen Regionen Deutschlands. Digitale Angebote zur Online-Fortbildung und Vernetzung sind in Vorbereitung.

Methodentipp: Wie analysiere ich ein Zeitzeugen-Interview? Dieser Methodentipp empfiehlt Arbeitsschritte bei der quellenkritischen Analyse lebensgeschichtlicher Interviews. Eindruck: Wie ist dein erster Eindruck? Themen: Worüber spricht der Zeitzeuge / die Zeitzeugin? Welche Schwerpunkte werden gesetzt? Gibt es deiner Ansicht nach Lücken, fehlen bestimmte Aspekte? Interviewführung: Wie verhält sich der Interviewer / die Interviewerin? Wie hat das Interviewteam Beleuchtung und Kameraführung gestaltet? Wie wirkt sich das auf das Interview aus? Erzählung oder Kommentar: Wann wird erzählt, wann wird die eigentliche Erzählung kommentiert? Achte auf Bewertungen und Lehren, die aus einer Geschichte gezogen werden; auf Parallelen oder Bezüge zu anderen Ereignissen. Sprache: Was sind die Besonderheiten der Sprache? Spricht der Zeitzeuge / die Zeitzeugin Dialekt, Umgangssprache, Hochsprache? Ist der Satzbau eher einfach oder kompliziert? Gibt es ungewöhnliche Wörter (altmodische oder Dialektwörter, Fremdwörter, drastische Ausdrücke)? Werden diese Wörter bewusst eingesetzt? Wann werden Zitate, Sprichwörter, Metaphern verwendet? Wie wirkt die Sprache auf dich? Gestik, Mimik, Stimme: Auch Gesten, Gesichtsausdruck und Sprachmelodie können etwas erzählen. Gibt es Auffälligkeiten in Körpersprache, Mimik oder Stimmlagen?

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Stimmen sie mit den Inhalten und der Erzählweise überein? Welche Gefühle vermitteln sie? Was hat dich an der Erzählweise besonders beeindruckt? Dieser und andere Methodentipps stehen in der Online-Anwendung Lernen mit Interviews (https:// lernen-mit-interviews.de/materials#/566) bereit. (Registrierung notwendig)

Weiterführende Links und Literatur Lernumgebung (https://lernen-mit-interviews.de/zwangsarbeit/) "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig) Videografierte Interviews mit Überlebenden im Schulunterricht. Geschichtsdidaktische Überlegungen. Expertengespräch Michele Barricelli (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/ barricelli1) (30 Min, 6 Kapitel), v.a. Kapitel 2, 3, 4 (18 min) Weitere Bildungsmaterialien (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/bildung/unterrichtsmaterialien/index. html) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de

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Expertengespräche 19.10.2016 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis kommentieren wichtige Fragen zur NS-Zwangsarbeit, zur Entschädigung, zu Erinnerungsmustern und zu lebensgeschichtlichen Interviews. Mitglieder des Projektteams haben die teilweise mehrstündigen Expertengespräche seit 2009 geführt und zu knapp halbstündigen Filmen zusammengefasst. Weitere Expertengespräche (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/index. html) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“

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Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945 1.2.2017 Prof. Dr. Constantin Goschler ist Zeithistoriker an der Ruhr-Universität Bochum. Er spricht im Interview über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führten. Die Stiftung organisierte und beaufsichtigte die Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter.

Prof. Dr. Constantin Goschler im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)

Zur Person Constantin Goschler wurde 1960 in Göppingen geboren. Nach dem Lehramtsstudium an der LudwigMaximilians-Universität in München wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Institut für Zeitgeschichte. Nach der Promotion 1992 war er in Berlin als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Humboldt Universität tätig. Aufenthalte als Gastdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter führten ihn u.a. nach Prag, Harvard und Jena, bevor er 2006 den Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum übernahm. Sein Band „Schuld und Schulden“ gilt als Standardwerk zur Geschichte der „Wiedergutmachung“ in Deutschland nach 1945.

Welche Rolle spielte die NS-Zwangsarbeit in der deutschen Gesellschaft? Wie wurden Zwangsarbeiter in der Nachkriegsgesellschaft wahrgenommen?

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Welche Entwicklungen waren notwendig, damit Zwangsarbeiter als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt und entschädigt wurden?

Weshalb konnte sich der Großteil ehemaliger Zwangsarbeiter mit Entschädigungsforderungen über Jahrzehnte nicht durchsetzen?

Welche Auswirkungen hatte die Wiedervereinigung?

Wie kam es zur Gründung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"?

Wie kam es zur Einigung über die Höhe der zu leistenden Entschädigung?

Wer wurde entschädigt?

Welchen Ansatz verfolgte die Stiftung bei den Auszahlungen und wie waren die Reaktionen?

Wie wurden die Entschädigungszahlungen organisiert?

Ist die Entschädigung bei den Opfern angekommen?

Was ist der Zukunftsfonds der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"?

Zum Interview Datum: 12. August 2009 Interviewer: Thomas Irmer Kamera und Schnitt: Branka Pavlovic Bearbeitung: Thomas Irmer und Doris Tausendfreund Rechte: Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme, cc by-nc-nd/3.0/de

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Das Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“ 1.2.2017 Prof. Dr. Alexander von Plato ist Historiker und langjähriger Leiter des Instituts für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen und war einer der drei Koordinatoren des Projekts "Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern". Er übernahm die methodische Anleitung zur Interviewführung. Im Interview spricht er über die Entstehungsgeschichte des Projekts, die Herausforderungen bei dessen Umsetzung und die Bedeutung der geführten Interviews für Wissenschaft und Bildung.

Prof. Dr. Alexander von Plato im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)

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Zur Person Alexander von Plato wurde 1942 geboren. Nach einem Studium der Philosophie, Soziologie und Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin promovierte er 1973 und arbeitete anschließend als Studienleiter und Dozent beim Evangelischen Studienwerk Villigst. Von 1980 bis 1983 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Lutz Niethammer an der Universität Essen tätig. Anschließend wechselte er an die Fernuniversität Hagen, wo er 1993 das Institut für Geschichte und Biographie gründete, das er bis zum Jahr 2007 leitete. Von 1996 bis 2000 war er Sekretär der „International Oral History Association“, von 2006-2008 Vizepräsident. Alexander von Plato ist Mitherausgeber und Redakteur von „BIOS - Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen“.

Was musste geschehen, damit eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik Zwangsarbeit möglich wurde? Was waren die finanziellen Voraussetzungen für die Durchführung des Projektes?

Weshalb entschied sich die Stiftung EVZ, lebensgeschichtliche Interviews durch das Institut für Geschichte und Biographie durchführen zu lassen?

Wer wurde interviewt?

Wie gelang es, Interviewer zu finden und Interviewstandards zu etablieren?

Welche Mitarbeiter des Instituts für Geschichte und Biographie waren maßgeblich an der Umsetzung des Projekts beteiligt?

Welche Ergebnisse konnten durch den internationalen Rahmen des Projektes gewonnen werden?

Kann man vom Entstehen einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur sprechen?

Welche nachhaltigen Effekte hat das Projekt für Wissenschaft und Bildung?

Zum Interview Datum: 8. August 2009 Interviewerin: Gerda Klingenböck Kamera und Schnitt: Branka Pavlovic Bearbeitung: Malte Lührs und Doris Tausendfreund Rechte: Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme, cc by-nc-nd/3.0/de Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" 1.2.2017 Günter Saathoff ist Vorstand der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". In dem Interview spricht er über die Entstehung und die Ziele der Stiftung. Er erläutert die Auszahlungspraxis an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und geht auf die durch den Fonds "Erinnerung und Zukunft" geförderten Bildungsprojekte ein.

Günter Saathoff im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)

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Zur Person Günter Saathoff wurde 1954 in Emden geboren. Als wissenschaftlicher Koordinator für Innen- und Rechtspolitik der Bundestagsfraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ bearbeitete der Jurist die Themen Entschädigungsrecht für NS-Opfer und Opfer des DDR-Unrechts. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Vorbereitung und Ausformulierung des EVZ-Stiftungsgesetzes und anderer Regelungen zur Entschädigung von NS-Opfern beteiligt. Seit 2000 war er als Generalbeauftragter der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" für die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen der Stiftung zuständig. Seit 2003 ist er im Vorstand der Stiftung.

Wie entstand die Stiftung und wie hat sie gearbeitet? Wie wurde die Stiftung finanziert?

Warum haben sich die deutschen Firmen an der Stiftung beteiligt?

Wer hat Zahlungen von der Stiftung bekommen?

Warum wurden italienische Militärinternierte ausgeschlossen?

Was haben die ehemaligen Zwangsarbeiter mit dem Geld gemacht?

Sind die ausgezahlten Beträge als Entschädigung zu verstehen?

Was ist der sogenannte Fonds "Erinnerung und Zukunft"?

Warum kamen die Zahlungen für die Zwangsarbeiter erst so spät?

Wo würden Sie den Beginn der jüngsten Auseinandersetzung um Entschädigung für NS-Zwangsarbeit ansetzen?

Zum Interview Datum: 24.04.2009 Interviewer: Alexander von Plato Bearbeitung: Thomas Irmer und Wolfram Lippert Ton: Branka Pavlovic Rechte: Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme, cc by-nc-nd/3.0/de Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Literatur 4.5.2016 Apostolopoulos, Nicolas/ Pagenstecher, Cord (Hrsg.), Erinnern an Zwangsarbeit. ZeitzeugenInterviews in der digitalen Welt, Berlin 2013 „Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht“. Abschlussbericht zu den Auszahlungsprogrammen der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, hrsg. v. Jansen, Michael und Saathoff, Günter, Göttingen 2007 Goschler, Constantin, Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005 Goschler, Constantin, Der Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus in Deutschland nach 1945, in: Nach den Diktaturen. Der Umgang mit den Opfern in Europa, hrsg. v. Günther Heydemann u. Clemens Vollnhals, Göttingen 2016, S. 27-45 Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985 Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bd. 410), Bonn 2003 Plato, Alexander von / Leh, Almut / Thonfeld, Christoph (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008 Spoerer, Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa, Stuttgart, München 2001 Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Begleitband zur Ausstellung, hrsg. v. Knigge, Volkhard / Lüttgenau, Rikola-Gunnar und Wagner, Jens-Christian im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora , Weimar 2010 Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung – Arbeit – Folgen, hrsg. v. Dieter Pohl und Tanja Sebta, Berlin 2013

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Redaktion 14.2.2017 Herausgeber Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn © 2017 ViSdP: Thorsten Schilling in Kooperation mit der Freien Universität Berlin, Center für Digitale Systeme (CeDiS) (http://www.cedis. fu-berlin.de/) Konzept und Redaktion bpb Inga Jochimsen, Sabine Schmidt-Peter, Tim Schmalfeldt Rieke Wönig, Alexander Mattern (studentische Mitarbeit) Konzept, Autor und Redaktion Freie Universität Berlin Cord Pagenstecher (Center für Digitale Systeme, Projekt „Zwangsarbeit 1939-1945“) unter Mitarbeit von Angela Martin, Doris Tausendfreund und Dorothee Wein Die Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939 – 1945" wurde mit Mitteln der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (http://www.stiftung-evz.de/start.html) gefördert. Rechtenachweise Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Diese haben die Möglichkeit, sich an die Bundeszentrale für politische Bildung, Adenauerallee 86, 53113 Bonn zu wenden.

Online-Dossier http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/

Impressum Diensteanbieter gemäß § 5 Telemediengesetz (TMG) Bundeszentrale für politische Bildung Adenauerallee 86 53113 Bonn [email protected]

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