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January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Sozialwissenschaften
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Informationen zur Raumentwicklung Heft 4.2015

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Die kommende „Welt-Polis“

Kai Vöckler

Die „Stadt“ ist heute fragmentiert, sie entfaltet sich in unterschiedlichen Raumkonfigurationen lokal wie global und steht nicht mehr für eine in sich geschlossene Gemeinschaft. Entsprechend ist die Frage, wie die Stadt als Teil eines weltumspannenden Städtesystems eine entsprechende politische Form findet, wie sie zur „Welt-Polis“ werden kann. Wie könnte sich eine Welt-Polis als Ideal politischer Gemeinschaft, das auf dem Freiheits- und Selbstbestimmungsprinzip gründet, unter den Bedingungen einer entstehenden Weltgesellschaft in den Weltstädten formieren? Anknüpfend an die Philosophen Christoph Menke und Arnd Pollmann wird argumentiert, das nicht eine weltstaatliche Organisation, die die Weltbürgerrechte durchsetzt, notwendig ist, sondern eine kosmopolitische Öffnung der Demokratie. Und hier werden die zunehmend globalisierten Städte die Vorreiterrolle einnehmen. Sie bieten einen Handlungsraum an, der den nationalstaatlichen Rahmen überschreitet, worauf bereits die Stadtsoziologin Saskia Sassen hingewiesen hat. In ihnen treffen bereits unvollständig formalisierte Praktiken auf neue Vorstellungen von Bürgerschaft. Die Stadt ist der Ort, die das Zusammentreffen der Verschiedenen, und den Austausch zwischen ihnen ermöglicht, die die Differenz zulässt und den Raum für neue Formen lokaler politischer Willensbildung bietet. Dieser Raum ist noch zu gestalten.

Städte sind die Orte, in denen sich die Zukunft der menschlichen Gesellschaft entscheidet, denn in ihnen lebt seit 2007 mehr als die Hälfte der Menschheit, und es werden täglich mehr. Städte konzentrieren ökonomische wie soziale Entwicklungen. Sie bieten ein Zuhause, eine Perspektive für ein besseres Leben. Wie dieses bessere Leben aussehen könnte, ist Verhandlungssache und sollte Gegenstand einer offenen (und gegensätzlichen) Debatte der davon Betroffenen sein. Insofern soll hier weniger eine Prophezeiung im Gestus des Wissens gewagt, sondern vielmehr eine Entwicklung aufgezeigt werden, die uns auffordert, darüber nachzudenken, mit wem wir diese Auseinandersetzung führen müssen. Das setzt voraus, dass es dafür einen gemeinsamen Handlungsraum gibt, in dem die öffentliche Auseinandersetzung über die Perspektiven eines „guten Lebens“ stattfinden kann. Dieser Raum ist das zu gestaltende Gemeinwesen, also das, was Stadt in einem ursprünglichen Sinne meint. Dass die „Stadt“ heute fragmentiert ist, sich in unterschiedlichen Raumkonfigurationen lokal wie global entfaltet und nicht mehr in einer in sich geschlossenen Gemeinschaft wie der antiken griechischen Polis formieren kann (und soll), stellt die Herausforderung für unsere Zeit dar. Die Verfassung

der europäischen Kommunen wird den neuen Verhältnissen nicht gerecht. Nicht nur, dass die Kommunen Teil des nationalstaatlichen Raums (und auch teilweise eines suprastaatlichen Raums wie der Europäischen Union) sind und damit eben nicht nur frei gewählte Selbstverwaltungsorgane, sondern auch weisungsgebundene Verwaltungsinstanzen darstellen, schließen sie beispielsweise in ihrer jetzigen Struktur einen großen Teil ihrer Bevölkerung von politischen Entscheidungsprozessen aus. Ein Beispiel dafür ist die Heimatstadt des Autors, Offenbach am Main, deren Bevölkerung mehrheitlich (56,9 %) Migrationshintergrund hat. 34,3 % der Einwohner sind Ausländer, von denen 19,7 % EU-Staatsbürger sind, die an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, die verbleibenden 14,6 % sind davon ausgeschlossen (Stadt Offenbach, Dezernat III/81.2, Arbeitsförderung, Statistik und Integration 2014: 3). Der hohe Anteil von Zuwanderern aus allen Ländern bildet die Basis für eine neuartige Form von Stadtleben und seiner sozialen Organisation. Denn Zuwanderung bedeutet nicht nur, dass Menschen aus anderen Nationen nach Offenbach kommen und integriert werden, sondern auch, dass diese weiterhin enge Beziehungen zu ihren Herkunftsländern haben und auf diese Weise neue soziale

Prof. Dr. Kai Vöckler ist Urbanist in Offenbach. Gründungsmitglied von Archis Interventions. Stadtentwicklungsprojekte in Deutschland und dem europäischen Ausland. Seit 2010 Stiftungsprofessur für Kreativität im urbanen Kontext an der HfG Offenbach. [email protected]

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Interaktionen über die nationalen Grenzen hinweg ermöglichen, die sich eben auch in den Ankunftsländern und -städten als neue sozialräumliche Qualität ausbildet.

(1) Ausführlich dargelegt am Beispiel der Kosovo-Albaner in Vöckler, 2008. (2) Die folgenden Überlegungen basieren auf: Vöckler 2014: 47–78. (3) Aristoteles, Pol. VII, 1326b 1–5: „(...) ein Staat allerdings, der aus vielen Bürgern besteht, ist zwar in den lebensnotwendigen Bedingungen selbstgenügsam wie ein Volksstamm, aber nicht wie ein Staat.” In: Aristoteles/Dreizehnter 2003b: 331. (4) „(...) Poleis, d. h. Stadtgemeinden, städtische Staatswesen (...)“ (Burckhardt 2007: 40). (5) Allerdings war immer nur ein Teil der männlichen Bevölkerung an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt, auch die Freiheit zur Selbstbestimmung zumeist eingeschränkt. Auch bestehen substanzielle Unterschied zwischen diesen unterschiedlichen Stadtformen, auch wenn sie alle von einem Stadtrecht, einer städtischen Gemeindeverfassung bestimmt wurden. Die Städte des antiken Griechenlands waren Stadtstaaten. Die Städte des Römischen Reichs dagegen fungieren als administrative Zentren des Reiches und waren der Provinz untergeordnet. Die mittelalterlichen Städte wiederum entwickelten, von einigen Stadtstaaten und administrativen Zentren abgesehen, eher einen Zwischentypus, den Max Weber als „okzidentale Stadt“ beschrieb.

Dieser als Transnationalismus bezeichnete Zusammenhang gründet in einer fortschreitenden gesellschaftlichen Denationalisierung, also der Ausweitung grenzüberschreitender wirtschaftlicher aber auch kultureller und sozialer Zusammenhänge (vgl. Mau 2007). Soziale Netzwerke sind nicht zwangsläufig territorial begrenzt, wie die Familiennetzwerke von Migranten und deren wechselseitiger Einfluss auf die Herkunfts- wie Zielländer bei der Migration von Familienmitgliedern zeigen.1 Dies kann als Anlass genutzt werden, über neue Formen lokaler politischer Willensbildung über die etablierten Formen repräsentativer demokratischer Prozesse hinaus nachzudenken – und den Raum dafür zu gestalten. Dessen Ort ist die Stadt als Welt. So wie die Zukunft der Menschheit außerhalb des weltumgreifenden Systems der Städte kaum denkbar ist, sollte diese ohne die Perspektive eines demokratischen, sich selbstbestimmenden Gemeinwesens nicht gedacht werden. Das wird nicht möglich sein, ohne das Verhältnis von Stadt und Staat zu thematisieren. Entsprechend ist die Frage, wie die „Stadt“ als Teil eines weltumspannenden Städtesystems eine entsprechende politische Form findet, wie sie zur „Welt-Polis“ werden kann. Städte sind Umschlagplätze internationaler Wirtschaftskreisläufe und daher den Auswirkungen ökonomischer Transformation und den sie begleitenden Krisen direkt ausgesetzt, bieten aber auch die Perspektive sozialen Aufstiegs und der Teilhabe an einem globalen Wirtschaftsraum. Sie integrieren Zuwanderer, die durch Migration miteinander verflochten sind. In Städten entwickeln sich neue Formen sozialer Interaktion. Durch die ökonomische Globalisierung der Welt rücken Städte immer dichter aneinander und bilden in zunehmenden Maß ein globales System, in dem weltgesellschaftliche Verhältnisse möglich werden. Es ist aber kein einheitliches System, sondern eher ein Geflecht sich überlagernder und miteinander verknüpfter, aber auch unterschiedlicher globalisierter Raumstrukturen, zu denen nur Teile der Weltbevölkerung Zugang haben.

Städte spielen eine besondere Rolle in diesen globalisierten Raumstrukturen, wie das Verhältnis der Stadt zum Staat zeigt. Der Nationalstaat gründet auf dem Prinzip der Ausschließung beziehungsweise der Selbstabschließung in der Zusammenfügung von territorialer Herrschaft und der Eingrenzung eines Staatsvolks, was es ihm möglich macht, ökonomische und politische Strukturen in einem relativ großen Raum zu kombinieren. Die Stadt dagegen basiert auf dem Prinzip der Einschließung, der Verdichtung ökonomischer Transaktionen und sozialer Interaktion in einem relativ offenen Rahmen (vgl. Held 2005: 230, 367 ff.). Beide Mechanismen ergänzen sich, haben aber unterschiedliche Wirkungen. Die Stadt ist der Ort, in dem sich die globalisierten Raumstrukturen konzentrieren, der zum „Knoten“ der Welt wird.2 Die Stadt galt bereits in der griechischen Antike als der Ort, wo sich das persönliche Glück erreichen lässt, aber auch das gerechte, freie Leben in der Gemeinschaft realisiert werden kann (Aristoteles, NE 1097b 8 ff.; vgl. Aristoteles/Dirlmeier 2003a: 15 f.). Die Besonderheit des antiken griechischen Stadtbegriffs zeigt sich darin, dass für Aristoteles Babylon, die zu seiner Zeit vermutlich größte Stadt der Welt, eben keine Polis, sondern Ethnos, Stammesstaat, ist. Größe allein macht noch keine Polis.3 Die griechische Polis war „Stadtstaat”4 (Jacob Burckhardt), ein Personenverband aus männlichen Grundeigentümern, der diese als Bürger (unter Ausschluss von Frauen, Fremden und Sklaven) an der Polis teilhaben ließ, der sich militärisch organisierte und selbst regierte, eigene Institu­ tionen wie die Volksversammlung und den Rat entwickelte und politisch unabhängig war. Die Stadt ist im antiken griechischen Verständnis der Raum gemeinsamen Handelns, der im Austausch der Meinungen gründet. Konstitutiv für die Polis als sich selbst bestimmende und verwaltende Stadt ist der offene, allen Bürger zugängliche und von allen anerkannte Raum, in dem die Angelegenheiten des Gemeinwohls verhandelt und entschieden werden. Stadt steht hier für das politische Gemeinwesen, das idealerweise in Freiheit und gleichberechtigt über sich selbst bestimmt: Polis, später Civitas und Kommune.5

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Die Stadt steht in unserem kollektiv Imaginären für die gleichzeitige Entstehung und Verschmelzung einer charakteristischen Stadtstruktur und Stadtform mit einem spezifischen System sozialer Beziehungen, einer stadtbürgerlichen Gesellschaft mit ihrer typischen Kultur: die „okzidentale Stadt”.6 Genau diese in den geografischen Raum eingebettete, gegen die Zeitläufe widerständige Symbolik der Stadt ist es, welche die Brüche im Transformationsprozess des Städtischen verdeckt. Denn dieser Stadttypus hat sich stark verändert, wie die neu entstandenen globalisierten Stadtformen zeigen. Waren es im ausgehenden Mittelalter die sich entwickelnden Territorialstaaten und in der Folge die Nationalstaaten, die das Erbe der Städte antraten, aber eben auch deren Freiheiten einschränkten, so ist heute mit der Globalisierung der Ökonomie, internationaler Migration und der Internationalisierung der Medien- und Kommunikationskreisläufe eine neuartige urbane Struktur entstanden, die sich über die Welt ausbreitet und die Grenzen der Nationalstaaten überschreitet. Mit Handel und Kolonialismus entstand seit dem 16. Jahrhundert ein weltweites Städtesystem, das sich dann im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und dem Imperialismus zu einem eigenständigen „Weltsystem” mit Weltstädten entwickelte, die als Machtzentren Verwaltung, Handel und Produktion koordinierten (vgl. Wallenstein 2004: 513–517; ders. 1998; ders. 2004). Dieses Gefüge erfuhr zum Ende des 20. Jahrhunderts eine bis dahin unbekannte globale Dynamik, die eng mit den Veränderungen der Weltwirtschaft zusammenhängt und bis heute andauert (vgl. Feldbauer/ Parnreiter 1997: 9–19). Die Aufspaltung von Produktionsprozessen im weltweiten Maßstab, die durch eine verbesserte Informations- und Kommunikationstechnologie und der Weiterentwicklung des Transportwesens ermöglicht wurde, bewirkte zusammen mit der Ausweitung und der Internationalisierung der Finanzmärkte einen Strukturwandel des Städtewesens (vgl. Schwentker 2006: 7–26). Die Transnationalisierung der Wirtschaftsstruktur führte zur Entwicklung von Städtenetzwerken, in denen diese transnationalen

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Unternehmensnetzwerke koordiniert werden. Die Rekonfiguration des Städtischen in organisatorischen Knotenpunkten des Weltwirtschaftssystems, die wiederum weltweit vernetzt sind und einen eigenen globalen Akkumulationsraum mit einer dazugehörigen transnationalen Elite bilden, ist erst 1982 durch die „Weltstadthypothese” des Raumplaners John Friedmann erfasst und in der Folge von der Soziologin Saskia Sassen als System der „Global Cities“ analysiert worden.7 Kurz: Waren- und Wissens-, Material- und Menschenströme werden in den großen Städten miteinander in Kontakt gesetzt, verdichtet und über die Welt verteilt. Die Städte urbanisieren nicht die Welt, sondern bilden im System der Weltstädte einen eigenen, globalisierten städtischen Raum. Dass die Städte mehr und mehr mit Realitäten konfrontiert werden, die weder etwas mit der Nachbarschaft noch mit dem Stadtteil oder mit dem umgebenden Nationalstaat zu tun haben, ist inzwischen ein Gemeinplatz. Was entsteht, sind besondere Orte, deren kulturelle, ökonomische und soziale Aktivitäten nicht mehr auf das Lokale beschränkt sind (Bittner/Hackenbroich/ Vöckler 2007). Die „Global Cities“ sind über den Erdball verstreut und bilden eine neue Geografie der Zentralisierung aus, sie integrieren aber nicht den gesamten Globus. Die „Welt-Stadt“ ist nicht eine einzige zusammenhängende weltumspannende Siedlung, eine „Ökumenopolis“, wie sie noch der Historiker Arnold J. Toynbee in den 1960erJahren prognostizierte (vgl. Toynbee 1971: 161–202). Vielmehr sind es unterschiedliche, global operierende Netzwerke, die nebeneinander existieren und in den „Global Cities“ und, vermittelt durch diese, räumlich miteinander interagieren (vgl. Korff 1997: 26). Große Teile der Weltbevölkerung sind nicht in diese Netzwerke, die nur einen Bruchteil der Erdoberfläche umfassen, integriert (vgl. Friedmann 1995: 24). Zudem sind die „Global Cities“ in den nationalen Raum eingebettet. Die Nationalstaaten wiederum entwickeln auf einer internationalen Ebene durch die Gründung trans- und suprastaatlicher Institutionen und Organisationen die Regeln und Rahmenwerke, in denen sich die globalen Austauschprozesse vollziehen.8 Zwar gibt es keine übergeordnete Ordnung,

(6) Vgl. Weber 2000: In Webers oriental-okzidentalischen Zivilisationsvergleich kam es nur im Okzident zur Entstehung eines politisch autonomen Bürgertums, das später Träger der Entwicklung des modernen Kapitalismus wurde. (7) Vgl. Friedmann/Goetz 1982: 309–344; vgl. auch Friedmann 1995: 22–44. Dieser Ansatz wurde von der Soziologin Saskia Sassen fortgeführt, die als Voraussetzung für diese neue Form weltwirtschaftlicher Interdependenz ebenso ein transnationales Städtesystem sieht, in dem sich die Steuerungsfunktionen konzentrieren. Vgl. Sassen 1996. (8) „Internationalität ist durch die nationalen Rhythmen vermittelt, während Globalität eine transnationale Qualität kennzeichnet, deren genuiner Raum das Städtische ist.” (Prigge 1994: 66)

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aber die Bedeutung der Nationalstaaten verschwindet keineswegs, vielmehr werden sie in diesem Transformationsprozess rekonfiguriert. Teile des Nationalstaats werden globalisiert, indem er Kompetenzen an übergeordnete Institutionen abgibt. Außerdem entstehen im globalen Maßstab neue Kooperationsformen zwischen privaten und staatlichen Akteuren. (9) Vgl. Sassen 2008: 646–650. Drei dieser Konfigurationen sind ihrer Ansicht nach zentral: das Frankreich der Kapetinger, das England der Industriali­ sierung und die USA im 20. Jahrhundert. (10) Der hier verwendete Begriff der Raumstruktur steht im Gegensatz zu der Vorstellung, dass der Raum eine formale Einheit als dreidimensionale Gegebenheit hat, und betont die dynamische Relationalität von Räumlichkeit. Vgl. Held 2005: 19, 374. Das von Held umfassend analysierte Komplementärverhältnis von (nationalstaatlichem) Territorium und Großstadt (Metropolregion) ist bereits früher diskutiert worden: „Einiges spricht dafür, dass sich [städtische, Anm. d. Verf.] Regionen als die gegenwärtig entscheidenden Räume von ökonomischer Globalisierung etabliert haben – obwohl sie oder vielmehr gerade weil sie nicht staatlich verfasst sind und auch ihre Kultur weder mit einem abgegrenzten Territorium noch mit einer Geschichte, also nationalstaatlich artikuliert sind. (...) Man muss hier mehr als bisher dazu übergehen, diese Entwicklung von Regio­ nen ‚räumlich’, das heißt nicht geografisch, sondern struktural zu erklären.” (Prigge 1994: 66) (11) In dieser Hinsicht gleicht die „Global City“ strukturell der Kolonialstadt mit ihrem „cordon sanitaire” zwischen den europäischen Kolonialherren und den einheimischen Arbeitskräften. Vgl. Post 2004: 175. (12) „Da nur ein sehr kleiner Teil der modernen wirtschaftlichen und politischen Prozesse wirklich global ist, und da der weitaus bedeutendere Teil auf der Erde in einzelnen Volkswirtschaften und Staaten parallel gemeistert wird, ist die Erwartung eines einzigen ‚Babylon’ Unsinn, und ist auch der Begriff der ‚Global-City’ im Grunde irreführend.” (Held 2005: 344)

Die Integration der Volkswirtschaften in den Weltmarkt ist allerdings nach wie vor national reguliert (Prigge 1994: 65). Gerade die globalen Städte sind wesentlich auf die Unterstützung durch die nationalstaatlichen Institutionen angewiesen und vermitteln zwischen diesen und den in ihnen lokalisierten transnationalen Unternehmen. Stadt und Staat verhalten sich komplementär zueinander, setzen unterschiedliche Räume zueinander in Beziehung, wie der Raumplaner Gerd Held argumentiert. Die Stadt als Großstadt, die „Global City“, steht für das räumliche Strukturprinzip, das Zentralität herstellt und auf diese Weise Heterogenität durch Verdichtung zulässt – in sie wird die Welt hineingeholt. Der Staat als sich territorial organisierende Raumstruktur steht für die Abgrenzung und die Homogenität nach innen, in der die Welt im Raum des Nationalen assimiliert und aufgelöst wird (vgl. Held 2005: 230, 367 f.). Sassen dagegen versteht die Beziehung des globalen Stadtsystems zu den Nationalstaaten nicht als ein Komplementärverhältnis, sondern als eine mehrdimensionale Anordnung, in der sich „Territorium”, „Autorität” und „Recht” in wechselnden historischen Konfigurationen ins Verhältnis setzen.9 Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass die globalisierte Stadt und der Nationalstaat nicht als unabhängig voneinander, sondern als interagierende „Raumstrukturen” (Gerd Held) gesehen werden, die jetzt im „Weltmaßstab” (Saskia Sassen) eine neue Raumkonfigura­ tion entwickeln.10 Eine Stadt ist allerdings nie vollständig in die globale Wirtschaft und Gesellschaft integriert, sondern nur bestimmte räumliche, soziale oder ökonomische Segmente. So benötigt die „Global City“ nicht nur gut ausgebildetes Fachpersonal, sondern auch die Dienstleistungen des Niedriglohnsektors wie die der Reinigungs- und Sicherheitskräfte. Diese in unsicheren oder auch informellen Arbeitsverhältnissen Beschäftigten wer-

den häufig aus den legal oder auch illegal in die Global Cities strömenden Migranten rekrutiert. Die Kontroll- und Steuerungskapazität hängt von einer funktionierenden Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur ab, und dieses Funktionieren ist ohne einen „gewaltigen Unterbau an Dienstleistungsbetrieben” nicht gewährleistet, in denen ein Service-Proletariat beschäftigt ist (Kipfer/ Keil 1995: 81). Insofern spiegelt sich in der „Global City“ die Welt, die globale Ordnung findet sich in der sozial und wirtschaftlich segmentierten Stadt wieder, die in ihren Randlagen die Arbeitskräfte aus den Peripherien der Welt versammelt.11 Der traditionelle Stadtraum ist fragmentiert, die Teile der Stadt spalten sich in lokal, regional und international bezogene Teile auf, die sich auf komplexe Weise überlagern (vgl. Prigge 1998: 6). Die „Global City“ ist nur in Teilen globalisiert, nie als Ganzes – insofern ist der Begriff irreführend.12 Aber sie kann unterschiedliche, in den unterschiedlichen Maßstäben (lokal, regional, global) aufeinander bezogene Räume verdichten und in ihrer Heterogenität an einem Ort konzentrieren. Wie kann sich in dem neuartigen Gefüge eines Weltstädtesystems ein politisches Gemeinwesen entwickeln? Wie könnte sich eine „Welt-Polis“ als Ideal politischer Gemeinschaft, das auf dem Freiheits- und Selbstbestimmungsprinzip basiert, unter den Bedingungen einer entstehenden Weltgesellschaft in den Weltstädten formieren? Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden, stellt aber angesichts der neuen Formierung des Städtischen im globalen Maßstab die eigentliche Herausforderung einer Neubestimmung des politischen Gemeinwesens als Teil der Weltgesellschaft dar. Eine „Welt-Polis“ ist kein Weltstaat, und es stellt sich die Frage, ob sie auf diesen angewiesen ist. Der Weltstaat als eine einzige, die gesamte Welt umfassende Autorität, der sich alle anderen Autoritäten unterzuordnen haben, ist nicht zwangsläufig die einzige Form gesellschaftlicher Ordnung, die eine globale politische Willensbildung ermöglicht. Die Idee des Weltstaats basiert auf der Weltgewalt als Grundvoraussetzung der Rechtsdurchsetzung (zum Weltstaat vgl. Toynbee 1969; Tönnies 2002). In diesem Zusammenhang ist immer wieder darauf hin-

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gewiesen worden, dass die Idee vom Weltstaat schnell in eine Despotie führen kann – was sollte einen Hegemon daran hindern, im Namen allgemeiner Rechte seine Macht zu sichern? Außerdem erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass Nationalstaaten freiwillig ihre Kompetenzen an einen Weltstaat abtreten. Man schaue dazu nur auf die Konstruktion des UN-Sicherheitsrats mit seinen komplexen Machtverhältnissen. Viel problematischer an der Idee vom Weltstaat ist, dass dieser kein „Außen“ mehr kennt, worauf der Philosoph Henning Ottmann bereits hingewiesen hat.13 Was passiert mit denen, die außerhalb dieser „Menschheitsordnung“ stehen? Werden sie (wie früher die Piraten und heute die Terroristen) zu „Feinden des Menschen­ geschlechts“ erklärt, zu den ausgeschlossenen Anderen, die keinen Ort mehr für sich beanspruchen dürfen? Die Philosophin Hannah Arendt hat dies pointiert benannt: „... dass eines Tages ein bis ins letzte durchorganisiertes, mechanisiertes Menschengeschlecht auf höchst demokratische Weise, nämlich durch Majoritätsbeschluss, entscheidet, dass es für die Menschheit im ganzen besser ist, gewisse Teile derselben zu liquidieren (Arendt 1986: 618). Realistischer erscheint hingegen die von dem Philosophen Ottfried Höffe vorgeschlagene subsidiäre Weltrepublik, die komplementär zu den Nationalstaaten hinzutritt und die Menschenrechte sowie soziale und ökologische Mindeststandards durchsetzen und den Frieden sichern soll (vgl. Höffe 2002, 2004). Auch dazu bedarf es allerdings einer globalen Rechtsordnung. Das würde aber unweigerlich zu einem Machtproblem zwischen dem „Weltrechtsstaat“ und den Nationalstaaten führen, müsste doch die „von der Weltrepublik konzentrierte Gewalt größer sein als die der größten verbleibenden Supermacht, größer auch als die einer Koalition von Mächten (...) – eine machtphysikalische Unmöglichkeit.“ (Ottmann 2010: 385) Nun lassen sich weltgesellschaftliche Verhältnisse nicht nur aus der Weiterentwicklung des Nationalstaats herleiten. Denkbar ist auch eine kosmopolitische Demokratie, wie sie etwa dem Politikwissenschaftler David Held vorschwebt („globale soziale Demokratie“), kurz gefasst als reformier-

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te Vereinte Nationen, die die Entwicklung weiterer demokratischer Institutionen jenseits des Nationalstaats und den Abbau von Handelsschranken zugunsten der Entwicklungsländer umfasst (vgl. Held 2007). Was Held mit ins Auge fasst, ist die Entstehung neuer supranationaler Politiken, an denen neben den Nationalstaaten eben auch vermehrt nicht-staatliche Akteure wie internationale und transnationale Organisationen (multinationale Konzerne, internationale Expertengruppen, Nichtregierungsorganisationen, transnationale soziale Bewegungen) zusammenwirken. Hier entstehen neue Formen globaler Politik, die aber gerade nicht demokratisch legitimiert sind oder rechtsstaatlichen Kontrollfunktionen unterliegen. Dies betrifft Nichtregierungsorganisationen mit altruistischen gleichermaßen wie multinationale Konzerne mit profitorientierten Zielen, um nur zwei Beispiele herauszugreifen. Das Besondere dieser neuen Form globaler Politik ist, dass sie von sich behauptet, globale Politik ohne eine Weltregierung lösen zu können. Unklar bleibt bei diesen unter dem Schlagwort „Global Governance“ zusammengefassten neuen Politiken, inwieweit sie einfach nur neue Regierungstechniken sind (vgl. Brand/Brunnengräber/Schrader 2002). Auch wenn die zivilgesellschaftlichen Netzwerke und Nichtregierungsorganisationen sich durch hohe Transparenz und Diskursund Verhandlungsbereitschaft auszeichnen und sich damit auch öffentlicher Kontrolle aussetzen, sind doch weite Felder dieser Politik in hohem Maße intransparent: Man nehme nur den Bereich der Finanzen oder der Sicherheit. Entscheidend aber ist, dass David Held weniger vom Staat, sondern vom Individuum als dem Subjekt von Weltrecht und Weltpolitik ausgeht. Held sieht hier die Grundlage eines neuen Kosmopolitismus „als jene moralische und politische Perspektive (...), die auf den Stärken der liberalen multilateralen Ordnung aufbaut, v. a. ihrer Verpflichtung auf universelle Standards, Menschenrechte und demokratische Werte...“ (Held 2007: 261). Aber der Kosmopolitismus setzt eben auch einen universalen Begriff des Menschen voraus, der ideologisch werden kann und zum Ausschluss derjenigen führt, die die-

(13) Vgl. Ottmann 2010: 384. Ich beziehe mich in der Diskussion von Weltstaat, Weltrepublik und „Global Governance“ auf das Kapitel XVIII, Demokratie jenseits des Nationalstaats – eine neues Paradigma oder eine Utopie. Ebd.: 379–399.

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sen nicht teilen. Schon der antike Kosmopolitismus lieferte dem Panhellenismus und dem römischen Reich die ideologische Grundlage für deren Expansion. Und es lässt sich schnell feststellen, dass nicht alle den gleichen Begriff von Menschheit (und Individuum) haben und das demokratische Ideal der Selbstbestimmung teilen – man denke nur an die Auseinandersetzung um die allgemeinen Menschenrechte und deren universaler Berechtigung, was nicht nur von religiösen Fundamentalisten weltweit bestritten wird.14 Auch liegt dem Begriff der unveräußerbaren Menschenrechte eine Paradoxie zugrunde, auf die Arendt bereits verwiesen hatte, da „dieses Recht mit einem ‚Menschen überhaupt’ rechnete, den es nirgends gab(...), also der Begriff des Menschen, wenn er politisch brauchbar gefasst sein soll, die Pluralität der Menschen stets in sich einschließen muss.“ (Arendt 1986: 604) Arendt hat dies als eigentliche Form des Politischen definiert: „Politik beruht auf der Tatsache der Pluralität von Menschen“, sie entsteht zwischen den Menschen, die nicht gleich, sondern verschieden sind und sich einen Raum gemeinsamen Handelns schaffen, sie „handelt von dem Zusammenund Miteinander-Sein der Verschiedenen.“ (Arendt 2010: 9)

(14) Beispielsweise die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990, die die Scharia einbezieht. (15) Zur Kontroverse zwischen einem Staats- und einem Demokratiekonzept des Weltbürgerrechts vgl. Menke/Pollmann 2007: 208–215. (16) „Während Nationalstaaten Städtesysteme brauchten, waren umgekehrt Städte oft nicht auf einen funktionierenden nationalstaatlichen Rahmen angewiesen.” (Osterhammel 2001: 382)

Entsprechend sollte nicht von der Universalität des demokratischen Ideals der Selbstbestimmung ausgegangen werden, sondern dieses als universalisierbar gedacht werden. Dies haben die Philosophen Christoph Menke und Arnd Pollmann im Anschluss an Michael Walzers Theorie eines „wiederholenden“ Universalismus vorschlagen, der eben dynamisch und prozessual gedacht ist und sich in einer stetigen und erneuernden Wiederholung in wechselnden Kontexten und wechselnden Akteuren (weiter) entwickelt, ohne seinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit aufzugeben (vgl. Menke/ Pollmann 2007: 79–85). Entsprechend folgt daraus weniger eine weltstaatliche Organisation, die die Weltbürgerrechte durchsetzt, sondern vielmehr eine „kosmopolitische Öffnung der Demokratie“.15 Das bedeutet, dass „nicht (...) jeder Mensch zum Bürger desselben demokratischen Gemeinwesens werden soll...“, sondern „...jeder Mensch bei der Selbstregierung dieses Gemeinwesens zu berücksichtigen ist.“ (ebd.: 213)

Entsprechend respektiert ein solches demokratisches Gemeinwesen nicht nur die Bürgerrechte seiner Mitglieder und die Grundrechte der auf seinem Territorium Anwesenden, sondern auch die Weltbürgerrechte aller Menschen. Das Demokratiekonzept sieht daher „die Dringlichkeit“ weniger „im Aufbau einer handlungsmächtigen supranationalen Organisation“, sondern in der „effizienten, daher kontextintensiven Reformierung oder Revolutionierung lokaler politischer Verhältnisse.“ (ebd.: 214) Und dies wird, so Menke und Pollmann, „...nur je lokal und in einer unsynthetisierbaren Vielfalt verwirklicht werden können.“ (ebd.: 215) Was bedeutet dies für die Stadt als Ort der Selbstbestimmung und der gesellschaft­ lichen Selbstverständigung? Die Entwicklung der neuen Kommunikationstechnologien (Satellitentechnologie und Internet) zum Ende des 20. Jahrhunderts ermöglichte einen „permanenten Interaktions- und Kommunikationszusammenhang” innerhalb des Weltstädtesystems (Osterhammel 2011: 386). Öffentlichkeit ist nicht mehr allein an den konkreten städtischen Raum gebunden, sondern entfaltet sich in (auch medial) vermittelten Teilöffentlichkeiten, die auf jeweils eigene Weise reale und virtuelle, lokale und globale Räume verknüpfen. Die Stadt organisiert zudem den gesellschaftlichen Raum auf andere Weise als der Nationalstaat.16 Sie ist der Ort ständiger Zirkulation von Menschen, Informationen und Waren, bewirkt ihr Zusammentreffen und den Austausch, ermöglicht auf diese Weise Differenz und schafft damit den Raum für soziale Interaktion über das Lokale und Nationale hinaus (vgl. Lefèbvre 1990: 127 ff.). In ihr verdichten sich die Teilöffentlichkeiten, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das globale Städtesystem bietet eine neuartige Perspektive, das Globale mit dem Lokalen zu verschränken. Dies wird nicht losgelöst vom nationalstaatlichen Rahmen geschehen. Der Nationalstaat und die Nationalgesellschaft werden sich verändern und ein neues Verständnis von Nation entwickeln müssen, wie der Soziologe und Migrationsforscher Friedrich Heckmann fordert: „Gegenüber einem ethno-kulturellen

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Nationsbegriff, für den geglaubte gemeinsame Abstammung konstitutiv ist, erlaubt nur die ‚Logik’ eines auf gemeinsamen Werten beruhenden politischen Nationsbegriff auch die Aufnahme von ‚Fremden’ in den nationalen Zusammenhang und damit Integration.“ (Heckmann 2015: 290) Der Nationalstaat gibt zunehmend Aufgaben an suprastaatliche Organisationen ab, ein gutes Beispiel dafür ist die Europäische Union. Der Philosoph Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, dass hier eine transnationale Öffentlichkeit entsteht, zu der sich die nationalen Öffentlichkeiten öffnen (vgl. Habermas 2011). Die Europäische Union bildet ein rechtlich verfasstes, suprastaatliches Gemeinwesen, das für Habermas auf den Begriff der Nation als Herkunftsgemeinschaft verzichten kann, da alle Europäer Grundüberzeugungen wie Glaubensfreiheit, soziale Gerechtigkeit oder Rechtsstaatlichkeit teilen. Das europäische Recht spielt dabei eine zentrale Rolle, da es die sogar grenzübergreifend gegen die nationale Gesetzgebung schützt, was sich in der weltweit einmaligen Institution eines Europäischen Gerichtshofs manifestiert. Und sie räumt, wie bereits erwähnt, den Staatsbürgern der Europäischen Union auch weitgehende Rechte innerhalb der Nationalstaaten ein, wie beispielsweise die Beteiligung an den Kommunalwahlen. Auf den Begriff der Nation ganz zu verzichten, schlägt die Philosophin Catherine Colliot-Thélène vor und argumentiert für eine „Demokratie ohne Volk“ (vgl. ColliotThélène 2011). Sie konstatiert, dass der „heutige Rechtspluralismus (...) eine Vervielfältigung und wachsende Heterogenität der Machtinstanzen [bedeutet], bei denen die Subjekte die Anerkennung erstrebter Rechte einfordern können oder müssen.“ (ebd.: 14) Entsprechend sollte ihrer Meinung nach das Wahlrecht vom Staatsbürgerstatus abgekoppelt werden: „Der heutige Recht­ s­ pluralismus macht es erforderlich, sich von der klassischen Vorstellung eines Demos zu verabschieden, verstanden als eine geeinte Gemeinschaft, deren vermeintlicher Wille die Legitimität der Macht begründet.“ (ebd.: 15)

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Zwar bleibt der Einzelne Angehöriger eines bestimmten Staates, soll aber in jedem Staat die Freiheits- und Bürgerrechte wahrnehmen können, die ihm aufgrund seines „Menschseins“ zukommen. Mit Bezug auf Hannah Arendt argumentiert sie, die „...einzige echte Garantie für erworbene Rechte ist das, was ihre Erkämpfung möglich gemacht hat, nämlich das Recht eines jeden Menschen, Rechte zu fordern: ein vorrechtliches Recht, das nicht naturgegeben ist, sondern ausschließlich durch das Handeln von Menschen Realität gewinnt, die nur durch das Abschütteln von Bevormundung zu Subjekten werden.“17 Entsprechend ist eine „eine nichtnationale politische Bürgerschaft zu konzipieren, ohne die spezifische Form politischer Souveränität zu opfern, deren Kern das Rechtssubjekt und damit das emanzipatorische Potenzial ist, von dem eine zweihundertjährige Geschichte zeugt.“ (ebd. 22) Sie stellt fest, dass die „...Aktivitäten von Einzelpersonen und Gruppen, die ihre Rechte aktiv verteidigen, ...nicht mehr durch staatliche Grenzen eingeschränkt [werden], ...die neue Machttypologie hat neue Organisationsformen hervorgebracht.“ (ebd.: 225) Das sieht auch Sassen ähnlich, die feststellt, dass die Städte stärker zu eigenständige Akteuren werden, die zwar Teil des Nationalstaats bleiben, aber durch das Netzwerk der „Global Cities“ selbst neue Formen grenzüberschreitender „Governance“ entwickeln, sich hier „Formen partizipatorischer Politik entwickeln, die das nationale politische Leben dezentrieren“ und von denen sich lernen lässt, „wie sich Demokratie über Grenzen hinweg praktizieren lässt.“ (Sassen 2008: 493) Für sie stellt die Stadt jetzt wieder die Maßstabsgröße für strategisch entscheidende politische Dynamiken dar. Hier treffen unvollständig formalisierte politische Praktiken auf neue Vorstellungen von Bürgerschaft. Entsprechend ist es die Stadt, die als Ort der Freiheit das Zusammentreffen, den Austausch, die Differenz und damit den Raum für den Prozess der gesellschaftlichen Selbstbestimmung ermöglicht. Sie ist der Ort, an dem die Zukunft möglich wird. Diese Zukunft muss entworfen werden.

(17) Colliot-Thélène 2001: 208. Arendt hatte dies mit ihrer berühmten Forderung auf ein „Recht auf Rechte“ explizit formuliert. Vgl. Arendt 1986: 614–625.

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(18) Arendt 2010: 28 „Das Wunder der Freiheit liegt in diesem Anfangen-Können beschlossen, das seinerseits wiederum in dem Faktum beschlossen liegt, dass jeder Mensch, sofern er durch Geburt in die Welt gekommen ist, die vor ihm da war und nach ihm weitergeht, selber ein neuer Anfang ist.“ (Ebd.: 34)

Kai Vöckler: Die kommende „Welt-Polis“

Mit wem die Auseinandersetzung über eine gemeinsame Zukunft in den sich globalisierenden Städten zu führen ist, konnte eingekreist werden. Wie dieser Prozess zu gestalten ist, welche Formen er finden muss – das ist noch zu klären. „Der Sinn von Politik ist Freiheit“, und diese Freiheit gründet darin, immer wieder neu anzufangen, etwas Neues beginnen zu können, wie Arendt gezeigt hat.18 Das Vermögen, etwas Neues zu entwerfen, eine Möglichkeit aufzuzeigen, ist auch wesent­

liche Aufgabe der Künste und Wissenschaften. Dann gründen Gestaltung und Wissensproduktion im Handeln und setzen etwas in Gang. Ihr Ort ist das zu gestaltende Gemeinwesen, das, was Stadt in einem ursprünglichen Sinne meint: die Schaffung eines gemeinsamen Handlungsraums, einer öffentlichen Auseinandersetzung über die Perspektiven eines „guten Lebens“, das in der Verantwortung für das Ganze basiert. Das ist die Welt, wie sie sich zusammenfindet in der Stadt, in der kommenden „WeltPolis“.

Informationen zur Raumentwicklung Heft 4.2015

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oder zellartige Metamorphosen in künstlicher Landschaft

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