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January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Musik, Musiktheorie
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EIN UNISONO VON KOMPOSITION UND INTERPRETATION DAS WET INK ENSEMBLE AUS NEW YORK von Thomas Meyer

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Die Vokalistin spricht und singt, ihre Töne werden von der Flötistin eingefärbt, aber auch manchmal mitgesungen und mitgesummt. Beide sind, so parallel geführt und einander angenähert, passagenweise kaum zu unterscheiden. Only the Words Mean What They Say, so der Titel dieses Stücks von Kate Soper, ist eine Monodie für zwei Stimmen – oder ein heterophones Unisono. Bei der Aufführung mit der Komponistin und der Flötistin Erin Lesser erlebt man auch auf unmittelbare Weise, wie die Musikerinnen interagieren und sich aufeinander abstimmen. Kate Soper, geboren 1981 und aufgewachsen in Michigan, mittlerweile bekannt auch für ihre Musiktheaterarbeiten, suchte in diesem Stück eine neue Herausforderung; sie wollte ihre Stimmtechnik erweitern und wählte dafür die instrumentale Konfrontation: «Die Flöte ist der Stimme sehr ähnlich, punkto Druckkontrolle,Tonfall, Umfang, und ich wusste, was Erin alles

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an Mehrklängen oder Vierteltönen drauf hat.» So traf sich Soper oft mit der Flötistin des Ensembles; sie improvisierten, probierten Notiertes aus, Erin Lesser machte Vorschläge zur Vereinfachung der Technik, sie entwickelten ein instrumentales Sprechen im Unisono. Kate Soper sagt, sie habe zuvor noch nie etwas so Virtuoses komponiert, das ihr auch bei der Aufführung soviel abverlange. «Aber mit Erin zusammen war es ein Vergnügen.» Die Arbeit des Duos zeigt exemplarisch, wie beim Wet Ink Ensemble aus New York neue Stücke entstehen: im engen Dialog von Komposition und Interpretation (aber auch Improvisation) – in einem divergierenden Unisono, wie es für dieses Ensemble bezeichnend ist. Die Werke für diese doch recht heterogene Besetzung mit Flöte, Geige, Stimme, Saxofon, Klavier, Schlagzeug und Elektronik enthalten oft einen sozialen musikalischen Aspekt. Das Zusammenspiel, das Zusammenwachsen zweier

Stimmen wird erforscht. Und, so sagen alle Ensemblemitglieder, es begünstige die Arbeit enorm, dass sie eng miteinander befreundet seien. Ausprobiert wird, was gerade mal skizziert; aufgeführt, was gerade fertigkomponiert wurde: Die Tinte ist noch sehr sehr nass, wenn die Interpreten mit der Partitur in Berührung kommen. Aber nicht eigentlich das gab den Ausschlag für den Namen. Der geht weiter zurück auf die allerersten Anfänge im Jahr 1998. Damals kam Wet Ink teilweise sogar ohne Tinte aus. Der Ausgangspunkt, so sagt der Saxofonist Alex Mincek, der Mitbegründer des Ensembles, war «die Improvisation, aber gleichzeitig der Wunsch, selber zu komponieren und unsere Stücke aufzuführen. Dafür wollten wir eine Plattform schaffen – und zudem Komponisten spielen, die wir achteten.» Mozarts Kompositionen wurden ja auch, kaum waren sie fertig, sofort aufgeführt. «Wir wünschten uns Komposition als et-

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© Alexander Perrelli

PORTRÄT

was Lebendiges, etwas Gegenwärtiges.» Und damals am Konservatorium, wo die musikalische Vergangenheit im Zentrum steht, war es sehr verlockend, sich auf das Neueste zu konzentrieren, auf das Allerfrischeste. Aus diesem ersten Impuls entwickelte sich das Wet Ink Ensemble. Erst einige Jahre später jedoch fand es zu seiner eigentlichen Form. 2004 lernte Mincek an der Columbia University die Vokalistin Kate Soper und den Pianisten Eric Wubbels kennen. 2006 dann bei den Darmstädter Ferienkursen den Elektroniker Sam Pluta. Und so formierte sich das Ensemble allmählich zu einem festen Gefüge mit einer besonderen Eigenart:Von den sieben Mitgliedern sind vier auch Komponisten. Da sind also einerseits die Flötistin Erin Lesser, der Geiger Joshua Modney und der Schlagzeuger Ian Antonio – und andererseits die Komponisten/Interpreten Mincek, Soper,Wubbels und Pluta. Und daraus ergibt sich die enge Zusammenarbeit. Als Alex Mincek zum Beispiel sein Stück Color, Form, Line schrieb, hatte er die Eigenschaften und die Klanglichkeit seiner Mitmusiker sehr genau im Ohr, und gemeinsam entwickelten sie dafür besondere Klangfarben, Spieltechniken und Stimmungen. Die Überlegungen mit den Interpreten flossen in die Komposition ein. Nach der Aufführung jedoch revidierte Alex Mincek das Stück nochmals aufgrund der Erfahrun-

gen, sodass es sich weiterentwickeln konnte – in neuerlichen Aufführungen. Er griff dabei die Hinweise seiner Kollegen auf. «Das ist nur möglich, weil ein Vertrauensverhältnis zwischen allen besteht.» Die «bloßen» Interpreten haben ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, sowohl in der Gestaltung der Programme als auch bei den neuen Stücken selber. Auf kollegialer Ebene, so der Geiger Joshua Modney, entwickle man eine Aufführungspraxis. In einer Werkstatt, ja einem ständigen Forschungslabor. «Die Komponisten haben zwar viel Erfahrung mit den Instrumenten, aber manchmal bringen sie auch Ideen mit, die nicht funktionieren; dann suchen wir gemeinsam nach einer Lösung, wie sich die ursprüngliche Idee umsetzen lässt.» Andererseits führe dieser Austausch dazu, dass er manchmal etwas entdecke, das er auf seinem Instrument nicht für möglich gehalten hätte, sagt Modney. Der Interpret wird also Teil des neuen Stücks und das Stück ein Teil von ihm. Schließlich habe er im Wet Ink Ensemble auch gelernt zu improvisieren, womit er zuvor wenig Erfahrung hatte. Er bringe sie mittlerweile auch in sein anderes Ensemble ein, das Mivos Quartet, mit dem er ebenfalls häufig unterwegs ist und zum Teil Wet-Ink-Komponisten aufführt.

KOMMUNIKATION UNTER GLEICHGESINNTEN

Das Außerordentliche an der Besetzung ist die als Instrument integrierte Elektronik. Sam Pluta, der 35 Jahre junge Elektroniker der Gruppe, setzt seinen Laptop nicht nur bei Kompositionen ein, sondern auch frei improvisierend – woraus wiederum neue Kompositionen entstehen. Aus Improvisationen mit dem Musiker Jim Altieri, der auf seiner Geige feinste Mikrotöne hervorbringt, entwickelte Pluta das Stück Portraits/Self Portrait, nun mit einem größeren Ensemble: eine Reflexion über den musikalischen Prozess, eine Rekomposition dieser Energie und des improvisierten Klangs. Der Violinpart gibt sehr genau wieder, was Altieri zuvor spielte. Sam Pluta transkribierte ihn, der Ensemble-Geiger Modney nahm ihn neu auf, Pluta seinerseits improvisierte dazu mit dem Computer und schrieb das dann neuerlich aus. So entstand ein neues Stück. Das als weiteres Beispiel für diese Kommunikation unter Gleichgesinnten. «Für einen Komponisten ist es unbezahlbar, wenn er weiß, dass seine Musik auf dem absolut höchsten Niveau aufgeführt wird», sagt Pluta. «Es ist ja schön, wenn ein neues Stück interpretiert wird, aber noch schöner wohl, wenn seine ganze Persönlichkeit von den Interpreten erfasst wird. Bei Wet Ink bringt jeder Musiker seine Persönlichkeit ein, und

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© Edgar Hartung

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Gemeinsames Interesse an Klang und Textur: Mitglieder von Wet Ink während ihres Auftritts beim Magdeburger SinusTon-Festival im vergangenen Oktober

dadurch entsteht ein einzigartiger Dialog.» Dieser Austausch über den Klang und über die Art, Musik zu schreiben, sei außerordentlich: «Darüber bin ich sehr glücklich.» Gemeinsam sind diese Musikerinnen und Musiker also ständig daran, Neues auszuprobieren. Die Kehrseite: Es sei manchmal etwas frustrierend, wenn man für ein anderes Ensemble komponieren müsse, meint Eric Wubbels, denn dort könne man diesen Prozess nicht realisieren. Allen Ensemblemitgliedern bietet Wet Ink also eine ideale Werkstatt, um Neues zu entwickeln. Seit 2005/06 ist die Gruppe endgültig zusammengewachsen – nach einem längeren Umwandlungsprozess. Durch Kate Soper kamen auch musiktheatrale Aspekte herein. Wet Ink spielt fast nur neueste Musik. Einige Werke von Luigi Nono, Morton Feldman oder Mathias Spahlinger sind das älteste im Repertoire, was das Ensemble je aufgeführt hat, sowie einige improvisationsnahe Stücke von Komponisten der Chicagoer Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM), die einst aus dem Free Jazz kamen.Wet Ink ist unter den New Yorker Ensembles aber nicht nur etwas Besonderes, weil es die Komponisten aus der eigenen Gruppe häufig aufführt, sondern auch, weil es Musik von außerhalb der USA kennt und spielt. So besteht ein enger Kontakt zum Österreicher Peter Ablinger, zum englischen Saxofonisten Evan

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Parker oder zur Schweizerin Katharina Rosenberger, die in San Diego lehrt. Welcher Tradition der Avantgarde fühlt sich Wet Ink also verpflichtet? «Früher», so Alex Mincek, «standen wir eher in der Tradition der experimentellen US-Musik, also der New York School um Cage, heute jedoch bin ich mir da nicht mehr so sicher und weiß nicht, ob man die Gruppe so festlegen kann. Die Einflüsse sind heterogen.» So hört man zuweilen die Minimal Music heraus, die aber eigenständig weiterentwickelt wurde. In seinem Stück Shiverer zum Beispiel arbeitet Eric Wubbels stark mit Unisoni und Rhythmen, die sich in der Wiederholung gegeneinander verschieben. Und bewusst verfolgt er weiter, was die US-amerikanischen Minimalisten entdeckten, was aber danach von vielen nur imitiert wurde. «Die frühe Minimal Music, aber auch die Minimal Art hatten einen großen Einfluss auf Wet Ink», so Wubbels, «vor allem, weil diese Musik zu einer Klarheit strebt. Diese Einfachheit ist nicht ein Mangel, sondern eine Konzentration aufs Wesentliche.» So intrikat die Stücke von Wet Ink zuweilen klingen, so versuchen sie sich doch auf möglichst klare Weise mitzuteilen. Das macht eine hohe Qualität aus. Steckt dahinter denn eine EnsembleÄsthetik? Es sei schwierig zu beschreiben, was die Gemeinsamkeit ausmache, sagt Alex Mincek. Vielleicht sei es das gemeinsame

Interesse an Klang und Textur und an der Lebendigkeit ihrer Musik, auch an Virtuosität, einer Ensemblevirtuosität. Man verwende ganz selbstverständlich das ganze Klang- und Geräuschspektrum vom reinen Ton bis zum weißen Rauschen – was vor allem in der Improvisation als gemeinsame Tonsprache zutage tritt. Aber im Grunde fällt es allen schwer zu sagen, was davon in der Musik erkennbar wird. Nur Eric Wubbels meint, ein Indiz sei die Art des Orchestrierens und der Umgang mit den Unisoni, die sonst in der Neuen Musik häufig tabu seien … Ist es das? Jedenfalls scheint das Unisono zur Metapher für dieses Ensemble geeignet: eine gemeinsame Stoßrichtung und der Mut zum Risiko. Man wolle auf keinen Fall langweilen, sondern etwas Aufregendes bieten. Tatsächlich sind die Konzerte des Wet Ink Ensembles von einer außerordentlichen Vitalität. n

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INFO

CDs mit und von Mitgliedern des Wet Ink Ensembles n

Wet Ink: Relay (Werke von Eric Wubbels, Sam Pluta, Rick Burckhardt, Alex Mincek, Kate Soper und George Lewis) | Carrier 017 n Evans / Altieri / Pluta: Sum and Difference | Carrier 008 n Sam Pluta: Machine Language; Lyra, Standing Waves u. a. | Carrier 006 n Katharina Rosenberger: Texturen | hat [now]ART 164 n Kate Soper: Voices of the Killing Jar | Carrier Records 021

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